Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.01.2024 – 20 CS 23.1910 , 20 CE 23.1935
Titel:

Androhung eines weiteren Zwangsgelds bei Nichterfüllung der Nachweispflicht für Masernimpfung durch schulpflichtiges Kind unverhältnismäßig

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 123, § 146 Abs. 4
IfSG § 20 Abs. 8, Abs. 9, Abs. 10, Abs. 11, Abs. 12
BayVwZVG Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31, Art. 36, Art. 37 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 S. 3, Abs. 3
BayVwVfG Art. 43 Abs. 3, Art. 44 Abs. 2 Nr. 4, Nr. 5, Nr. 6
Leitsätze:
1. Die Verpflichtung zur Vorlage eines Nachweises über die Immunität einer Person gegen Masern oder über eine medizinische Kontraindikation gegen Masernschutzimpfungen kann allenfalls subjektiv, aber nicht objektiv unmöglich sein. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Gesetzgeber hat dem Masernschutzgesetz zugrunde gelegt, dass die Durchsetzung eines ausreichenden Impfschutzes oder einer anderweitigen Immunität gegen Masern für bestimmte Personengruppen nur nach Maßgabe der speziell hierfür geschaffenen Regelungen (§§ 20 Abs. 9 ff. IfSG) erfolgen soll; Ausnahmen und Freiheitsräume von dem Erfordernis einer Impfung oder Immunität, die nach Ausschöpfung der gesetzlich vorgesehenen Befugnisse verbleiben, sind danach hinzunehmen. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Androhung eines zweiten Zwangsgelds wegen der bewussten Nichterfüllung der Nachweispflicht für eine Masernimpfung durch eine schulpflichtigen Person ist unverhältnismäßig. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Einrichtungsbezogene Nachweispflicht der Masernimpfung, selbständige Vollstreckbarkeit der Nachweispflicht, Schulpflicht, Zwangsgeldandrohung, Masernimpfung, Nachweispflicht, Durchsetzung, Vollstreckung, Verhältnismäßigkeit
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 10.10.2023 – AN 18 S 23.1763
Fundstelle:
BeckRS 2024, 644

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 10. Oktober 2023 wird geändert.
II. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. August 2023 wird angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Antragsteller und die Antragsgegnerin je zur Hälfte.
IV. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 137,50 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihre Einwendungen gegen einen Bescheid weiter, mit dem die Antragsgegnerin ein zuvor angedrohtes Zwangsgeld fällig gestellt und ein weiteres Zwangsgeld angedroht hat.
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1. Die 2009 geborene Antragstellerin zu 2. – die Tochter des Antragstellers zu 1. – besucht die … …-Schule in Nürnberg. Die Schule teilte der Antragsgegnerin mit Formular vom 25. August 2022 mit, dass für die seit 2015 dort betreute Antragstellerin zu 2. kein Nachweis nach § 20 Abs. 9 IfSG erbracht worden sei. Nachdem auf ein Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 31. Januar 2023 keine Reaktion erfolgte, verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller zu 1. mit Bescheid vom 16. Mai 2023 – zugestellt am 25. Mai 2023 –, einen Nachweis über die Immunität der Antragstellerin zu 2. gegen Masern oder über eine medizinische Kontraindikation gegen die Masernschutzimpfung einzureichen, der den Vorgaben des § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG entspreche. Falls er dieser Verpflichtung nicht bis zum 7. Juli 2023 nachkomme, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 150,00 EUR zur Zahlung fällig. Mit einem als „Widerspruch“ bezeichneten Schreiben vom 20. Juni 2023 bat der Antragsteller zu 1., die Angelegenheit bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Masernimpfpflicht im Schulkontext ruhen zu lassen, was die Antragsgegnerin jedoch ablehnte. Mit Schreiben vom 14. August 2023 – zugestellt am 18. August 2023 – stellte die Antragsgegnerin das mit Bescheid vom 16. Mai 2023 angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 150,00 EUR zur Zahlung fällig und drohte zugleich ein weiteres Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR an, sollte der Antragsteller zu 1. der Vorlageverpflichtung weiterhin nicht bis zum 14. September 2023 nachkommen. Da das zunächst angedrohte Zwangsgeld nicht zum Ziel geführt habe, sei die Androhung eines weiteren und höheren Zwangsgelds erforderlich.
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2. Hiergegen erhoben die Antragsteller am 30. August 2023 Klage und beantragten zugleich im Wege des Eilrechtsschutzes, die Zwangsvollstreckung des fällig gestellten Zwangsgelds einstweilen einzustellen und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14. August 2023 anzuordnen. Zur Begründung führten sie aus, keine Möglichkeit zur Erfüllung der Vorlageverpflichtung zu haben, da sie aufgrund ihrer freien Impfentscheidung bzw. der elterlichen Sorge des Antragstellers zu 1. eine Impfung der Antragstellerin zu 2. insbesondere mit dem in Deutschland ausschließlich verfügbaren Kombinationsimpfstoff ablehnten.
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3. Mit Beschluss vom 10. Oktober 2023 – dem Bevollmächtigten der Antragsteller zugestellt am 16. Oktober 2023 – lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach die Anträge der Antragsteller ab. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 123 VwGO sei zulässig, aber unbegründet. Die Antragsteller hätten bereits keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht; außerdem stehe das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Ohne dass es hierauf noch ankomme, sei schließlich auch kein Anordnungsanspruch erkennbar, da das angedrohte Zwangsgeld zu Recht fällig gestellt worden sei; die Vollstreckungsvoraussetzungen seien erfüllt und die Antragsteller der Vorlagepflicht bisher unstrittig nicht nachgekommen. Auch der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14. August 2023 sei unbegründet, weil sich der streitgegenständliche Bescheid bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweise. Eine Rechtsverletzung durch die weitere Zwangsgeldandrohung sei weder dem Grunde noch der Höhe nach erkennbar.
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4. Mit ihrer am 24. Oktober 2023 eingelegten und am 13. November 2023 begründeten Beschwerde machen die Antragsteller geltend, für den Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung lägen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch vor, da ihnen irreparable und irreversible Nachteile drohten. Die von der Antragsgegnerin betriebene Zwangsvollstreckung stelle eine selbständige Rechtsverletzung dar, weil sie allein den Zweck verfolge, ihren freien Willen hinsichtlich der Durchführung der Masernschutzimpfung zu brechen. Die Antragsteller hätten sich nach reiflichen und ernsthaften Überlegungen und tiefgehenden Recherchen und Gesprächen gegen eine Masernschutzimpfung der Antragstellerin zu 2. entschieden. Eine medizinische Kontraindikation liege nicht vor. Insofern sei es ihnen objektiv unmöglich, die mit – insofern nichtigem – Bescheid vom 16. Mai 2023 begründete Nachweisvorlagepflicht zu erfüllen; die Vorlage eines nicht existierenden Nachweises könne nicht mittels Zwangsgeld durchgesetzt werden. Daher seien die Antragsteller in nicht vorwerfbarer Weise daran gehindert, den verlangten Nachweis vorzulegen. Der Gesetzgeber habe für schulpflichtige Kinder und Jugendliche ausdrücklich einen Vorrang der Schulpflicht nach § 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG gegenüber dem Nachweiserfordernis i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG kodifiziert. Hierzu setze sich das Verwaltungsgericht in Widerspruch und vertrete letztlich eine vom Gesetz nicht vorgesehene mittelbare Impfpflicht. Auch der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 14. August 2023 sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts begründet. Die weitere Zwangsgeldandrohung begründe eine eigenständige Rechtsverletzung der Antragsteller, da sie allein den Zweck verfolge, zu einer Impfung zu nötigen und damit einer Impfpflicht „durch die Hintertür“ gleichkomme. Aufgrund der bestehenden Schulpflicht der Antragstellerin zu 2. und mangels medizinischer Kontraindikation bestehe für sie – im Unterschied zu Kindern im Vorschulalter- keine Möglichkeit, sich der Masernschutzimpfung zu entziehen.
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5. Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde mit Schriftsatz vom 28. November 2023 entgegen und verweist auf die Begründung des angegriffenen Beschlusses und ihren erstinstanzlichen Vortrag.
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6. Die Landesanwaltschaft Bayern hat sich als Vertreter des öffentlichen Interesses an den Beschwerdeverfahren beteiligt und hält – ohne einen Antrag zu stellen – die Zurückweisung der Beschwerde für rechtens. Da weder eine Masernimmunität noch eine medizinische Kontraindikation vorliege, sei die Antragstellerin zu 2. verpflichtet, einen Nachweis über einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern zu erbringen. Solange sie diesen Nachweis nicht vorlege, dürfe sie an der Schule nicht betreut werden. Mit der gesetzlichen Ausnahme für Schulpflichtige sei keine Legalisierung des Verhaltens der Antragstellerin zu 2. verbunden. Es sei auch kein Grund ersichtlich, weshalb die Vorlagepflicht nicht mit Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden können sollte. Da aber eine „Zwangsimpfung“ unter Anwendung körperlichen Zwangs ausgeschlossen sei, dürfe ein Zwangsgeld insbesondere im schulischen Kontext nicht so hoch sein oder so oft angewendet werden, dass es durch eine „wirtschaftlich erdrückende Wirkung“ einer „Zwangsimpfung“ gleichkomme. Dass eine solche „Opfergrenze“ hier erreicht wäre, sei aber weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen sowie auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde hat teilweise Erfolg.
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1. Der Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 123 VwGO (20 CE 23.1935) ist unbegründet. Nach Maßgabe des Beschwerdevorbringens – auf das sich die Prüfung des Senats grundsätzlich beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) – haben die Antragsteller keinen Anspruch auf Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung i.S.d. § 123 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 1 ZPO.
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Die Mitteilung über die Fälligkeit des in Ziff. 2 des Bescheids vom 16. Mai 2023 angedrohten Zwangsgelds mit Schreiben vom 14. August 2023 begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Die Fälligkeitsmitteilung ist Bestandteil der Anwendung des Zwangsmittels „Zwangsgeld“ (Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 31 Abs. 3 Satz 3, Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG, vgl. auch BayVGH, B.v. 16.10.2014 – 2 ZB 13.2466 – juris Rn. 3). Nach Art. 38 Abs. 3 VwZVG sind förmliche Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der Vollstreckungsbehörde bei der Anwendung eines Zwangsmittels aber nur insoweit zulässig, als geltend gemacht werden kann, dass diese (Vollstreckungs-)Maßnahmen eine selbständige Rechtsverletzung darstellen. Als selbständige Rechtsverletzung i.S.d. Art. 38 Abs. 3 VwZVG durch eine Fälligkeitsmitteilung kommen nur Umstände in Betracht, die die Voraussetzungen der Fälligkeit eines Zwangsgelds nach Art. 31 Abs. 3 Satz 3, Art. 23 Abs. 1 Nr. 2 VwZVG betreffen. Maßgeblich ist daher insbesondere, ob die Vollstreckungsvoraussetzungen der Zwangsgeldanwendung vorliegen und die zu vollstreckende Pflicht rechtzeitig und vollständig erfüllt wurde. Demgegenüber sind Einwendungen, die die materielle Rechtmäßigkeit des zu vollstreckenden Verwaltungsakts betreffen, im Rahmen eines auf Überprüfung der Fälligkeitsmitteilung gerichteten Verfahrens von vornherein ausgeschlossen.
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a) Dass die Voraussetzungen der Vollstreckung der mit Ziff. 1 des Bescheids vom 16. Mai 2023 begründeten Pflicht zur Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorliegen, stellt die Beschwerde nicht durchgreifend in Frage.
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aa) Bei Ziff. 1 des Bescheids vom 16. Mai 2023 handelt es sich um einen Verwaltungsakt i.S.d. Art. 18 Abs. 1 VwZVG i.V.m. Art. 35 Satz 1 BayVwVfG, der auf die Vornahme einer Handlung – nämlich die Vorlage eines Nachweises über die Immunität der Antragstellerin zu 2. gegen Masern oder über eine medizinische Kontraindikation gegen Masernschutzimpfungen – gerichtet ist (vgl. dazu bereits BayVGH, B.v. 21.9.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 2).
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Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist der Verwaltungsakt vom 16. Mai 2023 auch nicht als nichtig i.S.d. Art. 44 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 bis Nr. 6 BayVwVfG und damit als von vornherein unwirksam (vgl. Art. 43 Abs. 3 BayVwVfG) anzusehen. Wie sich aus dem eindeutigen Wortlaut des Bescheids vom 16. Mai 2023 ergibt, verpflichtet sein vollstreckbarer Inhalt im Einklang mit der Rechtsgrundlage des § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG ausschließlich zur Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG, nicht jedoch – und zwar auch nicht mittelbar – zur Durchführung bzw. Duldung einer Masernschutzimpfung (vgl. BayVGH, B.v. 21.9.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 5). Vor diesem Hintergrund liegt weder ein besonderer Nichtigkeitsgrund nach Art. 44 Abs. 2 BayVwVfG vor noch leidet der Bescheid an einem besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler i.S.d. Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG.
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Soweit die Antragsteller die Nichtigkeit des Bescheids darauf stützen, zur Vorlage eines solchen Nachweises schlechthin nicht in der Lage zu sein, liegt hierin allenfalls ein subjektives Unvermögen, aber kein Fall der – vom besonderen Nichtigkeitsgrund nach Art. 44 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG allein erfassten (vgl. nur BayVGH, U.v. 27.9.2007 – 22 B 04.891 – juris Rn. 15; Goldhammer in Schoch/Schneider, VerwR, Stand März 2023, § 44 VwVfG Rn. 78 m.w.N.) – objektiven Unmöglichkeit: Die Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG per se ist offenkundig keine Handlung, die „aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann“. Sofern sie im konkreten Einzelfall aus tatsächlichen Gründen nicht ausgeführt werden kann – etwa, weil ein solcher Nachweis nicht oder noch nicht existiert –, führt das als individuelles Unvermögen nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts. Die Verpflichtung zur Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG verlangt als solche auch weder die Begehung einer rechtswidrigen Tat (Art. 44 Abs. 2 Nr. 5 BayVwVfG) noch verstößt sie gegen die guten Sitten (Art. 44 Abs. 2 Nr. 6 BayVwVfG) noch leidet sie an einem besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehler i.S. der Generalklausel des Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG. Wenn im Einzelfall – wie auch im Fall der Antragsteller – kein vorlegbarer Nachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG existiert, führt das für sich genommen nicht dazu, dass die Vorlageverpflichtung „schlechterdings unerträglich, also mit tragenden Verfassungsprinzipien oder der Rechtsordnung immanenten Wertvorstellungen unvereinbar“ (BVerwG, B.v. 21.1.2016 – 4 BN 36.15 – juris Rn. 10 m.w.N.) und damit nichtig wäre. Denn ihr Zweck besteht darin, eine Anstoßwirkung gerade auch in solchen Fällen zu erzielen, in denen ein Nachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG von den Verpflichteten zwar bisher nicht beschafft wurde, dies aber noch nachgeholt werden kann.
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Soweit die Antragsteller mit ihrem Beschwerdevorbringen im Übrigen sinngemäß weitere Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 16. Mai 2023 geltend machen, sind sie damit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Fälligkeitsmitteilung vom 14. August 2023 ausgeschlossen (Art. 38 Abs. 3 VwZVG).
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bb) Die Anordnung in Ziff. 1 des Bescheids vom 16. Mai 2023 ist nach Art. 19 Abs. 1 VwZVG vollstreckbar, weil ein förmlicher Rechtsbehelf hiergegen bisher nicht erhoben wurde und aufgrund der gesetzlichen Anordnung in § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG jedenfalls keine aufschiebende Wirkung hätte.
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cc) Das Zwangsgeld wurde ordnungsgemäß schriftlich, in bestimmter Höhe und unter Bestimmung einer angemessenen Frist angedroht (Art. 36 Abs. 1 bis Abs. 5 VwZVG) und die Androhung – verbunden mit der zu vollstreckenden Anordnung – dem Antragsteller zu 1. förmlich zugestellt (Art. 36 Abs. 7 i.V.m. Art. 3 VwZVG).
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b) Die Zwangsgeldforderung ist schließlich zum 8. Juli 2023 fällig geworden, weil der Antragsteller zu 1. die mit Bescheid vom 16. Mai 2023 begründete Pflicht zur Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG nicht innerhalb der bis zum 7. Juli 2023 gesetzten Frist nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 VwZVG erfüllt hat (Art. 31 Abs. 3 Satz 3 VwZVG).
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Gegen die Anwendung des angedrohten Zwangsgelds (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 VwZVG) im Wege der Fälligstellung bestehen danach insgesamt keine Bedenken.
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2. Die Beschwerde im Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der am 30. August 2023 erhobenen Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 14. August 2023 (20 CS 20.1910) hat dagegen Erfolg. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig und begründet.
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a) Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die allgemein oder im Einzelfall ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage anordnen oder wiederherstellen. Dabei hat das Gericht – das Beschwerdegericht unter grundsätzlicher Beschränkung auf die fristgerecht geltend gemachten Gründe (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO) – seiner Entscheidung eine Abwägung der betroffenen Interessen auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Im Rahmen dieser Abwägung sind – soweit bei summarischer Prüfung bereits überschaubar – maßgeblich die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen, da das öffentliche Vollzugsinteresse bei einem rechtswidrigen Verwaltungsakt im Regelfall ebenso wenig schützenswert ist wie das Suspensivinteresse des Adressaten eines bereits absehbar rechtmäßigen Verwaltungsakts (stRspr, vgl. nur BVerwG, B.v. 9.6.2022 – 6 VR 2/21 – juris Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 89).
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b) Die Androhung eines weiteren Zwangsgelds in Höhe von 250,00 EUR durch Ziff. 1 des Bescheids vom 14. August 2023 verstößt bei summarischer Beurteilung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten (vgl. Art. 38 Abs. 1 Satz 3 VwZVG).
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aa) Zwar kann ein Zwangsmittel gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 2 VwZVG so lange und so oft angewendet werden, bis – was hier bislang unstrittig nicht der Fall ist – die aufgegebene Verpflichtung erfüllt wurde. Allerdings müssen das gewählte Zwangsmittel und damit auch die seiner Anwendung vorausgehende Androhung des Zwangsmittels im Einzelfall verhältnismäßig, d.h. insbesondere geeignet und erforderlich sein und in einem angemessenen Verhältnis zu ihrem Zweck stehen (Art. 29 Abs. 3 Satz 1 VwZVG; vgl. BayVGH, B.v. 27.8.2020 – 2 CS 20.1199 – juris Rn. 2; B.v. 13.2.1985 – 15 CS 85 A.50 – BayVBl 1985, 501; VGH BW, U.v. 4.12.2003 – 5 S 2781.02 – juris Rn. 21). Die von der Behörde getroffene Ermessensentscheidung ist gerichtlich daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten wurden und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 Satz 1 VwGO).
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bb) Hier hat die Antragsgegnerin das ihr eingeräumte Ermessen nicht im Einklang mit der gesetzlichen Grundlage des § 20 Abs. 12 IfSG ausgeübt.
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(1) Der Gesetzgeber hat mit dem Masernschutzgesetz vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) das Ziel verfolgt, durch eine deutliche Steigerung der Impfquote einen besseren Individualschutz von vulnerablen Personengruppen vor einer Masern-Infektion und einen „ausreichenden Gemeinschaftsschutz“ sowie „mittelfristig auch die Elimination der Masern in Deutschland“ zu erreichen (BT-Drs. 19/13452 S. 1 f.), wobei die Durchführung der Impfung selbst allerdings ausdrücklich freiwillig bleiben sollte (BT-Drs. 19/13452 S. 2; zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes vgl. insbesondere BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 71 ff.; OVG NW, B.v. 22.7.2022 – 13 B 1466/21 – juris Rn. 83 ff.; Rixen in Huster/Kingreen, Hdb. Infektionsschutzrecht, 2. Aufl. 2022, Kap. 5 Rn. 30 ff.; Gebhard in Kießling, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 36 ff.; Sangs in Sangs/Eibenstein, IfSG, 2022, § 20 Rn. 110 ff.; Aligbe in BeckOK Infektionsschutzrecht, Stand 10/2023, § 20 IfSG Rn. 176 ff.).
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Zur Erreichung des gesetzlichen Ziels einer Steigerung der Impfquote normiert § 20 Abs. 8 IfSG, dass alle, die nach dem 31. Dezember 1970 geboren sind (ältere Jahrgänge haben nach Untersuchungen zu mehr als 95% eine Masernerkrankung durchgemacht und werden deshalb als regelmäßig immun angesehen) und in bestimmten Gemeinschafts- und Gesundheitseinrichtungen wie u.a. Schulen und Kindergärten betreut werden, untergebracht oder tätig sind, ab Vollendung des ersten Lebensjahrs grundsätzlich entweder einen Impfschutz oder eine anderweitig erworbene Immunität gegen Masern aufweisen müssen, sofern bei ihnen keine medizinische Kontraindikation gegen eine Impfung besteht.
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Ein Nachweis über den Impfschutz, die Immunität oder die Kontraindikation ist grundsätzlich vor Beginn der Betreuung oder Tätigkeit zunächst der jeweiligen Einrichtungsleitung vorzulegen; in „Bestandsfällen“, in denen die Betroffenen bereits am 1. März 2020 in einer der genannten Einrichtungen betreut wurden oder tätig waren, lief eine entsprechende Vorlagefrist bis zum 31. Juli 2022 (§ 20 Abs. 9 Satz 1, Abs. 10 Satz 1 IfSG). Unterbleibt die Vorlage oder bestehen Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des Nachweises, hat die jeweilige Einrichtungsleitung das zuständige Gesundheitsamt zu informieren (§ 20 Abs. 9 Satz 2, Abs. 10 Satz 2 IfSG). Die rechtlichen Befugnisse des zuständigen Gesundheitsamts ergeben sich sodann aus § 20 Abs. 12 IfSG: Auf einer ersten Stufe kann die Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG binnen einer bestimmten Frist durch Verwaltungsakt verbindlich angeordnet werden (§ 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG). Wird daraufhin ein solcher Nachweis vorgelegt, bestehen aber Zweifel an dessen Echtheit oder inhaltlicher Richtigkeit, kann das Gesundheitsamt – ebenfalls durch Verwaltungsakt – eine ärztliche Untersuchung anordnen, Auskünfte einholen und Unterlagen einsehen (§ 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG). Wird dagegen innerhalb einer angemessenen Frist kein solcher Nachweis vorgelegt (oder ist die Echtheit oder inhaltliche Richtigkeit vom Gesundheitsamt widerlegt worden), ergibt sich das vom Gesetzgeber vorgezeichnete Entscheidungsprogramm aus § 20 Abs. 12 Satz 3 bis Satz 6 IfSG: Die zur Vorlage verpflichtete Person kann zu einer Beratung geladen werden (§ 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 1 IfSG); jedenfalls aber ist sie vom Gesundheitsamt zu einer Vervollständigung des Impfschutzes gegen Masern aufzufordern (§ 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 2 IfSG). Ob diese vom Gesetz als zwingend („hat“) ausgestaltete Aufforderung zur Vervollständigung des Impfschutzes auch dann erforderlich ist, wenn es im konkreten Einzelfall gar nicht an der Vollständigkeit des Impfschutzes, sondern nur an der Vorlage eines geeigneten Nachweises fehlt, bleibt nach dem Gesetzeswortlaut offen; die Begründung des Gesetzentwurfs spricht allerdings dagegen (vgl. BT-Drs. 19/13452 S. 30: „wenn ein solcher Impfschutz fällig ist“). Schließlich kann das Gesundheitsamt der vorlageverpflichteten Person in einem letzten Schritt durch Verwaltungsakt untersagen, die dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung dienenden Räume zu betreten oder in einer solchen Einrichtung tätig zu werden (§ 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG). Speziell ein solches – zudem kraft Gesetzes sofort vollziehbares (§ 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG) – Betretungs- oder Tätigkeitsverbot greift weitreichend in die Grundrechte der Betroffenen ein und bewirkt einen erheblichen Druck, die Anordnungen des Gesundheitsamts nach § 20 Abs. 12 Satz 1 und Satz 2 IfSG zu befolgen. Gegenüber schulpflichtigen (im Hinblick auf Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen i.S.d. § 33 Nr. 3 IfSG) und unterbringungspflichtigen Personen (im Hinblick auf Einrichtungen i.S.d. § 33 Nr. 4 und § 36 Abs. 1 Nr. 4 IfSG) ist der Erlass eines Betretungsverbots jedoch nach § 20 Abs. 12 Satz 5 und Satz 6 IfSG gesetzlich ausgeschlossen.
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Über den Erlass eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbots hinausgehende Konsequenzen für den Fall der Nichterfüllung einer Vorlageanordnung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG sieht das Gesetz nicht vor. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausdrücklich klargestellt, dass es sich beim Bestehen eines ausreichenden Impfschutzes oder einer anderweitig erworbenen Immunität gegen Masern „nicht um eine durch unmittelbaren Zwang durchsetzbare Pflicht“ handelt; vielmehr ergäben sich „die Konsequenzen eines nicht ausreichenden Impfschutzes beziehungsweise einer nicht ausreichenden Immunität (…) aus den Folgeabsätzen“, d.h. aus § 20 Abs. 9 ff. IfSG (BT-Drs. 19/13452 S. 27). Der Gesetzgeber hat seinem Beschluss demnach zugrunde gelegt, dass die Durchsetzung des grundsätzlichen Erfordernisses eines ausreichenden Impfschutzes oder einer anderweitigen Immunität gegen Masern für bestimmte Personengruppen aus § 20 Abs. 8 IfSG nur nach Maßgabe der speziell hierfür geschaffenen Regelungen (§ 20 Abs. 9 ff. IfSG) erfolgen soll. Ausnahmen und Freiheitsräume von dem Erfordernis einer Impfung oder Immunität, die nach Ausschöpfung der gesetzlich vorgesehenen Befugnisse verbleiben, sind danach hinzunehmen, zumal sie verfassungsrechtlich relevant – wenn nicht sogar geboten – sein dürften: Das Bundesverfassungsgericht hat das Gewicht des mit dem Erfordernis einer Impfung für bestimmte Personengruppen verbundenen Eingriffs in das Grundrecht der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG maßgeblich daran gemessen, ob jeweils auch ein Verzicht auf die Impfung – und sei es unter Inkaufnahme gravierender Nachteile – möglich bleibt (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 145; B.v. 27.4.2022 – 1 BvR 2649/21 – juris Rn. 209, 221). Vor diesem Hintergrund ist die im Gesetz angelegte (vgl. § 20 Abs. 12 Satz 8 IfSG; vgl. auch BT-Drs. 19/13452 S. 30: „eine durch Verwaltungsvollstreckungsrecht und insbesondere mit Zwangsgeld durchsetzbare Pflicht“) selbständige Vollstreckbarkeit einer behördlichen Anordnung der Vorlage eines Nachweises nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG aus systematischen, teleologischen und verfassungsrechtlichen Gründen zu begrenzen: Wird innerhalb einer angemessenen Pflicht trotz einer vollziehbaren behördlichen Anforderung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG kein Nachweis vorgelegt, ist im Regelfall der Erlass eines Betretungs- oder Tätigkeitsverbots nach § 20 Abs. 12 Satz 4 IfSG die gesetzlich vorgesehene Konsequenz. Parallel zu einem solchen Verbot wird eine (weitere) Vollstreckung der Nachweisvorlagepflicht mittels Zwangsgeld grundsätzlich schon deshalb nicht mehr in Betracht kommen, weil für die Dauer der Wirksamkeit des Betretungs- oder Tätigkeitsverbots keine Betreuungs-, Unterbringungs- oder Tätigkeitssituation besteht, die das Erfordernis eines Impfschutzes oder einer anderweitigen Immunität nach § 20 Abs. 8 IfSG begründen würde. Ist dagegen der Erlass eines Betretungsverbots ausnahmsweise gesetzlich ausgeschlossen – wie bei schul- und unterbringungspflichtigen Personen (§ 20 Abs. 12 Satz 5 und Satz 6 IfSG) – kann der vom Gesetzgeber damit belassene Freiheitsraum für den Verzicht auf eine Impfung nicht im Einzelfall dadurch geschlossen werden, dass im Wege einer Zwangsvollstreckung der Nachweisevorlagepflicht aus § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG im Ergebnis mittelbar die Durchführung der Impfung – denn nur diese stellt (anders als das Bestehen einer anderweitigen Immunität oder einer medizinischen Kontraindikation) ein individuell beeinflussbares Verhalten dar – behördlicherseits durchgesetzt wird. Schul- und unterbringungspflichtige Personen, bei denen weder eine anderweitige Immunität gegen Masern noch eine medizinische Kontraindikation gegen die Impfung besteht, können sich der Durchführung einer Impfung nicht dadurch entziehen, dass sie auf das Betreten der jeweiligen Schul- oder Unterbringungsräume verzichten (vgl. auch Art. 118 Abs. 1 i.V.m. Art. 36 BayEUG). Insbesondere der gesetzlichen Schulpflicht als Ausfluss des staatlichen Bildungsauftrags aus Art. 7 GG und dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf schulische Bildung kommt jeweils eine herausgehobene Bedeutung zu (vgl. zur Schulpflicht nur BVerfG, B.v. 15.10.2014 – 2 BvR 920/14 – juris Rn. 21; BVerwG, B.v. 15.10.2009 – 6 B 27/09 – juris Rn. 5; zum Recht auf Bildung vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2021 – 1 BvR 971/21, 1 BvR 1069/21 – juris Rn. 42 ff.; dazu auch Christ in NVwZ 2023, 1), was sich auch daraus ergibt, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens seitens des Bundesrats sogar noch weitergehend vorgeschlagen worden war, generell keine Betretungsverbote für Bildungseinrichtungen vorzusehen, da es auch bei nicht schulpflichtigen Personen „in keinem angemessenen Verhältnis [stehe], wegen des angestrebten Masernschutzes den Bildungsanspruch einzelner zu beeinträchtigen“ (BR-Drs. 358/1/19, Ausschussempfehlungen v. 6.9.2019, S. 15). Das Betreten der Schulräume steht jedenfalls von vornherein nicht zur Disposition schulpflichtiger Schülerinnen und Schüler. Insofern verbliebe ihnen – vorbehaltlich einer anderweitig erworbenen Immunität gegen Masern oder einer medizinischen Kontraindikation gegen die Impfung – bei einer zwangsweisen Durchsetzung der Pflicht zur Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG kein verfassungsrechtlich relevanter Freiheitsraum mehr, von der Durchführung einer Impfung abzusehen. Auf die Frage, wie oft und bis zu welcher Höhe Zwangsgelder angedroht werden können, kommt es dabei von vornherein nicht an.
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Dem kann im Übrigen schon aus logischen Gründen nicht entgegengehalten werden, die Vorlagepflicht hätte deshalb keine impferzwingende Wirkung, weil sie von den Betroffenen alternativ zur Durchführung der Impfung auch durch die Vorlage eines Nachweises der Immunität oder einer medizinischen Kontraindikation erbracht werden könne. Denn diese beiden Varianten sind – im Gegensatz zur Impfung – von den Betroffenen nicht zu beeinflussen. Wer nicht immun ist oder keine Kontraindikation aufweist, kann daran willentlich nichts ändern und daher auch keinen Nachweis über die Immunität oder eine Kontraindikation vorlegen, um keinen Impfnachweis vorlegen zu müssen.
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In welchen Konstellationen danach noch Raum für eine selbständige Durchsetzbarkeit der vom Gesetzgeber ausdrücklich als mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchsetzbar angesehene (vgl. BT-Drs. 19/13452 S. 30) Vorlagepflicht verbleibt, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung.
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Dass schließlich die unmittelbaren Folgen einer fehlenden Impfung oder anderweitigen Immunität bei schulpflichtigen Personen weniger ins Gewicht fallen als im gesetzlichen Regelfall, war dem Gesetzgeber bewusst (instruktiv dazu die Ausschussempfehlungen des Bundesrats vom 6.9.2019, wonach gerade Betretungs- und Betreuungsverbote Vorbehalte gegen die Masernimpfung und Chancenungleichheiten eher noch verstärken und berufliche Perspektiven nachhaltig beeinträchtigen könnten, vgl. BR-Drs. 358/1/19 S. 23 f.). Folgenlos bleibt die Verweigerung einer Impfung aber auch in diesen Fällen nicht: Zum einen gelten die Ausnahmen nur für die dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung dienenden Räume, nicht aber für alle anderen in § 20 Abs. 8 IfSG genannten Einrichtungen und Tätigkeiten. Zum anderen gelten die Ausnahmen auch nur zeitlich begrenzt für die Dauer der jeweiligen Schul- oder Unterbringungspflicht. Speziell für die Schulpflicht ergibt sich deren Dauer aus den Bestimmungen der Art. 35 ff. BayEUG: So endet die Vollzeitschulpflicht grundsätzlich nach neun Jahren (Art. 37 Abs. 3 BayEUG); wer danach den mittleren Schulabschluss erreicht hat, unterliegt im Anschluss auch keiner Berufsschulpflicht mehr (Art. 39 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 5 IfSG) und fällt demzufolge aus dem Anwendungsbereich von § 20 Abs. 9 Satz 9, Abs. 12 Satz 5 f. IfSG heraus. Für künftige (berufliche) Tätigkeiten in den in § 20 Abs. 8 Satz 1 IfSG genannten Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und medizinischen Einrichtungen gilt der Ausschluss von Betretungsverboten nach § 20 Abs. 12 Satz 5 und Satz 6 IfSG ohnehin nicht. Insofern haben auch schul- und unterbringungspflichtige Betroffene substantielle aktuelle und künftige Nachteile zu gewärtigen, soweit und solange sie an der Ablehnung der Masernschutzimpfung festhalten. Danach noch verbleibende (etwaige) Effektivitätsdefizite im Hinblick auf die Erreichung des mit dem Masernschutzgesetz vom 10. Februar 2020 verfolgten Ziels zu ermitteln und ggf. zu beheben, wäre allein Aufgabe des Gesetzgebers und nicht der mit der Normanwendung befassten Behörden und Gerichte.
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(2) Hier hat die Antragsgegnerin das von § 20 Abs. 12 IfSG vorgezeichnete Entscheidungsprogramm bei Erlass der erneuten Zwangsgeldandrohung durch Bescheid vom 14. August 2023 nicht hinreichend beachtet und damit ihr Ermessen in einer dem Gesetzeszweck widersprechenden Weise ausgeübt (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
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Ausweislich der vorgelegten Behördenakte hat die Antragsgegnerin den Antragsteller zu 1. nach Eingang der schulischen Mitteilung über das Fehlen eines ausreichenden Nachweises für die Antragstellerin zu 2. vom 25. August 2022 zunächst mit Anhörungsschreiben vom 31. Januar 2023 aufgefordert, einen Nachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG bis zum 17. März 2023 vorzulegen und für den Fall der Nichtvorlage den Erlass eines förmlichen Bescheids nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG angekündigt. Eine Reaktion der Antragsteller erfolgte nach Aktenlage nicht. Daraufhin hat die Antragsgegnerin den Antragsteller zu 1. mit Bescheid vom 16. Mai 2023 förmlich verpflichtet, einen Nachweis i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG bis zum 7. Juli 2023 vorzulegen und für den Fall der Nichterfüllung sogleich ein Zwangsgeld in Höhe von 150,00 EUR angedroht. Aus dem als „Widerspruch“ gegen die Vorlageverpflichtung bezeichneten Schreiben des Antragstellers zu 1. vom 20. Juni 2023 unter Bezugnahme auf ein Telefonat und ein weiteres – nicht in der Akte befindliches – Schreiben ergibt sich, dass eine Impfung der Antragstellerin zu 2. jedenfalls bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das Masernschutzgesetz „im Schulkontext“ wegen Bedenken gegen dessen Verfassungsmäßigkeit abgelehnt wird. Daraufhin hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 14. August 2023 lediglich das zunächst angedrohte Zwangsgeld fällig gestellt und ein weiteres angedroht, sollte die Vorlage eines Nachweises nicht bis zum 14. September 2023 erfolgen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Androhung eines weiteren, höheren Zwangsgelds sei erforderlich, weil das zunächst angedrohte Zwangsgeld nicht zum Ziel geführt habe; Zwangsmittel könnten so lange und so oft angewendet werden, bis die Verpflichtung erfüllt sei.
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Damit hat die Antragsgegnerin die Entscheidungssystematik des § 20 Abs. 12 IfSG nicht beachtet. Spätestens mit Eingang des Schreibens des Antragstellers zu 1. vom 20. Juni 2023 – laut Eingangsstempel des Gesundheitsamts am 22. Juni 2023 – war ihr bekannt, dass die bis dahin unterbliebene Vorlage eines Nachweises i.S.d. § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG auf der Ablehnung einer Impfung der Antragstellerin zu 2. gegen Masern – und nicht etwa auf Nachlässigkeit oder Versehen – beruht. Ungeachtet dessen hat die Antragsgegnerin die Antragsteller weder nach § 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 1 IfSG zu einer Beratung geladen noch nach § 20 Abs. 12 Satz 3 Halbs. 2 IfSG zu einer Vervollständigung des Impfschutzes aufgefordert. Bereits dies macht die Androhung eines weiteren Zwangsgelds ermessensfehlerhaft. Darüber hinaus hat sie aber auch nicht beachtet, dass die Antragstellerin zu 2. ausweislich der schulischen Meldung vom 25. August 2022 im Jahr 2015 eingeschult wurde und damit jedenfalls bei Bescheiderlass noch der gesetzlichen Vollzeitschulpflicht unterlag (Art. 37 Abs. 3 BayEUG); auch aus diesem Grund kam die Androhung eines weiteren Zwangsgelds nicht in Betracht, denn der von § 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG vorgesehene Ausschluss eines Betretungsverbots für Schulräumlichkeiten im Hinblick auf die schulpflichtige Antragstellerin zu 2. darf nicht im Wege einer Durchsetzung der Nachweisvorlageverpflichtung konterkariert werden. Es steht nicht im Ermessen der Gesundheitsämter, die generalisierende Entscheidung des Gesetzgebers, der Erfüllung der Schulpflicht im Einzelfall ein größeres Gewicht zuzumessen als einer Durchsetzung der Impf- oder Immunitätsvorgabe des § 20 Abs. 8 IfSG, zu korrigieren.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3, § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG unter Berücksichtigung der Ziff. 1.1.1, 1.1.3, 1.5 und 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Dabei ist für das Verfahren 20 CE 23.1935 im Ergebnis die Hälfte des fällig gestellten Zwangsgelds (= 75,00 EUR), im Verfahren 20 CS 23.1910 im Ergebnis ein Viertel des angedrohten Zwangsgelds (= 62,50 EUR) anzusetzen. Da mit den Entscheidungen eine (teilweise) Vorwegnahme der jeweiligen Hauptsache nicht verbunden ist, hat der Senat von einer Anhebung des Streitwerts nach Ziff. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs abgesehen.
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4. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).