Titel:
Wertfestsetzung in einem Kündigungsschutzverfahren mit mehreren Kündigungen
Normenketten:
RVG § 23 Abs. 1 S. 1, § 33
GKG § 39, § 45 Abs. 1, Abs. 4
Leitsätze:
1. Ein als sog. Schleppnetzantrag gestellter allgemeiner Feststellungsantrag ist jedenfalls dann wertmäßig zu berücksichtigen, wenn der Ausspruch einer weiteren Kündigung im erstinstanzlichen Verfahren unstreitig ist und die Klagepartei ihre Unwirksamkeit in Beachtung der §§ 4, 7 KSchG erstinstanzlich noch geltend machen kann (unklar Ziff I Nr. 17.2 Streitwertkatalog 2024). (Rn. 28)
2. Wird Beschwerde nach § 33 Abs. 3 RVG nur gegen die Gegenstandswertfestsetzung für den Vergleich, nicht aber gegen die Gegenstandswertfestsetzung für das Verfahren eingelegt, ist die Beschwerdekammer nicht gehindert, für einzelne Anträge eine abweichende Einzelbewertung gegenüber ihrer Einzelbewertung im Rahmen der rechtskräftigen Gegenstandsbewertung für das Verfahren vorzunehmen. Die einzelnen Anträge sind nur Begründungselemente für die Bildung des einen (Gesamt-) Gegenstandswerts, der allein über die Höhe der Gebühren entscheidet. (Rn. 29)
1. Die Entscheidung des Erstgerichts ist vom Beschwerdegericht nicht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen. Vielmehr hat das Beschwerdegericht eine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. In den Wert eines Vergleichs sind die Werte aller rechtshängigen oder nicht rechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die durch den Vergleich geregelt wurden. Der Vergleich über nicht rechtshängige Ansprüche führt im Umfang von deren – nach allgemeinen Regeln zu ermittelnden – Einzelwerten zu einem Mehrwert des Vergleichs. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwert kommt es darauf an, worüber und nicht worauf die Parteien sich geeinigt haben. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gegenstandswert, Allgemeiner Feststellungsantrag, Schleppnetzantrag, Rechtskraft des Wertfestsetzungsbeschlusses, Streitwert
Vorinstanz:
ArbG München, Beschluss vom 21.12.2023 – 19 Ca 8185/23
Fundstellen:
BeckRS 2024, 6442
LSK 2024, 6442
NZA-RR 2024, 671
Tenor
Auf die Beschwerde des Beklagtenvertreters und unter ihrer gebührenpflichtigen Zurückweisung im Übrigen wird der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 21.12.2023 – 19 Ca 8185/23 – teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt gefasst:
Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für den Vergleich wird auf 6.667,74 € unter Berücksichtigung eines Vergleichsmehrwerts von 2.117,74 € festgesetzt.
Der Beklagtenvertreter hat die Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zum GKG zu tragen.
Gründe
1
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten begehrt im Beschwerdeverfahren die Festsetzung eines höheren Gegenstandswerts für den Vergleich zur Berechnung seiner Anwaltsgebühren.
2
Die Parteien stritten im Ausgangsverfahren über einen Kündigungsschutzantrag gegen eine außerordentliche fristlose Kündigung vom 05.08.2023 und einen allgemeinen Feststellungsantrag. Der Klägerin war mit Schreiben vom 19.08.2023 vorsorglich eine weitere außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund ausgesprochen worden. Das Verfahren endete durch Vergleich gem. § 278 Abs. 6 ZPO vom 31.10.2023, für dessen Inhalt auf Bl. 45 ff. d. A. Bezug genommen wird. Neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Kündigung vom 05.08.2023 zum 30.09.2023 verpflichtete sich die Beklagte in Ziff. 2 zur ordnungsgemäßen Abrechnung und Zahlung eines Gesamtbetrags in Höhe von 600,00 € brutto, in Ziff. 3 zur Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses und zu Ziff. 4 zur Unterschrift des Ausbildungsnachweises bzw. Berichtshefts nach Vorlage durch die Klägerin.
3
Auf Antrag des Beklagtenvertreters und nach Anhörung der Beklagten hat das Arbeitsgericht München durch Beschluss vom 21.12.2023 – 19 Ca 8185/23 – den Gegenstandswert zum Zwecke der anwaltlichen Gebührenberechnung für das Verfahren auf 3.900,00 € und für den Vergleich auf insgesamt 6.017,74 € festgesetzt. Bei der Wertfestsetzung für das Verfahren legte es für den Kündigungsschutzantrag drei Gehälter zu je 1.300,00 € brutto zugrunde. Für den allgemeinen Feststellungsantrag wurde kein Wert angesetzt. Als Vergleichsmehrwert berücksichtigte es für die Zeugnisregelung (Ziff. 3 des Vergleichs) eine Monatsvergütung, für die Vergütungsregelung (Ziff. 2 des Vergleichs) einen Betrag von 167,74 € als Vergütungsanspruch gem. § 611a Abs. 2 BGB für die Zeit vom 01.08.2023 bis 04.08.2023 und für die Regelung zur Unterschrift des Ausbildungsnachweises bzw. Berichtshefts nach Vorlage durch die Klägerin (Ziff. 4 des Vergleichs) eine halbe Monatsvergütung. In Bezug auf Ziff. 4 des Vergleichs lehnte es eine höhere Wertfestsetzung wegen wirtschaftlicher Identität der Annahmeverzugsansprüche mit dem Kündigungsschutzantrag ab.
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Gegen diesem, ihm am 07.01.2024 zugestellten Beschluss hat der Beklagtenvertreter im eigenen Namen am 10.01.2024 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Gegenstandswert für den Vergleich auf 9.750,00 € festzusetzen.
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Der Klageantrag in Ziff. 2 enthalte einen allgemeinen Feststellungsantrag, von dem auch die zweite Kündigung vom 19.08.2023 erfasst gewesen sei. Da vom Beklagtenvertreter auf diese Kündigung hingewiesen worden sei, sei auch darüber verhandelt und insgesamt eine Einigung erzielt worden. Dies ergebe sich auch aus dem zwischen den Parteien vereinbarten Beendigungsdatum 30.09.2023, das zeitlich nach den beiden Kündigungen liege. Aufgrund der Differenztheorie sei der Wert mit einem halben Bruttomonatsgehalt anzusetzen. Für die Regelung zum Berichtsheft sei nach § 3 ZPO ein Bruttomonatsgehalt anzusetzen, weil es für die Klägerin eine erhebliche und mindestens einem Zeugnis gleiche Bedeutung habe. Der zunächst geschlossene widerrufliche Vergleich sei seitens der Klägerin widerrufen worden, weil sie gemeint habe, dass ihr das Berichtsheft nicht mehr vorliege und der Beklagte dies haben müsste, was nicht der Fall gewesen sei. Sollte das Arbeitsgericht der Beschwerde nicht abhelfen, sei der in Ziffer 3 des Vergleichs geregelte Vergütungsanspruch als Gegenstandswert mit zu berücksichtigen. Mit dem Bestand eines Ausbildungsverhältnisses sei ein Vergütungsanspruch nicht garantiert, da dieser von weiteren Voraussetzungen abhinge (Leistungsfähigkeit, Leistungswille, etc.). Darüber hinaus sei zwischen den Parteien auch die Höhe der Ausbildungsvergütung streitig gewesen. Eine wirtschaftliche Identität mit den Feststellungsanträgen bestehe daher nicht, so dass die Beträge streitig gewesen seien und sich die Parteien auf einen Pauschalbetrag in Höhe von 600,00 € brutto verständigt hätten.
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Durch Beschluss vom 01.03.2024 hat das Arbeitsgericht München der Beschwerde des Beklagtenvertreters nicht abgeholfen und die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Die Beschwerde des Beklagtenvertreters sei gemäß § 33 Abs. 3 RVG zulässig, aber unbegründet. Hinsichtlich der Vergütung für die Monate August und September 2023 bestehe zumindest teilweise eine wirtschaftliche Identität mit der Beendigungsstreitigkeit. Der allgemeine Feststellungsantrag könne in Bezug auf die zweite Kündigung vom 19.08.2023 keine höhere Wertfestsetzung rechtfertigen. Dies wäre ggf. beim Verfahrenswert möglich gewesen. Nachdem der Beklagtenvertreter jedoch nur gegen die Festsetzung des Gegenstandswertes für den Vergleich Beschwerde eingelegt habe, sei die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Verfahren rechtskräftig geworden. Eine höhere Wertfestsetzung komme von daher nicht (mehr) in Betracht. Hinsichtlich der Wertfestsetzung zu Ziff. 4 des Vergleichs – Unterschrift des Berichtshefts – verbleibe es bei einem halben Bruttogehalt. Die Ausführungen des Beklagtenvertreters zu den Widerrufsgründen der Klägerin seien nicht nachvollziehbar. Der Regelung ließe sich gerade nicht entnehmen, dass die Klägerin das Berichtsheft „nochmals erstellt“. Der Beklagtenvertreter lege nicht dar, warum das Berichtsheft eine erhebliche Bedeutung für die Klägerin gehabt habe, insbesondere, warum es für die Klägerin einem Zeugnis gleichzusetzen sei. Da das Berichtsheft allein Aussagen über die bisher geleisteten Tätigkeiten beinhalte, wäre allenfalls ein Vergleich mit einem einfachen Arbeitszeugnis, das Ausführungen zu Art und Dauer des Dienstverhältnisses sowie die regelmäßig erbrachten Leistungen enthalte, angebracht. Vor diesem Hintergrund erscheine die Festsetzung eines halben Gehalts bereits als großzügig.
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Im Rahmen der Beschwerde ergänzte der Beklagtenvertreter seine Begründung dahin, dass mit dem Vergleich auch die streitige Wirksamkeit der zweiten Kündigung vom 19.08.2023 verhandelt worden sei, weshalb die Einigung mit einem halben Bruttomonatsgehalt aufgrund der Differenztheorie zu berücksichtigen sei. Dem stehe die Gegenstandswertfestsetzung für das Verfahren nicht entgegen. Der im Regelfall hilfsweise gestellte Feststellungsantrag sei im Regelfall nicht in den Verfahrenswert einzurechnen. Er habe erst durch den Vergleich eine Regelung erfahren. Aufgrund des Endzeitpunktes seien tatsächlich auch beide Kündigungen einbezogen worden, so dass insoweit ein Vergleichsmehrwert wie beantragt festzusetzen sei. Hinsichtlich des Berichtsheftes sei ein weiteres halbes Gehalt zu berücksichtigen. Die Parteivertreter hätten in einer telefonischen Verhandlung am 23.10.2023 zum Berichtsheft verhandelt. Die Klägervertreterin habe eine Regelung gewollt, dass sich der Beklagte verpflichte, das vorliegende Berichtsheft zu unterzeichnen, was aufgrund des fehlenden Zuganges nicht möglich gewesen sei. Letztlich hätten die Parteien sich dann, wie auch im ersten Vergleich, darauf verständigt, dass die Klägerin das Berichtsheft zur Unterschrift vorlege und nach einer entsprechenden Unterschrift an die Klägerin zurückgegeben werde. Der Wert des Berichtsheftes sei gem. § 3 ZPO an dem Interesse der Klagepartei zu orientieren. Das Berichtsheft müsse alle Ausbildungsinhalte enthalten und vom Ausbilder gegengezeichnet sein und, damit überhaupt die Prüfung abgelegt werden könne, dem Prüfungsausschuss vorgelegt werden. Ohne Berichtsheft sei eine Abschlussprüfung nicht möglich. Insoweit gehe es nicht nur um den Inhalt, sondern um den Zweck, den das Berichtsheft erfülle. Für die Vergütungsregelung des Vergleichs seien 600,00 € zugrunde zu legen. Der Bestand des Ausbildungsverhältnisses sei nicht wirtschaftlich identisch mit der Zahlung der Vergütung. Obwohl das Ausbildungsverhältnis auch für den Zeitraum vom 05.08.2023 bis zum 30.09.2023 fortbestehe, werde an die Klägerin nur eine Vergütung in Höhe von insgesamt 600,00 € gezahlt, obwohl die monatliche Vergütung 1.300,00 € brutto betragen habe. Bei einem Ausbildungsverhältnis sei der Bestand für die Auszubildende hinsichtlich der Ablegung der Prüfung relevant, da sie die entsprechenden Ausbildungszeiten erfüllt haben müsse, um die Prüfung ablegen zu können, was völlig unabhängig vom Vergütungsanspruch sei.
8
Im Übrigen wird für das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.
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Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Die Beschwerde ist nach § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft. Die Gegenstandswertfestsetzung im Urteilsverfahren richtet sich im Fall des Vergleichsabschlusses nach § 33 RVG. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 33 Abs. 1 RVG, dem Willen des Gesetzgebers und dem Sinn und Zweck des in § 33 RVG geregelten Verfahrens der „Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren“ (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 39 ff.).
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2. Die ist nach § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG. Der Beschwerdewert ist erreicht, § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG.
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3. Die Beschwerde ist nur zu einem geringen Teil begründet.
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a) Die seit dem 01.06.2023 für Gegenstands- und Streitwertbeschwerden zuständige Kammer gibt die von ihr bisher vertretene Auffassung ausdrücklich auf, dass die Entscheidung des Erstgerichts vom Beschwerdegericht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen ist und das Beschwerdegericht keine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 50 f.).
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b) Die Beschwerdekammer folgt im Interesse der bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Wertfestsetzung und damit verbunden im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei bestimmten typischen Fallkonstellationen den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission, die im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte niedergelegt sind, derzeit in der Fassung vom 01.02.2024 (im Folgenden: Streitwertkatalog 2024, abgedruckt u. a. in NZA 2024, 308 ff.; ebenso zu früheren Fassungen des Streitwertkatalogs LAG Nürnberg, Beschluss vom 30.07.2014 – 4 Ta 83/14 – Rn. 18 und Beschluss vom 29.07.2021 – 2 Ta 72/21 – Rn. 9; LAG Hessen, Beschluss vom 04.12.2015 – 1 Ta 280/15 – Rn. 7 m.w.Nachw.; LAG RheinlandPfalz, Beschluss vom 09.02.2016 – 5 Ta 264/15 – Rn. 4; LAG Hamburg, Beschluss vom 20.5.2016 – 5 Ta 7/16 – Rn. 10; LAG Sachsen, Beschluss vom 28.10.2013 – 4 Ta 172/13 (2) unter II. 1 der Gründe¸ LAG Hamm Beschluss vom 26.10.2022 – 8 Ta 198/22 – Rn. 11; LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 52 f.). Dabei wird nicht verkannt, dass der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte nicht bindend ist.
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c) Der Gegenstandswert für den Vergleich ist auf 6.667,74 € unter Berücksichtigung eines Mehrwerts von 2.117,74 € festzusetzen.
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aa) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht nach Nr. 1000 Abs. 1 VV RVG (Anlage 1 zum RVG) i. V. m. § 2 Abs. 2 RVG für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Durch den Verweis des § 2 Abs. 2 RVG auf die Anlage 1 wird diese zum Inhalt der gesetzlichen Vergütungsregelungen (vgl. Toussaint/Toussaint, 53. Aufl. 2023, RVG § 2 Rn. 4).
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In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nicht rechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die durch den Vergleich geregelt wurden (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.02.2024 – 26 Ta (Kost) 6095/23 – Rn. 17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09. 06. 2008 – 24 W 17/08 – unter II. 2 der Gründe; Bischof in Bischof/Jungbauer/Bräuer/Hellstab/Klipstein/Klüsener/Kerber, RVG, 8. Aufll. 2018, Nr. 1000 VV RVG Rn. 109). Dient der Vergleich der Beilegung des Rechtsstreits, dann entspricht sein Wert dem Wert der Klageanträge (vgl. BGH, Beschluss vom 27. 4. 1964 – III ZR 45/63 –). Von ihm erfasste Hilfsanträge, Hilfswiderklagen oder Hilfsaufrechnungen sind nach Maßgabe von § 45 Abs. 4 GKG zu bewerten. Der Vergleich über nicht rechtshängige Ansprüche führt im Umfang von deren – nach allgemeinen Regeln zu ermittelnden – Einzelwerten zu einem Mehrwert des Vergleichs (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auf. 2021, § 3 ZPO Rn. 230 m. w. Nachw.).
18
Der Regelung in Nr. 1000 VV RVG (Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) tragen die Empfehlungen für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts in Ziffer I Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs 2024 Rechnung, wonach ein Vergleichsmehrwert anfällt, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um eine Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses.
19
Die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts ist danach nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die Parteien während ihrer Vergleichsverhandlungen über die gerichtlich anhängigen Gegenstände weitere Ansprüche ansprechen und auch sie eine Regelung in dem Vergleich erfahren. Zwar wird eine Einigung der Parteien häufig nur zu erreichen sein, wenn derartige Vereinbarungen getroffen werden; denn die Parteien sind nicht selten nur dann zum Abschluss eines Vergleichs bereit, wenn weitere Fragen geregelt werden und ein diesbezüglicher zukünftiger Streit vermieden wird. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts, die zum Abschluss eines Vergleichs führt, ist jedoch mit der Einigungsgebühr als solcher abgegolten. Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts und die damit verbundene Gebührenerhöhung – es entstehen eine 0,8 Verfahrensgebühr (Nr. 3101 RVG-VV) und eine 1,5 Einigungsgebühr nach diesem Wert (Nr. 1000 RVG-VV) sowie eine 1,2 Termingebühr nach der Summe der verglichenen rechtshängigen und nichtrechtshängigen Gegenstände (Nr. 3104 RVG-VV) – muss darüber hinaus festgestellt werden, dass die geregelten Gegenstände vor Abschluss des Vergleichs streitig oder ungewiss waren. Hierzu genügen weder die Vergleichsverhandlungen als solche noch Regelungen, durch die Leistungspflichten erstmals begründet oder beseitigt werden, oder die Rechtsverhältnisse lediglich klarstellen. Auch genügt es für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwertes nicht, dass eine der Parteien in den Vergleichsverhandlungen Forderungen aufstellt, um einen Vergleich zu erreichen; für einen Vergleichsmehrwert muss vielmehr der potentielle Streitgegenstand eines künftigen Verfahrens eine Regelung erfahren (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 8. März 2017 – 17 Ta (Kost) 6013/17, Rn 2 f.; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.02.2024 – 26 Ta (Kost) 6095/23 – Rn. 17 f.).
20
Für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwert kommt es deshalb darauf an, worüber – und nicht worauf – die Parteien sich geeinigt haben (h. M., vgl. Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Auf. 2021, § 3 ZPO Rn. 230 m. w. Nachw.; vgl. auch LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 66 f.). Einer etwa entgegenstehenden Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts München (Beschluss vom 09.02.2018 – 7 Ta 55/17 –) schließt sich die nunmehr zuständige Beschwerdekammer nicht an.
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bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Gegenstandswert für den Vergleich um den Wert des Feststellungsantrags, der die außerordentliche weitere Kündigung vom 19.08.2023 erfasste, zu erhöhen. Hinsichtlich der Vergleichsregelungen zur Vergütung (Ziff. 2) und zum Berichtsheft (Ziff. 4) ist ein bzw. ein höherer Mehrwert nicht begründet.
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(1) Der allgemeine Feststellungsantrag ist in Höhe eines halben Bruttogehalts von 650,00 € anzusetzen.
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(a) Mit dem allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 Abs. 1 ZPO liegt im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Hinblick auf das Rechtsschutz- und Kosteninteresse des Arbeitnehmers regelmäßig ein unechter Hilfsantrag vor, der nur für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zur Entscheidung anfallen sollte (vgl. BAG 10.12.2020 – 2 AZR 308/20 – Rn. 29; Beschluss vom 28.02.2023 – 2 AZN 22/23 – Rn. 7). Gegenstand des allgemeinen Feststellungsantrags ist der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den in der daneben angegriffenen Kündigung avisierten Beendigungstermin hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl. BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 6 AZR 154/21 – Rn. 16 und 17). Erfasst von dem allgemeinen Feststellungsantrag sind deshalb alle nach dem Vortrag der Parteien in Betracht kommenden Beendigungsgründe (vgl. BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 31). Die Zulässigkeit des allgemeinen Feststellungsantrags setzt ein besonderes Feststellungsinteresse voraus, das dann vorliegt, wenn der klagende Arbeitnehmer weitere streitige Beendigungstatbestände oder wenigstens deren Möglichkeit in den Prozess einführt und damit dartut, dass er an dem die Klage nach § 4 KSchG erweiternden Antrag ein rechtliches Interesse hat (vgl. BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 32). Der Arbeitnehmer wahrt mittels allgemeiner Feststellungsklage die Frist des § 4 S. 1 KSchG in Bezug auf eine während des erstinstanzlichen Kündigungsschutzverfahrens ausgesprochenen weiteren Kündigung, wenn er die fragliche Kündigung noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz – nunmehr konkret bezeichnet – in den Prozess einführt und auf sie bezogen einen punktuellen Kündigungsschutzantrag stellt (vgl. BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 33 f.; Urteil vom 16.12.2021 – 6 AZR 154/21 – Rn. 23 f.; Urteil vom 28.04.2022 – 6 AZR 342/21 – Rn. 16).
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(b) Die Wertfestsetzung für einen unechten Hilfsantrag beurteilt sich nach § 45 Abs. 1 S. 2 und 3 GKG, auf den § 23 Abs. 1 S. 1 RVG für den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren verweist (vgl. auch LAG München, Beschluss vom 09.11.2023 – 3 Ta 170/23 – Rn. 27). Der unechte Hilfsantrag wirkt sich deshalb werterhöhend aus, soweit über ihn eine Entscheidung ergeht (BAG, Urteil vom 17.12.2015 – 2 AZR 304/15 – Rn.30, zit. BeckRS 2016, 67910) und prozessrechtlich ergehen durfte (vgl. BAG, Urt. vom 10.12.2020 – 2 AZR 308/20 – Rn. 9: Verstoß gegen § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO bei Abweisung des unechten Hilfsantrags nach Erfolglosigkeit des Hauptantrags; BGH, Beschluss vom 14.04.1999 – IV ZR 253/98 –; LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31.05.2021 – 26 Ta (Kost) 6058 –) oder er durch Vergleich erledigt wird, § 45 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 S. 2 GKG (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.09.2016 – 5 Ta 101/16 – Rn. 20; LAG Berlin-Brandenburg, etwa Beschluss vom 08.05.2023 – 26 Ta (Kost) 6213/21 – Rn. 7; LAG München, Beschluss vom 09.11.2023 – 3 Ta 170/23 – Rn. 24; Beschluss vom 21.12.2023 – 3 Ta 187/23 – zur Veröffentlichung bestimmt). Dabei ist für den Regelfall davon auszugehen, dass in einem Auflösungsvergleich sämtliche in das Verfahren eingeführten Beendigungstatbestände sachlich mitgeregelt worden sind. Denn Gegenstand der Vergleichsverhandlungen sind meist alle Beendigungstatbestände. Der gewählte Beendigungszeitpunkt wirkt sich im Rahmen des „Gesamtpakets“ dahin aus, dass in der Regel sämtliche Beendigungstatbestände als wertbildende Faktoren einfließen und damit jedenfalls materiell im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 GKG mit geregelt werden (vgl. LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.09.2016 – 5 Ta 101/16 – Rn. 20; LAG BerlinBrandenburg, Beschluss vom 19.05.2021 – 17 Ta (Kost) 6041/21 – Rn. 5 und vom 08.05.2023 – 26 Ta (Kost) 6213/21 – Rn. 13; LAG München, Beschluss vom 21.12.2023 – 3 Ta 187/23 – zur Veröffentlichung bestimmt).
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Nach Ziff. I Nr. 20 i. V. m. Nr. 21.3 Streitwertkatalog 2024 wird – wenn mehrere Kündigungen streitgegenständlich sind – die erste Kündigung mit der Vergütung für ein Vierteljahr bewertet (§ 42 Abs. 2 S. 1 GKG), es sei denn, unter Auslegung des Klageantrags und der Klagebegründung ist nur der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses von unter drei Monaten im Streit. Die erste Kündigung ist stets die Kündigung mit dem frühesten Beendigungszeitpunkt, auch wenn sie später ausgesprochen und später angegriffen wird. Für die Folgekündigungen ist jeweils die Entgeltdifferenz zwischen den verschiedenen Beendigungszeitpunkten, maximal die Vergütung für ein Vierteljahr anzusetzen. Nach Ziff. I Nr. 21.1 Streitwertkatalog 2024 ist eine außerordentliche Kündigung, die hilfsweise als ordentliche erklärt wird (einschließlich ihrer Umdeutung nach § 140 BGB), höchstens mit der Vergütung für ein Vierteljahr zu bewerten, unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren Schreiben erklärt werden. Diese Grundsätze für die Wertfestsetzung bei mehreren Kündigungen rechtfertigen sich aus der Überlegung, dass nach der (erweiterten) punktuellen Streitgegenstandstheorie jeder Feststellungsantrag, der sich auf eine konkrete Kündigung bezieht, einen eigenen Streitgegenstand darstellt, es andererseits bei allen Anträgen um wirtschaftlich das gleiche Ziel geht, nämlich den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus (GMP/Künzl, 10. Aufl. 2022, ArbGG § 12 Rn. 108; LAG BerlinBrandenburg, Beschluss vom 15.11.2019 – 26 Ta (Kost) 6086/19 – Rn. 5 ff.; vom 05.08.2022 – 26 Ta (Kost) 6047/22 – Rn. 20 ff.; LAG München, Beschluss vom 09.11.2023 – 3 Ta 170/23 – Rn.23; Beschluss vom 21.12.2023 – 3 Ta 187/23 – zur Veröffentlichung bestimmt).
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(c) Nach Maßgabe dieser Grundsätze für den Feststellungsantrag ein halbes Bruttogehalt anzusetzen.
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Im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen ist auch für den hier vorliegenden Feststellungsantrag zu 2. davon auszugehen, dass er als unechter Hilfsantrag für den Fall der Begründetheit des Kündigungsschutzantrags zu 1. gestellt worden ist. Der Antrag zu 2. erhöht den Gegenstandswert für das Verfahren und den Vergleich deshalb nur dann, wenn er durch den Vergleich erledigt worden ist, § 45 Abs. 4 GKG. Hiervon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Mit der Vereinbarung zur Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses erst zum 30.09.2023 haben die Parteien eine Regelung über die Unwirksamkeit der vorsorglichen außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 19.08.2023 getroffen. Auch diese hat das Ausbildungsverhältnis der Klagepartei nicht mit ihrem Zugang beendet; das Ausbildungsverhältnis sollte nach Ziff. 1 des Vergleichs erst am 30.09.2023 enden. Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2023 aufgrund der ersten Kündigung vom 05.08.2023 geeinigt haben. Würde deshalb eine Einigung in Bezug auf die zweite Kündigung vom 19.08.2023 verneint werden, würde dies eine verkürzte Schlussfolgerung vom „Worauf“ auf das „Worüber“ der Einigung darstellen und nicht hinreichend berücksichtigen, dass in das „Gesamtpaket“ der vergleichsweisen Beendigung typischerweise sämtliche Beendigungsakte als wertbildende Faktoren einfließen und damit materiell im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 4 GKG mit geregelt werden (LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.09.2016 – 5 Ta 101/16- Rn. 19). Nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägervertreters haben die Parteien zudem sowohl in der Güteverhandlung als auch im Nachgang nach dem Widerruf des dort geschlossenen Vergleichs über beide Kündigungen verhandelt. Auch das Arbeitsgericht hielt einen Wertansatz für die Kündigung vom 19.08.2023 beim Verfahrenswert für möglich.
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Ein Wertansatz ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Kündigung vom 19.08.2023 noch nicht formal in das Verfahren eingeführt war. Hierzu war die Klagepartei zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses – nach der Güte-, aber vor der Kammerverhandlung – nicht verpflichtet. Sie konnte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz abwarten, den punktuellen Kündigungsschutzantrag in Bezug auf die fragliche Kündigung vom 19.08.2023 – nunmehr konkret bezeichnet – zu stellen (vgl. BAG, Urteil vom 26.09.2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 33 f.; BAG, Urteil vom 16.12.2021 – 6 AZR 154/21 – Rn. 23 f.). Maßgeblich für die Wertfestsetzung in Bezug auf den hier vorliegenden allgemeinen Feststellungsantrag ist deshalb, dass dieser Antrag zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses prozessual die Interessen der Klagepartei, die Unwirksamkeit der Kündigung vom 19.08.2023 in Beachtung der §§ 4, 7 KSchG geltend zu machen, ausreichend wahrte (deutlich BAG, Urteil vom 28.04.2022 – 6 AZR 342/21 – Rn. 15). In dieser Fallkonstellation ist ein allgemeiner Feststellungsantrag, der neben punktuellen Bestandsschutzanträgen gestellt wird, wertmäßig zu berücksichtigen, weshalb sich die Beschwerdekammer nicht der Empfehlung der Streitwertkommission in Ziff. I Nr. 17.2 Streitwertkatalog 2024 anschlösse, würde auch die hier vorliegende Konstellation umfasst sein.
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Schließlich steht der Wertfestsetzung für den allgemeinen Feststellungsantrag nicht entgegen, dass die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Verfahren rechtskräftig geworden ist und im Rahmen dieser Wertfestsetzung für den allgemeinen Feststellungsantrag kein Wert angesetzt wurde. Gegenstand der Festsetzung und damit des Beschwerdeverfahrens nach § 33 Abs. 3 RVG ist nicht die Bewertung eines bestimmten Streitgegenstands, sondern die Festsetzung des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren und/oder den Vergleich (vgl. LAG Hessen, Beschluss vom 03.05.2021 – 12 Ta 90/21 – Rn. 9). Ein Antrag, der auf die Festsetzung des Gegenstandswertes für einen bestimmten Streitgegenstand gerichtet wäre, wäre nicht möglich (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 06.06.2007 – 1 Ta 105/07 – unter II. 3.) der Gründe). Die einzelnen Anträge sind nur Begründungselemente für die Bildung des einen (Gesamt-) Gegenstandswerts, der allein über die Höhe der jeweiligen Gebühren entscheidet (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.02.2024 – 26 Ta (Kost) 6095/23 – Rn. 15; LAG Hessen, Beschluss vom 03.05.2021 – 12 Ta 90/21 – Rn. 10; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 25. 11.2016 – 4 Ta 634/16 – Rn. 13). Dies folgt aus § 39 GKG, der gem. § 23 Abs. 1 S. 1 RVG auch für den Gegenstandswert der Gebühren des Rechtsanwalts gilt. Danach werden „in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet“, soweit nichts anderes bestimmt ist, also ein gesetzliches Additionsverbot (z. B. § 42 Abs. 2 S. 1, § 42 Abs. 3 S. 1 HS 2 GKG) eingreift. Bei Rechtskraft des Festsetzungsbeschlusses betreffend den Gegenstandswert für das Verfahren tritt folglich eine Bindung nur in Bezug auf diesen (Gesamt-) Gegenstandswert ein, nicht auch in Bezug auf seine Zusammensetzung aus Einzelpositionen. Im Rahmen der Gegenstandswertfestsetzung für den Vergleich ist das Gericht deshalb nicht gehindert, für einzelne Anträge eine abweichende Einzelbewertung gegenüber der Einzelbewertung im Rahmen der rechtskräftigen Gegenstandswertfestsetzung für das Verfahren vorzunehmen.
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Hinsichtlich der Höhe ist nach den vorstehend dargestellten Grundsätzen (Ziff. I Nr. 20 i. V. m. Nr. 21.1 und 21.3 Streitwertkatalog 2024) von einem halben Bruttogehalt auszugehen, was auch der Beklagtenvertreter zugrunde gelegt hat.
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(2) Die in Ziff. 2 des Vergleichs geregelte Pflicht der Beklagten, das Ausbildungsverhältnis in Höhe eines Gesamtbetrags von 600,00 € ordnungsgemäß abzurechnen und den entsprechenden Nettobetrag an die Klagepartei auszuzahlen, begründet keinen Mehrwert des Vergleichs.
32
(a) Ziff. I. Nr. 6 Streitwertkatalog 2024 empfiehlt, dass dann, wenn in einer Bestandsstreitigkeit im Wege der Klagehäufung Annahmeverzugsvergütung geltend gemacht wird, bei der die Vergütung vom streitigen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängt, nach dem Beendigungszeitpunkt eine wirtschaftliche Identität zwischen Bestandsstreit und Annahmeverzug anzunehmen sei. Dies hat zur Folge, dass nach § 45 Abs. 1 S. 3 GKG keine Wertaddition stattfindet, sondern der höhere Wert maßgeblich ist.
33
Diese Empfehlung ist durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. Beschluss vom 01.03.2022 – 9 AZB 38/21 – Rn. 7 ff.) bestätigt worden. Danach besteht zwischen einer Bestandsschutzstreitigkeit und einem Anspruch auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung regelmäßig wirtschaftliche Identität, soweit die Bewertung des Kündigungsschutzantrags reicht. Da der Arbeitgeber durch den Ausspruch einer rechtsunwirksamen außerordentlichen Kündigung oder ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist in Annahmeverzug kommt, ohne dass es eines – auch nur wörtlichen – Arbeitsangebots des Arbeitnehmers bedarf, §§ 295, 296 S. 1 BGB (vgl. BAG 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, BAGE 161, 198 = NZA 2018, 646), stellt der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Regelfall die einzige zwischen den Parteien streitige Voraussetzung dar, von deren Vorliegen der Anspruch aus § 615 S. 1 BGB abhängt. In einem solchen Fall ist das Zahlungsbegehren nicht mehr als der wirtschaftliche Annex des Feststellungsantrags und begründet als solcher kein selbstständiges Interesse, das eine gesonderte Berücksichtigung im Rahmen der Streitwertfestsetzung rechtfertigen könnte (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 5.11.2020 – 8 Ta 75/20 – Rn. 36 ff. m. w. N; LAG Berlin-Brandenburg 9.9.2021 – 10 Sa 1340/20 – Rn. 2; LAG München Beschluss vom 31.07.2023 – 3 Ta 121/2 – Rn. 20 f.).
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(b) Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt die vergleichsweise Vergütungsregelung keinen Mehrwert des Vergleichs. Es ist bereits nicht ausreichend vorgetragen, dass die Vergütungsansprüche streitig oder ungewiss waren. Hiergegen spricht bereits, dass der Beklagtenvertreter sie nur dann im Rahmen der Wertfestsetzung zu berücksichtigen beantragte, sofern das Arbeitsgericht dem Festsetzungsantrag hinsichtlich der zweiten Kündigung (650,00 €) und des Berichtshefts (weitere 650,00 €) nicht folgen würde.
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Entgegen der Auffassung des Beklagtenvertreters ist im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Identität mit der Bestandsstreitigkeit gegeben. Weitere Voraussetzungen für die Zahlung von Annahmeverzugsvergütung im August und September 2023 sind weder nach Vortrag des Beklagtenvertreters noch nach Aktenlage im vorliegenden Fall streitig. Das Auseinanderfallen zwischen Fortbestand des Ausbildungsverhältnisses und Vergütungshöhe begründet sich nicht aus einem Streit der Parteien über die Ausbildungsvergütung, der zudem nicht konkret dargelegt worden ist, sondern aus dem seitens des Beklagtenvertreters dargelegten besonderen Interesse der Klagepartei am (Fort-) Bestand des Ausbildungsverhältnisses bis zum 30.09.2023, das für die „Prüfung relevant (sei), da sie die entsprechenden Ausbildungszeiten erfüllt haben muss, um die Prüfung ablegen zu können, was völlig unabhängig vom Vergütungsanspruch ist“.
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(3) Für die in Ziff. 4 des Vergleichs geregelte Verpflichtung der Beklagten, das seitens der Klagepartei vorzulegende Berichtsheft zu unterschreiben, hat das Arbeitsgericht zu Recht lediglich eine halbe Bruttovergütung festgesetzt und einen Vergleich zum einfachen Arbeitszeugnis gezogen. Da der Antrag auf Erteilung des einfachen Arbeitszeugnisses nach Ziff. I Nr. 29.1 Streitwertkatalog 2024 regelmäßig mit 10% einer Monatsvergütung zu bewerten ist, wird der Bedeutung des Berichtshefts für die Zulassung zur Abschlussprüfung, die der Beklagtenvertreter anführt, durch die Anhebung auf 50% einer Monatsvergütung ausreichend Rechnung getragen.
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cc) Der Gegenstandswert für den Vergleich beträgt 6.667,74 € unter Berücksichtigung eines Mehrwerts in Höhe von 2.117,74 €.
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Da sich der Gegenstandswert des Vergleichs aus den Werten aller rechtshängigen oder nicht rechtshängigen Ansprüche ergibt, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die durch den Vergleich geregelt wurden, errechnet er sich im vorliegenden Fall wie folgt:
„Antrag zu 1. gegen die außerordentliche Kündigung vom 05.08.2023:3 Gehälter zu je 1.300,00 €, d. h. 3.900,00 € Allgemeiner Feststellungsantrag zu 2.: 650,00 €
Ziff. 2 des Vergleichs – Vergütungsregelung – 167,74 €
Ziff. 3 des Vergleichs – Zeugnisregelung – 1.300,00 €
Ziff. 4 des Vergleichs – Berichtsheft – 650,00 € Summe 6.667,74 €
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Zudem ist bei der Tenorierung der Mehrwert des Vergleichs, d. h. die Summe der nicht anhängigen, aber durch den Vergleich geregelten Ansprüche gesondert auszuweisen. Denn zum einen unterscheidet sich die Höhe der Einigungsgebühr gem. Nr. 1000 VV RVG und Nr. 1003 VV RVG (Anlage 1 zum RVG) i. V. m. § 2 Abs. 2 RVG danach, ob über den Gegenstand der Einigung bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig war oder nicht (vgl. LAG Hamburg, Beschluss vom 26.01.2016 – 6 Ta 29/15 – Rn. 19, 25; OLG Naumburg, Beschluss vom 19.03.2008 – 4 WF 19/08 – Rn. 3). Zum anderen beeinflusst der Mehrwert des Vergleichs die Abrechnung der Verfahrens- und Termingebühr des Rechtsanwalts (vgl. das Berechnungsbeispiel in Enders, RVG für Anfänger, 17. Aufl. 2016, E II 23.1. Rn. 406; instruktiv auch N. Schneider, Anmerkung zu LAG München, Beschluss vom 15.02.2023 – 11 Ta 28/23 – NZA-RR 2023, 210 f. zum Abrechnungsbeispiel eines Kündigungsschutzverfahrens mit Mehrvergleich). Um die unterschiedliche Gebührenberechnung (unter Berücksichtigung der Regelung des § 15 Abs. 3 RVG) ermöglichen, muss der Gegenstandswert für den Vergleich den Wert der Gegenstände, die nicht in diesem Rechtsstreit anhängig, aber zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und mithin den Vergleichsmehrwert bilden, benennen.“
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Vorliegend war für den Vergleichsmehrwert der Wert die Regelungen des Vergleichs zu Ziff. 2., 3 und 4 in Höhe von 2.117,74 € zu berücksichtigen.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil Kosten nicht erstattet werden, § 33 Abs. 9 RVG. Aufgrund der überwiegenden Zurückweisung der Beschwerde hat der Beklagtenvertreter die angefallene Gebühr, Nr. 8614 KV GKG, zu tragen.
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Diese Entscheidung, die gem. § 78 S. 3 ArbGG durch die Vorsitzende der Beschwerdekammer allein ergeht, ist unanfechtbar, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG (vgl. zur Vorgängerbestimmung des § 10 Abs. 2 Satz 2 BRAGO BAG, Beschluss vom 17.03.2003 – 2 AZB 21/02 – NZA 2003, 682).