Inhalt

VGH München, Beschluss v. 25.03.2024 – 1 CS 24.65
Titel:

Erfolglose Beschwerde im Verfahren um eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung hinsichtlich eines als Monteursunterkunft genutzten Wohnhauses

Normenketten:
BayBO Art. 76 S. 2
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsätze:
1. Die Ermessensausübung ist nicht zu beanstanden, weil sie die im Gerichtsverfahren geltend gemachten massiven wirtschaftlichen Auswirkungen für die Antragsteller nicht berücksichtigt hat. Wer eine formell illegale Nutzung aufnimmt, muss jederzeit damit rechnen, mit einem Nutzungsverbot belegt zu werden. Ein wirtschaftlicher Schaden, der dadurch entsteht, dass für den Fall der Genehmigungsfähigkeit einer Nutzung diese bis zur Erteilung der erforderlichen Genehmigung nicht ausgeübt werden darf, ist begründet in der Genehmigungspflicht und trifft alle Bauwerber gleichermaßen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Störerauswahl hat sich in erster Linie daran zu orientieren, wie der baurechtswidrige Zustand möglichst effektiv abzuwehren ist. Soweit die Antragsteller vortragen, dass im Hinblick auf die Frage des Auswahlermessens und der Störerauswahl auch die Monteure bzw. deren Arbeitgeber als Adressaten der Nutzungsuntersagung in Betracht gekommen seien, ist der Nutzerkreis, der ständig wechselt, vor dem Hintergrund einer effektiven Anordnung aus zu betrachten. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nutzungsuntersagung, Nutzung eines Einfamilienhauses als Unterkunft für Arbeiter, Keine Ermessensfehler, bauordnungsrechtlich, keine Ermessensfehler, wirtschaftliche Auswirkungen, Störerauswahl
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 28.12.2023 – M 1 S 23.5542
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6215

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
III. In Abänderung des Streitwertbeschlusses des Verwaltungsgerichts wird der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren auf jeweils 30.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich als Grundstückseigentümer gegen eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung. Für ihr Wohngebäude auf dem Grundstück FlNr. …2, Gemarkung P., liegt eine Baugenehmigung vom 28. Oktober 2003 für ein Einfamilienhaus vor. Seit Anfang 2022 wird das Gebäude unter der Internetadresse M..de als Unterkunft für Handwerker bzw. Monteure angeboten und vermietet. Nach dem Internetauftritt, bei dem das Objekt als „Boardinghouse P.“ beworben wird, besteht die Möglichkeit einzelne Zimmer, eine Etage oder das gesamte Haus zu mieten. Es stehen insgesamt 8 möblierte Doppelzimmer mit je 2 Betten und pro Etage eine gemeinsame Küche sowie ein Bad mit WC zur Verfügung. Die Preise werden mit „ab 21 € pro Person/Tag (zzgl. MwSt.)“ angegeben.
2
Nach Anhörung der Antragsteller untersagte die Antragsgegnerin mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 17. November 2023, das genehmigte Einfamilienhaus mit Doppelgarage als Arbeiterunterkunft mit Monteurzimmern zu nutzen. Für den Fall der Nichtbefolgung der Anordnung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 500 € angedroht.
3
Gegen den Bescheid erhoben die Antragsteller Anfechtungsklage und stellten im Hinblick auf den Sofortvollzug einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Diesen lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. Dezember 2023 ab. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung habe die Klage keine Erfolgsaussichten, weil der angefochtene Verwaltungsakt voraussichtlich rechtmäßig sei. Die Nutzung des Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück als Boardinghouse sei formell baurechtswidrig. Es kämen andere bauordnungsrechtlichen Anforderungen in Betracht als für die bisher ausgeübte Nutzung, weil das Vorhaben einen höheren Stellplatzbedarf auslöse. Dabei sei es nicht maßgeblich, ob man die Nutzung als Boardinghouse als Wohnnutzung, beherbergungsähnliche Nutzung oder als Beherbergungsbetrieb einstufe. Die Angebote zur Reinigung der Wäsche und Endreinigung der Zimmer seien allerdings typisch für einen Beherbergungsbetrieb. Die Ermessensausübung der Antragsgegnerin sei nicht zu beanstanden. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit liege schon deshalb nicht vor, weil das Vorhaben einen neuen Stellplatzbedarf auslöse. Die bestehenden zivilrechtlichen Verpflichtungen der Antragsteller habe die Antragsgegnerin im Rahmen des Antragsverfahrens gewürdigt. Die Zwangsgeldandrohung begegne ebenfalls keine Bedenken. Es bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Nutzungsuntersagung sei in der Regel gerechtfertigt; dies gelte auch hier. Aus baurechtswidrigen Zuständen sollten die Antragsteller vor Entscheidung über ihren Bauantrag keine Früchte ziehen, eine Bezugsfallwirkung für gleichgelagerte Fälle solle vermieden werden.
4
Mit der Beschwerde machen die Antragsteller geltend, dass die Antragsgegnerin ihr Ermessen nicht rechtmäßig ausgeübt habe. Sie habe zur Genehmigungsfähigkeit der vorliegenden Nutzung keine Ausführungen gemacht. Auch habe ihr aufgrund mehrerer Ortsbesichtigungen bekannt sein müssen, dass die Nutzungsuntersagung massive wirtschaftliche Auswirkungen haben werde. Die Umstände der Vermietung hätten von Amts wegen ermittelt werden müssen. Es werde durch die Vermietung kein derartiger Schaden für die Allgemeinheit angerichtet, der den Sofortvollzug rechtfertige. Zudem sei die Störerauswahl fehlerhaft, es hätte zumindest eine Duldungsanordnung gegen die Mieter ergehen müssen.
5
Die Antragsgegnerin tritt dem Beschwerdevorbringen entgegen.
6
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten sowie die elektronischen Behördenakten Bezug genommen.
II.
7
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg.
8
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren geboten summarischen Prüfung wird die Klage gegen die Nutzungsuntersagung bei Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats – bei der Nutzungsuntersagung handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt (vgl. BayVGH, U.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – NVwZ-RR 2015, 607) – im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben, sodass das Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin nachrangig ist.
9
Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt, so kann diese Nutzung untersagt werden (Art. 76 Satz 2 BayBO). Es entspricht regelmäßig pflichtgemäßer Ermessensausübung, wenn die Bauaufsichtsbehörde eine formell illegale Nutzung durch den Erlass einer Nutzungsuntersagung unterbindet. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Eine formell rechtswidrige Nutzung darf aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 27.7.2021 – 1 CS 21.153 – juris Rn. 10; B.v. 9.11.2020 – 9 CS 20.2005 – juris Rn. 18). Dies ist nur der Fall, wenn ohne ins einzelne gehende Prüfung beurteilt werden kann, ob die geänderte Nutzung zulässig ist. Die baurechtliche Prüfung in einem Genehmigungsverfahren ist grundsätzlich nicht vorwegzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 25.11.2022 – 1 CS 22.2013 – juris Rn. 11).
10
Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Genehmigungspflicht der Nutzungsänderung von einem Einfamilienhaus zu einer Unterkunft für Arbeiter werden von den Antragstellern nicht angegriffen, es wurde am 15. November 2023 auch ein Bauantrag gestellt. Soweit ein Ermessensfehler darin gesehen wird, dass dem Bescheid der Antragsgegnerin keine Ermessenserwägungen zu der Frage der Genehmigungsfähigkeit der Nutzungsänderung zu entnehmen sind, verkennen die Antragsteller das oben genannte RegelAusnahmeverhältnis. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst, es bedarf auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung. Nur dann, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen und dargestellt worden sind (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1996 – 3 C 13.94 – juris Rn. 51). Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, dass die Nutzungsänderung nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist. Unabhängig von der Frage, wie die Nutzungsänderung bauplanungsrechtlich einzustufen ist (vgl. zu Arbeiterunterkünften HessVGH, B.v. 9.6.2020 – 4 B 974/20 – juris Rn. 7 ff.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 16.11.2018 – OVG 2 S 48.18 – juris Rn. 5 ff.), sind an die neue Nutzung auch andere bauordnungsrechtliche Anforderungen zu stellen. So bedarf es jedenfalls zusätzlicher Stellplätze, die erst nachgewiesen werden müssen; die nach dem Internetauftritt vorhandene Nutzung des Untergeschosses dürfte gegen Art. 45 BayBO verstoßen. Auch die bisherige Prüfung des Bauantrags durch die Antragsgegnerin hat keine Genehmigungsfähigkeit der Nutzungsänderung ergeben.
11
Die Ermessensausübung der Antragsgegnerin ist auch nicht zu beanstanden, weil sie die im Gerichtsverfahren geltend gemachten massiven wirtschaftlichen Auswirkungen für die Antragsteller nicht berücksichtigt hat. Wer eine formell illegale Nutzung aufnimmt, muss jederzeit damit rechnen, mit einem Nutzungsverbot belegt zu werden (vgl. OVG NW, B.v. 25.10.2021 – 10 A 3199/20 – juris Rn. 8). Ein wirtschaftlicher Schaden, der dadurch entsteht, dass für den Fall der Genehmigungsfähigkeit einer Nutzung diese bis zur Erteilung der erforderlichen Genehmigung nicht ausgeübt werden darf, ist begründet in der Genehmigungspflicht und trifft alle Bauwerber gleichermaßen (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2021 – 9 ZB 19.1610 – juris Rn. 15). Soweit zuletzt vorgetragen wird, dass hier auch die Belange der Nutzer hätten berücksichtigt werden müssen, werden keine konkreten Angaben gemacht. Bei dem genannten Beispiel des Monteurs, der für längere Zeit auf einer Baustelle eingesetzt wird und die Unterkunft sofort verlassen muss, ist nicht ersichtlich, dass nicht eine kurzfristige Unterbringung in einer anderen Unterkunft wie z.B. einer Pension oder einem Hotel möglich ist.
12
Die Störerauswahl hat sich in erster Linie daran zu orientieren, wie der baurechtswidrige Zustand möglichst effektiv abzuwehren ist (vgl. BayVGH, U.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – NVwZ-RR 2015, 607). Soweit die Antragsteller vortragen, dass im Hinblick auf die Frage des Auswahlermessens und der Störerauswahl auch die Monteure bzw. deren Arbeitgeber als Adressaten der Nutzungsuntersagung in Betracht gekommen seien, fällt ein Nutzerkreis, der ständig wechselt, vor dem Hintergrund einer effektiven Anordnung aus (zu der Störerauswahl bei einem ständig wechselnden Personenkreis vgl. OVG RhPf, B.v. 13.7.2010 – 8 A 10623/10 – BauR 2010, 2099; BayVGH, B.v. 26.2.2007 – 1 ZB 06.2296 – juris Rn. 22) . Nach dem Internetauftritt ist eine tageweise Buchung der Zimmer möglich, wobei eine Mindestbelegungsdauer von 7 Tagen angegeben wird. Dem baurechtswidrigen Zustand kann daher mit einem Vorgehen gegen die aktuellen Nutzer nicht dauerhaft begegnet werden; künftige Nutzer sind noch nicht bekannt. Hingegen haben es die Antragsteller als Grundstückseigentümer in der Hand, zukünftig für eine ordnungsgemäße Nutzung der Räumlichkeiten zu sorgen. So wurde auch bereits die Vermietung des Objekts auf der Internetplattform ausgesetzt. Für längerfristige Mietverhältnisse oder Rahmenverträge liegen mit dem Beschwerdevorbringen keinerlei Ansatzpunkte vor. Die Antragsgegnerin musste zu vorliegenden Mietverhältnissen auch nicht von Amts wegen ermitteln, da nach dem Internetauftritt eine längerfristige Vermietung der Zimmer nicht naheliegt. Es obliegt den Antragstellern, aus ihrem Rechtskreis für sie günstige Umstände vorzutragen.
13
Gegen die Anordnung des Sofortvollzugs der Nutzungsuntersagung bestehen ebenfalls keine Bedenken. Der Senat verweist hier auf die zutreffenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
14
Die Frage von notwendigen Duldungsanordnungen betrifft nicht die Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung, sondern allein die Frage ihrer Durchsetzbarkeit im Wege des Verwaltungszwangs. So ist Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Zwangsgeldandrohung, dass der durch den zugrundeliegenden Verwaltungsakt als Störer Verpflichtete in der Lage ist, die ihm auferlegten Pflichten zu erfüllen. Muss ein zu bauordnungsrechtlichen Maßnahmen herangezogener Verantwortlicher zur Erfüllung seiner Verpflichtungen in Rechte Dritter eingreifen und ist der Dritte nicht bereit, den Eingriff in seine Rechte zu dulden, so besteht ein Vollzugshindernis. Es bedarf dann einer Duldungsanordnung gegenüber dem Dritten zur Durchsetzung des bauordnungsrechtlichen Vollzugs. Eine Duldungsanordnung ist aber nicht notwendig, wenn weder dargetan noch ersichtlich ist, dass ein Berechtigter sich dem Vollzug der Anordnung entgegenstellen wird (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2021 – 1 CS 21.31 – juris Rn. 16). Auch hier wird mit der Beschwerdebegründung nur eine allgemeine Behauptung aufgestellt, mit der die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldandrohung nicht in Frage gestellt ist.
15
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Abänderungsbefugnis für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts beruht auf § 63 Abs. 3 GKG. Nr. 9.4 des Streitwertkatalogs sieht für Streitigkeiten über Nutzungsverbote eine Orientierung an der „Höhe des Schadens und der Aufwendungen (geschätzt)“ vor. Dabei kann bei einem vermieteten Objekt von den jährlichen Mieteinnahmen ausgegangen werden (vgl. HessVGH, B.v. 9.6.2020 – 4 B 974/20 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 30.1.2019 – 15 C 18.2268 – juris Rn. 10). Nach dem im Internet angegebenen Preis von 21 € pro Person/Tag sind bei Vollbelegung der Arbeiterunterkunft Einkünfte von ca. 10.000 € monatlich möglich. Der Senat geht im Hinblick auf eine vorsichtige Schätzung von der Hälfte des Betrages aus und halbiert den Jahresbetrag in Höhe von angenommenen 60.000 € im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes.
16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).