Titel:
keine Verfolgungsgefahr im Iran mangels Glaubhaftmachung
Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Im Iran hat mit politischer Verfolgung zu rechnen, wer mir seinen oppositionellen und (exil-)politischen Aktivitäten derart nach außen in Erscheinung getreten ist, dass er zum einen durch die iranischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafter Regimegegner, der auf die Verhältnisse im Iran einzuwirken vermag, identifiziert und qualifiziert worden ist, und dass zum anderen wegen der von ihm ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staats besteht. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Allein die Tatsache, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr in den Iran keine staatlichen Repressionen aus; etwas anderes gilt für Personen, die seitens der iranischen Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht. (Rn. 71) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Iran, Frau, 18-jährige Schülerin, einmalige Aktion im Iran in Schule mit anschließender Demonstration im Zusammenhang mit Protestbewegung „Frau Leben Freiheit“, angebliche SMS des Ettelaat mit Vorladung, kein zweifelfreies und in sich stimmiges Vorbringen, keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung oder sonstige ernsthafte Gefahr bei einer Rückkehr in den Iran, keine exilpolitischen Aktivitäten, keine Präsenz in den sozialen Medien, keine verfolgungsbegründende identitätsprägende Verwestlichung, keine andere Beurteilung im konkreten Einzelfall durch aktuelle Situation im Iran, einmalige SMS zur Warnung, Verwarnung und Einschüchterung nicht flüc, Asyl, gesteigertes Vorbringen, unglaubhafte Angaben, Vorladung, Ettelaat, Demonstrationsteilnahme, SMS, Hidschab-Pflicht
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6424
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
Die Klägerin, eine 18 Jahre alte iranische Staatsangehörige, reiste am 5. Juni 2023 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 1. August 2023 einen Asylantrag. Zur Begründung ihres Asylantrages gab sie, damals noch als unbegleitete Minderjährige, im Wesentlichen an: Ihre Schule habe Anteil an den Protesten wegen Mahsa Amini gehabt. Sie habe Plakate mit den Worten „Frau Leben Freiheit.“ verteilt, die sie am Vortag angefertigt gehabt habe. Sie habe es auch auf die Tafel geschrieben. Sie und ihre Freundinnen hätten zusammen Plakate genommen und seien auf die Straße gegangen. Dann seien Einheiten gekommen, um die Menschen auseinanderzutreiben und zuzuschlagen. Sie hätten die Menschen auch mit Tränengas angegriffen. Ihr sei es psychisch und körperlich sehr schlecht gegangen. Sie habe eine SMS vom Informationsministerium erhalten, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu ihnen kommen solle. Sie habe dann bis zu ihrer Ausreise im Mai 2023 die Zeit an verschiedenen Orten verbracht. Bei der Ausreise über den Flughafen habe es keine Probleme gegeben.
2
Mit Bescheid vom 14. November 2023 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle einer Klageerhebung innerhalb von 30 Tagen nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen. Die Abschiebung in den Iran oder einen anderen Staat wurde angedroht. Die Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Angaben der Klägerin seien oberflächlich und vage, sie erschöpften sich in einer bloßen Ablaufbeschreibung. Sie antworte auf Nachfragen ausweichend. Sie sei nicht in der Lage gewesen, konkrete Fragen detailliert und nachvollziehbar zu beantworten. Sie habe nicht sagen können, wann sie sich hätte wo melden sollen. Beweise für ihr Vorbringen habe sie trotz schriftlicher Vorladung nicht vorgelegt. In der Phase vor einem Strafprozess würden im Iran eine Reihe von Maßnahmen ergriffen und auch Dokumente ausgestellt. Hätte die Klägerin tatsächlich eine entsprechende Vorladung auf elektronischem Wege per SMS erhalten, würde sie diese genau und detaillierter beschreiben und sich konkreter dazu äußern können. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin ohne ein Nutzerkonto und ohne eine Anmeldung eine SMS vom Informationsministerium mit einer Vorladung erhalten haben wolle. Trotz der angeblichen Befürchtung, verhaftet zu werden, habe sie noch ein halbes Jahr unbehelligt im Iran leben und dann das Land legal und mit eigenen Dokumenten und Visum verlassen können. Ferner habe die Klägerin ihre Beweggründe, für die Rechte der Frauen zu demonstrieren, nicht überzeugend darlegen und aufklären können. Sie habe zu ihrer Motivation nichts Näheres gesagt. Auch sonst sei sie nicht in der Lage gewesen, irgendwelche Details zu den Vorgängen zu schildern. Sie habe sich auch nicht über die Reaktion der Eltern geäußert.
3
Am 27. November 2023 ließ die Klägerin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben und zur Klagebegründung im Wesentlichen ausführen: Entgegen den Zweifeln des Bundesamtes entspreche die Verfolgungsgeschichte der Klägerin der Wahrheit. Dagegen spreche nicht, dass die Klägerin mit ihrem Reisepass und Visum über den Flughafen das Land legal habe verlassen können.
4
Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 28. November 2023 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.
5
Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 29. November 2023,
6
In der mündlichen Verhandlung am 25. März 2024 beantragte der Klägerbevollmächtigte,
die Beklagte unter Aufhebung der Nummern 1 und 3 bis 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2023 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise der Klägerin den subsidiären Schutz zuzuerkennen;
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
7
Das Gericht hörte die Klägerin informatorisch an.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
9
Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet.
10
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. November 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG sowie auf Anerkennung als Asylberechtigte nach § 16a Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG sowie für die Feststellung von Abschiebungsverboten nach des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind ebenfalls nicht zu beanstanden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
11
Das Gericht folgt im Ergebnis sowie in der wesentlichen Begründung dem angefochtenen Bescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge decken sich mit den zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln sowie mit der einschlägigen Rechtsprechung.
12
In der Sache ist das Gericht zum gegenwärtigen maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) aufgrund des klägerischen Vorbringens und der zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemachten Erkenntnismittel – ebenso wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid – nicht davon überzeugt, dass bei der Klägerin im Iran die begründete Gefahr (politischer) Verfolgung bestand bzw. besteht oder ihr sonst eine ernsthafte Gefahr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohte oder droht.
13
Gemäß §§ 3 ff. AsylG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe (vgl. dazu Art. 10 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 – so genannte Anerkennungsrichtlinie oder Qualifikationsrichtlinie bzw. § 3b AsylG) Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylG).
14
Eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit (siehe zum einheitlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstab BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – BVerwGE 140, 22; U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377) liegt dann vor, wenn die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist letztlich, ob es zumutbar erscheint, dass der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt (BVerwG, U.v. 3.11.1992 – 9 C 21/92 – BVerwGE 91, 150; U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 89, 162). Über das Vorliegen einer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit gegebenen Gefahr politischer Verfolgung entscheidet eine wertende Gesamtbetrachtung aller möglichen verfolgungsauslösenden Gesichtspunkte, wobei in die Gesamtschau alle Verfolgungsumstände einzubeziehen sind, unabhängig davon, ob diese schon im Verfolgerstaat bestanden oder erst in Deutschland entstanden und von dem Ausländer selbst geschaffen wurden oder ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem nach der Flucht eingetretenen Verfolgungsgrund und entsprechend den schon in dem Heimatland bestehenden Umständen gegeben ist (BVerwG, U.v. 18.2.1992 – 9 C 59/91 – Buchholz 402.25, § 7 AsylVfG Nr. 1).
15
Aufgrund seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hat ein Kläger (oder eine Klägerin) seine (ihre) Gründe für seine politische Verfolgung schlüssig und vollständig vorzutragen (§ 25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz VwGO). Er muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – bei verständiger Würdigung die behauptete Verfolgung ergibt. Bei den in die eigene Sphäre des Klägers (der Klägerin) fallenden Ereignissen, insbesondere seinen (ihren) persönlichen Erlebnissen, muss er (sie) eine Schilderung abgeben, die geeignet ist, den Abschiebungsschutz lückenlos zu tragen. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit nicht vereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann. Bleibt ein Kläger (oder eine Klägerin) hinsichtlich seiner (ihrer) eigenen Erlebnisse konkrete Angaben schuldig, so ist das Gericht nicht verpflichtet, insofern eigene Nachforschungen durch weitere Fragen anzustellen. Das Gericht hat sich für seine Entscheidung die volle Überzeugung von der Wahrheit, nicht bloß von der Wahrscheinlichkeit zu verschaffen (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 106.84 – BVerwGE 71, 180).
16
Der Klägerin ist es nicht gelungen, die für ihre Ansprüche relevanten Gründe in der dargelegten Art und Weise geltend zu machen. Unter Zugrundelegung der Angaben der Klägerin ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass eine begründete Gefahr politischer oder sonstiger Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestand oder besteht oder sonst eine ernsthafte Gefahr drohte oder droht. Gerade auch aufgrund der Angaben der Klägerin im gerichtlichen Verfahren ist es ihr zur Überzeugung des Gerichts nicht gelungen, eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.
17
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zutreffend ausgeführt: Die Angaben der Klägerin seien oberflächlich und vage, sie erschöpften sich in einer bloßen Ablaufbeschreibung. Sie antworte auf Nachfragen ausweichend. Sie sei nicht in der Lage gewesen, konkrete Fragen detailliert und nachvollziehbar zu beantworten. Sie habe nicht sagen können, wann sie sich hätte wo melden sollen. Beweise für ihr Vorbringen habe sie trotz schriftlicher Vorladung nicht vorgelegt. In der Phase vor einem Strafprozess würden im Iran eine Reihe von Maßnahmen ergriffen und auch Dokumente ausgestellt. Hätte die Klägerin tatsächlich eine entsprechende Vorladung auf elektronischem Wege per SMS erhalten, würde sie diese genau und detaillierter beschreiben und sich konkreter dazu äußern können. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin ohne ein Nutzerkonto und ohne eine Anmeldung eine SMS vom Informationsministerium mit einer Vorladung erhalten haben wolle. Trotz der angeblichen Befürchtung, verhaftet zu werden, habe sie noch ein halbes Jahr unbehelligt im Iran leben und dann das Land legal und mit eigenen Dokumenten und Visum verlassen können. Ferner habe die Klägerin ihre Beweggründe, für die Rechte der Frauen zu demonstrieren, nicht überzeugend darlegen und aufklären können. Sie habe zu ihrer Motivation nichts Näheres gesagt. Auch sonst sei sie nicht in der Lage gewesen, irgendwelche Details zu den Vorgängen zu schildern. Sie habe sich auch nicht über die Reaktion der Eltern geäußert.
18
Ergänzend ist anzumerken, dass das Vorbringen der Klägerin im gerichtlichen Verfahren im Ergebnis keine andere Beurteilung rechtfertigt. Die Klägerin konnte die im streitgegenständlichen Bundesamtsbescheid aufgeführten Einwände nicht entkräften. Im gerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, hat die Klägerin die bestehenden Zweifel und Ungereimtheiten nicht ausräumen können, sondern eher noch vertieft, indem sie weitere ungereimte, teils gesteigerte und damit unglaubhafte Angaben machte. Außerdem antwortete sie wiederholt auf Fragen des Gerichts nicht konkret, sondern gab teils abweichende und abschweifende Antworten. Anzumerken ist weiter, dass die Aussagen der – damals noch minderjährigen – Klägerin zu den Ereignissen im Iran durchweg auffallend emotionslos und distanziert erfolgten, etwa, wenn es um die Schilderungen der persönlich erlittenen Repressalien oder um die Umstände des Verschwindens und Todes ihrer Freundinnen ging. Die Klägerin zeigte sich vom Gesagten nicht berührt und berichtete nur kurz und ohne Details das äußere Geschehen. Letztlich konnte sich das Gericht nicht zweifelsfrei von einer begründeten Verfolgungsgefahr überzeugen.
19
Gesteigerte und damit unglaubhafte Angaben machte die Klägerin insbesondere zu ihren Freundinnen. Während sie bei der Bundesamtsanhörung auf ausdrückliche Fragen nach ihren Freundinnen und, ob diese auch SMS bekommen hätten, keine bejahende Antwort gab, sondern erklärte, nachdem sie die SMS bekommen habe, habe sie keinen Kontakt mehr gehabt (vgl. S. 9 des Anhörungsprotokolls vom 24.10.2023), gab sie in der mündlichen Verhandlung erstmals an, ihre Freundinnen hätten auch SMS bekommen. Die eine Freundin habe ihr die SMS gezeigt, mit der sie auch irgendwohin zu einem geheimen Ort kommen sollte. Die Freundin sei hingegangen und sei nicht mehr zurückgekommen. Deren Eltern hätten dann bei ihren Eltern nach der Freundin gefragt. Eine zweite Freundin habe auch eine SMS bekommen. Sie sei dann verschwunden gewesen. Man habe sie nach einem (angeblichen) Unfall tot aufgefunden. Es seien etwa 20 bis 30 Tage dazwischen gewesen, von da an, als ihre Freundinnen die SMS bekommen hätten, bis dahin, als sie selbst die SMS erhalten habe. Auf betreffenden gerichtlichen Vorhalt, warum sie eine entsprechende Aussage nicht schon beim Bundesamt getätigt habe, erklärt die Klägerin, sie sei damals nicht stabil gewesen und habe über die Sache nicht reden wollen. Aber auch in der mündlichen Verhandlung blieb es bei einem kurzen abstrakten Bericht ohne Details und ohne, dass das Gericht den Eindruck hatte, die Klägerin sei von dem angeblich dramatischen Schicksal ihrer Freundinnen berührt und persönlich betroffen.
20
Abweichend und auch unkonkret waren des Weiteren die Aussagen der Klägerin zu ihrer Schulzeit. So gab sie an, in der 9. Klasse habe es nur Online-Unterricht gegeben. Die 10. Klasse habe nach iranischer Zeitrechnung im Jahr 1400 begonnen und im 3. Monat 1401 geendet (Mai 2022 nach europäischer Zeit). Die 11. Klasse habe im 6. Monat 1401 (August 2022) begonnen. Der Vorfall mit Mahsa Amini (gestorben 16.9.2022) sei gewesen, als die Schule schon begonnen gehabt habe, aber sie sei nicht hin. Die ersten 30 Tage des Schuljahres sei sie nicht in die Schule gegangen. Es sei Protest gewesen. Sie hätten viel protestiert. Sie hätten sich auch vorher schon über Corona unterhalten und über den fehlenden iranischen Impfstoff. Konkrete Angaben dazu machte sie jedoch nicht, sondern ließ abermals Einzelheiten vermissen, insbesondere Erläuterungen die ihr weiteres streitgegenständliches Verhalten hätten plausibilisieren können.
21
Entsprechend ließ die Klägerin detaillierte Angaben dazu vermissen, wie sie dazu gekommen sei, an dem einen von ihr betonten Tag eine besondere Aktion zu starten. Sie gab an, an einem Tag habe sie mitbekommen, dass die Schulleiterin eine Freundin wegen des Hidschabs angeschrien habe. Sie, die Klägerin, habe ihre Flugblätter mit dem Slogan „Frau Leben Freiheit“ dabeigehabt, die sie vorher geschrieben habe, und habe sie verteilt. Die Klägerin gab aber indes trotz gerichtliche Nachfrage nicht an, wie sie dazu gekommen sei, schon vorab, also etwa am Vortag, Vorbereitungen getroffen zu haben. Es fehlen auch Angaben, ob und wie sie sich möglicherweise mit ihren Freundinnen abgesprochen habe, um eine Aktion an diesem Tag zu starten. Der Umstand, dass sie vorbereitete Plakate bzw. Flyer dabeigehabt habe, spricht dafür, dass es keine spontane Aktion gewesen ist. Die Klägerin gab an, sie sei von dem, was mit Mahsa Amini passiert sei, betroffen gewesen. Es sei Schulzeit gewesen. Sie habe gedacht, sie könne nicht die ganze Zeit zu Hause bleiben. Sie sei hingegangen und dann sei es passiert. Nähere Erläuterungen zu den Umständen ihres angeblichen Engagements kamen von ihr jedoch nicht.
22
Die Klägerin erklärte weiter, sie hätten viel protestiert, ohne dies aber zu konkretisieren und ohne näher darauf einzugehen. Sie gab lediglich an, an dem Tag mit den Flugblättern, das sei nicht alles gewesen. Sie seien rausgegangen, hätten ihr Kopftuch weggeworfen und hätten sich auf die Straße begeben zusammen mit Studenten. Sie habe auch Plakate gehabt, die habe sie die Nacht davor gemacht. Erst auf Nachfrage des Gerichts erklärte die Klägerin zu ihren Plakaten bzw. zu ihren Flugblättern, dass sie beide in etwa gleich groß gewesen seien, etwa DIN-A4. Bei den Plakaten sei ein Stück Holz mit Tesafilm auf der Rückseite befestigt gewesen, was auch für eine vorbereitete und nicht eine plötzliche Aktion spricht.
23
Die Klägerin erklärte dann nur kurz, dass mobilisierte Sicherheitskräfte gekommen seien und sie hin und her getrieben hätten. Sie hätten Tränengas versprüht und sie hätten sie auch geschlagen. Abgesehen von diesem äußeren Geschehensablauf nannte die Klägerin auch hier keine Details und zeigte keine Emotionen, die für ein am eigenen Leib erlittenes Erleben gesprochen hätten. Unklar bleibt weiter etwa, wie groß die Demonstration gewesen ist, wo sie verlaufen ist, wie lange die Klägerin teilgenommen hat usw.
24
Die Klägerin gab lediglich an, sie habe auch Tränengas abbekommen, habe Übelkeit verspürt, Kopfweh bekommen und ihre Augen hätten getränt. Sie sei weggerannt und habe ein Auto angehalten, mit dem sie nach Hause gefahren sei. Auch insofern hat sie nicht erklärt – wie auch das Bundesamt schon angemerkt hat –, warum und wie sowie von wo bis wo sie ein wildfremdes Auto angehalten hat und mit ihm allein mitgefahren ist.
25
Auch zur Folgezeit bleiben weitere Angaben von der Klägerin widersprüchlich und ungereimt. Die Klägerin gab zunächst an, es sei keiner von ihren Eltern zu Hause gewesen. Sie sei um 21:00 Uhr nach Hause gekommen. Sie wisse nicht genau, wieviel Zeit vergangen sei. Sie habe nicht zum Essen mit den Eltern kommen können. Das habe sie ausgelassen. Um 00:49 Uhr sei die SMS gekommen. Auf Nachfrage des Gerichts erklärte die Klägerin sodann abweichend, der Dolmetscher habe sie wohl falsch verstanden. Die Demonstration habe um 09:00 Uhr angefangen und habe ungefähr bis 16:00 Uhr/17:00 Uhr gedauert. Sie sei, als die SMS angekommen sei, aufgewacht und habe dann ihre Eltern aufgeweckt. Kurz darauf erklärte die Klägerin abermals im Widerspruch zu ihrem bisherigen Vorbringen, wenn sie alles nochmal recht bedenke, sei die SMS um 23:00 Uhr gekommen und sie sei etwa zwei Stunden später aufgewacht und habe sie gelesen. Beim Bundesamt hatte sie angegeben, ihr sei es schlecht gegangen. Sie habe sich hingelegt. Erst gegen 01:00 Uhr oder 02:00 Uhr morgens sei sie wach geworden. Als sie wach geworden sei, habe sie auf ihr Handy gesehen und habe festgestellt, dass sie eine SMS erhalten gehabt habe (S. 5 des Protokolls der Bundesamtsanhörung vom 14.10.2023).
26
Ungereimt bleiben auch die Angaben der Klägerin zur erhaltenen SMS und deren Inhalt. Bei der Bundesamtsanhörung (S. 5 und des Protokolls vom 24.10.2023) erklärte die Klägerin, sie habe eine SMS vom Informationsministerium erhalten. In dieser habe ihr Name gestanden, ebenso eine Uhrzeit und ein Ort, wo sie hinkommen solle. Sie könne sich nicht erinnern, wann sie hätte wohin kommen sollen. In der mündlichen Verhandlung am 25. März 2024 gab die Klägerin den Ort in der von ihr genannten Straße mit Block 2 an und erklärte, sie hätte um 17:00 Uhr dort sein sollen. Das Datum wisse sie nicht genau. Auf mehrmalige Nachfragen des Gerichts erklärte sie, die SMS sei am Tag der Protestaktion gekommen, aber der Termin habe drei bis vier Tage später sein sollen. In dem Zusammenhang erschließt sich dem Gericht nicht, warum die Klägerin sofort nachts ihre Eltern aufgeweckt hat und unmittelbar geflohen ist, weil dazu angesichts des Vorladungstermins noch Zeit gewesen wäre. Genauso wenig leuchtet ein, wie die Klägerin zu der Annahme gelangt sein will, dass ihr Handy womöglich geortet worden sein soll, als sie einen Tag später im Garten eines Bekannten ihres Vaters gewesen sein will und dort verdächtige fremde Personen aufgetaucht seien, worauf sie ihr Handy weggeworfen habe. Nach ihrem eigenen Vorbringen war zu diesem Zeitpunkt der von ihr genannte angebliche Vorladungstermin noch nicht verstrichen gewesen.
27
Weiter spricht für ein unglaubhaftes, weil unrealistisches Vorbringen der Klägerin, dass nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes eine Vorladung nicht per SMS versandt wird (Auswärtiges Amt, Auskunft an das BAMF vom 25.9.2023, zu Fragen 2 und 3, S. 2 f.). Von einer förmlichen Vorladung des Ettelaat kann damit ohnehin nicht ausgegangen werden, wie auch schon im streitgegenständlichen Bescheid auf Seite 4 f. ausgeführt ist.
28
Dürftig blieben des Weiteren die Angaben der Klägerin zu ihrer Motivation und ihren sonstigen politischen Aktivitäten. Auf entsprechende Frage des Gerichts erklärte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung, sie habe vorher schon ihre Weltanschauung und Meinung geäußert und habe dann auch bei der Volleyballmannschaft nicht mehr mitspielen dürfen, nachdem sie die Frage nach dem Ablegen des Kopftuches gestellt gehabt habe. Bei der Bundesamtsanhörung gab die Klägerin zu ihren Aktivitäten an, sie habe vorher auch ein bisschen etwas gemacht, ohne dies aber weiter zu konkretisieren (vgl. S. 6 des Bundesamtsprotokolls vom 24.10.2023). In der mündlichen Verhandlung brachte sie dazu noch weiter vor, sie hätten vorher schon viel über Religion und den Hidschab gesprochen und auch über den fehlenden iranischen Corona-Impfstoff. Flüchtlingsrelevante Aktivitäten, die womöglich Repressionen des iranischen Staates gegen sie hätten hervorrufen können, sind mit diesem Vorbringen jedoch nicht verbunden.
29
Weiter ist anzumerken, dass die Klägerin nach eigenen Angaben legal über den Luftweg mit ihren eigenen Dokumenten ausgereist ist, was gegen eine Verfolgungsgefahr und gegen ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staates spricht, wie auch schon die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid vom 14. November 2023 auf Seite 6 ausgeführt hat.
30
Für eine fehlende und gegebenenfalls fortbestehende Verfolgungsgefahr und ein fehlendes Verfolgungsinteresse spricht des Weiteren, dass die Klägerin nach eigenen Angaben auf ausdrückliche Nachfrage nach ihren politischen Aktivitäten in Deutschland erklärte: Bis heute nicht. Aber sie habe Gedanken, wie sie das künftig umsetzen wolle. Die Klägerin hat in Deutschland keinerlei exilpolitischen Aktivitäten entwickelt, auch nicht in den sozialen Medien. Eine begründete Verfolgungsfurcht bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran ist dem Ganzen nicht zu entnehmen. Vielmehr beruht das Vorbringen der Klägerin nur auf Vermutungen und Spekulationen.
31
Dafür spricht auch, dass die Klägerin auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts erklärt hat, keine neuen Informationen aus der Heimat zu haben. Es könnte sein, dass Dokumente, etwa Vorladungen und dergleichen, noch vorhanden seien, aber sie wisse es nicht. Sie könne auch bei ihren Eltern aus Sicherheitsgründen nicht nachfragen. Bei der Bundesamtsanhörung gab die Klägerin an, sie verfüge über keine weiteren Informationen. Sie versuche, mit ihren Eltern nicht über diese Dinge zu sprechen. Sie wolle ihre Eltern nicht zusätzlich in Gefahr bringen (S. 9 des Protokolls der Bundesamtsanhörung vom 24.10.2023). So fehlt es an jeglichen weiteren Belegen und an Angaben über konkrete Verfolgungsmaßnahmen, über irgendwelche schriftliche Dokumente oder auch nur über Nachfragen staatlicher Organe bei ihrer Familie. Die Klägerin konnte so von keinen weiteren, insbesondere auch fortdauernden aktuellen Verfolgungsmaßnahmen berichten, geschweige denn von konkreten schriftlichen Dokumenten, die sie auch dem Gericht hätte vorlegen können. Ebenso wenig weiß die Klägerin etwas über das Schicksal ihrer Schulfreundinnen, die an ihrer Aktion beteiligt waren.
32
Es erscheint dem Gericht gesamtbetrachtet lebensfremd und nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin nicht aus eigenem Antrieb und aus eigenem Interesse weitere konkrete Erkundigungen eingezogen hat, die auf eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehenden und fortdauernden Verfolgungsgefahr für sie hindeuten würden. Gerade wenn jemand verfolgt wird – und damit sein Asylbegehren in Deutschland begründet – wäre es lebensnah, sich weitere konkrete Informationen über ein Fortbestehen der Verfolgungsgefahr zu besorgen und entsprechende Belege von sich aus unaufgefordert den deutschen Behörden bzw. dem Gericht vorzulegen. In diese Richtung hat die Klägerin nichts Substanzielles vorgetragen, sondern vielmehr angegeben, sich überhaupt nicht um derartige Informationen bemüht zu haben. Danach drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass gegen die Klägerin überhaupt keine relevanten Verfolgungsmaßnahmen seitens der staatlichen Behörden im Iran erfolgt sind und erst recht nicht bei einer Rückkehr in den Iran drohen. Die ausweichende Antwort, sie habe bei ihren Eltern aus Sicherheitsgründen nicht nachfragen wollen, leuchtet dem Gericht nicht ein (vgl. auch schon VG Würzburg, U.v. 22.2.2017 – W 6 K 16.30864 – juris Rn. 27; U.v. 26.8.2015 – W 6 K 15.30206 – juris Rn. 30).
33
Nach alledem fehlt es an einem in sich stimmigen und nachvollziehbaren und damit glaubhaften Vorbringen der Klägerin. Vielmehr bleiben so gravierende und durchgreifende Zweifel am Bestehen bzw. Fortbestehen einer ernsthaften Bedrohungslage für die Klägerin.
34
Des Weiteren wird angemerkt, dass sich aufgrund der aktuellen landesweiten Unruhen und Proteste im Iran bzw. der sich verschärfenden Verhältnisse seit September 2022 im Ergebnis keine andere Beurteilung rechtfertigt. Weder die Angaben der Klägerin, dass sie kein Kopftuch trage und dass sie nicht daran glaube, noch ihre Aktivitäten in Deutschland führen zu einem anderen Ergebnis.
35
Denn nach der Rechtsprechung ist allgemein mit politischer Verfolgung zu rechnen, wenn eine Person mit ihren oppositionellen und (exil-)politischen Aktivitäten derart nach außen in Erscheinung getreten ist, dass sie zum einen durch die iranischen Sicherheitsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit als ernsthafte Regimegegnerin, welche auf die Verhältnisse im Iran einzuwirken vermag, identifiziert und qualifiziert worden ist, und dass zum anderen wegen der von ihr ausgehenden Gefahr ein Verfolgungsinteresse des iranischen Staats besteht (vgl. BayVGH, B.v. 10.7.2023 – 14 ZB 22.31080 – juris Rn. 13; B.v. 15.1.2013 – 14 ZB 12.30220 – juris Rn. 11 sowie VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – UA S. 14 ff.; 30.10.2023 – W 8 K 23.30338 – juris Rn 25. ff.; U.v. 23.10.2023 – W 8 K 23.30233 – juris Rn. 25 ff..; U.v. 25.9.2023 – W 8 K 23.30323 – juris Rn. 29 ff.; U.v. 20.03.2023 – W 8 K 22.30707 – juris Rn. 29 ff.; U.v. 20.03.2023 – W 8 K 22.30683 – juris Rn. 28 ff.; U.v. 19.12.2022 – W 8 K 22.30631 – juris Rn. 25 ff.; U.v. 7.11.2022 – W 8 K 22.30541 – juris Rn. 27 ff.; U.v. 7.11.2022 – W 8 K 21.30749 – juris Rn. 33 ff.; U.v. 3.6.2022 – W 8 K 22.30034 – juris Rn. 24 ff.; U.v. 31.1.2022 – W 8 K 21.31264 – juris Rn. 66 ff.; VG Würzburg, U.v. 16.10.2017 – W 8 K 17.31567 – juris Rn. 23 und 35; U.v. 15.2.2017 – W 6 K 16.32201 – juris Rn. 31 und 42; jeweils mit weiteren Nachweisen zur Erkenntnislage und zur Rechtsprechung). Dabei ist zu bedenken, dass der iranische Staat sowohl die Überwachung möglicher Regimekritiker verstärkt als auch seine Repressionen deutlich verschärft hat und nach der aktuellen Erkenntnislage im Einzelfall auch Personen gefährdet sein können, die nicht exilpolitisch herausgehoben aktiv waren.
36
Nicht nur exponierten Oppositionellen droht bei einer Rückkehr Verfolgung, sondern gerade auch aus dem Ausland, explizit auch aus Deutschland, kommende Iraner müssen damit rechnen, dass ihnen der Vorwurf gemacht wird, westlich beeinflusst zu sein und der Spionage bezichtigt zu werden. Dies gilt erst recht für Personen, die sich während des Auslandsaufenthalts öffentlich regime- oder islamkritisch geäußert haben. Dabei ist zu bedenken, dass es den iranischen Behörden nach den vorliegenden Erkenntnissen gelungen ist, die oppositionellen Gruppierungen zu unterwandern, und dass sich zudem Exil-Iraner und Exil-Iranerinnen auch gegenseitig verraten (vgl. im Einzelnen auch VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – UA S. 14 f.; U.v. 30.10.2023 – W 8 K 23.30338 – juris Rn. 26. f.; U.v. 20.03.2023 – W 8 K 22.30707 – juris Rn. 29 f.; U. v. 20.03.2023 – W 8 K 22.30683 – juris Rn. 28 f.; U.v. 19.12.2022 – W 8 K 22.30531 – juris Rn. 25; U.v. 7.11.2022 – W 8 K 22.30541 – juris Rn. 26 ff.; U.v. 7.11.2022 – W 8 K 21.30749 – juris Rn. 32 ff. sowie VG Aachen, U.v. 5.12.2022 – 10 K 2406/20.A – juris Rn. 35 ff., 50 ff., 52 ff., 59).
37
Die vorstehend skizzierte Gefährdungslage gilt gerade bei Kurden, zumal wenn sie insbesondere in den Augen des iranischen Staates mit exilpolitischen Parteien bzw. Organisationen oder deren Medien in Verbindung stehen (vgl. jeweils Nachweise zur Erkenntnislage und zur Rechtsprechung ausführlich VG Würzburg, U.v. 3.6.2022 – W 8 K 22.30034 – juris Rn. 24 ff., 39 sowie VG Würzburg, U.v. 31.1.2022 – W 8 K 21.31264 – juris Rn. 66 ff., auch zu älteren Erkenntnisquellen). Im Einzelfall müssen auch nicht radikale bzw. nicht exponierte Mitglieder kurdischer Oppositionsparteien im Iran flüchtlingsrelevant mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgung rechnen; für diese kann der Grad der Gefährdung höher sein als womöglich bei anderen Oppositionellen (vgl. VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – UA S. 15.; U.v. 3.6.2022 – W 8 K 22.30034 – juris Rn. 39; vgl. auch BayVGH, B.v. 30.3.2023 – 14 ZB 23.30070 – juris Rn. 12 mit Blick auf OVG MV, B.v. 7.9.2022 – 4 LZ 235/22 OVG – unveröff., offengelassen; siehe zu Volksmujahedin/MEK etwa VG Köln, U.v. 24.7.2023 – 12 K 3711/20.A – juris Rn. 33 ff.; VG Karlsruhe, U.v. 15.5.2023 – A 19 K 10655/18 – juris Rn. 72 ff.; VG Aachen, U.v. 18.4.2023 – 10 K 2177/20.A – juris Rn 42 ff.). Aus der Rechtsprechung des VG Würzburg zur AKPI (siehe VG Würzburg, U.v. 31.1.2022 – W 8 K 21.31264 – juris) folgt nichts anderes, weil letztlich auf den Einzelfall abzustellen ist (vgl. etwa auch VG Köln, U.v. 24.7.2023 – 12 K 3711/20.A – juris Rn. 33 und 37; VG Braunschweig, U.v. 05.06.2023 – 2 A 222/19 – juris Rn. 36 ff.; VG Saarland, U.v. 28.7.2022 – juris Rn. 31 ff. zur Komalah; VG Berlin, U.v. 14.7.2022 – 3 K 427.19 A – juris Rn. 11 f. zur DPKI; VG Bayreuth, U.v. 13.7.2022 – B 2 K 20.30315, 7993388 – juris, UA S. 12 f. zur DPKI).
38
In einer aktuellen Information berichtet das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich wie folgt über kurdische separatistische Gruppierungen (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran, vom 26.1.2024, S. 21 ff.). Da kurdische Oppositionsparteien im Iran illegal sind, behandelt die iranische Regierung deren Mitglieder und diejenigen, die sie tatsächlich oder aus der Sicht der Regierung unterstützen, einerseits härter als zivile Aktivisten in der kurdischen Region. Andererseits sieht die iranische Regierung grundsätzlich jede Art von politischen oder zivilem Aktivismus als potentielle Bedrohung an, so dass auch diese Aktivisten Gefahr laufen, verfolgt zu werden. Auch einfache Tätigkeiten wie die Teilnahme an Protestmärschen oder Generalstreiks können zu Beschuldigungen führen, mit Oppositionsparteien zu kooperieren. Dabei wird nicht zwischen Parteimitgliedern und Unterstützern unterschieden und auch nicht zu unabhängigen Aktivisten. Die Verfolgung von Personen ist willkürlich und variiert von Fall zu Fall. Verurteilungen von Kurden erfolgen häufig im Zusammenhang mit Terrorvorwürfen und auch das Strafmaß ist oftmals unverhältnismäßig hoch. Aktivitäten erfolgen dort unter Geheimhaltung. Gleichzeitig werden aber auch andere Organisationen unterstützt. Die kurdischen politischen Parteien führen Propagandaaktivitäten durch, um ein Bewusstsein für die Politik der iranischen Regierung zu schaffen und den Menschen zu ermutigen, durch verschiedene friedliche und lösungsorientierte Maßnahmen wie Demonstrationen, Generalstreiks und symbolische Handlungen, wie das Tragen kurdischer Kleidung zu besonderen Anlässen, gegen die Regierung zu protestieren. Der iranische Geheimdienst ist mit einem Netzwerk von Informanten verbunden, die die Aktivitäten der iranischen kurdischen Parteien gerade in der Kurdistan Region Irak (KRI) verfolgen und darüber berichten. Die Geheimdienste haben wahrscheinlich einen gewissen Überblick über die Mitglieder und Aktivitäten der Partei. Die Mitglieder der Parteien werden vom iranischen Geheimdienst kontaktiert und Drohungen und Druck ausgesetzt. Auch die Familien der Mitglieder im Iran werden häufig kontaktiert, um die den Parteien angehörenden Familienmitglieder zu überreden. Je höher die Position eines Parteimitglieds ist, desto größer ist der Druck auf die Familie im Iran. Als im September 2022 Proteste im Iran ausbrachen, konzentrierte sich die staatliche Propaganda darauf, die Demonstrationen, die zunächst in den kurdischen Gebieten Iraks ausbrachen, als Komplott der kurdischen Oppositionspartei in Exil jenseits der Grenze darzustellen. Die iranische Regierung hat Militärkräfte in die kurdischen Gebiete entsandt und mehrfach Stellungen der iranisch-kurdischen Oppositionsgruppen in der KRI mit Drohnen und Raketen angegriffen. Außerdem wurden Attentate auf iranisch-kurdische Oppositionelle in der Region Kurdistan verübt. Die Bedeutung der kurdisch-iranischen Oppositionsgruppen in der KRI wird dabei seitens des iranische Regimes übertrieben, vor allem, um das ungesetzliche gewaltsame Vorgehen gegen die Protestbewegung im eigenen Land zu rechtfertigen. Die exilpolitischen Organisationen gründeten ein Kooperationszentrum, das von Anfang an, an der Bewegung gegen das iranische Regime beteiligt war und zu Streiks und Demonstrationen aufgerufen hat.
39
Weiter führt das BFA (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran, vom 26.1.2024, S. 177 f.) bezogen auf die Rückkehr aus der Kurdistan Region im Irak (KRI) aus, dass eine Person, die aus Europa in den Iran zurückkehrt, von der Behörden stärker verdächtigt wird, als jemand, der aus der KRI zurückkehrt. Für Rückkehrer ausgestellte Sicherheitsbriefe sind teilweise nicht eingehalten worden, insbesondere in dem Fall, in dem die betroffene Person des politischen Aktivismus beschuldigt wurde oder Mitglied einer kurdischen Partei war. In einigen Fällen wurden Personen vorgeladen, in anderen wurden die Rückkehrer verhaftet und über einen längeren Zeitraum inhaftiert. Eine ähnliche Ungewissheit gilt auch für andere Rückkehrer, denen eine Zusammenarbeit mit der kurdischen Opposition nachgesagt wird (vgl. auch SFH, Factsheet Iran, Stand: Januar 2024, S. 1).
40
Die (Verfolgungs-)Situation im Iran stellt sich im Übrigen nach den vorliegenden Erkenntnissen wie folgt dar.
41
Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30. November 2022 (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Iran, Stand: 18.11.2022) ist ausgeführt, dass die aktuelle iranische Regierung innen-, außen- und wirtschaftspolitisch massiv unter Druck geraten ist und daher auf Systemerhalt mit allen Mitteln ausgerichtet ist. Jegliche Formen von Dissens werden mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterdrückt. Teile der iranischen Bevölkerung sind aufgrund ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit, politischer, künstlerischer oder intellektueller Betätigung oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung starken Repressionen ausgesetzt. Jede Person, die öffentlich Kritik an Missständen übt oder sich für die Menschenrechte organisiert, setzt sich der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aus (S. 4). Gegen Regimekritiker und Aktivisten wird unerbittlich vorgegangen. Es kommt regelmäßig zu „ungeklärten“ Todesfällen in Gefängnissen. Die Zahl der Todesurteile und Hinrichtungen steigt (S. 5). Je gefährlicher Proteste in ihrer Größe, Sichtbarkeit, Dauer oder Grad ihrer Politisierung für die Regierung werden, desto härter gehen die Sicherheitskräfte dagegen vor. Tote und verletzte Demonstrierende werden zur Abschreckung sogar gezielt verursacht, zumindest in Kauf genommen. Demonstrierende werden als von außen (neuerdings auch Deutschland) gezielt instrumentalisierte Aufrührer und bedrohliche Straftäter dargestellt, um die Gewalt zu rechtfertigen. Seit dem Tod einer 22-jährigen kurdischen Iranerin (Mahsa „Dschina“ Amini) am 16. September 2022 kommt es zu anhaltenden landesweiten Protesten. Bisher sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen über 50 Minderjährige im Zusammenhang mit den Protesten getötet worden. Personen, die in den sozialen Medien aktiv waren und über Kontakte zum Ausland verfügen, unterliegen daher vermutlich einer besonderen Gefahr der Strafverfolgung (S. 6). Besonders schwerwiegend und verbreitet sind staatliche Repressionen gegen jegliche Aktivitäten, die als Angriff auf das politische System empfunden werden oder islamische Grundsätze in Frage stellen. Dabei sind Gruppierungen, die die Interessen religiöser oder ethnischer Minderheiten vertreten, besonders stark im Fokus und sind stärkerer Repression ausgesetzt. Als Rechtsgrundlage dienen weitgefasste Straftatbestände. Personen, deren öffentliche Kritik sich gegen das System der islamischen Republik Iran als solches richtet und die zugleich intensive Auslandskontakte unterhalten, können der Spionage beschuldigt werden. Strafverfolgung erfolgt selbst bei niederschwelliger Kritik oftmals willkürlich und selektiv. Inhaftierten droht insbesondere bei politischer Strafverfolgung eine Verletzung der körperlichen und mentalen Unversehrtheit (psychische und physische Folter, Isolationshaft als Form der Bestrafung, Misshandlung, sexuelle Übergriffe) (S. 9 f.). Von Seiten des iranischen Regimes werden vor allem „ausländische Medien“ beschuldigt, die Proteste initiiert zu haben und zu lenken. Das Internet wird stark eingeschränkt. Darüber hinaus wird der Internetverlauf „gefiltert“ bzw. mitgelesen. Jede Person, die sich regimekritisch im Internet äußert, läuft Gefahr, mit dem Vorwurf konfrontiert zu werden, einen „Cyber-Krieg“ gegen das Land führen zu wollen und Proteste anzustacheln (S. 11 f.). Das Regime verfolgt (vermeintlich und tatsächlich) militante separatistische Gruppierungen (vor allem die kurdisch-marxistischen Komalah-Partei sowie die DPIK usw.) (S. 14). Muslimen ist es verboten zu konvertieren und auch an Gottesdiensten anderer Religionen teilzunehmen. Die Konversion sowie Missionstätigkeiten unter Muslimen wird strafrechtlich verfolgt. Muslimische Konvertiten und Mitglieder protestantischer Kirchen sind willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt (S. 15 f.). Fälle von Sippenhaft existieren, meist in politischen Fällen; üblicher ist jedoch, dass Familienmitglieder unter Druck gesetzt werden, um im Sinne einer Unterlassung politischer Aktivitäten auf die Angeklagten einzuwirken (S. 17). Die exilpolitische Gruppe Mujahedin-e Khalq (MEK/MKO) wird als Terrororganisation eingestuft und gilt als Staatsfeind. Mitglieder werden mit allen Mitteln bekämpft. Auch Aktivitäten kurdischer exilpolitischer Gruppen werden genau beobachtet und sanktioniert. Iraner, die im Ausland leben, sich dort öffentlich regimekritisch äußerten, sind von Repressionen bedroht, nicht nur, wenn sie in den Iran zurückkehren. Ihre im Iran lebenden Familien werden regelmäßig unter Druck gesetzt (S. 19). Auf eine Vielzahl von Verbrechen steht die Todesstrafe, wie auch die im November 2022 im Zusammenhang mit der angeblich gewaltsamen Teilnahme an Protesten verhängten Todesurteile erneut zeigen (S. 21). Hinweise auf extralegale Tötungen existieren, besonders im Rahmen von Folter in Gefängnissen. Glaubhafte Hinweise liegen vor, dass Sicherheitskräfte ab September 2022 gezielt auf Köpfe und lebenswichtigen Organe von Demonstrierenden schossen bzw. dass Personen durch sonstige rohe Gewaltanwendung bei den Protesten ums Leben kamen. Willkürliche Festnahmen, Haft und unverhältnismäßige Strafen sind in politischen Fällen üblich (S. 22). Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus. Ausgenommen davon sind Personen, die seitens iranischer Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert werden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht. Die Auswirkungen der aktuellen Proteste und deren blutigen Niederschlagung auf Rückkehrende lässt sich im Augenblick nicht abschließend einschätzen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrende verstärkt von den Sicherheitsbehörden überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen, deren Ausgang sich der Kenntnis des Auswärtigen Amtes entzieht. Insbesondere in Fällen, in denen der Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Bisher wurde kein Fall bekannt, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert worden sind. Der Chef der Judikativen hat explizit Exil-Iraner und Iranerinnen ermutigt, nach Iran zurückzukehren, und ihnen eine Rückkehr ohne Inhaftierung in Aussicht gestellt, sofern dies mit der iranischen Justiz koordiniert wird (S. 25).
42
In einer neueren Auskunft des Auswärtigen Amtes an das OVG Schleswig-Holstein (Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023) ist weiter ausgeführt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass Rückkehrende verstärkt von den Sicherheitsbehörden überprüft werden. Die Behörden können erkennen, wann der Iran bei legaler Ausreise verlassen worden ist und wie lange der Auslandsaufenthalt gedauert hat und ob der Iran auf dem legalen Weg verlassen worden ist. Das Auswärtige Amt kann nicht ausschließen, dass sich die Befragungen angesichts der aktuellen Lage verstärkt auf Aktivitäten im Ausland beziehen, etwa auch auf die Teilnahme an Demonstrationen. Flächendeckende Befragungen zur politischen Überzeugung werden jedoch nicht durchgeführt. Ein längerer Auslandsaufenthalt führt allein zu keinen Repressionen. Repressionen dürften abhängig vom Einzelfall sein, insbesondere von der Einschätzung der iranischen Behörden über die jeweiligen Aktivitäten im Ausland. Eine Asylantragstellung im Ausland genügt nicht. Wenn der Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. In Betracht kommt auch eine Bestrafung wegen illegaler Ausreise. Erschwerend wirkt, wenn weitere Umstände hinzutreten, etwa wenn eine Person flüchtig und zuvor untergetaucht gewesen ist. Regimekritische Aktivitäten und Äußerungen im Ausland, unter anderem in den sozialen Medien, können nach Rückkehr in den Iran zur strafrechtlicher Verfolgung und Repressionen führen. Bei Kontrolle der Nichteinhaltung von Bekleidungsvorschriften kommt im Iran eine Gesichtserkennungstechnologie zum Einsatz. Auch Warn-SMS wurden schonverschickt, z. B. im Straßenverkehr, an Ladeninhaber oder bei Aufenthalt an bestimmten Orten. Das iranische Rechtssystem ist von Willkür geprägt. Es ist Teil der Repressionsstrategie des Regimes, Unsicherheit dadurch zu schaffen, dass es keine klaren Regeln oder rote Linien gibt. Die Bevölkerung lebt so immer in Ungewissheit, welche Verhaltensweisen gegebenenfalls als Vorwand für ein Gerichtsverfahren oder andere Formen der Bestrafung, wie beispielsweise Erziehungsseminare, Geldbußen, vorübergehende Autobeschlagnahmen, Ausreisesperren, Passentzug, Hausarrest, Sperrung von Konten, Drohung mit und gegebenenfalls auch Anwendung von sexualisierter Gewalt und Ähnlichem, genutzt werden. Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass der iranische Staat seine Staatsangehörigen auch im Ausland überwacht und damit auch Informationen über eine Mitgliedschaft in christlichen Kirchen und Aktivitäten sammelt. Dem Auswärtigen Amt liegen widersprüchliche Aussagen dazu vor, ob allein das Bekanntwerden des formalen Glaubensübertritts genügt, um im Iran staatliche Repressionen zu erfahren. Die Verfolgung von Angehörigen anderer Religionsformen hat auch unter der Regierung des jetzigen Präsidenten noch einmal deutlich zugenommen. Regimekritische Äußerungen und Aktivitäten – auch außerhalb Irans – können, je nach Einzelfall, bei Rückkehr strafrechtliche Verfolgung und Repressionen nach sich ziehen. Die konkreten Repressionen hängen davon ab, wie das häufig willkürlich handelnde Regime die Aktivitäten und Äußerungen im Einzelfall bewertet. Dem Auswärtigen Amt sind Fälle bekannt, in denen Aktivitäten im Ausland zur Verhaftung und Anklage wegen unterschiedlicher Delikte geführt haben. Personen, die aus der Sicht des Regimes besonders gefährlich für das System erscheinen, beispielsweise durch große Sichtbarkeit ihrer kritischen Äußerungen oder aufgrund realer oder perzipierter Umsturzabsichten, können sogar im Ausland entführt und ermordet werden. Repressionsmaßnahmen hängen davon ab, wie das Regime die Äußerungen/Aktivitäten im Einzelfall einschätzt. Das Vorgehen der Behörden ist häufig willkürlich.
43
Nach den aktuellen Reise- und Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes für Iran, einschließlich Reisewarnung, droht selbst deutschen Staatsangehörigen bzw. Doppelstaatlern die konkrete Gefahr, willkürlich festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden. In jüngster Zeit kam es zu einer Vielzahl willkürlicher Verhaftungen auch unbeteiligter ausländischer Staatsangehöriger. Selbst Personen, die in der Vergangenheit ohne Probleme ein- und ausreisen konnten, können bei einem erneuten Aufenthalt willkürlich aufgrund zeitlich weit zurückliegender oder neuer Tatvorwürfe festgenommen werden. Strafrechtliche Vorschriften sind häufig so vage formuliert, dass eine Vielzahl möglicher Verhaltensweisen erfasst werden kann, ohne dass dies dem Betroffenen vorher deutlich sein muss. Die Rechtsprechung ist mitunter eindeutig politisch motiviert. Aufgrund im Iran weit ausgelegter Begriffe, wie zum Beispiel „nationale Sicherheit“, „Spionage“, „Terrorismus“ oder so genannter „Korruption auf Erden“ können zum Beispiel bloße Äußerungen, das Teilen, Kommentieren oder Liken von Beiträgen in sozialen Medien, aber auch persönliche Aufzeichnungen wie Tagebücher oder Notizen für eine Strafverfolgung ausreichen. Es kommt oft ohne nachvollziehbare Gründe zu Verhören und/oder Verhaftungen. Auch Familienangehörige von Inhaftierten werden regelmäßig unter Druck gesetzt. Auch in Deutschland getätigte Meinungsäußerungen und Handlungen können im Iran als regierungskritisch wahrgenommen werden und deshalb zu strafrechtlichen Konsequenzen führen. Gleiches gilt für regierungskritische Äußerungen im Internet bzw. das bloße Teilen oder Liken eines fremden Beitrags. Vor Reisen nach Iran wird gewarnt. Personen, die sich beabsichtigt oder zufällig am Umfeld von Demonstrationen aufhalten, droht die Festnahme und Verurteilung (Auswärtiges Amt, Iran: Reise- und Sicherheitshinweise, Reisewarnung, Stand: 19.2.2024, unverändert gültig ab 15.1.2024 sowie Stand: 25.3.2024, unverändert gültig ab 27.2.2024).
44
Medienberichten ist zu entnehmen, dass seit Beginn der landesweiten Proteste ab September 2022 bis in den November hinein, schon allein nach offiziellen Angaben, mehr als tausend Personen angeklagt worden sind. Fast 15.000 Menschen sind festgenommen worden, denen schwere Strafen drohen, um einen abschreckenden Effekt zu erzielen. Bei den seit Mitte September anhaltenden Protesten sind mindestens 318 Menschen getötet worden, darunter 49 Minderjährige und 38 Einsatzkräfte. Mit scharfer Munition wird direkt in Menschenmengen geschossen, teilweise auch mit kleinen Metallgeschossen, die wie Schrot zersplittern. Ärzte, die Verletzte behandeln wollen, werden daran gehindert und sind selbst von Repressalien bedroht. Selbst wer nicht direkt an den Demonstrationen teilnimmt, sondern sich selbst nur solidarisch erklärt oder die Gewalt des Staates verurteilt, gerät ins Visier des Regimes. Mehr als 14.000 Personen sind festgenommen worden; nicht alle davon sind selbst auf der Straße gewesen. Verhaftete werden im Staatsfernsehen öffentlich vorgeführt und vorverurteilt. Verschiedene Vorwürfe, wie etwa Krieg gegen Gott oder Korruption auf Erden, werden erhoben, auf denen in der islamischen Republik Iran die Todesstrafe steht. Die iranische Justiz wirft den Demonstranten subversive Aktivitäten vor, wie Angriffe auf die Sicherheitskräfte oder öffentliche Gebäude (vgl. Zeit-Online, Bereits mindestens tausend iranische Demonstranten angeklagt, vom 8.11.2022; tagesschau.de, Droht Protestteilnehmern die Todesstr…, vom 7.11.2022; NZZ, Irans Regime droht seinen Gegnern mit der Todesstrafe, vom 3.11.2022; FAZ, 1.000 Demonstranten im Teheran angeklagt, vom 1.11.2022).
45
Weiter bis in den Dezember 2022 hinein zogen sich Proteste durch das ganze Land und die gesamte iranische Bevölkerung. Es gab Kundgebungen in 160 Städten. Das iranische Regime machte – nicht zum ersten Mal – das Ausland verantwortlich. Die Regierung ging und geht mit großer Brutalität gegen die Muslimen vor. Es gibt viele Videos von Polizeigewalt und Repressionen. Immer wieder gehen auch Einsatzkräfte in zivil gegen Demonstrierende vor. Inzwischen soll es nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen rund 500 Tote geben, außerdem sollen mehr als 18.000 Menschen festgenommen worden sein. Auf Seiten der Einsatzkräfte des Regimes gab es demnach mehr als 60 Tote. Es gibt eine Reihe von Todesurteilen. Die ersten Verurteilten wurden hingerichtet, teilweise nach einem erzwungenen Geständnis, wobei das erpresste Geständnis seit vielen Jahren im Iran System hat. Auch auf Seiten der Demonstrierenden kommt es zu Gewalt bis hin zur Tötung von Einsatzkräften. Die iranische Regierung kennt ausdrücklich keine Gnade. Sie sieht Feinde des Iran und deren Verbündete im Inland hinter den Protesten. Als Feinde begreift die iranische Führung die USA und Israel aber auch Saudi-Arabien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Der Revolutionsführer Al Chamenei hat entschieden, auf nackte Gewalt zu setzen. Die Staatskräfte sind angewiesen, mit Härte vorzugehen und auch den Tod von Protestierenden in Kauf zu nehmen. Die Gewalt wird wahllos eingesetzt. Selbst zufällige Passanten, Jugendliche und Kinder bleiben nicht verschont. Des Weiteren gibt es schwere Vorwürfe gegen Sicherheitskräfte im Iran, bewusst sexualisierte Gewalt gegen Demonstrantinnen einzusetzen bis hin zur Vergewaltigung. Inhaftierte berichten über lange Verhöre, Schläge, Schlafentzug und Drohungen, auch Familienangehörige festzunehmen. Geständnisse oder Reuebekenntnisse werden unter Folter erpresst und auf Video aufgenommen. Auch Augenzeugen und Familienangehörige werden drangsaliert. (vgl. etwa Deutschlandradio – Drei Monate Proteste im Iran, vom 17.12.2022; Die Zeit, Gehängt im Namen Gottes, vom 15.12.2022; FAZ, Iran warnt vor einem Bürgerkrieg, vom 18.11.2022 sowie Amnesty International, Journal, „Frau, Leben, Freiheit“, vom 7.12.2022; „Mullah muss weg“, vom 5.12.2022; „Mindestens 21 Menschen von Todesstrafe bedroht“ vom 18.11.2022; FR, Keine Gnade im Iran vom 28.12.2022; NZZ, Schwere Vorwürfe gegen Polizisten im Iran: Vergewaltigen sie Demonstrantinnen? vom 25.12.2022 sowie Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes, Zusammenfassung Iran – Juli bis Dezember 2022, vom 1.1.2023; Amnesty International, Report 2022, Länderbericht „Iran“, vom 28.3.2023).
46
Die Protestaktionen und Repressionen gingen auch nach dem Jahreswechsel im Jahr 2023 weiter, auch wenn die Proteste zwischenzeitlich etwas abgenommen haben. Auf der Straße finden sich teilweise subtilere Formen, z.B. Anti-Regimeslogans, beschriftete Geldscheine, Slogans auf Wänden, übermalte Plakate, Rufe von Dächern und aus Fenstern. Immer mehr Frauen, gerade auch in Teheran, legen öffentlich das Kopftuch ab. So drücken insbesondere viele Frauen inzwischen durch zivilen Ungehorsam ihren Unmut aus. Der iranische Staat geht mit brutaler Gewalt gegen die Proteste vor. Weiterhin werden echte und vermeintliche Gegner verhaftet und misshandelt. Oppositionelle werden in unfairen Gerichtsverfahren zu hohen Haftstrafen verurteilt. Die Haftbedingungen wirken wie eine zusätzliche Bestrafung. Verhaftete kommen in Isolationshaft bzw. verschwinden direkt nach ihrer Festnahme. Oft beginnen unmittelbar nach der Inhaftierung meist Folter oder andere Misshandlungen um die Inhaftierten zu bestrafen, zu erniedrigen und zu Geständnissen zu zwingen. Schläge, auch mit einer Peitsche, und Aufhängen an den Gliedmaßen sind dabei die häufigsten Formen. Es werden auch Elektroschocks und Erstickungstechniken wie „waterboarding“ eingesetzt, ebenso sexualisierte Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen oder Scheinhinrichtungen angewendet. Hinzu kommen verschiedene Formen psychischer Folter. Man droht etwa, nahe Verwandte zu inhaftieren, zu foltern und zu töten. Gleichzeitig wird vor Ort medizinische Behandlung verweigert. Sicherheitsbehörden gehen gezielt gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor und setzen mit Gewalt die diskriminierende Kleiderordnung auch für Frauen durch. Das iranische Regime kennt keine Gnade. Es sieht ausländische Mächte hinter den Protesten und begreift neben der USA und Israel auch weitere Staate wie Deutschland als Feinde (vgl. etwa FR, Das Regime sitzt auf einem Pulverfass, vom 23.2.2023; NZZ, Die nächste Etappe der Proteste beginnt, vom 21.2.2023; NZZ, Proteste im Iran: In mehreren Iranischen Städten wird erneut demonstriert, vom 17.2.2023; taz, Drei Journalistinnen im Iran festgenommen vom 24.1.2023; SZ, Der Staat im Staate, vom 23.1.2023; Der Spiegel, Tödliches Patt, vom 21.1.2023; Amnesty Journal Iran, Doppelt bestraft, vom 20.1.2023; HRW World Report 2023, Iran, vom 12.1.2023; NZZ, Schwere Vorwürfe gegen Polizisten im Iran: Vergewaltigen sie die Demonstrantin…, vom 25.12.2022; FR, Keine Gnade im Iran, vom 28.12.2022 sowie Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 9.1.2023 bis 27.2.2023).
47
Im Zeitraum von September 2022 bis Februar 2023 wurden über 500 Demonstranten und Demonstrantinnen getötet und fast 20 000 inhaftiert. Festgenommene berichten von Folter. Bis Januar wurden 18 Personen zum Tode verurteilt. Vier Todesurteile wurden vollstreckt (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Kurzinformation der Staatendokumentation Iran, Proteste, exilpolitische Tätigkeiten und Vorgehen der iranischen Behörden, vom 23.2.2023).
48
Die Protestkundgebungen haben sich auch anlässlich des internationalen Frauentages (8.3.2023) sowie in der Folgezeit fortgesetzt, die sich insbesondere auch gegen die Kopftuchpflicht und für die Freiheit und Gleichheit gerichtet haben. Auch im Zusammenhang mit den aufgetretenen Giftanschlägen gegen Schülerinnen und der deshalb erfolgten Proteste haben die iranischen Behörden den Vorwurf geäußert, dass die jüngsten Ausschreitungen durch Personen erfolgten, die mit ausländischen Medien kooperierten. Zahlreiche Schülerinnen hatten sich an den Demonstrationen nach dem Tod von Mahsa Jina Amini, einer Kurdin, beteiligt und verstoßen weiterhin gegen das Kopftuchgebot. Der islamische Staat mit seinem riesigen Sicherheitsapparat verfügt über ein dichtes Netzwerk von Überwachungskameras im ganzen Land und ist so fähig zu einer engmaschigen Bespitzelung. Es geht dabei im Iran nicht nur um das Kopftuch, sondern um die systematische Unterdrückung von Frauen. Weiße Foltermethoden werden eingesetzt; „weiße Folter“, also „saubere“ Methoden, weil die Methoden vorrangig die Psyche einer Person zermürben und keine physischen Spuren hinterlassen. Zudem sind unter den Protestierenden sehr viele Kurden, sodass die iranische Regierung umso mehr mit exzessiver Gewalt gegen diese vorgeht, zumal auch des Slogan „Jin Jiyan Azadi“ – Frau Leben Freiheit – aus dem Kurdischen kommt. Die Brutalität des iranischen Staates in seiner ganzen Bandbreite trifft selbst Kinder und Jugendliche (FR, Eine Tochter kämpft für ihre Mutter, vom 28.3.2023; Amnesty Journal, Iran, Widerstand aus Tradition, vom 22.3.2023; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Notes vom 13.3.2023 und 20.3.2023; Der Spiegel, Folter von Minderjährigen, vom 18.3.2023; FR, Mit Giftgas gegen die Jugend vom 13.3.2023; FZ, Mädchen vergiftet und der Staat schaut zu, vom 11.3.2023; taz, Es geht um so viel mehr als das Kopftuch, vom 7.3.2023).
49
In der Folgezeit kam es zu weiteren regimefeindlichen Protesten und auch entsprechenden Repressionen des islamischen Staates, etwa zum Neujahrsfest Mitte März 2023. Auch Minderjährige waren physischer, psychischer und selbst auch sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Unter den Aufständischen im Iran sind sehr viele Kurden und Kurdinnen. Deshalb gehen die Sicherheitskräfte – besonders in kurdischen Gebieten – hart gegen Protestierende vor und wenden exzessive Gewalt an. Auch weitere Foltermethoden werden angesetzt, bei denen es vorrangig darum geht, die Psyche einer Person zu zermürben, ohne dass diese Methoden physische Spuren hinterlassen. Ankündigungen zur Abschaffung der Sittenpolizei haben sich als falsch erwiesen. Verstöße gegen Bekleidungsvorschriften für Frauen werden auf verschiedene Weise geahndet, etwa Ermahnung und Schläge, Teilnahme an Moralunterricht und Geldstrafen bis zur Inhaftierung und Strafverfahren, auch sexualisierte Gewalt gegenüber Gefangenen. Wenn auch im geringen Umfang sind immer noch Demonstranten auf den Straßen Irans zu sehen; ebenso Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften. In sozialen Netzwerken sind die Protestaktivitäten allgegenwärtig. Verstöße gegen Bekleidungsvorschriften werden wieder strenger kontrolliert. Die iranischen Behörden verstärken die Unterdrückung von Frauen und Mädchen, die sich dem Kopftuchzwang widersetzen. Behörden verbannen Frauen ohne Kopftücher aus Hochschulen, öffentlichen Verkehrsmitteln, verwehren ihnen den Zugang zu Finanzdienstleistungen und schließen Unternehmen, die die Kopftuchpflicht nicht umsetzen. Durch Massenüberwachungstechnologien werden unverschleierte Frauen in ihren Autos und in Fußgängerzonen identifiziert. Im April 2023 wurden etwa mehr als eine Million Frauen, die ohne Kopftuch am Steuer gefilmt worden sind, per Textnachrichten davor gewarnt, dass ihre Fahrzeuge beschlagnahmt würden. Frauen wurden von Universitäten suspendiert oder von Abschlussprüfungen ausgeschlossen. Ein neues geplantes Gesetz sieht härtere Haftstrafen vor. Hinzu können Ausreiseverbote, Beschlagnahme von Pässen, Entzug von Bürgerrechten kommen. Gerade im Zusammenhang mit dem Jahrestag des Todes von Mahsa Amini im September 2023 kommt es verstärkt zu Verhaftungen und repressiven Maßnahmen. Familien Getöteter werden schikaniert, etwa willkürlich festgenommen, inhaftiert, Grabsteine zerstört. Die Straßenproteste im Iran haben zwar mittlerweile nachgelassen, jedoch ist die Opposition gleichwohl noch aktiv, etwa in den sozialen Medien. Zudem gehört ziviler Ungehorsam, Missachtung der Gesetze zum Alltag, ebenso die Repressionen der Behörden. Am 20. September 2023 ist ein Gesetzentwurf zu Hidschab- und Keuschheitsregeln mehrheitlich vom Parlament angenommen worden. Das Parlament ist seitens des Wächterrats, der das Gesetz ratifizieren muss, zur Nachbesserung aufgefordert worden. Der Gesetzentwurf sieht erweiterte Strafen bei Verstößen gegen islamische Vorschriften vor, die von zwischenzeitlichen Festnahmen über Geldstrafen und den Entzug von Bürgerrechten bis hin zu Haftstrafen reichen können. Als Verstoß gelten demnach die Verbreitung und die Förderung von Nacktheit, Unsittlichkeit, Hidschab-Verletzungen oder unangemessene Kleidung in der Öffentlichkeit, in sozialen oder in ausländischen Medien. Zudem soll eine umfassende Geschlechtertrennung durchgesetzt werden. Eine Erweiterung der Zuständigkeit von Sicherheitsbehörden für die Überwachung und Durchsetzung der Kleiderordnung ist ebenfalls vorgesehen. Im Übrigen hat Iran auch zuletzt wieder seine Repressionen verschärft und nutzt gerade auch den Krieg im Gaza-Streifen, um im eigenen Land hart durchzugreifen. Die staatliche Repressionswelle nach dem Tod hält bis heute an. Es gab im Jahr 2023 mehr als 800 Hinrichtungen, um gerade auch den Frauen, die ihr Kopftuch abnahmen, und ihren Unterstützern Angst zu machen. Bei der Niederschlagung der Proteste wurden, unabhängig von den Hinrichtungen mehr als 500 Menschen getötet (vgl. im Einzelnen die im Regelfall wöchentlich erscheinenden Briefing Notes des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.3.2023 bis zum 18.12.2024 sowie etwa taz, Der Nutznießer des Krieges sitzt im Iran, vom 25.10.2023; NZZ, Iran verschärft die Repression, vom 25.10.2023; Amnesty International, Journal, Iran, Viel Glut unter der Asche, vom 4.9.2023; Amnesty International, Aktuell, Iran: Familien der Getöteten müssen am Jahrestag der Proteste in Frieden trauern dürfen, vom 21.8.2023; Amnesty International, Iran: Zunehmende Unterdrückung von Frauen und Mädchen durch Sittenpolizei und Massenüberwachung vom 26.7.2023; NZZ, Was als Protest gegen den Tod einer jungen Iranerin begann, ist zur dauerhaften Herausforderung für das Regime geworden, vom 11.6.2023; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Zum Einsatz von Gesichtserkennungstechnologie in der islamischen Republik, Entscheiderbrief 5/2023 S. 4 ff.; Amnesty International, Auskunft an das OVG SH vom 20.4.2023; FR, Eine Tochter kämpft für ihre Mutter, vom 28.3.2023; Amnesty International, Journal Iran, Widerstand aus Tradition, vom 22.3.2023; Der Spiegel, Folter von Minderjährigen, vom 18.3.2023; vgl. zum Ganzen auch BFA, Bundesamt für Fremdenwesen der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran vom 13.4.2023 und vom 26.1.2024; HRW, Bericht Iran, Ereignisse des Jahres 2023, vom 11.1.2024; SFH, Factsheet Iran, Stand: Januar 2024, S. 1; UN-Menschenrechtsrat, Ermittlungskommission, PM vom 8.3.2024).
50
Auch im Jahr 2024 werden Strafverfahren eingeleitet und Strafen verhängt, wenn Personen ohne die obligatorische Verschleierung auftreten, an Protesten teilnehmen oder über Frauen berichten. Des Weiteren ist anzumerken, dass aktuell, seit Beginn des Jahres 2024 ca. 95 Todesurteile in iranischen Gefängnissen vollstreckt worden sein sollen. Am 29. Januar 2024 trafen die vollstreckten Urteile gerade vier kurdische Gefangene. Nach weiteren Angaben sollen im Jahr 2023 zwischen 791 oder 834 Todesurteile vollstreckt worden sein, davon 39 wegen politischer Straftaten und an sechs Teilnehmern der „Frau Leben Freiheit“-Proteste. Die Hinrichtungen dienen der Einschüchterung, um eine Klima der Angst zu verbreiten. Die iranische Propaganda lenkt zudem mit Hinweis auf die Ereignisse in Israel und im Zusammenhang mit den Palästinensern von den eigenen Repressionen ab (vgl. NZZ, Keine Atempause im Iran: Die Welle der Hinrichtungen hält ungebrochen an, vom 18.3.2024; taz, Haft und Peitschenhiebe, vom 19.2.2024; Iranische Ablenkungsmanöver, vom 12.2.2024; In den Iran darf wieder abgeschoben werden, vom 3.1.2024; BAMF, Briefing Notes, wöchentlich ab 8.1.2024 bis 25.3.2024, insbesondere vom 11. bis 25.3.2024 sowie vom 5.2.2024 und 29.1.2024).
51
Darüber hinaus erfolgen gegen Kinder von regierungskritischen Eltern in unterschiedlichen Ausmaß diverse Repressionen, von Benachteiligungen über Bedrohungen bis hin zu Inhaftierungen und Verhaftungen. Bedrohungen von Familien sind für die Regimebehörden ein Mittel, um die extraterritoriale Repression zu verschärfen. Diese Art der stellvertretenden Bestrafungen wird in erster Linie eingesetzt, um öffentliche und publikumswirksame Aktivitäten der regierungskritischen Betroffenen im Ausland einzuschränken und zu bestrafen. Familien ins Visier zu nehmen, ist dabei eines der wirksamsten Mittel, um Dissidenten im Ausland einzuschränken und zum Schweigen zu bringen (SFH, Iran: Kinder von regierungskritischen Eltern, Themenpapier der SFH-Länderanalyse, 6.11.2023, S. 7 ff.).
52
Hinzu kommt des Weiteren, dass die iranische Regierung seit Jahren die sozialen Medien überwacht, um Regimegegner zu identifizieren. Die sozialen Medien sind ein wichtiger Bestandteil in der Protestbewegung. Die iranische Regierung geht auch anlässlich der Proteste in den sozialen Medien gegen aktive Aktivisten und Aktivistinnen vor. Abseits der Überwachung von Inhalten in den sozialen Medien reagieren die iranischen Behörden auf die Proteste unter anderem mit einer Drosselung der Internetgeschwindigkeit. Es wird vermutet, dass die Behörden ein Computersystem verwenden, das hinter den Kulissen der iranischen Mobilfunknetze arbeitet und den Betreibern eine breite Palette von Fernbefehlen zur Verfügung stellt, mit denen sie die Nutzung der Telefone ihrer Kunden verhindern, stören und überwachen können, wie z.B. die Datenverbindungen verlangsamen, die Verschlüsselung von Telefongesprächen hacken, die Bewegungen von Einzelpersonen oder Gruppen verfolgen und detaillierte Zusammenfassungen von Metadaten darüber erstellen, wer mit wem, wann und wo gesprochen hat. Die iranischen Behörden sind dabei in der Lage, sich auch ohne physischen Zugriff auf Geräte in Smartphones zu hacken und private Kommunikationen wie auch Kommunikationspartner in den sozialen Medien zu überwachen. Aber auch Iraner und Iranerinnen, die im Ausland leben und sich dort öffentliche regimekritisch äußern, sind von Repressionen bedroht. Es ist bekannt, dass Vertreter des iranischen Geheimdienstministeriums in Europa präsent sind und die iranische Diaspora unter genauer Beobachtung halten. Iranische Agenten agieren teilweise aus den jeweiligen Botschaften heraus. Auch die gerade in Europa lebenden Iraner werden unter genauer Beobachtung gehalten (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran vom 13.4.2023, S. 12, 33, 49 f.; Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Iran, Ahwazi-Aktivisten und -organisationen, Behandlung durch iranische Behörden, vom 10.3.2023, S. 24 f.; Kurzinformation der Staatendokumentation, Iran, Proteste, exilpolitische Tätigkeiten und Vorgehen der iranischen Behörden vom 23.2.2023, S. 2 f.; vgl. auch schon Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 23.5.2022; Accord, Anfragebeantwortung zum Iran, Überwachung von Aktivitäten im Ausland, exilpolitische Aktivitäten, Konversion, vom 5.7.2019).
53
Denn da ein erheblicher Anteil regimekritischer Debatten im virtuellen Raum und über die sozialen Medien stattfindet, überwacht das iranische Regime entsprechend das Internet und den mobilen Datenweg. Netzaktivitäten besonders engagierter Personen, die Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben können, können in den Blickfang staatlicher Kontrollen geraten. Staatliche Maßnahmen werden seit Jahren vorangetrieben, um regimefeindliche Aktivitäten zu identifizieren und gegen diese vorzugehen. Da das Hauptaugenmerk des Sicherheitsapparates auf dem Schutz des islamischen Regimes liegt, sollen jegliche Aktivitäten identifiziert werden, die dessen Kontrolle und Autorität gefährden und untergraben können. Im Fokus der Überwachung können Online- und Social-Media-Aktivitäten von Personen, Gruppen und Medien stehen, die das politische und religiöse Gefüge anfeinden und in Frage stellen. Besonders gefährdet sind insbesondere diejenigen mit einer hohen Reichweite und Vernetzung (etwa auch aufgrund ihrer Profession, Kontakte, Bekanntheit) sowie mit entsprechend anzunehmendem Einfluss auf die Öffentlichkeit, darunter auch Iranerinnen und Iraner im Ausland (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Informationszentrum Asyl und Migration, Länderanalysen Kurzinformation Iran, Netzaktivitäten – Netzüberwachung, Juli 2023).
54
Die dargelegte Situation hat erhebliche Auswirkung auf die Beurteilung der Gefährdung von Rückkehrern in den Iran.
55
Das BFA (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation, Iran, vom 26.1.2024, S. 172 ff.) führt dazu unter Heranziehung diverser Quellen aktuell aus: Gerade die Protestwelle ab September 2022 hat Auswirkungen auf Exil-Iraner und die Behandlung von Aktivisten bei einer Rückkehr. Die Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Einzelpersonen stellt im Inland wie auch bei im europäischen Ausland den Schwerpunkt iranischer nachrichtendienstlicher Aktivitäten dar. Die Aktivitäten umfassen dabei unter anderem Ermordungen, Entführungen, Einschüchterungen im digitalen Raum und den Einsatz von Spürnasen-Software. Die iranischen Nachrichtendienste bemühen sich aktiv um die Anwerbung von Informanten innerhalb der Oppositionsgruppen. Dabei ist es den Behörden gelungen diese Oppositionsgruppen auch im Exil zu unterwandern. Auch Auslandsstudenten und -studentinnen, die versuchen ein Bleiberecht im Ausland zu erhalten, in dem sie zum Christentum konvertieren oder sich Oppositionsgruppen anschließen, machen sich dadurch verwundbar und werden entsprechend von den iranischen Behörden unter Druck gesetzt, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Für politisch aktive Personen besteht bei einer Rückkehr ein größeres Risiko. Personen, die politisch sehr aktiv oder bekannt sind, können nicht in den Iran zurückkehren. Einfache Bürger haben möglicherweise keine Probleme. Dies ist alles sehr einzelfallabhängig. Personen, die im Ausland aktiv waren und anonym geblieben sind, können zurückkehren. Auch Bildmaterial von Demonstrationsteilnehmern wird gesammelt, wobei lediglich die Teilnahme an Demonstrationen im Ausland für sich nicht als hochrangiges Ziel betrachtet wird. Organisatoren von Protesten werden jedoch auf Probleme stoßen. Die iranische Diaspora im Ausland wird seit Ausbruch Mitte September 2022 deutlicher und offener bewacht. Die iranischen Behörden verwenden nach eigenen Angaben auch Gesichtserkennungstechnologie. Auch die Online-Überwachung hat sich seit September 2022 verstärkt. Die Behörden überwachen Aktivisten im Exil, haben aber nicht die Kapazitäten, alle von ihnen zu überwachen. Sie setzen Prioritäten. Gefahrerhöhend ist der Einfluss, den eine Person hat, ob diese für das Regime Priorität hat. Ausschlaggebend sind dabei zwei Faktoren, zum einen der Zugang zu öffentlicher Aufmerksamkeit und Verbindungen zum Heimatland. Als einflussreich gilt beispielsweise, wer in Fernsehsendern wie Iran International oder Voice of America (VoA) zu sehen ist. Die Anzahl der Follower kann ein Richtwert sein. Im Zentrum steht aber die Frage, ob es einer Person gelingt, mit ihren Beiträgen den Kurs mitzuprägen. Vor allem haben es iranische Behörden bei der Überwachung auf Führungspersönlichkeiten und Organisatoren abgesehen. Auch wenn es keine klaren Kriterien gibt, laufen Familienmitglieder von politischen Aktivisten und Aktivistinnen wie auch von Mitgliedern kurdischer Oppositionsparteien mit Stützpunkt im Nordirak Gefahr, von den Behörden ins Visier genommen zu werden. Probleme entstehen auch, wenn Personen aus ihrem Umfeld den Behörden gemeldet werden.
56
Bei einer Rückreise ist es – nach weiteren Erkenntnisquellen – praktisch unmöglich den Sicherheitsverfahren am internationalen Flughafen in Teheran zu entgehen. Es gibt Beobachtungs- und Überwachungslisten. Wer mit Laissez-Passer und unter Zwang zurückkehrt, muss damit rechnen, am Flughafen verhört zu werden. Mobiltelefone und Konten in sozialen Medien können überprüft werden. Auch freiwillig mit gültigen Pässen Zurückkehrende können ähnlichen Kontrollen und Reaktionen ausgesetzt sein. Repressalien, gerade gegen Teilnehmer an Demonstrationen im Ausland, können nicht ausgeschlossen werden. Ein langer Auslandsaufenthalt erhöht das Risiko einer Befragung bei der Rückkehr. Auch soziale Medien und die Kommunikation und Mails werden überwacht und überprüft. Regierungskritische Mitglieder der iranischen Diaspora in Deutschland werden identifiziert und müssen bei einer Rückkehr mit erheblichen Konsequenzen rechnen. Es ist davon auszugehen, dass die iranischen Sicherheitsbehörden Informationen über Teilnehmer an Demonstrationen im Ausland abrufen können, ebenso auch Informationen über Aktivitäten in sozialen Medien. Ein Iraner oder eine Iranerin, die im Ausland an Straßenprotesten teilgenommen hat, wird nicht unbedingt sofort verhaftet, aber die Reaktion wird dann davon abhängen, wer die rückkehrende Person ist und was sie getan hat. Organisierende von Protesten werden auf Probleme stoßen. Im Iran bestehen strenge Gesetze und Vorschriften über politische und soziale Aktivitäten, einschließlich kritischer Äußerungen in sozialen Medien und der Teilnahme an Demonstrationen, insbesondere, wenn diese regierungskritisch sind. Teilweise sind harte Strafen möglich. Die Konsequenzen können nach den persönlichen individuellen Umständen variieren. Zusätzliche Risikofaktoren sind Netzwerke, die in den Iran hineinwirken und Wirksamkeit beim iranischen Publikum auslösen. Gefahrerhöhend sind auch Äußerungen in persischer Sprache sowie öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Angehörige von Minderheiten, bei denen der Vorwurf im Raum steht, dass sie Separatismus unterstützen, sind ebenfalls erhöht gefährdet, etwa auch kurdischen Minderheiten. Da viele bei ihren Aktivitäten im Ausland ihre Identität nicht verbergen, ist ihre Identifikation einfach. Der iranische Geheimdienst hat ein Interesse daran die Teilnehmenden der großen Solidaritätsdemonstrationen in Berlin zu identifizieren. Dabei hilft ihm, dass sich die Beteiligten gegenseitig fotografieren und die Bilder im sozialen Netzwerk verbreiten. Er überwacht die sozialen Medien. Der Gefahr von Cyber-Attacken ausgesetzt sind insbesondere Aktivisten mit hohem Profil. Auch die Reichweite des Betreffenden ist relevant und die Frage, ob diese Person einen Trend oder eine Debatte auslösen kann. Neben der Reichweite und der Anführung einer Gruppe kann auch die Verbindung oder die Kommunikation zu einer Gruppe ein Faktor sein. Rote Linien der Inhalte können sich jederzeit ändern. Die willkürliche Machtausübung ist ein inhärentes Merkmal der autoritären Herrschaft und fördert Angst und Selbstzensur. Die Quantität der Kritik ist weniger relevant als der Einfluss der betroffenen Person. Iranische Behörden gehen zum Teil unvorhersehbar vor. Auch eine unbekannte Person kann nach der Rückkehr verhaftet werden. Das Vorgehen ist gerade nicht logisch. Informanten im Ausland würden teilweise freiwillig, teilweise aber unter Zwang rekrutiert. Die Überwachung wurde seit Ausbruch der Proteste im Jahr 2022 deutlicher, offener und intensiver. Ort, Größe und Aufmerksamkeit einer Demonstration können eine Rolle spielen. Demonstrierende werden auch von Geheimdienstmitarbeitern gefilmt und fotografiert (vgl. ausführlich SFH, Iran: Konsequenzen regierungskritische Aktivitäten im Ausland bei der Rückkehr, 26.11.2023; Überwachung der sozialen Medien im Ausland, 25.11.2023; Überwachung der Diaspora, 24.11.2023; Überwachung von Demonstrationen im Ausland, 24.11.2023; vgl. auch Auswärtiges Auskunft, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023; Bundesministerium des Innern und für Heimat, Verfassungsschutzbericht 2022, S. 296 und 314).
57
Nach dieser Erkenntnislage wirken die landesweiten Unruhen, Proteste und sonstigen Aktivitäten im Iran seit September 2022 sowie die repressiven Gegenmaßnahmen durch den iranischen Staat bei einer Rückkehr aus dem (westlichen) Ausland in den Iran gefahrerhöhend jedenfalls, wenn die asylsuchende Person schon zuvor wegen ihres Vorfluchtverhaltens und/oder wegen ihres Verhaltens im Ausland im Fokus der iranischen Sicherheitsbehörden stand und steht.
58
Gleichwohl ist nach der Erkenntnislage gesamtbetrachtend nicht davon auszugehen, dass jeder Iraner bzw. jede Iranerin, die sich im Ausland aufgehalten hat, bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politischer Verfolgung zu rechnen hat. Vielmehr ist auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen. Konkret bleibt weiter, im Einzelfall zu prüfen, ob jemand aufgrund seiner Aktivitäten im Iran bzw. seiner exilpolitischen Aktivitäten von iranischen Behörden als Regimegegner erkannt und identifiziert wird und im Falle einer Rückkehr deswegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Gefahr gerät. Angesichts der Massenproteste in und außerhalb Iran und auch in Deutschland (auch im Internet) innerhalb des letzten eineinhalb Jahre ist es lebensfremd und unwahrscheinlich, dass jeglicher Teilnehmer unterschiedslos bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit flüchtlingsrelevanten Repressalien rechnen muss (VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – UA S. 35 ff.; U.v. 30.10.2023 – W 8 K 23.30338 – juris Rn. 42 f.; U.v. 25.9.2023 – W 8 K 23.30323 – juris Rn. 45; U.v. 20.3.2023 – W 8 K 22.30683 – juris Rn. 37 m.w.N. sowie etwa VG Braunschweig, U.v. 5.6.2023 – 2 A 222/19 – juris Rn. 39).
59
Denn im Iran ist trotz der sich verschlechternden Sicherheitslage gleichwohl gesamtbetrachtend davon auszugehen, dass nicht jede(r) Iraner bzw. Iranerin, der/die sich im Ausland aufgehalten hat, bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit politischer Verfolgung zu rechnen hat. Vielmehr ist auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen und zu prüfen, ob jemand aufgrund seiner exilpolitischen Aktivitäten von iranischen Behörden als Regimegegner qualifiziert und identifiziert wird. Angesichts der Massenproteste von September 2022 bis heute im Iran und in anderen Staaten, auch in Deutschland, ist es lebensfremd und unwahrscheinlich, dass jede(r) Teilnehmer(in) unterschiedslos bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit flüchtlingsrelevanten Repressalien rechnen muss. Aufgrund der Masse an regimekritischen Aktionen in Deutschland und andernorts sowie der Anzahl der Teilnehmenden an diesen Aktionen einschließlich der damit verbundenen Masse an Veröffentlichungen auch in sozialen Medien und der begrenzten Kapazitäten der iranischen Behörden hat das Gericht – nach den vorliegenden Erkenntnissen – keine Anhaltspunkte, dass gleichsam jede(r) Teilnehmer(in) ohne weiteres mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr verfolgt würde. Bedeutung für eine relevante Verfolgungsgefahr im Einzelfall kann einer Gesamtschau, insbesondere vom Ausmaß der Aktivitäten vor der Ausreise sowie Umfang, Inhalt, Ausmaß der Tätigkeiten im Ausland und dem zu erwartenden Grad der Aktivitäten bei einer Rückkehr in den Iran, zukommen. Relevant sind dabei zum Beispiel auch die Intensität der Aktivitäten in Deutschland, die Verbindung zu einer im Iran verbotenen oppositionellen Partei, die Erkennbarkeit nach außen, die Identifizierbarkeit der Person bei ihren Aktivitäten und neben der Qualität auch die Quantität der Aktivitäten, um letztlich auf ein beachtlich wahrscheinliches Verfolgungsinteresse des iranischen Staates schließen zu können. Denn maßgeblich für die Frage, ob ein(e) Iraner(in) bei einer Rückkehr in den Iran mit Verfolgung rechnen müsste, ist, ob diese(r) sich in Deutschland ernsthaft, offen und kontinuierlich regimekritisch betätigt hat und ob gerade diese Betätigung die Annahme rechtfertigt, dass der freie Ausdruck seiner (ihrer) regimekritischen Haltung für die Identität insofern so wichtig ist, dass er (sie) auch bei einer Rückkehr in den Iran den Drang verspüren würde, sich an regimekritischen Protesten zu beteiligen. Umgekehrt ist der Schluss gerechtfertigt, dass der (die) Betreffende bei der Rückkehr in den Iran sich auch dort nicht aktiv an oppositionellen Tätigkeiten beteiligten würde, wenn er (sie) sich selbst schon in Deutschland bei den sich ihm (ihr) gefahrlos bietenden Möglichkeiten und Freiheiten nur sehr rudimentär an regimekritischen Protesten sowohl tatsächlich als auch online beteiligt und auch sonst nicht das Verfolgungsinteresse des iranischen Staates weckt, so dass keine Verfolgungsgefahr anzunehmen ist (vgl. m.w.N VG Würzburg, U.v. 19.2.2024 – W 8 K 23.30832 – UA S. 35 ff.; U.v. 30.10.2023 – W 8 K 23.30338 – juris Rn. 42 f.; ebenso etwa zuletzt VG Köln, U.v. 21.7.2023 – 12 K 319/20.A – juris Rn. 22 ff.; VG Hamburg, U.v. 20.7.2023 – 10 A 4016/21 – juris Rn. 27; BayVGH B.v. 10.7.2023 – 14 ZB 22.31080 – juris Rn. 13; VG Braunschweig, U.v. 5.6.2023 – 2 A 222/19 – juris Rn. 36 ff., 39 ff.; VG Meiningen, U.v. 28.8.2023 – 5 K 1269/21 Me, 7676319 – juris, UA S. 11 f.; U.v. 6.3.2023 – 5 K 1368/22 Me, 9331572 – juris S. 9 f. und 11 f.; VG Gießen, U.v. 28.4.2023 – 3 K 2214/19.GI.A – juris Rn. 30; VG Aachen, U.v. 18.4.2023 – 10 K 2279/20.A – juris Rn. 49 ff., 59 f. U.v. 5.12.2022 – 10 K 2406/20.A – juris Rn. 35 ff., 50 ff., 52 ff.; VG Berlin, U.v. 17.1.2023 – VG 17 K 4/23 A – juris UA S. 7).
60
Ausgehend von der gegebenen Bedrohungs- und Gefährdungslage muss die Klägerin nach den Umständen ihres Einzelfalles bei einer Rückkehr in den Iran nicht mit politisch motivierter Verfolgung oder sonst mit ernsthaften Gefahren rechnen.
61
Selbst wenn man als wahr unterstellt, dass die Klägerin eine SMS bekommen haben sollte (wenn auch keine förmliche Vorladung), sich einige Tage später bei einer iranischen Stelle zu melden, reicht dies für sich nicht aus, eine flüchtlingsrelevante Verfolgungsgefahr zu begründen. Denn konkret dazu lässt sich den vorliegenden Erkenntnissen entnehmen, dass iranische Mobiltelefonnutzer vielfach von SMS berichten, die sie etwa von lokalen Polizeistationen mit dem Hinweis erhalten haben, dass sie sich in einem Unruhegebiet aufgehalten hätten und dass sie dieses Gebiet nicht noch einmal aufsuchen sollten und auch nicht noch einmal mit antirevolutionären Regierungsgegnern online in Verbindung zu treten. Gerade auch Frauen haben vielfach SMS bekommen. Frauen haben sich verpflichten müssen, an keinen weiteren Demonstrationen teilzunehmen. Die SMS dienten und dienen auch dazu, die Demonstrationsteilnehmer, insbesondere die Frauen, einzuschüchtern, sich an öffentlichen Orten aufzuhalten und um sie zur Einhaltung der Schleierpflicht zu zwingen. Es ging gerade auch darum, Frauen, die sich nicht an die Verschleierungspflicht hielten, zu verwarnen. Betroffen waren gerade Frauen, die sich mit dem Auto oder auch zu Fuß im öffentlichen Raum bewegt und die Kopftücher nicht korrekt getragen haben. Im Regelfall ist es jedoch zu keinen Verhaftungen oder Inhaftierungen bei Erstverstößen gekommen. Denn gerade in weniger schwerwiegenden Fällen sind Verwarnungen oder mündliche Ermahnungen erfolgt. Diese Verwarnungen dienten häufig als erste Stufe der staatlichen Reaktion. Die Rede ist von über eine Millionen SMS-Verwarnungen im Iran. Bei der Kontrolle ist, wie schon ausgeführt, auch eine Gesichtserkennungstechnologie zum Einsatz gekommen mit der Folge, dass dann auch deswegen vermehrt Warn-SMS verschickt worden sind (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformation der Staatendokumentation Iran vom 26.1.2024, S. 64 und 121 f.; Kurzinformation der Staatendokumentation Iran, Proteste, exilpolitische Tätigkeiten und Vorgehen der iranischen Behörden, vom 23.2.2023, S. 3; SFH, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Iran: Situation der Frauen, Themenpapier der SFH-Länderanalyse, vom 18.11.2023 S. 6, 9, 10, 11, 16, 19 und 20; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG SH vom 14.6.2023, S. 7 f; Amnesty International, Auskunft an das OVG SH vom 20.4.2023, S. 1; Pressemitteilung, Aktuell, Iran, vom 16.3.2023, Iran: Peitschenhiebe, Elektroschocks und sexualisierte Gewalt gegen inhaftierte Kinder). Ausgehend von dieser Erkenntnislage sind die SMS, die Frauen auf ihr Handy erhalten haben, primär zur Warnung, Verwarnung und Einschüchterung gedacht und zogen für sich bei Erstverstößen im Regelfall keine weiteren Konsequenzen nach sich. Weitergehend sind Frauen allenfalls vorgeladen worden und haben eine Reue-Erklärung unterschreiben müssen (vgl. auch OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 18 m.w.N.).
62
Die SMS bilden damit auf niedrigster Stufe eine einmalige Reaktion der staatlichen Behörden gegen den Verstoß gegen die Hidschab-Pflicht zur Verwarnung, Warnung und Einschüchterung. Sie zogen jedoch keine weiteren Maßnahmen nach sich, sofern die Verstöße nicht fortgesetzt wurden. Die Klägerin hat sich tatsächlich seit dem Vorfall im Iran und ihrer Ausreise nicht mehr politisch aktiv betätigt, wie sie selbst erklärte. Sie hat weder an irgendwelchen exilpolitischen Aktionen oder Demonstrationen in Deutschland teilgenommen; sie hat auch nicht dahingehende Aktivitäten in den sozialen Medien entwickelt. Aufgrund eines einmalig gebliebenen niederschwelligen Vorfalls im Iran, drohen der Klägerin bei einer Rückkehr keine weiteren Repressionen.
63
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Vorbringen, dass die Klägerin kein Kopftuch trage und auch nicht mehr an das Kopftuch glaube. Insbesondere ist bei ihr nicht von einer identitätsprägenden Verwestlichung auszugehen. Das klägerische Vorbringen belegt nicht schlüssig eine westliche Prägung in dem Sinne, dass die Klägerin infolge eines längeren Aufenthalts in Deutschland in ihrer Identität derart westlich geprägt worden wäre, dass ihr bei einer Rückkehr in den Iran entweder nicht mehr in der Lage wäre ihren Lebensstil den dort erwartenden Verhältnissen und Traditionen anzupassen, oder ihr dies infolge des erlangen Grades ihrer westlichen Identitätsprägung nicht mehr zugemutet werden könnte (vgl. OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 107 ff., 122 f; BayVGH, B.v. 30.3.2023 – 14 ZB 23.30010 – juris Rn. 6; VG Würzburg, U.v. 30.10.2023 – W 8 K 23.30337 – juris Rn. 58 ff. mwN).
64
Nach Überzeugung des Gerichts liegt keine mit dem Aufenthalt in Europa und insbesondere in Deutschland verbundene Prägung der Klägerin vom westlichen Lebensstil vor, wodurch sie bei einem dauerhaften Aufenthalt im Iran nunmehr zwangsläufig aufgrund der aktuellen Gegebenheiten dort staatlichen Repressionen ausgesetzt wäre. Voraussetzung für die Annahme einer solchen Verfolgungsgefahr wäre eine bereits eingetretene identitätsprägende Verwestlichung der Klägerin.
65
Das Gericht hat nach Würdigung aller Gesamtumstände unter Beachtung des Vorbringens und aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht die Überzeugung gewinnen können, dass es für sie einen so hohen Stellenwert hat, ihr Leben selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu führen, dass ihr nicht mehr von Rechts wegen zugemutet werden könnte, dauerhaft in den Iran zurückzukehren und sich erneut der Lebenssituation der Frauen dort anzupassen. Insbesondere genügt nicht, dass die Klägerin ihre Haare in Deutschland nicht mit einem Kopftuch bedeckt und erklärt, sie glaube nicht an den Hidschab, sie wolle ihn nicht haben, weil im Iran die Rechte der Frauen unterdrückt würden. Denn schließlich hat die Klägerin dazu nichts Weiteres Substanzielles vorgebracht, insbesondere auch nicht eine geltend gemachte überzeugungsgetragene Zuwendung im täglichen Leben jenseits des Nichttragens des Kopftuchs. Aus dem Vorbringen der Klägerin ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass es für sie schlechthin unerträglich wäre, als Frau im Iran zu leben und sich wieder den dortigen Vorschriften anzupassen. Es leuchtet dem Gericht nicht ein, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in den Iran nunmehr aus Überzeugung ohne Ansehung der sich daraus ergebenden Konsequenzen wie eine westliche Frau leben würde (vgl. OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 124).
66
Denn die Klägerin reiste erst vor knapp neun Monaten am 5. Juni 2023 nach Deutschland ein und brachte erstmals in der mündlichen Verhandlung – trotz vorheriger Fristsetzung nach § 87b Abs. 3 VwGO – vor, dass sie nicht mehr an den Hidschab glaube und ihn nicht mehr haben wolle, ohne dies zu vertiefen. Eine nähere Begründung zu Plausibilisierung des Vorbringens erfolgte bis heute nicht, sodass die Behauptung ohne weitere Untermauerung in der Luft hängt.
67
Allein der Wunsch, ein besseres Leben zu haben als im Iran, bedeutet nicht gleichsam, dass sie nunmehr aufgrund einer Verwestlichung den westlichen Lebensstil angenommen hätte und nunmehr ihre Identität davon geprägt wäre. Denn der Wunsch, in Deutschland bzw. in einem anderen Land als den Iran zu leben, um dort besser zu leben und über alles frei entscheiden zu können, genügt für sich nicht, um eine Bleiberecht zu erlangen (vgl. schon VG Würzburg, U.v. 3.4.2023 – W 8 K 22.30692 – UA S. 8 f.). Die Klägerin hat unter anderem nicht dargelegt, dass sich ihre grundsätzliche Einstellung im Vergleich zu der Iran nunmehr in Europa bzw. gerade in Deutschland geändert hat. Sie schilderte auch nicht ihre etwaigen Beweggründe für einen Einstellungswandel bzw. einer schon im Iran verfestigten, dort verpönten Einstellung.
68
Das Gericht ist so insgesamt nicht überzeugt, dass die Persönlichkeit der Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in einem Maße nachhaltig vom westlichen Lebensstil geprägt ist, dass es ihr nicht mehr zugemutet werden könne, sich erneut den vom iranischen Regime für Frauen statuierten Verhaltensvorschriften zu unterwerfen, und, dass diese Prägung Ausdruck der heutigen Persönlichkeit der Klägerin wäre. Insofern ist auch bei einer Rückkehr in den Iran nicht anzunehmen, dass der Klägerin seitens staatlicher Stellen nunmehr eine regime- und islamfeindliche politische Gesinnung unterstellt bzw. vorgeworfen würde, verbunden mit der Befürchtung, die Klägerin werde sich islam- und regimekritisch verhalten, ihren westlichen Lebensstil pflegen und sich somit als „Ungläubige“ zu erkennen geben und auch entsprechend äußern.
69
Diese Einschätzung deckt sich auch mit den niederschwellig und geringfügig gebliebenen einmaligen oppositionellen Aktivitäten der Klägerin im Iran und erst Recht mit den gänzlich ausgebliebenen exilpolitischen Aktivitäten in Deutschland.
70
Selbst wenn nach alledem – gerade angesichts des willkürlichen Vorgehens der iranischen Stellen – eine politische oder sonstige Verfolgung der Klägerin bei einer potentiellen Rückkehr in den Iran nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, steht nach seinem Vorbringen sowie nach der Auskunftslage und der daraus resultierenden Rechtsprechung nach Überzeugung des Gerichts jedenfalls keine beachtliche Wahrscheinlichkeit der Verfolgung bzw. einer ernsthaften Gefahr bei einer Rückkehr in den Iran.
71
Schließlich ist auch nicht anzunehmen, dass der Klägerin sonst bei einer Rückkehr politische Verfolgung droht, etwa wegen des Auslandsaufenthalts oder der Asylantragstellung in Deutschland. Auslandsaufenthalte sind nicht verboten. Allein der Umstand, dass eine Person in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, löst bei Rückkehr keine staatlichen Repressionen aus; ausgenommen davon sind Personen, die – anders als hier – seitens der iranischen Sicherheitsbehörden als ernsthafte Regimegegner identifiziert wurden und an denen ein Verfolgungsinteresse besteht. Die Auswirkungen der aktuellen Proteste und der blutigen Niederschlagung auf mögliche Rückkehrende lässt sich im Augenblick nicht abschließend einschätzen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rückkehrende verstärkt von den Sicherheitsdiensten überprüft werden. Bereits vor den aktuellen Protesten ist es in Einzelfällen zu einer Befragung durch Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt gekommen. Insbesondere in Fällen, in denen Iran illegal verlassen worden ist, muss mit einer Befragung gerechnet werden. Bisher ist kein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte im Rahmen der Befragung psychisch oder physisch gefoltert wurden. Exiliraner werden explizit ermutigt zurückzukehren; ihnen wird bei Koordinierung mit der iranischen Justiz eine Rückkehr ohne Inhaftierung in Aussicht gestellt. Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, können von iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren. Abgesehen davon akzeptiert die iranische Regierung unter Verweis auf die Verfassung grundsätzlich ausschließlich freiwillige Rückkehr (Freizügigkeit). Nur bei unterstützter Rückkehr (also im weiteren Sinne auch Umwandlung von Abschiebung in „freiwillige“ Rückkehr durch finanzielle oder sonstige Anreize) ist eine Kooperation realistisch. Konsularkonsultationen über eine Zusammenarbeit bei der Rückführung sind, insbesondere hinsichtlich der Rücknahme schwerer Straftäter, waren noch nicht erfolgreich (siehe zum Ganzen Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Iran, Stand Dezember 2020 vom 5.2.2021, S. 25 f.; Stand 23.12.2021 vom 28.1.2022, S. 4 f. und 21 f.; Stand 18.11.2022 vom 30.11.2022, S. 5 und S. 25 sowie NdsOVG, U.v. 26.1.2024 – 8 LB 88/22 – juris Rn. 79 ff.; OVG SH, U.v. 12.12.2023 – 2 LB 9/22 – juris Rn. 52 ff. und OVG NRW, U.v. 6.9.2021 – 6 A 139/19.A – juris Rn. 74; vgl. im Übrigen VG Würzburg, U.v. 2.1.2020 – W 8 K 19.31960 – juris Rn. 36; U.v. 19.8.2019 – W 8 K 19.30846 – juris Rn. 42; jeweils m.w.N. zur Rspr.).
72
Nach alledem rechtfertigen weder die einzelnen Aspekte, wie die aktuellen Verhältnisse im Iran, die einmaligen (niederschwelligen) Aktivitäten sowie die Ablehnung des Kopftuchs oder die Umstände der Ausreise samt Auslandsaufenthalt, je für sich noch in ihrer Zusammenschau die Voraussetzungen für die Annahme einer mit beachtlichen Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgungsgefahr seitens des iranischen Staates.
73
Nach dem vorstehend Gesagten sind weiter insgesamt betrachtet keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG vorliegen, weil wie schon ausgeführt bei der Klägerin aufgrund ihres letztlich unglaubhaften Vorbringens ein ernsthafter Schaden nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht und zudem eine inländische Aufenthaltsalternative besteht.
74
Des Weiteren bestehen auch keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wie das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid ebenfalls schon zutreffend ausgeführt hat.
75
Schließlich sind auch die Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung sowie die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht zu beanstanden. Auch insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bundesamtsbescheid Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
76
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.