Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 21.03.2024 – Au 6 S 24.30265
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen die Abschiebungsandrohung in einem OU-Bescheid (Asylfolgeantrag Türkei)

Normenkette:
AsylG § 3, § 36 Abs. 3
Leitsatz:
Zwar werden in der Türkei die Verfahrensrechte der Betroffenen in Verfahren mit Terrorbezug teilweise massiv eingeschränkt und bestehen beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte und – jedenfalls in Terrorprozessen – bei den Verteidigungsmöglichkeiten erhebliche Defizite; dies ist jedoch in jedem Einzelfall gesondert zu prüfen. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylfolgeantrag einer Familie türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, Geltendmachung eines Strafverfahrens in der Türkei gegen den Ehemann und Vater wegen „Terrorpropaganda“ in sozialen Medien, Asylfolgeantrag, Ablehnung als offensichtlich unbegründet, Türkei, Strafverfahren, Terrorpropaganda
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6314

Tenor

I. Die Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des gerichtskostenfreien Antragsverfahrens zu tragen.

Gründe

1
Die Antragsteller und Kläger (im Folgenden: Kläger) begehren im Klageverfahren (Au 6 K 24.30264) Asyl, die Zuerkennung internationalen Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Rahmen ihres von der Antragsgegnerin und Beklagten als offensichtlich unbegründet abgelehnten ersten Asylfolgeantrags. Im Antragsverfahren begehren sie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
I.
2
Die Kläger zu 1 bis 5 sind nach eigenen Angaben türkische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens, reisten – ebenfalls nach eigenen Angaben – am 7. August 2019 auf dem Landweg nach Deutschland ein und stellten am 26. August 2019 einen Asylerstantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt). Die Klägerin zu 6 wurde am ... 2019 in ... geboren und auch für sie wurde ein Asylantrag gestellt.
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Die Kläger zu 1 und zu 2 trugen zur Begründung ihres Asylantrags im Wesentlichen vor, dass ihre Familie wegen Mitgliedschaft des Klägers zu 1 bei der Halkların Demokratik Partisi (Kurzbezeichnung: HDP) in der Türkei verfolgt worden sei. Im Jahr 2016 sei es zu einer Auseinandersetzung zwischen Guerillas und den staatlichen Sicherheitskräften gekommen. Seit diesen Kämpfen sei er etwa 15-mal festgenommen, vernommen und wieder freigelassen worden. Bei den Festnahmen sei er geschlagen und auch gefoltert worden. Manchmal seien auch Einsätze von einer Sondereinheit bei ihm zu Hause durchgeführt worden. Die Polizisten seien sehr rabiat vorgegangen, hätten die Wohnung durchwühlt und ihn, seine schwangere Ehefrau und sogar die Kinder geschlagen. Gegen ihn sei nicht Anzeige erhoben worden. Gegen seine Cousine sei allerdings ein Haftbefehl erlassen worden, weswegen sie in die Berge geflohen sei. Auf Grund einer erneuten Hausdurchsuchung sei er mit seiner Familie von ... nach ... gezogen. Zehn Tage nach der Ankunft in ... sei er von vier Zivilpolizisten abgefangen, in einen Wald gebracht und geschlagen worden. Sie hätten verlangt, dass er mit ihnen als Informant zusammenarbeite. Sie hätten von ihm Namen wissen wollen und wer Aktivitäten in der HDP entwickle. Aufgrund der Schläge habe er sich dazu bereit erklärt. Daraufhin habe er Kontakt zu Schleppern gesucht und sei ausgereist.
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Mit Bescheid vom 23. Juni 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag der Kläger zu 1 bis 5 auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf subsidiären Schutz ab (Nr. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 4), drohte die Abschiebung in die Türkei an (Nr. 5) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate (Nr. 6). Der Vortrag des Klägers zu 1 sei schon nicht glaubwürdig. Kurden seien in der Türkei nicht der Gruppenverfolgung ausgesetzt. Jedenfalls stünden ihnen interne Schutzmöglichkeiten zur Verfügung.
Eine hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (VG Augsburg, U.v. 28.9.2021 – Au 3 K 20.30996), denn den Klägern drohe in der Türkei keine Gruppenverfolgung als Kurden und auch ihr individueller Vortrag sowohl zu den Umständen ihrer Ausreise als auch zum eigentlichen Verfolgungsgeschehen sei nicht glaubhaft, weil widersprüchlich und gesteigert. Auch inwiefern sich der Kläger aus der Masse der HDP-Sympathisanten und einfachen Mitglieder hervorgehoben haben und deshalb in das Visier des türkischen Staates geraten sein sollte, erschließe sich nicht. Zudem hätten die Kläger innerstaatliche Fluchtalternativen in anderen Großstädten in der Westtürkei. Die Kläger würden im Fall ihrer Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre elementaren Bedürfnisse im Sinne eines Existenzminimums nicht gesichert wären. Der Kläger zu 1 sei als ein erwachsener, gesunder und erwerbsfähiger junger Mann in der Lage, wie schon vor der Ausreise den Lebensunterhalt der Familie durch Erwerbsarbeit zu sichern.
Ein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil blieb erfolglos (BayVGH, B.v. 6.12.2021 – 24 ZB 21.31631).
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Der Asylantrag der Klägerin zu 6 wurde vom Bundesamt mit Bescheid vom 8. Mai 2020 umfassend abgelehnt und die Abschiebung in die Türkei angedroht.
Eine hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (VG Augsburg, U.v. 28.9.2021 – Au 3 K 20.30860); das Urteil wurde rechtskräftig.
6
Am 22. März 2022 stellten die Kläger zu 1 bis 6 über ihre Bevollmächtigte einen Asylfolgeantrag und führten zur Begründung im Wesentlichen aus, gegen den Kläger zu 1 sei in der Türkei ein Strafverfahren wegen Terrorpropaganda anhängig. Ihm drohe ein nicht rechtsstaatliches Verfahren wegen bloßer Veröffentlichungen allgemeiner Art. Die ganze Familie sei in Gefahr. Dazu legten sie u.a. ihren Angaben zu Folge von seinem türkischen Rechtsanwalt erlangte Unterlagen in Kopie mit deutscher Übersetzung vor (BAMF-Akte des Asylfolgeverfahrens Bl. 67 ff.):
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- Generalstaatsanwaltschaft, Entscheidung zur Weiterleitung der Ermittlungsakten wegen Terrorpropaganda betreffend den Kläger zu 1 v. 6.1.2022 (ebenda Bl. 69),
8
- Generalstaatsanwaltschaft, Entscheidung zur Zusammenführung von Ermittlungsakten wegen Terrorpropaganda betreffend den Kläger zu 1 v. 11.1.2022 (ebenda Bl. 73),
9
- Generalstaatsanwaltschaft, Einleitung von Ermittlungen wegen Terrorpropaganda betreffend den Kläger zu 1 v. 18.1.2022 (ebenda Bl. 71)
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- Bestätigung eines vom Kläger zu 1 mandatierten Rechtsanwalts ... v. 24.1.2022 über das laufende Ermittlungsverfahren, die beabsichtige Akteneinsicht hierzu und die Aussicht seines Mandanten, bei einer Rückkehr in die Türkei deswegen vor Gericht gestellt zu werden (ebenda Bl. 75, dazu Bestellung/Apostille ebenda Bl. 113, 325 ff.),
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- 2. Strafgericht, Weisung v. 7.3.2022 zur Vorbereitung eines Haftbefehls gegen den Kläger zu 1 wegen Terrorpropaganda nach § 98 tStGB zwecks seiner Anhörung und Festnahme, falls er einer Ladung zur Vernehmung nicht folgen solle, sowie Freilassung nach der Anhörung (ebenda Bl. 86, 116),
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- Akteneinsichtsgesuch des o.g. türkischen Rechtsanwalts für den Kläger zu 1 (ebenda Bl. 89),
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- Kopien von Bildschirmfotos (ebenda Bl. 358 ff.), auf denen auch uniformierte und bewaffnete Personen sichtbar sind,
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- Landespolizeibehörde, Ermittlungsbericht v. 17.12.2021 zu Social-Media-Konten (ebenda Bl. 383 ff.), wonach die öffentlich geteilten Fotos eine Vereidigungszeremonie der YPG und Bewaffnete zeigen sollen; Feststellung der Ausreise des Klägers zu 1 am 18. Juli 2019 über den Flughafen Istanbul und weitere Ermittlungsprotokolle (ebenda Bl. 390 ff.).
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Weiter wurden medizinische Befunde vorlegt:
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- Dr., HNO-Arzt, Behandlungsbericht v. 9.5.2022 für den Kläger zu 3 mit der Diagnose Sprachentwicklungsstörung, Therapie: sonderpädagogische Unterstützung (ebenda Bl. 99), dazu auch ... Sprachkompetenzanalyse v. 3.11.2022 (ebenda Bl. 411),
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- MVZ ...klinik, Arztbrief v. 25.5.2022 für den Kläger zu 1 mit der Diagnose Bandscheibenvorfall (ebenda Bl. 101),
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- Dr., Arztbrief v. 28.6.2022 für den Kläger zu 1 mit der Diagnose Bandscheibenvorfall und Zustand nach erfolgreicher endoskopischer Behandlung (ebenda Bl. 105),
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In seiner in Kurdisch-Kurmanci geführten Anhörung vor dem Bundesamt am 29. August 2022 gab der Kläger zu 1 im Wesentlichen an (BAMF-Akte Bl. 130 ff.), er habe die Unterlagen vor sechs oder sieben Monaten von seinem türkischen Rechtsanwalt bekommen, den er im Jahr 2021 bevollmächtigt habe. Die Polizei habe zu Hause bei seinen Eltern mehrfach nach ihm gefragt. Er habe auf F. und T Tnur seine Meinung gesagt, zwei Mal nach seiner Ankunft in Deutschland im Jahr 2019, dass sie als Kurden unterdrückt würden. Sein türkischer Rechtsanwalt habe ihm gesagt, er würde bei einer Rückkehr festgenommen; in seiner Abwesenheit finde keine Gerichtsverhandlung statt. Auf Nachfragen zu einem etwaigen Geheimhaltungsbeschluss und zu Rechtsmitteln gegen den Haftbefehl konnte der Kläger keine sachdienlichen Angaben machen, sondern verwies auf Erfahrungen von Freunden. Seine Kernfamilie sei in Deutschland und seine Ehefrau sei schwanger.
20
Auf dem Kontrollbogen bestätigte der Kläger, es habe bei der in Kurdisch-Kurmanci durchgeführten Anhörung keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben, das rückübersetzte Protokoll entspreche seinen Angaben und diese seien vollständig und entsprächen der Wahrheit (BAMF-Akte Bl. 75).
21
Mit Bescheid vom 17. November 2022 lehnte das Bundesamt die Anträge als unzulässig ab und lehnte die Anträge auf Abänderung der Feststellungen zu Abschiebungsverboten im Bescheid vom 23. Juni 2020 und im Bescheid vom 8. Mai 2020 ab. Das hiergegen eingeleitete Klageverfahren wurde nach Abhilfe durch die Beklagte eingestellt (VG Augsburg, B.v. 8.2.2024 – Au 3 K 22.31303).
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In seiner in Türkisch geführten Anhörung vor dem Bundesamt am 29. Februar 2024 gab der Kläger zu 1 im Wesentlichen an (BAMF-Akte Bl. 474 ff.), er habe die nun vorgelegten Unterlagen von seinem in der Türkei bevollmächtigten Rechtsanwalt ... erhalten und während des Asylerstverfahrens zwar seiner damaligen Anwältin in Deutschland im Jahr 2021 zur Verfügung gestellt und sei davon ausgegangen, dass diese sie an das Bundesamt weiterleite; unerklärlich sei ihm, weshalb das nicht geschehen sei (ebenda Bl. 475). In der Türkei werde gegen ihn ermittelt wegen einiger Beiträge in den sozialen Medien; als er diese veröffentlicht habe, habe sich seine Cousine gleichen Namens in Syrien der YPG angeschlossen, das sei in den Jahren 2015/2016 gewesen (ebenda Bl. 475). Er habe keinen Zugang zu seinem F.-Account (vollständiger Name und Geburtsdatum) mehr und vermute, der türkische Staat habe ihn gesperrt (ebenda Bl. 476). Auf Vorhalt räumte er ein, auch die Beiträge und Bilder zu waffentragenden Uniformierten veröffentlicht zu haben, es sei vor langer Zeit gewesen (ebenda Bl. 476). Auf weiteren Vorhalt der Veröffentlichung in den Jahren 2020/2021 von Deutschland aus meinte er, auch vorher Sachen veröffentlicht zu haben (ebenda Bl. 476). Zum Festnahmebefehl zwecks Verhör mit anschließender Freilassung (Y. E.) erläuterte der Kläger auf Nachfragen, zwei Ermittlungsverfahren seien zusammengelegt worden.
Auf Nachfrage zu den Motiven, Bilder zu waffentragenden Uniformierten veröffentlicht zu haben, meinte er, die Türken seien verantwortlich dafür, dass seine Cousine in Syrien verschwunden sei; deshalb habe er sich zur Veröffentlichung entschieden. Erst habe er ein Foto seiner Cousine in F. veröffentlicht, darauf hätten die Türken empfindlich mit einer türkischen Flagge reagiert. Er habe sich provoziert gefühlt und dann weitere Bilder veröffentlicht und sei auf F. immer wieder bedroht worden. Zu den Motiven seiner Cousine erklärte er, sie sei Mitglied der HDP und ein oder zwei Mal festgenommen worden und dann nach Syrien gegangen (ebenda Bl. 477).
23
Auf dem Kontrollbogen bestätigte der Kläger, es habe bei der in türkischer Sprache durchgeführten Anhörung keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben, das rückübersetzte Protokoll entspreche seinen Angaben und diese seien vollständig und entsprächen der Wahrheit (BAMF-Akte Bl. 473).
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Mit Schreiben vom 29. Februar 2024 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass ein weiteres Asylverfahren für die Kläger durchgeführt werde und ihnen eine Aufenthaltsgestattung zu bescheinigen sei.
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Mit Bescheid vom 5. März 2024 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Ziffer 4), forderte zur Ausreise innerhalb einer Woche auf und drohte die Abschiebung in die Türkei an, wobei die Ausreisefrist bis zum Ablauf der Klagefrist bzw. bis zu einer ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Falle eines Eilantrags ausgesetzt werde (Ziffer 5).
Die Voraussetzungen für die Durchführung weiterer Asylverfahren seien vorliegend gegeben, denn neue Elemente oder Erkenntnisse, die nach rechtskräftigem Abschluss des vorangegangenen Verfahrens entstanden oder zutage getreten oder Erkenntnisse, die bereits vor Abschluss dieses Verfahrens existierten, aber bisher weder geltend gemacht, noch vom Bundesamt berücksichtigt worden seien, lägen vor und könnten mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einer günstigeren Entscheidung beitragen. Allerdings lägen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) und die Anerkennung als Asylberechtigte nicht vor.
Dem Kläger zu 1 drohe in der Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung bzgl. der Ermittlungen wegen Terrorpropaganda. Es handele sich um eine rein strafprozessuale Ermittlung und von der Intensität der Maßnahme ohne ersichtlichen Politmalus her nicht um eine Verfolgungshandlung. Es handele sich um legitime Abwehr von Terrorismus und nicht um eine mit einem Politmalus behaftete Strafverfolgung. Da die aufgeführten Beiträge des Klägers einen eindeutigen Bezug zur YPG aufwiesen und bisher keinerlei Anhaltspunkte für eine diskriminierende Strafverfolgung wegen Terrorpropaganda vorlägen, sei von einer legitimen Strafverfolgung auszugehen. Ob die YPG nun in der Türkei als Terrororganisation eingestuft werde und in anderen Teilen der Welt nicht, sei auch unerheblich, wobei die YPG durchaus auch in Deutschland umstritten sei, was ihre Nähe zur verbotenen PKK anbelange. So stütze sich die YPG für Geldmittel nach Expertenangaben auf in den kurdischen Gebieten erhobene Steuern und die Unterstützung der PKK, die über ein Netzwerk von Spendern in Europa, der Türkei und in anderen Gebieten der kurdischen Diaspora verfüge. Die Äußerungen des Klägers zu 1 in den sozialen Medien gingen über sein Recht auf freie Meinungsäußerung weit hinaus. Auch in Deutschland würde dies sehr wahrscheinlich strafrechtliche Ermittlungen nach sich ziehen. Dass das Strafverfahren gegen ihn in der Türkei gegen grundlegende prozessuale Werte und das Gebot der Verfahrensfairness verstieße, sei nach derzeitigem Verfahrensstand nicht ersichtlich und auch von ihm nicht substantiiert geltend gemacht worden. So solle er laut dem Festnahmebefehl zunächst vernommen und anschließend freigelassen werden. Er müsse auch nicht bei einer möglichen Verurteilung mit einer unverhältnismäßigen und diskriminierenden hohen Haftstrafe rechnen. Gegen ihn sei eine Anklage wegen Terrorpropaganda laut Art. 7 des Terrorbekämpfungsgesetzes (Gesetz Nummer 3713) erhoben worden mit einem Strafrahmen von ein bis zu fünf Jahren, der um die Hälfte erhöht werde, wobei die türkische Justiz hier keinen Ermessensspielraum zulasse. Dass auch bei vergleichbaren Straftaten die Strafpraxis von Staat zu Staat unterschiedlich sein und dass es berechtigte und vernünftige Unterschiede zwischen den Staaten bei der Länge der verhängten Freiheitsstrafen geben könne, sei keine Diskriminierung. Daher sei das gegen den Kläger zu 1 in der Türkei eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Terrorpropaganda eine reguläre Maßnahme einer Strafverfolgungsbehörde im Rahmen der Terrorismusbekämpfung und prinzipiell auch in Deutschland strafbar. Eigene Gründe für die Kläger zu 2 bis 6 seien nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden. Auch die Voraussetzungen für nationales Asyl oder subsidiären Schutz lägen aus diesen Gründen nicht vor, insbesondere drohe bei einer Inhaftierung nicht Folter mit hinreichender Wahrscheinlichkeit. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG seien unbegründete Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Ausländer Asylfolgeanträge oder Asylzweitanträge gestellt hätten und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. Dies sei hier der Fall und die Asylanträge der Kläger daher als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Abschiebungsverbote lägen nicht vor.
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Hiergegen ließen die Kläger am 14. März 2024 Klage erheben und beantragen,
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1. Der Bescheid des Bundesamts vom 5. März 2024 wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen.
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3. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
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4. Hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet, den Klägern subsidiären Schutz zu gewähren,
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5. Weiter hilfsweise wird die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Zudem ließen sie beantragen,
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Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. März 2024 wird angeordnet.
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Der Bescheid sei unter Bezugnahme auf die Antragsbegründung rechtswidrig, der Antrag nicht offensichtlich unbegründet.
35
Die Antragsgegnerin und Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen und den Antrag abzulehnen.
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Mit Beschluss vom 18. März 2024 wurde der Rechtsstreit in der Hauptsache dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die Behördenakte verwiesen.
II.
39
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg. Der Kammervorsitzende entscheidet als gesetzlicher Einzelrichter nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG und entsprechend der kammerinternen Geschäftsverteilung in Vertretung für das derzeit wegen Personalwechsels unbesetzte Referat des Berichterstatters.
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1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
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Der zulässige Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, § 30 Abs. 1 Nr. 8, § 36 Abs. 3, § 71 Abs. 5 Satz 3 AsylG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet.
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a) Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris).
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Ein Asylantrag ist nach § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG (zur Novelle Art. 2 Nr. 6 und Nr. 16 sowie Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung v. 21.2.2024, BGBl. I Nr. 54 – Rückführungsverbesserungsgesetz) offensichtlich unbegründet, wenn ein Asylfolgeantrag gestellt und ein Asylfolgeverfahren durchgeführt wurde. Diese Regelung gilt nach § 87 Abs. 2 Nr. 6 AsylG für alle Asylanträge, die – wie hier – nach dem 27. Februar 2024 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden sind. Wegen der Einzelheiten wird auf die ausführliche Begründung im angefochtenen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG) und ergänzt:
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aa) Es bestehen nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, soweit die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte nach Art. 16a GG abgelehnt worden ist.
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Die Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte wurde im Bescheid vom 23. Juni 2020 abgelehnt, da die Kläger zu 1 bis 5 auf dem Landweg eingereist sind. Hierzu haben sie keine neuen Elemente oder Erkenntnisse im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG vorgetragen, die zu einer für sie günstigeren Entscheidung führen könnten. Die Anerkennung als Asylberechtigte scheidet daher nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG aus. Ausnahmen nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylG liegen nicht vor.
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Für die in Deutschland geborene Klägerin zu 6 wurde die Anerkennung als Asylberechtigte im Bescheid vom 8. Mai 2020 abgelehnt. Hierzu hat sie keine neuen Elemente oder Erkenntnisse im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG vorgetragen, die zu einer für sie günstigeren Entscheidung führen könnten.
47
bb) Es bestehen nach summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, soweit die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz nach § 3 AsylG abgelehnt worden ist.
48
Die Zuerkennung wurde für den Kläger zu 1 im Bescheid vom 23. Juni 2020 abgelehnt, da ihm in der Türkei keine flüchtlingsrelevante Verfolgung drohe. Dem Kläger zu 1 drohe in der Türkei nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung bzgl. der Ermittlungen wegen Terrorpropaganda. Es handele sich um eine rein strafprozessuale Ermittlung und von der Intensität der Maßnahme ohne ersichtlichen Politmalus her nicht um eine Verfolgungshandlung. Diese Einschätzung ist zutreffend:
Zwar werden in der Türkei die Verfahrensrechte der Betroffenen in Verfahren mit Terrorbezug teilweise massiv eingeschränkt und bestehen beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte und – jedenfalls in Terrorprozessen – bei den Verteidigungsmöglichkeiten erhebliche Defizite; so werden Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung, der PKK oder deren zivilem Arm KCK häufig als geheim eingestuft und Rechtsanwälten bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht ermöglicht (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 28.7.2022, S. 12). Davon unterscheidet sich jedoch der Fall des Klägers, in dem dessen Rechtsanwalt in der Türkei volle Akteneinsicht erhalten hat, so sogar in die Ermittlungsakten und Unterlagen der Generalstaatsanwaltschaft ... einschließlich des Haftbefehls zum Verhör. Diese konkreten Anhaltspunkte sprechen vielmehr umgekehrt für die Einhaltung der Standards eines fairen Verfahrens gegenüber dem Kläger, der sich anwaltlich vertreten lassen und sogar volle Akteneinsicht nehmen lassen kann. Hinzu kommt, dass das 2. Strafgericht ... die Vorbereitung eines Haftbefehls gegen den Kläger zu 1 wegen Terrorpropaganda nach § 98 tStGB zwecks seiner Anhörung und Festnahme angeordnet hat, falls er einer Ladung zur Vernehmung nicht folgen solle, aber auch seine Freilassung nach der Anhörung. Auch das spricht dafür, dass die Ingewahrsamnahme des Klägers seiner im türkischen Strafprozess vorgesehenen Vernehmung und nicht einer zeitlich unbegrenzten Inhaftierung dienen soll. Schließlich ist im derzeitigen frühen Stadium des Strafverfahrens auch nicht erkennbar, dass dem Kläger wegen der ihm zur Last gelegten und in der Sache nach auch von ihm als begangen eingeräumten Delikte der Terrorpropaganda durch verherrlichende Veröffentlichung von Bildern uniformierter Guerilla eine unverhältnismäßig harte Bestrafung drohte. Dies alles zusammen genommen, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verneinung von Flüchtlingsschutz durch die Beklagte. Die vorgelegten Erkenntnisse und Elemente führen schon inhaltlich nicht zu einer dem Kläger zu 1 günstigeren Entscheidung, ungeachtet der Frage, ob sie nicht schon teilweise im Asylerstverfahren hätten vorgelegt werden können oder müssen.
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Die Zuerkennung wurde für die Kläger zu 2 bis 6 im Bescheid vom 23. Juni 2020 und im Bescheid vom 8. Mai 2020 abgelehnt, da ihnen in der Türkei keine flüchtlingsrelevante Verfolgung drohe. Hierzu haben sie keine neuen Elemente oder Erkenntnisse im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylG vorgetragen, die zu einer für sie günstigeren Entscheidung führen könnten. Die vorgelegten Unterlagen zum Strafverfahren gegen den Kläger zu 1 in der Türkei beziehen sich allein auf ihn.
50
cc) Es bestehen nach summarischer Prüfung aus diesen Gründen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, soweit die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Insoweit wird auf obige Ausführungen verwiesen.
51
dd) Es bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, soweit das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG festgestellt wurde.
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Dass der Kläger zu 1 einen Bandscheibenvorfall erfolgreich endoskopisch behandelt erhielt und der Kläger zu 3 an einer Sprachentwicklungsstörung leidet, führt für beide nicht zu einem Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG. Die Atteste sind zwar neue Elemente oder Erkenntnisse, führen aber zu keiner für die Kläger günstigeren Bewertung. Ein solches Abschiebungsverbot wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen setzt eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraus, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde. Daran fehlt es bei einem erfolgreich behandelten Bandscheibenvorfall ebenso wie bei einer längerfristigen aber nicht lebendbedrohlichen Sprachentwicklungsstörung.
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ee) Ebenfalls keine Bedenken bestehen gegen den Erlass der Abschiebungsandrohung, dem keine unionsrechtlichen Bedenken nach § 34 Abs. 1 Nr. 4 AsylG n.F. hinsichtlich Kindeswohl, familiärer Bindungen oder Gesundheitszustand entgegenstehen, wie im angefochtenen Bescheid ausführlich geprüft und verneint ist. Insbesondere sind die gemeinsam ausreisepflichtigen Kläger in der Lage, im Fall ihrer Rückführung in die Türkei dort auch ihr Familienleben gemeinsam fortzusetzen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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