Inhalt

VGH München, Urteil v. 18.03.2024 – 11 BV 23.1193
Titel:

Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem

Normenketten:
StVG § 4 Abs. 5 S. 1, Abs. 6 S. 1, S. 2, S. 3, Abs. 8, § 28 Abs. 4
FeV § 47 Abs. 1
BGB § 130 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Eine Ermahnung oder Verwarnung ist "ergriffen" iSd § 4 Abs. 6 StVG, wenn die Behörde das jeweilige Schreiben aus ihrer Sicht abschließend bearbeitet hat, was regelmäßig mit dem Tag des Ausstellens zusammenfallen dürfte. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem setzt voraus, dass der Fahrerlaubnisinhaber zuvor das Stufensystem des § 4 Abs. 5 StVG ordnungsgemäß durchlaufen hat. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 S. 1 StVG und eine Verringerung des Punktestands nach § 4 Abs. 6 S. 2 und 3 StVG sind die im Fahrerlaubnisregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG übermittelten Zuwiderhandlungen (BVerwG BeckRS 2017, 103747). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach § 4 Abs. 6 StVG ist für die Verringerung des Punktestands der Tag des Ausstellens, dh der Tag der Fertigstellung des entsprechenden Schriftstücks, der rechtlich relevante Zeitpunkt. Hierfür kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Absendung oder des Zugangs beim Adressaten an. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem, Durchlaufen des Stufensystems, Ergreifen einer Maßnahme mit abschließender Bearbeitung durch die Behörde, Entziehung der Fahrerlaubnis, Fahreignungs-Bewertungssystem, Ermahnung, Verwarnung, Punktestand, Zugang, Fahreignungsregister, Ergreifen einer Maßnahme, Tag des Ausstellens
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 24.05.2023 – W 6 K 22.1189
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
BayVBl 2024, 556
BeckRS 2024, 6183
FDStrVR 2024, 006183
LSK 2024, 6183

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B und L.
2
Mit Schreiben vom 26. September 2016 widerrief das Landratsamt W. eine Verwarnung vom 6. August 2014 und ermahnte den Kläger nach Erreichen von fünf Punkten im Fahreignungsregister gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG. Das Schreiben wurde am 28. September 2016 bei der Postfiliale O. … niedergelegt und die Benachrichtigung über die Niederlegung ausweislich der Postzustellungsurkunde in den „Mehrfamilienbriefkasten“ eingelegt.
3
Nach Erreichen von sieben Punkten im Fahreignungsregister verwarnte das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG. Der Verwarnung war eine Kostenrechnung über 21,02 EUR beigefügt. Sie sollte gegen Postzustellungsurkunde, die nicht in Rücklauf kam, unter der Anschrift M. …str., O. …, zugestellt werden.
4
Am 11. Januar 2021 trat der Kläger eine längere Strafhaft an.
5
Mit Schreiben vom selben Tag mahnte die Kreiskasse die Zahlung der Verwarnungsgebühr an. Am 18. Januar 2021 wurde die Kostenrechnung beglichen.
6
Mit Schreiben vom 3. März 2021 übermittelte das Landratsamt dem Kläger eine Kopie der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 gegen Postzustellungsurkunde an seine bisherige Wohnanschrift.
7
Mit Schreiben vom 19. März 2021 teilte die Deutsche Post dem Landratsamt auf Anfrage hin mit, dass eine intensive Suche nach der Postzustellungsurkunde zur Verwarnung vom 1. Dezember 2020 erfolglos geblieben sei.
8
Nach einer Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts vom 22. März 2022 wurde der Kläger durch das Amtsgericht Würzburg mit sofort rechtskräftiger Entscheidung vom 16. Februar 2022 wegen 21-maligen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG; Tattag: 11.12.2020) verurteilt. Hierfür wurden 42 Punkten in das Fahreignungsregister eingetragen.
9
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis nahm der Bevollmächtigte des Klägers Akteneinsicht und trug sodann mit Schreiben vom 21. Juni 2022 vor, dass der Kläger weder die Verwarnung vom 1. Dezember 2020 noch deren Kopie vom 3. März 2021 erhalten habe. Ein Verwandter habe am 18. Januar 2021 auf die Mahnung hin die Zahlung von 21,02 EUR getätigt. Der Kläger habe sich zu dieser Zeit bereits in Haft befunden.
10
Mit Bescheid vom 6. Juli 2022 entzog das Landratsamt dem Kläger die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Seiner Ablieferungspflicht kam der Kläger am 25. Juli 2022 nach.
11
Am 15. Juli 2022 ließ er durch seinen Bevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht Würzburg erheben und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen, was das Gericht mit Beschluss vom 17. August 2022 ablehnte. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 2. November 2022 (11 CS 22.1984, 11 C 22.1992) zurück.
12
Mit Urteil vom 24. Mai 2023 wies das Verwaltungsgericht auch die Klage ab und führte zur Begründung aus, die Fahrerlaubnis sei gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG wegen eines Stands von zuletzt 49 Punkten im Fahreignungsregister zu entziehen gewesen. Der Kläger habe die vorgelagerten Stufen der Ermahnung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) und Verwarnung (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) ordnungsgemäß durchlaufen. Die fehlerhafte Zustellung der beiden Schreiben habe, wie im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ausgeführt, nicht zur Rechtswidrigkeit der Fahrerlaubnisentziehung geführt. Wann Maßnahmen gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG im Sinne von § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 StVG ergriffen seien, richte sich nach dem Zeitpunkt ihres Ausstellens bzw. der endgültigen Fertigstellung des Schriftstücks in der Behörde. Auf den tatsächlichen Zugang beim Betroffenen komme es nicht an, auch nicht, wenn zwischen Bearbeitung und Zugang ein längerer Zeitraum liege, jedenfalls, wenn bei Entziehung der Fahrerlaubnis vernünftigerweise von einem tatsächlichen Zugang auszugehen sei. Dem Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 5 und 6 StVG sei hierzu nichts zu entnehmen. Doch ergebe sich aus § 4 Abs. 6 Satz 3 StVG ein gesetzlicher Anhaltspunkt dafür, dass der Tag des Ausstellens maßgeblich sei. Denn danach werde die Punktereduzierung an diesem Tag bzw. am Tag der endgültigen Fertigstellung des entsprechenden Schriftstücks in der Behörde wirksam. Mithin sei das Datum des Schriftstücks maßgeblich. Es sei interessengerecht, wenn hierauf auch für das Ergreifen einer Maßnahme abgestellt werde. Stellte man auf den Zeitpunkt des Zugangs beim Betroffenen ab, wäre die Verwarnung hier erst im Juni 2022 ergriffen gewesen, d.h. in Kenntnis des Punktestands von insgesamt 49 Punkten, mit der Folge, dass dem Kläger die Fahrerlaubnis wegen § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 StVG nicht hätte entzogen werden dürfen. Für diese Sichtweise sprächen zwar allgemein geltende Grundsätze des Verwaltungshandelns, nämlich, dass (noch) nicht zugegangene Maßnahmen gegenüber dem jeweiligen Betroffenen regelmäßig nicht rechtswirksam bzw. existent seien (vgl. Art. 43 Abs. 1 BayVwVfG betreffend Verwaltungsakte). Ermahnung und Verwarnung seien mangels Regelungswirkung jedoch keine Verwaltungsakte und die Systematik des „neuen“ Fahreignungs-Bewertungssystems nach § 4 StVG gebiete eine abweichende Beurteilung. Im Vergleich zur früheren Rechtslage, unter der man den einzelnen Maßnahmenstufen eine Warn- und Erziehungsfunktion zugemessen habe, dienten die einzelnen Stufen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG n.F. vor allem der Information über den derzeitigen Punktestand im Register. Die Erziehungswirkung liege dem Gesamtsystem als solchem zugrunde. Im „alten“ System habe man nur die Fahrerlaubnis entziehen können, wenn deren Inhaber nach einer Verwarnung eine weitere zur Überschreitung der Schwelle des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG a.F. führende Zuwiderhandlung begangen habe. Weitere vor der Verwarnung begangene, der Behörde im Zeitpunkt der Verwarnung aber noch nicht bekannte Zuwiderhandlungen hätten auf der Grundlage des Mehrfachtäter-Punktsystems nicht unmittelbar zur Entziehung der Fahrerlaubnis führen können (§ 4 Abs. 5 Satz 2 StVG a.F.). Mit § 4 Abs. 5 Satz 6 Nr. 1, Abs. 6 Satz 4 StVG n.F. habe der Gesetzgeber bewusst einen Systemwechsel vollzogen. Nicht mehr erforderlich sei insbesondere, dass vor „Eintritt in die nächste Stufe“ effektiv die Möglichkeit einer Verhaltensänderung eröffnet werde. Vielmehr komme es unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten für das Ziel, die Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern zu schützen, maßgeblich auf die Effektivität des Fahreignungs-Bewertungssystems an. Diesem Ziel werde ausdrücklich Vorrang vor dem Erziehungsgedanken eingeräumt. Somit sei es sach- und systemgerecht und allein zielführend, auch für die Frage, wann eine Maßnahme ergriffen sei, auf den Zeitpunkt der Bearbeitung in Form des Ausstellens der Maßnahme abzustellen und nicht auf den (zufälligen) außerhalb des Einflussbereichs der Fahrerlaubnisbehörde liegenden Zugang beim Betroffenen. Nicht hinzunehmen und mit der Intention des Gesetzgebers nicht vereinbar sei, wenn es ggf. vom Zufall abhänge, wann eine Maßnahme ergriffen sei und die der nächsten Stufe ergriffen werden könne. In Fällen, in denen die behördliche Bearbeitung und der Zugang beim Betroffenen zeitlich weit auseinanderfielen, würde dies zu nicht intendierten Ergebnissen führen. Vorliegend sei bei Erlass des Entziehungsbescheids am 6. Juli 2022 vom tatsächlichen Zugang der Ermahnung im Oktober 2016 und der Verwarnung im Juni 2022 durch Akteneinsicht des Bevollmächtigten auszugehen. Da die Fahrerlaubnis dem Kläger rechtmäßig entzogen worden sei, sei er auch gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV verpflichtet gewesen, seinen Führerschein abzuliefern. Der auf eine Verurteilung des Beklagten gerichtete Antrag, die Mitteilung an das Kraftfahrt-Bundesamt vom 13. April 2021 über die Verwarnung nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem zurückzunehmen, sei wegen Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Die Mitteilungen der Verkehrsbehörden an das Kraftfahrt-Bundesamt gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 11 StVG stellten keine Verwaltungsakte dar und seien lediglich als Annex der zugrundeliegenden Maßnahme zu sehen, mit deren Rechtswidrigkeit oder Unwirksamkeit auch das Fahreignungsregister zu korrigieren wäre (§ 28 Abs. 3 Nr. 14 StVG). Im Wege der Leistungsklage könne nicht verlangt werden, dass die Fahrerlaubnisbehörde durch Mitteilung an das Kraftfahrt-Bundesamt verbindliche Änderungen im Fahreignungsregister herbeiführe. Der Leistungsantrag wäre aber auch unbegründet, da die Mitteilung über die Verwarnung zu Recht erfolgt sei und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Berichtigungsanspruch bestehe. Der Antrag, die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären, sei abzulehnen, da kein Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO stattgefunden habe und eine Erstattung von Kosten eines Rechtsanwalts im Verwaltungsverfahren vor Erlass einer Verwaltungsentscheidung nicht vorgesehen sei.
13
Mit der vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzziel weiter. Die Entziehung der Fahrerlaubnis sei rechtswidrig, da die Maßnahmenstufen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG nicht ordnungsgemäß durchlaufen worden seien. Die Verwarnung sei nicht am 1. Dezember 2020 erfolgt, da das behördliche Schriftstück den Kläger nicht erreicht habe. Für diese Sicht sprächen allgemein geltende Grundsätze des Verwaltungshandelns, wonach nicht zugegangene Maßnahmen gegenüber dem jeweiligen Betroffenen regelmäßig nicht rechtswirksam bzw. nicht existent seien. Die Behörde habe vom Nicht-Zugang auch Kenntnis erlangt, da sie dem Kläger am 5. März 2021 eine auf den 3. März 2021 datierte Kopie der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 übersandt habe, allerdings nicht an die JVA W., sondern an die frühere Wohnanschrift. Mit Schreiben vom 7. Juni 2022 habe der Unterfertigte Akteneinsicht beantragt und mitgeteilt, dass die Verwarnung dem Kläger nicht zugegangen sei. Der Beklagte habe daraufhin Akteneinsicht erteilt und dem Kläger so erstmals die auf den 1. Dezember 2020 datierte Verwarnung und die auf den 3. März 2021 datierte Kopie des Verwarnungsschreibens, jeweils als Aktenkopie, zur Kenntnis gebracht. Die Maßnahme erst am 10. Juni 2022 mit Übersendung der Fahrerlaubnisakte an den Bevollmächtigten bewirkt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 21. März 2022 über einen Punktestand von insgesamt 49 Punkten den Beklagten schon erreicht gehabt. Wenn es zur Wirksamkeit der Verwarnung ihres Zugangs beim Adressaten nicht bedürfte, würde dies bedeuten, dass sie den behördlichen Geschäftsbetrieb niemals zu verlassen bräuchte, was die Absicht des Gesetzgebers ad absurdum führen würde. Die Informationsfunktion der Maßnahmen könnte dann nicht erfüllt werden. Wenn die Verwaltungsbehörde erfahre, dass die Ermahnung oder Verwarnung an den Betroffenen gescheitert sei, könne sie sich nicht darauf berufen, dass die jeweilige Maßnahme gleichwohl „bewirkt“ worden sei. Vielmehr müsse sie die Maßnahme dann erneut „bewirken“, gleich ob durch Übersendung einer Kopie des ursprünglichen Schreibens oder durch Gewährung von Akteneinsicht, und dabei auf ihren Kenntnisstand zum Zeitpunkt der neuerlichen „Bewirkung“ der Ermahnung oder Verwarnung abstellen. Das Zitat aus der Gesetzesbegründung sei aus dem Zusammenhang gerissen. Daraus ergebe sich, dass das neue System keine verpflichtende Seminarteilnahme mehr kenne und den Erziehungsgedanken damit auch nicht so verstehe, dass jede einzelne Maßnahme den Fahrerlaubnisinhaber individuell ansprechen können müsse in dem Sinne, dass nur sie das Verhalten beeinflussen könne. Gleichwohl gehe der Gesetzgeber davon aus, dass Ermahnung und Verwarnung den Betroffenen tatsächlich erreichen müssten und erst dann bewirkt seien, da sie erst dann ihre Informationsfunktion erfüllen könnten. Gerade wenn zwischen der Abfassung der Verwarnung und der Gewährung von Akteneinsicht mehr als 1 1/2 Jahre lägen, könne nicht auf den Zeitpunkt der Abfassung des Verwarnungsschreibens und auf den Kenntnisstand der Behörde vom Punktestand zum damaligen Zeitpunkt abgestellt werden. Vielmehr sei die Maßnahme erst dann ergriffen, wenn sie erneut an den Betroffenen oder seinen Bevollmächtigten versandt werde. Dabei sei der aktuelle Punktestand zugrunde zu legen.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Beklagten vom 6. Juli 2022 in Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 24. Mai 2023 aufzuheben und die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten für notwendig zu erklären.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen,
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und verteidigt das angegriffene Urteil aus den vom Gericht ausgeführten Gründen. Die Absicht des Gesetzgebers, der Verkehrssicherheit und dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern Vorrang vor dem Erziehungsgedanken einzuräumen, und der Informationszweck der nach § 4 Abs. 5 StVG zu durchlaufenden Stufen sprächen dafür, für die Frage des Ergreifens der Maßnahme – jedenfalls wenn der Betroffene das jeweilige Schreiben noch vor Ergehen der nächsten Stufe tatsächlich erhalten habe – auf den Zeitpunkt der Bearbeitung und den entsprechenden Kenntnisstand der Behörde abzustellen. Nur dann sei eine Prüfung durch die Behörde möglich. Auf den nachfolgenden Verlauf und mögliche Verzögerungen der Bekanntgabe gegenüber dem Adressaten habe sie keinen Einfluss mehr. Sonst könnte die mit der Vorschrift des § 4 StVG verbundene Absicht des Gesetzgebers, nicht vorrangig mit erzieherischen Maßnahmen auf „Verkehrssünder“ einzuwirken, sondern insbesondere die übrigen Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Fahrzeugführern zu schützen, ggf. nicht erreicht werden. Selbst bei einer Anhäufung von Punkten im Fahreignungsregister nach der Bearbeitung müsste in Form einer schriftlichen Verwarnung eine Punktereduzierung vorgenommen werden, sodass die Maßnahme der nächsten Stufe nicht ergriffen werden könnte. Ermahnung und Verwarnung seien mangels Regelungswirkung keine Verwaltungsakte, deren Zugang Rechtsmittelfristen in Gang setze. Auch die Ausführungen des Gesetzgebers zu § 4 Abs. 6 StVG (BT-Drs. 18/2775, S. 10), wonach die Prüfung, ob die Maßnahme der vorangehenden Stufe bereits ergriffen worden sei, nach dem Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung zu beurteilen sei, sprächen dafür, eine Maßnahme bereits im Zeitpunkt ihrer Bearbeitung durch die Fahrerlaubnisbehörde im Sinne von § 4 Abs. 6 Satz 1 bis 3 StVG als „ergriffen“ anzusehen. Dem entspreche auch die Wertung des § 4 Abs. 6 Satz 4 StVG, wonach Punkte für Zuwiderhandlungen, die vor der Verringerung des Punktestands nach Satz 3 begangen worden seien, von denen die zuständige Behörde aber erst nach der Verringerung Kenntnis erhalte, den sich nach Satz 3 ergebenden Punktestand erhöhten. Auch hier sei die Kenntnis der Behörde maßgeblich. Der Einwand des Klägers, dass bei Zugrundelegung der Ansicht des Beklagten eine Verwarnung nach ihrer Abfassung den behördlichen Geschäftsbereich niemals zu verlassen bräuchte, vermenge die getrennt voneinander zu beurteilenden Fragen, zu welchem Zeitpunkt eine Maßnahme mit Blick auf danach liegende Punkteerhöhungen im Rahmen des § 4 Abs. 6 StVG „ergriffen“ sei, und das Erfordernis eines Zugangs des Verwarnungsschreibens für dessen Wirksamwerden gegenüber dem Betroffenen. Vorliegend gehe es nur um die erste Frage, die mit dem Zugangserfordernis als solchem nichts zu tun habe. Ebenso wenig greife der Vorwurf durch, das Verwaltungsgericht habe das Zitat aus der Bundestagsdrucksache 18/2775 (S. 9) aus dem Zusammenhang gerissen. Das Gericht habe das Zitat nur verwendet, um die Absicht des Gesetzgebers zu belegen, im Fahreignungs-Bewertungssystem dem Schutz der Allgemeinheit vor ungeeigneten Fahrern Vorrang vor einem etwaigen Erziehungsgedanken einzuräumen. Völlig unstreitig sei, dass Ermahnung und Verwarnung den Betroffenen auch tatsächlich erreichen müssten, um ihm gegenüber wirksam zu werden. Streitig sei vielmehr die davon zu unterscheidende Frage, wann hinsichtlich einer im Raum stehenden Punktereduzierung bei Anwendung von § 4 Abs. 6 Satz 1 bis 3 StVG die Verwarnung im Sinne der dortigen Regelungen „ergriffen“ worden sei.
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Mit Schreiben vom 20. und 22. Februar 2024 verzichteten die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Berufung entscheidet der Senat gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
22
Die Berufung, mit der der Kläger nurmehr die Aufhebung der Entziehung der Fahrerlaubnis und nicht mehr die Rücknahme einer Mitteilung an das Kraftfahrt-Bundesamt verfolgt, ist unbegründet.
23
1. Der Bescheid vom 6. Juli 2022, mit dem der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen hat, ist rechtmäßig und verletzt ihn damit nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
24
Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, 919), im Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. Januar 2021 (BGBl I S. 530), in Kraft getreten zum 1. Mai 2022, gilt der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen und die Fahrerlaubnis ist zu entziehen, wenn sich acht oder mehr Punkte nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem (§ 40 i.V.m. Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – vom 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 18.3.2022 [BGBl I S. 498]) ergeben. Hierbei handelt es sich um eine unwiderlegliche Vermutung (BVerwG, U.v. 25.9.2008 – 3 C 21.07 – BVerwGE 132, 57 = juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 7.1.2014 – 11 CS 13.2005 – DAR 2014, 281 = juris Rn. 13; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 4 StVG Rn. 32, 76, 100), die bis zu dem in der Regel durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu führenden Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung gilt (§ 4 Abs. 10 Satz 4 StVG).
25
Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem setzt voraus, dass der Fahrerlaubnisinhaber zuvor das Stufensystem des § 4 Abs. 5 StVG ordnungsgemäß durchlaufen hat (§ 4 Abs. 6 StVG), d.h. dass er bei Erreichen von vier oder fünf Punkten ermahnt (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG) und bei Erreichen von sechs oder sieben Punkten verwarnt (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG) wurde. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG und eine Verringerung des Punktestands nach § 4 Abs. 6 Satz 2 und 3 StVG sind die im Fahrerlaubnisregister eingetragenen und der Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des Ergreifens der Maßnahme nach § 4 Abs. 8 StVG übermittelten Zuwiderhandlungen (BVerwG, U.v. 26.1.2017 – 3 C 21.15 – BVerwGE 157, 235 Rn. 22).
26
Wie der Senat im Beschwerdebeschluss vom 2. November 2022 (11 CS 22.1984 u.a.), auf den insoweit Bezug genommen wird, dargelegt hat, ist davon auszugehen, dass die Ermahnung nach Erreichen von fünf Punkten im Fahreignungsregister dem vormaligen Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben des Beklagten vom 26. September 2016 zugegangen ist und die nicht nachzuweisende bzw. gescheiterte Zustellung der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 nach Erreichen von sieben Punkten im Wege der Akteneinsicht durch den Bevollmächtigten im Juni 2022 geheilt worden ist, bevor das Landratsamt dem Kläger mit Bescheid vom 6. Juli 2022 die Fahrerlaubnis entzogen hat. Der Kläger hatte durch die Eintragung von 42 Punkten in das Fahreignungsregister auch den für eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG erforderlichen Stand von acht Punkten erreicht. Der durch die Verurteilung vom 16. Februar 2022 erreichte Stand von 49 Punkten am letzten Tattag (§ 4 Abs. 5 Satz 5 StVG), dem 11. Dezember 2020, ist nicht vor dem „Ergreifen der Verwarnung“ gemäß § 4 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 StVG wieder auf sieben Punkte verringert worden, weil die Fahrerlaubnisbehörde im Zeitpunkt des (geheilten) Zugangs der Verwarnung im Juni 2022 aufgrund der Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamts vom 22. März 2022 von der Eintragung weiterer 42 Punkte Kenntnis erlangt hatte.
27
Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Verwarnung vom 1. Dezember 2020 bereits ergriffen war, als die Fahrerlaubnisbehörde von der weiteren Eintragung Kenntnis erlangt hat, auch wenn sie dem Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugegangen war.
28
Wie der Beklagte hervorgehoben hat, ist zwischen dem auf jeden Fall notwendigen Zugang der Ermahnung und der Verwarnung vor Entziehung der Fahrerlaubnis und der Frage zu unterscheiden, wann diese Maßnahmen im Sinne von § 4 Abs. 6 Satz 1 bis 3 StVG „ergriffen“ sind.
29
Das Verwaltungsgericht und der Beklagte sind zutreffend davon ausgegangen, dass das Ergreifen einer Maßnahme nicht den Zugang des entsprechenden Schreibens beim Adressaten bzw. die Wirksamkeit der Maßnahme voraussetzt. Wie beim Erlass eines Verwaltungsakts ist hier zu unterscheiden zwischen dem dem Erlass entsprechenden Ergreifen einer Maßnahme bzw. der Maßnahme selbst und ihrem Wirksamwerden durch Zugang beim Empfänger entsprechend § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB (zum Erlass eines Verwaltungsakts im förmlichen Verwaltungsverfahren vgl. Art. 69 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG: Verwaltungsakte … sind schriftlich zu erlassen, schriftlich zu begründen und den Beteiligten zuzustellen…; zur Unterscheidung zwischen der Existenz eines Verwaltungsakts und dem Wirksamwerden der von diesem intendierten Regelung vgl. U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 35 Rn. 20 f.).
30
Aus § 4 Abs. 6 und Abs. 8 StVG ergibt sich, dass der Gesetzgeber das Ergreifen einer Maßnahme als einen zeitlich gestreckten Vorgang auffasst, der mit dem Ausstellen des entsprechenden Schriftstücks beginnt, wobei er keinen für die Einhaltung des Stufensystems gemäß § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 StVG maßgeblichen Zeitpunkt ausdrücklich festgelegt hat. Nach § 4 Abs. 6 StVG ist für die Verringerung des Punktestands der Tag des Ausstellens, d.h. der Tag der Fertigstellung des entsprechenden Schriftstücks (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, § 4 StVG Rn. 88), der rechtlich relevante Zeitpunkt. Hierfür kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Absendung oder des Zugangs beim Adressaten an (Dauer a.a.O.). Nach § 4 Abs. 8 StVG ist das Kraftfahrt-Bundesamt zur „Vorbereitung“ der Maßnahme nach § 4 Abs. 5 StVG zur Übermittlung der Eintragungen im Fahreignungsregister verpflichtet, woraus geschlossen werden kann, dass die Prüfung der vorliegenden Verkehrszuwiderhandlungen und des Punktestands zeitlich vor dem Ergreifen der Maßnahme liegen.
31
Vom Wortlaut her stellen die Regelungen in § 4 Abs. 5 und 6 StVG erkennbar auf das Tätigwerden der Behörde und die Bearbeitung des Vorgangs ab. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG hat die Behörde tätig zu werden, sobald beim Fahrerlaubnisinhaber bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Es folgen Regelungen, die sich auf den Inhalt der Ermahnung und Verwarnung und die Feststellung einer Verkehrszuwiderhandlung und die Berechnung der Punkte sowie die Staffelung der Maßnahmen beziehen, und damit an die Behörde gerichtete Vorgaben während der Bearbeitung. Auch in der Gesetzesbegründung hatte der Gesetzgeber erkennbar die Bearbeitung im Blick (vgl. BT-Drs. 18/2775, S. 10: Die Prüfung der Behörde, ob die Maßnahme der vorangehenden Stufe bereits ergriffen worden ist, ist daher vom Kenntnisstand der Behörde bei der Bearbeitung zu beurteilen und beeinflusst das Entstehen von Punkten nicht. Absatz 6 Satz 2 enthält die Anweisung, die zunächst vorgesehene, aber noch nicht erteilte Maßnahmenstufe dann noch zu ergreifen, wenn der Punktestand bereits die darauf folgende Maßnahmenstufe erreicht hat.). Der Gesetzessystematik lässt sich eindeutig entnehmen, dass der Vollzug des Maßnahmensystems auf die Übermittlung der entsprechenden Daten und auf deren Kenntnisnahme beim Empfänger, d.h. bei der Fahrerlaubnisbehörde, angelegt ist (wie das Bundesverwaltungsgericht in anderem Zusammenhang aus der Gesetzesbegründung, § 4 Abs. 8 und § 28 Abs. 4 StVG abgeleitet hat; BVerwG, U.v. 26.1.2017 a.a.O. Rn. 26).
32
Die Annahme, der Gesetzgeber habe die Befugnis der Behörde, die Maßnahme der nächsten Stufe zu ergreifen, von nicht ihrem Einfluss unterliegenden allgemeinen Zustellrisiken wie Zeitpunkt, Unzustellbarkeit wegen Wohnungsaufgabe, Ordnungsmäßigkeit des Zustellvorgangs u.ä. abhängig machen wollen, erscheint auch nicht sachgerecht. Denn dies würde den Fahrerlaubnisinhaber begünstigen, bei dem sich zufällig ein Risiko der Zustellung verwirklicht, obwohl sein Fall sich sachlich nicht vom dem eines anderen Fahrerlaubnisinhabers unterscheidet, bei dem die Zustellung ordnungsgemäß erfolgen konnte. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit Vorrang vor dem Erziehungsgedanken, d.h. der Chance des Betroffenen eingeräumt, das eigene Verhalten so zu bessern, dass es zu keinen weiteren Maßnahmen kommt (BT-Drs. 18/2775, S. 10), was für eine an der Effektivität des Fahreignungs-Bewertungssystems ausgerichtete Auslegung der Vorschriften spricht.
33
Somit spricht alles dafür, dass die Ermahnung oder Verwarnung „ergriffen“ ist, wenn die Behörde das jeweilige Schreiben aus ihrer Sicht abschließend bearbeitet hat, was regelmäßig mit dem Tag des Ausstellens zusammenfallen dürfte. Entgegen dem Einwand des Klägers folgt aus dieser Auffassung nicht, dass das Ermahnungs- oder Verwarnungsschreiben dann den Geschäftsbereich der Behörde bzw. das Entwurfsstadium nie verlassen müsste. Wie dargelegt bedürfen Ermahnung und Verwarnung des Zugangs, um wirksam zu werden. Dann aber ist auch sichergestellt, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde ihrer auf einen tatsächlichen Erfolg gerichteten empfangsbedürftigen Willenserklärungen entäußert bzw. diese willentlich in den Verkehr gebracht hat (vgl. Noack/Beurskens, Gedächtnisschrift für M. W., 1. Aufl. 2011, S. 687/689 ff./692 m.w.N.).
34
Im Fall des Klägers hatte sich die Fahrerlaubnisbehörde zweifelsfrei ihrer Erklärung entäußert, bevor ihr die Eintragung von 42 Punkten im Fahreignungsregister bekannt geworden ist. Dies steht aufgrund der Bezahlung der mit der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 verbundenen Kostenrechnung am 18. Januar 2021 durch einen Verwandten des Klägers fest und durch die Postzustellungsurkunde vom 5. März 2021, mit der ein Schreiben vom 3. März 2021 und eine Kopie der Verwarnung an die Wohnanschrift des Klägers zugestellt worden sind. Zugegangen ist die Ermahnung dem Kläger – wie bereits ausgeführt – mit Schreiben des Beklagten vom 26. September 2016 an seinen vormaligen Bevollmächtigten und die Verwarnung durch Akteneinsicht seines Bevollmächtigten im Juni 2022.
35
Die Pflicht, den Führerschein beim Landratsamt abzuliefern, ergibt sich aus § 47 Abs. 1 FeV. Wegen der übrigen Nebenverfügungen des angefochtenen Bescheids wird gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1, § 117 Abs. 5 VwGO auf dessen Gründe Bezug genommen.
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2. Die beantragte Erklärung, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten notwendig war, ist abzulehnen. Dieser Ausspruch ist gesetzlich nur für das verwaltungsrechtliche Vorverfahren, d.h. das Widerspruchsverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO, vorgesehen. Nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO setzt eine derartige Erklärung voraus, dass ein Widerspruchsverfahren geschwebt hat (vgl. Olbertz in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 162 Rn. 60; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 162 Rn. 25), das hier jedoch schon nicht statthaft gewesen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2012 – 11 CS 12.772 – juris Rn. 11; B.v. 19.7.2021 – 11 CS 21.1280 – juris Rn. 14). Auch hat der Kläger keinen Widerspruch erhoben. Eine Erstattung der zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung vor dem Erlass einer Verwaltungsentscheidung aufgewandten Kosten ist nicht vorgesehen (Kallerhoff/Keller in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 80 Rn. 58). Abgesehen davon würde eine Erstattung von im Vorverfahren angefallener Rechtsanwaltsgebühren eine Kostengrundentscheidung zu Gunsten des Klägers voraussetzen (BVerwG, U.v. 15.11.2007 – 2 C 29.06 – NVwZ 2008, 324 = juris Rn. 9 f. m.w.N.; Just in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 162 VwGO Rn. 36), die wegen der Erfolglosigkeit der Berufung nicht in Betracht kommt.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.
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4. Die Revision wird zugelassen, da die Frage, wann eine Maßnahme im Sinne von § 4 Abs. 6 Satz 1 bis 3 StVG als „ergriffen“ gelten kann, grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat.