Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 27.03.2024 – 206 StRR 98/24
Titel:

Darstellungsanforderungen bei einem Urteil nach § 329 Abs. 1 StPO und Beruhen des Urteils auf Darstellungsmängeln

Normenkette:
StPO § 329 Abs. 1, § 337
Leitsätze:
1.  Ein nach § 329 StPO ergangenes Urteil muss so begründet werden, dass das Revisionsgericht die maßgebenden Erwägungen des Berufungsgerichts nachprüfen kann. So müssen vorgebrachte Entschuldigungsgründe und als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen wiedergegeben und gewürdigt werden. Das tatrichterliche Urteil muss daher aufgehoben werden, wenn es weder eine in sich geschlossene Darstellung der vom Angeklagten vorgebrachten Entschuldigungsgründe ent-hält noch allein anhand der Entscheidungsgründe nachvollziehbar ist, warum das Landgericht den Angeklagten nicht als entschuldigt angesehen hat. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2.  Ein Verstoß gegen die Pflicht des Berufungsgerichts, das Entschuldigungsvorbringen lückenlos darzustellen und umfassend zu würdigen, rechtfertigt die Aufhebung eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO dann nicht, wenn das angefochtene Urteil nicht auf diesem Fehler beruht, wovon insbesondere dann auszugehen ist, wenn das übergangene Vorbringen des Angeklagten ganz offensichtlich ungeeignet wäre, das Ausbleiben zu entschuldigen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Darstellungsmangel, Entschuldigungsgründe, geschlossene Darstellung, genügende Entschuldigung, Verwerfungsurteil, Beruhen
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Urteil vom 27.07.2023 – 4 Ns 202 Js 141304/19
AG Dillingen, Urteil vom 02.12.2020 – 307 Ls 202 Js 141304/19
Fundstellen:
BeckRS 2024, 5807
FDStrafR 2024, 005807

Tenor

I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 27. Juli 2023 samt den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückverwiesen.

Gründe

I.
1
Das Amtsgericht Dillingen a. d. Donau hat den Angeklagten mit Urteil vom 2. Dezember 2020 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte u. a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt.
2
Das Landgericht Augsburg hat auf Grund der am 27. Juli 2023 stattgefundenen Hauptverhandlung die Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache kostenpflichtig verworfen. Zur Begründung des verwerfenden Urteils hat die Strafkammer ausgeführt, der zum Hauptverhandlungstermin ordnungsgemäß geladene und über die Folgen eines nicht oder nicht genügend entschuldigten Ausbleibens belehrte Angeklagte sei ohne hinreichende Entschuldigung nicht erschienen.
3
Das Landgericht hat zur weiteren Begründung ausgeführt:
„Der Angeklagte hat sich zwar telefonisch am Tag vor der Hauptverhandlung bei der Geschäftsstelle des Landgerichts Augsburg gemeldet und mitgeteilt, dass er aufgrund eines Termins im Krankenhaus zur Medikamentenumstellung zum Termin nicht erscheinen könne. Trotz Hinweises der Geschäftsstelle sind bis zum Hauptverhandlungszeitpunkt jedoch keine Nachweise zur Glaubhaftmachung vorgelegt worden. Die Kammer hat ungeachtet dessen eigene Ermittlungen im Rahmen der Sitzungsunterbrechungen angestellt und nach Bekanntgabe im Rahmen der Hauptverhandlung – beraten durch den anwesenden Sachverständigen – die Überzeugung erlangt, dass der Angeklagte durch eigenes Verschulden (wegen verpasstem Bus nicht wahrgenommener Termin zur Medikamentenumstellung im Krankenhaus am 25.07.2023) einen (neuen) Krankenhausaufenthalt für den Sitzungstag vereinbart bzw. zugeteilt bekommen hat. Der Angeklagte hätte sich einen anderen Termin zur Medikamentenumstellung geben lassen müssen, da ihm klar und bewusst war, dass er am 27.07.2023 den hiesigen gerichtlichen Termin wahrzunehmen hat. Dass ihm der Termin bewusst war, ergibt sich einerseits aus der erfolgreichen Zustellung der Ladung, der Kommunikation mit dem Verteidiger vor dem Termin und dem Anruf des Angeklagten am Tag vor der Hauptverhandlung bei der Geschäftsstelle. Es liegt auch keine akut-verschlechterte Situation am Hauptverhandlungstag vor, die es dem Angeklagten nicht hätte ermöglicht, den Sitzungstag wahrzunehmen, da sein erstes Vorsprechen im Krankenhaus in A. am 21.07.2023 erfolgte und ihm aufgrund seiner dortigen Anwesenheit und seinem geäußerten Ansinnen erst ein Termin am 25.07.2023 in der l.-ambulanz angeboten wurde. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ist auch die Kammer überzeugt, dass ein akuter Verschlechterungszustand des Angeklagten nicht vorgelegen haben kann, da er ansonsten bereits am 21.07.2023 stationär aufgenommen worden wäre. Anhaltspunkte für eine Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit liegen nicht vor.“
4
Mit Schriftsatz vom 14. August 2023 hat der Verteidiger Revision gegen das am 8. August 2023 zugestellte Verwerfungsurteil eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Beschluss vom 6. September 2023 verwarf das Landgericht den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten hiergegen hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 28. November 2023 verworfen.
5
Mit Schriftsatz vom 7. September 2023 begründete der Verteidiger des Angeklagten die Revision (lediglich) mit der allgemeinen Sachrüge. Er führte zur weiteren Begründung allerdings aus, dass die Kammer zunächst verkannt habe, dass es nicht darauf ankomme, ob der Angeklagte sich ausreichend entschuldigt habe, sondern ob er entschuldigt sei. Ferner zeige bereits die stationäre Aufnahme des Angeklagten die Dringlichkeit der Medikamentenumstellung, da sie sonst ambulant erfolgt wäre. Dies habe die Kammer nicht berücksichtigt.
II.
6
1. Das zulässige Rechtsmittel hat auch einen jedenfalls vorläufigen Erfolg.
7
a) Soweit mit der Revision die allgemeine Sachrüge erhoben wird, ist dies allerdings nicht zielführend. Ein Urteil, durch das die Berufung des Angeklagten gegen das erstinstanzliche Urteil ohne Verhandlung zur Sache nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen wurde, ist grundsätzlich nur mit einer Verfahrensrüge angreifbar. Die allgemeine Sachrüge führt nur zur Überprüfung von Verfahrenshindernissen, für die hier jedoch keine Anhaltspunkte gegeben sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 329 Rdn. 48f. m. w. N.).
8
b) Die Revisionsbegründung ist jedoch auslegungsfähig; es kommt nicht darauf an, wie der Beschwerdeführer die Rüge bezeichnet, entscheidend ist ihre wirklich rechtliche Bedeutung auf der Grundlage des Revisionsvorbringens (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 344 Rdn. 20a m. w. N.). Hier kann dem Revisionsvortrag (noch) die Zielrichtung entnommen werden, dass das Berufungsgericht den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt habe (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 329 Rdn. 48; BeckOK-StPO/Eschelbach, 50. Edition, § 329 Rdn. 67). Die so verstandene Verfahrensrüge, die den formalen Anforderungen an eine solche noch gerecht wird (vgl. insoweit OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.11.2015, 1 Ss 322/15, BeckRS 2016, 2450, dort Rd. 4), greift auch durch.
9
Das Urteil des Landgerichts genügt nicht den von der Rechtsprechung an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 329 StPO ergangenen Verwerfungsurteils zu stellenden Anforderungen. Nach ständiger Rechtsprechung muss das nach § 329 StPO ergangene Urteil so begründet werden, dass das Revisionsgericht die maßgebenden Erwägungen des Berufungsgerichts nachprüfen kann. So müssen vorgebrachte Entschuldigungsgründe und als Entschuldigung in Betracht kommende Tatsachen wiedergegeben und gewürdigt werden. Dies folgt schon daraus, dass das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils gebunden ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 05.04.2023, 203 StRR 95/23, zitiert nach juris, dort Rdn. 4).
10
Im Urteil des Landgerichts findet sich weder eine in sich geschlossene Darstellung der vom Angeklagten vorgebrachten Entschuldigungsgründe noch ist allein anhand der Entscheidungsgründe nachvollziehbar, warum das Landgericht den Angeklagten nicht als entschuldigt angesehen hat. Aus den dort niedergelegten Erwägungen des Landgerichts lässt sich zwar inzident darauf schließen, dass es zu einer telefonischen Kontaktaufnahme des Vorsitzenden mit dem Krankenhaus gekommen sein muss, und dass der in der Hauptverhandlung anwesende Sachverständige hierzu befragt wurde. Welchen näheren Inhalt das Gespräch hatte und mit wem genau es geführt wurde, kann den Urteilsgründen ebenso wenig entnommen werden wie der Inhalt der Stellungnahme des Sachverständigen. Ein Rückgriff auf das Hauptverhandlungsprotokoll oder die Akten ist dem Senat verwehrt. Er kann daher nicht beurteilen, ob die Kammer zurecht angenommen hat, dass der Angeklagte nicht entschuldigt ist, weil ihm ein Erscheinen zur Hauptverhandlung zumutbar war.
11
Zwar rechtfertigt ein Verstoß gegen die Pflicht des Berufungsgerichts, das Entschuldigungsvorbringen lückenlos darzustellen und umfassend zu würdigen, die Aufhebung eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO dann nicht, wenn das angefochtene Urteil nicht auf diesem Fehler beruht, wovon insbesondere dann auszugehen ist, wenn das übergangene Vorbringen des Angeklagten ganz offensichtlich ungeeignet wäre, das Ausbleiben zu entschuldigen (vgl. BayObLG, Beschlüsse vom 18.02.2020, 207 StRR 56/20, n. v., sowie vom 12.02.2001, 2 St RR 17/2001, zitiert nach juris, dort Rdn. 9ff.; Urteil vom 24.03.1999, 5 St RR 245/98, zitiert nach juris, dort Rdn. 10ff.). Im Hinblick auf das Revisionsvorbringen des Angeklagten, die medikamentöse Behandlung sei dringlich gewesen und hätte stationär erfolgen müssen, so dass dem Angeklagten ein Erscheinen zur Hauptverhandlung nicht zumutbar gewesen sei, kann hiervon jedoch vorliegend nicht ausgegangen werden.
12
2. Daher ist das angefochtene Urteil gemäß §§ 353 Abs. 2, 354 Abs. 2 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und das Verfahren an eine andere Strafkammer des Landgerichts Augsburg zurückzuverweisen.