Titel:
Zu den Anforderungen an eine Nichtabhilfeentscheidung in einem Nachlassverfahren
Normenketten:
FamFG § 68
BGB § 133, § 2084, § 2087, § 2278, § 2299
Leitsätze:
1. Zu den Anforderungen an eine Abhilfeentscheidung durch das Nachlassgericht. (Rn. 10)
2. Will das Nachlassgericht aus der Zuwendung eines Einzelgegenstandes eine Erbeinsetzung herleiten, muss es die Wertverhältnisse der einzelnen Gegenstände des Erblasservermögens im Errichtungszeitpunkt feststellen. (Rn. 13)
3. Ob die in einem Erbvertrag enthaltenen Verfügungen vertragsmäßig oder einseitig getroffen sind, bestimmt sich nach dem Erblasserwillen und ist gegebenenfalls im Wege der Auslegung zu klären (Anschluss an: BayObLG, Beschluss vom 16.01.1997, 1Z BR 84/96, NJWE-FER 1997, 133). (Rn. 14)
4. Hinter der Anordnung einer Pflichtteilsstrafklausel kann sich eine Erbeinsetzung für den zweiten Erbfall verbergen (Anschluss an BayObLG, 1 Z 191/1959, BayObLGZ 1960, 216). (Rn. 15)
1. In einer Entscheidung über die Nichtabhilfe einer Beschwerde hat sich das Ausgangsgericht mit dem Beschwerdevorbringen sachlich auseinanderzusetzen, um dem Beschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Nachlassgericht seiner Verpflichtung zur Selbstkontrolle nachgekommen ist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der überlebende Ehegatte hat Kenntnis von einem Testament, wenn er sich daran ohne weitere Gedächtnishilfe erinnern würde, falls er sich mit der Frage der Nachlassregelung befassen sollte. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachlassverfahren, Abhilfeverfahren, Nichtabhilfe, Begründungsintensität, Testamentsauslegung, Pflichtteilsstrafklausel, Vermächtnis, Erbeinsetzung, Kenntnis von der letztwilligen Verfügung, Anfechtungsfrist
Vorinstanz:
AG Traunstein, Beschluss vom 21.11.2023 – 7 VI 724/22
Fundstellen:
RPfleger 2024, 467
FamRZ 2024, 1587
ErbR 2024, 456
BeckRS 2024, 6374
ZErb 2024, 186
ZEV 2024, 565
LSK 2024, 6374
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Traunstein – Nachlassgericht – vom 21.11.2023, Az. 7 VI 724/22, samt Vorlageverfügung vom selben Tag aufgehoben.
2. Die Akten werden dem Nachlassgericht zur erneuten Durchführung des Abhilfeverfahrens zurückgegeben.
Gründe
1
Die verwitwete Erblasserin ist am xx.xx.2022 in Ruhpolding verstorben.
2
Bei den Beteiligten zu 1 und 2 handelt es sich jeweils um Adoptivkinder der Erblasserin, wobei der Beteiligte zu 1 gemeinsam mit dem vorverstorbenen Ehemann adoptiert worden war, die Beteiligte zu 2 lediglich von der Erblasserin im Jahre 2018.
3
Gemeinsam mit ihrem im Jahre 2003 vorverstorbenen Ehemann hatte die Erblasserin am xx.xx.1963 einen notariellen Ehe- und Erbvertrag und am xx.xx.1997 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Am xx.xx.2007 hatte sie zudem ein eigenhändiges Testament errichtet, am xx.xx.2016 zudem ein weiteres notarielles Testament. Für den Inhalt der Verfügungen wird auf die jeweiligen Urkunden Bezug genommen.
4
Der Beteiligte zu 1 beantragte am xx.xx.2023 zur Niederschrift des Nachlassgerichts einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist.
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Am 21.11.2023 kündigte das Nachlassgericht die Erteilung eines entsprechenden Erbscheins an und setzte die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses aus. Es ging im Wesentlichen davon aus, dass dem Beteiligten zu 1 in dem Ehe- und Erbvertrag der wesentliche Vermögensgegenstand zugewendet worden ist, so dass von einer Erbeinsetzung auszugehen sei. Der Beteiligte zu 1 habe nach dem Tod des Vaters seinen Pflichtteil nicht geltend gemacht, so dass er nach dem Tod der Erblasserin nicht enterbt sei.
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Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 2 (Beschwerdeführerin) vom xx.xx.2023, die mit Schriftsatz vom xx.xx.2023 umfangreich begründet wurde.
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Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom xx.xx.2023 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
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Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom xx.xx.2023 hat in der Sache einen vorläufigen Erfolg.
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Die Sache ist unter Aufhebung des Vorlagebeschlusses an das Nachlassgericht zurückzugeben, da das Abhilfeverfahren an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel – Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs – leidet.
10
1. Zweck des Abhilfeverfahrens – auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit – ist es, dass das Ausgangsgericht seine Entscheidung noch einmal überprüft und der Beschwerde gegebenenfalls abhilft, bevor das Obergericht mit ihr befasst wird (OLG München, 31 Wx 99/16, FGPrax 2017, 42; MüKoZPO/Hamdorf, 6. Auflage 2020, § 572 Rn. 5). Das Ausgangsgericht hat sich in jedem Falle mit dem Beschwerdevorbringen sachlich auseinanderzusetzen, insbesondere um dem Beschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Nachlassgericht seiner Verpflichtung zur Selbstkontrolle nachgekommen ist (Horn in: NK/Nachfolgerecht, 3. Auflage 2023, § 68 FamFG Rn. 5). Für die Begründungsintensität kommt es auch darauf an, ob sich das Ausgangsgericht in der Ausgangsentscheidung bereits mit den Argumenten des Beschwerdevorbringens auseinandergesetzt hat (Horn, a. a. O).
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2. Diesen Anforderungen wird die Abhilfeentscheidung des Nachlassgerichts ersichtlich nicht gerecht. Mit dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom xx.xx.2023 setzt es sich in keiner Weise auseinander. Dies wird das Nachlassgericht in dem erneut durchzuführenden Abhilfeverfahren nachzuholen haben.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Sofern das Nachlassgericht die Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1 aus dem Ehe- und Erbvertrag vom xx.xx.1963 herleitet, wird es sich damit auseinanderzusetzen haben, dass eine ausdrückliche Erbeinsetzung für den zweiten Erbfall nicht vorliegt. Da vorliegend die Auslegung einer notariellen Urkunde inmitten steht, wird das Nachlassgericht diesen Umstand besonders zu würdigen haben. Sofern das Nachlassgericht die Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1 daraus herleiten will, dass diesem von den Testatoren zwar nur ein Einzelgegenstand, nach ihrer Vorstellung aber gleichwohl der wesentliche Vermögensgegenstand zugewandt wurde, was sich grundsätzlich als Erbeinsetzung darstellen kann, fehlt es bislang an Feststellungen zum Vermögen der Testatoren im Errichtungszeitpunkt, aus denen sich ein solcher Schluss ziehen ließe.
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Darüber hinaus wäre zu prüfen, ob die – unterstellte – Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1 auch vertragsmäßig wäre. Allein der Umstand, dass die Verfügung in einem Erbvertrag getroffen wurde, belegt dies nicht, da auch einseitige Verfügungen (auch Erbeinsetzungen) Gegenstand eines Erbvertrages sein können (NK-BGB/Horn, 6. Auflage 2022, BGB § 2299 Rn. 4). Ob in einem Erbvertrag enthaltene Verfügungen vertragsmäßig oder einseitig getroffen sind, bestimmt sich nach dem Erblasserwillen und ist im Wege der Auslegung zu klären (BayObLG, Beschluss vom 16.01.1997, 1Z BR 84/96, NJWE-FER 1997, 133).
15
b) Sollte das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Ehe- und Erbvertrag für sich genommen keine Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1 enthält, wird es zu prüfen haben, ob sich eine solche allein aus dem gemeinschaftlichen Testament vom xx.xx.1997 oder aber in Zusammenschau mit dem Ehe- und Erbvertrag vom xx.xx.1963 ergibt. Zwar enthält das gemeinschaftliche Testament in Richtung des zweiten Erbfalls ausdrücklich nur die sog. Pflichtteilsstrafklausel. Der Senat weist aber auf die Entscheidung des BayObLG (1 Z 191/1959, BayObLGZ 1960, 216) hin, in der dargestellt wird, unter welchen Voraussetzungen sich hinter einer Pflichtteilsstrafklausel eine Erbeinsetzung für den zweiten Erbfall verbergen kann. Auch insoweit wäre gegebenenfalls zu prüfen, ob eine solche – hier unterstellte – Erbeinsetzung wechselbezüglich/vertragsmäßig wäre.
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c) Wurde der Beteiligte zu 1 als Alleinerbe eingesetzt, dürfte die Pflichtteilsstrafklausel daran nichts ändern. Dass der Beteiligte zu 1 nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten seinen Pflichtteil geltend gemacht hätte, lässt sich derzeit nach Lage der Akten nicht feststellen. Allein auf der Grundlage des notariellen Übergabevertrages vom xx.xx.2004 dürfte sich ein solcher Schluss nicht ergeben.
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d) Sollte das Nachlassgericht unter Berücksichtigung dieser Erwägungen eine Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1 feststellen können, wird es sich mit der Anfechtung der entsprechenden Verfügung durch die Beschwerdeführerin auseinanderzusetzen haben.
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aa) Insoweit wird zu prüfen sein, ob die Anfechtungsfrist (§ 2283 Abs. 1 BGB) für die Erblasserin bereits abgelaufen war, denn dann kann auch die Beschwerdeführerin nicht mehr anfechten. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Erblasser alle Tatsachen kennt, die für die Anfechtung erforderlich sind (BayObLG, Beschluss vom 30.03.1990, BReg. 1 a Z 14/90; BayObLGZ 1990, 95), vorliegend also der Tod des Ehemanns, die Annahme der Erbschaft nach dessen Tod, die Tatsache der Adoption und das Vorhandensein des Erbvertrages bzw. des gemeinschaftlichen Testaments mit der Schlusserbeneinsetzung. Die Anfechtungsfrist beginnt daher frühestens mit dem Zeitpunkt der Adoption der Beschwerdeführerin.
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bb) Der überlebende Ehegatte hat Kenntnis von dem Erbvertrag bzw. gemeinschaftlichen Testament, wenn er sich daran ohne weitere Gedächtnishilfe erinnern würde, falls er sich mit der Frage der Nachlassregelung befassen sollte. Sie fehlt, wenn sich der Erblasser daran selbst dann nicht erinnert, wenn er sich mit Fragen der Nachlassregelung befasst (BayObLG, Beschluss vom 14.09.1994, 1Z BR 29/94, BeckRS 1994, 9986). Im letztgenannten Fall ist die für den Fristbeginn erforderliche Kenntnis erst dann gegeben, wenn der Anfechtungsberechtigte konkret an seine frühere Verfügung erinnert wird.
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Diese Umstände wird das Nachlassgericht aufzuklären haben. Insoweit dürfte es naheliegen, den Nachlassakt des vorverstorbenen Ehemanns beizuziehen, um die im Zusammenhang mit der Annahme der Erbschaft abgegebenen Erklärungen der Erblasserin festzustellen. Sollte sich zu diesem Zeitpunkt eine Kenntnis der Erblasserin von dem Erbvertrag oder dem gemeinschaftlichen Testament belegen lassen, spricht einiges dafür, dass sie diese Kenntnis auch noch bei der Adoption der Beschwerdeführerin hatte, zumal sie sich im zeitlichen Zusammenhang mit der Adoption mit der Nachlassregelung beschäftigt hatte (notarielles Testament vom xx.xx.2016).
21
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
22
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG ): Übergabe an die Geschäftsstelle am 01.03.2024