Titel:
Unterlassung von Äußerungen im Internet
Normenketten:
ZPO § 890
VwGO § 173
Leitsatz:
Die Verurteilung zur Unterlassung einer Äußerung, die auf einer Facebook-Seite getätigt wurde, umfasst auch die Pflicht, durch aktive Maßnahmen sicherzustellen, dass der betreffende Inhalt nicht mehr im Internet aufgerufen werden kann. (Rn. 9 – 10)
Schlagworte:
Ordnungsgeldfestsetzung wegen Missachtung einer einstweiligen Anordnung, Auslegung einer gerichtlich angeordneten Unterlassungsverpflichtung, Pflicht zur aktiven Beseitigung eines dauerhaften Störungszustands, keine bloße „Archivierung“ des unzulässigen Eintrags auf der F.-Seite, Ordnungsgeld, Störung, Archivierung, Unterlassung, Aussage, Internet, Abrufbarkeit, Wiederholungsgefahr, politische Meinungsbildung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 20.02.2024 – AN 4 V 24.357
Fundstellen:
BayVBl 2025, 92
DVBl 2025, 169
LSK 2024, 6218
BeckRS 2024, 6218
DÖV 2024, 940
NVwZ 2024, 853
Tenor
I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 20. Februar 2024 wird gegen die Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 Euro festgesetzt.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
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Der Antragsteller (Vollstreckungsgläubiger) ist ein im Stadtrat der Antragsgegnerin (Vollstreckungsschuldnerin) vertretener Kreisverband der AfD. Auf seinen Antrag hin ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. Februar 2024 (AN 4 E 24.235) im Wege einer einstweiligen Anordnung an, dass die Antragsgegnerin es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 10.000 Euro zu unterlassen habe, durch ihren Oberbürgermeister öffentlich bestimmte Aussagen über die AfD zu treffen. Dieser hatte die betreffenden Äußerungen zuvor auf Facebook anlässlich eines Demonstrationsaufrufs getätigt.
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Am 16. Februar 2024 beantragte der Antragsteller die Festsetzung eines Ordnungsgeldes im unteren vierstelligen Bereich, da die der Antragsgegnerin untersagte Äußerung weiterhin auf Facebook veröffentlicht werde.
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Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen. Der Post ihres Oberbürgermeisters auf Facebook sei nie gelöscht worden, da dies nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens gewesen sei; ihr sei vielmehr ein Unterlassen aufgegeben worden. Mangels Wiederholung der genannten Äußerung sei der Antrag abzulehnen. Dessen ungeachtet werde der Oberbürgermeister den alten Post löschen.
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Mit Beschluss vom 20. Februar 2024 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab, da die Voraussetzungen für die Festsetzung eines „Zwangsgeldes“ nicht vorlägen. Die der Antragsgegnerin auferlegte Unterlassungsverpflichtung impliziere nicht die (Handlungs-)Pflicht zum Löschen der inkriminierten Äußerung. Ein Unterlassen setze eine künftig drohende Beeinträchtigung voraus und ziele auf deren Verhinderung. Etwas anderes ergebe sich nicht aus der Besonderheit, dass die auf F. getätigte Äußerung jederzeit abrufbar sei. Die Archivierung der getätigten Äußerung bedeute nicht ihre Wiederholung. Die Abgrenzung, ob ein Handeln oder ein Unterlassen gefordert sei, knüpfe an das Verhalten des Vollstreckungsschuldners an. Über eine Pflicht zum Löschen habe das Gericht im Beschluss vom 6. Februar 2024 nicht entschieden und auch nicht entscheiden dürfen. Materiell- und vollstreckungsrechtlich seien das Löschen einer vergangenen und das Unterlassen einer zukünftigen Äußerung von unterschiedlichen Voraussetzungen abhängig. Aus dem Tenor des Beschlusses vom 6. Februar 2024 ergebe sich weder die Pflicht zum Löschen noch eine Frist hierzu.
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Der Antragsteller erhob gegen den Beschluss am 22. Februar 2022 Beschwerde. Der Pflichtenverstoß und damit die Rechtsverletzung bestehe nicht in einer einmaligen Äußerung wie etwa bei einem Redebeitrag, sondern in dem Setzen auf die Facebook-Seite und damit in einer Dauerhandlung. So sei auch der Unterlassungsantrag zu verstehen gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs habe der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs nicht nur alles zu unterlassen, was zu einer Verletzung führen könne, sondern er müsse auch alles tun, was erforderlich und zumutbar sei, um künftige oder andauernde Verletzungen zu verhindern oder rückgängig zu machen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts habe die absurde Konsequenz, dass ein Ordnungsmittel erst festzusetzen wäre, wenn der beanstandete Post zunächst gelöscht und einen Tag später wieder neu gepostet worden wäre. Der Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung liege aber gerade darin, dass die Antragsgegnerin den Post unverändert stehen gelassen habe.
6
Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
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1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts ist begründet. Das in seiner Eigenschaft als Vollstreckungsgericht angerufene erstinstanzliche Gericht hat den Antrag, der eine Unterlassungsverpflichtung betraf und daher richtigerweise auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 890 ZPO) gerichtet war (vgl. BayVGH, B.v. 3.4.2018 – 22 S 17.2080 – BayVBl 2018, 822 Rn. 14; U.v. 2.10.2012 – 10 BV 09.1860 – juris Rn. 85; Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 172 Rn. 4 m.w.N.), zu Unrecht abgelehnt. Die der Antragsgegnerin durch die einstweilige Anordnung vom 6. Februar 2024 aufgegebene Verpflichtung, es „zu unterlassen, durch ihren Oberbürgermeister öffentlich erklären zu lassen, …“, enthielt auch das Gebot, die inkriminierten Äußerungen von der Facebook-Seite unverzüglich zu entfernen.
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a) Bei der Auslegung von Unterlassungstiteln wird zugunsten des Vollstreckungsgläubigers allgemein angenommen, dass die Verpflichtung sich nicht im bloßen Nichtstun erschöpft, sondern auch die Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustandes umfasst, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot Folge geleistet werden kann (BGH, B.v. 12.7.2018 – I ZB 86/17 – NJW 2019, 56 Rn. 10; Pietzner/Möller in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand 3/2023, § 172 VwGO Rn. 35 m.w.N.; Heckmann in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 172 Rn. 63). Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs muss also nicht nur alles unterlassen, was zu einer Verletzung führen kann, sondern auch alles tun, was im konkreten Fall erforderlich und zumutbar ist, um künftige oder andauernde Verletzungen zu verhindern oder rückgängig zu machen (BGH, U.v. 13.11.2013 – I ZR 77/12 – NJW 2014, 2180 Rn. 26 m.w.N.). Gerichtliche Verpflichtungen zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, sind daher regelmäßig dahin auszulegen, dass sie nicht nur die Unterlassung derartiger Handlungen, sondern auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands umfassen (BGH, U.v. 18.9.2014 – I ZR 76/13 – juris Rn. 63). Geht es um Verstöße durch Aussagen im Internet, so muss der Unterlassungsschuldner durch geeignete aktive Maßnahmen sicherstellen, dass die betreffenden Inhalte nicht mehr im Internet aufgerufen werden können (OLG Celle, B.v. 19.8.2022 – 5 W 25/22 – juris Rn. 13 m.w.N.).
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Auch im vorliegenden Fall bezog sich demnach die Verpflichtung zum Unterlassen der streitgegenständlichen öffentlichen Erklärungen nicht nur auf künftige gleichlautende Äußerungen des Oberbürgermeisters bei anderen Gelegenheiten, sondern ebenso auf die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung fortdauernde Sichtbarkeit der betreffenden Aussagen auf der an die allgemeine Öffentlichkeit gerichteten Facebook-Seite. Dass die betreffende Passage möglicherweise durch die Aufnahme neuer Beiträge schon ein Stück weit nach unten verschoben war, änderte nichts daran, dass sie für Interessierte in unveränderter Form aufrufbar war und die politische Meinungsbildung beeinflussen konnte (vgl. OVG NRW, B.v. 14.11.2022 – 15 B 893/22 – NVwZ-RR 2023, 197 Rn. 56 ff.).
11
Das Belassen der inkriminierten Erklärungen auf der Facebook-Seite kann entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht als eine bloße „Archivierung“ angesehen werden, die unter Umständen ungeachtet der vorherigen Verletzungshandlung noch keine Wiederholungsgefahr begründen würde (s. dazu Kalscheuer/Jacobsen in Conrad/Grünewald/Kalscheuer/Milker, Öffentlichrechtliches Äußerungsrecht, 1. Aufl. 2022, § 10 Rn. 19 ff., 32 m.w.N.). Der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin betreibt die F.-Seite als ein Medium zur öffentlichen Verbreitung seiner persönlichen Auffassungen zu wichtigen politischen Fragen. Dass er von der Löschung der dort seit Mitte Januar 2024 im Zusammenhang mit einem Demonstrationsaufruf geäußerten Warnungen vor der AfD in den nachfolgenden Wochen nur aus archivarischen Gründen, d.h. ausschließlich zur Dokumentation eines nicht mehr aktuellen Geschehensablaufs, abgesehen haben könnte, ist aus Sicht eines objektiven Betrachters auszuschließen. Der Umstand, dass die Aussagen zur AfD auch nach dem Ende der Demonstration am 19. Januar 2024 nicht gelöscht wurden, spricht vielmehr dafür, dass damit weiterhin eine politische Botschaft vermittelt werden sollte. In dem unveränderten Stehenlassen des betreffenden Eintrags auf der Facebook-Seite lag somit eine fortdauernde Verbreitung der betreffenden Äußerungen und daher ein Verstoß gegen die gerichtlich angeordnete Unterlassungsverpflichtung (vgl. VG Bayreuth, B.v. 20.12.2016 – B 5 E 16.832 – juris Rn. 36; Kalscheuer/Jacobsen, a.a.O., Rn. 21).
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b) Bei der Bemessung des gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 890 ZPO festzusetzenden Ordnungsgelds ist zu berücksichtigen, dass zwischen der Zustellung des Beschlusses vom 6. Februar 2024 und der am 19. Februar 2024 abgegebenen Löschungszusage der Antragsgegnerin nur wenige Tage lagen, in denen die gerichtliche Anordnung nicht befolgt wurde. Als angemessen erscheint hiernach ein Ordnungsgeld in der vergleichsweise geringen Höhe von 1.000 Euro.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht (vgl. Pietzner/Möller, a.a.O., Rn. 61), da als Gerichtsgebühr eine Pauschalgebühr in Höhe von 22 Euro anfällt (Nr. 5301 KV, Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).