Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.01.2024 – 11 CS 23.1132
Titel:

Fehlendes Rechtsschutzinteresse

Normenkette:
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsatz:
Das Rechtsschutzinteresse ist entfallen, wenn das Verhalten eines Antragstellers darauf schließen lässt, dass er an einer gerichtlichen Entscheidung nicht mehr interessiert ist. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Widerruf der Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr, Anordnung des Sofortvollzugs, Rechtsschutzinteresse im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, Unterbliebene Mitwirkung des Rechtsschutzsuchenden, Rechtsschutzinteresse, Mitwirkungspflicht
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 31.05.2023 – W 6 S 23.588
Fundstellen:
BayVBl 2024, 310
BeckRS 2024, 629
LSK 2024, 629

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzugs hinsichtlich des Widerrufs ihrer Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr.
2
Die Antragstellerin ist nach Aktenlage seit 15. März 1999 Inhaberin einer unbefristeten Erlaubnis für den gewerblichen Güterkraftverkehr mit zuletzt 17 Ausfertigungen für ihre Fahrzeuge. Mit Schreiben vom 1. November 2021 regte die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr) beim Landratsamt Kitzingen den Widerruf der Güterkraftverkehrsgenehmigung wegen Unzuverlässigkeit an, da die Antragstellerin mit Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung und entstandenen Kosten in Höhe von 32.106,34 Euro in Rückstand sei und auf mehrfache Erinnerungen nicht reagiert habe.
3
Mit Schreiben vom 29. November 2021 leitete das Landratsamt ein Überprüfungsverfahren ein und forderte die Antragstellerin mit diesem Schreiben sowie mit weiteren Schreiben vom 17. Januar und 7. April 2022 zu Angaben und zur Vorlage von Nachweisen auf. Die BG Verkehr teilte dem Landratsamt mit Schreiben vom 6. Mai 2022 mit, der Beitragsrückstand habe sich auf 36.615,64 Euro erhöht.
4
Nach Anhörung und weiterem Schriftverkehr widerrief das Landratsamt mit Bescheid vom 6. April 2023 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Erlaubnis der Antragstellerin für den gewerblichen Güterkraftverkehr wegen Unzuverlässigkeit und fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit und verpflichtete sie unter Androhung eines Zwangsgelds zur Rückgabe der Erlaubnisurkunde und der 17 Ausfertigungen.
5
Hiergegen ließ die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Würzburg Klage erheben und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage beantragen. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. Mai 2023 abgelehnt. Der Bescheid erweise sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig und auch die Interessenabwägung spreche für die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Die Prognose des Landratsamts, dass zumindest einer der Geschäftsführer der Antragstellerin nicht die Gewähr dafür biete, das Unternehmen künftig ordnungsgemäß zu führen, sei insbesondere aufgrund der Rückstände bei den Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu beanstanden. Der Widerruf sei auch unter Berücksichtigung der Interessen der Antragstellerin nicht unverhältnismäßig.
6
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt. Mit Schreiben vom 7. Juli 2023 erklärte die Landesanwaltschaft Bayern für den Antragsgegner, das Landratsamt werde bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens keine weiteren Vollzugsmaßnahmen ergreifen.
7
Mit richterlichem Hinweisschreiben zur Sach- und Rechtslage vom 11. Juli 2023 unterbreitete der Senat den Beteiligten einen Vorschlag zur außergerichtlichen Beilegung des Rechtsstreits (Aufhebung des Widerrufs einschließlich der Nebenentscheidungen und Erlass einer Abmahnung mit Androhung des Widerrufs bei erneuten gravierenden Verstößen, wenn die Antragstellerin dem Landratsamt binnen vier Wochen die Tilgung der bestehenden Rückstände bei der BG Verkehr nachweise, hierzu eine Unbedenklichkeitsbescheinigung vorlege und das vom Landratsamt übersandte Überprüfungsformular vollständig und wahrheitsgemäß ausgefüllt einschließlich der erforderlichen Nachweise übersende). Hierzu äußerten sich die Beteiligten mit Schreiben vom 20. Juli, 22. September und 23. Oktober 2023 (Antragstellerin) sowie vom 17. Juli, 7. August und 13. November 2023 (Landesanwaltschaft Bayern).
8
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2023 erinnerte das Gericht den Bevollmächtigten der Antragstellerin an die am 14. November 2023 angeforderte zeitnahe, aber noch ausstehende Äußerung zum letzten Schreiben der Landesanwaltschaft Bayern bzw. Vorlage der fehlenden Unterlagen beim Landratsamt. Nachdem im Beschwerdeverfahren wiederholt Äußerungen der Antragstellerin nicht oder nur verspätet und unvollständig eingegangen und Fristen, auch zum gerichtlichen Vorschlag vom 11. Juli 2023 einer einvernehmlichen Beilegung des Rechtsstreits, mehrfach antragsgemäß verlängert worden seien, werde unter Hinweis auf die prozessualen Mitwirkungsobliegenheiten um abschließende Äußerung bis spätestens 5. Januar 2024 gebeten. Bis zu diesem Zeitpunkt bestehe auch Gelegenheit, zur Frage Stellung zu nehmen, ob im Hinblick auf das Verhalten der Antragstellerin überhaupt noch Interesse an der Fortführung des Verfahrens vorliege. Hierzu hat sich die Antragstellerin nicht mehr geäußert.
9
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
10
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
11
Das erforderliche Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin an einer Entscheidung über ihren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde nicht mehr erkennbar, da die Antragstellerin trotz gerichtlicher Aufforderung nicht in der gebotenen Weise am Verfahren mitwirkt.
12
Auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO muss das Rechtsschutzinteresse desjenigen, der vorläufigen Rechtsschutz begehrt, im hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 4.12.2012 – 7 CS 12.1982 – juris Rn. 13; Schoch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 80 VwGO Rn. 492; Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 82). Das gilt auch für das Beschwerdeverfahren des erstinstanzlich unterlegenen Antragstellers (bzw. hier der Antragstellerin) nach § 146 Abs. 4 VwGO. Andernfalls ist der Antrag unzulässig. Zwar ist das Rechtsschutzinteresse grundsätzlich zu bejahen und bedarf keiner näheren Prüfung, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es von vornherein nicht gegeben war oder im Laufe des Verfahrens entfallen ist. Anders liegt es jedoch dann, wenn das Verhalten eines Antragstellers darauf schließen lässt, dass er an einer gerichtlichen Entscheidung nicht mehr interessiert ist (vgl. OVG LSA, B.v. 28.1.2019 – 3 M 1/19 – juris Rn. 8).
13
So liegt es hier. Nach Einlegung und Begründung der Beschwerde hat die Antragstellerin bzw. ihr Prozessbevollmächtigter gerichtliche Nachfragen mehrfach nur verzögert und nach Fristverlängerung beantwortet. Gegenstand des Einigungsvorschlags, den das Gericht den Beteiligten bereits vor sechs Monaten (zu diesem Zeitraum vgl. Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.10.2009 zur Festlegung gemeinsamer Regeln für die Zulassung zum Beruf des Kraftverkehrsunternehmers und zur Aufhebung der RL 96/26/EG [ABl. L 300 vom 14.11.2009, S. 51]) unterbreitet hat, war die von der Antragstellerin hierzu zu leistende Tilgung der bestehenden Rückstände bei der BG Verkehr für die gesetzliche Unfallversicherung und die Vorlage des vom Landratsamt übersandten Überprüfungsformulars mit vollständigen und wahrheitsgemäßen Angaben einschließlich der erforderlichen Nachweise. Zu den hierzu in der Folgezeit von der Antragstellerin eingereichten Unterlagen hat der Antragsgegner mehrfach auf Defizite und Unvollständigkeiten hingewiesen und zuletzt mit Schreiben vom 13. November 2023 moniert, es würden die erforderlichen Führungszeugnisse und Auszüge aus dem Gewerbezentralregister zur Vorlage bei der Erlaubnisbehörde, die Auskünfte aus dem Bundes- und Gewerbezentralregister für den Geschäftsführer J. F. sowie Nachweise zur finanziellen Leistungsfähigkeit fehlen. Außerdem seien die überzähligen und ungenutzten „Reserveausfertigungen“ der Genehmigung zurückzugeben. Weder zur gerichtlichen Aufforderung vom 14. November 2023, sich hierzu zeitnah zu äußern bzw. dem Landratsamt die Unterlagen vorzulegen, noch zur gerichtlichen Nachfrage vom 19. Dezember 2023 mit Fristsetzung bis 5. Januar 2024 unter Hinweis auf das erforderliche Interesse der Antragstellerin an der Fortführung des Verfahrens hat sich diese bzw. ihr Bevollmächtigter geäußert. Ungeachtet der gerichtlichen Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sind die Beteiligten gehalten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken und den Prozess zu fördern, insbesondere bei entsprechenden Nachfragen des Gerichts (vgl. § 86 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 87b Abs. 2 VwGO). Dies gilt vor allem für Umstände und Tatsachen aus der eigenen, nur dem jeweiligen Beteiligten bekannten Sphäre (Breunig in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2023, § 86 Rn. 46 m.w.N.). Kommt ein Beteiligter dieser Mitwirkungsobliegenheit nicht nach, kann dies zum einen die Präklusion zur Folge haben (vgl. § 87b Abs. 3 VwGO). In jeder Hinsicht passives Verhalten eines Rechtsschutzsuchenden ohne erkennbaren Grund kann jedoch insbesondere im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auch den Schluss rechtfertigen, dass er kein Interesse an einer gerichtlichen Entscheidung mehr hat. Davon ist hier in Anbetracht des Verhaltens der Antragstellerin auszugehen.
14
Einer sachlichen Auseinandersetzung mit deren Vorbringen in der Beschwerdebegründung bedarf es daher nicht. Der Senat weist jedoch darauf hin, dass für die gebotene Zuverlässigkeit des Unternehmers und Genehmigungsinhabers (§ 3 Abs. 2 des Güterkraftverkehrsgesetzes – GüKG – vom 22.6.1998 [BGBl I S. 1485], zuletzt geändert durch Gesetz vom 2.3.2023 [BGBl 2023 I Nr. 56], i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. b, Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009) neben den in § 2 Abs. 2 und Abs. 3 der Berufszugangsverordnung für den Güterkraftverkehr vom 21. Dezember 2011 (BGBl I S. 3120), zuletzt durch geändert Gesetz vom 10. August 2021 (BGBl I S. 3436), genannten Kriterien auch das persönliche Verhalten des Unternehmers oder Geschäftsführers relevant sein kann und dass die Genehmigung auch bei fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit zu widerrufen ist (§ 3 Abs. 5 Satz 2 GüKG, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 1071/2009, § 3 GBZugV). Hiervon ausgehend spricht nach Aktenlage viel dafür, dass der vom Landratsamt ausgesprochene Widerruf der Genehmigung nicht zu beanstanden ist.
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1 und 47.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
16
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).