Titel:
Aufhebung des Vergabeverfahrens, Beiladungsbeschluß, Laufendes Nachprüfungsverfahren, Antragsgegner, Entscheidungen der Vergabekammer, Spätere Aufhebung, Aufhebung der Ausschreibung, Aufhebung des Verfahrens, Aufhebungsgründe, Aufhebungsentscheidung, Nachprüfungsantrag, Feststellungsinteresse, Angebotswertung, Leistungsbeschreibung, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Zuschlagserteilung, Rechtswidrigkeit, Verhandlungsverfahren, Antragstellers, Dienstleistungen
Normenketten:
GWB § 168 Abs. 2 S. 1 und S. 2
ApoG § 14 Abs. 5
Leitsätze:
1. Ist in einer Vorschrift des öffentlichen Rechts, hier § 14 Abs. 3 und 4 ApoG Schriftform angeordnet, kann ein wirksamer Zuschlag § 168 Abs. 2 S. 1 GWB erst mit dem formwirksamen Vertragsabschluss und nicht mit der Zuschlagserteilung in Textform vorliegen.
2. Ist – wie nach § 14 Abs. 5 ApoG für die Leistungen von Krankenhausapotheken – eine öffentlich-rechtliche Genehmigung Wirksamkeitsvoraussetzung des geschlossenen Vertrags, so ist das Vergabeverfahren nicht beendet und das Nachprüfungsverfahren statthaft, wenn diese Genehmigung nicht vor der Übermittlung des Nachprüfungsantrags nach §§ 163 Abs. 2 Satz 3, 169 Abs. 1 GWB erteilt ist.
3. Eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr vergleichbar rechtswidriger Handlungen, die ein Feststellungsinteresse des Antragstellers begründet, liegt jedenfalls dann vor, wenn das Risiko besteht, dass der Auftraggeber im streitgegenständlichen Vergabeverfahren oder bei der Neuausschreibung desselben Beschaffungsgegenstands bei gleicher Sachlage voraussichtlich dieselbe rechtswidrige Entscheidung erneut trifft.
4. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Auftraggeber sowohl im vorhergehenden Vergabeverfahren als auch im Interimsverfahren die Angebote des von ihm bevorzugten Bieters nicht ausgeschlossen hat, obwohl dessen Angebote jeweils so erheblich und offensichtlich von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung abwichen, dass dies dem Auftraggeber nicht entgangen sein kann.
5. Fakultative Ausschlussgründe nach § 124 Abs. 1 GWB kann der Auftraggeber nach dem klaren Wortlaut der Norm zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens geltend machen, aber nicht vor Beginn und nach Beendigung eines Vergabeverfahrens, also auch nicht nach einer wirksamen Aufhebung.
Schlagworte:
Ausschlussgrund, Zuschlagserteilung, Aufhebung des Vergabeverfahrens, Feststellungsinteresse, Vergaberechtsverstoß, Wiederholungsgefahr, Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6260
Tenor
1. Das Nachprüfungsverfahren wird eingestellt.
2. Es wird festgestellt, dass sowohl die Angebotswertung im streitgegenständlichen Interimsvergabeverfahren als auch dessen Aufhebung rechtswidrig war und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt hat.
3. Die Antragsgegnerinträgt die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungendes Antragstellers.
4. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen.
5. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch den Antragsteller war notwendig.
Gründe
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom 25.07.2023, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 28.07.2023 unter Nr. 2023/S …, schrieb die Antragsgegnerin einen Dienstleistungsauftrag über den Betrieb einer Versorgungsapotheke für die Standorte der Kreiskliniken D…-W… im Wege eines Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb aus. Die entsprechenden Leistungen wurden bislang vom Antragsteller erbracht.
2
Mit Informationsschreiben gemäß § 134 GWB vom 24.10.2023 setzte die Antragsgegnerin den Antragsteller davon in Kenntnis, dass auf sein Angebot nicht der Zuschlag erteilt werden könne, weil es nicht das wirtschaftlichste sei. Es liege ein niedrigeres Hauptangebot vor. Zudem teilte die Antragsgegnerin mit, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag frühestens am 06.11.2023 auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.
3
Diese Vergabeentscheidung rügte der Antragsteller und stellte, nachdem seinen Rügen nicht abgeholfen wurde, mit Schreiben vom 24.11.2023 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB. Dieser wird bei der Vergabekammer Südbayern unter dem Geschäftszeichen 3194.Z3-3_01-23-59 geführt; das Nachprüfungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
4
Zur interimsweisen Bedarfsdeckung bis zum Abschluss des vorbezeichneten Nachprüfungsverfahrens forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller und die Beigeladene mit Schreiben vom 27.11.2023 auf, im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb gem. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV, 17 VgV ein Angebot abzugeben. Zuschlagskriterium war gemäß dem Aufforderungsschreiben der Preis. Außerdem enthielt das Schreiben folgende Angaben:
- Grundlage der interimsweisen Vergabe sind Leistungsbeschreibung und Vertragswerk des Hauptverfahrens.
- Die Laufzeit des Vertrages ist auf die Dauer von maximal einem Jahr begrenzt, endet jedoch bei Abschluss des Nachprüfungsverfahrens bereits früher (vgl. § 5.1 des Vertrages).
- Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis gem. Preisblatt.
5
Die Auftragsunterlagen standen in einem eigens dafür eingerichteten Projektraum zur Verfügung. Die Internetadresse zum Abruf der Vergabeunterlagen wurde parallel zur Versendung der Angebotsaufforderung übermittelt. Im Rahmen der Beantwortung von Bieterfragen wurde der Leistungsbereich „Digitales Medikationsmanagement“ vom Leistungssoll ausgenommen.
6
Sowohl der Antragsteller als auch die Beigeladene reichten innerhalb der auf den04.12.2023, 14:00 Uhr, verlängerten Angebotsfrist ein Angebot ein.
7
Am 04.12.2023 um 15:59 Uhr bat die Antragsgegnerin die Beigeladene um Aufklärung zu ihrem Angebot. Um eine Zuschlagserteilung zügig zu ermöglichen, werde darum gebeten, die Grundlagen der Kalkulation bzw. eine aussagekräftige Darstellung der Grundlagen der Preisgestaltung zu übersenden.
8
Am 04.12.2023 um 16:39 Uhr übersandte die Beigeladene als Antwort auf das Aufklärungsersuchen der Antragsgegnerin ein Dokument mit dem Titel „Grundlagen der Kalkulation“. Hierin erklärte die Beigeladene zu dem von ihr vorgesehenen Leistungsumfang:
„Ausdrücklich nicht enthalten ist der Leistungsbereich Digitales Medikationsmanagement, Antibiotic Stewardship und Arzneimittelvisiten, Arzneimittelanamnese sowie Entlassmanagement.“
9
Am 04.12.2023 um 23:05 Uhr übermittelte die Antragsgegnerin das Zuschlagsschreiben an die Beigeladene und um 23:07 Uhr ein Informationsschreiben gem. § 62 Abs. 1 VgV an den Antragsteller. In diesem setzte die Antragsgegnerin den Antragsteller davon in Kenntnis, dass der Zuschlag an einen Mitbewerber erteilt worden sei.
10
In der Folgezeit erfolgte der Vertragsschluss zwischen Antragsgegnerin und Beigeladener in der nach § 14 Abs. 3 und 4 ApoG vorgesehenen Schriftform. Die nach § 14 Abs. 5 Satz 1 ApoG zur Rechtswirksamkeit des Vertrages erforderliche apothekenrechtliche Genehmigung wurde von der zuständigen Regierung von Oberbayern Sachgebiet 55.2 allerdings nicht erteilt.
11
Mit Schreiben vom 12.12.2023 beanstandete der Antragsteller die Vergabeentscheidung der Antragsgegnerin als vergaberechtswidrig. Er führte aus, dass das Angebot der Beigeladenen niedrigpreisig sei und deshalb hätte ausgeschlossen, mindestens jedoch aufgeklärt werden müssen. Zudem habe auch die Interimsvergabe an einer zu kurzen Angebotsfrist gelitten und die Verlängerung nach Antworten auf Bieterfragen sei unterlassen worden. Ferner sei von einem wettbewerbsrechtlichen Beteiligungsverbot sowie einer Ausschlussbedürftigkeit der Beigeladenen auf den anderen Wertungsstufen auszugehen.
12
Nachdem seinen Rügen nicht abgeholfen wurde, stellte der Antragsteller mit Schreiben vom 13.12.2023 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
13
Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Insbesondere stehe § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB der Zulässigkeit nicht entgegen, da ein etwaiger Zuschlag (noch) nicht wirksam sei, wie es § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB ausdrücklich verlange, weil es noch an der apothekenrechtlichen Erlaubnis gemäß § 14 Abs. 5 ApoG für die Mitbewerberin im Hinblick auf die Belieferung des Klinikums D…-W… fehle. Die apothekenrechtliche Erlaubnis sei fraglos eine konstitutive Voraussetzung für die Wirksamkeit des Vertragsschlusses. Liege sie noch nicht vor, sei der Zuschlag bzw. Vertragsschluss noch nicht wirksam und somit der Nachprüfungsantrag statthaft.
14
Hinsichtlich der Begründetheit wiederholt und vertieft der Antragsteller seinen Rügevortrag. Weiter trägt er vor, dass das Verfahren unter erheblicher Intransparenz leide. Zudem leide die Angebotswertung unter ähnlich schwerwiegenden Mängeln wie die Angebotswertung im Hauptverfahren. Die Beigeladene sei aufgrund eines wettbewerblichen Mitwirkungsverbots gar nicht für das Vergabeverfahren zuzulassen. Es sei auch davon auszugehen, dass das Angebot der Beigeladenen niedrigpreisig und unauskömmlich im Sinne des § 60 VgV sei. Auch in den anderen drei Wertungsstufen gehe der Antragsteller von Wertungsfehlern aus.
15
Der Antragstellerbeantragt
1. die Einleitung eines Vergabenachprüfungsverfahrens;
2. der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag an einen Mitbewerber des Antragstellers, insbesondere etwa an die Bezirkskliniken S… (KG), G…, zu erteilen;
3. der Antragsgegnerin aufzugeben, die vorgenannte Mitbewerberin von dem Vergabeverfahren zur Interimsvergabe auszuschließen und die Wertung unter Einbeziehung des Angebots des Antragstellers neu vorzunehmen; hilfsweise das Verfahren zur Interimsvergabe in jenen Stand zurückzuversetzen, der nach den Feststellungen der Vergabekammer für die Gewährleistung eines vergaberechtskonformen Vergabeverfahrens unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erforderlich ist;
4. dem Antragsteller Akteneinsicht in die Akten der Interimsvergabe zu gewähren;
5. festzustellen, dass die Zuziehung der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war;
6. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers aufzuerlegen.
16
Mit E-Mail vom 13.12.2023 fragte der Vorsitzende beim zuständigen Sachgebiet 55.2 der Regierung von Oberbayern an, ob die apothekenrechtlichen Erlaubnis gemäß § 14 Abs. 5 ApoG für die Beigeladene im Hinblick auf die Belieferung des Klinikums D…-W… bereits erteilt sei.
17
Mit Beiladungsbeschluss vom 14.12.2023 wurde die Beigeladene zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene stellt keine Anträge und äußert sich auch nicht zur Sache.
18
Mit E-Mail an den Vorsitzenden vom 18.12.2023 teilte das Sachgebiet 55.2 der Regierung von Oberbayern mit, dass der streitgegenständliche Vertrag nach § 14 Abs. 5 ApoG genehmigungspflichtig sei. Der Vertrag sei der Regierung von Oberbayern am 07.12.2023 vorgelegt, aber noch nicht genehmigt worden. Die Vergabekammer leitete diese Mail an die Beteiligten weiter und wies darauf hin, dass sie den Nachprüfungsantrag damit für zulässig erachte.
19
Mit Beschluss vom 19.12.2023 erhielt der Antragsteller Akteneinsicht.
20
Am 20. oder 21.12.2023 beauftragte die Antragsgegnerin die Beigeladene im Wege einer Direktvergabe mit der Erbringung der streitgegenständlichen Leistungen mit einer Laufzeit von drei Monaten ab dem 01.01.2024. Dieser Vertrag wurde am 27.12.2023 vom Sachgebiet 55.2 der Regierung von Oberbayern nach § 14 Abs. 5 ApoG genehmigt.
21
Mit Schreiben vom 22.12.2023 nahm der Antragsteller zur gewährten Akteneinsicht Stellung. Im Rahmen dessen trug er unter Aufrechterhaltung ihres bisherigen Vortrags vor, dass das Angebot der Beigeladenen zwingend nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen sei, da es die ausgeschriebene Leistung nicht vollständig umfasse. Die Beigeladene habe ausdrücklich erklärt, die Leistungen des Antibiotic Stewardship, der Arzneimittelvisiten, der Arzneimittelanamnese sowie des Entlassmanagements nicht zu erbringen. Die vier genannten Punkte seien nach wie vor Bestandteil des Leistungsbilds. Sie seien zentraler Gegenstand des Dienstleistungsportfolios und würden einen beträchtlichen Arbeitsumfang und insbesondere einen beträchtlichen Personaleinsatz auf Leitungs- und operativer Ebene erfordern. Sie seien daher erheblich kalkulationsrelevant. Die Antragsgegnerin könne über diese Leistungen auch nicht mehr in Nachverhandlungen treten, da sie in den Antworten auf die Bieterfragen deutlich gemacht habe, dass sie unmittelbar den Zuschlag erteilen wolle. Die Beigeladene habe sich bewusst für die Herausnahme der Leistungen entschieden und müsse sich daher hieran festhalten lassen.
22
Mit Schreiben vom 27.12.2023 erwiderte die Antragsgegnerin auf den Nachprüfungsantrag und stellte die Anträge:
1. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen
2. Dem Antragsteller werden die Kosten des Verfahrens auferlegt
3. Die Hinzuziehung von Bevollmächtigten für die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.
23
Die Antragsgegnerin führte aus, dass der Nachprüfungsantrag unstatthaft sei. Es liege auch dann bereits ein wirksamer Zuschlag i.S.d. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB vor, wenn die apothekenrechtliche Genehmigung nach § 14 Abs. 5 ApoG noch nicht erteilt sei. Darüber hinaus fehle es bereits an der Antragsbefugnis des Antragstellers.
24
Der Nachprüfungsantrag sei zudem unbegründet. Eine unangemessen kurze Angebotsfrist habe nicht bestanden und der Antragsteller sei auch nicht daran gehindert gewesen, ein Angebot abzugeben. Der Vorwurf der intransparenten Verfahrensführung treffe nicht zu. Die Antragsgegnerin habe alle Fragen zügig beantwortet. Die Angebotswertung sei fehlerfrei erfolgt. Die Antragsgegnerin habe die Angebote sorgfältig geprüft. Sie habe weder den Antragsteller benachteiligt noch die Beigeladene bevorzugt.
25
Am Abend des 27.12.2023 hob die Antragsgegnerin das streitgegenständliche Vergabeverfahren auf, da andere schwerwiegende Gründe gem. § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV vorlägen. Die Fortführung der streitgegenständlichen Interimsvergabe und insbesondere eine rechtzeitige Zuschlagserteilung vor dem 01.01.2024 sei angesichts des bestehenden Zuschlagsverbots und der Rechtsauffassung des SG 55.2 der Regierung von Oberbayern, die apothekenrechtliche Erlaubnis nach § 14 Abs. 5 ApoG während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens nicht zu erteilen, nicht mehr möglich. Eine Aufhebung sei damit nicht nur gerechtfertigt, sondern zur Sicherstellung der Patientenversorgung erforderlich. Insoweit bestehe eine Reduzierung des Ermessens auf Null.
26
Bevor die Vergabekammer von der Aufhebung unterrichtet wurde, erließ sie am 28.12.2023 einen rechtlichen Hinweis an alle Beteiligte. Die Vergabekammer wies darauf hin, dass der Nachprüfungsantrag zulässig und offensichtlich begründet sei. Das Angebot der Beigeladenen sei nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zwingend von der Wertung auszuschließen, da die Beigeladene erklärt habe, dass sie in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Dienstleistungen nicht erbringen werde. Damit habe die Beigeladene die Vergabeunterlagen unzulässigerweise abgeändert und versucht, einen Vertragsinhalt herbeizuführen, den die Antragsgegnerin so nicht vergeben wolle.
27
Am Abend des 28.12.2023 sandte der Antragsteller eine E-Mail adressiert an die Antragsgegnerin, die Vergabekammer, das Landratsamt D… (Landrat, Gesundheitsamt, Persönlicher Referent des Landrats) und das Sachgebiet 53.2 Arbeitsbereich Apotheken, Krankenhausapotheken, der Regierung von Oberbayern. Der Antragsteller trug hierin vor, dass ein Versorgungsausfall drohe und er nach wie vor leistungsbereit sei. Der drohende Versorgungsausfall, den die Antragsgegnerin durch ihre riskanten und völlig unverständlichen, das Neutralitätsgebot fortgesetzt missachtenden Manöver verursacht habe, könne aber durch eine interimsweise Verlängerung des bestehenden Versorgungsvertrags mit dem Antragsteller vermieden werden.
28
Mit Schriftsatz vom 03.01.2024 verteidigte die Antragsgegnerin ihre Aufhebungsentscheidung. Das gesetzliche Zuschlagsverbot habe einen Abschluss des Vergabeverfahrens zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit unmöglich gemacht. Eine Möglichkeit der rechtzeitigen Genehmigung habe nicht bestanden. Dies seien schwerwiegende Gründe im Sinne von § 63 Abs. 1 Nr. 4 GWB.
29
Letztlich wäre das Vergabeverfahren spätestens in Folge der Versendung der E-Mail des Antragstellers vom 28.12.2023 aufgehoben worden, da der Antragsteller hiermit den Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) sowie c) GWB verwirklicht habe. Die E-Mail sei ein unzulässiger Versuch der Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung der Antragsgegnerin. Das Ziel dieser Nachricht sei offensichtlich die Erzeugung von politischem Druck mit der Absicht eine Zuschlagserteilung zugunsten des Antragstellers zu bewirken.
30
Zudem teilte die Antragsgegnerin mit, dass zwischenzeitlich ein genehmigter Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen vorliege, sodass die Versorgungssicherheit seit dem 01.01.2024 gewährleistet sei.
31
Mit Schriftsatz vom 09.01.2024 beantragte der Antragsteller ergänzend zu den Anträgen aus dem Nachprüfungsantrag:
1. festzustellen, dass die Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtswidrig und unwirksam ist und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen;
2. festzustellen, dass das Angebot der Beigeladenen vom Vergabeverfahren gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen ist;
3. festzustellen, dass der Antragsteller vom Vergabeverfahren nicht gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. a) oder lit. b) GWB ausgeschlossen werden darf.
32
Zur Begründung führte der Antragsteller aus, dass die Aufhebungsentscheidung unwirksam und rechtswidrig sei. Es habe eine unzulässige Parallelausschreibung gegeben. Ein solches Vorgehen verletze den Wettbewerbsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 GWB sowie das Diskriminierungsverbot nach § 97 Abs. 2 GWB.
33
Der Ausschluss des Antragstellers nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. a) und lit. b) GWB sei offenkundig nicht gerechtfertigt, da weder die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien noch eine ordnungsgemäße Ermessensausübung stattgefunden habe.
34
Am 16.01.2024 fand in den Räumen der Regierung von Oberbayern die mündliche Warnung statt. Die Sach- und Rechtslage wurde erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme. Die Vergabekammer wies darauf hin, dass die Aufhebung nach ihrer vorläufigen Rechtsauffassung wirksam sei. Auch wenn die Antragsgegnerin das Vergabeverfahren insbesondere deshalb aufgehoben habe, weil sie keine Möglichkeit mehr gesehen habe, den Zuschlag im Interimsverfahren vor dem 01.01.2024 auf das Angebot der Beigeladenen erteilen zu können und die von ihr gewünschte interimsweise Beauftragung der Beigeladenen stattdessen durch eine Direktvergabe erreicht habe, liege aufgrund der Umstände des Einzelfalls keine Scheinaufhebung vor, die rückgängig zu machen wäre.
35
Die Vergabekammer teilte zudem mit, dass über den Ausschluss des Antragstellers nach § 124 Abs. 1 Nr. 9a) GWB wegen der E-Mail vom 28.12.2023 nicht zu entscheiden sei, da der Ausschluss erst nach wirksamer Aufhebung erfolgt sei. Ein Ausschluss sei nach dem Wortlaut des § 124 GWB zu jedem Zeitpunkt eines Vergabeverfahrens möglich, aber nicht nach dessen Beendigung durch eine wirksame Aufhebung.
36
Der Antragsteller führte aus, den Antrag auf Rückgängigmachung der Aufhebung nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die Antragsgegnerin schloss sich insoweit der Erledigungserklärung an. Der Antragsteller beantragte jedoch festzustellen, dass das Interimsvergabeverfahren rechtswidrig war, insbesondere der nicht erfolgte Ausschluss der Beigeladenen. Weiterhin beantragte er festzustellen, dass auch die Verfahrensaufhebung rechtswidrig war.
37
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
38
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
39
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
40
Gegenstand der Vergabe ist ein Liefer- und Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 103 Abs. 2 und 4 GWB. Die Antragsgegnerin ist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 2 GWB. Der geschätzte Gesamtauftragswert der streitgegenständlichen Interimsvergabe überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert.
41
1. Durch die Erklärung des Bevollmächtigten des Antragstellers im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass er seinen Antrag auf Rückgängigmachung der Aufhebung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens nicht mehr aufrechterhält, hat sich das Nachprüfungsverfahren insoweit erledigt.
42
Die Erledigung des Nachprüfungsantrags hat zur Folge, dass das Verfahren einzustellen und nur noch über die Kosten zu entscheiden ist.
43
2. Soweit der Antragsteller die Feststellung beantragt, dass das Interimsvergabeverfahren rechtswidrig durchgeführt wurde, insbesondere aufgrund des nicht erfolgten Ausschlusses des Angebots der Beigeladenen, und dass auch die Verfahrensaufhebung rechtswidrig war, ist der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet.
44
2.1 Der Fortsetzungsfeststellungsantrag ist zulässig, weil der Nachprüfungsantrag vor der Erledigung zulässig war. Der ursprüngliche Nachprüfungsantrag war insbesondere nicht gem. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB wegen eines wirksam erteilten Zuschlags unzulässig.
45
Das Vergabeverfahren wurde weder mit der Zuschlagserteilung vom 04.12.2023 noch mit dem später erfolgten schriftlichen Vertragsschluss beendet. Die Zuschlagserteilung vom 04.12.2023, 23:05 Uhr, genügt bereits nicht der Schriftform nach § 14 Abs. 3 und 4 ApoG und war daher von vorneherein nicht geeignet, einen rechtswirksamen Vertrag zu begründen. Es ist allgemein anerkannt, dass ein Zuschlag ohne weiteres unwirksam ist, wenn ein zivilrechtlicher Unwirksamkeitsgrund, wie ein Formmangel erfüllt ist (Burgi/Dreher/Opitz/Antweiler GWB § 168 Rn. 55 m.w.N).
46
Aber auch der schriftliche Vertragsschluss führte im vorliegenden Fall nicht zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags. § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB soll nach dem Grundsatz „pacta sunt servanda“ nur wirksam geschlossene Verträge von der vergaberechtlichen Nachprüfung ausnehmen; nur ein zivilrechtlich wirksamer Vertrag beendet das Vergabeverfahren (MüKoEuWettbR/Fett GWB § 168 Rn. 35). Ist – wie im vorliegenden Fall nach § 14 Abs. 5 ApoG – eine öffentlich-rechtliche Genehmigung Wirksamkeitsvoraussetzung des geschlossenen Vertrags, so ist das Vergabeverfahren nicht beendet und das Nachprüfungsverfahren statthaft, wenn diese Genehmigung nicht vor der Übermittlung des Nachprüfungsantrags nach §§ 163 Abs. 2 Satz 3, 169 Abs. 1 GWB erteilt ist. Da das zuständige Sachgebiet 55.2 der Regierung von Oberbayern den streitgegenständlichen Interimsvertrag nicht gem. § 14 Abs. 5 ApoG genehmigt hat, liegt kein zivilrechtlich wirksamer Vertrag vor.
47
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt. Der Antragsteller hat sein Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots sowohl im Hauptsache-Vergabeverfahren als auch im nunmehr aufgehobenen Interims-Vergabeverfahren nachgewiesen. Er hat eine Verletzung.in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch die Durchführung des Interimsvergabeverfahren, insbesondere aufgrund des nicht erfolgten Ausschlusses des Angebots der Beigeladenen und durch die Aufhebung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens geltend gemacht.
48
Der Zulässigkeit des ursprünglichen Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB entgegen, da dem Antragsteller die Ausschlussbedürftigkeit des Angebots der Beigeladenen erst im Nachprüfungsverfahren durch die Akteneinsicht bekannt wurde und er diese dann unverzüglich ins Verfahren eingebracht hat. Gleiches gilt für die Aufhebung des Verfahrens; auch seine diesbezüglichen Rügen hat der Antragsteller unverzüglich ins Nachprüfungsverfahren eingebracht.
49
2.2 Der Antragsteller hat auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Ein Feststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB setzt nach allgemeiner Auffassung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ein Feststellungsinteresse voraus (vgl. OLG München, Beschluss vom 19.07.2012 – Verg 8/12; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.06.2013, VII – Verg 55/12). Das Feststellungsinteresse rechtfertigt sich durch jedes nach vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung ihrer Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern.
50
Das Feststellungsinteresse kann sich somit insbesondere aus der nicht auszuschließenden Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs des Bieters gegen den öffentlichen Auftraggeber im Falle des Vorliegens eines Vergaberechtsverstoßes ergeben, es sei denn ein Schadensersatzanspruch ist offensichtlich nicht gegeben und eine auf seine Durchsetzung gerichtete Klage aussichtslos (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2019 – Verg 9/19). Der Antragsteller hat in der E-Mail vom 28.12.2023 zumindest auf die Möglichkeit hingewiesen, dass er Schadensersatzansprüche wegen der Aufhebung des Interims-Vergabeverfahren geltend machen könne. Die nicht grundsätzlich auszuschließende Möglichkeit eines Schadensersatzanspruchs und die Bindungswirkung gemäß § 179 Abs. 1 GWB, die ein festgestellter Vergaberechtsverstoß für ein gesondert vor den Zivilgerichten zu führendes Schadensersatzverfahren entfalten würde, begründet regelmäßig ein Feststellungsinteresse. Im vorliegenden Fall hatte der Antragsteller das einzige wertbare Angebot abgegeben und hatte daher eine echte Chance auf die Erteilung des Zuschlags i.S.d. § 181 GWB (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2007, X ZR 18/07). Ein Schadensersatzanspruch des Antragstellers wäre daher keinesfalls aussichtslos.
51
Ein Schadensersatzanspruch des Antragstellers ist auch nicht deshalb von vorneherein aussichtslos, weil die Antragsgegnerin den Antragsteller wegen des „Brandbriefs“ vom Abend des 28.12.2023 nach § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) GWB ausgeschlossen hat. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob das Vorgehen des Antragstellers den Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 9 a) GWB erfüllt und inwieweit das vergaberechtswidrige Vorverhalten der Antragsgegnerin im Rahmen der Ermessensentscheidung möglicherweise einem Ausschluss entgegenstünde. Fakultative Ausschlussgründe nach § 124 Abs. 1 GWB können nach dem klaren Wortlaut der Norm nur zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens geltend macht, d.h. nicht vor Beginn und nach Beendigung eines Vergabeverfahrens. Vorliegend hatte die Antragsgegnerin den Antragsteller aber erst mit Schreiben vom 03.01.2024 nach der wirksamen Aufhebung des Vergabeverfahrens am Abend des 27.12.2023 ausgeschlossen. Der Ausschluss ging damit ins Leere und entfaltet keine Rechtswirkung.
52
Zudem begründet im vorliegenden Fall auch die hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr vergleichbar rechtswidriger Handlungen durch die Antragsgegnerin ein Feststellungsinteresse des Antragstellers. Eine solche Widerholungsgefahr liegt jedenfalls dann vor, wenn das Risiko besteht, dass der Auftraggeber im streitgegenständlichen Vergabeverfahren oder bei der Neuausschreibung desselben Beschaffungsgegenstands bei gleicher Sachlage voraussichtlich dieselbe rechtswidrige Entscheidung erneut trifft (OLG Düsseldorf Beschluss vom 23.3.2005 – Verg 77/04; VK Bund Beschluss vom 24.5.2004 – VK2-22/04). Die Antragsgegnerin hat sowohl im Hauptsache-Vergabeverfahren, das Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens 3194.Z3-3_01-23-59 ist, als auch im hier streitgegenständlichen Interims-Vergabeverfahren den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen angekündigt, bzw. sogar erteilt, obwohl deren Angebote jeweils so erheblich und offensichtlich von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung abwichen, dass dies der fachanwaltlich vertretenen Antragsgegnerin nicht entgangen sein kann. Da die Antragsgegnerin damit in zwei Vergabeverfahren in zeitlich engem Zusammenhang versucht hat, den Zuschlag auf die offensichtlich ausschlussbedürftigen Angebote der Beigeladenen zu erteilen, besteht die konkrete Gefahr, dass sie nach der Rückversetzung des Hauptsache-Vergabeverfahrens erneut die Beigeladene in ähnlicher Art und Weise rechtswidrig begünstigen wird.
53
3. Der ursprüngliche Nachprüfungsantrag war – wie von der Vergabekammer bereits im rechtlichen Hinweis vom 28.12.2023 dargelegt – offensichtlich begründet.
54
3.1 Das Angebot der Beigeladenen war nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zwingend von der Wertung auszuschließen, da die Beigeladene im Rahmen der Aufklärung ihres Angebotes erklärt hat, dass sie in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Dienstleistungen teilweise nicht erbringen wird. Konkret hat die Beigeladene auf die Aufforderung der Antragsgegnerin, ihre Preisgestaltung zu erläutern am 04.12.2023 um 16:39 Uhr ein Dokument mit der Bezeichnung „Grundlagen der Kalkulation bzw. eine aussagekräftige Darstellung der Grundlagen der Preisgestaltung“ beigefügt. In diesem Dokument erklärt die Beigeladene, dass in ihrem Angebot ausdrücklich nicht die Leistungsbereiche Digitales Medikationsmanagement, Antibiotic Stewardship und Arzneimittelvisiten, Arzneimittelanamnese sowie Entlassmanagement enthalten sind. Damit änderte die Beigeladene unzulässigerweise die Vergabeunterlagen ab und versuchte, einen Vertragsinhalt herbeizuführen, den die Antragsgegnerin so nicht vergeben wollte.
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In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass nachträglich abgegebene Erläuterungen des Bieters darüber, wie er sein Angebot im Zeitpunkt seiner Abgabe verstanden wissen wollte und welchen Inhalt er ihm beimaß, auch in vergaberechtlicher Hinsicht bei der Auslegung des Angebots nicht unberücksichtigt bleiben dürfen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.03.2007 – Verg 53/06; OLG München, Beschluss vom 21.02.2008 – Verg 1/08).
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Der anzubietende Leistungsinhalt ergab sich vorliegend aus dem Dokument Leistungsbeschreibung. Unter der Überschrift Leistungsumfang sind hier u.a. ab S. 9 zahlreiche Dienst- und Beratungsleistungen vorgesehen. Unter g) ist hier u.a. die Teilnahme an Visiten vorgesehen, unter l) die Mitarbeit im Bereich Antibiotic-Stewardship und unter m) die Unterstützung bei der Anamnese und der Entlass-Medikation. Die Beigeladene hat in dem Dokument „Grundlagen der Kalkulation“ erklärt, dass sie diese von der Antragsgegnerin geforderten Leistungen nicht anbieten wird. Da diese Leistungen – anders als die Implementierung eines digitalen Medikationsmanagements – durch die Beantwortung der Bieterfragen auch nicht ausgeschlossen waren, entspricht das Angebot der Beigeladenen nicht dem ausgeschriebenen Leistungsumfang. Es ist damit zwingend nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen.
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Gerade bei einer Vergabe mit dem Preis als alleinigem Zuschlagskriterium (unterteilt in 95% Kosten der Dienstleistung und 5% Kosten für 100 Sonderlieferungen) ist ein transparentes, auf Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Vergabeverfahren nur zu erreichen, wenn in jeder sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Hinsicht vergleichbare Angebote gewertet werden (BGH, Beschluss vom 18.2.2003 – X ZB 43/02). Dies ist vorliegend nicht gewährleistet, da die Angebote einen unterschiedlichen Leistungsumfang beinhalten.
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Aus diesem Grund wäre ein Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen auch dann zu untersagen, wenn die Antragsgegnerin der Beigeladenen im Rahmen von Verhandlungen, zu denen der Vergabekammer keine Dokumentation vorliegt, gestattet hätte, ihre Leistungen insoweit zu beschränken. Lediglich der Beigeladenen eine Reduzierung der geschuldeten Leistung zu gestatten, ohne den Antragsteller darüber zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Anpassung seines Angebots einzuräumen, wäre mit § 17 Abs. 13 und 14 VgV nicht vereinbar und würde grob gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen.
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3.2 Auch die Aufhebung des Angebots war nicht vom Aufhebungsgrund des § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GWB gedeckt und damit rechtswidrig, da die Antragsgegnerin durch ihr Vorverhalten die nach Weihnachten 2023 bestehende zeitliche Zwangslage selbst herbeigeführt hat.
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§ 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV ist ein Auffangtatbestand, an dessen Vorliegen strenge Maßstäbe anzulegen sind. Ein zur Aufhebung der Ausschreibung Anlass gebendes Fehlverhalten der Vergabestelle kann danach schon deshalb nicht ohne weiteres genügen, weil diese es andernfalls in der Hand hätte, nach freier Entscheidung durch Verstöße gegen das Vergaberecht den bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestehenden Bindungen zu entgehen. Das wäre mit Sinn und Zweck des Vergabeverfahrens nicht zu vereinbaren. Berücksichtigungsfähig sind grundsätzlich nur Mängel, die die Durchführung des Verfahrens und die Vergabe des Auftrags selbst ausschließen, wie etwa das Fehlen der Bereitstellung öffentlicher Mittel durch den Haushaltsgesetzgeber. Im Einzelnen bedarf es für die Feststellung eines schwerwiegenden Grundes einer Interessenabwägung, für die die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalls maßgeblich sind (BGH, Beschluss vom 20.03.2014 – X ZB 18/13). Eine rechtmäßige und sanktionslose Aufhebung nach § 63 Abs. 1 Nr. 4 VgV scheidet jedenfalls dann aus, wenn der Auftraggeber diese Umstände selbst verursacht hat (vgl. OLG München, Beschluss vom 28.08.2012 – Verg 11/12).
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Der Antragsteller hat zurecht darauf hingewiesen, dass es für die Frage der Verursachung durch die Antragsgegnerin nicht ausreicht, nur auf die Situation kurz vor und nach Weihnachten 2023 und die entstandene Zwangslage abzustellen, eine Beauftragung bis zum Jahresende vornehmen zu müssen, welche innerhalb der laufenden Verfahren aufgrund der prozessualen Zuschlagsverbote nicht möglich war.
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Die Antragsgegnerin hat sich nämlich selbst durch ihre vergaberechtswidrige Angebotswertung in diese zeitliche Zwangslage gebracht, indem sie den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen erteilte, das zwingend nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV auszuschließen war, weil die Beigeladene in dem nachgereichten Dokument „Grundlagen der Kalkulation“ erklärt hatte, mehrere von der Antragsgegnerin geforderte Dienstleistungen nicht erbringen zu wollen. Das Angebot der Beigeladenen wich damit so ausdrücklich und offensichtlich von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung ab, dass es kaum vorstellbar ist, dass dies der fachanwaltlich vertretenen Antragsgegnerin entgangen sein kann. Bei der Beurteilung der späteren Aufhebung ist damit zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin offenbar sehenden Auges und willkürlich ein auszuschließendes Angebot bezuschlagt hat und damit eine wesentliche Ursache für ihre spätere zeitliche Zwangslage gesetzt hat.
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Die Antragsgegnerin kann sich auch nicht darauf zurückziehen, dass das Angebot des Antragstellers im Interimsverfahren nicht hätte bezuschlagt werden können, da es nicht wirtschaftlich gewesen sei. Die Antragsgegnerin konnte die Wirtschaftlichkeit des Angebots des Antragstellers überhaupt nicht beurteilen, da es weder mit dem Angebot der Beigeladenen vergleichbar war, das erhebliche Dienstleistungen nicht umfasste, noch eine belastbare Kostenschätzung bestand. Die preislichen Erwartungen des Auftraggebers auf der Grundlage des von ihm ausgeschriebenen Leistungsumfangs waren – wie sich sowohl im streitgegenständlichen als auch im Nachprüfungsverfahren mit dem Gz. 3194.Z3-3_01-23-59 zum Hauptsache-Vergabeverfahren gezeigt hat – unrealistisch niedrig. Der Antragsgegnerin hätte zudem die Möglichkeit offen gestanden, im hier streitgegenständlichen Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb wegen besonderer Dringlichkeit nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV – dessen Durchführung keiner der Beteiligten gerügt hatte – mit dem Antragsteller und der Beigeladenen in transparente und gleichbehandelnde Verhandlungen über die Preise und auch den Leistungsumfang einzutreten. Hierdurch hätte sie einen vergaberechtskonformen Weg beschreiten können, die Interimsangebote eher in die Richtung ihrer Preisvorstellungen zu bewegen. Hierfür wäre Anfang Dezember 2023 auch noch ausreichend Zeit gewesen.
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Weiterhin hat die Antragsgegnerin auch deshalb die Gründe für die Aufhebung des streitgegenständlichen Interimsverfahren selbst verursacht, weil sie am 21.12.2023 eine Direktvergabe von Interimsleistungen für einen kürzeren Zeitraum an die Beigeladene durchgeführt hat. Durch diese teilweise Parallelausschreibung, mit der die Antragsgegnerin der Beigeladenen – trotz deren auszuschließender Angebote im Hauptsache- und Interimsvergabeverfahren – zur Interimsbeauftragung außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens verholfen hat, musste die Antragsgegnerin faktisch zur Vermeidung einer Doppelbeauftragung für einen Übergangszeitraum das streitgegenständliche Interimsverfahren aufheben. Sie hat damit aber zweifellos die Umstände, die zur Aufhebung geführt haben, durch ihr eigenes Tun selbst verursacht.
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Nach alldem war die Rechtswidrigkeit der Aufhebung des streitgegenständlichen Interims-Vergabeverfahrens festzustellen.
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4. Nach § 182 Abs. 3 S. 4, 5 GWB trifft die Antragsgegnerin aus Gründen der Billigkeit insoweit die Kostenlast, weil sie das streitgegenständliche Vergabeverfahren sowohl rechtswidrig geführt als auch rechtswidrig aufgehoben hat und diese Rechtswidrigkeit auf Antrag des Antragstellers festzustellen war.
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Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag von 100.000 Euro erhöht werden kann.
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Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von…,00 EUR festgesetzt.
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Eine Reduzierung der Gebühr auf die Hälfte nach § 182 Abs. 3 S. 4 GWB, weil sich der Antrag vor der Entscheidung der Vergabekammer erledigt hat, kommt vorliegend nicht in Betracht, da über den Fortsetzungsfeststellungsantrag des Antragstellers in der Sache zu entscheiden war. Erledigt sich das Verfahren in der Hauptsache, stellt der Antragsteller jedoch einen Feststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 Satz 2 GWB, hat die Vergabekammer eine echte Sachentscheidung zu treffen. Die Gebührenermäßigung gilt in diesem Fall nicht (Burgi/Dreher/Opitz/Krohn Beck'scher Vergaberechtskommentar GWB § 182 Rn. 24).
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Vom Antragstellerwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskrafterstattet.
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Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragstellers beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3 1. HS GWB. Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird als notwendig i.S.v. § 182 Abs. 4 S. 1 und 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, daBieter, die – anders als öffentliche Auftraggeber – nicht für die Einhaltung des Vergaberechts verantwortlich sind und hierfür auch kein qualifiziertes Personal vorhalten müssen, aufgrund der komplexen Rechtsmaterie im Nachprüfungsverfahren regelmäßig anwaltliche Vertretung benötigen. Dies gilt zweifellos auch für den Antragsteller als Apotheker. Hinzu kommt hier noch die komplexe Verfahrenslage mit Hauptsache und Interimsvergabeverfahren und den Fragen der Aufhebung, die die Heranziehung eines Rechtsanwalts zweifellos als erforderlich erscheinen lassen.
72
Auch wenn die Beigeladene in Folge der Aufhebung des Vergabeverfahrens keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen der Beigeladenen entscheiden. Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen folgt aus § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09).
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Die Beigeladenehat sich nicht durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag und die Stellung von Anträgen aktiv am Verfahren beteiligt. Hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren nicht wesentlich gefördert und kein Kostenrisiko auf sich genommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2014, VII-Verg 12/03). Die Aufwendung der Beigeladenen sind daher aus Gründen der Billigkeit nicht erstattungsfähig.