Titel:
Erfolglose Berufungszulassung: Abgrenzung zwischen baurechtlichem Innen- und Außenbereich zur Festsetzung von Erschließungsbeiträgen
Normenketten:
BayKAG Art. 5a
BauGB § 30 Abs. 3, § 34, § 35
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Mängel der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung (hier: im Zusammenhang mit einem Augenscheinstermin) werden nicht dadurch aufgezeigt, dass man dem Eindruck, den das VG beim Augenscheintermin gewonnen hat, lediglich den eigenen Eindruck entgegensetzt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans gelegene unbebaute Fläche ist nur dann als "Baulücke" Teil des Bebauungszusammenhangs – und damit dem Innenbereich zuzurechnen – (hier: im Zusammenhang mit der Erhebung von Erschließungsbeiträgen), wenn sie von der angrenzend zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der bereits vorhandenen Bebauung erscheint. Soweit eine Prägung durch die benachbarte Bebauung fehlt, handelt es sich – unbeschadet der Belegenheit im Gebiet eines einfachen Bebauungsplans – um bauplanungsrechtlichen Außenbereich. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erschließungsbeitrag, Abgrenzung Innenbereich/Außenbereich, Ernstliche Zweifel nach Einnahme des Augenscheins, Sachverhalts- und Beweiswürdigung, Einfacher Bebauungsplan, ernstliche Zweifel nach Einnahme des Augenscheins, einfacher Bebauungsplan, Innenbereich, Außenbereich, Abgrenzung, Bebauungsplan, Augenschein, Augenscheintermin, Sachverhaltswürdigung, Beweiswürdigung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 19.04.2023 – M 28 K 21.1502
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6224
Tatbestand
I. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 19. April 2023 – M 28 K 21.1502 – wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 31.188,31 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts (in seinem stattgebenden Teil) zuzulassen, hat keinen Erfolg. Die gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil erhobenen Zulassungsrügen nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO greifen nicht durch.
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1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet keinem ernstlichen Zweifel an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würden (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642 m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 f.; BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 6 ZB 17.2521 – juris Rn. 4). Das ist nicht der Fall.
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Die beklagte Gemeinde zog die Klägerin als Eigentümerin des zum Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflichten insgesamt 5.831 m² großen Grundstücks FlNr. 64 (alt) mit Bescheid vom 1. März 2021 auf der Grundlage von Art. 5a KAG in Verbindung mit §§ 127 ff. BauGB und ihrer Erschließungsbeitragssatzung (EBS) vom 1. März 2019 zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der R. Straße in Höhe von 67.978.08 € heran. Eine westliche Teilfläche dieses Grundstücks liegt im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans „Al...“ der Beklagten. Hierauf befinden sich ein Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude. Der größere östliche Teil des klägerischen Grundstücks FlNr. 64 (alt), an dessen nördlicher Grenze die abgerechnete Erschließungsanlage endet, befindet sich außerhalb des Bebauungsplans „Al...“ und wird auch vom Bebauungsplan „Südlich des Stillerwegs“, der die streitgegenständliche Erschließungsanlage festsetzt, nicht mitumfasst. Er ist unbebaut und dient als Pferdeweide. Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht den Beitragsbescheid vom 1. März 2021 insoweit aufgehoben, als darin ein höherer Erschließungsbeitrag als 36.789,77 € festgesetzt worden war. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Augenschein durch den Vorsitzenden liege eine östliche Teilfläche des klägerischen Grundstücks mit einer Größe von 3.410 m² im bauplanungsrechtlichen Außenbereich i.S.v. § 35 BauGB und unterliege damit nicht der Beitragspflicht. Nur eine im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Al...“ liegende Teilfläche von 2.421 m² könne dem Innenbereich i.S.v. § 34 BauBG zugeordnet werden. Da diese durch die streitgegenständliche Erschließungsanlage „R. Straße“ erschlossen werde, sei die Heranziehung der Klägerin zu einem Erschließungsbeitrag insoweit rechtmäßig.
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Die Einwände, die der Zulassungsantrag den erstinstanzlichen Erwägungen entgegenhält, begründen weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, denen in einem Berufungsverfahren weiter nachzugehen wäre.
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a) Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Zuordnung des östlichen Teils des klägerischen Grundstücks FlNr. 64 (alt) zum Außenbereich ist nicht zu beanstanden.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zusammenfassend B.v. 2.3.2000 – 4 B 15/00 – juris Rn. 4) hängt die Beantwortung der Frage, ob ein unbebautes Grundstück, das sich einem Bebauungszusammenhang anschließt, diesen Zusammenhang fortsetzt oder ihn unterbricht, davon ab, inwieweit nach der maßgeblichen Betrachtungsweise der „Verkehrsauffassung“ die aufeinanderfolgende Bebauung trotz der vorhandenen Baulücke den Eindruck der Geschlossenheit oder der Zusammengehörigkeit vermittelt; diese Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich lässt sich nicht nach allgemein gültigen, etwa geografisch-mathematischen Maßstäben treffen, sondern nur aufgrund einer umfassenden Würdigung der gesamten örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der optisch wahrnehmbaren topographischen Situation und der Umgebungsbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 20.10 2022 – 6 CS 22.1804 – juris Rn. 22 m.w.N.).
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An diese Vorgaben hat sich das Verwaltungsgericht gehalten. Es ist unter dem Eindruck des Augenscheins zu der Überzeugung gelangt, dass nur der westliche Teil des klägerischen Grundstücks durch eine prägende Bebauung umgeben ist und an dem hierdurch erkennbaren Bebauungszusammenhang teilnimmt. Für den östlichen Bereich der FlNr. 64 (alt) gelte dies jedoch nicht. Nach dem Eindruck des Gerichts von den konkreten baulichen und topographischen Verhältnissen gehört dieser zusammen mit einem – im Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans liegenden, aber unbebauten – Teil von FlNr. 64 (alt) östlich des Wohngebäudes B. straße 1 und nördlich des Wohngebäudes B. straße 3 sowie mit der südlichen Hälfte des (heutigen) Grundstücks FlNr. 65/1 dem Außenbereich im Sinn von § 35 BauGB an. Dies ergebe sich insbesondere aus der Größe dieser unbebauten Fläche (ca. 5.100 m²), auf der sich gemessen an der maßstabsbildenden Bebauung in der Umgebung mindestens fünf Bauvorhaben vergleichbarer Größe verwirklichen ließen. Dem östlich an das klägerische Grundstück angrenzenden Weg „U.“ käme wegen seiner geringen Breite und seines einfachen Ausbauzustands keine „trennende Wirkung“ im Hinblick auf die sich auf seiner Ostseite erstreckenden landwirtschaftlich genutzten Freiflächen zu.
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Dem hält der Zulassungsantrag entgegen, der Umstand, dass die östliche Teilfläche des klägerischen Grundstücks nur eine Größe von 3.410 m² aufweise, spreche für eine Innenbereichslage. Auf dieser Fläche könnten allenfalls vier Bauvorhaben realisiert werden. Eine Innenbereichsqualität der gegenständlichen östlichen Grundstücksfläche ergebe sich auch daraus, dass die Entfernung zwischen den nördlich, südlich und westlich befindlichen Wohngebäuden (R. straße 7, B. straße 1 und 3) lediglich ca. 47 bzw. 58 m betrage. Hinzu komme, dass das klägerische Grundstück im Osten an der Straße „U.“ ende. Dieser Straße komm entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts trotz ihrer geringen Breite durchaus eine trennende Wirkung zu den weiter östlich gelegenen Außenbereichsflächen zu.
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Damit wendet die Beklagte sich gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Sachverhalts- und Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ernstliche Zweifel an einer solchen Beurteilung können aber nur dann angenommen werden, wenn das Verwaltungsgericht von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen oder – aus den Akten erkennbaren – unzutreffenden Sachverhaltsfeststellungen ausgegangen wäre. (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2017 – 22 ZB 15.2639 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 8.12.1998 – 2 ZB 98.3166 – juris Rn. 3). Derartige Mängel der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung hat die Beklagte nicht aufzuzeigen vermocht. Sie setzt vielmehr dem aus den Erkenntnissen des Augenscheintermins gewonnenen Eindruck des Verwaltungsgerichts lediglich ihren eigenen Eindruck entgegen, wobei sie zudem außer Acht lässt, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Bewertung der in Augenschein genommenen konkreten örtlichen Gegebenheiten den östlichen Teil des streitgegenständlichen Grundstücks mit einer Größe von 3.410 m² nicht isoliert betrachtet hat. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass zusammen mit diesem Grundstücksteil ein weiterer – unbebauter – Teil des klägerischen Grundstücks (östlich des Wohngebäudes B. straße 1 und nördlich des Wohngebäudes B. straße 3) sowie die südliche Hälfte des (heutigen) Grundstücks FlNr. 65/1 mit einer Gesamtfläche von ca. 5.100 m² dem Außenbereich im Sinn von § 35 BauGB zuzurechnen sei. Dass die Beklagte, ebenso wie die Bauabteilung des zuständigen Landratsamtes, eine Innenbereichslage des gesamten klägerischen Grundstücks annimmt, begründet jedoch keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 13; B.v. 18.2.2014 – 14 ZB 11.452 – juris Rn. 8 m.w.N.; SächsOVG, B.v. 30.6.2009 – 1 A 483/08 – juris Rn. 6 m.w.N.).
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b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, die dem Innenbereich zugehörige und damit beitragspflichtige Teilfläche des klägerischen Grundstücks habe eine Größe von 2.421 m², zeigt die Zulassungsschrift ebenfalls nicht auf. Die hierzu vorgebrachte Rüge der Beklagten, die innerhalb des Geltungsbereichs des einfachen Bebauungsplans „Al...“ liegende Teilfläche des Grundstücks sei nicht 2.421 m², sondern 2.489,70 m² groß und hätte daher mit dieser Größe in die Kostenverteilung miteinbezogen werden müssen, greift nicht durch. Die dem zugrunde liegende Auffassung, die im Bereich dieses Bebauungsplans gelegene Grundstücksfläche sei gleichsam automatisch als Innenbereich zu qualifizieren, geht fehl.
12
Bei dem Bebauungsplan „Al...“ handelt es sich unstreitig nicht um einen qualifizierten Bebauungsplan im Sinn von § 30 Abs. 1 BauGB, sondern lediglich um einen „einfachen“ Bebauungsplan im Sinn von § 30 Abs. 3 BauGB. Wie sich aus dieser Vorschrift ergibt, ist es nicht möglich, Flächen des Außenbereichs durch Überplanung mit einem einfachen Bebauungsplan einem nach § 34 BauGB zu beurteilenden Ortsteil zuzuordnen (vgl. Söfker in Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Stand August 2023, § 30 Rn. 36a); der einfache Bebauungsplan ändert in seinem Anwendungsbereich die gebietliche Einordnung einer Fläche als Außenbereich im Sinn von § 35 BauGB nicht. Daher steht er einer Zuordnung bestimmter Teilflächen zum Außenbereich nicht entgegen. Eine im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans gelegene unbebaute Fläche ist daher nur dann als „Baulücke“ Teil des Bebauungszusammenhangs – und damit dem Innenbereich zuzurechnen – wenn sie von der angrenzend zusammenhängenden Bebauung so stark geprägt wird, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der bereits vorhandenen Bebauung erscheint. Soweit eine Prägung durch die benachbarte Bebauung fehlt, handelt es sich – unbeschadet der Belegenheit im Gebiet eines einfachen Bebauungsplans – um bauplanungsrechtlichen Außenbereich.
13
Das Verwaltungsgericht hat dem entsprechend für die Abgrenzung des dem Innenbereich zugehörigen Bereichs vom Außenbereich ausdrücklich auch solche Flächen einbezogen, die zwar im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegen, aber (noch) nicht bebaut sind (UA S. 7). Dabei hat es auch einen geringen Teil des vom Bebauungsplan „Al...“ umfassten westlichen Bereichs des klägerischen Grundstücks (nach der Berechnung der Beklagten: 68,7 m²) ebenfalls noch dem Außenbereich zugeordnet. Dies entspricht der Regelung zur Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands in § 6 Abs. 3 Nr. 1 EBS der Beklagten. Dass diese Würdigung durch das Verwaltungsgericht materiell fehlerhaft wäre, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Beklagten nicht substantiiert dargetan.
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2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Insbesondere ist der Ausgang des Rechtsstreits nicht ergebnisoffen. Das Verwaltungsgericht hat aufgrund des Augenscheins und unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den östlichen Teil des klägerischen Grundstücks mit einer Fläche von 3.410 m² dem Außenbereich zugeordnet und dies nachvollziehbar begründet. Die Abgrenzung zwischen Außenbereichs- und Innenbereichslage gehört in der Regel zu den üblichen Tätigkeiten der mit Erschließungsbeitragssachen befassten Spruchkörper. Besondere Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sind nur anzunehmen bei erheblich über dem Durchschnitt liegender Komplexität der Rechtssache (vgl. BayVGH, B.v. 8.12.1998 – 2 ZB 98.3166 – juris Rn. 6). Dafür sind hinreichende Anhaltspunkte hier nicht ersichtlich. Der anzuwendende rechtliche Maßstab ist hinreichend geklärt (vgl. BVerwG, B.v. 2.3.2000 – 4 B 15/00 – juris Rn. 4); der Fall wirft auch keine besonders schwierigen Tatsachenfragen auf. Dass die Bauabteilung des Landratsamtes eine Innenbereichslage für das gesamte klägerische Grundstück FlNr. 64 (alt) angenommen hat, macht die Sache nicht besonders schwierig im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).