Inhalt

VGH München, Urteil v. 09.01.2024 – 24 B 23.30364
Titel:

unzulässiger Asylantrag nach subsidiärem Schutz in Dänemark

Normenketten:
AsylG § 1 Abs. 1 Nr. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 2
Asylverfahrens-RL Art. 33 Abs. 2, Art. 35 Abs. 1
Qualifikations-RL Art. 2
Leitsätze:
1. Die fehlende Bindung eines Mitgliedstaates der Europäischen Union an die RL 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) und an die RL 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie) steht einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht entgegen, wenn der durch diesen Mitgliedstaat gewährte Schutz inhaltlich mit den unionsrechtlichen Schutzgehalten vergleichbar ausgestaltet ist. (Rn. 15 – 31)
2. Im Falle der Gewährung subsidiären Schutzes durch Dänemark kommt es auf eine konkrete Betrachtung der dänischen Rechtslage an. Maßgeblich ist die Vergleichbarkeit der Rechtsfolgen einer Schutzgewährung, nicht die ihrer Voraussetzungen. Für Dänemark ist die Vergleichbarkeit zu bejahen. (Rn. 32 – 42)
Parallelentscheidung zu BeckRS 2024, 650 (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Folgen der fehlenden Bindung Dänemarks an die Richtlinien 2013/32/EU und 2011/95/EU auf die Möglichkeit einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, Vergleichbarkeit eines nach dänischem Recht gewährten subsidiären Schutzes mit dem subsidiären Schutz nach Unionsrecht, unzulässiger Asylantrag, Sekundärmigration, subsidiärer Schutz, RL 2013/32/EU, RL 2011/95/EU
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 18.10.2022 – M 22 K 19.32760
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 650

Tenor

I. Unter Abänderung der Nummer I Satz 1 des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. Oktober 2022 – M 22 K 19.32760 – wird die Klage insgesamt abgewiesen. Die Nummern II und III des Urteils werden aufgehoben.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf eine Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern die Beklagte nicht zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) ihren Asylantrag als unzulässig abgelehnt und ihr die Abschiebung in das Königreich Dänemark (im Folgenden: Dänemark) angedroht hat.
2
Die 1995 geborene Klägerin ist syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste eigenen Angaben zufolge gemeinsam mit ihren Eltern und zwei Geschwistern, deren Asylverfahren unter den Aktenzeichen 24 B 23.30369 und 24 B 23.30372 ebenfalls beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof rechtshängig sind, am 15. März 2019 aus Dänemark in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 16. Mai 2019 einen förmlichen Asylantrag. Ausweislich eines Schreibens der dänischen Behörden (Ministry of Immigration and Integration – The Danish Immigration Service) vom 1. Juli 2019 (Bl. 99 BA) ist der Klägerin am 14. Juli 2016 subsidiärer Schutz („subsidiary protection“) gewährt und eine bis 16. Juli 2019 gültige Aufenthaltserlaubnis erteilt worden.
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Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, sie und ihre Familie hätten Dänemark verlassen, weil sie als Kurden dort diskriminiert und rassistisch verfolgt worden wären. Ferner hätten sie dort keine Perspektiven. Die Aufenthaltstitel würden stark befristet und man dürfe nicht arbeiten oder studieren. Außerdem sei ihr Bruder schwerbehindert; dessen medizinische Behandlung sei in Dänemark aber sehr schlecht und solle in Deutschland erfolgen.
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Mit Bescheid vom 18. Juli 2019 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), und forderte diese auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; andernfalls werde sie nach Dänemark oder einen anderen Staat als Syrien, in den sie einreisen dürfe oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet sei, abgeschoben (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Der Bescheid stützt sich unter Verweis auf die in Dänemark erteilte Schutzgewährung im Wesentlichen auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
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Am 29. Juli 2019 erhob die Klägerin Klage und beantragte, den Bescheid aufzuheben und die Beklagte u.a. dazu zu verpflichten, das Asylverfahren fortzuführen und ihr internationalen Schutz zu gewähren oder Abschiebungsverbote festzustellen. Mit Urteil vom 18. Oktober 2022 hob das Verwaltungsgericht München den Bescheid auf (Nummer I Satz 1) und wies die Klage im Übrigen (Nummer I Satz 2) ab. Die Kosten des Verfahrens legte es der Klägerin und der Beklagten jeweils zur Hälfte auf (Nummer II). Das Urteil wurde wegen der Kosten jeweils mit der Möglichkeit der Abwendung für vorläufig vollstreckbar erklärt (Nummer III). Die Aufhebung des Bescheids begründete das Gericht im Wesentlichen damit, dass Dänemark weder an die RL 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) noch an die RL 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie) gebunden sei. Die der Klägerin zuteil gewordene Schutzgewährung nach dänischem Recht stelle daher keinen „internationalen Schutz“ im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dar. Die Norm sei im Lichte des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie auszulegen; „internationaler Schutz“ in deren Sinne könne kein Schutz sein, der nicht auf Art. 2 Buchst. f, g Anerkennungsrichtlinie beruhe. Vor diesem Hintergrund komme es mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. September 2022 (C-497/21 – juris Rn. 53) nicht darauf an, ob der dänische Schutzstatus inhaltlich dem subsidiären Schutz der Anerkennungsrichtlinie entspreche.
6
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung. Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2023 beantragt sie,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 18. Oktober 2022 zu ändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin tritt der Berufung entgegen und beantragt unter Verweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts mit Schriftsatz vom 14. Juni 2023,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Senat hat mit Schreiben vom 24. Juli 2023 unter Hinweis auf überwiegend im Internet verfügbare Quellen zur dänischen Rechtslage den Beteiligten Gelegenheit gegeben, ihre Kenntnisse über das dänische Recht und seine Handhabung in das Verfahren einzubringen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
11
Der Senat entscheidet über die Berufung mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
B.
12
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Bescheid vom 18. Juli 2019 ist in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 des Asylgesetzes – AsylG – i.d.F. d. Bek. vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Dezember 2023 (BGBl I Nr. 382), rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Asylantrag der Klägerin ist aufgrund des bereits in Dänemark zuerkannten Schutzes zu Recht als unzulässig abgelehnt worden (I.). Abschiebungsverbote hinsichtlich Dänemarks sind nicht erkennbar, die erlassene Abschiebungsandrohung und das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot begegnen ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken (II.).
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I. Rechtsgrundlage der Nummer 1 des Bescheids ist § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Die Norm erfasst im Allgemeinen die Fälle, in denen andere Mitgliedstaaten einem Ausländer auf Basis des einschlägigen Unionsrechts Schutz gewähren (1.). Dänemark ist zwar Mitgliedstaat, nimmt aber nicht umfassend am Gemeinsamen Europäischen Asylsystem teil; es gewährt daher betroffenen Ausländern Schutz nach anderen Regeln (2.). Dieser Umstand schließt jedoch eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht von vornherein aus (3.). Die Möglichkeit einer Unzulässigkeitsentscheidung setzt allerdings voraus, dass Inhalt und Gehalt des durch Dänemark gewährten Schutzes mit dem des Unionsrechts vergleichbar ist (4.). Dies ist der Fall (5.). Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen hinsichtlich der Klägerin auch im Übrigen vor (6.).
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1. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 1 AsylG erfassen vorrangig Zuerkennungsentscheidungen von Mitgliedstaaten in Anwendung der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl Nr. L 337 S. 9, ber. ABl 2017 Nr. L 167 S. 58 – Anerkennungsrichtlinie). Nach deren Art. 2 Buchst. a ist internationaler Schutz, soweit er vorliegend von Interesse ist, der subsidiäre Schutzstatus im Sinne des Art. 2 Buchst. g Anerkennungsrichtlinie. Anspruch hierauf haben nach Art. 2 Buchst. f Anerkennungsrichtlinie Drittstaatsangehörige, die die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllen, aber insbesondere stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht haben, dass sie bei einer Rückkehr in das Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefen, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 Anerkennungsrichtlinie zu erleiden.
15
2. Dänemark ist zwar Mitgliedstaat der Europäischen Union, aber an die Anerkennungsrichtlinie weder gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet (vgl. EG 51 Anerkennungsrichtlinie). Nach Art. 1 des Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks vom 2. Oktober 1997 (ABl Nr. C 340 S. 101, zuletzt geändert durch Art. 1 Nr. 21 der Protokolle, die dem Vertrag von Lissabon beizufügen sind, vom 13.12.2007, ABl Nr. C 306 S. 187, ber. ABl 2008 Nr. C 111 S. 58 f.; konsolidierte Fassung abgedruckt in ABl 2008 Nr. C 115 S. 299 – im Folgenden: Protokoll), das gemäß Art. 51 EUV den Rang von Primärrecht hat, beteiligt sich das Land nicht an der Annahme von Maßnahmen durch den Rat, die nach dem Dritten Teil Titel V des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vorgeschlagen werden. Entsprechend fehlt auch die Bindung an die RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl Nr. L 180 S. 60 – Verfahrensrichtlinie; s. a. den dortigen EG 59).
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Von der Möglichkeit des Art. 7 des Protokolls, wonach Dänemark jederzeit einseitig und ohne Mitwirkung der übrigen Mitgliedstaaten seine Bindung an die entsprechenden Rechtsvorschriften herbeiführen kann, hat es hinsichtlich der genannten beiden Richtlinien bislang keinen Gebrauch gemacht (vgl. zum Ganzen Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und Europarat (Hrsg.), Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration, Ausgabe 2020, S. 391 ff., abrufbar unter https://t1p.de/vi0m4 – zur besseren Lesbarkeit des vorliegenden Urteils werden die Internet-Nachweise mittels des Dienstes http://www.t1p.de gekürzt; die genauen Zieladressen werden am Ende der Entscheidung tabellarisch aufgelistet und zugeordnet).
17
An die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl Nr. L 180 S. 31, ber. 2017 Nr. L 49 S. 50) – im Folgenden Dublin-III-Verordnung – ist Dänemark hingegen gebunden. Zwar umfasst das Protokoll gegenständlich auch die Dublin-III-Verordnung (vgl. EG 42 Dublin-III-Verordnung), jedoch hat Dänemark im Jahre 2005 ein entsprechendes Abkommen mit der Europäischen Gemeinschaft abgeschlossen (vgl. ABl Nr. L 66 S. 38; s.a. den Beschluss des Rates v. 21.2.2006 ABl Nr. L 66 S. 37), das infolge eines Beschlusses des dänischen Parlaments vom 26. Dezember 2013 auch für die Dublin-III-Verordnung gilt und von der vorgesehenen Möglichkeit des „Opt-In“ Gebrauch gemacht (zum Ganzen siehe Hruschka in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl. 2020, § 18 Rn. 43; EASO-Praxisleitfaden zur Umsetzung der Dublin-III-Verordnung von Oktober 2019, S. 14, abrufbar unter https://t1p.de/oycwi). Entsprechendes gilt auch für das Eurodac-Verfahren, an dem sich Dänemark beteiligt (vgl. Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013, ABl Nr. L 180 S. 1, und das Protokoll vom 24.5.2019 zum Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark vom 10.3.2005, ABl Nr. L 138 S. 5). Ferner gibt es wechselseitige Abkommen zwischen Dänemark und den assoziierten Staaten (vgl. Hruschka, a.a.O., § 18 Rn. 43).
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Vor diesem Hintergrund ist die Schutzgewährung Dänemarks zugunsten der Klägerin (hierzu noch näher unter 6.) keine Gewährung in Anwendung der Anerkennungsrichtlinie.
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3. Gleichwohl ist eine Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamts nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht von vornherein ausgeschlossen. Denn erstens gestattet Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie über den Wortlaut hinaus eine Unzulässigkeitsentscheidung auch bei einer Schutzgewährung, die ein Mitgliedstaat auf einer anderen Rechtsgrundlage als der Anerkennungsrichtlinie ausspricht (a). Zweitens ist davon auszugehen, dass der Unzulässigkeitstatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und die damit verbundenen Befugnisse des Bundesamts nicht hinter diesen unionsrechtlichen Möglichkeiten zurückbleiben (b).
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a) Eine systematische und teleologische Betrachtung des Art. 33 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie ergibt, dass unionsrechtlich eine nationale Unzulässigkeitsentscheidung wegen erfolgter Schutzgewährung durch einen anderen Mitgliedstaat auch auf Basis anderer Vorschriften als der Anerkennungsrichtlinie möglich ist. Dieser Auslegung stehen weder der Wortlaut der Vorschrift noch die Rechtssicherheit entgegen.
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aa) Die Auslegung europäischen Rechts erfolgt grundsätzlich nach den gleichen Regeln wie die Auslegung des deutschen Rechts, der Methodenkanon ist vergleichbar (vgl. allgemein zur Methodik Mayer in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Werkstand August 2023, Art. 19 EUV Rn. 53 ff. (Stand der Kommentierung Februar 2019)). Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass für das zutreffende Verständnis einer Norm nicht allein dem Wortlaut entscheidende Bedeutung zukommt. Neben ihm sind insbesondere der Gesamtzusammenhang einer Norm, die mit ihr verfolgten Ziele, die Entstehungsgeschichte und die Erwägungsgründe relevant (vgl. EuGH, U.v. 24.6.2015 – C-373/13 – juris Rn. 58; EuGH, U.v. 12.12.2019 – C-381/18 u. C-382/18 – juris Rn. 55). Bei verschiedenen möglichen Auslegungen ist zudem derjenigen der Vorzug zu geben, die die praktische Wirksamkeit der Vorschrift zu wahren geeignet ist (vgl. EuGH, U.v. 12.1.2023 – C-154/21 – juris Rn. 29).
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bb) Während der Wortlaut des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie zunächst dafür spricht, dass sich der Anwendungsbereich der Norm nur auf die Gewährung von Schutz in Anwendung der Anerkennungsrichtlinie erstreckt, ergibt sich ein weiteres Verständnis aus dem Gesamtzusammenhang des Art. 33 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie und den mit ihr verfolgten Zielen.
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(1) Die unionsrechtliche Möglichkeit einer nationalen Unzulässigkeitsentscheidung anstelle einer Sachentscheidung ergibt sich abschließend aus Art. 33 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie; dort nicht vorgesehene Unzulässigkeitsgründe dürfen die Mitgliedstaaten nicht begründen (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2020 – C-564/18 – juris Rn. 29 ff.). Vorliegend von Interesse sind Art. 33 Abs. 2 Buchst. a, b und d Verfahrensrichtlinie. Buchstabe a gestattet jedenfalls Unzulässigkeitsentscheidungen bei Schutzgewährungen durch Mitgliedstaaten, die an das einschlägige Unionsrecht vollumfänglich gebunden sind. Art. 33 Abs. 2 Buchst. b Verfahrensrichtlinie gilt demgegenüber für den Fall, dass ein aufnahmebereiter Drittstaat als sog. erster Asylstaat entweder Flüchtlingsschutz nach der Konvention (Art. 35 Abs. 1 Buchst. a Verfahrensrichtlinie) oder anderweitig ausreichenden Schutz gewährt hat (Art. 35 Abs. 1 Buchst. b Verfahrensrichtlinie) und jeweils zur Aufnahme des Antragstellers weiterhin bereit ist (zu diesen Merkmalen im Einzelnen vgl. Vedsted-Hansen in Thym/Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, 3. Ed. 2022, Art. 35 RL 2013/32/EU Rn. 4; s.a. Schlussantrag des Generalanwalts v. 17.5.2018 – C-585/16 – BeckRS 2018, 8547 Rn. 84). Art. 33 Abs. 2 Buchst. d Verfahrensrichtlinie erfasst schließlich die Fallgruppe des Folgeantrags – d.h. auch die Ablehnung im Fall eines zuvor bereits durch einen anderen Mitgliedstaat abgelehnten Antrags (vgl. NdsOVG, B.v. 28.12.2022 – 11 LA 280/21 – juris Rn. 52) –, wenn keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zutage getreten oder vorgebracht worden sind.
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(2) Diese Vorschriften verfolgen den Zweck, die Verwaltungsressourcen der Mitgliedsstaaten zu schonen (vgl. EG 36 Verfahrensrichtlinie) und Sekundärmigration zu verhindern (kein „forum shopping“: siehe EG 13 Anerkennungsrichtlinie und EG 13 Verfahrensrichtlinie, vgl. dort zudem EG 44 Satz 3; zum Ganzen auch O´Brien in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, § 18 Rn. 13; Progin-Theuerkauf in Heselhaus/Nowak, Handbuch der Europäischen Grundrechte, 2. Aufl. 2020, § 20 Rn. 37; zu den Vorgänger-Richtlinien EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris Rn. 79). Das gleiche Ziel verfolgt auch die Dublin-III-Verordnung (vgl. EuGH, U.v. 1.8.2022 – C-720/20 – juris Rn. 42; EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17 und C-583/17 – juris Rn. 77; s. a. Schlussantrag der Generalanwältin v. 20.4.2023, C-228/21, juris Rn. 2, 91 m.w.N.).
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Die Legitimität dieser Ziele speist sich aus zwei Quellen. Bei einer Schutzgewährung durch einen vollumfänglich an das Unionsmigrationsrecht gebundenen Mitgliedstaat ergibt sie sich aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. nur EuGH, U.v. 22.2.2022 – C-483/20 – juris Rn. 27 ff.). Danach ist von der Beachtung des Unionsrechts und deshalb davon auszugehen, dass ein Antragsteller durch den schutzgewährenden Staat weder in seinen Rechten verletzt wurde noch wird. Entsprechendes gilt für den Fall der negativen Entscheidung über einen Asylantrag. Gegenüber Staaten, die keine Mitgliedstaaten sind, kann es zwar mangels eines gemeinsamen verbindlichen migrationsrechtlichen Rahmens keinen Raum für eine solche abstrakte Vermutung geben. Kann aber – nach konkreter Prüfung – vernünftigerweise (vgl. EG 43 Satz 1 Verfahrensrichtlinie) von einer ausreichenden Schutzgewährung durch den anderen Staat ausgegangen bzw. deshalb von Antragsteller erwartet werden (EG 44 Satz 1 Verfahrensrichtlinie), dass er sich in diesen anderen Staat begibt, so legitimiert dies das Ausbleiben einer (weiteren) Sachentscheidung.
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(3) Mit diesem Normgefüge ist es nicht zu vereinbaren, im Falle einer Schutzgewährung durch Dänemark Unzulässigkeitsentscheidungen a priori auszuschließen. Andernfalls könnten im Verhältnis zu Dänemark weder Sekundärmigration vermieden noch Verwaltungsressourcen geschont werden, obwohl – auch vor dem Hintergrund der Möglichkeit Dänemarks, nach Art. 7 des Protokolls jederzeit und einseitig dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem vollständig „beitreten“ zu können – kein sachlicher Grund dafür besteht, anzunehmen, eine Schutzgewährung durch Dänemark dürfe für einen Ausländer unionsrechtlich von vornherein weniger folgenreich sein als sogar eine Schutzgewährung durch einen Drittstaat. Gerade diese Vergleichsperspektive zu einem Drittstaat zeigt auch, dass das Ergebnis ungehinderter Sekundärmigration aus Dänemark in die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich nicht als lediglich folgerichtige Konsequenz des Umstands erklären lässt, dass sich Dänemark nur teilweise am Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligt.
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(4) Zur Hinnahme andernfalls entstehender Wertungswidersprüche zwingt auch nicht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. September 2022 (C-497/21). Der Gerichtshof hatte entschieden, dass es – erstens – wegen der fehlenden Bindung Dänemarks an die Anerkennungs- und an die Verfahrensrichtlinie mit Art. 33 Abs. 2 Buchst. d Verfahrensrichtlinie unvereinbar ist, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein zuvor in Dänemark gestellter Antrag abgelehnt worden ist, und dass es – zweitens – aus Gründen der Rechtssicherheit auch nicht in Betracht kommt, eine Unzulässigkeitsentscheidung nach konkreter Prüfung des dänischen (Asyl-)Verfahrensniveaus zu ermöglichen (vgl. EuGH, U.v. 22.9.2022 – C-497/21 – juris Rn. 50 ff.; s. a. EuGH, U.v. 20.5.2021 – C-8/20 – juris Rn. 44 ff.).
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Dem Urteil kann jedoch weder ein dem Telos der Rechtssicherheit verpflichteter Vorrang der formalen (Wortlaut-)Betrachtung noch ein sämtliche Fallgestaltungen der Unzulässigkeitstatbestände des Art. 33 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie übergreifendes Verbot einer mitgliedstaatenbezogenen „materiellen Vergleichsprüfung“ entnommen werden (im Ergebnis so aber OVG NW, U.v. 12.9.2022 – 11 A 369/22.A – juris Rn. 45; VG Bremen, B.v. 8.11.2022 – 7 K 1853/19 – juris Rn. 35; VG Ansbach, U.v. 21.11.2022 – AN 14 K 22.50037 – juris 46; VG München in der streitgegenständlichen Entscheidung, Rn. 22). Vielmehr würde eine umstandslose Übertragung des Urteils wesentliche Unterschiede in den Unzulässigkeitstatbeständen des Art. 33 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie übergehen (vgl. a. VG Hamburg, U.v. 25.8.2023 – 7 A 1252/23 – juris Rn. 37 ff.). Es ist ein Unterschied, ob bei einem Mitgliedstaat wie Dänemark im Falle eines abgelehnten Asylantrags eine Unzulässigkeitsentscheidung ausgeschlossen ist (Art. 33 Abs. 2 Buchst. d Verfahrensrichtlinie bzw. Art. 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG) oder ob dies in der vorliegend relevanten Konstellation eines erfolgreichen Antrags so wäre. Im ersteren Fall bleibt Dänemark für den Betroffenen zuständig und ist verpflichtet, diesen nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin-III-Verordnung wiederaufzunehmen (vgl. EuGH, U.v. 22.9.2022 – C-497/21 – Rn. 49). Eine Unzulässigkeitsentscheidung ist (zunächst) nach Art. 33 Abs. 1 Verfahrensrichtlinie bzw. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Dublin-III-Verordnung zulässig. Insoweit ist die normative Möglichkeit von Sekundärmigration erheblich reduziert. Erst und nur, wenn nach den Regelungen der Dublin-III-Verordnung eine Überstellung nicht (mehr) möglich ist – etwa nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Fristen –, ist der vom Betroffenen ausgewählte Mitgliedstaat verpflichtet, ein nationales Asylverfahren durchzuführen, soweit nicht noch andere Unzulässigkeitstatbestände vorliegen.
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Hingegen wäre keine vergleichbare Prävention vor Sekundärmigration im Falle der Schutzgewährung durch Dänemark gegeben, nähme man an, eine Unzulässigkeitsentscheidung sei unionsrechtlich ausgeschlossen. Denn ab dem Moment der Schutzgewährung ist der Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung verlassen; nach Art. 23 Abs. 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung können nur nicht entschiedene oder abgelehnte Anträge die Wiederaufnahmepflicht eines anderen Staates auslösen (vgl. EuGH, B.v. 5.4.2017 – C-36/17 – Rn. 41 f.; Hruschka in Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, § 18 Rn. 48). Im Übrigen ist es auch dem Gerichtshof der Europäischen Union nicht fremd, sich bei der Auslegung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie nicht allein mit Blick auf die Rechtssicherheit vom Wortlaut leiten zu lassen. So verlangt er bekanntlich – wenngleich unter dem Eindruck des hier nicht maßgeblichen höherrangigen Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union i.d.F. d. Bek. vom 12. Dezember 2007 (EU-Grundrechtecharta – GRCh, ABl Nr. C 303 S. 1, in der Fassung des ABl 2016 Nr. C 202 S. 389) –, dass ein (zweiter) Mitgliedstaat unter bestimmten Umständen zu prüfen hat, ob in einem anderen (ersten) Mitgliedstaat, der dem Betroffenen Schutz gewährt hat, u.a. systemische Schwachstellen vorliegen (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 – juris Rn. 81 ff.). Dieser Prüfungsauftrag führt hinsichtlich einiger Mitgliedstaaten zu einer Vielzahl sehr unterschiedlicher behördlicher und gerichtlicher Einschätzungen und zu einer Vielzahl gerichtlicher Verfahren.
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cc) Art. 33 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie ist somit zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des Unionsmigrationsrechts und seiner Ziele im Gebiet der gesamten Europäischen Union dahingehend auszulegen, dass Unzulässigkeitsentscheidungen unionsrechtlich nicht schon ausgeschlossen sind, nur weil ein Mitgliedstaat Schutz gewährt hat, der nicht umfassend an das einschlägige Unionssekundärrecht gebunden ist (zur Voraussetzung eines materiell vergleichbaren Schutzniveaus noch unter 4.). Gestattet ist eine Unzulässigkeitsentscheidung trotz der (auch) eingenommenen Vergleichsperspektive zu Drittstaaten dabei nicht in Anwendung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. b Verfahrensrichtlinie (analog) – und daher auch nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG, der für Mitgliedstaaten ohnehin nicht anwendbar ist (vgl. zur gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung BVerwG, U.v. 21.4.2020 – 1 C 4.19 – juris Rn. 19). Denn Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie – und mit ihm § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (siehe sogleich unter b) – ist für Mitgliedstaaten die sachnähere Norm. Es kommt daher – wie in den „herkömmlichen“ Fällen des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie bzw. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG – nicht auf die rechtliche oder tatsächliche Aufnahmebereitschaft Dänemarks an (vgl. SächsOVG, U.v. 15.6.2020 – 5 A 382/18 – juris Rn. 49 ff.), auch wenn hiervon im vorliegenden Fall auszugehen ist (vgl. zum entsprechenden Schreiben der dänischen Behörden vom 9.10.2022 unter 6.).
31
b) Diese Auslegung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie ist auch § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zugrunde zu legen (a.A. VG Magdeburg, U.v. 19.2.2020 – 8 A 48/20 – juris 24 ff.; VG Ansbach, U.v. 21.11.2022 – AN 14 K 22.50075 – juris Rn. 36; Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.10.2023, § 1 AsylG Rn. 10a; offen Funke-Kaiser in Fritz/Vormeier, GK-AsylG, Werk- und Kommentierungsstand: August 2023, § 29 Rn. 9). Es ist nicht davon auszugehen, dass § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG vorliegend aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung unanwendbar sein soll, obwohl das Unionsrecht eine Unzulässigkeitsentscheidung gestattet. Zwar deutet die Wendung „internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG“ darauf hin, dass die Vorschrift eine Zuerkennung von Schutz in Anwendung der Anerkennungsrichtlinie voraussetzt. Das wäre unionsrechtlich auch zulässig, denn der nationale Gesetzgeber muss die unionsrechtlichen Möglichkeiten einer Unzulässigkeitsentscheidung nicht vollständig ausschöpfen. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG verfolgt aber erkennbar die gleichen Zwecke wie Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie und ist gerade durch seine – im Wege des Verweises auf § 1 AsylG bewirkte – Inkorporation unionsrechtlicher Vorschriften Ausdruck einer umfassenden Aktivierung der unionsrechtlichen Möglichkeiten von Unzulässigkeitsentscheidungen. Sie ist deshalb auch in ihrem Wortlaut in den wesentlichen Aspekten mit ihrer unionsrechtlichen Grundlage identisch. Es fehlt außerdem jedweder Anhaltspunkt in den Gesetzesmaterialien für ein – gegenüber dem unionsrechtlich Möglichen – engeres Verständnis der Vorschrift. Die heutige Gestalt hat § 29 AsylG im Jahr 2016 durch das Integrationsgesetz erlangt; es sollten „die möglichen Gründe einer Unzulässigkeit eines Asylantrags (…) in Absatz 1 (…) zusammengefasst“ werden (BT-Drs. 18/8615, S. 51). Der Gesetzgeber hatte offenbar den eher atypischen Fall einer Schutzgewährung durch einen Mitgliedstaat, der an das einschlägige Unionsrecht nicht gebunden ist, lediglich nicht vor Augen. Diese Auslegung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gerät auch nicht in unüberwindbaren Konflikt mit seinem Wortlaut. Es ist zum einen semantisch nicht zwingend, der Wendung „internationaler Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG“ ein formales Verständnis dahingehend beizumessen, dass der Unzulässigkeitstatbestand nur eine Zuerkennung von Schutz in Anwendung der dort genannten Anerkennungsrichtlinie voraussetzt, da „im Sinne des“ auch nur Vergleichbarkeit – anstelle von Identität – insinuieren kann. Außerdem würde andernfalls § 1 AsylG eine Ausschlusswirkung unterlegt, die ihm auch sonst im Asylgesetz nicht beigemessen wird. Für die Bestimmung des persönlichen und sachlichen Anwendungsbereichs des Asylgesetzes ist anerkannt, dass sie sich im Zweifel nach dem Inhalt der jeweiligen Einzelvorschriften, nicht aber nach § 1 AsylG richten. Entsprechend wird § 1 AsylG im Wesentlichen als deklaratorisch angesehen (vgl. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 1 AsylG Rn. 3). Deshalb folgt die Unanwendbarkeit des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG im Falle der Gewährung anderer Formen des Schutzes durch Mitgliedstaaten auch nicht aus einem Umkehrschluss zu § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b AsylG, bei dem der Gesetzgeber eine Unzulässigkeitsentscheidung ausdrücklich auch außerhalb des Rechtsrahmens des Unionsrechts ermöglicht (so aber VG Magdeburg, U.v. 19.2.2020 – 8 A 48/20 – juris Rn. 26). Maßgebend ist daher für die Auslegung des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die oben begründete Auslegung des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie (vgl. Nr. 3a).
32
4. Die bestehende Möglichkeit einer Unzulässigkeitsentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. a Verfahrensrichtlinie und nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG im Falle der Schutzgewährung durch Dänemark setzt allerdings voraus, dass dem Begünstigten durch das dänische Recht materiell ein ausreichender Schutz gewährleistet wird. Notwendig ist im Falle des subsidiären Schutzes für die Beurteilung eine konkrete Betrachtung des dänischen Rechts. Denn für den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens bleibt wegen der fehlenden Bindung Dänemarks an die einschlägigen unionsrechtlichen Vorgaben kein Raum, auch wenn die fortbestehende Teilnahme Dänemarks am Zuständigkeitssystem der Dublin-III-Verordnung auf der Annahme der Mitgliedstaaten beruhen dürfte, dass das dänische Asylsystem in verfahrensrechtlicher und in materieller Hinsicht den unionsrechtlichen Vorgaben entspricht. Anders als im Falle eines durch Dänemark gewährten Flüchtlingsschutzes, bei dem – infolge der völkerrechtlichen Bindung Dänemarks an die Genfer Flüchtlingskonvention – auf deren Beachtung durch „Umsetzung“ im nationalen Recht vertraut werden dürfte (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris Rn. 80; EGMR, E.v. 2.12.2008 – 32733/08 – NVwZ 2009, 965/967; s. a. OVG NW, B.v. 3.2.2022 – 11 A 219/22.A – Rn. 15; VG Hamburg, U.v. 25.8.2023 – 7 A 1252/23 – juris Rn. 34 f.), soweit der sekundärrechtlich verpflichtende inhaltliche Mindestschutz für Flüchtlinge nicht über den hinausgeht, den auch die Genfer Flüchtlingskonvention verlangt, bedarf es für den unionsrechtlich vorgesehenen, aber völkerrechtlichen Regelungen unbekannten subsidiären Schutz und der mit ihm verbundenen Wirkungen einer konkreten Beurteilung der dänischen Rechtslage. Konsequenterweise kommt es dabei nicht auf einen Vergleich der Voraussetzungen einer Schutzgewährung (anders wohl OVG NW, B.v. 3.2.2022 – 11 A 219/22.A – Rn. 15), sondern auf die Vergleichbarkeit der Rechtsfolgen an. Entscheidend für den Vergleich ist im Wesentlichen, ob die in Kapitel VI und VII der Anerkennungsrichtlinie als Mindeststandard (vgl. EG 12 Anerkennungsrichtlinie) vorgezeichneten Inhalte eine Entsprechung im dänischen Recht finden.
33
5. Bei einer Gewährung subsidiären Schutzes nach dänischem Recht ist die Vergleichbarkeit mit dem unionsmigrationsrechtlichen Schutzniveau zu bejahen. Das dänische Recht gewährt mit seinen Schutzkategorien auch außerhalb des Flüchtlingsschutzes nach der Genfer Flüchtlingskonvention einen mit dem unionsrechtlichen subsidiären Schutz, namentlich mit dem Kapitel VI (Art. 18 f.) und Kapitel VII (Art. 20 ff.) der Anerkennungsrichtlinie in einem ausreichenden Maße vergleichbaren Schutz. Der Senat hat im Rahmen des § 293 ZPO, der nach § 173 Satz 1 VwGO auch im Verwaltungsprozess Anwendung findet (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 10 C 4.12 – juris Rn. 18), eigene Nachforschungen zur dänischen Rechtslage angestellt und mit Schreiben vom 24. Juli 2023 unter Hinweis auf verfügbare Quellen den Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern (vgl. zum gerichtlichen Verfahren Huber in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl. 2023, § 293 Rn. 2; Meissner/Steinbeiß-Winkelmann in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand März 2023, § 173 VwGO Rn. 219 (Stand der Kommentierung Oktober 2014)).
34
a) Das dänische Asylrecht ist im Wesentlichen im Udlændingeloven (Ausländergesetz, im Folgenden: dänAuslG) geregelt; zuständig für Prüfung und Zuerkennung ist die sog. Udlændingestyrelsen (Ausländer- bzw. Einwanderungsbehörde, vgl. https://t1p.de/n7nyi). Die aktuelle konsolidierte amtliche Fassung in dänischer Sprache ist abrufbar unter https://t1p.de/77wj0; eine konsolidierte Fassung auf dem Stand vom März 2019 in englischer Sprache – „Aliens (Consolidation) Act“ – ist im gemeinsamen amtlichen Internetauftritt des Danish Immigration Service und der Danish Agency for International Recruitment and Integration (SIRI) unter https://t1p.de/fmxbo abrufbar.
35
b) Hinsichtlich der Schutzgewährung wird in Dänemark zwischen der Aufenthaltserlaubnis nach § 7 Abs. 1, nach § 7 Abs. 2 und nach § 7 Abs. 3 dänAuslG unterschieden; daneben gibt es noch eine Aufenthaltserlaubnis für Kontingentflüchtlinge nach § 8 dänAuslG (zur Rechtslage s. a. die Darstellung des EGMR (GK), U.v. 9.7.2021 – 6697/18 (M. A./Dänemark) – juris Rn. 24 ff., insoweit nicht abgedruckt in NVwZ-RR 2022, 877 ff.; VG Hamburg, U.v. 25.8.2023 – 7 A 1252/23 – juris Rn. 33). § 7 Abs. 1 dänAuslG rekurriert auf den Flüchtlingsschutz der Genfer Flüchtlingskonvention („convention status“). § 7 Abs. 2 dänAuslG regelt den„protected status“, der voraussetzt, dass der Ausländer bei Rückkehr in sein Heimatland Gefahr läuft, der Todesstrafe, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung zu unterliegen; insoweit kommt es darauf an, dass diese drohende Behandlung auf individuellen Gründen beruht. Ist eine entsprechende Behandlung lediglich Folge einer allgemeinen Situation im Herkunftsland wird Schutz nach § 7 Abs. 3 dänAuslG gewährt („temporary protected status“ – zu den Benennungen vgl. die Darstellung im gemeinsamen amtlichen Internetauftritt des Danish Immigration Service und der Danish Agency for International Recruitment and Integration (SIRI), abrufbar unter https://t1p.de/ohaor; s. a. die Übersicht der Flüchtlingshilfsorganisation REFUGEES.DK vom 22.8.2022, abrufbar unter https://t1p.de/ugybi). Der „temporary protected status“ – auch als „subsidiary protection“ bezeichnet – entspricht im Wesentlichen Art. 15 Buchst. c Anerkennungsrichtlinie (vgl. insoweit auch VG Bremen, B.v. 9.8.2021 – 5 V 1297/21 – juris Rn. 31; s. a. die Stellungnahme des UNHCR zur Einführung des „temporary subsidiary protection status in § 7.3“ vom November 2014, abrufbar unter https://t1p.de/mp0ar). Schutz bzw. ein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach § 7 dänAuslG kann abgelehnt werden, wenn nach der Dublin-III-Verordnung ein anderer Staat zuständig ist (§ 29a dänAuslG) oder ein solcher bereits Schutz gewährt hat (§ 29b dänAuslG).
36
Die neben einer Schutzgewährung notwendige Aufenthaltserlaubnis wird befristet. Ihre Gültigkeitsdauer hängt von der Art des Schutzstatus ab (vgl. für diesbezügliche sekundärrechtliche Vorgaben Art. 24 Anerkennungsrichtlinie). Bei Zuerkennung des Konventionsstatus ist die Aufenthaltserlaubnis auf zwei Jahre befristet und kann um jeweils bis zu zwei Jahre verlängert werden. Bei Zuerkennung des Schutzstatus nach § 7 Abs. 2 dänAuslG wird grundsätzlich eine einjährige Aufenthaltserlaubnis erteilt, die anschließend jeweils um bis zu zwei Jahre verlängert werden kann. Im Falle von § 7 Abs. 3 dänAuslG wird ebenfalls eine grundsätzlich einjährige Aufenthaltserlaubnis erteilt, die zunächst nur um jeweils ein Jahr verlängert werden kann; nach drei Jahren kann eine Verlängerung um bis zu zwei Jahren erfolgen (vgl. https://t1p.de/ohaor; s. a. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Dänemark v. 29.6.2021, S. 7). Ausländer mit Schutzstatus werden also weder zurückgewiesen noch in ihr Herkunftsland oder einen anderen Staat abgeschoben (vgl. für diesbezügliche sekundärrechtliche Vorgaben Art. 21 Anerkennungsrichtlinie).
37
c) Mit den Schutzformen nach § 7 Abs. 2 und 3 dänAuslG sind spezielle Regelungen beim Zugang zu Familienzusammenführung verbunden (vgl. für diesbezügliche sekundärrechtliche Vorgaben Art. 23 Anerkennungsrichtlinie). Diese kann in der Regel erst nach zwei Jahren Aufenthalt beantragt werden, ist aber grundsätzlich möglich (vgl. die Darstellung im gemeinsamen amtlichen Internetauftritt des Danish Immigration Service und der Danish Agency for International Recruitment and Integration (SIRI), abrufbar unter https://t1p.de/s6z4q; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Dänemark v. 29.6.2021, S. 7; s. a. U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices: Denmark, 2022, pdf-S. 8, abrufbar unter https://t1p.de/dv3au; kritisch insoweit die Bewertung des Migrant Integration Policy Index (MIPEX) 2019, abrufbar unter https://t1p.de/s4npr, Stichwort: „family reunification“).
38
d) Die Beachtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung und der Aufenthalt in Dänemark ist jedenfalls derzeit auch nicht durch die Einfügung des neuen § 29 dänAuslG in Frage gestellt. Mit dieser Vorschrift wurde grundsätzlich die Möglichkeit der Überstellung von Asylbewerbern zur Bearbeitung ihres Asylverfahrens und zur Unterbringung in einem Drittstaat geschaffen (Gesetz zur Änderung des Ausländergesetzes und des Rückführungsgesetzes, Gesetz Nr. 1191 vom 8.6.2021, abrufbar unter https://t1p.de/hwpss). § 29 dänAuslG n.F. ist zum einen noch nicht in Kraft getreten. Nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 1191 vom 8. Juni 2021 legt der Minister für Einwanderung und Integration das Datum für das Inkrafttreten des Gesetzes fest (vgl. zu dieser Möglichkeit die Darstellungen im einschlägigen Handbuch des Justizministeriums aus dem November 2023, S. 75, abrufbar unter https://t1p.de/xh0nv). Davon hat er, soweit ersichtlich, noch keinen Gebrauch gemacht (entsprechend ist § 29 in der amtlichen Darstellung unter https://t1p.de/77wj0 nicht in der neuen Fassung enthalten; ebenso nicht in der privat betriebenen Datenbank unter https://t1p.de/kwjgh). Zum anderen ist die Möglichkeit der extraterritorialen Unterbringung nicht ohne entsprechendes Abkommen mit einem Drittstaat gegeben. Ein solches Abkommen ist zwar mit Ruanda beabsichtigt gewesen. Aber mehr als ein Memorandum of Understanding vom 27. April 2021 und ein gemeinsames Joint Statement vom 9. September 2022 gibt es nicht (vgl. die Pressemitteilung vom 9.9.2022, abrufbar unter https://t1p.de/5u7pg; s. a. Sachstandsmitteilung des Wissenschaftlichen Diensts des Deutschen Bundestags v. 28.10.2022 – WD 3 – 3000 – 133/22 – abrufbar unter https://t1p.de/jumur). Inzwischen hat Dänemark offenbar die Bemühungen, ein solches Abkommen abzuschließen, eingestellt (vgl. Bericht der Tagesschau vom 25.1.2023, abrufbar unter https://t1p.de/en4t6). Insoweit kann der Senat offen lassen, ob eine extraterritoriale Unterbringung von Ausländern mit Schutzstatus mit Unionsrecht vereinbar wäre (vgl. hierzu Tan/Vedsted-Hansen, Denmark’s Legislation on Extraterritorial Asylum in Light of International and EU Law, 15.11.2021, abrufbar unter https://t1p.de/u75te) und welche Auswirkungen auf die Möglichkeit von Unzulässigkeitsentscheidungen dies haben könnte.
39
e) Wurde nach der skizzierten Rechtslage einem Ausländer durch Dänemark Schutz gewährt, so werden Integrationsmaßnahmen sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene durchgeführt (vgl. die Mitteilung der EU-Kommission, The European Website on Integration (EWSI), abrufbar unter https://t1p.de/yqc1s; siehe auch die nähere Beschreibung der insbesondere kommunalen Ebene durch die Flüchtlingshilfsorganisation REFUGEES.DK vom 4.1.2024, abrufbar unter https://t1p.de/55iof; siehe knapp zur kommunalen Zuständigkeit auch die Bewertung von REFUGEES.DK v. 23.6.2023, abrufbar unter https://t1p.de/d7qoo). Die für den Aufenthalt bestehenden Regelungen Dänemarks sind in ausreichender Weise mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Anerkennungsrichtlinie vereinbar.
40
aa) Maßgebliche Prägung erhält der Status von Ausländern in Dänemark durch das Integrationsgesetz, das erstmals zum 1. Januar 1999 in Kraft trat und seither vielfach geändert wurde (die aktuelle konsolidierte amtliche Fassung in dänischer Sprache ist abrufbar unter https://t1p.de/94qby; siehe auch die Mitteilung der EU-Kommission zu Änderungen des Gesetzes im Jahr 2017, The European Website on Integration (EWSI), abrufbar unter https://t1p.de/vfty0. Eines der Kernelemente des Gesetzes ist das Integrationsprogramm für erwachsene Flüchtlinge (vgl. die Mitteilung der EU-Kommission, The European Website on Integration (EWSI), abrufbar unter https://t1p.de/yqc1s; zum „Danish integration programme“ bis zum Jahr 2019 vgl. Schultz/Klausen, Integrationspolitik in Dänemark, 2019 (Konrad-Adenauer-Stiftung), abrufbar unter https://t1p.de/ikozv; Bredgaard/Ravn, Denmark: from integration to repatriation, in Galgóczi (ed.), Betwixt and between: integrating refugees into the EU labour market, Brussels, 2021, 67/76, abrufbar unter https://t1p.de/plbkz).
41
bb) Die besonders integrationsfreundliche Ausrichtung des Gesetzes von 1999 besteht heute nicht mehr. Beginnend mit dem Jahr 2015 wurden die asyl- bzw. ausländerrechtlichen Regelungen verschärft (vgl. Mitteilung der EU-Kommission, The European Website on Integration (EWSI), abrufbar unter https://t1p.de/n1lss). Anfang 2019 hat die dänische Regierung einen Paradigmenwechsel („paradigm shift“) im Asylrecht und in der Integrationspolitik beschlossen. Durch Gesetz Nr. 174 vom 27. Februar 2019 wurde u.a. das Gesetz zur Änderung des Ausländergesetzes, des Integrationsgesetzes, des Rückführungsgesetzes und verschiedener anderer Gesetze beschlossen (in dänischer Sprache abrufbar unter https://t1p.de/jdc40). Hierdurch wurde das Ziel von der Integration in die dänische Gesellschaft hin zur Rückführung in die Herkunftsländer verschoben. Entsprechend wurde das bisherige Integrationsprogramm in „Selbsthilfe und Rückführungsprogramm“ umbenannt. Ein Aufenthalt soll möglichst vorübergehend und nicht dauerhaft sein. Aufenthaltstitel werden kürzer befristet und nicht mehr mit der Möglichkeit eines Daueraufenthalts erteilt, bisherige Integrationsindikatoren (wie Sprachkompetenz oder ehrenamtliches Engagement) haben weniger Bedeutung, finanzielle Anreize zur Förderung der Rückreisebereitschaft wurden eingeführt (näher zur Reform eine amtliche Zusammenfassung vom 1.3.2019, abrufbar unter https://t1p.de/fn5fh; s. a. Bredgaard, From integration to repatriation, 14.4.2020, abrufbar unter https://t1p.de/yucdw; Bredgaard/Ravn, Denmark: from integration to repatriation, in Galgóczi (ed.), Betwixt and between: integrating refugees into the EU labour market, Brussels, 2021, 67 (78 ff.), abrufbar unter https://t1p.de/plbkz; Mitteilung der EU-Kommission, The European Website on Integration (EWSI), abrufbar unter https://t1p.de/yqc1s; knapp auch U.S. Department of State, Country Reports on Human Rights Practices: Denmark, 2022, pdf-S. 9, abrufbar unter https://t1p.de/dv3au). Flankiert wird der Paradigmenwechsel durch einen neuen Integrationsaktionsplan („Regeringens Integrationshandlingsplan“) aus dem Dezember 2020 (abrufbar unter https://t1p.de/e0hkc; hierzu die Mitteilung der EU-Kommission, The European Website on Integration (EWSI) vom 21.12.2020, abrufbar unter https://t1p.de/ahw7p).
42
cc) Trotz der skizzierten Veränderungen ist die Integration insbesondere in den Arbeits-, Wohnungs- und Bildungsmarkt weiterhin möglich. Die maßgeblichen Integrationsvorschriften und die dazugehörigen Programme sind weiterhin in Kraft (vgl. die Mitteilung der EU-Kommission, The European Website on Integration (EWSI), abrufbar unter https://t1p.de/yqc1s). Auch wenn sich im Vergleich zu den Jahren vor 2015 und insbesondere vor 2019 die (Aufenthalts-)Perspektiven der Betroffenen verschlechtert haben und damit auch psychologische Ungewissheiten verbunden sind (hierauf bezogene Kritik beim UNHCR, recommendations to Denmark on strengthening refugee protection in Denmark, Europe and globally, November 2022, abrufbar unter https://t1p.de/433un), ist nicht erkennbar, dass Menschen, denen durch eine Aufenthaltserlaubnis Schutz gewährt wurde, aus den Programmen rechtlich oder auch nur faktisch ausgeschlossen werden. Insgesamt werden weiterhin Sozialleistungen (vgl. für diesbezügliche sekundärrechtliche Vorgaben Art. 29 Anerkennungsrichtlinie) und Zuschüsse gewährt sowie Wohnraum zur Verfügung gestellt (vgl. für diesbezügliche sekundärrechtliche Vorgaben Art. 32 Anerkennungsrichtlinie), Sprachunterricht und Beschäftigungsinitiativen angeboten (vgl. für diesbezügliche sekundärrechtliche Vorgaben Art. 26 Anerkennungsrichtlinie; vgl. auch die Erkenntnisse des EGMR (GK), U.v. 9.7.2021 – 6697/18 (M. A./Dänemark) – juris Rn. 34, insoweit nicht abgedruckt in NVwZ-RR 2022, 877 ff.). Auch der Zugang zu Bildung wird gewährleistet, es besteht ein Anspruch auf Schulbildung (vgl. die Darstellung durch die Flüchtlingshilfsorganisation REFUGEES.DK vom 29.3.2022, abrufbar unter https://t1p.de/qhpwq). Insgesamt ist daher die ausreichende Vergleichbarkeit des nach dänischem Recht gewährten subsidiären Schutzes mit dem entsprechenden unionsmigrationsrechtlichen Schutzniveau zu bejahen.
43
6. Die Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen auch im konkreten Fall vor. Die Klägerin hat ausweislich einer Mitteilung Dänemarks vom 9. Oktober 2022 Schutz nach Art. 7 Abs. 3 dänAuslG erhalten. Infolge ihrer Ausreise ist zwar der Aufenthaltstitel, aber nicht der Schutzstatus erloschen und es besteht ungeachtet dessen die Möglichkeit, bei einer Rückkehr zu beantragen, dass der Aufenthaltstitel nicht als erloschen betrachtet wird (wörtlich heißt es in der Mitteilung vom 9.10.2022: … the Danish Immigration Service hereby informs the asylum application for the abovementioned person was granted a residence permit in Denmark with reference to subsidiary protection status in accordance with Aliens Act Section 7(3) extended until 16th July 2019. On 28th October 2019, her case for a renewal of the residence permit was closed without reaching a decision due to she had left Denmark. Consequently, her residence permit has expired. Nevertheless, the said person still has her status in Denmark and upon arrival, she will be able to apply for her residence permit not to be considered as lapsed“). Schließlich wäre aber auch ein Verlust des Schutzstatus infolge der freiwilligen Ausreise rechtlich nicht relevant. Insoweit besteht kein Unterschied zu den Fällen des Verlusts eines Schutzes, der durch einen Mitgliedstaat gewährt wurde, der an das Unionsmigrationsrecht gebunden ist (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 ZB 23.30078 – juris Rn. 16 f.; s. a. OVG SH, U.v. 22.6.2023 – 4 LB 6/22 – Rn. 62 speziell zum Verzicht).
44
Der Anwendung von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG steht auch nicht Art. 4 GRCh entgegen, der nach Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh anwendbar ist, weil auch gegenüber Dänemark insoweit Recht der Union durchgeführt wird. Weder hat die Klägerin vorgetragen noch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Dänemark dort der ernsthaften Gefahr ausgesetzt sein wird, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren (vgl. auch VG Hamburg, U.v. 25.8.2023 – 7 A 1252/23 – juris Rn. 44; VG Magdeburg, B.v. 17.1.2022 – 3 B 382/21 MD – juris S. 7 f.; VG Leipzig, B.v. 4.1.2022 – 6 L 783/21.A – juris Rn. 9).
45
II. Gegen die übrigen Regelungsgehalte des angegriffenen Bescheids bestehen keine Bedenken. Das Bestehen von nationalen Abschiebungshindernissen ist nicht ersichtlich. Auch die Nummern 3 und 4 des Bescheids sind rechtmäßig. Die Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG ist nicht zu beanstanden. Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob die Androhung der Abschiebung nach § 35 AsylG eine Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 3 Nr. 4 der RL 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl Nr. L 348 S. 98 – Rückführungsrichtlinie) ist (vgl. hierzu OVG LSA, B.v. 11.9.2023 – 2 L 38/20 – juris Rn. 59 ff. m.w.N.) und deshalb gemäß der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. Februar 2023 (C-484/22) nach Art. 5 Buchst. b Rückführungsrichtlinie familiäre Bindungen, die inlandsbezogene Abschiebungshindernisse darstellen können, zu berücksichtigen sind (vgl. auch BayVGH, B.v. 1.8.2023 – 6 ZB 22.31073 – juris Rn. 32). Denn jedenfalls vorliegend hindern solche Belange die Rechtmäßigkeit der Androhung nicht. Die Abschiebungsandrohung ist nicht nur gegenüber der volljährigen Klägerin, sondern auch gegenüber ihren Familienangehörigen ergangen und keiner von ihnen verfügt über ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet oder die Aussicht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels. Die bestehenden familiären Bindungen begründen daher kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1, § 75 Nr. 12 AufenthG bestehen ebenfalls keine Bedenken.
C.
46
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, ihre vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
D.
47
Die Revision ist zuzulassen. Die vorliegend entscheidungserhebliche und über den Einzelfall hinausgreifende Frage, ob § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dahingehend auszulegen ist, dass er eine Unzulässigkeitsentscheidung zulässt, wenn der Ausländer zuvor eine Gewährung subsidiären Schutzes nach dänischem Recht erhalten hat, ist von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
E.
48
Im Folgenden werden die Zieladressen (zuletzt aufgerufen am 8.1.2024), auf die die verwendeten Kurz-Links weiterleiten, aus Gründen der Transparenz offengelegt und der jeweiligen Randnummer zugeordnet. Der Senat hat die Fundstellen, die in dänischer Sprache verfasst sind, jeweils mit Hilfe mehrerer frei verfügbarer Internettools übersetzen lassen und so ein zutreffendes Verständnis der veröffentlichten Texte abgesichert.

Rn.

Kurz-Link

Zieladresse

16

https://t1p.de/vi0m4

https://www.echr.coe.int/documents/d/echr/handbook_asylum_deu (auf Deutsch)

17

https://t1p.de/oycwi

https://euaa.europa.eu/sites/default/files/EASO-Practical-guide-Dublin-III-DE.pdf (auf Deutsch)

34

https://t1p.de/n7nyi

https://www.us.dk/vores-opgaver/indrejse-og-ophold/ (auf Dänisch)

34

https://t1p.de/77wj0

https://www.retsinformation.dk/eli/lta/2023/1079 (auf Dänisch)

34

https://t1p.de/fmxbo

https://www.nyidanmark.dk/en-GB/Legislation/Legislation (auf Englisch)

35

https://t1p.de/ohaor

https://nyidanmark.dk/en-GB/You-want-to-apply/Asyl/Voksen-asylans%C3%B8ger (auf Englisch)

35

https://t1p.de/ugybi

https://refugees.dk/fakta/lovgivning-og-definitioner/asyl-og-andre-former-for beskyttelse/ (auf Dänisch)

35

https://t1p.de/mp0ar

https://www.refworld.org/docid/5813224b7.html (auf Englisch)

36

https://t1p.de/ohaor

https://nyidanmark.dk/en-GB/You-want-to-apply/Asyl/Voksen-asylans%C3%B8ger (auf Englisch)

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