Inhalt

OLG München, Beschluss v. 12.03.2024 – 9 U 3791/23 Bau e
Titel:

VOB/B-Vertrag: Abwehr von Abschlagsforderungen wegen Mehrvergütung im einstweiligen Verfügungsverfahren

Normenketten:
BGB § 650b, § 650c Abs. 3, § 650d
ZPO § 256 Abs. 1, § 522 Abs. 2 S. Nr. 2, Nr. 3, § 935, § 940
VOB/B § 16 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zulässigkeit einer negativen Feststellungsverfügung gegen eine Abschlagsrechnung, die auf einen gemäß § 650c Abs. 3 S. 1 BGB ermittelten Mehrvergütungsanspruch gestützt wird. (Rn. 42 – 56)
2. § 650c Abs. 3 BGB ist ebenso wie § 650d BGB im VOB -Vertrag anwendbar. Will der Unternehmer nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB vorgehen, müssen aber auch im VOB-Vertrag die Voraussetzungen des § 650b BGB gegeben sein. (Rn. 62 – 87)
3. Wenn durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO über die Berufung entschieden wird, kommt es in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf die Voraussetzungen gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO nicht an. (Rn. 93 – 98)
Schlagworte:
Mehrvergütung, Abschlagsforderung, VOB/B-Vertrag, einstweilige Verfügung, Feststellungsverfügung, Feststellungsinteresse, Leistungsänderung, Bauvertrag
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 31.08.2023 – 24 O 9551/23
Fundstellen:
MDR 2024, 772
BauR 2024, 1394
ZfIR 2025, 63
LSK 2024, 6489
ZfBR 2024, 408
NZBau 2024, 753
NJW 2024, 2117
BeckRS 2024, 6489

Tenor

1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 31.08.2023, Aktenzeichen 24 O 9551/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 380.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Tatsächliche Feststellungen
1
Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über Mehrvergütungsansprüche der Antragsgegnerin, die diese unter Anwendung von § 650c Abs. 3 S. 1 BGB geltend machte. Die Antragstellerin hat den Rechtsstreit inzwischen in der Hauptsache für erledigt erklärt, die Antragsgegnerin hat dem nicht zugestimmt.
2
Die Antragstellerin ist Auftraggeberin, die Antragsgegnerin ist Auftragnehmerin des Bauvertrags vom 08.04./29.07.2019, der die Erstellung des sogenannten „…tunnels“, eines großen Tunnelbauwerks im Rahmen der Maßnahme zur Verlegung der Bundesstraße B 23 westlich von G. zur Ortsumgehung, zum Gegenstand hat. Bei dem Bauvertrag handelt es sich um einen Einheitspreisvertrag mit einem von der Antragstellerin erstellten Leistungsverzeichnis. Das Leistungsverzeichnis enthält mehrere hundert Positionen mit technischen Teilleistungen und Mengenvordersätzen. Außerdem enthält das Leistungsverzeichnis Positionen für die Abrechnung sogenannter zeitgebundener Kosten. Die VOB/B ist Vertragsbestandteil. Auf die Anlagen ASt1 – ASt5 wird Bezug genommen.
3
Baubeginn war im Dezember 2019. Die Vortriebsarbeiten sind abgeschlossen. Die Innenschalenarbeiten sind ebenfalls nahezu abgeschlossen. Im Wesentlichen stehen zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Verfahrens noch Erd-, Straßen- und Restarbeiten aus.
4
Bis zur 43. Abschlagsrechnung rechnete die Antragsgegnerin mit 100% der von ihr ermittelten Preise ab. Die Antragsgegnerin rechnet hierbei im Wege einer kumulierten Aufstellung ab, nämlich in der Weise, dass sie mit jeder monatlichen Abschlagsrechnung die vom Baubeginn an bis zum jeweiligen Abrechnungsstichtag (Ende des jeweiligen Monats) erbrachten Leistungen – sowohl laut Vertrag vom Sommer 2019 geschuldete Leistungen als auch von der Antragsgegnerin begehrte Nachträge – mit den Preisen in Ansatz bringt und davon sämtliche von der Antragstellerin geleisteten Abschlagszahlungen abzieht. Die Antragstellerin prüft die Abschlagsrechnungen der Antragsgegnerin und teilt ihr die Ergebnisse ihrer Prüfungen jeweils – ebenfalls monatlich – mit und zahlt die aus ihrer Sicht zum jeweiligen Abrechnungsstichtag berechtigten Beträge aus.
5
Auf diese Weise hat sich die Summe der offenen Abschlagsforderung der Antragsgegnerin über Jahre und Monate hinweg erhöht.
6
Mit der streitgegenständlichen 44. Abschlagsrechnung vom 10.07.2023, Nr. 20202-2023, mit der unter Zugrundelegung eines Betrags von € 282.810.895,05 und bislang eingegangener Zahlungen in Höhe von € 230.674.000,00 eine Abschlagssumme von € 52.136.895,05 brutto geltend gemacht wurde, stellte die Antragsgegnerin um auf eine Abrechnung gemäß § 650c Abs. 3 BGB (80% – Regelung). Auf die im Wege der kumulierten Aufstellung erstellte 44. Abschlagsrechnung vom 10.07.2023 (Anlage ASt8) und das Begleitschreiben vom 10.07.2023 zur Erläuterung der 44. Abschlagsrechnung (Anlage ASt7) wird Bezug genommen.
7
Mit Schreiben vom 19.07.2023 (Anlage ASt11) wies die Antragstellerin die mit der 44. Abschlagsrechnung geltend gemachten Forderungen – soweit diese nicht bezahlt wurden – unter Hinweis auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 650c Abs. 3 BGB zurück.
8
Gemäß Rechnungsprüfung der Antragstellerin vom 31.07.2023 wurde ein Betrag von € 6.293.000,00 im Hinblick auf die 44. Abschlagsrechnung zur Zahlung freigegeben, auf Anlage ASt13 wird Bezug genommen.
9
Mit Schreiben vom 01.08.2023 (Anlage ASt12) drohte die Antragsgegnerin mit der Baueinstellung für den Fall, dass die Abschlagsrechnung Nr. 44 nicht beglichen wird.
10
Am 02.08.2023 machte die Antragsgegnerin mit der 45. Abschlagsrechnung im Wege der kumulierten Aufstellung einen Abschlagszahlungsbetrag von € 54.397.995,79 brutto gem. § 650c Abs. 3 BGB geltend. Auf die Abschlagsrechnung sowie das Begleitschreiben hierzu, vorgelegt als Anlage ASt 25 und ASt 26, wird Bezug genommen.
11
Ebenfalls am 02.08.2023 hat die Antragstellerin den Erlass der hier streitgegenständlichen einstweiligen Verfügung beim Landgericht beantragt und hierbei folgende Anträge gestellt:
12
Es wird festgestellt, dass die Antragsgegnerin im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Vertrages vom 08.04./29.07.2019 zum Bauvorhaben …tunnel vorläufig nicht berechtigt ist, von der Antragstellerin die Bezahlung folgender mit der Abschlagsrechnung Nr. 44 vom 10.07.2023 geltend gemachter Mehrvergütungsansprüche auf Grundlage des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB zu verlangen:
- Mehrvergütungsansprüche in Höhe von 80% (EUR 14.384.154,06) der angebotenen Nachtragsvergütung für
o Nachtrag NA 10, Pos 41.10.240, Pos 41.10.420, Pos 41.10.610 und Pos 41.10.620,
o Nachtrag NA 13, 41.13.240,
o Nachtrag NA 25 (alle Positionen)
o Nachtrag NA 30 Pos. 41.30.120, Pos. 41.30.210, Pos. 41.30.222, Pos. 41.30.230, Pos. 41.30.240, Pos. 41.30.250, Pos. 41.30.310, Pos. 41.30.322, Pos. 41.30.330, Pos. 41.30.410, Pos. 41.30.420, Pos. 41.30.430, Pos. 41.30.440; Pos. 41.30.520,
o Nachtrag NA 41 (alle Positionen) und
o Nachtrag NA 50 (alle Positionen), sowie
- Mehrvergütungsansprüche für zeitgebundene Kosten im Zusammenhang mit den Nachträgen NA 11, NA 13, NA 30, NA 31, NA 33 in Höhe von 80% (EUR 20.252.133,78) der hierfür über die Vertragspositionen OZ 20.02.0100 ff. angebotenen Vergütung.
13
Am 10.08.2023 stellte die Antragsgegnerin die Arbeiten auf der Baustelle ein und teilte dies der Antragstellerin mit Schreiben vom 10.08.2023 mit (Anlage ASt23).
14
Ebenfalls mit Schreiben vom 10.08.2023 (Anlage ASt24) forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin auf, die Bauarbeiten unverzüglich wieder aufzunehmen.
15
Mit Schreiben vom 14.08.2023 drohte die Antragsgegnerin die Kündigung an für den Fall, dass der aus ihrer Sicht offene Betrag aus der 44. Abschlagsrechnung nicht bis zum 25.08.2023 bezahlt wird. Mit Schreiben vom 28.08.2023 kündigte die Antragsgegnerin den Vertrag (Anlage ASt31/AG40). Wirksamkeit und Berechtigung zur Kündigung sind zwischen den Parteien streitig.
16
In der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vom 29.08.2023 hat die Antragsgegnerin erklärt, dass sie ihre Kündigung für berechtigt halte und daher Schlussrechnung legen werde. Aus den gestellten Abschlagsrechnungen werde – vorbehaltlich der Geltendmachung von Zinsen – nicht mehr vorgegangen. Daraufhin hat die Antragstellerin den Rechtsstreit unter Verwahrung gegen die Kostenlast für erledigt erklärt. Die Antragsgegnerin hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen. Die Antragstellerin hat daraufhin beantragt festzustellen, dass bis zum erledigenden Ereignis, das aus ihrer Sicht in der Erklärung der Antragsgegnerin vom 29.08.2023 bestehe, aus den Abschlagsrechnungen nicht mehr vorzugehen, die einstweilige Verfügung zulässig und begründet gewesen sei. Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten.
17
Das Erstgericht hat dem zuletzt gestellten Antrag der Antragstellerin stattgegeben und festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist und die Kosten des Rechtsstreits der Antragsgegnerin auferlegt.
18
Zur Begründung hat das Erstgericht ausgeführt, dass der ursprüngliche Antrag der Antragstellerin zulässig und begründet gewesen sei und nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eingetreten sei, das nachträglich zur Unzulässigkeit des ursprünglichen Antrags geführt habe.
19
Der ursprünglich gestellte Antrag sei zulässig gewesen: Dieser Antrag nehme eine Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg und stelle auch keine unzulässige Vorfrage dar. Der Gesetzgeber habe das einstweilige Verfügungsverfahren nach § 650d BGB zur Verfügung gestellt, in dem der Besteller feststellen lassen könne, dass dem Unternehmer die in Ansatz gebrachten 80% seines Angebotspreises nicht als Vergütung im Rahmen von Abschlagszahlungen zustehe. Es habe ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin bestanden, da die Antragsgegnerin jedenfalls bis zur Kündigung bzw. zur Erklärung im Termin an ihren Forderungen gemäß der 44.
20
Abschlagsrechnung festgehalten habe und – wie die Stellung der 45. Abschlagsrechnung belege – weiterhin Abschlagsrechnungen auf Grundlage des § 650c Abs. 3 BGB zu besorgen gewesen seien.
21
Der ursprünglich gestellte Antrag sei auch begründet gewesen: Der Verfügungsgrund ergebe sich aus § 650d BGB, der auch auf VOB-Verträge anwendbar sei, jedenfalls dann, wenn die geltend gemachte Verfügungsanpassung mit § 650c Abs. 3 BGB begründet werde und sich die Antragsgegnerin wie hier eines Anspruchs gemäß § 650c Abs. 3 BGB berühme. Zudem habe eine besondere Dringlichkeit im Hinblick auf die 45. Abschlagsrechnung sowie auf die angedrohte Baueinstellung und Kündigung vorgelegen. Auch ein Verfügungsanspruch habe bis 28./29.08.2023 vorgelegen, da die Voraussetzungen für eine Geltendmachung von Abschlagsforderungen gem. § 650c Abs. 3 BGB nicht vorgelegen hätten. Die Kammer sei der Auffassung, dass bei Geltendmachung eines Anspruchs gem. § 650c Abs. 3 BGB die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 650b BGB vorliegen müssten, und zwar unabhängig davon, ob auf den zugrundeliegenden Werkvertrag die VOB/B anzuwenden sei. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut von § 650c Abs. 3 BGB und der Überschrift zu § 650c BGB. Zudem stellten die Vorschriften der §§ 650b, 650c BGB nach Ansicht der Kammer eine einheitliche Regelung betreffend die Voraussetzungen einer einseitigen Änderung der vertraglich geschuldeten Leistungen und deren Abrechnung dar. Unabhängig von den weiteren Voraussetzungen des § 650b BGB fehle es vorliegend bei allen streitgegenständlichen Nachträgen bereits an einer Anordnung der Antragstellerin in Textform im Sinne des § 650b Abs. 2 BGB.
22
Jedenfalls die Erklärung der Antragsgegnerin, aus den bisher gestellten Abschlagsrechnungen nicht weiter vorzugehen, habe zur Unzulässigkeit des ursprünglichen Antrags geführt. Hierdurch seien das ursprünglich gegebene Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin sowie der Verfügungsgrund entfallen.
23
Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufungsbegründung vom 25.10.2023. Die Antragsgegnerin betont, dass die Antragstellerin ursprünglich lediglich festgestellt wissen wollte, dass die Antragsgegnerin vorläufig nicht berechtigt gewesen sei, die streitgegenständlichen Nachtragsvergütungen „auf Grundlage des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB“ geltend zu machen. Die Antragstellerin habe also die Berechtigung der Nachtragsvergütungen (“Mehrvergütungsansprüche“) dahingestellt sein und einzig feststellen lassen wollen, dass § 650c Abs. 3 S. 1 BGB auf diese „Mehrvergütungsansprüche“ nicht anwendbar sei. Die Antragstellerin habe nicht beantragt festzustellen, dass der Antragsgegnerin die von ihr geltend gemachten Nachtragsvergütungen (vorläufig) nicht in der in der 44. Abschlagsrechnung in Ansatz gebrachten Höhe zustehen.
24
Ein solcher Antrag sei sowohl unzulässig als auch unbegründet gewesen.
25
Es habe sich bei der Frage der Anwendbarkeit von § 650c Abs. 3 S. 1 BGB um eine bloße Vorfrage und nicht um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis gehandelt (§ 256 ZPO). Die Antragstellerin könne auch kein Feststellungsinteresse an der von ihr ursprünglich begehrten Feststellung geltend machen. Das Bestehen oder Nichtbestehen von Zahlungsansprüchen, deren die Antragsgegnerin sich „berühmt“ habe, sei ausdrücklich nicht Gegenstand der von der Antragstellerin begehrten Feststellung. Einem allenfalls berechtigten Interesse, nur berechtigte Forderungen zu begleichen, wäre mit der von der Antragstellerin begehrten Feststellung nicht gedient.
26
Für den Streit über die Anwendbarkeit von § 650c Abs. 3 S. 1 BGB sei auch kein Verfügungsgrund ersichtlich und glaubhaft gemacht. § 650d BGB gelte für diesen Streit nicht.
27
Auch die Erwägungen des Landgerichts zum Anspruchsgrund in Gestalt der hier vermeintlich nicht gegebenen Anwendbarkeit von § 650c Abs. 3 BGB seien fehlerhaft und im Ergebnis unzutreffend. Denn § 650c Abs. 3 BGB sei auf Nachtragsforderungen nach § 1 Abs. 3, 4, § 2 Abs. 5, 6 VOB/B anwendbar und die Antragsgegnerin habe glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen dieser Vorschriften hier erfüllt seien. Den allenfalls zulässigen Antrag festzustellen, dass der Antragsgegnerin die Nachtragsvergütungen nicht oder nur in geringerer Höhe zustehen, habe die Antragstellerin ausdrücklich nicht gestellt. Im Übrigen habe die Antragstellerin ihre Behauptung, die von der Antragsgegnerin beanspruchten Nachtragsvergütungen seien „sittenwidrig“ oder in sonstiger Weise „überhöht“, nicht belegt.
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Schließlich sei der von der Antragstellerin nur noch gestellte geänderte Antrag, Erledigung festzustellen und der Antragsgegnerin die Kosten aufzuerlegen, mangels eines erledigenden Ereignisses selbst dann zurückzuweisen, wenn der ursprüngliche Antrag zulässig und begründet gewesen wäre.
29
Die Antragsgegnerin beantragt in der Berufungsinstanz (Bl. 10, Bd. II), den Antrag der Antragstellerin, Klägerin und Berufungsbeklagten (nachfolgend: Klägerin) unter Abänderung des am 31.08.2023 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az.: 24 O 9551/23 zurückzuweisen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
30
Die Antragstellerin beantragt (Bl. 107, Bd. II):
31
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I (24 O 9551/23) vom 31.08.2023 wird zurückgewiesen.
32
Die Antragstellerin stellt hilfsweise für den Fall, dass der Senat nicht von einer Erledigung der Hauptsache ausgehe, im Wege der Anschlussberufung den ursprünglich gestellten Antrag in nahezu unveränderter Form. Dem tritt die Antragsgegnerin entgegen.
33
Die Antragstellerin verteidigt das Ersturteil.
34
Mit Hinweisbeschluss des Senats vom 30.01.2024 wurde die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, ihre Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Hierzu wurde Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung gegeben. Mit Schriftsatz vom 19.02.2024 äußerte sich die Antragsgegnerin zum Hinweisbeschluss.
35
Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren nebst Anlagen Bezug genommen.
Begründung
A.
36
Die Berufung der Antragsgegnerin ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlusswege als unbegründet zurückzuweisen, da sämtliche Voraussetzungen hierfür vorliegen.
37
I. Offensichtliche Aussichtslosigkeit der Berufung, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, da das angefochtene Urteil des Landgerichts München I im Ergebnis richtig ist. Zur Begründung nimmt der Senat auf die Ausführungen des Erstgerichts sowie auf seinen Hinweisbeschluss vom 30.01.2024 Bezug, in dem er seine leitenden Erwägungen zum Ausdruck gebracht hat. Der hierauf erwidernde Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 19.02.2024 vermag dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen.
38
Der Senat ist – wie das Erstgericht – der Ansicht, dass der ursprünglich gestellte Antrag der Antragstellerin zulässig und begründet war und nach Rechtshängigkeit ein erledigendes Ereignis eintrat, das nachträglich zur Unzulässigkeit und Unbegründetheit des ursprünglichen Antrags führte, so dass gemäß dem zuletzt gestellten Antrag der Antragstellerin die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen war.
1. Streitgegenstand
39
Gegenstand des ursprünglichen Antrags der Antragstellerin war lediglich die begehrte Feststellung, dass die Antragsgegnerin vorläufig nicht berechtigt sei, von der Antragstellerin die Bezahlung mit der Abschlagsrechnung Nr. 44 vom 10.07.2023 geltend gemachter Mehrvergütungsansprüche auf Grundlage des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB zu verlangen. Der Antrag bezog sich somit nicht generell auf eine Berechtigung der Geltendmachung von Nachtragsvergütungen aus der Abschlagsrechnung Nr. 44, sondern war eingeschränkt auf Nachtragsvergütungen auf Grundlage von § 650c Abs. 3 S. 1 BGB. Die Antragstellerin bestätigt dies in der Berufungserwiderung (S. 19), indem sie ausführt, die Antragstellerin wehre sich in dem vorliegenden Rechtsstreit dagegen, dass die Antragsgegnerin die Forderungen in Höhe von 80% der Nominalforderung der nachträglich vorgelegten „Nachtragsangebote“ unter Berufung auf § 650c Abs. 3 BGB unabhängig von der materiellen Berechtigung verlangt habe. Es bestehe kein Dissens darüber, dass der Antragsgegnerin im Falle von geänderten oder zusätzlichen Leistungen ein Anspruch nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B zustehen könne und sie hierfür unter den Voraussetzungen von § 16 Abs. 1 VOB/B Abschlagszahlungen verlangen könne, soweit die Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach berechtigt und die Leistungen vertragsgemäß erbracht worden seien.
40
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht nur die Kostenentscheidung des Erstgerichts, sondern der gesamte im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemachte Streitgegenstand, schließlich wendet sich die Antragsgegnerin gegen das Ersturteil insgesamt.
2. Zulässigkeit des ursprünglich gestellten Antrags
41
Der ursprünglich gestellte Antrag war zulässig.
a) Rechtsverhältnis
42
Der Antrag bezog sich auf ein nach § 256 Abs. 1 ZPO feststellungsfähiges Rechtsverhältnis.
43
Ein Rechtsverhältnis ist die Beziehung einer Person zu einer anderen Person oder Sache, die ein subjektives Recht enthält oder aus der ein solches Recht entspringen kann. Nur das Rechtsverhältnis selbst kann Gegenstand der Feststellung sein, nicht Vorfragen oder einzelne Elemente, wohl aber einzelne Rechte, Pflichten oder Folgen eines Rechtsverhältnisses sowie Inhalt und Umfang einer Leistungspflicht (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – VII ZR 353/12, juris Rn. 17; Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 12 Rn. 102).
44
Die vorläufige Berechtigung, die Bezahlung von Mehrvergütungsansprüchen auf der Grundlage von § 650c Abs. 3 BGB verlangen zu können, ist nach § 256 Abs. 1 ZPO feststellungsfähig, denn Gegenstand der Feststellung sind Inhalt und Umfang einer Leistungspflicht, auch wenn es sich bei § 650c Abs. 3 BGB nicht um eine Anspruchsgrundlage handelt.
45
Der Senat teilt nicht die Ansicht der Antragsgegnerin, dass § 650c Abs. 3 BGB lediglich eine nicht feststellungsfähige Berechnungsgrundlage sei (vgl. zur Berechnungsgrundlage als Gegenstand einer Feststellungsklage: BGH, Urteil vom 12. Dezember 1994 – II ZR 269/93, juris Rn. 7) und dass weder Inhalt noch Umfang einer Leistungspflicht betroffen seien. Denn auf der Grundlage von § 650c Abs. 3 BGB erhält der Unternehmer während der Ausführung des Baus einen leicht zu begründenden vorläufigen Mehrvergütungsanspruch (BT-Drucksache 18/8468, S. 57). Wenn der Unternehmer von der Möglichkeit des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB Gebrauch macht, ist der Besteller grundsätzlich zur Zahlung der 80%-Pauschale im Rahmen der Abschlagszahlung verpflichtet, sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen (KG, Urteil vom 2. März 2021 – 21 U 1098/20, juris Rn. 56; Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, aaO, Teil 12 Rn. 143). Durch § 650c Abs. 3 BGB werden also Inhalt und Umfang der Rechte und Pflichten der Parteien geregelt und nicht lediglich die Höhe der Abschlagszahlung berechnet. § 650c Abs. 3 BGB modifiziert die Leistungspflicht des Bestellers dahingehend, dass er zur Zahlung der Pauschale verpflichtet wird.
46
Nicht maßgeblich ist, dass – wie die Antragsgegnerin weiter einwendet – durch die angestrebte Feststellung nicht alle Streitfragen zwischen den Parteien erledigt werden. Bei Bestehen der berechtigten Erwartung, dass ein Feststellungsurteil den Streit der Parteien endgültig erledigen würde, könnte allenfalls erwogen werden, trotz Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO eine Feststellungsklage als zulässig anzusehen (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 9). Hierauf kommt es hier jedoch nicht an, da ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis gemäß § 256 Abs. 1 ZPO gegeben ist.
b) Feststellungsinteresse
47
Die Antragsstellerin verfügte ursprünglich über ein Feststellungsinteresse in Bezug auf die begehrte Feststellung.
48
Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist nur gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und wenn das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (st. Rspr., z.B. BGH, Urteil vom 13. Januar 2010 – VIII ZR 351/08, juris Rn. 12; Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 256 Rn. 9).
49
aa) Hier befanden und befinden sich die Parteien im Streit darüber, ob die Antragsgegnerin berechtigt war, Abschlagsrechnungen auf Grundlage von § 650c Abs. 3 BGB geltend zu machen. Diese Unsicherheit für die Rechtslage der Antragstellerin konnte durch das angestrebte Urteil beseitigt werden. Dass die Antragstellerin möglicherweise auch einen weitergehenden Antrag hätte stellen können – worauf die Antragsgegnerin hinweist – ändert das vorliegende Feststellungsinteresse nicht.
50
bb) Auch der Umstand, dass die Antragstellerin in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einen Feststellungsantrag gestellt hat, steht ihrem Feststellungsinteresse nicht entgegen (vgl. zur Problematik Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, aaO, Teil 12 Rn. 123 ff.).
51
Die Einwände gegen die Zulässigkeit einer Feststellungsverfügung stützen sich darauf, dass sie keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe und folglich nicht vollstreckbar sei. Auch sei mit ihr eine verlässliche Klärung des Rechtsverhältnisses nicht möglich. Erst ein Feststellungsurteil in der Hauptsache könne eine solche Klärung herbeiführen, weil es in Rechtskraft erwachse und damit das Rechtsverhältnis der Parteien verbindlich bestimme (Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/ Sacher, aaO, Teil 12 Rn. 124).
52
Aber jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation, in der sich der Besteller gegen eine auf Grundlage von § 650c Abs. 3 S. 1 BGB geltend gemachte Abschlagsrechnung zur Wehr setzt, ist ein negativer Feststellungsantrag bereits im Gesetz angelegt, da der Besteller auf die Erwirkung einer anderslautenden gerichtlichen Entscheidung verwiesen wird (vgl. BT-Drucksache 18/8468, S. 58; Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, aaO, Teil 12 Rn. 167/168; Werner/Pastor/ Manteufel, Der Bauprozess, 18. Aufl. 2023, Rn. 331, 335; Zöller/Vollkommer, aaO, § 940 Rn. 8.5, siehe auch KG, Urteil vom 2. November 2021 – 27 U 120/21, juris, Tenor und Rn. 7). Einer entsprechenden Feststellungsverfügung kommt auch im einstweiligen Rechtsschutz materiellrechtliche Wirkung zu, denn eine Verpflichtung des Bestellers zur Zahlung der 80%-Pauschale entfällt bei Ergehen einer anderslautenden gerichtlichen Entscheidung (vgl. Rodemann, BauR 2024, 3, 8), so dass ein Feststellungsinteresse des Bestellers besteht.
53
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hätte die Antragstellerin auch mit dem von ihr gestellten Antrag diese materiell-rechtliche Wirkung erlangen können. Denn bei Erfolg ihres Antrags wäre festgestellt worden, dass die Antragsgegnerin vorläufig nicht berechtigt ist, von der Antragstellerin die Bezahlung näher bezeichneter Mehrvergütungsansprüche auf Grundlage des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB zu verlangen. Damit wäre eine anderslautende gerichtliche Entscheidung im Sinne von § 650c Abs. 3 S. 1 BGB ergangen, die einem Ansatz der 80%-Pauschale entgegengestanden wäre.
54
Der Senat teilt nicht die Auffassung der Antragsgegnerin, dass im Rahmen des Antrags auf Erlass einer negativen Feststellungsverfügung nur die Höhe des nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB angesetzten Betrags geprüft werden könne mit der Folge, dass auch nur insoweit eine materiellrechtliche Wirkung eintreten könne. Zwar ist es zutreffend, dass in der Begründung des Gesetzesentwurfs angeführt ist, dass der Besteller mittels der erleichterten einstweiligen Verfügung überhöhten Ansprüchen schnell entgegentreten kann (vgl. BT-Drucksache 18/8468, S. 58). Weder aus der Begründung des Gesetzesentwurfs noch aus dem Wortlaut von § 650c Abs. 3 BGB oder § 650d BGB ergibt sich aber eine Beschränkung dahingehend, dass im Rahmen der in § 650c Abs. 3 S. 1 BGB vorgegebenen Entscheidung nicht zu prüfen ist, ob § 650c Abs. 3 S. 1 BGB anwendbar ist und ob seine Tatbestandsvoraussetzungen eingehalten werden. Eine solche Beschränkung wäre auch wenig nachvollziehbar, schließlich hat der Besteller die Möglichkeit der Einholung einer negativen Feststellungsverfügung als Ausgleich dafür, dass der Unternehmer vorläufig einseitig den zu zahlenden Abschlag bestimmen kann (vgl. Rodemann, aaO; Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, aaO; Werner/Pastor/Manteufel, aaO). Wäre nicht zu prüfen, ob § 650c Abs. 3 S. 1 BGB überhaupt anwendbar ist und ob seine Voraussetzungen vorliegen, liefe die dem Besteller gewährte Möglichkeit der Einholung einer anderslautenden gerichtlichen Entscheidung weitgehend leer.
55
Dies steht nicht im Widerspruch dazu, dass nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB die 80%-Pauschale nicht angesetzt werden kann, wenn sich die Parteien „über die Höhe“ geeinigt haben. Selbstverständlich steht einem solchen Ansatz eine abweichende Einigung entgegen. Dies besagt aber nichts darüber, in welchem Umfang eine anderslautende gerichtliche Entscheidung ergehen kann.
56
Zu trennen ist diese Frage allerdings von der Problematik, ob im Rahmen einer negativen Feststellungsverfügung auch geprüft werden kann, ob eine Mehrvergütung schon dem Grunde nach nicht geschuldet ist, etwa weil die geforderte Leistung bereits vom ursprünglichen Vertrag erfasst ist (vgl. Rodemann, BauR 2024, 3, 8/9; Sacher in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, aaO, Teil 12 Rn. 171). Hierauf kommt es hier schon deshalb nicht an, da eine solche Prüfung im Rahmen des gestellten Antrags nicht begehrt wird.
57
3. Begründetheit des ursprünglich gestellten Antrags Der ursprünglich gestellte Antrag war auch begründet.
a) Verfügungsanspruch
58
Zutreffend ist das Erstgericht davon ausgegangen, dass die Antragsgegnerin vorläufig nicht berechtigt war, die näher bezeichneten, mit der Abschlagsrechnung Nr. 44 geltend gemachten Mehrvergütungsansprüche auf Grundlage von § 650c Abs. 3 BGB zu verlangen.
59
Unzutreffend ist die Ansicht der Antragsgegnerin, ein Verfügungsanspruch könne schon deshalb nicht gegeben sein, da § 650c Abs. 3 BGB keine Anspruchsgrundlage sei. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die begehrte Feststellung zu treffen ist oder nicht.
60
Hier konnte die Antragsgegnerin ihre Abschlagsrechnung nicht auf Grundlage von § 650c Abs. 3 BGB geltend machen.
61
aa) Zeitlich ist § 650c Abs. 3 BGB anwendbar, da der hier streitgegenständliche Bauvertrag nach dem 31.12.2017 abgeschlossen wurde, Art. 229 § 39 EGBGB.
62
bb) Es ist allerdings höchst umstritten, ob in einem VOB-Vertrag wie hier § 650c Abs. 3 BGB zur Anwendung kommt.
63
Nach einer Ansicht ist § 650c Abs. 3 BGB in einem VOB-Vertrag nicht anwendbar. Das ergebe sich daraus, dass der Unternehmer 80 Prozent einer in einem Angebot nach § 650b Abs. 1 S. 2 genannten Mehrvergütung ansetzen könne. § 650b Abs. 1 S. 2 BGB sei hingegen im VOB-Vertrag nicht anwendbar, weil das Anordnungsrecht des Auftraggebers in § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B abweichend geregelt sei und nicht vorsehe, dass ein Nachtragsangebot zwingend zu erstellen sei (Kniffka in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, aaO, Teil 4 Rn. 324; ähnlich BeckOK BauVertrR/ Althaus/Kattenbusch, 23. Ed. 31.7.2023, BGB § 650c Rn. 158). Zum Teil wird die Anwendbarkeit verneint, die Frage, ob der Besteller eines VOB-Vertrages einen Nachtrag über §§ 650b, 650c BGB initiieren könne, davon aber getrennt betrachtet und grundsätzlich bejaht (Kniffka/Jurgeleit/von Rintelen, ibr-OK Bauvertragsrecht, Stand 19.10.2023, § 650c Rn. 151/152).
64
Nach anderer Ansicht ist § 650c Abs. 3 BGB auch im VOB-Vertrag anwendbar (KG, Urteil vom 2. November 2021 – 27 U 120/21, juris Rn. 72 ff; Bolz/Jurgeleit/Rodemann, ibr-OK VOB/B, Stand 16.10.2023, § 16 Abs. 1 Rn. 18; Ingenstau/Korbion/Locher, 22. Aufl. 2023, VOB/B § 16 Abs. 1 Rn. 6; Leinemann/Kues, BGB-Bauvertragsrecht, 2. Aufl. 2023, § 650c nach Rn. 122). Die VOB/B enthalte lediglich eine vertragliche Modifizierung der gesetzlichen Regelung.
65
cc) Nach Auffassung des Senats ist § 650c Abs. 3 BGB auch im VOB-Vertrag anwendbar. Wenn der Unternehmer nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB vorgehen will, müssen aber auch im VOB-Vertrag die Voraussetzungen des § 650b BGB gegeben sein.
66
(1) § 650c Abs. 3 BGB ist auch im VOB-Vertrag anwendbar.
67
Die VOB/B enthält allgemeine Vertragsbedingungen und modifiziert, wenn sie Bestandteil eines Bauvertrags geworden ist, die gesetzlichen Regelungen. Die VOB/B enthält jedoch keine Regelung, die § 650c Abs. 3 BGB entspricht. § 16 Abs. 1 VOB/B enthält zwar Vorschriften zur Abschlagszahlung, ein vorläufiges einseitiges Preisbestimmungsrecht des Unternehmers (vgl. KG, Urteil vom 2. März 2021 – 21 U 1098/20, juris Rn. 56) ist darin nicht enthalten. Damit enthält die VOB/B in Bezug auf § 650c Abs. 3 BGB keine Modifikation, § 650c Abs. 3 BGB bleibt anwendbar.
68
Keine Frage der Anwendbarkeit der Norm, sondern eine Frage der Einhaltung ihrer Voraussetzungen ist der Umstand, dass das Anordnungsrecht des Auftraggebers im VOB-Vertrag abweichend geregelt ist.
69
(2) Will der Unternehmer nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB vorgehen, müssen aber auch im VOBVertrag die Voraussetzungen des § 650b BGB gegeben sein.
70
§ 650c Abs. 3 S. 1 BGB ist im BGB-Bauvertrag an die Voraussetzungen des § 650b BGB geknüpft. § 650c Abs. 3 S. 1 BGB erfordert tatbestandsmäßig ein Angebot nach § 650b Abs. 1 BGB aufgrund eines Änderungsbegehrens des Bestellers und eine anschließende Anordnung nach § 650b Abs. 2 BGB (Kniffka/Jurgeleit/von Rintelen, aaO, § 650c Rn. 153).
71
Für den Senat ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Voraussetzungen im VOB-Vertrag nicht einzuhalten sein sollten.
72
Denn die VOB/B enthält, wie ausgeführt, gerade keine Modifikation des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB, sodass § 650c Abs. 3 S. 1 BGB unverändert, einschließlich seiner Voraussetzungen, zur Anwendung kommt.
73
Hinzu kommt, worauf das Erstgericht zutreffend hingewiesen hat, dass § 650c Abs. 3 BGB Teil eines einheitlichen Regelungssystems, bestehend aus §§ 650b, 650c, 650d BGB ist. Der Gesetzgeber hat ein System aufeinander aufbauender und aufeinander Bezug nehmender Normen zur Anordnung von Leistungsänderungen, zur Vergütung dieser geänderten Leistungen und zur Durchsetzbarkeit geschaffen und ist dabei insbesondere dem System der VOB/B nicht gefolgt (vgl. ausführlich Kniffka in: Kniffka/Koeble/Jurgeleit/Sacher, aaO, Teil 4 Rn. 223 ff.). Deshalb kann die Antragsgegnerin – entgegen ihrer Ansicht – nicht ohne Weiteres auf einzelne Regelungen wie § 650c Abs. 3 S. 1 BGB zurückgreifen, ohne die sich aus § 650b BGB ergebenden Voraussetzungen zu beachten.
74
Dass die Voraussetzungen der §§ 650c Abs. 3 S. 1, 650b BGB oftmals im VOB-Vertrag nicht erfüllt sein werden, wie die Antragsgegnerin einwendet, weil das Nachtragsschema im VOBVertrag ein anderes sei, kann dem nicht entgegengehalten werden. Denn es steht den Parteien grundsätzlich frei, wie sie die Anordnung und Vergütung von Nachträgen gestalten. Dass bei Beteiligung der öffentlichen Hand die VOB/B verpflichtend anzuwenden ist, § 8a Abs. 1 S. 1 VOB/A, hat den Gesetzgeber nicht davon abgehalten, ein nicht der VOB/B folgendes Regelungssystem zu schaffen.
75
Ob – wie die Antragsgegnerin meint – § 650c Abs. 3 BGB zum gesetzlichen Leitbild gehört, kann dahinstehen. Jedenfalls folgt hieraus nicht, dass die Voraussetzungen der §§ 650c Abs. 3 S. 1, 650b BGB nicht mehr einzuhalten wären. Ob dies zur Folge hätte, dass Regelungen der VOB/B unwirksam wären, ist nicht entscheidungserheblich, da hierdurch § 650c Abs. 3 S. 1 BGB erst recht nicht durch die VOB/B modifiziert werden würde.
76
Der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung, § 650c Abs. 3 S. 1 BGB knüpfe im VOBVertrag alleine an Anordnungen nach §§ 1 Abs. 3, 4 VOB/B an, steht im Übrigen die herrschende Auffassung in der Literatur entgegen. Soweit dort die Anwendbarkeit von § 650c Abs. 3 BGB im VOB-Vertrag generell in Abrede gestellt wird, kommt die von der Antragsgegnerin vertretene Ansicht von vornherein nicht in Betracht. Soweit die Anwendbarkeit bejaht wird bzw. die Initiierung eines Nachtrags nach §§ 650b, 650c BGB auch im VOB-Vertrag für möglich gehalten wird, wird regelmäßig an die Voraussetzungen des § 650b BGB angeknüpft (vgl. Kniffka/Jurgeleit/von Rintelen, aaO, Rn. 152; Ingenstau/Korbion/Locher, aaO; BeckOGK/Mundt, 1.1.2024, BGB § 650c Rn. 128). Die abweichende Ansicht von Leinemann/Kues (aaO) teilt der Senat aus den vorgenannten Gründen nicht. Das KG (Urteil vom 2. November 2021 – 27 U 120/21, juris Rn. 72 ff.) diskutiert die von der Antragsgegnerin vertretene Ansicht nicht ausdrücklich, erwähnt jedoch im Rahmen seiner Prüfung das erforderliche Angebot des Unternehmers, die fehlende Einigung über die Vergütungshöhe und die Anordnung des Bestellers (KG, aaO, juris Rn. 75), so dass jedenfalls die von der Antragsgegnerin konstruierte Divergenz zur hiesigen Entscheidung nicht besteht.
77
dd) Die Antragsgegnerin behauptet schon nicht, dass die Voraussetzungen der §§ 650c Abs. 3 S. 1, 650b BGB gegeben seien.
78
Sie führt zu den Nachtragsforderungen NA 10 und NA 50 aus, „die Anspruchsvoraussetzungen von § 4 Abs. 1 VOB/B, der von der Beklagten dazu herausgegebenen Erlasse und von § 313 BGB dargelegt und glaubhaft gemacht“ zu haben. Zu ihren übrigen Nachtragsforderungen, nämlich zu NA 12, NA 13, NA 25, NA 30, NA 31, NA 38 und NA 41 und den dazugehörigen zeitgebundenen Kosten habe sie die Anspruchsvoraussetzungen von § 2 Abs. 5, 6 VOB/B dargelegt und glaubhaft gemacht (Berufungsbegründung S. 30). Die Voraussetzungen der §§ 650c Abs. 3 S. 1, 650b BGB erfüllt dies nicht. § 650c Abs. 3 S. 1 BGB erfordert ein Angebot nach § 650b Abs. 1 BGB aufgrund eines Änderungsbegehrens des Bestellers und eine anschließende Anordnung nach § 650b Abs. 2 BGB. Auch die detaillierten Ausführungen der Antragsgegnerin zu den einzelnen Nachtragsforderungen lassen dies nicht erkennen.
79
Soweit die Antragsgegnerin zur Vergütung der aus den Nachtragsleistungen NA 11, 13, 30 und 33 resultierenden zeitgebundenen Kosten darauf verweist, dass die Antragstellerin den Sachverhalten aus diesen Nachtragsangeboten nicht entgegengetreten sei und die Nachtragsangebote zum Teil bezahlt habe (Berufungsbegründung S. 71/73), ändert dies hieran nichts. Denn das Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 650c Abs. 3 S. 1, 650b BGB trägt die Antragsgegnerin weiterhin nicht vor.
80
ee) Nicht entscheidungserheblich sind die umfangreichen Ausführungen der Antragsgegnerin zur Berechtigung der von ihr geltend gemachten Nachtragsvergütungen. Denn streitgegenständlich ist allein die Frage, ob die Antragsgegnerin die Forderungen unter Berufung auf § 650c Abs. 3 BGB unabhängig von der materiellen Berechtigung verlangen kann.
81
ff) Ein Verfügungsanspruch lag somit ursprünglich vor.
b) Verfügungsgrund
82
Auch ein Verfügungsgrund war ursprünglich gegeben.
83
aa) Die Antragstellerin konnte sich auf § 650d BGB berufen, wonach es zum Erlass einer einstweiligen Verfügung in Streitigkeiten über das Anordnungsrecht gemäß § 650b BGB oder die Vergütungsanpassung gemäß § 650c BGB nach Beginn der Bauausführung nicht erforderlich ist, dass der Verfügungsgrund glaubhaft gemacht wird. Die Eilbedürftigkeit wird damit widerleglich vermutet (MüKoBGB/Busche, 9. Aufl. 2023, § 650d Rn. 7).
84
§ 650d BGB ist im VOB-Vertrag anwendbar. Die Ausführungen zu § 650c Abs. 3 BGB (vgl. oben Ziff. I. 3. a. cc. (1)) gelten entsprechend. Auch insofern enthält die VOB/B keine modifizierende Regelung (so zutreffend Kniffka/Jurgeleit/Manteufel, aaO, § 650d Rdn. 8 unter Verweis auf die verschiedenen hierzu vertretenen Ansichten).
85
Der Einwand der Antragsgegnerin, es handele sich hier nicht um eine „Streitigkeit über die Vergütungsanpassung gemäß § 650c“, trifft nicht zu. Der Begriff der „Vergütungsanpassung“ ist auch in der amtlichen Überschrift des § 650c BGB enthalten, § 650d BGB bezieht sich damit auf sämtliche Absätze des § 650c BGB. Im Übrigen wird der Besteller in § 650c Abs. 3 S. 1 BGB gerade darauf verwiesen, eine anderslautende gerichtliche Entscheidung einzuholen. Vor dem Hintergrund des aus §§ 650b, 650c, 650d BGB bestehenden einheitlichen Regelungssystems (vgl. oben Ziff. I. 3. a. cc. (2)) gilt § 650d BGB jedenfalls für die Streitigkeiten, die aus § 650c Abs. 3 S. 1 BGB resultieren.
86
Eine Widerlegung der Eilbedürftigkeit durch die Antragsgegnerin war ursprünglich nicht erfolgt. bb) Unabhängig hiervon hatte die Antragstellerin die Eilbedürftigkeit glaubhaft gemacht.
87
Denn unmittelbar vor Einreichung ihres Antrags hatte die Antragsgegnerin mit der Baueinstellung für den Fall gedroht, dass die Abschlagsrechnung Nr. 44 nicht beglichen werde. Die Abschlagsrechnung Nr. 44 erstellte die Antragsgegnerin, im Gegensatz zu den vorherigen Abschlagsrechnungen, erstmals auf Grundlage des § 650c Abs. 3 BGB. Mit dem gestellten Antrag konnte die Antragstellerin der Abschlagsrechnung jedenfalls vorläufig die Grundlage entziehen und damit der drohenden Baueinstellung entgegentreten, auch wenn die Berechtigung der Forderungen nach dem gestellten Antrag nicht zu prüfen war.
4. Erledigung
88
Nach Rechtshängigkeit ist ein erledigendes Ereignis eingetreten, das nachträglich zur Unzulässigkeit und Unbegründetheit des ursprünglichen Antrags führte, so dass durch das Erstgericht die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zu Recht festgestellt wurde.
89
Es kann hier dahinstehen, ob das erledigende Ereignis bereits in der Baueinstellung, in der Kündigung oder erst in der Erklärung der Antragsgegnerin, aus den gestellten Abschlagsrechnungen nicht mehr vorzugehen, liegt. Denn jedenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz lag das erledigende Ereignis vor.
90
Hierdurch wurde der ursprünglich zulässige und begründete Antrag unzulässig und unbegründet.
91
Denn spätestens durch die Erklärung der Antragsgegnerin, aus der Abschlagsrechnung Nr. 44 nicht mehr vorzugehen, entfiel das Feststellungsinteresse, der Antrag wurde unzulässig. Eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit bestand spätestens ab dieser Erklärung in Bezug auf die Abschlagsrechnung nicht mehr. Nicht maßgeblich ist – wie die Antragsgegnerin meint – ob die Antragsgegnerin keine Abschlagsrechnungen mehr verlangen konnte, weil sie wirksam gekündigt hatte, wozu die Wirksamkeit der Kündigung hätte geprüft werden müssen. Allein die Tatsache, dass die Antragsgegnerin die Abschlagsrechnung nicht mehr geltend gemacht hat, lässt bereits das Feststellungsinteresse entfallen, denn eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit bestand hierdurch nicht mehr.
92
Spätestens durch diese Erklärung der Antragsgegnerin entfiel auch der Verfügungsgrund, denn Eilbedürftigkeit lag damit nicht mehr vor, sodass der Antrag auch unbegründet wurde. Aus den Abschlagsrechnungen wollte die Antragsgegnerin nicht mehr vorgehen, die Schlussrechnung lag noch nicht vor, so dass es nichts mehr gab, worüber eilig hätte entschieden werden müssen, etwa um das Liquiditätsinteresse der Antragsgegnerin zu wahren. Die Vermutung des § 650d BGB war damit jedenfalls widerlegt.
93
II. Weitere Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO Auf die Voraussetzungen gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO kommt es in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wie hier nicht an.
94
Eine Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss setzt gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ZPO voraus, dass die Rechtssache nicht von einer Qualität ist, die wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision rechtfertigt, die nur im Wege eines Urteils des Berufungsgerichts zugelassen werden könnte (Kramer, Die Berufung in Zivilsachen, 9. Aufl., § 18 Rn. 403; Saenger/ Wöstmann, ZPO, 10. Aufl. 2023, § 522 Rn. 12; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 44. Aufl., § 522 Rn. 15). Mithin ist Zweck von § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO eine Revision zu ermöglichen (MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, § 522 Rn. 24; vgl. BT-Drs. 14/4722, 97).
95
Hier ist eine Revision nicht statthaft, § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO, so dass § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO ihren Zweck nicht erfüllen können, so dass es auf diese Voraussetzungen nicht ankommt (so auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 02. September 2021 – 19 U 86/21, GRUR-RS 2021, 29425, Tenor). Dies ergibt sich auch, wenn man den Rechtsbegriff der grundsätzlichen Bedeutung, der quasi der Oberbegriff für die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO, mithin auch für die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO bildet (Zöller/Feskorn, aaO, § 543 Rn. 10), näher in den Blick nimmt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn sie eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, das heißt allgemein von Bedeutung ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 09. Juni 2020 – VIII ZR 315/19, NJW 2020, 3312, Rn. 9). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn ihre Beantwortung zweifelhaft ist, weil sie vom BGH noch nicht entschieden ist (Zöller/Feskorn, aaO, § 543 Rn. 13). Die vorliegend inmitten stehenden Rechtsfragen können vom BGH jedenfalls im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, wie hier, aufgrund der Sperre des § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht entschieden werden.
96
Der Senat verkennt nicht, dass in den von der Antragsgegnerin zitierten obergerichtlichen Entscheidungen alle Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO geprüft wurden, obwohl die Revision nicht statthaft war, wobei dann jeweils – wie hier – durch Zurückweisungsbeschluss entschieden wurde. Damit geht jedoch nicht zwangsläufig einher, dass die Rechtsfrage der Prüfungsbedürftigkeit der Voraussetzungen gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO überhaupt vertieft wurde. Abgesehen davon steht dies einer Entscheidung des Senats auch nicht im Wege.
97
Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass mit dieser Entscheidung in der Sache von anderen obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Entscheidungen nicht abgewichen wird.
98
Aus dem Vortrag der Parteien und dem bisherigen Verfahren sind keine Umstände ersichtlich, die eine mündliche Verhandlung gebieten, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO. Insbesondere wurde rechtliches Gehör durch die Möglichkeit zur Stellungnahme zum Hinweisbeschluss des Senats, in dem der Senat seine leitenden Erwägungen zum Ausdruck gebracht hat, gewährt. Die Parteien haben im Laufe des Rechtsstreits bereits umfassend vorgetragen, weiterer maßgeblicher Vortrag ist auch in einer mündlichen Verhandlung nicht mehr zu erwarten.
B.
99
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
100
Eine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist entbehrlich, da dieser Beschluss nicht anfechtbar ist, § 542 Abs. 2 S. 1 ZPO (vgl. Zöller/Herget, aaO, §§ 708 Rn. 1, 705 Rn. 7).
101
Der Streitwert für das Berufungsverfahren ist in der Gebührenstufe bis zu 380.000,00 € festzusetzen. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist der Streitwert nicht auf 11.545.429,28 festzusetzen.
102
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, richtet sich nach einer einseitigen Erledigungserklärung die Beschwer des Rechtsmittelführers regelmäßig nach der Summe der bis zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung entstandenen Kosten. An die Stelle des Sachinteresses tritt für beide Parteien das Kosteninteresse (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Februar 2022 – VIII ZR 38/21, juris Rn. 11 mwN; Zöller/Herget, aaO, § 3 Rn. 16.67). Dementsprechend ist auch der Streitwert zu bemessen. Die entstandenen Kosten hat die Antragsgegnerin mit 362.042,70 € beziffert.
103
Eine ausnahmsweise Erhöhung des Streitwerts bei einem maßgebenden Interesse einer Partei an einer mittelbaren Rechtfertigung ihrer Standpunkte oder wenn aus der angegriffenen Entscheidung rechtskräftige Feststellungen zu Ansprüchen hergeleitet werden, die noch zwischen den Parteien streitig sind (vgl. BGH, aaO, juris Rn. 14), ist hier – ausgehend vom Vortrag der Parteien – nicht geboten.