Inhalt

VGH München, Beschluss v. 21.03.2024 – 7 CE 24.218
Titel:

Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft während laufendem Ermittlungsverfahren, Verdachtsberichterstattung.

Normenkette:
BayPrG Art. 4
Schlagworte:
Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft während laufendem Ermittlungsverfahren, Verdachtsberichterstattung.
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 22.01.2024 – W 9 E 23.1805
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6235

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

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Die Beschwerde, mit der der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft W. (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) begehrt, bleibt ohne Erfolg.
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1. Bei der Staatsanwaltschaft ist gegen den Antragsteller, einem Mitglied des Bayerischen Landtags, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Tatverdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und wegen Volksverhetzung anhängig. Im Rahmen einer am 14. September 2023 durchgeführten Durchsuchung des Verbindungshauses der Studentenverbindung, deren Mitglied der Antragsteller ist, stellten die Ermittlungsbehörden u.a. ein Gästebuch sicher. In dem vom Antragsteller dort bewohnten Zimmer wurde der Ausdruck eines mit einer sogenannten Doppelsigrune versehenen „SS-Befehls des Reichsführers SS H H vom 28. Oktober 1939“ aufgefunden. In weiteren Räumen des Verbindungshauses stellten die Ermittlungsbehörden verschiedene NS-Devotionalien und antisemitische Schriften sicher. Gegen den Antragsteller wurde am 26. Oktober 2023 (Haftgrund: Verdunkelungsgefahr) und erneut am 30. Oktober 2023 (Haftgründe: Flucht- und Verdunkelungsgefahr) ein Untersuchungshaftbefehl erlassen. Nach vorläufiger Festnahme des Antragstellers am 30. Oktober 2023 setzte das Amtsgericht den Haftbefehl am selben Tag gegen Auflagen außer Vollzug.
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Am 31. Oktober 2023 veröffentlichte die Staatsanwaltschaft auf ihrer Homepage die Pressemitteilung Nr. 47. In dieser wird u.a. ausgeführt, Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei ermittelten seit mehreren Wochen gegen den Antragsteller und weitere Personen wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Bei einer am 14. September 2023 durchgeführten Durchsuchung des Verbindungshauses der W. Studentenverbindung, der der Antragsteller angehöre, sei „unter anderem ein im Verbindungshaus ausliegendes Gästebuch beschlagnahmt [worden], in dem ein Eintrag mit dem Ausspruch ‚Sieg Heil‘ mit dem Namenszug des Beschuldigten H. unterzeichnet“ worden sei. Am 5. Januar 2024 wurde diese Pressemitteilung mit folgendem Zusatz ergänzt (Kursivdruck und Hervorhebung im Original): „Es wird klarstellend auf Folgendes hingewiesen: Der Namenszug des Beschuldigten H. befand sich nicht unter dem Ausspruch „Sieg Heil“, sondern oberhalb dieses Ausspruchs.“
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2. Im Wege einstweiligen Rechtsschutzes begehrte der Antragsteller am 30. Dezember 2024 vor dem Verwaltungsgericht, den Antragsgegner zu verpflichten, die Pressemitteilung vom 31. Oktober 2023 insgesamt zu löschen, hilfsweise die „unwahren Tatsachenbehauptungen, der Beschuldigte habe ein Gästebuch mit ‚Sieg Heil‘ unterzeichnet und auf dem Haus seien antisemitische Schriften gefunden worden, richtigzustellen.“
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Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 22. Januar 2024 im Haupt- und im Hilfsantrag abgelehnt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Antragsteller habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch auf Löschung der streitgegenständlichen Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft zustehe. Die Anspruchsvoraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs seien nicht erfüllt. Die Staatsanwaltschaft sei gemäß Art. 4 BayPrG berechtigt gewesen, die Presse von dem gegen den Antragsteller und weitere Personen gerichteten Ermittlungsverfahren, von der am 14. September 2023 im Verbindungshaus einer W. Studentenverbindung durchgeführten Durchsuchung, vom gegen den Antragsteller ergangenen Untersuchungshaftbefehl sowie dessen Außervollzugsetzung gegen Auflagen in Kenntnis zu setzen. Das öffentliche Informationsinteresse überwiege – namentlich wegen der Art des Tatverdachts – das Geheimhaltungsinteresse des Antragstellers. Auch inhaltlich sei die streitgegenständliche Pressemitteilung nicht zu beanstanden. Insbesondere habe die Staatsanwaltschaft die Grundsätze ordnungsgemäßer Verdachtsberichterstattung beachtet. Ein Eingriff in das Recht des Antragstellers auf ein faires Verfahren liege nicht vor. Soweit sich der Hilfsantrag des Antragstellers auf die Richtigstellung der Passage beziehe, es sei im Verbindungshaus ein Gästebuch beschlagnahmt worden, in dem ein Eintrag mit dem Ausspruch „Sieg Heil“ mit dem Namenszug des Antragstellers unterzeichnet worden sei, sei zwischenzeitlich eine entsprechende Klarstellung erfolgt. Der Antrag sei daher mangels Rechtsschutzbedürfnis insoweit unzulässig. Im Übrigen sei der Hilfsantrag unbegründet.
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3. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach Maßgabe von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung des angegriffenen Beschlusses.
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a) Die Beschwerde des Antragstellers wird schon den gesetzlichen Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht gerecht. Danach muss eine Beschwerde einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Verlangt werden neben der Antragstellung substantiierte Erläuterungen dazu, aus welchen Gründen der angegriffene Beschluss fehlerhaft und daher abzuändern oder aufzuheben ist (vgl. Kuhlmann in Wysk, 3. Aufl. 2020, VwGO § 146 Rn. 24).
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Beschwerdeschrift und Beschwerdebegründung des Antragstellers enthalten weder einen ausdrücklichen Antrag, noch lässt sich der Beschwerdebegründung mit hinreichender Bestimmtheit entnehmen, in welchem Umfang und mit welchem Ziel die Entscheidung des Verwaltungsgerichts angefochten werden soll. Darüber hinaus wiederholt der Antragsteller im Wesentlichen lediglich erstinstanzlich vorgebrachte Argumente, ohne inhaltlich Bezug auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts im angegriffenen Beschluss zu nehmen. Dass er dem vom Verwaltungsgericht argumentativ erzielten und sorgfältig begründeten Ergebnis ohne jegliche Auseinandersetzung entgegentritt, genügt den gesetzlichen Voraussetzungen an die Darlegung von Beschwerdegründen i.S.v. § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht.
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b) Unabhängig davon geben die Ausführungen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren auch keinen Anlass, die Feststellungen des Verwaltungsgerichts inhaltlich in Zweifel zu ziehen. Auch ansonsten sind keine Umstände ersichtlich, die eine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses rechtfertigen würden.
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aa) Der Antragsteller trägt zunächst vor, durch die Pressemitteilung werde sein Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt. Es entspreche bereits nicht der gewöhnlichen Praxis, zu einem frühen Verfahrenszeitpunkt, geschweige vor einer Anklage, Beweismittel bekanntzugeben und diese als zweifelsfreie Tatsachen darzustellen. Dass das Gästebuch den Namenszug des Antragstellers enthalte, weise weder darauf hin, dass er den Ausspruch „Sieg Heil“ verfasst habe noch diesen billige. Der Hinweis der Staatsanwaltschaft, der Antragsteller habe diesen Ausspruch unterzeichnet, habe dazu geführt, dass jeder unvoreingenommene Adressat davon ausgehe, der Antragsteller habe diesen Eintrag verfasst, obwohl diese Tatsache bisher in keiner Weise belegt worden sei und sich nicht aus den vorliegenden Beweismitteln ergebe. Auch die Veröffentlichung von weiteren Beweismitteln erzeuge den Eindruck eines „nicht zu entkommenden Geflechts“ von Beweismitteln, welche zweifelsfrei den Tatnachweis erbringen können. In der Presse sei unreflektiert wiedergegeben worden, der Antragsteller habe den Ausspruch „Sieg Heil“ im Gästebuch des Verbindungshauses unterzeichnet, obwohl sich sein Namenszug oberhalb dessen befinde. Dadurch werde für die Öffentlichkeit ein Bild gezeichnet, in welchem die Schuld des Antragstellers bereits feststehe, sodass sein Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt sei. Die Pressemitteilung vermittle den Eindruck, es bestehe nicht nur ein Tatverdacht, sondern es liege ein zweifelsfreier Tatnachweis vor.
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Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Staatsanwaltschaft gemäß Art. 4 BayPrG i.V.m. Nr. 23 RiStBV berechtigt war, die streitgegenständliche Pressemitteilung am 31. Oktober 2023 zu veröffentlichen. Der sorgfältigen und überzeugenden Begründung des angegriffenen Beschlusses, auf die der Senat gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug nimmt, ist zu entnehmen, dass das Verwaltungsgericht die Pressemitteilung zutreffend an den Anforderungen gemessen hat, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für eine zulässige Verdachtsberichterstattung entwickelt worden sind (vgl. BVerfG, B.v. 7.7.2020 – 1 BvR 146/17 – juris Rn. 16; BGH, U.v. 7.12.1999 – VI ZR 51/99 – juris Rn. 20 m.w.N.) und die auch für Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft über ein noch laufendes Ermittlungsverfahren gelten (vgl. OVG NW, B.v. 4.2.2021 – 4 B 1380/20 – juris Rn. 54; OLG Hamm, U.v. 14.11.2014 – I-11U 129/13 u.a. – juris Rn. 38; Claßen, NJW 2023, 3392/3395; Gounalakis, NJW 2012, 1474/1478). Die Pressemitteilung enthält insbesondere keine Vorverurteilung des Antragstellers und genügt dem für Presseerklärungen der Staatsanwaltschaft geltenden Erfordernis besonderer Zurückhaltung (vgl. Nr. 4a RiStBV; OLG Hamm, U.v. 14.11.2014 – I-11U 129/13 u.a. – juris Rn. 49). Anders als der Antragsteller meint, trägt sie zudem der Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK hinreichend Rechnung. Die Pressemitteilung führt ausdrücklich aus, während eines laufenden Ermittlungsverfahrens habe sich der „Verdacht“ gegen den „Beschuldigten …erhärtet“. Es bestehe „weiterhin gegen den Beschuldigten ein dringender Tatverdacht“, „die Ermittlungen durch Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei“ dauerten an. Sie schließt mit dem Satz: „Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.“ Diese Wortwahl lässt zweifelsfrei erkennen, dass sich die Pressemitteilung auf ein laufendes Ermittlungsverfahren und nicht auf ein (abgeschlossenes) Strafverfahren bezieht. Die Verdachtslage wird neutral dargestellt. Es wird weder ausdrücklich noch konkludent der Eindruck vermittelt, der Verdacht sei bereits erwiesen. Die vom Antragsteller ohne textliche Anknüpfung an die Pressemitteilung behauptete Vorverurteilung durch die Staatsanwaltschaft liegt nicht vor. Aus dem Umstand, dass die Staatsanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung über die bei der Durchsuchung am 14. September 2023 beschlagnahmten Gegenstände berichtet, lässt sich entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht schließen, diese wären als Beweismittel geeignet und erzeugten den Eindruck, zweifelsfrei den Tatnachweis erbringen zu können. Die Darstellung der Staatsanwaltschaft ist auch insoweit objektiv und frei von Bewertungen.
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bb) In Bezug auf das Beschwerdevorbringen, es liege „gerade keine öffentliche Verwendung“ von Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen vor, „da sämtliche Tatvorwürfe sich im Verbindungshaus der Studentenverbindung und gleichzeitigem Wohnort des Antragstellers konzentrieren“, weist der Senat darauf hin, dass die strafrechtliche Beurteilung der Vorkommnisse im Verbindungshaus des Antragstellers, insbesondere die Frage, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) tatsächlich erfüllt sind und das Merkmal der „Öffentlichkeit“ gegeben ist, den zuständigen Strafverfolgungsbehörden bzw. den Strafgerichten vorbehalten bleibt. Da der Antragsteller die inhaltliche Richtigkeit der Pressemitteilung bis auf die Platzierung seines Namenszugs im Gästebuch der Studentenverbindung nicht in Frage gestellt hat, ist die strafrechtliche Einordnung der in der Pressemitteilung beschriebenen Vorkommnisse im hier zu entscheidenden presserechtlichen Eilverfahren ohne Belang. Hierauf hat bereits das Verwaltungsgericht in zutreffender Weise hingewiesen.
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cc) Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Rechtsschutzinteresse bezüglich seines (Teil) Hilfsantrags durch den klarstellenden Hinweis der Staatsanwaltschaft vom 5. Januar 2024 entfallen ist. Der Antragsteller hat erstinstanzlich ausdrücklich hilfsweise beantragt, „die unwahren Tatsachenbehauptungen, der Beschuldigte habe ein Gästebuch mit ‚Sieg Heil‘ unterzeichnet … richtigzustellen“. Durch den unmissverständlich formulierten und unmittelbar unterhalb der streitgegenständlichen Pressemitteilung grafisch abgesetzten und teilweise in Fettdruck gehaltenen klarstellenden Hinweis, die Unterschrift des Antragstellers befinde sich nicht unter-, sondern oberhalb des Ausspruchs, ist die Staatsanwaltschaft dem hilfsweisen Begehren des Antragstellers nachgekommen. Der Antragsteller wurde diesbezüglich klaglos gestellt. Damit ist sein Rechtsschutzbedürfnis für das vorliegende presserechtliche Verfahren jedenfalls insoweit entfallen (vgl. Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, vor § 40 Rn. 11).
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Zudem hat der Antragsteller bislang ausschließlich die Löschung bzw. Klarstellung der streitgegenständlichen Pressemitteilung beantragt. Er hat weder beim Antragsgegner um Erlass einer neuen Pressemitteilung nachgesucht noch hat er im Beschwerdeverfahren glaubhaft gemacht, weshalb er – trotz der ergänzenden Klarstellung – eine neue Pressemitteilung beanspruchen könnte. Soweit er darauf verweist, sämtliche Presseportale und Medien hätten über den Fall berichtet und dabei geschrieben, er habe den Eintrag unterschrieben oder sogar selbst verfasst, hat er weder aufgezeigt noch glaubhaft gemacht, dass es auch nach Hinzufügung der berichtigenden Klarstellung zu derartigen Presseveröffentlichungen gekommen ist. Das Argument, sämtliche Presseportale beriefen sich auf die privilegierte Quelle, nämlich die Staatsanwaltschaft, dürfte aufgrund der Klarstellung obsolet sein.
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Der Ablehnung des Hilfsantrags im Übrigen tritt der Antragsteller mit der Beschwerde nicht entgegen.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Eyermann, VwGO, Anhang).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).