Titel:
Erfolglose Asylklage (Kosovo) gegen Widerruf zuerkannter nationaler Abschiebungsverbote
Normenketten:
AsylG § 4 Abs. 1, § 29a Abs. 2, § 73 Abs. 2 S. 1, Abs. 6, § 73b
AuslG § 53 Abs. 6
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Die persönliche Freiheit des Einzelnen wird im Kosovo werde durch staatliche Stellen nicht willkürlich eingeschränkt, das Leben des Einzelnen durch staatliche Stellen nicht gefährdet und Fälle von Folter durch die Polizei oder andere staatliche Stellen sind nicht bekannt, ebenso wenig Fälle des Verschwindenlassens. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein erwerbsfähiger und erwerbstätigen Mann ist auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, ggf. unter Zuhilfenahme der Wiedereingliederungsangebote und der Rückkehrförderung, zu verweisen und im Stande, seinen Lebensunterhalt zu sichern. (Rn. 39 ) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Serbischer Staatsangehöriger aus dem Kosovo, Einreise als sechsjähriges Kind im Familienverband, mehrfache Straftaten im Bundesgebiet, Widerruf nach altem Recht damals wegen behaupteter Gefahr von Blutrache zuerkannter nationaler Abschiebungsverbote, Geltendmachung der Vaterschaft und Personensorge für ein deutsches Kind, Asylverfahren, Kosovo, Widerruf, geänderte Sachlage, Ashkali, nationales Abschiebungsverbot, Blutrache, Bedrohungslage, Rückkehr, Lebensunterhalt
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6317
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen den Widerruf nach altem Recht wegen behaupteter Gefahr von Blutrache zuerkannter nationaler Abschiebungsverbote.
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Nach den vorliegenden restlichen Unterlagen – die Beklagte hat die Akten der früheren Asylverfahren gelöscht, die örtlich für den Kläger zuständige Ausländerbehörde hat aus ihrer Akte lediglich Abdrucke der früheren behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen übermitteln können – reiste der damals sechsjährige und am ... 1987 in ... im Kosovo geborene Kläger im Familienverband im Jahr 1993 in das Bundesgebiet ein. Die sich selbst als albanische Volkszugehörige bezeichnende Familie beantragte Asyl. Die Eltern des Klägers gaben hierzu an, am 26. Dezember 1992 habe die Polizei wegen vermuteter Waffen eine Hausdurchsuchung durchgeführt, den Vater und ältere Geschwister des Klägers den Tag über festgehalten und geschlagen. Am 1. April 1993 habe die Polizei bei einer erneuten Hausdurchsuchung eine Waffe gefunden, sie bedroht zu verschwinden, würden sie weitere bei ihnen vermutete Waffen nicht abgeben. Daraufhin seien sie ausgereist. Ein Bruder des Vaters des Klägers sei schon im Jahr 1990 spurlos verschwunden. Der Vater habe auf der Brust einen albanischen Adler tätowiert und die Polizei habe davon ein Foto gefunden und seiner Frau gesagt, würden sie ihn erwischen, zögen sie ihm die Haut ab und zwickten die Tätowierung weg. Der Kläger und das weitere Kind hätten keine eigenen Gründe, könnten aber die Schule im Kosovo nicht besuchen, weil sie geschlossen sei.
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Das damalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 19. Mai 1993 den Antrag auf Asyl (Nr. 1), auf Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG (Nr. 2) und auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG ab (Nr. 3). Die Familie wurde zur Ausreise aufgefordert und die Abschiebung in das [damals noch bestehende, aber in Auflösung begriffene] Jugoslawien oder einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht (Nr. 4). Eine Strafbarkeit des Vaters wegen unerlaubten Waffenbesitzes sei keine politische Verfolgung. Albanische Volkszugehörige würden nicht als Gruppe verfolgt.
Eine hiergegen erhobene Klage blieb ebenso erfolglos (vgl. VG Ansbach, U.v. 18.11.1993 – AN 18 K 93.41129) wie ein dagegen gestellter Antrag auf Zulassung der Berufung (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.1994 – 21 AA 94.30441).
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Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 8. August 1995 auch einen Asylfolgeantrag der Familie ab, den der Vater des Klägers auf eine mutmaßlich gefälschte Vorladung eines Strafgerichts gestützt hatte. Für den Kläger waren keine eigenen Asylgründe geltend gemacht worden.
Eine hiergegen erhobene Klage führte zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 53 Abs. 6 AuslG (vgl. VG Ansbach, U.v. 10.7.2002 – AN 11 K 02.30792), denn für die Kläger, die sich nun als Ashkali bezeichneten, bestünden auf Grund der Spannungen mit der Volksgruppe der Albaner Gefahren in Folge einer Vertreibung aus dem Heimatort. Ein Bruder des Vaters des Klägers sei wohl wegen Zusammenarbeit mit den Serben ermordet worden und deswegen drohe den Klägern Gefahr von Blutrache, aber nicht auf Grund der allgemeinen Verhältnisse im Kosovo oder auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit als Ashkali.
Das Bundesamt stellte mit Bescheid vom 10. September 2002 für den Vater, die Mutter und auch den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 6 AuslG fest.
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Das Bundesamt widerrief mit Bescheid vom 29. März 2011 für den damals wegen Straftaten inhaftierten Kläger das Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 6 AuslG.
Eine hiergegen erhobene Klage führte zur Aufhebung des Widerrufsbescheids (vgl. VG Ansbach, U.v. 29.11.2011 – AN 14 K 11.30255), denn für den Kläger als Ashkali, bestünden auf Grund der Spannungen mit der Volksgruppe der Albaner weiterhin Gefahren auf Grund der Parteinahme seiner Familie für Serbien – ohne wesentliche Änderung der Sachlage. Kein Verfahrensgegenstand sei ein etwaiges Ausweichen des Klägers bzw. eine Abschiebung nach Serbien, da der Bescheid lediglich ein Abschiebungsverbot hinsichtlich des Kosovo widerrufe.
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Der – im Bundesgebiet wiederholt straffällige – Kläger ist nach Aktenlage im Besitz eines am 18. Juni 2013 ausgestellten und bis zum 21. Juli 2023 gültigen Reisepasses des Kosovo. Er besaß bis zum 17.Juni 2022 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG und anschließend vom 18. Juni 2023 bis 17. Dezember 2023 eine Fiktionsbescheinigung.
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Auf Anhörung durch das Bundesamt zum beabsichtigten Widerruf ließ der Kläger mitteilen, es seien keine gegenteiligen Ermittlungen im Kosovo durchgeführt worden, so dass die Gefahr für ihn fortbestehe. Es bestünden vielmehr mafiöse Strukturen dort.
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Das Bundesamt widerrief mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27. Oktober 2023 auf einen Hinweis der Ausländerbehörde auf die massive Straffälligkeit des Klägers (u.a. Diebstahl, Exhibitionismus, unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln, Betrug, zuletzt Freiheitsstrafe ein Jahr zwei Monate wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln) hin das für den Kläger ausgesprochene Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 6 AuslG (Nr. 1 des Bescheids), lehnte die Zuerkennung von subsidiärem Schutz ab (Nr. 2) und stellte fest, dass kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegt (Nr. 3).
Zur Begründung des Widerrufs nach § 73 Abs. 2 Satz 1 AsylG wurde ausgeführt, gegenüber der Entscheidung vom 10. September 1992 habe sich die Sachlage grundlegend geändert. Der Kosovo sei mittlerweile als sicherer Herkunftsstaat nach § 29a Abs. 2 AsylG eingestuft, so dass der Ausländer die Regelvermutung fehlender Verfolgung nur durch gegenteiligen Tatsachenvortrag erschüttern könne. So werde er nicht als Ashkali gruppenverfolgt, könne in andere Landesteile ausweichen und sei als Bewohner des Kosovo nach wie vor auch serbischer Staatsangehöriger, wohin er ebenfalls ausweichen und sich dort niederlassen könne. Ihm sei die Inanspruchnahme staatlichen Schutzes zumutbar und es bestünden erhebliche Zweifel, dass er nach 30 Jahren Aufenthalt in Deutschland im Kosovo noch namentlich bekannt sei und gesucht werde. Die behauptete Gefahr durch Blutrache sei nicht substantiiert und das für den Kläger ausgesprochene Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 6 AuslG daher zu widerrufen.
Die Voraussetzungen für subsidiären Schutz lägen nicht vor, denn ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 AsylG sei bei einer Rückkehr nicht zu befürchten. Der Kläger habe weder durch den Staat des Kosovo noch durch private Dritte eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten; die nationalen und internationalen Sicherheitskräfte gewährleisteten Sicherheit selbst bei Auseinandersetzungen zwischen serbischen und albanischen Volkszugehörigen im Norden des Kosovo.
Auch die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG lägen nicht vor. Es lägen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vor, dass der Kläger im Kosovo tatsächlich Gefahr laufe, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Auch die allgemeine Situation der Roma, Ashkali und Ägypter/Egyptians (sog. RAE-Volksgruppen) begründe keine solche Gefahr. Sie lebten oft am Rande der Gesellschaft, auf dem Lande aber meist vergleichbar der albanischen Bevölkerung. Zudem stünden europäische und kosovarische Rückkehrprogramme und finanzielle Hilfen zur Wiedereingliederung zur Verfügung. Der Kläger sei alleinstehend, erwerbsfähig und als Gebäudereiniger erwerbstätig und könne daher auch im Kosovo seinen Lebensunterhalt erwirtschaften. Alternativ könne er auch nach Serbien zurückkehren, das den Kosovo immer noch als serbische Provinz betrachte.
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Gegen diesen am 9. November 2023 an seinen Bevollmächtigten zur Post gegebenen Bescheid ließ der Kläger am 20. November 2023 Klage erheben und beantragen,
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Der Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2023 wird aufgehoben.
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Zur Begründung vertiefte er sein bisheriges Vorbringen und betonte, an der Gefährdungssituation für den Kläger habe sich nichts geändert. Für den Kläger liege auf Grund der Vaterschaftsanerkennung und gemeinsamen Personensorge für ein am 15. Juli 2023 in Deutschland geborenes und bei seiner Mutter lebendes Kind deutscher Staatsangehörigkeit ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis vor. Dieses aber habe die Beklagte fehlerhaft nicht geprüft, so dass der angefochtene Bescheid aufzuheben sei. Über den Antrag auf Erteilung einer familienbezogenen Aufenthaltserlaubnis sei bis heute auch nicht entschieden.
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Die Beklagte hat ihre Verfahrensakte vorgelegt und
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die Klageabweisung beantragt.
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Die Akten der früheren Asylverfahren seien nicht mehr archiviert.
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Die Regierung von ... als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat auf jegliche Zustellungen mit Ausnahme der Endentscheidung verzichtet.
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Mit Beschluss vom 13. Februar 2024 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Mit der Ladung übersandte das Gericht eine aktuelle Erkenntnismittelliste.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte auch zu den Asylerstverfahren, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie auf die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2023 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 3 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
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1. Der Widerruf nach altem Recht damals wegen behaupteter Gefahr von Blutrache zuerkannter nationaler Abschiebungsverbote nach § 53 Abs. 6 AufenthG ist nicht rechtswidrig.
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a) Nach § 73 Abs. 6 i.V.m. § 73b AsylG ist die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG – bzw. hier eines nach altem Recht nach § 53 Abs. 6 AuslG – zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Dies setzt eine wesentlich geänderte Sachlage gegenüber der damaligen Zuerkennung voraus.
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b) Hinsichtlich der seinerzeitigen Sachlage wird die verwaltungsgerichtliche Einschätzung zu Grunde gelegt (vgl. VG Ansbach, U.v. 10.7.2002 – AN 11 K 02.30792), wonach für die Kläger – also den hiesigen Kläger, seine Eltern und einen Bruder –, die sich nun als Ashkali bezeichneten, auf Grund der Spannungen mit der Volksgruppe der Albaner Gefahren bestünden in Folge einer Vertreibung aus dem Heimatort. Ein Bruder des Vaters des Klägers sei – wohl wegen Zusammenarbeit mit den Serben – ermordet worden und deswegen drohe den Klägern Gefahr von Blutrache, aber nicht auf Grund der allgemeinen Verhältnisse im Kosovo oder auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit als Ashkali. Das Bundesamt stellte mit Bescheid vom 10. September 2002 für den Vater, die Mutter und auch den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 6 AuslG fest.
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Diese Bewertung wurde auch später in einem ersten Widerrufsverfahren beibehalten (vgl. VG Ansbach, U.v. 29.11.2011 – AN 14 K 11.30255), denn für den Kläger als Ashkali bestünden auf Grund der Spannungen mit der Volksgruppe der Albaner weiterhin Gefahren auf Grund der Parteinahme seiner Familie für Serbien – ohne wesentliche Änderung der Sachlage. Kein Verfahrensgegenstand sei ein etwaiges Ausweichen des Klägers bzw. eine Abschiebung nach Serbien, da der Bescheid lediglich ein Abschiebungsverbot hinsichtlich des Kosovo widerrufe.
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c) Die aktuelle Sachlage für Angehörige der Minderheit der Ashkali im Kosovo sowie hinsichtlich einer sog. Blutrache stellt sich unter Auswertung der zum Verfahrensgegenstand gemachten Erkenntnisquellen und der klägerseitigen Angaben so dar:
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aa) Hinsichtlich der allgemeinen Lage der Minderheiten wird ausgeführt, nichtalbanischen Minderheiten würden in der Verfassung weitreichende Rechte und politische Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt, in der Praxis aber z.T. unzureichend umgesetzt, etwa beim flächendeckenden Angebot von öffentlichen Dienstleistungen in der Amtssprache Serbisch. Es gebe keine Hinweise auf staatliche Repressionen aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit. Die Lebensbedingungen der offiziell anerkannten ethnischen Roma, Ashkali und sog. Ägypter/Egyptians [sog. RAE-Volksgruppen] seien geprägt von den wirtschaftlichen Problemen aller in vergleichbarer Situation lebenden Einwohner in Kosovo (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylG S. 4, 10; auch Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl BfA, Länderinformation der Staatendokumentation v. 17.2.2023 S. 19). Auch wenn die wirtschaftliche und soziale Lage von Teilen der Bevölkerung wie insbesondere großen Teilen der Roma-Minderheit weiterhin schwierig sei, finde eine asylrelevante Verfolgung nicht statt. Die Situation der Roma (ca. 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) sei geprägt von der wirtschaftlichen Not aller in vergleichbarer Situation lebenden Einwohner von Kosovo, eine ethnische Diskriminierung von staatlicher Seite sei nicht feststellbar (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 8; auch BfA a.a.O. S. 23).
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Die Gemeinschaften der RAE hätten unterschiedliche sprachliche und religiöse Traditionen: Die Roma sprächen überwiegend Romanes (auch Romani genannt), aber auch Albanisch und Serbisch. Nach eigenen Angaben stammten ihre Vorfahren aus Indien. Die Ashkali sprächen Albanisch und sähen ihre Wurzeln im früheren Persien. Die Angehörigen der als Ägypter bezeichneten Bevölkerungsgruppe sprächen ebenfalls Albanisch. Deren Vorfahren sollen sich während der osmanischen Herrschaft (nach anderer Darstellung schon zur Zeit des Römischen Reichs) im Gebiet des heutigen Kosovo angesiedelt haben. Während die Ashkali und die Ägypter fast ausschließlich muslimischen Glaubens seien, bekannten sich viele Roma zum christlich-orthodoxen Glauben und fühlten sich traditionell mehr der serbischen Volksgruppe in Kosovo verbunden. Die Regierung trete öffentlich für Toleranz und Respekt gegenüber den RAE ein (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 10 f.).
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Damit gehört der Kläger nach eigenen Angaben bzw. jenen seiner Eltern der Minderheit der Ashkali an, stammt aus ... im Kosovo und ist rechtlich bei einer Rückkehr in den Kosovo nicht staatlich diskriminiert. Dies belegt auch der Besitz eines kosovarischen Reisepasses für den im Ausland lebenden Kläger, welchen der Kosovo offenkundig zu seinen Staatsangehörigen zählt.
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bb) Berichte über gezielte staatliche Diskriminierungen von ethnischen Roma, Ashkali und Ägyptern lägen nach der Erkenntnislage nicht vor; Anstrengungen zu ihrer sozialen Inklusion würden geplant und durchgeführt (ausführlich Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 11; auch BfA a.a.O. S. 22). Angehörige der Gemeinschaften der RAE lebten in den städtischen Gebieten überwiegend in eigenen Siedlungen. In den ländlichen Gebieten bewohnten RAE zumeist ebenfalls Häuser in zusammenliegenden dörflichen Siedlungsgemeinschaften. Große Siedlungen der RAE befänden sich u.a. in …, …, … und, ca. 3.000 RAE lebten in einer Siedlung in … Schwierigkeiten für RAE bestünden bei ungeklärten Rechtsverhältnissen für den von ihnen genutzten Wohnraum. Anders als in der albanischen Mehrheitsbevölkerung seien Eigentumsverhältnisse in der Roma-Gemeinschaft aus traditionellen Gründen oftmals nicht dokumentiert. Die Durchsetzung von Eigentumsrechten könne aufgrund der starken Überlastung der Zivilgerichtsbarkeit langwierig sein (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 10 f.).
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Da der Kläger am 25. März 1987 in ... im Kosovo geboren wurde und von dort stammt, kann er dort grundsätzlich auch in einer der großen Siedlungen der RAE wie in ... Aufnahme unter einer ethnisch identischen lokalen Mehrheitsbevölkerung finden. Er ist nicht zur Wohnsitznahme an einem Ort außerhalb der Siedlungsgebiete seiner Volkszugehörigen gezwungen.
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cc) Zur Gefahr einer ethnisch motivierten Verfolgung wird ausgeführt, systematische Menschenrechtsverletzungen durch Staatsorgane fänden nicht statt. Staatliche Repression gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen wegen ihrer Nationalität, politischen Überzeugung, ethnischen Herkunft, sexuellen Identität oder Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder sozialen Gruppe finde nach Kenntnis der Bundesregierung ebenfalls nicht statt. Die persönliche Freiheit des Einzelnen werde durch staatliche Stellen nicht willkürlich eingeschränkt, das Leben des Einzelnen durch staatliche Stellen nicht gefährdet. Es seien keine Fälle von Folter durch die Polizei oder andere staatliche Stellen bekannt, ebenso wenig Fälle des Verschwindenlassens (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 4).
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Zur justiziellen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Kosovo-Konflikt solle das international besetzte Sondergericht in Den Haag beitragen, dessen Einrichtung das kosovarische Parlament am 3. August 2015 per Verfassungsänderung beschlossen habe und für das eine eigene internationale Staatsanwaltschaft in Den Haag umfangreiche Ermittlungen durchführe. Erste Angeklagte befänden sich in Untersuchungshaft in Den Haag. Im Dezember 2022 sei der erste Kosovo-Albaner wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden, das Berufungsverfahren sei anhängig. Im April 2023 hätten die Hauptverfahren gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Hashim Thaci und drei weitere „Haupt“-Angeklagte begonnen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 7; zu mehreren Verurteilungen sowohl ethnisch-albanischer als auch ethnisch-serbischer Angeklagter wegen Kriegsverbrechen vgl. Amnesty International, Kosovo 2022 v. 28.3.2023 S. 2).
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Der Kläger selbst war im Jahr 1990 beim Verschwinden seines Onkels, des Bruders seines Vaters, erst drei Jahre alt und in keiner Weise an Kriegsverbrechen oder anderen gewaltsamen Übergriffen beteiligt. Er muss also im Kosovo keine nationale oder internationale Strafverfolgung befürchten. Auch umgekehrt war er weder altersmäßig noch inhaltlich Zeuge für etwaige Verbrechen albanischer Volkszugehöriger und kommt daher auch nicht als Zeuge für Den Haag in Betracht. Das unterscheidet ihn von den klägerseitig genannten Verwandten namens ... aus derselben Herkunftsgegend und begründet für ihn keine vergleichbare Gefahr.
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dd) Repressionen Dritter und ethnisch motivierte Handlungen durch nichtstaatliche Akteure könnten weiterhin nicht ausgeschlossen werden. Die Akzeptanz der verschiedenen ethnischen Gruppen untereinander habe seit der Unabhängigkeit der Republik Kosovo im Jahr 2008 aber weiter zugenommen. Interethnische Zwischenfälle fänden fast ausschließlich vor dem Hintergrund des angespannten Verhältnisses zwischen Kosovo-Serben und Kosovo-Albanern statt. Zumeist ergäben sich problematische Situationen, wenn das Betreten eines von der anderen Ethnie dominierten Gebietes als Provokation verstanden werde. Die Übergriffe gingen dabei gleichermaßen von beiden Seiten aus, in aller Regel bleibe es bei mittleren Sachschäden und Körperverletzungen geringeren Ausmaßes. Bei vielen Minderheitenangehörigen bestehe weiterhin ein Unsicherheitsgefühl gegenüber staatlichen Sicherheitskräften. Jede regionale Dienststelle der Kosovo Police (KP) verfüge über Polizeibeamte, die ausschließlich für die Belange der Minderheiten zuständig seien. Zumeist seien solche Beamte selbst Angehörige einer Minderheit. Kosovo-Albaner christlichen Glaubens seien keinen Diskriminierungen durch die muslimische Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt. Die Situation ethnisch-nationaler Minderheiten könne nur von Ort zu Ort und in Abhängigkeit von den jeweiligen Gegebenheiten beurteilt werden. So könnten sich auch Kosovo-Albaner in einer Minderheitsposition befinden (z.B. im Gemeindegebiet ... oder im Norden der Stadt ... und in den Gemeindegebieten, … und ...). Bislang gebe es keine Hinweise auf gezielte Repressionen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 14).
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Die albanische Tradition der Blutrache sei nur noch sehr vereinzelt anzutreffen. Allerdings seien insbesondere außerhalb der größeren Städte nicht selten Racheakte aus verschiedenen Gründen zu beobachten. Diese würden landläufig als „Blutrache“ bezeichnet und ohne Beachtung der einschränkenden Regeln des Kanun (der Eröffnung, Ablauf und Beendigung regelt) beharrlich betrieben, zum Teil mit blutigen bzw. tödlichen Folgen. Ob der Mechanismus der Blutrache allerdings einsetze, sei stark abhängig von soziokulturellen Faktoren. Ausgeübt werde diese nur von Angehörigen einiger weniger patriarchischer Familien, die immer noch unter dem alten Kodex lebten. Bei diesen Racheakten kämen auch Schusswaffen zum Einsatz. Der kosovarische Staat sei grundsätzlich willens und in der Lage, Schutz zu gewähren. Im Falle einer Bedrohung aufgrund einer Blutfehde könnten sich Betroffene an die Polizei wenden. Blutrachemorde würden untersucht und verfolgt, wobei üblicherweise Haftstrafen zwischen 15 und 25 Jahren verhängt würden. Blutrache-Motive würden von den Gerichten als erschwerende Umstände berücksichtigt. Die Exekutivorgane seien verpflichtet, Schutz für bedrohte Personen zu gewährleisten. Zwar werde im kosovarischen Strafgesetzbuch der Begriff „Blutrache“ nicht explizit erwähnt, dennoch seien für schweren Mord im Zusammenhang mit skrupelloser Rache Haftstrafen zwischen 10 Jahren bis lebenslänglich vorgesehen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 15; auch BfA a.a.O. S. 6).
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Eine individuelle Gefährdungslage könne für Roma im Einzelfall bestehen, wenn sie sich vor oder während der kriegerischen Auseinandersetzungen 1999 in den Augen der ethnisch-albanischen Mehrheitsbevölkerung auf die Seite der Serben gestellt und sich auf Seiten der Serben an den Auseinandersetzungen gegen ihre ethnisch-albanischen Nachbarn beteiligt hätten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 15).
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Wie bereits ausgeführt, war der Kläger selbst an den Auseinandersetzungen schon altersmäßig nicht beteiligt. Er und seine Eltern blieben auch in den drei Jahren zwischen dem Verschwinden des Onkels im Jahr 1990 und ihrer Einreise nach Deutschland im Jahr 1993 im Kosovo unbehelligt. Zwar habe die [serbisch dominierte] Polizei den Vater des Klägers wegen seiner offensichtlichen Parteinahme für die albanische Bevölkerung – er habe auf der Brust einen albanischen Adler tätowiert – bedroht und zu Hause – auch mit Erfolg – nach unerlaubten Waffen gefahndet. Das allerdings war keine Repression, wie sie möglicherweise dem Onkel widerfahren ist: Jener sei wohl wegen Zusammenarbeit mit den Serben ermordet worden (vgl. VG Ansbach, U.v. 10.7.2002 – AN 11 K 02.30792), nicht von serbisch dominierten Sicherheitskräften, sondern mutmaßlich von albanischen Freischärlern. Damit ist die polizeiliche Bedrohung und Hausdurchsuchung beim Vater des Klägers gerade nicht vergleichbar dem Verschwinden(lassen) des Onkels. Umgekehrt wurde dem Vater des Klägers wegen seiner bekannten bzw. erkennbaren Tätowierung offenbar selbst von serbischer Seite eine Sympathie für die albanischen Freischärler zugeschrieben, wie die Familie des Klägers im Asylerstverfahren angegeben hatte. Umso weniger wahrscheinlich ist, dass der Vater des Klägers als Familienoberhaupt von albanischen Freischärlern damals oder heute der serbischen Seite zugerechnet würde. Wäre das der Fall, hätten private Dritte in den drei Jahren zwischen der Ermordung des eindeutig auf serbischer Seite tätigen Onkels einerseits und der Ausreise der Familie des Klägers andererseits genug Gelegenheit zu Racheakten gehabt. Dass solche sich aber nicht ereignet und die Familie im Asylerstverfahren auch gar nicht von entsprechenden Drohungen berichtet, sondern als Ausreiseanlass vielmehr Bedrohungen durch serbische Polizei und fehlende Bildungsmöglichkeiten für die Kinder genannt hatten, zeigt eindeutig die fehlende Bedrohungslage: Der Kläger und das weitere Kind hätten keine eigenen Asylgründe, könnten aber die Schule im Kosovo nicht besuchen, weil sie geschlossen sei. Von einer Lebensgefahr wegen einer Blutrache konnte also im Asylerstverfahren keine Rede sein.
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Umso erstaunlicher ist, dass die Gefahr von Blutrache erst im Laufe des Aufenthalts in Deutschland nicht nur behauptet, sondern auch angenommen wurde, obwohl ein konkreter Bezug schon zum Vater des Klägers aus den o.g. Gründen und erst recht zum Kläger nicht ersichtlich war und auch nicht auf Grund der allgemeinen Verhältnisse im Kosovo oder auf Grund ihrer Volkszugehörigkeit als Ashkali angenommen wurde.
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Mit Blick auf die heutige Lage ist festzuhalten, dass der Kläger als Kleinkind nach der angeblichen Rache am Onkel noch drei Jahre im Kosovo unverfolgt geblieben und auch erst drei Jahre nach dem Verschwinden aus dem Kosovo ausgereist war sowie seine Familie gänzlich andere Asylgründe geltend gemacht hatte (vgl. VG Ansbach, U.v. 18.11.1993 – AN 18 K 93.41129; BayVGH, B.v. 16.2.1994 – 21 AA 94.30441), als später zur Zuerkennung von Abschiebungsschutz neun Jahre nach der Ausreise führten. Mittlerweile sind seit der Ausreise des Klägers über 30 Jahre vergangen, er ist erwachsen und es ist nicht ersichtlich, weshalb heute überhaupt jemand den Kläger behelligen wollen sollte: Weder der Kläger noch sein Vater haben sich damals auf die serbische Seite gestellt, sondern der Vater offenkundig auf die albanische Seite. Da die Täter ihrem mutmaßlichen Rachedurst mit der Tötung des Onkels an ihm freien Lauf gelassen haben, ist nicht erkennbar, warum dieser damit nicht gestillt sein sollte. Auch die Verfolgung des mit dem Onkel tätigen albanischen Polizisten und die in der mündlichen Verhandlung genannte Tötung seiner Söhne zeigt doch deutlich, dass sich die Racheakte auf die Täter und deren Nachkommen richtet, also Verwandte in gerader Linie, nicht auf Verwandte in der Seitenlinie wie den Vater des Klägers und den Kläger selbst. Es wäre umgekehrt nach den Regeln des Kanun eher zu erwarten, dass nun Verwandte des Onkels oder ggf. der Vater des Klägers Blutrache geübt hätten. Da er als nächster Verwandter darauf verzichtet und sein Sohn, der heutige Kläger, deswegen als entfernterer männlicher Verwandter erst recht kein Motiv hat, Blutrache zu üben oder zu erleiden, ist auch nicht nachvollziehbar, dass die Hintermänner des Todes des Onkels heute noch feindselig auf eine Rückkehr des Klägers reagieren sollten, sofern sie ihn überhaupt identifizierten. Eine konkrete Gefahr für den Kläger, heute Opfer solcher Übergriffe zu werden, ist daher zur Überzeugung des Einzelrichters nicht (mehr) gegeben.
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ee) Zur Situation für Rückkehrende wird ausgeführt, die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sei gewährleistet. Die Sozialhilfe bewege sich auf niedrigem Niveau (Mindestsatz 70 Euro/Monat). Meist hälfen im Ausland lebende Verwandte mit Geldüberweisungen. Die Lebensbedingungen der RAE in den ländlichen Gebieten seien oftmals vergleichbar mit denen der albanischen Bevölkerung. Zumindest in einigen Landesteilen berichteten Familien kaum über schwerwiegende soziale oder wirtschaftliche Probleme oder Nachteile (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht v. 25.7.2023 a.a.O. S. 18 f.; auch BfA a.a.O. S. 32).
39
Der erwerbsfähige und erwerbstätige Kläger ist auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, ggf. unter Zuhilfenahme der Wiedereingliederungsangebote und der Rückkehrförderung, zu verweisen und im Stande, seinen Lebensunterhalt zu sichern.
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2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr in den Kosovo ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
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Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG i.V.m. Art. 15 RL 2011/95/EU die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Alle drei Gefahrensituationen müssen auf das zielgerichtete Handeln einer Person oder Gruppe im Sinne des § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG zurückgehen; Defizite der allgemeinen Lebensumstände und Unzulänglichkeiten des Gesundheitssystems ohne zielgerichtete Anwendung auf den Ausländer (anders z.B. bei bewusster Vorenthaltung von verfügbarer Versorgung) genügen hierfür nicht (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – NVwZ 2021, 327 ff. Rn. 12 f.).
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Die Aufenthaltsbeendigung eines Ausländers durch einen Konventionsstaat kann Art. 3 EMRK verletzen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorliegen und bewiesen sind, dass der Ausländer im Zielstaat einer Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt zu werden. Dann ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung für den Konventionsstaat, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben (vgl. EGMR, U.v. 13.12.2016 – 41738/10 – NVwZ 2017, 1187 ff. Rn. 173 m.w.N.).
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Der Kläger hat jedoch eine ernsthafte Bedrohung, so sie eine Gefährdungslage i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 3 AsylG u.a. in Gestalt der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung begründen würde, nicht glaubhaft gemacht.
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Wegen der Einzelheiten wird auf die Erkenntnismittellage, die Argumentation und die Bewertung zum Widerruf (oben unter 1.) verwiesen. Es fehlt eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in den Kosovo ein ernsthafter Schaden droht. Allein der pauschale Hinweis auf mafiöse Strukturen reicht hierfür nicht, da der Kläger zwar im Bundesgebiet straffällig, aber nicht im Kosovo darin verwickelt ist. Handelte es sich beim Tod des Onkels gar nicht um Rache für eine Parteinahme zu Gunsten der serbischen Machthaber, sondern um einen Mord im Milieu organisierter Kriminalität, zu dem der Kläger und sein Vater mangels gegenteiliger eigener Angaben nie einen Bezug hatten, würde dem Kläger erst recht keine Gefahr mehr drohen.
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3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
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a) Dem Kläger steht kein Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
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Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist. Die Gefahren müssen ein Mindestmaß an Schwere unter Berücksichtigung der Gesamtumstände aufweisen. Eine bloße Verschlechterung der Lebensumstände oder Verringerung der Lebenserwartung im Zielstaat gegenüber den Verhältnissen im Aufenthaltsstaat genügt nicht; es muss sich vielmehr um einen so außergewöhnlichen Fall handeln, dass humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – NVwZ 2021, 327 ff. Rn. 10 f.).
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Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
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aa) Der erwachsene, erwerbsfähige sowie erwerbstätige Kläger würde im Fall seiner Abschiebung in den Kosovo keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass seine elementarsten Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären.
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Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in den Kosovo jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert, wie die Auswertung der o.g. Erkenntnismittel ergab.
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bb) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK folgt auch nicht aus einer von ihm geltend gemachten Gefahr einer Misshandlung durch private Dritte (vgl. oben zu § 4 AsylG).
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4. Auf inlandsbezogene Abschiebungshindernisse aus familiären Gründen kommt es nicht an, da die Beklagte lediglich über den Widerruf zielstaatsbezogener Abschiebungsverbote entschieden und keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 3 Nr. 4 und Art. 6 RL 2008/115/EG (vgl. EuGH, U.v. 3.6.2021 – C-546/19 – NVwZ 2021, 1207 Rn. 53) erlassen hat, für welche evtl. auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse zu berücksichtigen wären (vgl. EuGH, U.v. 11.3.2021 – C-112/20 – Rn. 43; nun auch § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG i.d.F. von Art. 2 Nr. 9 des Rückführungsverbesserungsgesetzes vom 21.2.2024, BGBl. I Nr. 54 S. 9).
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5. Daher war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.