Inhalt

VGH München, Beschluss v. 18.03.2024 – 8 ZB 23.1613
Titel:

Sicherung des Anschlusses an öffentliche Entwässerungseinrichtung gegen Rückstau

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3, Nr. 5, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
BGB § 907 Abs. 1 S. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2
WHG § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Leitsatz:
Jeder Anschlussnehmer an eine öffentliche Entwässerungseinrichtung muss damit rechnen, dass von Zeit zu Zeit auf seine Leitungen mindestens ein Druck einwirken kann, der bis zur Oberkante der Straße reicht. Damit trifft den Grundstückseigentümer die Obliegenheit, in einer ihm wirtschaftlich zumutbaren Weise durch eigene technische Vorkehrungen (Rückstausicherungen) Überflutungen bei Starkregenereignissen vorzubeugen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszulassung (abgelehnt), öffentliche Einrichtung zur Abwasserbeseitigung, Unterlassung der Einleitung von Niederschlagswasser, Dimensionierung der Abwassereinrichtung, Verpflichtung des Anschlussnehmers zum Schutz gegen Rückstau
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 18.07.2023 – RO 8 K 19.1897
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6261

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt die Unterlassung der Einleitung von Niederschlagswasser in die Entwässerungseinrichtung der beklagten Stadt bzw. auf sein Grundstück.
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Der Kläger ist Eigentümer des Wohngrundstücks FlNr. … Gemarkung W.. Das Grundstück ist an die öffentliche Entwässerungseinrichtung der Beklagten angeschlossen. Der Hausanschluss des Klägers führt zu einem Schacht in der N.. Straße (St …) vor seinem Anwesen. Seit dem Jahr 2012 wird in diesen Schacht zudem Niederschlagswasser von der St … und ggf. umliegenden Feldern eingeleitet; das Zuleitungsrohr (früher DN 300) wurde im Juli 2023 auf DN 200 gedrosselt. Die Weiterleitung des Abwassers aus dem Schacht erfolgt über ein Rohr DN 200.
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Am 17. April 2019 hat der Kläger Klage zum Landgericht Weiden erhoben mit den Anträgen, es zu unterlassen, Oberflächenwasser in den Revisionsschacht vor seinem Anwesen einzuleiten, hilfsweise es zu unterlassen, Abwasser aus der Rohrleitung DN 300 über seinen Anschluss auf sein Grundstück gelangen zu lassen. Das Landgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17. September 2019 an das Verwaltungsgericht Regensburg verwiesen und den Streitwert auf 15.000 EUR festgesetzt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 18. Juli 2023 abgewiesen. Die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sei äußerst gering. Da der Kläger nach der Entwässerungssatzung verpflichtet sei, sich vor einem Rückstau zu schützen, könne offenbleiben, ob die kommunale Kanalisation technisch regelkonform gebaut sei.
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Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Unterlassungsbegehren weiter.
II.
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A. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die von dem Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt und liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2, 3 und 5 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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I. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 = juris Rn. 23 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 15). Bei der Beurteilung ist nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung abzustellen (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – NVwZ 2021, 325 = juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).
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1. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, dass der Kläger keinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte entsprechend § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB besitzt, selbst wenn die städtische Entwässerungseinrichtung nach den technischen Regelwerken – trotz der Drosselung des Zulaufrohrs für die Straßenentwässerung – unterdimensioniert ist. Als Grundstückseigentümer muss er – zumindest im Grundsatz – selbst geeignete Vorkehrungen treffen, um sein Anwesen gegen einen Rückstau zu schützen (vgl. § 9 Abs. 5 der Entwässerungssatzung [EWS] der Beklagten vom 26. Juni 2013). Jeder Anschlussnehmer muss damit rechnen, dass von Zeit zu Zeit auf seine Leitungen mindestens ein Druck einwirken kann, der bis zur Oberkante der Straße reicht (vgl. BGH, U.v. 19.11.2020 – III ZR 134/19 – NVwZ-RR 2021, 317 = juris Rn. 15; B.v. 30.7.1998 – III ZR 263/96 NVwZ 1998, 1218 = juris Rn. 7). Damit trifft den Grundstückseigentümer die Obliegenheit, in einer ihm wirtschaftlich zumutbaren Weise durch eigene technische Vorkehrungen (Rückstausicherungen) Überflutungen bei Starkregenereignissen vorzubeugen (vgl. BVerwG, B.v. 23.11.2006 – 4 BN 22.06 – BRS 70 Nr. 46 [2006] = juris Rn. 7).
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Der Kläger zeigt auf nicht auf, dass ihm das Vorhalten einer funktionsfähigen Rückstausicherung unzumutbar wäre. Der Einbau eines funktionsfähigen Rückstauverschlusses ist – wie das vom Verwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten feststellt – technisch möglich (vgl. Ing. Büro R., Gutachten vom 19.12.2022, S. 13). Der Zulassungsantrag zieht dies nicht in Zweifel. Der Vorhalt, die eingebaute Rückstausicherung schütze – wie der Schadensfall am 23. Mai 2018 zeige – nicht immer zuverlässig, führt nicht zum Erfolg. Das (Rest-)Risiko eines Versagens der Rückstausicherung fällt grundsätzlich in die Sphäre des Grundstückseigentümers und nicht in diejenige des Betreibers einer öffentlichen Einrichtung zur Abwasserbeseitigung (vgl. auch BGH, U.v. 19.11.2020 – III ZR 134/19 – NVwZ-RR 2021, 317 = juris Rn. 22).
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Der Einwand des Klägers, er sei nur hinsichtlich der Abwässer aus der Entwässerungseinrichtung, nicht aber betreffend zusätzlich zugeführter Wassermengen aus der Entwässerung der S. straße zur Eigensicherung verpflichtet, geht fehl. Niederschlagswasser, das von bebauten oder befestigten Flächen gesammelt abfließt, ist rechtlich ebenfalls Abwasser (vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG; § 3 Nr. 1 EWS).
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2. Soweit sich der Zulassungsantrag gegen die Auslegung des § 907 Abs. 1 Satz 1 BGB durch das Ausgangsgericht wendet, bleibt er ebenfalls ohne Erfolg.
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Die Klage richtet sich nicht gegen die städtische Anlage zur Abwasserbeseitigung als solche, sondern ausschließlich auf die Unterlassung der Einleitung bzw. Zuführung von Abwasser im Betrieb. Ausgehend von diesem Klageziel, an das der Senat gebunden ist (vgl. § 88 VwGO), bleibt für Anwendung des § 907 Abs. 1 Satz 1 BGB, der als positivierter Sonderfall des allgemeinen Abwehranspruchs einen von § 1004 BGB unabhängigen vorbeugenden Schutz verleiht (vgl. BayVGH, U.v. 11.1.2013 – 22 B 12.2367 – juris Rn. 20; Brückner in Münchner Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2023, § 907 Rn. 1 f.), kein Raum (vgl. OLG Dresden, B.v. 22.10.2018 – 6 U 892/18 – juris Rn. 18 f.). Ob mit Sicherheit vorauszusehen ist, dass der Bestand oder die Benutzung der öffentlichen Abwasseranlage eine unzulässige Einwirkung auf das klägerische Grundstück zur Folge hat (vgl. UA S. 6), bedarf deshalb keiner Entscheidung.
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II. Der Zulassungsantrag zeigt auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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1. Allein der Umstand, dass das Verwaltungsgericht ein Sachverständigengutachten u.a. zu der Frage eingeholt hat, ob der Anschluss der Straßenentwässerung an die städtische Entwässerungseinrichtung vor dem klägerischen Anwesen den einschlägigen technischen Regelwerken entspricht, führt nicht zu tatsächlichen Schwierigkeiten, die das normale Maß überstiegen und sich im Zulassungsverfahren nicht klären ließen (vgl. BayVGH, B.v. 2.12.2022 – 3 ZB 22.1075 – juris Rn. 38). Im Übrigen ist die unter Beweis gestellte Tatsache nicht entscheidungserheblich (vgl. oben Rn. 8 ff.).
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2. Auch in rechtlicher Hinsicht weist die Streitsache keine erheblichen Schwierigkeiten auf. Die Frage, ob dem Kläger ein Anspruch auf Unterlassung der Einleitung von Niederschlagswasser in die städtische Abwasserbeseitigungsanlage oder der Zuführung gesammelten Abwassers auf sein Grundstück zusteht, lässt sich – wie oben aufgezeigt (vgl. Rn. 8 ff.) – ohne nennenswerten Aufwand im Zulassungsverfahren klären.
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III. Die Berufung ist auch nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung bedarf (stRspr, vgl. nur BVerwG, B.v. 8.1.2024 – 4 BN 15.23 – juris Rn. 1; vgl. auch BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 20). Dies zeigt der Zulassungsantrag nicht auf.
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Die von dem Zulassungsantrag angeführte Rechtsfrage, ob
19
„der Kläger einen subjektiven Anspruch darauf [hat], dass die kommunale Kanalisation technisch regelkonform gebaut ist, generell oder an besondere Bedingungen geknüpft“,
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lässt sich fallübergreifend weder bejahen noch verneinen. Sie hängt von den tatsächlichen Umständen des konkreten Einzelfalls ab und ist einer allgemein gültigen Klärung in einem Berufungsverfahren nicht zugänglich (vgl. BVerwG, B.v. 11.7.2019 – 3 B 15.18 – juris Rn. 17; Kuhlmann in Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 124 Rn. 35). Abgesehen davon ist diese Frage nicht entscheidungserheblich (vgl. oben Rn. 8 ff.).
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IV. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels zuzulassen, auf dem das Ersturteil beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
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Der Kläger wendet ein, das Verwaltungsgericht habe mangels eigener Sachkunde ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht annehmen dürfen, dass sich durch die Drosselung des Zulaufrohrs für die Straßenentwässerung die Wahrscheinlichkeit einer hydraulischen Überlastung des Schachts „wohl reduziert, zumindest aber keinesfalls vergrößert“ (vgl. UA S. 8). Damit kann er nicht durchdringen. Das Gericht verletzt Verfahrensrecht nur, wenn es sich nicht mehr in den Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegt, die dem Richter allgemein zugänglich sind (vgl. BVerwG, U.v. 26.10.2021 – 8 C 34.20 – BVerwGE 174, 58 = juris Rn. 15; U.v. 6.11.1986 – 3 C 27.85 – BVerwGE 75, 119 = juris Rn. 38 f.). Dies legt der Zulassungsantrag nicht dar. Es liegt auf der Hand, dass sich der Zulauf durch eine gedrosselte Abwasserleitung keinesfalls vergrößert. Ob er sich derart verringert, das eine hydraulische Überlastung des Schachts unwahrscheinlicher wird, hat das Erstgericht offengelassen („wohl“); im Übrigen fehlt es insoweit an der Entscheidungserheblichkeit (vgl. oben Rn. 8 ff.).
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B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der erstinstanzlichen Festsetzung durch das Landgericht, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).