Titel:
Abänderung eines Eilbeschlusses im Normenkontrollverfahren
Normenkette:
VwGO § 47 Abs. 6, § 80 Abs. 7 S. 2
Leitsatz:
Bei einem genehmigungsfrei gestellten Vorhaben hat die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans nicht zur Folge, dass damit die Bauarbeiten gestoppt werden. Es bedarf zusätzlich eines bauaufsichtlichen Einschreitens, bei dem das Vertrauen des Bauherrn auf die Gültigkeit der Rechtsnorm und die Schwere nachbarrechtlicher Rechtsverletzungen zu würdigen sind. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Abänderung eines Beschlusses im Normenkontrolleilverfahren, Außervollzugsetzung eines Bebauungsplans, Niederschlagswasserbeseitigung, Bauarbeiten, genehmigungsfrei gestelltes Vorhaben
Fundstelle:
BeckRS 2024, 623
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt unter Abänderung der Beschlüsse des Senats vom 27. September 2021, vom 14. März 2022 sowie vom 23. Juni 2023 die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans „H. II“ bis zur Entscheidung über den Normenkontrollantrag.
2
Der Senat hat mit Beschluss vom 27. September 2021 den Antrag auf Außervollzugsetzung des Bebauungsplans abgelehnt (Az. 1 NE 21.1820). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung sei nicht geboten, da die dargelegten Gründe keinen schweren Nachteil für die Antragstellerin aus dem weiteren Vollzug des Bebauungsplans aufzeigten. Die Versickerung des Niederschlagswassers werde gegenüber einem unbebauten Zustand nicht verschlechtert, da der weit überwiegende Teil des auf die Fläche auftretenden Regenwassers nicht mehr direkt versickern, sondern gesammelt und abgeleitet werden solle. Den Antrag vom 25. Oktober 2021 auf Abänderung der Entscheidung nach § 47 Abs. 6 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO (analog) hat der Senat mit Beschluss vom 14. März 2022 als unzulässig abgelehnt (1 NE 21.2651).
3
Die Antragsgegnerin hat im Rahmen eines ergänzenden Verfahrens am 22. Februar 2022 den Bebauungsplan erneut beschlossen und ihn am 25. März 2022 erneut bekannt gemacht. Gegenstand des ergänzenden Verfahrens war eine erneute Abwägung im Hinblick auf das Konzept zur Niederschlagswasserbeseitigung. Mit Beschluss vom 23. Juni 2023 hat der Senat einen erneuten Antrag auf Abänderung der Entscheidung abgelehnt (1 N 23.735). Die Antragstellerin habe keine schweren Nachteile aufgezeigt, die die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans rechtfertigen würde.
4
Am 16. August 2023 stellte die Antragstellerin einen erneuten Antrag auf Abänderung der Beschlüsse des Senats vom 27. September 2021, vom 14. März 2022 und vom 23. Juni 2023. Es lägen im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli 2023 (4 CN 3.22) zur Nichtvereinbarkeit des § 13b BauGB mit Unionsrecht veränderte Umstände vor. Der Bebauungsplan habe daher nicht im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden können. Ein Anordnungsgrund bestehe jedenfalls im Hinblick auf die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit des EU-Rechts. Die Dringlichkeit ergebe sich aus dem Baufortschritt im Planungsgebiet. Die Erteilung weiterer Baugenehmigungen, das Durchlaufen weiterer Genehmigungsfreistellungsverfahren oder der Beginn mit Bauvorhaben, die bereits eine Genehmigungsfreistellung durchlaufen hätten, sei daher zu befürchten.
5
Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen. Derzeit lägen keine Eingaben zu Genehmigungsfreistellungen vor. Sofern entsprechende Bauvorlagen eingingen, werde die Antragsgegnerin die Durchführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens verlangen.
6
Der Antrag hat keinen Erfolg.
7
Es fehlt jedenfalls an der erforderlichen Dringlichkeit der Außervollzugsetzung des Bebauungsplans. Aktuell sind keine Genehmigungsfreistellungsanträge bzw. Bauanträge für das Planungsgebiet anhängig. Die Antragsgegnerin hat erklärt, dass sie für den Fall des Eingangs von Eingaben im Genehmigungsfreistellungsverfahren die Durchführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens verlangen wird. Im Hinblick auf das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr vom 4. August 2023 (Az. StMB-25-4600-1-8-12), auf das der Berichterstatter die Beteiligten mit Schreiben vom 4. Dezember 2023 hingewiesen hat, steht die Erteilung von Baugenehmigungen nicht zu erwarten. Dass der Baubeginn von genehmigungsfrei gestellten bzw. genehmigten Vorhaben bevorsteht, ist nicht dargetan. Im Übrigen kann ein Bauvorhaben, für das bereits eine Baugenehmigung erteilt wurde, mit einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht mehr verhindert werden. Auch bei einem genehmigungsfrei gestellten Vorhaben hat die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans nicht zur Folge, dass damit die Bauarbeiten gestoppt werden. Es bedarf zusätzlich eines bauaufsichtlichen Einschreitens, bei dem das Vertrauen des Bauherrn auf die Gültigkeit der Rechtsnorm und die Schwere nachbarrechtliche Rechtsverletzungen zu würdigen sind (vgl. BayVGH, B.v. 25.5.2021 – 1 NE 20.2687 – juris Rn. 14). Die Antragstellerin kann daher mit dem vorliegenden Antrag ihre Rechtsstellung nicht verbessern.
8
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 8 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
9
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).