Titel:
Ruhensberechnung im Falle des Zusammentreffens mehrerer Versorgungsbezüge
Normenketten:
BeamtVG 2009 § 54 Abs. 4, § 57
BeamtVG 2021 § 54 Abs. 4a
Leitsatz:
Nach der Höchstbetragsregelung des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG in der früheren, ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung ist bei Zusammentreffen eines eigenen Ruhegehalts mit einem später erworbenen Anspruch auf Witwengeld, der von einer ehescheidungsbedingten Kürzung betroffen ist, das Witwengeld nach § 57 BeamtVG gekürzt in die Berechnung des Ruhens des eigenen Ruhegehalts einzustellen (im Anschluss an BVerwG, U.v. 24.11.2011 – 2 C 39.10 – ZBR 2012, 257 Rn. 19 ff.). (Rn. 33)
Schlagworte:
Ruhen von Versorgungsbezügen, Versorgungsfallprinzip, Zusammentreffen mehrerer Versorgungsbezüge (hier: eigenes Ruhegehalt und späterer Anspruch auf Witwengeld)., Witwengeld, Ruhebezüge, Ruhensregelung, Höchstbetragsregelung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 14.07.2022 – Au 2 K 21.22
Rechtsmittelinstanz:
BVerwG Leipzig, Beschluss vom 18.12.2024 – 2 B 21.24
Fundstellen:
DÖV 2024, 613
BeckRS 2024, 6013
LSK 2024, 6013
Tenor
I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. Juli 2022 – Au 2 K 21.22 – wird aufgehoben.
II. Die Bescheide der Beklagten vom 28. März 2018, 5. September 2018 und 30. Januar 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2020 werden insoweit aufgehoben, als der jeweiligen Ruhensregelung nach § 54 Abs. 4 BeamtVG das ungekürzte Witwengeld zugrunde liegt.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob den von der Beklagten nach § 54 Abs. 4 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung getroffenen Ruhensregelungen – die im streitgegenständlichen Zeitraum zu Lasten des eigenen Ruhegehalts der Klägerin erfolgten, nachdem diese als Ruhestandsbeamtin wegen des Todes ihres Ehemannes einen Anspruch auf Witwengeld erworben hatte – das nach § 57 BeamtVG im Zuge der Ehescheidung des Ehemannes von seiner früheren Ehefrau gekürzte Witwengeld zugrunde zu legen ist.
2
Die Klägerin, die zuletzt als Oberamtsrätin (A 13 Stufe 8) beim Bundesministerium des Innern im Dienst der Beklagten stand, trat mit Ablauf des Monats September 2012 in den Ruhestand und erhält deshalb von der Beklagten nach dem Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 10. September 2012 seit 1. Oktober 2012 eigene Versorgungsbezüge.
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Der Ehemann der Klägerin trat vor ihr in den Ruhestand. Er stand zuletzt als Ministerialrat (B 3) beim Bundesministerium der Verteidigung im Dienst der Beklagten und erhielt von dieser Versorgungsbezüge, die nach § 57 BeamtVG gekürzt wurden im Zuge der Ehescheidung von seiner früheren Ehefrau und des dadurch ausgelösten Versorgungsausgleichs.
4
Der Ehemann der Klägerin verstarb am ... 2018, wodurch die Klägerin ab dem 1. März 2018 einen Anspruch auf Witwengeld erwarb.
5
Mit nicht streitgegenständlichem Bescheid vom 23. Februar 2018 setzte die Beklagte das Witwengeld der Klägerin ab 1. März 2018 auf monatlich 3.498,74 € fest. Für die Beklagte war dabei die Besoldungsgruppe B 3 für den Ansatz der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge maßgeblich; dabei entsprach das im Bescheid vom 23. Februar 2018 festgesetzte Witwengeld betragsmäßig der ungekürzten monatlichen Hinterbliebenenversorgung.
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Nach weiterem nicht streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 2018 erhielt die Klägerin wegen des Kürzungsbetrags, dem das Witwengeld der Klägerin ab 1. März 2018 unterliegt, monatlich nur ein um die ehescheidungsbedingte Kürzung verringertes Witwengeld ausbezahlt.
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Mit erstem streitgegenständlichem Bescheid vom 28. März 2018 berechnete die Beklagte die eigenen Versorgungsbezüge der Klägerin auf dem Stand 1. März 2018 neu und brachte diese ab März 2018 wegen ihres Anspruchs auf Witwengeld nach § 54 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtVG zum Ruhen. Nach der Anlage G zur Ruhensregelung ging die Beklagte dabei von einem ungekürzten Witwengeld als neuem Versorgungsbezug (i.H.v. 3.498,74 €) aus und legte bei der Ermittlung der Höchstgrenze des § 54 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtVG ruhegehaltfähige Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 13 Stufe 8 – der Besoldungsgruppe der Klägerin – zugrunde.
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 8. April 2018 Widerspruch. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, zur Bestimmung der Höchstgrenze nach § 54 BeamtVG müssten die ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe ihres verstorbenen Ehemannes zugrunde gelegt werden. Als „neuer Versorgungsbezug“ müsse der Betrag angesetzt werden, der sich nach Abzug des Versorgungsausgleichs von der errechneten Hinterbliebenenversorgung ergebe.
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Mit zweitem streitgegenständlichem Bescheid vom 5. September 2018 berechnete die Beklagte rückwirkend zum 1. März 2018 wegen einer gesetzlichen Erhöhung der Versorgungsbezüge das eigene Ruhegehalt der Klägerin neu und brachte es ab März 2018 wegen ihres Anspruchs auf Witwengeld nach § 54 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtVG zum Ruhen. Nach der Anlage G zu dieser Ruhensregelung ging die Beklagte dabei von einem ungekürzten Witwengeld als neuem Versorgungsbezug (i.H.v. 3.603,36 €) aus und legte bei der Ermittlung der Höchstgrenze abermals betragsmäßig erhöhte ruhegehaltfähige Dienstbezüge aus der Endstufe der Besoldungsgruppe A 13 Stufe 8 zugrunde.
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 16. September 2018 Widerspruch, zu dessen Begründung sie auf ihr Widerspruchsverfahren zum Bescheid vom 28. März 2018 verwies.
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Mit nicht streitgegenständlichem Bescheid vom 26. Februar 2019 wurde ab 1. April 2019 in Absprache mit der Widerspruchsstelle die Höchstgrenze nach § 54 Abs. 4 BeamtVG durch Zugrundelegung ruhegehaltfähiger Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe B 3 korrigiert und dazu erklärt, die von der Klägerin erhobenen Widersprüche gegen die vorherigen Ruhensregelungen blieben davon unberührt.
12
Mit drittem streitgegenständlichem Bescheid vom 30. Januar 2020 berechnete die Beklagte ab 1. März 2020 wegen einer gesetzlichen Erhöhung der Versorgungsbezüge das eigene Ruhegehalt der Klägerin neu und brachte es ab 1. März 2020 wegen ihres Anspruchs auf Witwengeld nach § 54 Abs. 4, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtVG zum Ruhen. Nach der Anlage G zu dieser Ruhensregelung ging die Beklagte dabei von einem ungekürzten Witwengeld als neuem Versorgungsbezug (i.H.v. 3.754,09 €) aus und legte ab 1. März 2020 bei der Ermittlung der Höchstgrenze Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe B 3 zugrunde.
13
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin mit Schreiben vom 17. Februar 2020 Widerspruch, zu dessen Begründung sie auf ihr Widerspruchsverfahren zum Bescheid vom 28. März 2018 verwies.
14
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2020 änderte die Beklagte die Höchstgrenze für die Ruhensregelung nach § 54 Abs. 4 BeamtVG nach Maßgabe der dem Widerspruchsbescheid beigefügten Anlagen für den Zeitraum vom 1. März 2018 bis 31. März 2019 von der Besoldungsgruppe A 13 Stufe 8 nach Besoldungsgruppe B 3 und wies die Widersprüche gegen die Bescheide vom 28. März 2018, 5. September 2019 (richtig: 2018) und 30. Januar 2020 im Übrigen zurück. Die Widersprüche vom 8. April 2018 und 15. (richtig: 16.) September 2018 seien zulässig und im Hinblick auf die Höchstgrenze nach § 54 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtVG begründet. Soweit die Klägerin die Übrigen unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2011 – 2 C 39.10 – (ZBR 2012, 257) für die Ruhensregelung nach § 54 Abs. 4 BeamtVG die Berechnung unter Zugrundelegung des nach § 57 BeamtVG gekürzten Witwengeldes begehre, könne dem nicht gefolgt werden. Sonst werde – auch im vorliegenden Fall – über das eigene Ruhegehalt der Hinterbliebenen die in der früheren Versorgung enthaltene Kürzung vollständig ausgeglichen. Das werde deutlich, wenn die jeweiligen Ergebnisse der unterschiedlichen Methodiken der Ruhensregelungen (Stand 1.3.2018) nebeneinander betrachtet würden. Dazu enthält der Widerspruchsbescheid eine Übersicht zu drei verschiedenen Ruhensberechnungen, sie sich aus Sicht der Beklagten vorliegend je nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts, der vorgenommenen Regelung und ohne Versorgungsausgleich ergeben.
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Die im Januar 2021 erhobene Klage, mit der die Klägerin beantragt hat, die Bescheide der Beklagten vom 28. März 2018, 5. September 2018 und 30. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2020 insoweit aufzuheben, als sie der jeweiligen Ruhensberechnung nach § 54 Abs. 4 BeamtVG das ungekürzte Witwengeld zugrunde legen, und die Beklagte zu verpflichten, das Ruhegehalt der Klägerin ab dem 1. März 2018 in Höhe eines monatlichen Betrags zu bewilligen, dem eine Ruhensberechnung gemäß § 54 Abs. 4 BeamtVG zugrunde liegt, in die das nach § 57 BeamtVG gekürzte Witwengeld eingestellt ist, hat das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 14. Juli 2022 als unbegründet abgewiesen.
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Gegen dieses Urteil legte die Klägerin mit Schreiben vom 19. September 2022 beim Verwaltungsgericht die von diesem wegen Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2011 – 2 C 39.10 – (ZBR 2012, 257) zugelassene Berufung ein und beantragte beim Verwaltungsgerichtshof nach entsprechender antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist,
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unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. Juli 2022 die Bescheide der Beklagten vom 28. März 2018, 5. September 2018 und 30. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2022 insoweit aufzuheben, als sie der jeweiligen Ruhensberechung nach § 54 Abs. 4 BeamtVG das ungekürzte Witwengeld zugrunde legen, sowie die Beklagte zu verpflichten, das Ruhegehalt der Klägerin ab dem 1. März 2018 in Höhe des monatlichen Betrags zu be-willigen, dem eine Ruhensberechnung gemäß § 54 Abs. 4 BeamtVG zu-grunde liegt, in die das nach § 57 BeamtVG gekürzte Witwengeld einge-stellt ist.
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Zur Begründung führt sie aus, das Verwaltungsgericht habe zwar zu Recht festgehalten, dass der zum 1. August 2021 in § 54 BeamtVG neu eingefügte Absatz 4a Satz 1 aufgrund des Versorgungsfallprinzips vorliegend nicht anwendbar sei. Es gehe aber im Widerspruch zum zutreffenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2011 – 2 C 39.10 – (ZBR 2012, 257) davon aus, dass in die Ruhensberechnung das ungekürzte Witwengeld einzustellen sei mit der Folge, dass nach § 54 Abs. 4 BeamtVG ein höherer Betrag des erdienten Ruhegehalts der Klägerin ruhe. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. November 2017 – 2 C 9.16 – (ZBR 2018, 195) betreffe § 54 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG das eigene Ruhegehalt als früheren Versorgungsbezug, wohingegen § 54 Abs. 1 und 3 BeamtVG nur abgeleitete Versorgungsansprüche erfasse. Darin sei gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz jedenfalls ein hinreichender sachlicher Differenzierungsgrund zu sehen.
19
Die Beklagte beantragt,
20
die Berufung zurückzuweisen.
21
Dazu führt sie aus, das Bundesverwaltungsgericht definiere in seinem Urteil vom 24. November 2011 – 2 C 39.10 – (ZBR 2012, 257) das nach § 57 BeamtVG gekürzte Witwengeld als „erworbenen Anspruch“ und leite daraus ab, in die Ruhensberechnung sei das gekürzte Witwengeld einzustellen, wohingegen der Wortlaut des § 57 BeamtVG sowie die systematische Stellung des § 54 BeamtVG vor § 57 BeamtVG auch eine abweichende Interpretation zuließen. Das Bundesverwaltungsgericht vermische damit den erworbenen Anspruch mit dem Zahlbetrag, der sich durch die Kürzung nach § 57 BeamtVG ergebe. Die historische Entwicklung des § 54 Abs. 4 BeamtVG deute ausweislich früherer höchstrichterlicher Entscheidungen (BVerfG, B.v. 11.10.1977 – 2 BvR 407/76 – BVerfGE 46, 97; BVerwG, U.v. 17.3.1983 – 2 C 28.81 – NVwZ 1983, 548) darauf hin, dass die vorliegend vorgenommene Regelung dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Ferner habe das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 28. November 1991 – 2 C 8.90 – (DÖD 1992, 182) als Anspruch auf Witwengeld i.S.d. § 54 Abs. 4 BeamtVG den dem Grunde nach vor Anwendung des § 55 BeamtVG gegebenen Anspruch verstanden. Weshalb dies vom Bundesverwaltungsgericht im Fall des § 57 BeamtVG anders beurteilt werde, sei nicht nachvollziehbar. Betrachte man, dass es Sinn des § 54 Abs. 4 BeamtVG sei, beim Zusammentreffen mehrerer Versorgungsbezüge in einer Person deren Überversorgung zu verhindern, erschließe sich nicht, weshalb die Kürzung nach § 57 BeamtVG bei dem Versorgungsurheber im Rahmen der Ruhensregelung wieder aufgehoben werden sollte. Auch erschließe sich nicht, weshalb das Bundesverwaltungsgericht der Meinung sei, die Kürzung wegen des Versorgungsausgleichs finde zweifach statt, sofern das ungekürzte Witwengeld in die Ruhensregelung eingestellt werde. Es entspreche dem Sinn der vorliegend nicht entscheidungserheblichen Mindestbelassungsregelung des § 54 Abs. 4 Satz 2 BeamtVG, dass über sie die Kürzung nach § 57 BeamtVG gegebenenfalls (teilweise) ausgeglichen werde. Ein solcher Ausgleich sei jedoch vorliegend nicht geboten. Die Versorgungsbezüge der Klägerin überstiegen mit einem Bruttobetrag von 4.847,98 € (Stand 1. März 2018) deren eigenes Ruhegehalt ohne Kürzung nach § 54 Abs. 4 BeamtVG zuzüglich Mindestbelassung mit 4.498,94 € bei Weitem. Dass bei der Höhe der an die Klägerin zu leistenden Bezüge der Alimentationsgrundsatz verletzt sein könnte, sei nicht ansatzweise erkennbar. In seinem Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 9.16 – (ZBR 2018, 195) komme das Bundesverwaltungsgericht in der umgekehrten Konstellation des Zusammentreffens eines früheren Witwengeldes mit einem späteren eigenen Ruhegehalt zu einem gegenüber seiner Entscheidung aus dem Jahr 2011 abweichenden Ergebnis. Die zufällige zeitliche Reihenfolge der Entstehung der Versorgungsansprüche dürfe nicht zu einem unterschiedlichen Ergebnis führen, was sich auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/26839 S. 54) zum am 1. August 2021 neu eingefügten § 54 Abs. 4a BeamtVG ergebe, wonach es sich um eine nur klarstellende Regelung handele.
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Die Klägerin erklärte durch Schriftsatz vom 25. Oktober 2023, die Beklagte durch Schreiben vom 9. November 2023 das Einverständnis zur Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Da die Klägerin (Schriftsatz vom 25.10.2023) und die Beklagte (Schreiben vom 9.11.2023) jeweils das Einverständnis hierzu erklärt haben, kann der Senat über die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist vollumfänglich begründet und das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil daher vollumfänglich aufzuheben. Zwar sind die streitgegenständlichen Bescheide vom 28. März 2018, 5. September 2018 und 30. Januar 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Dezember 2022 im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang nur zum Teil aufzuheben, weil die Klage bei interessengerechter Auslegung (1.) als bloße Teilanfechtungsklage zu verstehen ist, die sich allein dagegen wendet, dass die streitgegenständlichen Bescheide im Rahmen des § 54 Abs. 4 BeamtVG das ungekürzte Witwengeld zugrunde legen, zulässig (siehe 2.) und begründet ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, siehe 3.); das ändert aber nichts an der vollumfänglichen Aufhebung des mit der Berufung angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils und am vollumfänglichen Erfolg der Berufung.
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1. Bei interessengerechter Auslegung (§§ 88, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO, §§ 133, 157 BGB analog) ist die Klage als Teilanfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO) zu verstehen, die sich allein dagegen wendet, dass die streitgegenständlichen Bescheide im Rahmen des § 54 Abs. 4 BeamtVG das ungekürzte Witwengeld zugrunde legen. Zwar hat die Klägerin auch im Berufungsverfahren nebst ihrem in erster Linie auf die besagte teilweise Kassation der streitgegenständlichen Bescheide gerichteten Klageantrag auch den Antrag formuliert, die Beklagte zu verpflichten, das Ruhegehalt der Klägerin ab dem 1. März 2018 in Höhe des monatlichen Betrags zu bewilligen, dem eine Ruhensberechnung gemäß § 54 Abs. 4 BeamtVG zugrunde liegt, in die das nach § 57 BeamtVG gekürzte Witwengeld eingestellt ist. In dieser zusätzlichen Antragsformulierung liegt indes keine eigenständige Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO) mit dem Ziel der Festsetzung höherer Versorgungsbezüge. Dagegen spricht, dass für eine solche Verpflichtungsklage neben der Teilanfechtung das Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde, sodass sie vom Standpunkt der Klägerin aus gesehen interessenwidrig wäre. Denn die Klägerin verfügt im Erfolgsfall ihrer Teilanfechtungsklage bereits über Versorgungsfestsetzungsbescheide, die ihre Versorgungsbezüge für den streitgegenständlichen Zeitraum in derjenigen Höhe regeln, auf die der besagte Zusatz zu ihrer Teilanfechtungsklage abzielt.
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Nicht streitgegenständlich – vielmehr angesichts der sich allein gegen die das ungekürzte Witwengeld zugrunde legenden Bescheide wendenden Teilanfechtungsklage von der Beklagten bestandskräftig entschieden – sind die übrigen Regelungsinhalte der streitgegenständlichen Bescheide. Insbesondere ist die Frage, ob im streitgegenständlichen Zeitraum bei den monatlichen Höchstgrenzen (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtVG) im Rahmen der Ruhensregelungen nach § 54 Abs. 4 BeamtVG von den ruhegehaltfähigen Dienstbezügen aus der Endstufe der Besoldungsgruppe der Klägerin (A 13 Stufe 8) oder von der Besoldungsgruppe (B 3) ihres verstorbenen Ehemanns auszugehen ist, von der Beklagten bestandskräftig im letzteren Sinne zugunsten der Klägerin entschieden. Für die Zeit ab 1. April 2019 folgt dies aus dem von der Klägerin nicht mit einem Widerspruch angegriffenen Bescheid vom 26. Februar 2019, der ausweislich seiner Gründe nach Absprache mit der Widerspruchsstelle die Höchstgrenze nach § 54 Abs. 4 BeamtVG für die Versorgungsbezüge der Klägerin ab April 2019 korrigiert, die von der Klägerin erhobenen Widersprüche gegen die vorherigen Ruhensregelungen aber „unberührt“ lässt, insoweit also diesen Widersprüchen gerade nicht abhilft. Für die Zeit vom 1. März 2018 bis zum 31. März 2019 enthält der Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2020 die bestandskräftige Regelung, dass im Rahmen der Höchstgrenze nach § 54 Abs. 4 BeamtVG die Besoldungsgruppe B 3 des verstorbenen Ehemanns der Klägerin zugrunde zu legen ist.
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2. Die Teilanfechtungsklage gegen die streitgegenständlichen Bescheide ist zulässig (vgl. allgemein zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage gegen Ruhensbescheide BVerwG, U.v. 7.10.2020 – 2 C 19.19 – BVerwGE 169, 299), und zwar auch, soweit sie sich gegen den Ruhensbescheid vom 28. März 2018 richtet, der ab dem 1. März 2018 das eigene Ruhegehalt der Klägerin unter Zugrundelegung des ungekürzten Witwengeldes in damaliger Höhe zum Ruhen brachte, jedoch hinsichtlich dieses Regelungsinhalts durch den späteren, eine gesetzliche Versorgungsbezügeerhöhung rückwirkend ab dem 1. März 2018 umsetzenden Ruhensbescheid vom 5. September 2018 überholt worden ist. Denn der Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2020 hat den Ruhensbescheid vom 28. März 2018 als nach wie vor rechtlich existent behandelt. Daran muss sich die Beklagte mit der Konsequenz der Statthaftigkeit der Teilanfechtungsklage auch gegen den Ruhensbescheid vom 28. März 2018 festhalten lassen (vgl. BVerwG, U.v. 12.1.1973 – VII C 3.71 – BVerwGE 41, 305/307 f.).
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3. Die zulässige Teilanfechtungsklage der Klägerin ist auch begründet, weil die streitgegenständlichen Bescheide im Rahmen des § 54 Abs. 4 BeamtVG zu Unrecht nicht das gekürzte, sondern das ungekürzte Witwengeld zugrunde legen und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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3.1. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtslage ist vorliegend § 54 Abs. 4 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung (vgl. Bekanntmachung der Neufassung des Beamtenversorgungsgesetzes vom 24.2.2010, BGBl I S. 150 zum Wortlaut des Beamtenversorgungsgesetzes in der seit dem 1.7.2009 geltenden Fassung), der zum Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalls der Klägerin mit Ablauf des Monats September 2012 (vgl. zum sog. Versorgungsfallprinzip nur BVerfG, B.v. 23.5.2017 – 2 BvL 10/11 u.a. – BVerfGE 145, 249 Rn. 8; BVerwG, U.v. 9.9.2021 – 2 C 4.20 – BVerwGE 173, 242 Rn. 11 f.) in Kraft war. Nichts Anderes ergäbe sich für die Entscheidung der Frage, ob den streitgegenständlichen Bescheiden das gekürzte oder das ungekürzte Witwengeld zugrunde zu legen ist, aus § 54 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 BeamtVG in der ab 1. Januar 2016 geltenden Fassung, die zum Zeitpunkt des Todes des Ehemanns der Klägerin (10.2.2018) in Kraft war – der hier interessierende Regelungsinhalt beider genannter Vorschriften ist identisch.
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Jedenfalls nicht anwendbar auf den vorliegenden Fall ist der zum 1. August 2021 in Kraft getretene § 54 Abs. 4a BeamtVG, nach dessen Satz 1 die Kürzung bei der Anwendung der Absätze 1 bis 4 des § 54 BeamtVG unberücksichtigt bleibt, wenn ein an der Ruhensregelung beteiligter Versorgungsbezug auf Grund eines Versorgungsausgleichs zu kürzen ist, und nach dessen Satz 2 § 57 BeamtVG auf den nach Anwendung der Absätze 1 bis 4 verbleibenden Versorgungsbezug anzuwenden ist. Gegen die Anwendbarkeit des § 54 Abs. 4a BeamtVG auf den Fall der Klägerin spricht das Versorgungsfallprinzip, nach dem für die Beurteilung der versorgungsrechtlichen Ansprüche eines Beamten grundsätzlich die Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung maßgeblich ist, weil § 54 Abs. 4a BeamtVG zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung der Klägerin, die mit Ablauf des Monats September 2012 erfolgte, noch nicht in Kraft war. Denn Art. 18 Abs. 8 des Gesetzes zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 28. Juni 2021 (BGBl I S. 2250) bestimmt, dass dessen Art. 6 Nummer 12, durch welchen der besagte Absatz 4a in § 54 BeamtVG eingefügt wurde, am 1. August 2021 in Kraft tritt. Es gibt auch keine Übergangsregelung, die die Geltung des § 54 Abs. 4a BeamtVG für bereits vor dessen Inkrafttreten eingetretene Versorgungsfälle anordnet. Deshalb ist § 54 Abs. 4a BeamtVG auf den Fall der Klägerin nicht anwendbar. Somit geht der Einwand der Beklagten, beim neu eingefügten § 54 Abs. 4a BeamtVG handele es sich um eine nur klarstellende Regelung, ins Leere.
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3.2. Im Rahmen des vorliegend anzuwendenden § 54 Abs. 4 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung ist nicht – wie in den streitgegenständlichen Bescheiden geschehen – das ungekürzte, sondern das im Zuge der Ehescheidung des Ehemanns der Klägerin von seiner früheren Ehefrau nach § 57 BeamtVG „gekürzte“ Witwengeld zugrunde zu legen.
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Nach der zu § 54 Abs. 4 BeamtVG in der bis zum 31. August 2006 geltenden Fassung ergangenen Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 24.11.2011 – 2 C 39.10 – ZBR 2012, 257), die wegen der inhaltlichen Identität beider Fassungen auch auf § 54 Abs. 4 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung übertragbar ist und der sich der Senat anschließt, ist in einer Konstellation wie der vorliegenden, in der ein eigenes Ruhegehalt eines Ruhestandsbeamten mit dessen später erworbenen, von einer ehescheidungsbedingten Kürzung betroffenen Anspruch auf Witwengeld zusammentrifft, in die Berechnung des Ruhens des eigenen Ruhegehalts nach der Höchstbetragsregelung des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG das Witwengeld nicht ungekürzt, sondern nach § 57 BeamtVG gekürzt einzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2011 a.a.O. Rn. 19 ff.).
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3.2.1. Dafür sprechen bereits der Wortlaut des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG in den besagten früheren Fassungen und die Systematik der Kürzungs- und Ruhensvorschriften des Beamtenversorgungsgesetzes. Dass § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG in den besagten früheren Fassungen auf den „erworbenen Anspruch“ auf Witwengeld abstellt, spricht bereits dafür, dass damit das nach § 57 BeamtVG „gekürzte“ Witwengeld gemeint ist, weil die Versorgungsbezüge des verstorbenen Beamten, welche für die Höhe des Witwengeldes maßgeblich sind (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG), zu dessen Lebzeiten bereits nach § 57 BeamtVG gekürzt worden waren und der Anspruch auf Witwengeld deshalb nur in der gekürzten Höhe erworben werden konnte (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2011 a.a.O. Rn. 21).
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3.2.2. Dieses aus dem Wortlaut des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG (frühere Fassungen) gewonnene Auslegungsergebnis wird durch die systematische Überlegung bestätigt, dass Kürzungsvorschriften wie § 57 BeamtVG – anders als Ruhensvorschriften, die den Versorgungsanspruch dem Grunde nach unberührt lassen und ihm nur ein Auszahlungshindernis entgegenstellen – einen Versorgungsanspruch „dem Grunde nach“ erfassen (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2011 a.a.O.). Deshalb ist der Vorwurf der Beklagten, das Bundesverwaltungsgericht vermische in seiner soeben zitierten Entscheidung den erworbenen Anspruch mit dem Zahlbetrag, der sich durch die Kürzung nach § 57 BeamtVG ergebe, unberechtigt.
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3.2.3. Daran ändert es nichts, dass § 54 BeamtVG auf dem Gedanken der Einheit der öffentlichen Kassen beruht und eine „Überversorgung“ desjenigen Beamten vermeiden will, der Anspruch auf mehr als nur eine Versorgung hat (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2011 a.a.O. Rn. 17 unter Verweis auf den von der Beklagten angeführten Beschluss BVerfG, B.v. 11.10.1997 – 2 BvR 407/76 – BVerfGE 46, 97/107, auf den sich wiederum die von der Beklagten angeführte Entscheidung BVerwG, U.v. 17.3.1983 – 2 C 28.81 – NVwZ 1983, 548 bezieht). Denn es folgt aus dem Aspekt der Vermeidung von „Überversorgung“ lediglich, dass ein Beamter mit zwei Versorgungen nicht besser stehen soll als ein Beamter mit der höchstmöglichen der beiden aufeinander anzurechnenden Versorgungen, wobei § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG (frühere Fassungen) davon ausgeht, dass der Verstorbene die höhere Versorgung hatte (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2011 a.a.O. Rn. 17). Dagegen gibt der Aspekt der „Überversorgung“ nichts dafür her, dass ein erdientes eigenes Ruhegehalt – wie das der Klägerin – ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung (vgl. § 3 Abs. 1 BeamtVG) um einen ungekürzten (fiktiven) Betrag gekürzt werden dürfte, den die Witwe tatsächlich so nicht erhält. Derartiges hat der Gesetzgeber erstmals mit § 54 Abs. 4a BeamtVG vorgeschrieben, der vorliegend aber gerade nicht anwendbar ist.
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3.3. Dem besagten, vom Bundesverwaltungsgericht praktizierten Auslegungsergebnis stehen auch die weiteren Argumente der Beklagten für ihre Ansicht, im Rahmen des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung sei das ungekürzte Witwengeld zugrunde zu legen, nicht entgegen.
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3.3.1. Der Wortlaut des § 57 BeamtVG und dessen Stellung nach § 54 BeamtVG sprechen nicht für die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG, weil sich die Systematik des Nachrangs des § 57 BeamtVG (nach Anwendung der Ruhensvorschriften der §§ 53 ff. BeamtVG) nur auf die Versorgung des mit dem Versorgungsausgleich belasteten Beamten selbst und die daraus abgeleitete Versorgung seiner Hinterbliebenen (einschließlich des Witwengelds) bezieht, wohingegen sie nicht gilt für eine Ruhensberechnung des eigenen Ruhegehalts eines selbst nicht mit einem Versorgungsausgleich belasteten Beamten (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2011 – 2 C 39.10 – ZBR 2012, 257 Rn. 23).
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3.3.2. Das Argument der Beklagten, wonach die vorliegend von ihr vorgenommene Regelung ausweislich früherer höchstrichterlicher Entscheidungen (vgl. BVerfG, B.v. 11.10.1997 – 2 BvR 407/76 – BVerfGE 46, 97/107; BVerwG, U.v. 17.3.1983 – 2 C 28.81 – NVwZ 1983, 548) dem Willen des Gesetzgebers entspreche, überzeugt nicht. Die von der Beklagten angeführte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stützt ihre These nicht, weil sie nicht § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG (frühere Fassungen), sondern damaliges Hamburgisches Landesrecht zu einer anderen Sachverhaltskonstellation betrifft, in welcher die dortige Beschwerdeführerin nach dem Vorversterben ihres Ehemanns in den Ruhestand trat, weshalb ihr Witwengeld zum Ruhen gebracht wurde. Diese Entscheidung enthält keine Aussagen zu einem Willen des Gesetzesgebers des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG. Für die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. März 1983 – 2 C 28.81 – (NVwZ 1983, 548) gilt nichts Anderes. Auch sie betrifft die (andere) Sachverhaltskonstellation des vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Falles, in der es um das Ruhen des Witwengeldes ging und deshalb nicht § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG (frühere Fassungen) streitgegenständlich war, sondern eine andere Normgruppe (§ 54 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 BeamtVG a.F.).
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3.3.3. Die ferner von der Beklagten angeführte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 28.11.1991 – 2 C 8.90 – DÖD 1992, 182) spricht gerade nicht für die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung. Die Beklagte übersieht bei ihrer auf diese Entscheidung gestützten Kritik an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2011, dass der bei der Entscheidung aus dem Jahr 1991 streitgegenständliche § 55 BeamtVG eine Ruhensvorschrift ist (vgl. nur BVerwG, U.v. 24.11.2011 – 2 C 39.10 – ZBR 2012, 257 Rn. 17), die den Versorgungsanspruch dem Grunde nach unberührt lässt und ihm nur ein Auszahlungshindernis entgegenstellt (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2011 a.a.O. Rn. 21). Dagegen handelt es sich bei § 57 BeamtVG um eine Kürzungsvorschrift, die einen Versorgungsanspruch wie den Anspruch auf Witwengeld dem Grunde nach erfasst (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2011 a.a.O.). Angesichts dieser unterschiedlichen Rechtsnaturen des § 55 BeamtVG einerseits und des § 57 BeamtVG andererseits kam das Bundesverwaltungsgericht sowohl in seiner früheren (BVerwG, U.v. 28.11.1991 – 2 C 8.90 – DÖD 1992, 182) als auch in seiner späteren (BVerwG, U.v. 24.11.2011 a.a.O.) Entscheidung im Hinblick auf § 54 Abs. 4 BeamtVG zu jeweils konsequenten Ergebnissen. Da – was die Beklagte selbst so sieht – unter „Anspruch auf Witwengeld“ im Sinne des § 54 Abs. 4 BeamtVG der „dem Grunde nach“ gegebene Anspruch auf Witwengeld zu verstehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.1991 a.a.O.), kam es in seiner früheren Entscheidung zum Ergebnis, dass § 55 BeamtVG als Ruhensvorschrift den „Anspruch auf Witwengeld“ im Sinne des § 54 Abs. 4 BeamtVG nicht „dem Grunde nach“ berührt – weshalb im Rahmen des § 54 Abs. 4 BeamtVG vom nicht um den Ruhensbetrag nach § 55 BeamtVG verringerten Witwengeld auszugehen war –, wohingegen § 57 BeamtVG als Kürzungsvorschrift den betroffenen Anspruch sehr wohl dem Grunde nach berührt, weshalb auch im Rahmen des § 54 Abs. 4 BeamtVG vom nach § 57 BeamtVG „gekürzten“ Witwengeld auszugehen ist.
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3.3.4. Auch das weitere, im Widerspruchsbescheid durch drei verschiedene Ruhensberechnungen veranschaulichte Argument der Beklagten, der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2011 sei nicht zu folgen, weil sie – auch im vorliegenden Fall – dazu führe, dass über das eigene Ruhegehalt der Hinterbliebenen die in der früheren Versorgung enthaltene Kürzung nach § 57 BeamtVG vollständig ausgeglichen werde, ist kein durchgreifender Einwand gegen die Auslegung, nach der bei § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG (frühere Fassungen) das Witwengeld nach § 57 BeamtVG gekürzt in die Berechnung einzustellen ist (siehe bereits 3.2.3.). Die dem Widerspruchsbescheid beigefügte Übersicht zu verschiedenen Ruhensberechnungen verdeutlicht mit ihrem Ergebnis zur Gesamtversorgung nach der von der Beklagten vorgenommenen Regelung (4.847,98 €) gerade, dass die Beklagte insoweit letztlich zu Lasten der Klägerin eine geringere Höchstgrenze angesetzt hat, als sie sich sonst aus derselben Übersicht gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 3 BeamtVG ergibt (6.005,60 €). Dieser Ansatz einer niedrigeren Höchstgrenze ist rechtswidrig (siehe auch 3.2.3.), weil es sich bei der Höchstgrenze nach § 54 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BeamtVG in der ab 1. Juli 2009 geltenden Fassung um einen gesetzlich vorgeschriebenen, abstrakt zu errechnenden Betrag handelt, der stets dem höchstmöglichen Ruhegehalt entspricht, das der verstorbene Ehegatte aufgrund seines letzten Statusamts (Besoldungsgruppe) hätte erreichen können (vgl. BVerwG, U.v. 24.11.2011 – 2 C 39.10 – ZBR 2012, 257 Rn. 20; BayVGH, B.v. 22.1.2024 – 14 ZB 23.1449 – juris Rn. 7; siehe 3.2.). Deshalb ändert auch das Argument der Beklagten zu einem Unterlaufen des § 57 BeamtVG im Rahmen der Gesamtversorgung nichts an der Richtigkeit der Auslegung des § 54 Abs. 4 Satz 1 BeamtVG durch das Bundesverwaltungsgericht. Es ist Sache des Gesetzgebers (wie zwischenzeitlich auch geschehen), die im Widerspruchsbescheid für richtig gehaltene Regelung im Wege einer Gesetzesänderung (siehe 3.2.3.) festzulegen, nicht die der Verwaltung oder der Justiz.
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3.3.5. Schließlich überzeugt auch der Einwand der Beklagten, die zufällige zeitliche Reihenfolge der Entstehung der Versorgungsansprüche dürfe nicht zu einem unterschiedlichen Ergebnis führen – das Bundesverwaltungsgericht komme in seinem Urteil vom 17. November 2017 – 2 C 9.16 – (ZBR 2018, 195) in der umgekehrten Konstellation des Zusammentreffens eines früheren Witwengeldes mit einem späteren eigenen Ruhegehalt zu einem gegenüber seiner Entscheidung aus dem Jahr 2011 abweichenden Ergebnis – nicht. Denn die Mindestbelassung nach § 54 Abs. 1 bis 3 BeamtVG erfasst nur abgeleitete Versorgungsansprüche wie das Witwengeld, wohingegen § 54 Abs. 4 BeamtVG das eigene Ruhegehalt als früheren Versorgungsbezug betrifft. Darin ist gemessen am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ein jedenfalls hinreichender sachlicher Differenzierungsgrund zu sehen (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2017 a.a.O. Rn. 21 f.). Zwar mag es der Beklagten im Ergebnis am zweckmäßigsten erscheinen, auf den Fall der Klägerin letztlich § 54 Abs. 4a BeamtVG 2021 anzuwenden. Diese Regelung ist jedoch aus den genannten Gründen (siehe oben 3.1.) vorliegend nicht anwendbar. Dass die im Fall der Klägerin anzuwendende frühere Fassung des Gesetzes ihrerseits verfassungskonform ist, ist aus Sicht des Senats unzweifelhaft.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
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4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die in § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG hierfür vorgesehenen Voraussetzungen nicht vorliegen.