Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 29.02.2024 – Au 2 K 22.1216, Au 2 K 22.1217, Au 2 K 22.1218, Au 2 K 22.1220
Titel:

Kommunalabgabenrecht, Kurbeitrag, unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung:, formelle Anforderungen an die Einlegung des Widerspruchs, Innehaben einer Zweitwohnung

Normenketten:
KAG Art. 7
Satzung für die Erhebung eines Kurbeitrages in der Gemeinde ... vom 16.10.2012
VwGO § 58 Abs. 2
VwGO § 70
Schlagworte:
Kommunalabgabenrecht, Kurbeitrag, unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung:, formelle Anforderungen an die Einlegung des Widerspruchs, Innehaben einer Zweitwohnung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6308

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kosten der Verfahren hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.  

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung eines Kurbeitrags.
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Die Klägerin ist seit 1995 Eigentümerin des Wohnhauses ...straße ... in .... Dieses liegt im Kurgebiet der Beklagten. Die Klägerin war bis zum 23. Februar 2016 mit Hauptwohnsitz in der ...straße ... gemeldet, danach bis zum 1. April 2016 mit Nebenwohnsitz und ist dann verzogen.
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Mit Bescheiden vom 1. März 2021 erhob die Beklagte auf Grundlage ihrer Satzung für die Erhebung eines Kurbeitrages (KBS) den pauschalen Jahreskurbeitrag für einen Erwachsenen für die Jahre 2017 bis 2021 in Höhe von jeweils 50,00 EUR.
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Dagegen legte die Klägerin mit einfacher E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur an ‚... ...‘ und ‚... Info‘ vom 8. März 2021 Widerspruch ein. Sie machte geltend, sie halte sich nicht zum Urlaub machen in ... auf. Zudem denke sie, seien zu Coronazeiten keine Ferienangebote oder ähnliches gegeben gewesen. Sie habe in diesen Jahren auch keine Gästekarte erhalten. Eine wahrheitswidrige Festlegung entspreche nicht der Gleichbehandlung gegenüber anderen Gästen.
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Mit Schreiben vom 18. Mai 2021 teilte die Beklagte der Klägerin daraufhin mit, dass sich der Gemeinderat in der Sitzung vom 11. Mai 2021 mit dem Widerspruch befasst und beschlossen habe, dass dieser zwar form- und fristgerecht erhoben worden sei, jedoch nicht begründet sei. Mit Schreiben vom 20. Juli 2021 wies das Landratsamt ... die Klägerin darauf hin, dass bei der Prüfung der eingegangenen Unterlagen festgestellt worden sei, dass der Widerspruch vom 8. März 2021 lediglich mittels einfacher E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur eingereicht worden sei. Mit weiterem Schreiben vom 3. Dezember 2021 erläuterte das Landratsamtes ... der Klägerin die Sach- und Rechtslage ausführlich und gab Gelegenheit, den Widerspruch bis spätestens 14. Januar 2022 zurückzunehmen, da der Widerspruch nach Auffassung der Widerspruchsbehörde bereits mangels ausreichender Schriftform nicht formgerecht eingereicht worden sei und darüber hinaus auch keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, die die angefochtenen Bescheide als rechtswidrig erscheinen lassen. Mit Faxmitteilung vom 28. Februar 2022 teilte die Klägerin dann unter Bezugnahme auf ein am 25. Februar 2022 geführtes Telefonat mit, dass der Widerspruch, wie im Telefonat bereits angekündigt, aufrechterhalten werde.
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Das Landratsamt ... wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 2022 zurück. Der Widerspruch sei nicht formgerecht eingelegt worden. Sind die Umstände des Verweilens nicht genau feststellbar, spreche eine widerlegbare Vermutung für den Kuraufenthalt. Ob der Einzelne die Nutzungsmöglichkeiten als Vorteil empfindet, sei dabei ebenso unbeachtlich wie sein Wille, von ihnen Gebrauch zu machen. Auch genüge schon ein Aufenthalt von wenigen Stunden. Eine Übernachtung im Kurgebiet sei nicht nötig. Die Klägerin habe im Veranlagungszeitraum Wasser in Höhe von 11 m³ im Jahr 2017, 22 m³ im Jahr 2018, 8 m³ im Jahr 2019 und 10 m³ im Jahr 2020 verbraucht. Die Wohnung in der ...straße sei demnach zumindest zeitweise zum Aufenthalt genutzt worden. Auch sei keine Unbilligkeit gegeben, da auch während der Corona-Pandemie die Möglichkeit zur Nutzung von Kureinrichtungen wie das Freibad, Spazier- und Wanderwege, Ruhebänke, Liegewiesen und Veranstaltungen wie z.B. ein Alphornkonzert bestanden habe. Dass die Klägerin keine Gästekarte erhalten habe, schließe die Möglichkeit der Nutzung der Kur- und Erholungseinrichtungen nicht aus.
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Mit Schriftsatz vom 24. Mai 2022 – eingegangen am 27. Mai 2022 – erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung den Bescheid vom 1. März 2021 hinsichtlich des Jahres 2020 (Au 2 K 22.1219) aufgehoben hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Klägerin stellt zuletzt den Antrag:
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Die Bescheide der Beklagten vom 1. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landratsamts ... vom 21. April 2022 werden aufgehoben.
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Zur Begründung führt die Klägerin aus: Das Haus habe die Klägerin zu Lebzeiten von ihrer Großmutter geschenkt bekommen. Sie wolle dort niemals mehr wohnen. Das Haus solle einmal verkauft werden. Aber ihre emotionale Bindung verbiete ihr den momentanen Verkauf. Sie habe auch nicht vor dort Frei- bzw. Erholungszeit zu verbringen. Die schweren Zeiten vor Ort in der Gemeinde haben bei ihr zu schweren Erkrankungen geführt. Der Energieverbrauch sei ausschließlich auf die Gartenpflege, Teichbewässerung, Frostwächter/Infrarotheizkörper, Außenbeleuchtung/Einbruchschutz (automatisch gesteuert), wechselnde Handwerksbetriebe und Gärtner zurückzuführen. Sie habe auch zu keiner Zeit Kleinmaterialien oder Ähnliches steuerlich abgeschrieben. Im Jahr 2017 habe ihr Aufenthalt dazu gedient, ihre an Krebs erkrankte und manisch-depressive Mutter zu besuchen, betreuen und zu pflegen. Vor allem nach deren Selbsttötungsversuch habe sie oft nur für Stunden anreisen müssen, um am selben Tag wieder nach ... abzureisen. Im Jahr 2018 habe sie ihre Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt und die Beerdigung organisiert. Weiter habe sie sich zur Haushaltsauflösung, Sanierung des Hauses ihrer Mutter und Hausverkauf in ... aufgehalten. Zudem habe sie auch ihre schwer erkrankte Großcousine ... ... besucht, um nach dem Rechten zu sehen. Nachdem diese 2019 verstarb, habe sie nur noch stundenweise zum Besuch und zur Pflege verschiedener Gräber in mehreren Ortsteilen sowie zum Erhalt des Hauses Zeit in ... verbracht. Die Pflege könne sie jedoch seit Anfang 2021 nicht mehr selbst durchführen.
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Die Beklagte beantragt zuletzt,
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die Klagen abzuweisen.
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Mit Schriftsätzen vom 2. August 2022 und 17. Oktober 2022 ließ die Beklagte Folgendes vortragen und verweist im Übrigen auf den Widerspruchsbescheid vom 21. April 2022: Die Anfechtungsklagen seien bereits unzulässig, da die angefochtenen Bescheide bestandskräftig seien. Der Widerspruch sei nicht formgerecht eingelegt worden. Die Rechtsbehelfsbelehrungder Bescheide sei zutreffend. Obgleich eine Belehrung über die verschiedenen Formen des einzulegenden Rechtsbehelfs nach herrschender Meinung nicht erforderlich sei, enthalten die Hinweise zur Rechtsbehelfsbelehrungjeweils den zutreffenden Hinweis, dass Widerspruchseinlegung in elektronischer Form (z.B. E-Mail) unzulässig sei. Nach der Rechtsbehelfsbelehrungsei der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen. Die Anfechtungsklagen seien auch nicht deshalb zulässig, weil sich die Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid auch zur Sache eingelassen habe. Nach Rechtsprechung des BVerwG sei eine Heilung durch sachliche Einlassung nicht möglich, wenn – wie hier geschehen – die nicht ordnungsgemäße Einlegung im Widerspruchsbescheid gerügt wird. Die Klage sei zudem unbegründet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erstrecke sich die widerlegbare Aufenthaltsvermutung auf drei Ebenen: das Innehaben als Zweitwohnung, den zeitweisen Aufenthalt dort und die Möglichkeit zur Benutzung der Kureinrichtungen und zur Teilnahme an Kurveranstaltungen. Die Klägerin sei aufgrund der bestandskräftigen Zweitwohnungssteuerbescheide für die Veranlagungsjahre 2017 bis 2021 zweitwohnungssteuerpflichtig. Zudem habe die Klägerin selbst ausgeführt, in der verfahrensgegenständlichen Zweitwohnung aus Gründen der persönlichen Lebensführung (Sterbebegleitung, Grabpflege, Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen etc.) im maßgeblichen Zeitraum anwesend gewesen zu sein. Die Klägerin sei der Darlegungs- und Beweislast der widerlegbaren Aufenthaltsvermutung nicht nachgekommen. Sind Umstände des Verweilens nicht genau feststellbar, was gerade auch bei Besuchen aus familiären Gründen anzunehmen ist, spreche eine widerlegbare Vermutung für den Kuraufenthalt. Allein mit dem pauschalen Hinweis auf die geringe Freizeit während der regelmäßigen Aufenthalte sei der Nachweis, die Kureinrichtungen nicht nutzen zu können, nicht zu führen. Die Klägerin sei bei Ausgestaltung ihrer Aufenthalte jederzeit frei und keinen objektiven Begrenzungen unterworfen gewesen. Für die Bestimmung des subjektiven Aufenthaltszwecks sei nicht die innere Absicht, sondern die nach außen in Erscheinung tretenden, verfestigten und von Dritten nachprüfbaren Umstände relevant. Ein Nachweis für den Entfall der Pauschalisierung nach § 8 Abs. 6 Satz 2 KBS sei nicht gegeben.
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Mit Schriftsatz vom 13. September 2022 hat die Klägerin die Klage ergänzend begründet. Die Anfechtungsklagen seien zulässig, da der Widerspruch mit einer sehr ausführlichen Einlassung durch das Landratsamt zugestellt worden sei. Ein vorhergehendes ausführliches Telefonat habe die Klägerin bestärkt. Sie habe ergänzend zum vorherigen Vortrag noch Zeit in ... verbracht, um Amtsgänge nach dem Ableben der Mutter im Jahr 2018 durchzuführen und zur Besichtigung und Besprechung der Baustellen an ihrem Haus. Dieses sei zu dieser Zeit wegen Schimmel nicht bewohnbar gewesen.
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Am 29. Februar 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Diesbezüglich wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässigen Klagen sind nicht begründet. Den Klagen fehlt zwar nicht das Rechtsschutzbedürfnis (1.). Die Beklagte hat aber zu Recht mit Bescheiden vom 1. März 2021 einen Kurbeitrag i.H.v. jeweils 50,00 EUR erhoben (2.). Die Bescheide vom 1. März 2021 sind daher rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Die Klagen sind zulässig. Es fehlt nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, da die Bescheide vom 1. März 2021 nicht wegen Verwirkung des Widerspruchrechts bestandskräftig geworden sind. Zwar erfüllt ein Widerspruch per einfacher E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur nicht das Formerfordernis des § 70 Abs. 1 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 3 ZB 21.2849 – NVwZ-RR 2022, 744; Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 70 Rn. 2). Jedoch wurde die wegen fehlerhafter Rechtbehelfsbelehrung geltende Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 70 Abs. 2 VwGO mit Fax vom 28. Februar 2022 gewahrt.
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Die Rechtsbehelfsbelehrungwar fehlerhaft. Falls über die Form der Widerspruchseinlegung belehrt wird und ein elektronischer Zugang eröffnet ist, muss auch über die elektronische Form belehrt werden (vgl. OVG RhPf, U.v. 8.3.2012 – 1 A 11258/11 – BeckRS 2012, 214988 Rn. 26; Hoppe in Eyermann, 16. Aufl. 2022, VwGO § 58 Rn. 23). Dies muss jedenfalls seit 1. Januar 2018 gelten, da der Wortlaut von § 70 Abs. 1 VwGO seitdem ausdrücklich die elektronische Form nach § 3a Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nennt. Hier lautete die Rechtsbehelfsbelehrungder Beklagten dahingehend, dass ein Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift bei der Behörde einzulegen sei. In den Hinweisen zur Rechtsbehelfsbelehrungwird erklärt, dass die Widerspruchseinlegung und Klageerhebung in elektronischer Form (z.B. durch E-Mail) unzulässig sei. Somit wurde nicht zur elektronischen Form belehrt. Vielmehr entstand der Eindruck, dass auch eine Widerspruchseinlegung mittels E-Mail mit qualifizierter elektronischer Signatur unzulässig sei. Zudem war ein elektronischer Zugang durch die Gemeinde hier konkludent durch Angabe einer E-Mail-Anschrift eröffnet. Wird bei dem öffentlichen Internetauftritt der Behörde eine E-Mail-Anschrift angegeben, so ist hierin insbesondere auch aufgrund der Pflicht zur Zugangseröffnung aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Bayerisches E-Government-Gesetz eine konkludente Zugangseröffnung zu sehen (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Auflage 2020, § 3a Rn. 12).
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Gemäß § 58 Abs. 2 VwGO ist der Lauf der Frist von der Erteilung einer ordnungsgemäßen Belehrung abhängig, ohne Rücksicht darauf, ob den Betroffenen die Möglichkeit und die Voraussetzungen der in Betracht kommenden Rechtsbehelfe tatsächlich unbekannt waren und ob das Fehlen oder die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrungkausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 3 C 23.08 – NJW 2009, 2322 Rn. 17). Deshalb ist es auch unbeachtlich, dass die Klägerin hier den Widerspruch zunächst entgegen der Belehrung elektronisch eingelegt hat. Das Fax vom 28. Februar 2022, in welchem die Klägerin geltend macht, dass sie den Widerspruch aufrechterhalten wolle, wahrt deshalb die geltende Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 70 Abs. 2 VwGO und ist als ordnungsgemäße Einlegung eines Widerspruchs auszulegen. Auf eine etwaige Heilung durch sachliche Einlassung im Widerspruchsbescheid kommt es deshalb nicht mehr an.
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2. Die Bescheide vom 1. März 2021 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Die Erhebung der Jahreskurbeiträge beruht auf der am 1. Dezember 2012 in Kraft getretenen „Satzung für die Erhebung eines Kurbeitrages (KBS) in der Gemeinde ... vom 16.10.2012“ in Verbindung mit Art. 7 des Kommunalabgabengesetzes (KAG) in der zuletzt durch Gesetz vom 25. Februar 2010 (GVBl. S. 66) geänderten Fassung. Die Klägerin ist kurbeitragspflichtig nach § 8 Abs. 1 KBS (Art. 7 Abs. 2 Satz 5 KAG). Danach haben Personen, die eine zweite oder weitere Wohnung in der Gemeinde innehaben, sowie deren Ehegatten und deren einkommensteuerrechtlich dem Haushalt des Beitragspflichtigen zugerechnete Kinder, die nach § 1 kurbeitragspflichtig sind, einen jährlichen pauschalen Kurbeitrag zu entrichten. Nach § 1 KBS kurbeitragspflichtig sind Personen, die sich zu Kur- oder Erholungszwecken im Kurgebiet der Gemeinde aufhalten, ohne dort ihre Hauptwohnung im Sinne des Melderechts zu haben, und denen die Möglichkeit zur Benutzung der Kureinrichtungen und zur Teilnahme an Veranstaltungen geboten wird. Der Kurbeitrag entfällt, wenn gemäß § 8 Abs. 6 Satz 2 KBS (Art. 7 Abs. 2 Satz 6 KAG) eine nach § 8 Abs. 1 KBS vom Pauschalbeitrag erfasste Person nachweist, dass sie sich im Veranlagungszeitraum nicht zu Kur- und Erholungszwecken in der Gemeinde aufgehalten hat. An den Erwerb der Wohnung knüpft sich eine auf drei Ebenen erstreckende Vermutung des Aufenthalts zu Kur- oder Erholungszwecken an, nämlich darauf, dass die Wohnung – erstens – als Zweitwohnung innegehabt wird, dass sich ihr Inhaber dort – zweitens – zeitweise aufhält und dass damit – drittens – die Möglichkeit zur Benutzung der Kureinrichtungen und zur Teilnahme an den Kurveranstaltungen verbunden ist (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2008 – 4 B 05.3218 – BeckRS 2008, 27479 Rn. 20). Die durch den Erwerb einer Zweitwohnung begründete Vermutung ist widerlegbar, wobei die Widerlegung auf einer der drei genannten Ebenen genügt. Es obliegt dem Betroffenen, durch konkretes Tatsachenvorbringen substantiiert darzulegen und zu beweisen, dass er sich im gesamten Erhebungszeitraum nicht (d.h. an keinem Tag) in einer die Kurbeitragspflicht auslösenden Weise in der Wohnung aufgehalten hat (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2008 – 4 B 05.3218 – BeckRS 2008, 27479 Rn. 21).
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b) Die Klägerin hat das Wohnhaus ...straße ... in ... ... als Zweitwohnung inne. Gemäß § 2 der Zweitwohnungssteuersatzung der Gemeinde ... vom 25. November 2004 ist Zweitwohnung jede Wohnung in der Gemeinde, die eine Person, die in einem anderen Gebäude ihre Hauptwohnung hat, zu ihrer persönlichen Lebensführung innehat. Dabei reicht das Vorhalten zur persönlichen Lebensführung (vgl. BayVGH, U.v. 27.6.2013 – 4 B 13.592 – BeckRS 2013, 53444 Rn. 18). Die Gemeinde darf an das Innehaben einer Zweitwohnung bei bestehendem Nutzungsrecht und der offengehaltenen Nutzungsmöglichkeit grundsätzlich zunächst die Vermutung knüpfen, dass die Wohnung zumindest auch für Zwecke der persönlichen Lebensführung vorgehalten wird (vgl. BVerwG, U.v. 15.10.2014 – 9 C 5/13 – KommJur 2015, 147/148). Eine steuerbare Zweitwohnung liegt dann nicht vor, wenn sie nach dem subjektiven Verwendungszweck nicht der persönlichen Lebensführung dient, sondern der reinen Geld- oder Vermögensanlage in der Form des Immobiliarbesitzes (vgl. BVerwG, U.v. 15.10.2014 a.a.O.). Dieser muss durch objektive Umstände wie einem langjährigen Leerstand und noch hinzutretenden Umständen nachgewiesen werden (vgl. BVerwG, U.v. 15.10.2014 a.a.O.). Hier bestand eine Nutzungsmöglichkeit und die daraus entstehende Vermutung wurde nicht widerlegt. Es wurde hier keine Ausnahme wegen reiner Kapitalanlageabsicht nachgewiesen. Insbesondere wurde hier kein Leerstand nachgewiesen, da ein Wasserverbrauch in Höhe von 11 m³ im Jahr 2017, 22 m³ im Jahr 2018, 8 m³ im Jahr 2019 und 10 m³ im Jahr 2020 vorlag. Auch wurde nicht nachgewiesen, dass das Haus aufgrund von Schimmel nicht bewohnbar war. Eine objektive Unzumutbarkeit des Bewohnens kann bei erheblicher Gesundheitsgefährdung unter Umständen bei einem Schimmelbefall von Decken und Wänden angenommen werden (vgl. VG München, Urteil vom 15. September 2011 – M 10 K 11.1245 –, Rn. 27, juris). Weder im Verwaltungsverfahren, trotz Aufforderung der Beklagten, noch im gerichtlichen Verfahren wurden hierfür Nachweise erbracht. Die Zweitwohnungssteuerbescheide der Beklagten für den relevanten Zeitraum sind auch bestandskräftig geworden. Dass die Klägerin ihr Haus zum 1. April 2016 als Nebenwohnung abgemeldet hat, kann für das tatsächliche Vorliegen keinen Unterschied machen.
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c) Die Klägerin hat nicht gemäß § 8 Abs. 6 Satz 2 KBS (Art. 7 Abs. 2 Satz 6 KAG) nachgewiesen, dass sie sich im gesamten Veranlagungszeitraum nicht zu Kur- und Erholungszwecken im Kurgebiet aufgehalten hat. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es zur Entstehung der Kurbeitragspflicht nicht notwendig ist, dass der Kur- und Erholungszweck das ausschließliche Motiv für den Aufenthalt ist; dieses darf nur nicht völlig in den Hintergrund treten (BayVGH, U.v. 27.5.1992 – 4 B 90.3073, GK 1992 Rn. 252 unter Tz. 1; U.v. 4.5.2006 – 4 BV 06.341 sowie U.v. 22.6.2007 – 4 B 05.3239). Der Kurbeitrag wird als Gegenleistung dafür erhoben, dass ortsfremden Besuchern eines Kurortes die Möglichkeit geboten wird, die in erster Linie für sie vorgehaltenen gemeindlichen Kur- oder Erholungseinrichtungen zu benutzen und an den angebotenen Veranstaltungen teilzunehmen. Ob der einzelne Ortsfremde diese Möglichkeit (subjektiv) als Vorteil empfindet, ist ebenso unbeachtlich wie der Wille, von ihr Gebrauch zu machen (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2008 – 4 B 05.3218 – BeckRS 2008, 27479 Rn. 23). Mit dem Erfordernis eines Aufenthalts zu Kur- oder Erholungszwecken sollen diejenigen ortsfremden Personen von der Beitragspflicht ausgenommen werden, für die aufgrund eines besonderen Aufenthaltszwecks die allgemeine Vermutung nicht gilt, dass mit jedem – nicht nur kurzfristigen – Verweilen im Kurgebiet ein kurbeitragspflichtiger Sondervorteil verbunden ist. Das setzt voraus, dass der anderweitige Aufenthaltszweck bei typisierender Betrachtung die (objektiv bestehende) Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Kur- oder Erholungseinrichtungen vollständig entwertet und lediglich als theoretische Möglichkeit ohne praktische Bedeutung bestehen lässt, wie das insbesondere bei ortsfremden Personen der Fall ist, die im Kurgebiet arbeiten oder ausgebildet werden. Vor diesem Hintergrund ist die Tatbestandsvoraussetzung des Aufenthalts zu Kur- oder Erholungszwecken tendenziell „weit“ zu verstehen und erst dann zu verneinen, wenn dieses Motiv völlig in den Hintergrund tritt. Für die Bestimmung des im Ausgangspunkt subjektiven Aufenthaltszwecks kommt es dabei nicht auf die – unüberprüfbare – innere Absicht der ortsfremden Person an, sondern nur auf die nach außen in Erscheinung tretenden, verfestigten und von Dritten nachprüfbaren Umstände des Aufenthalts (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2008 – 4 B 05.3218 – BeckRS 2008, 27479 Rn. 23). Die Darlegungs- und Beweislast ist dabei dem Betroffenen zumutbar, weil diese Umstände regelmäßig aus seiner privaten Sphäre stammen und von der Gemeinde nicht, jedenfalls nicht mit vertretbarem Aufwand ermittelt werden können (vgl. BayVGH, U.v. 30.1.2008 – 4 B 05.3218 – BeckRS 2008, 27479 Rn. 25).
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Gemessen an diesen Maßstäben war die Klägerin in den noch streitgegenständlichen Veranlagungsjahren 2017, 2018, 2019 und 2021 kurbeitragspflichtig, da sie die Aufenthaltsvermutung nicht widerlegt hat. Sie hat keinen besonderen anderweitigen Aufenthaltszweck nachgewiesen, der die objektiv bestehende Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Kur- oder Erholungseinrichtungen vollständig entwertet hat. Auch nach Einlassung der Klägerin hat sie sich in den Jahren 2017, 2018, 2019 und 2021 im Kurgebiet aufgehalten. Sie bestreitet lediglich, dass ihre Aufenthalte Kur- und Erholungszwecken i.S.v. Art. 7 Abs. 2 KAG gedient hätten. Jedoch dringt sie auch damit rechtlich nicht durch: Nach ihrem eigenen Vorbringen dienten die Aufenthalte in den Jahren 2017 und 2018 dazu, die kranke Mutter zu besuchen, betreuen und zu pflegen. Zudem dienten sie im Jahr 2018 zur Haushaltsauflösung, zu Sanierung und Verkauf des Hauses ihrer Mutter und Amtsgängen nach dem Ableben der Mutter, sowie in den Jahren 2018 und 2019 Besuchen der Großcousine ... .... Weitere Aufenthalte im Jahr 2018 dienten zudem der Besichtigung und Besprechung der Baustellen an ihrem Haus, sowie nach Aussage in der mündlichen Verhandlung in den Jahren 2019 und 2021 dazu mehrere Gräber zu pflegen und nach ihrem Haus zu sehen. Dass aus der subjektiven Sicht der Klägerin bei ihren Aufenthalten nicht ihre eigene Erholung im Vordergrund stand, sondern Sorge und Trauer, lässt sich emotional nachvollziehen, ist kurbeitragsrechtlich als innere Absicht aber nicht ausschlaggebend. Es ist unbeachtlich, ob die Klägerin die Möglichkeit zur Nutzung von Kur- oder Erholungseinrichtungen subjektiv als Vorteil empfindet. Hinsichtlich dieser familiär motivierten Besuche hat die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen, dass sie – bedingt durch äußere Umstände – praktisch gar nicht die Möglichkeit gehabt habe, die Kureinrichtungen und -veranstaltungen zu nutzen. Allein mit dem pauschalen Verweis auf die geringe Freizeit während der regelmäßigen Aufenthalte im Kurgebiet, kann die Klägerin nicht den Nachweis führen, die Kureinrichtungen und -veranstaltungen gar nicht nutzen zu können. Die Klägerin war und ist in der Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung ihrer Aufenthalte jederzeit frei und keinen objektiven Begrenzungen unterworfen. Die Möglichkeit zur Inanspruchnahme der Kur- und Erholungseinrichtungen war also gerade nicht vollständig ausgeschlossen und bestand nicht lediglich als theoretische Möglichkeit ohne praktische Bedeutung. Selbst bei Eltern, die ein betreuungsbedürftiges Kleinkind bei Heilbehandlungen oder Rehabilitation begleiten und bei denen damit die Sorge um das Kind im Vordergrund stand, wurde davon ausgegangen, dass der eigene Kur- und Erholungszweck der Eltern dabei nicht völlig in den Hintergrund tritt (vgl. BayVGH, U.v. 22.6.2007 – 4 B 05.3239 – Rn. 23, juris). Dies muss erst Recht hinsichtlich der Sorge um einen Erwachsenen gelten.
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d) Auch das Vorbringen der Klägerin, während der Corona-Pandemie seien keine gemeindlichen Kur- oder Erholungseinrichtungen nutzbar gewesen, schließt die Kurbeitragspflicht nicht aus. Es reicht jedenfalls eine „Kernfunktionalität“ des Kurorts durch die Zurverfügungstellung einzelner Kureinrichtungen aus (vgl. VG Hannover, U.v. 20.7.2023 – 1 A 6187/20 – Rn. 29, juris). Dies war hier gegeben, da nach Aussage der Beklagten auch während der Corona-Pandemie die Möglichkeit zur Nutzung von Kureinrichtungen wie das Freibad, Spazier- und Wanderwege, Ruhebänke, Liegewiesen und Veranstaltungen wie z.B. ein Alphornkonzert bestand.
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e) Auch der Höhe nach sind die Bescheide rechtmäßig. Hierzu sind Mängel weder vorgetragen noch ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.