Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.03.2024 – 2 ZB 24.162
Titel:

Erfolgloser Berufungszulassungsantrag der Baubehörde gegen Aufhebung der Zwangsgeldandrohung

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 4, 124a Abs. 4 S. 4
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 3, Art. 76 S. 1
VwZVG Art. 36 Abs. 1 S. 1, Art. 37 Abs. 1
Leitsatz:
Zwangsmittel sind individuelle Beugemittel und damit höchstpersönlicher Natur mit der Folge, dass die Androhung eines Zwangsmittels nicht rechtsnachfolgefähig ist und eine  Zwangsgeldandrohung gegenüber mehreren Pflichtigen als Gesamtschuldner folglich mit dem höchstpersönlichen Charakter der Zwangsmittel als individuelles Beugemittel nicht vereinbar ist. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsgeldandrohung bei Gesamtschuldnerschaft, Berufungszulassungsantrag, ernstliche Richtigkeitszweifel, rechtsgrundsätzliche Bedeutung, Divergenzrüge, Baurecht, Bauaufsichtsbehörde, Miteigentümergemeinschaft, Beseitigungsverfügung, Zwangsvollstreckung, Zwangsgeldandrohung, Beugemittel, Gesamtschuldner, Bestimmtheitsgebot
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 24.07.2023 – M 8 K 21.4282
Fundstelle:
BeckRS 2024, 6205

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000, – € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die von der Beklagten geltend gemachten Berufungszulassungsgründe wurden nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt bzw. liegen nicht vor.
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Die Klägerinnen sind Miteigentümer des Grundstücks FlNr. …12 der Gemarkung P.. Mit dem an den Klägerbevollmächtigten in Vertretung der beiden Klägerinnen gerichteten streitgegenständlichen Bescheid ordnete die Beklagte unter Fristsetzung die Beseitigung des Swimmingpools (Nummer 1a), der Garage (Nummer 1b), des Schuppens (Nummer 1c) und der Versiegelung der Freifläche (Nummer 1d) auf dem klägerischen Grundstück an und verpflichtete die Klägerinnen die Grundstücksfläche gemäß dem genehmigten Freiflächengestaltungsplan zu erstellen (Nummer 2). In Nummer 3 des Bescheids wurde für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der einzelnen in Ziffer 1 und 2 genannten Verpflichtungen Zwangsgelder in unterschiedlicher Höhe angedroht (Satz 1) und darauf hingewiesen (Satz 2), dass im Falle der Vollstreckung die Grundstückseigentümerinnen für das Zwangsgeld gesamtschuldnerisch einzustehen hätten.
3
Das Verwaltungsgericht hob die in Nummer 3 des verfahrensgegenständlichen Bescheids verfügte Zwangsgeldandrohung auf (Nummer I Satz 1 des Tenors), da in der Zwangsgeldandrohung der Adressat der Vollstreckungsmaßnahme (Vollstreckungsschuldner) nicht hinreichend konkret bestimmt (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) sei.
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen insoweit nicht.
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Solche sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt worden sind (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548) und dadurch Anlass besteht, an der (Ergebnis-) Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zu zweifeln. In Ansehung des Vortrags in der Zulassungsbegründung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gemäß §§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Zulassungsvorbringen zu bemerken:
6
Maßgebend für die Vollstreckung der rechtskräftig angeordneten Grundverfügung (Art. 76 Satz 1 BayBO und Art. 54 Abs. 2 Satz 3 BayBO) ist das VwZVG. Dabei ist die Androhung des Zwangsmittels (Art. 36 Abs. 1 Satz 1 VwZVG) im Ablauf des Verwaltungszwangsverfahrens der erste Vollstreckungsakt. Da Zwangsmittel darauf angelegt sind, den Willen des Verpflichteten nachdrücklich auf die Erfüllung seiner Obliegenheit zu richten (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.1981 – Nr. 233 I 76 – Seite 9, n.v.), sind sie individuelle Beugemittel höchstpersönlicher Natur (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2004 – 1 C 30.03 – juris Rn. 16; Sadler/Tillmanns, VwVG/VwZG, 10. Aufl., 2020, § 9 Rn. 15 und § 13 Rn. 8). Sie sollen den Pflichtigen vor den Folgen einer Weigerung warnen (vgl. Molodowsky/Waldmann, BayBO, 136 Aufl. Mai 2020, Art. 76 Rn. 134 m.w.N.). Der höchstpersönliche Charakter der Zwangsmittel zeigt sich auch darin, dass nach ständiger Rechtsprechung die Androhung eines Zwangsmittels nicht rechtsnachfolgefähig ist; vielmehr muss die Vollstreckungsbehörde das gewählte Zwangsmittel gegenüber einem Rechtsnachfolger erneut androhen (stRspr. BVerwG, U.v. 10.1.2012 – 7 C 6.11 – DÖV 2012, 650). Aus dem höchstpersönlichen Charakter der Zwangsvollstreckung ergibt sich, dass bereits die Zwangsgeldandrohung erkennen lassen muss, wer bei Nichterfüllung der Handlungspflicht oder bei Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungs- oder Duldungspflicht in welcher Höhe zahlungspflichtig sein soll (vgl. BayVGH, U.v. 9.1.2006 – 4 CS 05.2798 – juris Rn. 25; Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, 55. EL Januar 2023, § 134). Eine in einem Bescheid angeordnete Zwangsgeldandrohung gegenüber mehreren Pflichtigen nur als Gesamtschuldner ist folglich mit dem höchstpersönlichen Charakter der Zwangsmittel als individuelles Beugemittel nicht vereinbar (vgl. Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, 55. EL Januar 2023, § 18 Rn. 192b, § 19 Rn. 134 mit Verweis auf BayVGH, U.v. 24. 11. 1981 a.a.O.), da bei einem Gesamtschuldverhältnis nur einer der Gesamtschuldner vollständig oder mehrere nur zu einem Teil in Anspruch genommen werden können, ohne dass die Person des in Anspruch genommenen oder die Höhe des Anteils im Voraus feststehen.
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Gemessen daran ist die streitgegenständliche Zwangsgeldandrohung wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 37 Abs. 1 VwZVG rechtswidrig. Die Zwangsgeldandrohung, die in dem an beide Miteigentümerinnen gerichteten Bescheid vom 15. Juli 2021 enthalten ist, lässt nicht erkennen, wer bei Nichterfüllung der Handlungspflichten von der Beklagten als Vollstreckungsschuldnerin in Anspruch genommen werden soll, wer also bei Nichterfüllung der Handlungspflicht in welcher Höhe zahlungspflichtig sein soll (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2006 – 4 CS 05.2798 mit Verweis auf BayVGH, U.v. 31.7.1997 – 23 B 94.90 – BeckRS 1997, 24872). Hieran ändert die gesamtschuldnerisch angeordnete Haftung nichts, da – wie ausgeführt – dies dem höchstpersönlichen Charakter der Zwangsvollstreckung widerspricht.
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Soweit die Beklagte hiergegen einwendet, die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts sei nicht praxisgerecht, da ein Beugemittel, das nicht nur gegenüber einem, sondern gegenüber allen Verpflichteten wirke, die Erfolgsaussichten, dass einer sicherheitsrechtlichen Maßnahme Folge geleistet werde, erheblich steigere, überzeugt dies nicht. Bei der Androhung eines Zwangsmittels, die bereits eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung darstellt, müssen die rechtlichen Voraussetzungen hierfür beachtet werden. Auf deren Beachtung kann nicht aus Praktikabilitätserwägungen heraus verzichtet werden. Im Übrigen kann die Beklagte ohne weiteres bereits bei der Androhung des Zwangsmittels – und nicht erst bei dessen Fälligstellung – klarstellen, welcher der Gesamtschuldner für das Zwangsgeld gegebenenfalls in welcher Höhe in Anspruch genommen werden wird.
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Der Einwand der Beklagten, der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs könne entnommen werden, dass auch bei der Durchsetzung von Handlungspflichten eine gesamtschuldnerische Zwangsgeldandrohung möglich sei (vgl. BayVGH, U.v. 24.7.2001 – 15 B 98.2552 – juris Rn. 23 und diese zitierend Hanno-Dirk Lemke in HK-VerwR, 5. Aufl. 2021, VwVG § 13 Rn. 19-21), führt zu keinem anderen Ergebnis. Verfahrensgegenständlich war in diesem Fall gerade keine gesamtschuldnerisch angeordnete Zwangsmittelandrohung, sodass dort über diese Frage auch nicht verbindlich entschieden wurde.
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Soweit sich die Beklagte auf den Beschluss des Senats vom 2. Juli 1996 (Az. 2 CS 96.1484 – BeckRS 1996,14888) beruft, wird, soweit sich aus diesem trotz eines unterschiedlichen Sachverhalts eine der hier geäußerten Rechtsauffassung entgegenstehende Meinung ergeben sollte, hieran nicht mehr festgehalten.
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2. Der Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wurde bereits nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf. Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer daher eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 a Rn. 72). Vorliegend hat die Beklagte bereits keine zu klärende Rechtsfrage aufgeworfen.
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3. Auch der Berufungszulassungsgrund der Divergenz gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wurde nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt.
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Die Darlegung der Divergenz erfordert nicht nur die genaue Benennung des Gerichts und die zweifelsfreie Angabe seiner Divergenzentscheidung. Darzulegen ist auch, welcher tragende Rechts- oder Tatsachensatz in dem Urteil des Divergenzgerichts enthalten ist und welcher bei der Anwendung derselben Rechtsvorschrift in dem angefochtenen Urteil aufgestellte tragende Rechts- oder Tatsachensatz dazu in Widerspruch steht. Dabei muss zwischen den Gerichten ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Die divergierenden Sätze müssen einander so gegenübergestellt werden, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 17.7.2008 – 9 B 15.08 – NVwZ 2008, 1115 Rn. 22 m.w.N.). Diesen Anforderungen kommt die Beklagte nicht nach.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts, soweit noch angefochten, rechtskräftig wird (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).