Titel:
Unzulässigkeit der Strafvollstreckung in Frankreich
Normenkette:
IRG § 73, § 85c
Leitsätze:
1. Beruft sich der Verurteilte auf den Tätigkeitsbericht des französischen Generalinspekteurs für Freiheitsentzugseinrichtungen für das Jahr 2022 und macht menschenunwürdige Haftbedingungen in Frankreich geltend, besteht Anlass für Ermittlungen zu den zu erwartenden Haftbedingungen. (Rn. 20)
2. Die Auskunft des französischen Justizministeriums, dass es der Ansicht sei, dass die europäischen Haftstandards, wie sie in Artikel 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen des Europarates und der Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EGMR und EuGH) festgelegt sind, eingehalten werden und dass die Einhaltung dieser Standards im vorliegenden Fall in allen Justizvollzugsanstalten, in die der Verurteilte nach seiner Überstellung eingewiesen werden kann, weitestgehend gewährleistet ist, ist nicht geeignet, eine menschenunwürdige Behandlung hinreichend sicher auszuschließen, wenn für die in Frage kommenden Haftanstalten die Haftbedingungen, insbesondere die Größe des dem Gefangenen zur Verfügung stehende Haftraums nicht konkret dargelegt werden. (Rn. 24)
3. Kann deshalb eine menschenunwürdige Behandlung nicht ausgeschlossen werden, ist die weitere Vollstreckung einer durch Urteil eines deutschen Gerichts verhängten Freiheitsstrafe in Frankreich unzulässig. (Rn. 24)
Das über die Zulässigkeit der Strafvollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat entscheidende Gericht trifft die Pflicht, Ermittlungen hinsichtlich der Rechtslage und der Praxis in diesem Mitgliedstaat vorzunehmen, wenn der Betroffene hinreichende Anhaltspunkte für solche Ermittlungen dargelegt hat. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Überstellung, Haftbedingungen, menschenunwürdig, Auskunft, französisches Justizministerium, ungeeignet
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 23.03.2017 – 8 Ks 401 Js 129363/16
Fundstellen:
LSK 2024, 6291
BeckRS 2024, 6291
StV 2024, 690
Tenor
1. Die weitere Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 23.03.2017 (Az. 8 Ks 401 Js 129363/16), rechtskräftig seit 31.03.2017, verhängten lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe in Frankreich ist unzulässig.
2. Die Kosten des Verfahrens betreffend die Zulässigkeit der Überstellung und die insoweit dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
1
Das Landgericht Augsburg hat den Verurteilten wegen zweifachen Mordes mit Urteil vom 23.03.2017 (Az. 8 Ks 401 Js 129363/16) zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Er verbüßt diese Strafe derzeit in der Justizvollzugsanstalt St. 15 Jahre der Strafe werde am 16.08.2031 verbüßt sein.
2
Das Landratsamt L. am Lech hat mit bestandskräftigem Bescheid vom 17.11.2022 den Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt nach dem Freizügigkeitsgesetz festgestellt und die Wirkungen der Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts auf die Dauer von sieben Jahren sechs Monaten ab Ausreise/Abschiebung befristet sowie die Abschiebung des Verurteilten aus der Haft nach Frankreich angeordnet.
3
Die Staatsanwaltschaft Augsburg beabsichtigt, die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem vorgenannten Urteil an Frankreich zu übertragen.
4
In seiner Anhörung durch das Amtsgericht Straubing erklärte der Verurteilte, sich zur beabsichtigten Überstellung nicht erklären, sondern erst mit seinem Anwalt beraten zu wollen.
5
Der vom Verurteilten als Rechtsbeistand bevollmächtigte Rechtsanwalt K. teilte der Staatsanwaltschaft Augsburg am 05.04.2023 telefonisch mit, dass der Verurteilte der Überstellung nach Frankreich nicht zustimmen werde.
6
Die Staatsanwaltschaft teilte dem Rechtsbeistand des Verurteilten mit, dass beabsichtigt sei, beim Oberlandesgericht Nürnberg die Zulässigerklärung der Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Augsburg vom 23.03.2017 in Frankreich zu beantragen.
7
In seiner Stellungnahme vom 19.05.2023 verwies der Beistand des Verurteilten auf die in Frankreich zu erwartende Mindestverbüßungsdauer von 30 Jahren und die verschärfte Bestrafung einer Mordstraftat an einem Minderjährigen mit lebenslanger Freiheitsstrafe mit Möglichkeit zur Prüfung einer Verkürzung der Bewährungszeit erst nach 30 Jahren. Darüber hinaus machte er unter Bezugnahme auf den Bericht des französischen Generalinspekteurs für Freiheitsentzugseinrichtungen auf extreme Haftbedingungen und den schlechten Zustand der Haftanstalten in Frankreich aufmerksam. Er machte konkret geltend, dass ein Mindestraum für einen Gefangenen von 3 m² nicht zur Verfügung stehe und ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK vorliege. Er legte den Pressebericht der französischen Aufsichtsbehörde SGLPL zum Tätigkeitsbericht 2022 des Generalkontrolleurs in französischer Sprache vor.
8
Die Staatsanwaltschaft Augsburg übersandte die Akten mit dem Antrag vom 30.05.2023, die Vollstreckung der durch das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 23.03.2017 verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtfreiheitsstrafe in Frankreich gemäß § 85c Nr. 1 und 2 IRG für zulässig zu erklären, an die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg.
9
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg schloss sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft Augsburg an und legte die Akten mit Schreiben vom 05.06.2023 dem Oberlandesgericht Nürnberg vor.
10
Mit Schreiben vom 12.07.2023 übermittelte der Beistand den vollständigen Tätigkeitsbericht 2022 des „Contrôleur général des lieux de privation de liberté“ in französischer Sprache und übersetzte Auszüge daraus. Er erklärte erneut den Widerspruch des Verurteilten gegen die Zulässigerklärung der Vollstreckung der Strafe in Frankreich und stellte sich gegen die Überstellung nach Frankreich. Er berief sich auf das Vorliegen von Auslieferungshindernissen und dabei unter Bezugnahme auf den vorgelegten Tätigkeitsbericht insbesondere auf eine generelle Überbelegung der Haftanstalten (minimale Belegung 135 Prozent, in drei Einrichtungen 200 Prozent), die dazu führe, dass neben den in den Zellen vorhandenen Betten Matratzen auf dem Boden ausgelegt würden, sowie auf Mängel der Sanitäreinrichtung und medizinischen Versorgung, die der Menschenwürde widersprächen. Der Verurteilte fürchte außerdem aufgrund seiner Herkunft aus Mauritius, wo er die erste Hälfte seines Lebens verbracht habe, und seiner Hautfarbe sowie einer Abstempelung als „Kindermörder“ in französischen Haftanstalten um seine Sicherheit. Die Kontakte zu seinen in Frankreich lebenden Familienmitgliedern (Vater und Schwester) seien selten und würden immer mehr abnehmen.
11
Mit Verfügung vom 18.07.2023 wies der Senat darauf hin, dass nach einer Sichtung des vorgelegten Tätigkeitsberichts des Generalsinspekteurs für Freiheitsentzugseinrichtungen davon auszugehen sein dürfte, dass es zwar keine Anhaltspunkte für durchgreifende systemische Mängel in allen französischen Justizvollzugsanstalten gebe, jedoch Anhaltspunkte für allgemeine, bestimmte Haftanstalten betreffend Mängel. Der Senat regte bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg an, bei den französischen Behörden abzuklären, in welcher konkreten Haftanstalt bzw. in welchen konkreten Haftanstalten der Verurteilte im Fall einer Vollstreckungsübernahme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit untergebracht werden würde und ob insoweit eine verbindliche, konkret auf den Verurteilten bezogene Erklärung aus Frankreich zur Einhaltung der Anforderungen der Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh erlangt werden könne. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 08.02.2022 (III-2 Ausl 74/21) schlug der Senat zur Vermeidung der dort genannten Schwierigkeiten bei der Erlangung einer Zusicherung zu den Haftbedingungen vor, möglichst konkrete Fragen insbesondere zu den seitens des Beistands angesprochenen Punkten (Unterschreitung der Mindestfläche, sanitäre und medizinische Versorgung) zu stellen und darauf hinzuweisen, dass es auf eine konkret auf den Verfolgten bezogene Erklärung ankomme. Soweit eine Zusicherung seitens des französischen Justizministeriums selbst mangels Zuständigkeit nicht möglich sei, komme auch die Einholung einer Erklärung der zuständigen Behörde (Gericht/Justizbehörde etc.) in Betracht.
12
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg übersandte eine entsprechende Anfrage an die französischen Behörden und reichte die von dort erbetene Übersetzung des Urteils des Landgerichts Augsburg vom 23.03.2017 im August 2023 nach. Das Antwortschreiben des französischen Justizministeriums vom 04.09.2023 ging am 18.01.2024 bei der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg ein.
13
Die Generalstaatsanwaltschaft übermittelte die Akten dem Senat mit Schreiben vom 18.01.2024 und teilte mit, dass an dem Antrag aus dem Schriftsatz vom 05.06.2023 festgehalten werde.
14
Der Rechtsbeistand hat mit Schriftsatz vom 23.02.2024 Stellung genommen. Er bemängelt, dass die französische Behörde nicht in der Lage sei beziehungsweise nicht wirklich gedenke, verbindlich angemessene Mindestgarantien für den Verurteilten zu geben. Darüber hinaus legt er Auszüge aus dem Amtsblatt der Französischen Republik vom 07.12.2022 und 14.09.2023 vor und verweist auf das Urteil des EGMR vom 06.07.2023 (84187/17).
15
Die weitere Vollstreckung der mit Urteil des Landgerichts Augsburg vom 23.03.2017 verhängten lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe in Frankreich ist unzulässig.
16
1. Für die beantragte Entscheidung über die Überstellung ist das Oberlandesgericht Nürnberg zuständig (§ 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 85a Abs. 1 S. 1, § 71 Abs. 4 S. 3 IRG, § 462a Abs. 1 S. 1 StPO).
17
2. Da sich der Verurteilte mit seiner Überstellung nach Frankreich nicht einverstanden erklärt hat, hat das Oberlandesgericht gemäß § 85a Abs. 1 S. 1 1. Alt. IRG über die Zulässigkeit der Überstellung nach § 85c IRG zu entscheiden.
18
3. Wenngleich die in § 85c IRG normierten Voraussetzungen für eine Zulässigkeitserklärung durch das Oberlandesgericht vorliegen, steht der Zulässigkeitserklärung mangels ausreichender Zusicherung der französischen Behörden zu den zu erwartenden Haftbedingungen das Rechtshilfeverbot des § 73 IRG entgegen.
19
a) Das Oberlandesgericht prüft bei seiner Entscheidung neben den tatbestandlichen Voraussetzungen von § 85 und § 85b IRG, die auch den Rahmenbeschluss Freiheitsstrafen in Bezug nehmen, auch das Vorliegen sonstiger Zulässigkeitshindernisse nach § 73 S. 2 IRG (Schomburg/Lagodny/Hackner, 6. Aufl. 2020, IRG § 85c Rn. 7). Nach § 73 IRG ist die Leistung von Rechtshilfe unzulässig, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen oder gegen grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Verurteilten verstoßen würde sowie wenn die Erledigung der Rechtshilfe zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätzen im Widerspruch stünde. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Haftbedingungen in dem Aufnahmestaat allgemein den völkerrechtlichen Mindeststandards nicht genügen. Dagegen muss ein Verurteilter einen gewissen niedrigeren Vollzugsstandard hinnehmen, solange nicht die Grenze dessen überschritten wird, was unerträglich hart und schlechthin unangemessen wäre und damit wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde (OLG Nürnberg, Beschluss vom 13.11.2011, 2 OLG Ausl 1/11). Dabei gilt bei Überstellung in einen anderen Mitgliedsstaat zur weiteren Vollstreckung ebenso wie bei Auslieferungen auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, dass einem Mitgliedstaat der Europäischen Union im Hinblick auf die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und des Menschenrechtsschutzes grundsätzlich besonderes Vertrauen entgegenzubringen ist (BVerfG Beschluss vom 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, juris Rn. 71 Rn. 73). Die bloß allgemeine Behauptung der Gefahr unzureichender Haftbedingungen vermag die Unzulässigkeit der Überstellung daher nicht zu begründen. Vielmehr müssen begründete Anhaltspunkte für die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung vorliegen. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens wird dann erschüttert und das über die Zulässigkeit der Auslieferung entscheidende Gericht trifft insoweit die Pflicht, Ermittlungen hinsichtlich der Rechtslage und der Praxis im ersuchenden Mitgliedstaat vorzunehmen, wenn der Betroffene hinreichende Anhaltspunkte für solche Ermittlungen dargelegt hat (BVerfG a.a.O. Rn. 74).
20
b) Vorliegend hat der Verurteilte mit der Vorlage des Tätigkeitsberichts des französischen Generalinspekteurs für Freiheitsentzugseinrichtungen begründeten Anlass zu weiteren Ermittlungen und Nachfragen bei den französischen Behörden gegeben. Deren Beantwortung führte nicht zu einer ausreichend konkreten Zusicherung im Hinblick auf die Gewährleistung menschenwürdiger Haftbedingungen für den Verurteilten im Fall einer Überstellung zur weiteren Strafvollstreckung nach Frankreich.
21
aa) Während die vom Beistand benannten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), insbesondere das Urteil vom 06.07.2023 (84187/17), das auch auf das Urteil des EGMR vom 30.01.2020 (J.M.B. u.a. gegen Frankreich – Az.: 9671/15 und 31 andere) Bezug nimmt, die nunmehr schon einige Jahre zurückliegenden Haftbedingungen in Fresnes im Zeitraum 2016 bis 2019 betrifft, gibt der vorgelegte Bericht des französischen Generalinspekteurs für Freiheitsentzugseinrichtungen für 2022 konkrete Anhaltspunkte für aktuell bestehende allgemeine und auch bestimmte Haftanstalten betreffende Mängel. Konkrete Zustände in konkreten Strafanstalten werden dabei im Kapitel 2 unter 5. (centre pénitentiaire Bordeaux-Gradignan, Gironde) und 7. (centre pénitentiaire Bois-d'Arcy, Yvelines) beschrieben. Für beide Anstalten wird insbesondere eine dramatische erhöhte Überbelegung dargelegt, der zur Verfügung stehende Raum ohne Möbel beträgt in Bordeaux-Gradignan teilweise nur 2,57 m², wobei in 145 der Zellen bei der Besichtigung drei Personen mit einer Matratze auf dem Boden untergebracht waren (S. 55, 56 des Berichts). In Bois-d'Arcy(Yvelines) beträgt der zur Verfügung stehende Raum 2,92 m², zum Teil bei Belegung mit drei Gefangenen nur 1,4 m² (S. 55, 56, 64 des Berichts).
22
bb) Da in Anbetracht der Bedeutung des Raumfaktors bei der Gesamtbeurteilung der Haftbedingungen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Umstand, dass der einem Inhaftierten zur Verfügung stehende Raum in einer Gemeinschaftszelle unter 3 m² liegt, eine starke Vermutung für einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh beziehungsweise Art. 3 EMRK begründet (BVerfG, Beschluss vom 27.01.2022, 2 BvR 1214/21 Rn. 57), bestand aufgrund dieser Informationen begründeter Anlass, zu prüfen, ob es unter den konkreten Umständen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass der Verfolgte im Anschluss an die Überstellung nach Frankreich aufgrund der Bedingungen, unter denen er inhaftiert sein wird, dort einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt sein wird. Da das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung absoluten Charakter hat, darf die vom Gericht vorzunehmende Prüfung der Haftbedingungen nicht auf offensichtliche Unzulänglichkeiten beschränkt werden, sondern muss auf einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen materiellen Haftbedingungen beruhen (BVerfG, a.a.O., Rn. 55). Der Senat hat daher unter Einschaltung der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg über eine Anfrage bei den französischen Behörden versucht abzuklären, in welcher konkreten Haftanstalt bzw. in welchen konkreten Haftanstalten der Verurteilte im Fall einer Vollstreckungsübernahme mit hinreichender Wahrscheinlichkeit untergebracht werden wird und ob insoweit eine verbindliche, konkret auf den Verurteilten bezogene Erklärung aus Frankreich zur Einhaltung der Anforderungen der Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh erlangt werden kann. Dabei wurden auch die konkreten Haftbedingungen im Hinblick auf Zahl der Haftplätze, Gesamtzahl der Gefangenen, Anzahl, Größe und Ausstattung der Hafträume (insbesondere auch Angaben zu Fenstern, Frischluftzufuhr und Heizung), Belegung der Hafträume und Angaben dazu, wieviel Quadratmeter dem einzelnen Gefangenen beziehungsweise dem Verurteilten dort zur Verfügung stehen, Ausstattung der Haftanstalt mit sanitären Einrichtungen, Verpflegungsbedingungen, Art und Bedingungen des Zugangs zu medizinischer Versorgung abgefragt.
23
cc) Die von den französischen Behörden erteilten Auskünfte hinsichtlich der Haftbedingungen sind nicht geeignet, eine menschenunwürdige Behandlung des Verfolgten hinreichend sicher auszuschließen.
24
In seiner Antwort vom 04.09.2023 teilte das französische Justizministerium mit, dass bei der Auswahl der Haftanstalt Gesichtspunkte wie der Ort der Einreise, Erfordernisse des Verfahrens oder der Verteidigung, Nähe zu Angehörigen und Trennung von Mittätern berücksichtigt würden. Weder die französische Regierung noch die Justizverwaltung noch die Justizbehörde könnten aber im Vorfeld garantieren, dass eine Person in eine bestimmte Justizvollzugsanstalt eingewiesen werde beziehungsweise, dass eine Einweisung in eine bestimmte Justizvollzugsanstalt ausgeschlossen sei. Da der Verurteilte seine letzte bekannte Anschrift in Agen hatte, könnte er vorbehaltlich der unabhängigen Entscheidung des Richters in eine der 20 Justizvollzugsanstalten der überregionalen Direktion der Justizvollzugsdienste in Bordeaux eingewiesen werden. Die Einweisung des Gefangenen erfolge angesichts der vom Verurteilten begangenen Straftat zunächst in ein nationales Evaluierungszentrum (Centre national d’évaluation CNE), in dem die Persönlichkeit des Inhaftierten beurteilt werde, um eine Einweisung in eine seinem Profil entsprechende Justizvollzugsanstalt und geeignete Vollzugsmaßnahmen vorzuschlagen. Es gebe drei solcher Evaluierungszentren (CNE Fresnes, CNE Sud-Francilien [Réau] und CNE Aix-Luynes), die Einweisung erfolge nach geografischen Kriterien. Bis zur Einweisung in ein Evaluierungszentrum werde der Häftling bis zu 14 Monate in eine Justizvollzugsanstalt für Untersuchungshäftlinge und Verbüßung kurzer Strafen (Maison d’arrêt) eingewiesen. Nach der Evaluierung erfolge die Einweisung in eine Justizvollzugsanstalt vom Typ Maison centrale (für Häftlinge mit hohem Gefährlichkeitsgrad, die lange Haftstrafen verbüßen) oder Centre de détention (für Häftlinge, die lange Haftstrafen verbüßen und deren Gefährlichkeitsgrad im Strafvollzug als niedrig eingestuft wird). Durch das Gesetz Nr. 2021-403 vom 08.04.2021 sei für Gefangene ein Rechtsmittel gegen unwürdige Haftbedingungen eingeführt worden. Die Beschreibung der Haftbedingungen in den Haftanstalten beschränkt sich auf die Angabe des Haftregimes (offener, geschlossener Vollzug, alternative Formen) und weitere allgemeine Angaben, insbesondere, dass in den Evaluierungszentren generell und im Maison d'arrêt bei Verurteilten im Regelfall (“sofern keine Ausnahmeregelung besteht“) eine Einzelhaftraumunterbringung erfolgt. Allgemein wird auch der Zugang zur medizinischen Versorgung geschildert. Die Ausstattung der Hafträume und der Belegungsgrad wird nur für die Evaluierungszentren beschrieben, eine konkrete Angabe zu dem zu Verfügung stehenden Haftraum erfolgt nicht. Auch erfolgt keine konkretere Darstellung oder Bezugnahme zu den eingangs des Schreibens genannten vorliegend wahrscheinlich in Betracht kommenden 20 Justizvollzugsanstalten der überregionalen Direktion der Justizvollzugsdienste in Bordeaux. Das Schreiben des französischen Justizministeriums schließt mit der Feststellung: “Das französische Justizministerium ist der Ansicht, dass die europäischen Haftstandards, wie sie in Artikel 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen des Europarates und der Rechtsprechung der europäischen Gerichte (EGMR und EuGH) festgelegt sind, eingehalten werden und dass die Einhaltung dieser Standards im Fall von Herrn A. in allen Justizvollzugsanstalten, in die er nach seiner Überstellung eingewiesen werden kann, weitestgehend gewährleistet ist.“ Die Angabe, dass die Ansicht besteht, dass menschenwürdige Haftbedingungen weitestgehend (“avec un niveau élevé de garantie“) gewährleistet sind, ohne die Zusicherung und Angabe konkreter Haftbedingungen in den für den Verurteilten zur weiteren Verbüßung seiner Strafe zumindest wahrscheinlich in Betracht kommenden Haftanstalten, insbesondere zu dem zur Verfügung stehenden Haftraum, aber auch den weiteren abgefragten Bedingungen, stellt keine ausreichend verbindliche Mindestgarantie dar. Ergänzend ist festzustellen, dass das im Tätigkeitsbericht des Generalinspekteurs wie oben unter Ziffer 3.b) aa) als äußerst problematisch beschriebene centre pénitentiaire Bordeaux-Gradignan im Zuständigkeitsbereich der überregionalen Direktion der Justizvollzugsdienste in Bordeaux liegt und ein Maison d'arrêt für erwachsene Männer umfasst (vgl. http://www...fr/etablissements-penitentiaires-10113/ und die Unterseiten zur Direction interrégionale de Bordeaux und dort zum centre pénitentiaire de Bordeaux-Gradignan). Es ist nicht auszuschließen, dass diese Einrichtung für die Unterbringung bis zur Einweisung des Verurteilten in ein Evaluierungszentrum in Betracht kommt. In der Gesamtschau sind damit die konkret bestehenden Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte im Fall der Überstellung menschenunwürdigen Haftbedingungen ausgesetzt sein könnte, durch die abgegebene Erklärung der französischen Behörden nicht ausgeräumt, so dass § 73 IRG einer Überstellung des Verurteilten nach Frankreich zur weiteren Strafvollstreckung entgegensteht.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 IRG, § 467 StPO.