Titel:
Allgemeinverfügung mit versammlungsrechtlicher Auflage schränkt Meinungsfreiheit unzulässig ein
Normenketten:
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Art. 8 Abs. 1, Abs. 2
BayVersG Art. 15 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5
StGB § 130, § 140
Leitsätze:
1. Kollektive Meinungsäußerungen in Form einer Versammlung sind umso schutzwürdiger, je mehr es sich bei ihnen um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nur soweit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegt, kann von dem Veranstalter nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG verlangt werden, dass er den geplanten Ablauf seiner Versammlung ändert, oder kann eine Versammlung gänzlich untersagt werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Rahmen einer Überprüfung einer versammlungsrechtlichen Beschränkung der Meinungsäußerungen der Teilnehmer betreffend, ist die in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährleistete Meinungsfreiheit zu berücksichtigen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Parole „Stoppt den Genozid in Gaza“ ist von der in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit gedeckt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorläufiger Rechtsschutz, Versammlung in der Innenstadt, Gefahrenprognose, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Allgemeinverfügung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6312
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 6. März 2024 gegen die Ziffer 1.3.14 der Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin vom 27. Februar 2024 wird angeordnet.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
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Der Antragsteller wendet sich gegen die versammlungsrechtliche Auflage eines Verbots der Parole „Stoppt den Genozid in Gaza“.
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Am 23. Februar 2024 zeigte der Antragsteller die Durchführung eines Demonstrationszuges unter anderem für den 9. März 2024 an. Als Thema gab er an: „Stoppt den Genozid in Gaza! Waffenruhe jetzt! Stoppt die Besatzung! Kein Angriff auf Rafah!“, mit Beginn um 15.00 Uhr und einem Ende um 18:00 Uhr. Die erwartete Teilnehmerzahl wurde mit 75 Personen angegeben mit folgender Route: „K.platz, B.-F. Straße, M.str., K.str., L.-berg, M. Gr., O. Gr., Am V., F.str., M2.str., M3.berg, U.platz, M.str., B.-F.-Str., K.platz“.
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Am 27. Februar 2024 erließ die Antragsgegnerin eine Allgemeinverfügung. In Ziffer 1 der Allgemeinverfügung wurden verschiedene Beschränkungen für Versammlungen unter freiem Himmel im Hoheitsgebiet der Stadt ... angeordnet. Nach Ziffer 1.3. wurde das Sagen, (Aus-)Rufen, Skandieren, Singen oder die sonstige Verwendung der nachfolgend in der Ziffer 1.3.1 – 1.3.17 im Einzelnen benannten Parolen – gleich welcher Sprache – beispielsweise in Form von Schrift, Liedgut oder künstlerischen Darstellungen untersagt. In Ziffer 1.3.14 wurde folgende Parole aufgeführt: „Stoppt den Genozid in Gaza“. Abweichungen von den Anordnungen in Ziffer 1 sind im Rahmen von Einzelanweisungen der polizeilichen Einsatzkräfte möglich (Ziffer 2). Die in Ziffer 1 getroffenen Anordnungen gelten auch für Versammlungen unter freiem Himmel, die der Anzeigepflicht nicht nachkommen sowie für überörtliche Versammlungen unter freiem Himmel, die das Hoheitsgebiet der Stadt passieren (Ziffer 3). Die Anordnungen der Allgemeinverfügung gelten ab dem 1. März 2024 bis zum 14. März 2024 (Ziffer 4 und 5).
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Auf die Allgemeinverfügung wird im Einzelnen verwiesen.
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Mit Bescheid vom 6. März 2024 wurde die vom Antragsteller für den 9. März 2024 angezeigte Versammlung bestätigt und verschieden Anordnungen getroffen. In den Hinweisen zum Bescheid wurde auf die Allgemeinverfügung vom 27. Februar 2024 verwiesen.
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Gegen die versammlungsrechtliche Auflage in Ziffer 1.3.14 der seitens der Antragsgegnerin erlassenen Allgemeinverfügung ließ der Antragsteller am 6. März 2024 Klage erheben mit dem Ziel der Aufhebung der Ziffer 1.3.14 der Allgemeinverfügung. Über die Klage ist noch nicht entschieden (Au 8 K 24.576).
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Gleichzeitig ließ er einen Eilantrag stellen und beantragen,
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Die aufschiebende Wirkung der Klage wird wiederhergestellt.
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Im Rahmen einer Abwägung werde das Interesse am vorläufigen Rechtsschutz zu Gunsten des Antragstellers ausfallen. Die Ziffer 1.3.14 verletze den Antragsteller in seinen Grundrechten aus Art. 8 Abs. 1, 5 Abs. 1 GG. In der Allgemeinverfügung habe die Antragsgegnerin ausdrücklich auf den Demonstrationszug des Antragstellers am 9. März 2024 Bezug genommen. Es sei unklar, nach welchen Kriterien sowie nach welchem Verfahren Abweichungen von der Allgemeinverfügung nach Ziffer 2 zulässig seien. Es sei zu erwarten, dass dies vor Ort willkürlich erfolgen werde. Am 27. Januar 2024 sei durch einen polizeilichen Einsatzleiter die Parole „Stoppt den Mord“ untersagt worden, da eine Nähe zum „Völkermord“ bestehen würde. Auf einer anderen Versammlung sei dagegen die Parole „Stoppt den Genozid“ erlaubt worden, solange man nicht „in Gaza“ hinzugefügt habe. Die Antragsgegnerin benenne in ihrer Allgemeinverfügung einzelne Vorfälle, es bleibe jedoch offen, ob sich Verdachtsmomente für Straftaten erhärtet hätten. Die Allgemeinverfügung genüge den Anforderungen an eine ausreichende Gefahrenprognose nicht. Zudem sei die Äußerung, dass in Gaza derzeit ein Völkermord stattfinde durchaus vertretbar, einerseits ein Völkermord durch Israel selbst oder durch Teile des israelischen Staates. Es werde auf den Beschluss des Internationalen Gerichtshof vom 26. Januar 2024 verwiesen, wobei dieser hierbei wegen Verletzung der Genozid-Konvention gegen Israel provisorische Maßnahmen erlassen habe. Der IGH sehe hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Israel Maßnahmen ergreifen müsse, um seine Verpflichtungen der Genozid-Konvention zu erfüllen. Hierbei sei auf das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza sowie Äußerungen hoher israelischer Regierungsbeamter hingewiesen worden, wobei sich das Gericht auch auf die Veröffentlichung von 37 UNHCR-Experten gestützt habe, die die Rhetorik israelischer Beamter kritisiert habe, sowie eine Veröffentlichung des UN-Ausschusses, welcher den Anstieg von rassistischem „hate speech“ gegenüber Palästinenser/innen thematisiert habe. Welche Kriegshandlungen einen Genozid darstellen würden, sei ein stark diskutiertes Thema. Es handle sich folglich um eine im politischen Meinungskampf vertretbare Äußerung, für welche es gute Argumente geben würde. Eine Subsumtion unter einen Straftatbestand sei abwegig. Es werde auf dem Beschluss des OVG NRW vom 2. Dezember 2023 (Az. 15 B 1323/23) verwiesen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Antragsgegnerin verwies aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit auf die Begründung der Allgemeinverfügung. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass die Anordnung in Ziffer 1.3.14 im pflichtgemäßen Ermessen erfolgt sei. Die Versammlungslage sei angespannt, mehrfach seien Straftaten bzw. versammlungsrechtliche Verstöße begangen worden. Die Gefahrenprognose sei nicht zu beanstanden. Es habe bereits mehrfach antisemitische Parolen auf pro palästinensischen Versammlungen gegeben, welche nicht friedlich verlaufen seien. Es habe Probleme bzw. Verstöße durch die Teilnehmer gegeben, welche an den Versammlungen zu diesem Thema regelmäßig teilnahmen. Der Internationale Gerichtshof habe noch nicht über den Vorwurf des Völkermordes entschieden. Es könne jedoch aufgrund der streitgegenständlichen Parole davon ausgegangen werden, dass dies zu einer angespannteren Situation und einer damit einhergehenden höheren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen werde. Insbesondere sei die Verhältnismäßigkeit gewahrt, da der Antragsteller dennoch sein Thema ohne die Parole transportieren könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag ist zulässig und begründet.
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1. Die vom Antragsteller erhobene Klage hat aufgrund Art. 25 BayVersG keine aufschiebende Wirkung, worauf auch in den Hinweisen in der Allgemeinverfügung unter Ziffer 3 zutreffend hingewiesen wird, weshalb der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO statthaft ist. Bei der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 2 BayVwVfG, denn die in der Allgemeinverfügung getroffene versammlungsrechtlichen Beschränkungen anlässlich terroristischer Angriffe im Nahen Osten richtet sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Personenkreis.
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2. Die in Ziffer 1.3.14 untersagte Äußerung in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung erweist sich nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren voraussichtlich als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung anhand der in § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO niedergelegten Kriterien zu treffen. Es hat zu prüfen, ob das Vollzugsinteresse so gewichtig ist, dass der Verwaltungsakt sofort vollzogen werden darf, oder ob das gegenläufige Interesse des Antragstellers an der Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage überwiegt. Wesentliches Element im Rahmen der insoweit gebotenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Erweist sich der Rechtsbehelf als offensichtlich Erfolg versprechend, so wird das Interesse des Antragstellers an einer Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage stärker zu gewichten sein, als das gegenläufige Interesse der Antragsgegnerin. Umgekehrt wird eine Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage grundsätzlich nicht in Frage kommen, wenn sich der Rechtsbehelf als offensichtlich aussichtslos darstellt. Sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs nicht eindeutig zu beurteilen, sondern nur tendenziell abschätzbar, so darf dies bei der Gewichtung der widerstreitenden Interessen – dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers einerseits und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin andererseits – nicht außer Acht gelassen werden. Lassen sich nach summarischer Überprüfung noch keine Aussagen über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs machen, ist also der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. zum Ganzen BVerfG, B.v. 24.2.2009 – 1 BvR 165/09 – NVwZ 2009, 581; BVerwG, B.v. 11.11.2020 – 7 VR 5.20 u.a. – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 17.9.1987 – 26 CS 87.01144 – BayVBl. 1988, 369; Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 65 ff. m.w.N.). Auch die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Versammlungsfreiheit durch Art. 8 GG ist in diesem Rahmen zu berücksichtigen.
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b) Nach der dem Gericht im Eilverfahren möglichen summarischen Prüfung erweist sich die versammlungsrechtliche Beschränkung in Ziffer 1.3.14 voraussichtlich als rechtswidrig.
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Rechtsgrundlage für das Verbot der Parole „Stoppt den Genozid in Gaza“ ist Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
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Hierbei ist jedoch die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen. Das in Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; B. v. 14.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 39 ff.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Damit die Bürger selbst entscheiden können, wann, wo und unter welchen Modalitäten sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können, gewährleistet die Regelung in Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur die Freiheit, an einer öffentlichen Versammlung teilzunehmen oder ihr fern zu bleiben, sondern umfasst zugleich ein Selbstbestimmungsrecht über die Durchführung der Versammlung als Aufzug, die Auswahl des Ortes und die Bestimmung der sonstigen Modalitäten der Versammlung (stRspr, vgl. etwa BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16; B.v. 14.5.1985 – 1 BvR 233/81 u.a. – juris Rn. 61). Soweit Beschränkungen verfügt werden, ist dies nach Art. 8 Abs. 2 GG für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich, allerdings nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit (vgl. etwa BVerfG, B.v. 21.11.2020 – 1 BvQ 135/20 – juris Rn. 6; B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; BayVGH B.v. 24.1.2021 – n.v. Rn. 12 des BA). Derartige Beschränkungen sind im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen. Rechtsgüterkollisionen sind im Rahmen versammlungsrechtlicher Verfügungen durch Auflagen oder Modifikationen der Durchführung der Versammlung Rechnung zu tragen (vgl. dazu BVerfG, B.v. 24.10.2001 − 1 BvR 1190/90 − BVerfGE 104, 92 – juris Rn. 54, 63). Insoweit gilt die Regel, dass kollektive Meinungsäußerungen in Form einer Versammlung umso schutzwürdiger sind, je mehr es sich bei ihnen um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (stRspr, vgl. etwa BVerfG, U.v. 11.11.1986 – 1 BvR 713/83 – BVerfGE 73, 206 – juris Rn. 102).
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Nur soweit eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegt, kann von dem Veranstalter nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG verlangt werden, dass er den geplanten Ablauf seiner Versammlung ändert, oder kann eine Versammlung gänzlich untersagt werden (BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 11.12.2020 – 6 B 432/20 – juris Rn. 11, B.v. 13.3.2021 – 6 B 96/21 – juris Rn. 6). Der Schutzbereich der öffentlichen Sicherheit betrifft die Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen, der Einrichtungen des Staates oder sonstiger Hoheitsträger sowie die Gesamtheit der Rechtsordnung. Demgegenüber betrifft die öffentliche Ordnung die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den herrschen sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes menschliches Zusammenleben angesehen wird. Eine Gefahr bedeutet eine konkrete Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung führt. Voraussetzung für die Gefahrenprognose sind nachweisbare und konkrete Tatsachen (BVerfG, B.v. 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 – juris Rn. 20). Vorkommnisse bei früheren Versammlungen stellen für sich allein keine hinreichend konkrete Tatsachengrundlage für die Erwartung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar (vgl. BVerfG vom 7.11.2008 – 1 BvQ 43/08 – juris Rn.22).
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c) Mit dem Merkmal der unmittelbaren Gefährdung ist ein hoher Gefahrenmaßstab angesprochen, den nicht schlechterdings jede zu erwartende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit erreicht. Gemessen daran ist eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung derzeit nicht erkennbar.
23
In der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung werden die unter Ziffer 1.3 genannten untersagten Parolen nicht durch eine konkrete Gefahrenprognose untermauert. In der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung wird durch Nennung des seitens des Antragstellers angezeigten Versammlung Bezug auf diese genommen. Rein aus der Natur der Allgemeinverfügung an sich finden sich lediglich allgemeine Ausführungen im Hinblick auf ein derzeit hohes Gewalt- bzw. Konfliktpotential von Versammlungen anlässlich des Kriegs im Nahen Osten – zu den konkret untersagten (17) Parolen, insbesondere der streitgegenständlichen, werden keine Ausführungen getroffen, weshalb gerade diese zu einer wahrscheinlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung führen werden. Soweit die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung vorträgt, dass es bereits bei früheren Versammlungen mit ähnlichem Teilnehmerkreis zu Problemen bzw. Verstößen gegen die Beschränkungen der Antragsgegnerin gekommen sei, dürften auch diese Ausführungen eine Gefahrenprognose für die streitgegenständliche Parole nicht tragen – zumal es sich bei den Verstößen zum Teil um möglicherweise berechtigte Auflagen der Antragsgegnerin selbst gehandelt haben dürfte. Zwar durfte die Antragsgegnerin zu Recht davon ausgehen, dass im Rahmen der Gefahrenprognose auch Umstände, wie der zu erwartende Teilnehmerkreis sowie die Verläufe von vergangenen vergleichbaren Demonstrationen im Stadtgebiet, miteinbezogen werden können. Unter Berücksichtigung dessen geht das Gericht jedoch nicht davon aus, dass bei ungehindertem Geschehensablauf ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung droht. Aus der vorgelegten Behördenakte ergeben sich keine größeren Ausschreitungen bei vergangenen vergleichbaren Versammlungen – vielmehr verliefen die bisherigen Demonstrationen in großen Teilen friedlich. Die Tatsache, dass darüber hinaus – jedoch unabhängig von den bisherigen angezeigten Versammlungen – mögliche Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im Stadtgebiet der Antragsgegnerin, die die Thematik der Auseinandersetzungen im Gazastreifen berühren, verübt werden, führt zu keiner anderen Bewertung.
24
d) Im Rahmen einer Überprüfung einer versammlungsrechtlichen Beschränkung der Meinungsäußerungen der Teilnehmer betreffend, ist weiter die in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistete Meinungsfreiheit zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht führte im Hinblick auf Art. 5 GG aus, dass dieser nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung erlaube (BVerfG, B.v. 4.11.2009 – 1 BvR 2150/08 – juris Rn. 57 ff.). Sofern der Inhalt der untersagten Meinungsäußerung sich im Rahmen des nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Zulässigen hält, so kann dies nicht zu einer Rechtfertigung einer Beschränkung des Art. 8 Abs. 1 GG führen (VG Düsseldorf, B.v. 1.12.2023 – 18 L 3167/23 – juris Rn. 26; OVG NRW, B.v. 6.5.2022 – 15 B 584/22 – juris Rn. 7 ff.). Folglich handelt es sich lediglich um eine im Rahmen einer möglichen Versammlungsbeschränkung zu berücksichtigende Äußerung, sofern diese den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen, mithin eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit im Raum steht (OVG NRW, B.v. 2.12.2023 – 15 B 1323/23 – juris Rn. 15).
25
Die Parole „Stoppt den Genozid“ dürfte nach der dem Gericht lediglich möglichen summarischen Prüfung – unabhängig von der Hinzufügung des Merkmals „in Gaza“ unter Berücksichtigung der Gesamtumstände der Äußerung – nicht den Straftatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 StGB oder den Tatbestand der Belohnung bzw. Billigung von Straftaten nach § 140 StGB erfüllen (so auch OVG NRW, B.v. 2.12.2023 – 15 B 1323/23 – juris Rn. 34, 43). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die strafrechtlichen Ausführungen hierzu in dem genannten Beschluss verwiesen, welchen sich die Kammer anschließt. Im Rahmen der dem Gericht möglichen summarischen Prüfung im Eilverfahren geht das Gericht mithin davon aus, dass die Parole „Stoppt den Genozid in Gaza“ von der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Meinungsfreiheit gedeckt ist (vgl. auch Hessischer VGH, B.v. 2.12.2023 – 2 B 1715/23 – juris Rn. 24).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.