Titel:
Vorenthalten von Arbeitsentgelt bei einer Scheingesellschaft
Normenketten:
StGB § 266a
HGB § 105
Leitsätze:
1. Persönlich haftende Gesellschafter rechtsfähiger Personengesellschaften sind als solche grundsätzlich keine Beschäftigten i.S.d. § 7 SGB IV. (Rn. 10)
2. Zur Frage, wann der geschäftsführende Gesellschafter einer OHG zugleich auch Arbeitgeber der übrigen Gesellschafter der OHG sein kann und diese demnach seine Arbeitnehmer sind (im Fall verneint). (Rn. 11 – 45)
1. Fluktuation im Gesellschafterbestand stellt weder die Gesellschaft noch die Qualifikation ihrer Gesellschafter eben als Gesellschafter in Frage. Daher ist eine Fluktuation allenfalls ein schwaches Indiz für eine Scheingesellschaft. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei pflichtwidrig unterlassenem Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen ist vorsätzliches Handeln nur dann anzunehmen, wenn der Täter auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts – zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre – nachvollzogen hat, er also seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen hat. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Scheingesellschaft, Personengesellschaft, Wechsel der Gesellschafter, Gewinnbeteiligung, Sozialversicherungsbeiträge
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 08.11.2024 – Ws 389/24
Fundstellen:
NWB 2025, 19
LSK 2024, 5731
BeckRS 2024, 5731
Tenor
I. Die Eröffnung des Hauptverfahrens wird aus Rechtsgründen abgelehnt.
II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
1
Die Staatsanwaltschaft N.-F. legt mit ihrer Anklageschrift vom 15. September 2023 dem Angeschuldigten das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 53 Fällen und 37 Fälle des Betrugs zu Lasten der BG Bau und der S.-Bau im Zeitraum Januar 2017 bis Dezember 2020 zur Last. Dem liegt auf der Grundlage der durchgeführten und in der Akte dokumentierten Ermittlungen folgendes tatsächliche Geschehen zugrunde:
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Der Angeschuldigte habe zusammen mit weiteren Personen am 16. Oktober 2011 die … GbR gegründet. Auf der Gesellschafterversammlung vom 14. April 2013 hätten die Gesellschafter beschlossen, die GbR in die Rechtsform einer OHG zu überführen, um weitere Gesellschafter aufnehmen und in größerem Umfang als bislang am Markt tätig sein zu können. Geschäftsgegenstand der nun als P OHG firmierenden Gesellschaft sei die Erbringung von Bauleistungen (Hochbau, Maurer- und Betonarbeiten) gewesen. Am 1. Mai 2013 sei die OHG ins Handelsregister eingetragen worden. Später habe die P OHG ihren Sitz in den Landkreis X verlegt. Am 6. Juli 2022 sei im Handelsregister des Amtsgerichts Fürth die Löschung der OHG eingetragen worden.
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Die Anklage wertet die ermittelten tatsächlichen Verhältnisse innerhalb der P OHG so, dass es sich bei der von dem Angeschuldigten und den übrigen Gesellschaftern – allesamt rumänische Staatsangehörige – betriebenen OHG um eine Scheingesellschaft gehandelt habe, sodass der Angeschuldigte materiell als Arbeitgeber anzusehen und die weiteren Gesellschafter als seine Arbeitnehmer einzustufen seien. Dies ergäbe sich zum einen daraus, dass der Angeschuldigte zahlreiche organisatorische Aufgaben der Gesellschaft wahrgenommen habe und damit als „Inhaber“ beziehungsweise als „geschäftsführender Gesellschafter“ fungiert habe. So habe er Handelsregisteranmeldungen vorgenommen, Gewerbeanmeldungen für die einzelnen Gesellschafter organisiert, sei als Inhaber und geschäftsführender Gesellschafter aufgetreten, sei Ansprechpartner für die Steuerberaterin der Gesellschaft gewesen und habe Aufträge kalkuliert. Zugang zu dem Geschäftskonto wie auch zu den Unterlagen der Gesellschaft habe nur der Angeschuldigte gehabt. Die Wohnsituation des Angeschuldigten und seiner Familie sei besser gewesen als die der übrigen Gesellschafter. Für den Angeschuldigten, der auch als „Chef“ bezeichnet worden sei, seien auch Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt worden. Die anderen Gesellschafter seien demgegenüber zur Sozialversicherung nicht angemeldet, Sozialversicherungsbeiträge seien für sie nicht abgeführt worden. Weiterhin sei von einer Scheingesellschaft auch deshalb auszugehen, weil seit Gründung der Gesellschaft im Jahr 2013 eine hohe Fluktuation von Gesellschaftern vorgelegen habe und der Angeschuldigte seitdem der einzige in der Gesellschaft verbliebene Gesellschafter gewesen sei, der auch überproportional vom Erfolg des Unternehmens profitiert habe. Weder die Eintragungen noch die Löschungen der jeweiligen ein- und austretenden Gesellschafter im Handelsregister seien vollständig gewesen. Die Gesellschafter hätten keine oder nur rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache gehabt und auch keine Einlagen für die Gesellschaft geleistet. Auch seien keine Abfindungen beim Ausscheiden der weiteren Gesellschafter aus der Gesellschaft an sie ausbezahlt worden. Weiterhin seien keine Ladungen zu Gesellschafterversammlungen erfolgt, die Gesellschafter hätten keinerlei Unternehmerinitiative gezeigt und keine konkreten Vorstellungen von ihren Rechten und Pflichten gehabt. Auch sei bei einzelnen Gesellschaftern eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erfolgt, zudem hätten die Gesellschafter Arbeitsaufzeichnungen beim Angeschuldigten abgegeben.
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All das wertet die Anklage in ihrer Gesamtbetrachtung dahin, dass die übrigen Gesellschafter im Rahmen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung (§ 7 SGB IV) beim Angeschuldigten tätig gewesen seien. Wegen ihrer Nichtanmeldung zur Sozialversicherung und der Nichtabführung der Versicherungsbeiträge habe sich der Angeschuldigte gem. § 266a bzw. gem. § 263 StGB strafbar gemacht.
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Nach § 203 StPO beschließt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn der Angeschuldigte nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.
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Hinreichender Tatverdacht ist anzunehmen, wenn die nach Maßgabe des Akteninhalts vorzunehmende vorläufige Tatbewertung ergibt, dass die Verurteilung des Angeschuldigten wahrscheinlich ist. Eine solche Wahrscheinlichkeit besteht, wenn unter erschöpfender Zugrundelegung des Ergebnisses der Ermittlungen und der daran anknüpfenden rechtlichen Erwägungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand bei Einschätzung des mutmaßlichen Ausgangs der Hauptverhandlung mehr für eine Verurteilung als für einen Freispruch spricht. Dabei wird eine an Sicherheit grenzende Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht gefordert. Auch wird nicht die gleiche Wahrscheinlichkeit verlangt wie beim dringenden Tatverdacht nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO. Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeschuldigten muss aber so groß sein, dass es einer Entscheidung durch das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung bedarf, um festzustellen, ob noch bestehende Zweifel gerechtfertigt sind. Für den strafrechtlichen Entscheidungsgrundsatz „in dubio pro reo“ ist bei der Prüfung des hinreichenden Tatverdachts zwar grundsätzlich noch kein Raum, jedoch kann hinreichender Tatverdacht mit der Begründung verneint werden, dass nach Aktenlage bei den gegebenen Beweismöglichkeiten am Ende wahrscheinlich das Gericht nach diesem Grundsatz freisprechen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2019 – StB 17/18, juris Rn. 11; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 3. März 2021 – 12 KLs 504 Js 1658/18, juris Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 203 Rn. 2, jeweils m.w.N.).
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Daran gemessen war das Hauptverfahren gegen den Angeschuldigten aus Rechtsgründen nicht zu eröffnen (§ 204 Abs. 1 StPO), weil der in der Anklage unterbreitete Lebenssachverhalt nach umfassender Wertung durch die Kammer keine Subsumtion unter eine Strafrechtsnorm – hier insbesondere die §§ 263, 266a StGB – ermöglicht.
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1. Der Angeschuldigte handelte objektiv nicht als Arbeitgeber im Sinne des § 266a StGB (bzw. im Hinblick auf die BG und die S.-Bau i.S.d. § 263 StGB), auch war die P OHG nicht als bloße Scheingesellschaft zu qualifizieren. Es liegen keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte dafür vor, die in ihrer wertenden Gesamtschau den Schluss rechtfertigen, dass die OHG nur vorgeschoben wurde, um Sozialversicherungsbeiträge zu ersparen.
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a) Ob eine Person Arbeitgeber ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht (BGH, Beschluss vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18, juris Rn. 24). Das Sozialrecht wiederum stellt für die Beurteilung einer Arbeitgeberstellung auf das zivile Dienstvertragsrecht gem. §§ 611 ff. BGB ab. Demnach ist Arbeitgeber derjenige, der als Dienstberechtigter auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags von einem anderen (Arbeitnehmer) die Erbringung von Arbeitsleistungen in persönlicher Abhängigkeit zu fordern berechtigt und ihm dafür zur Lohnzahlung verpflichtet ist. Die persönliche Abhängigkeit drückt sich dabei vor allem durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb des Arbeitgebers und dessen umfassendes Weisungsrecht aus. Ob ein solches Beschäftigungsverhältnis besteht, bestimmt sich nach den tatsächlich gelebten Gegebenheiten, die in eine Gesamtbetrachtung einzustellen sind (BGH, aaO, juris Rn. 24; BGH, Beschluss vom 23. März 2022 – 1 StR 511/21, juris Rn. 15; Beschluss vom 16. Januar 2019 – 5 StR 249/18, juris Rn. 26, SSW-StGB/Saliger, 6. Aufl. (2024), § 266a Rn. 8 jeweils m.w.N.).
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Geht es – wie vorliegend – um die Beurteilung der besonderen Konstellation, ob es sich bei den Gesellschaftern einer Personengesellschaft tatsächlich um Gesellschafter oder aber um Arbeitnehmer handelt, bedarf es ebenfalls der Bewertung des der Tätigkeit zu Grunde liegenden Vertrages und seiner tatsächlichen Durchführung nach den genannten Kriterien (vgl. LAG Hessen, Urteil vom 14. Juni 2019 – 10 Sa 7/19 SK, juris Rn. 63 ff.; Riediger/Schilling in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, WirtschaftsStrafR-Hdb, 5. Aufl. (2020), Kap. 20 Rn. 122a; SSW-StGB/Saliger, 6. Aufl. (2024), § 266a Rn. 9). Maßgeblich ist die gelebte Vertragspraxis und nicht der formell geschlossene Vertrag. Dabei ist im Blick zu behalten, dass persönlich haftende Gesellschafter rechtsfähiger Personengesellschaften – also die von der Anklage als Arbeitnehmer gewerteten Gesellschafter der P OHG – als solche grundsätzlich keine Beschäftigten sind (vgl. ErfK/Rolfs, 24. Aufl. (2024), § 7 SGB IV Rn. 19 m.w.N.) und somit in dieser Funktion nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen.
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b) Ausgehend hiervon und unter Würdigung der ermittelten Umstände ist die Kammer nicht überzeugt, dass die Gesellschafter der P OHG in Wirklichkeit abhängig Beschäftigte des Angeschuldigten waren. Sie unterlagen nicht dem Weisungsrecht des Angeschuldigten, sondern waren im Wesentlichen gleichberechtigte Gesellschafter der OHG (aa), die ihre Tätigkeit auf Grundlage des Gesellschaftsvertrages erbrachten (bb) und genauso wie der Angeschuldigte ein eigenes unternehmerisches Risiko trugen (cc). Im Rahmen der durchzuführenden Gesamtbetrachtung und -bewertung sprach daher mehr für das Vorliegen einer „echten“ Gesellschaft als eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses zum Angeschuldigten (dd).
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aa) Die übrigen Gesellschafter waren Gesellschafter und sahen sich selbst als Gesellschafter der P OHG, verhielten sich wie Gesellschafter und erbrachten ihre Dienste letztlich auch als solche.
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(1) Gesellschafter einer Personengesellschaft ist, wer sich mit anderen Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes zusammengeschlossen hat. Bei der offenen Handelsgesellschaft im Sinne der §§ 105 ff. HGB muss der gemeinsame Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes ausgerichtet sein. Ein Handelsgewerbe stellt dabei jede selbstständige, planmäßig auf eine gewisse Dauer angelegte, nach außen gerichtete, nicht freiberufliche Tätigkeit in Gewinnerzielungsabsicht dar, die einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (§ 105, § 1 Abs. 2 HGB). Ausgehend hiervon handelte es sich bei den vernommenen Zeugen um Gesellschafter der P OHG.
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Nach Aussage aller im Ermittlungsverfahren vernommenen Gesellschafter gab es wiederkehrende Gesellschafterversammlungen, die mindestens einmal im Monat stattfanden und an denen sie alle tatsächlich teilnahmen. Im Rahmen der Versammlungen wurde nach den Angaben der beiden Zeugen Bu und Bi, des Zeugen J, des Zeugen M und des Zeugen T über das Geschäft und Geschick der Gesellschaft entschieden. Die Gesellschafter hatten bei der Auswahl der Aufträge, bei der Gewinnverteilung und auch bei der Bildung einer Rücklage oder bei einer Anschaffung Stimmrecht. Dieses bestand nicht nur pro forma, sondern wurde auch tatsächlich im Rahmen der regelmäßig durchgeführten Gesellschafterversammlungen von diesen ausgeübt. Die Abstimmungen erfolgten in Übereinstimmung mit § 6 Abs. 1, 4 des Gesellschaftsvertrages, wonach jeder Gesellschafter eine Stimme hatte und für die Wirksamkeit des Beschlusses die einfache Mehrheit ausreichend war, soweit Gesetz oder Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmten. Hinsichtlich des Ablaufs und des Inhalts der Gesellschafterversammlungen decken sich die Aussagen der vernommenen Zeugen auch mit den sichergestellten Protokollen dieser Gesellschafterversammlungen. Die Aussage des Zeugen A, eines Auftraggebers der P OHG, bestätigte, dass der Angeschuldigte Aufträge nicht einfach selbst annahm, sondern dass er die übrigen Gesellschafter mit eingebunden hat und hierüber auch im Rahmen der Gesellschafterversammlungen von allen anwesenden Gesellschaftern entschieden wurde. Weiter gab der Zeuge an, dass der Angeschuldigte bei Vertragsverhandlungen äußerte, die Unterlagen erst mit seinen „Kollegen prüfen und besprechen zu müssen“.
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Letztlich gab keiner der befragten Zeugen an, dass der Angeschuldigte im Rahmen der regelmäßigen Gesellschafterversammlungen – entgegen dem Gesellschaftsvertrag – eine die Willensbildung der Übrigen dominierende Rolle oder das „letzte Wort“ bei der Entscheidung über neue Aufträge gehabt hätte. Vielmehr kam jedem Gesellschafter das gleiche Stimmrecht wie den anderen zu. Es gibt mithin keinen Beleg dafür, dass es ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen dem Angeschuldigten und den weiteren Gesellschaftern gab, vielmehr standen alle gleichberechtigt auf einer Stufe und am Ende war die Mehrheitsentscheidung ausschlaggebend.
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(2) Ein Über-/Unterordnungsverhältnis und eine darauf begründete Arbeitgeberstellung des Angeschuldigten folgt ebenso wenig daraus, dass er im Übrigen eine besonders hervorgehobene Stellung gehabt und er sich deshalb faktisch als „Kopf der Gesellschaft“ geriert hätte. Selbst das Auftreten als ein von den Gesellschaftern bestimmter Sprecher oder Verhandlungsleiter bedingt dies gerade nicht ohne Weiteres (vgl. Riediger/Schilling in Wabnitz/Janovsky/Schmitt, WirtschaftsStrafR-Hdb, 5. Aufl. (2020), Kap. 20 Rn. 122a).
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Eine besonders hervorgehobene Stellung kann insbesondere nicht daraus abgeleitet werden, dass der Angeschuldigte im Gegensatz zu den anderen Gesellschaftern besondere Aufgaben wahrgenommen hat, wie etwa das Einteilen der Arbeiten auf den Baustellen, die Vornahme von Handelsregisteranmeldungen, oder dass er Behördengänge erledigte und für Dritte Ansprechpartner der Gesellschaft war, auf dem Briefkopf der Gesellschaft als „Geschäftsführer“ bezeichnet wurde, bei den Gewerbeanmeldungen der Mitgesellschafter übersetzt und unterstützt hat und von den Gesellschaftern teilweise auch als „Chef“ bezeichnet wurde. Denn bei all diesen Tätigkeiten handelt es sich um solche Handlungen, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Gesellschaft mit sich bringt und für welche laut § 5 des Gesellschaftsvertrags grundsätzlich alle Gesellschafter zur Einzelgeschäftsführung befugt waren. So hieß es in Abs. 1 der genannten Bestimmung:
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Zur Geschäftsführung ist jeder Gesellschafter einzeln berechtigt und verpflichtet, jedoch steht die Geschäftsführungsbefugnis im fachlich technischen Bereich allein dem Betriebsleiter, Herrn … zu. Die Befugnis zur Geschäftsführung erstreckt sich auf alle Handlungen, die der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Gesellschaft mit sich bringt. Zur Vornahme von Handlungen, die darüber hinausgehen, ist der Beschluss aller Gesellschafter erforderlich … Die Aufgabenwahrnehmung des Angeschuldigten stand also nicht im Widerspruch zum Gesellschaftsvertrag. Es mag zwar sein, dass der Angeschuldigte hier Aufgaben – auch sofern andere Gesellschafter betroffen waren – allein übernommen hatte und die anderen Gesellschafter aus welchen Gründen auch immer etwa Behördengänge, Anmeldungen und dergleichen nicht selbst vornahmen, sondern dass dies durch den Angeschuldigten für sie erledigt wurde. Es handelt sich dabei aber um ein auch in völlig „unverdächtigen“ gesellschaftsrechtlichen Konstellationen anzutreffendes Phänomen, dass es unter den verschiedenen beteiligten Personen faktisch zu einer Arbeits- oder Aufgabenteilung kommt, was allein schon aus Gründen der Ordnung und zur Vermeidung eines unkoordinierten Durcheinanders geschieht. Der Befund, dass die gesellschaftsbezogenen Aufgaben verteilt wahrgenommen wurden und dass der Angeschuldigte hier vornehmlich im eher organisatorisch-administrativen Bereich tätig war, lässt jedoch nicht den Rückschluss auf seine Arbeitgeberstellung zu und darauf, dass die anderen Gesellschafter von ihm persönlich abhängig gewesen sein sollen. Vielmehr liegt es, wie ausgeführt, auch im Rahmen jeder größeren Personengesellschaft nahe, dass sich nur ein oder einige wenige Gesellschafter hervortun und bestimmte Aufgaben übernehmen, so etwa, indem er oder sie die Durchführung der Arbeiten koordinieren und auch diese einteilen, damit insgesamt eine erfolgreiche Bearbeitung der übernommenen Aufträge gewährleistet ist und der Geschäftsbetrieb reibungslos läuft. Gleiches gilt hinsichtlich der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben und beispielsweise der Kommunikation mit der Steuerberaterin. Dass es wesentlich effektiver und geordneter erfolgen kann, wenn sich darum eine Person kümmert als alle Gesellschafter gemeinschaftlich oder jeder unkoordiniert für sich, liegt auf der Hand. Im Übrigen war die Rollenverteilung auch der Tatsache geschuldet, dass der Angeschuldigte im Gegensatz zu den anderen Gesellschaftern Deutsch sprach. Weiterhin ist auch zu berücksichtigen, dass der Angeschuldigte nach den Aussagen der Zeugen auf den Baustellen selbst mitgearbeitet hat und sich damit seine Tätigkeit vor Ort nicht nur auf die Einteilung, Anweisung und Überwachung der Arbeiten für die anderen Gesellschafter beschränkt hat (quasi als „Chef“), sondern er sich – wie die anderen Gesellschafter auch – in die konkrete Tätigkeit am Bau eingereiht hat.
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(3) Soweit die Anklage die Tatsache, dass die übrigen Gesellschafter keine Deutschkenntnisse hatten, als Argument für die Annahme einer Scheingesellschaft heranzieht, rechtfertigt auch dies keine andere Beurteilung. Für die interne Willensbildung und die Durchführung der Gesellschafterversammlungen und die in diesem Rahmen erfolgten Abstimmungen bedurfte es ohnehin keiner Deutschkenntnisse, da diese in Rumänisch abgehalten wurden. Aus der von der Staatsanwaltschaft angeführten Entscheidung des BGH vom 7. Oktober 2009 (1 StR 478/09 = NStZ 2010, 337) folgt nichts Anderes. Dort ging es um Scheinselbstständige, bei denen die mangelnden Sprachkenntnisse einer freien Betätigung auf dem Markt als Einzelunternehmer entgegenstanden. Vorliegend geht es jedoch um die Frage, ob die fehlenden Sprachkenntnisse einer Betätigung als Gesellschafter und einer Förderung des gesellschaftlichen Zweckes entgegenstanden, was aus den dargelegten Gründen nicht der Fall war. Über wesentliche Entscheidungen für die Gesellschaft – wie die Annahme von Aufträgen oder die Verteilung des Gewinns – bestimmte nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen vielmehr zu jedem Zeitpunkt die Gesamtheit der Gesellschafter. Der Angeschuldigte hat die Gesellschafter nicht ohne deren Zustimmung zu irgendetwas angewiesen.
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(4) Die Verteilung des Gewinns unter den Gesellschaftern weckt keine Bedenken gegen die Annahme einer „echten“ und nicht nur einer Scheingesellschaft. Zur Verteilung von Gewinn und Verlust enthielt § 10 des Gesellschaftsvertrags folgende Regelung:
„§ 10 Verteilung von Gewinn und Verlust
(1) Jeder Gesellschafter erhält für seine Tätigkeit eine angemessene Vergütung, deren Höhe von der Gesellschafterversammlung festgesetzt und deren Umfang der Tätigkeit entsprechend angepasst wird.“
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(2) An dem danach verbleibendem Gewinn und Verlust sind die Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligung am Gesellschaftsvermögen gem. § 4 beteiligt.
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Die Beteiligung des Angeschuldigten am Gesellschaftsvermögen war, soweit dies der Akte entnommen werden kann, von Anfang an höher als die der übrigen Gesellschafter mit Ausnahme des bereits zum Ende 2013 wieder ausgeschiedenen Zeugen C. So hielt der Angeschuldigte bei Gründung der OHG einen Anteil von 150 € (von 1.500 € des Stammkapitals, also 10%), während die übrigen jeweils nur Anteile von 100 € (von 1.500 €, also 6,66%) hielten. C als Bauingenieur und technischer Leiter der OHG (vgl. zu seiner herausgehobenen Rolle auch § 5 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags) hielt in der kurzen Zeit seiner Mitgliedschaft einen Anteil von 450 €. Wie sich die Verteilung der Gesellschaftsanteile dann im Laufe der Zeit mit den Aufnahmen neuer und den Austritten bisheriger Gesellschafter genau entwickelte, ist nicht ermittelt. Es spricht jedoch nichts dafür, dass der Angeschuldigte sich mit den jeweiligen übrigen Gesellschaftern anteilsmäßig gleichgestellt hätte. Damit lag es von Anfang an in der gegebenen Verteilung der Gesellschaftsanteile, dass der Angeschuldigte gem. § 10 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags bei der Verteilung des Gewinns mehr bekommen sollte als die übrigen Gesellschafter.
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Soweit die Staatsanwaltschaft darüber hinaus eine übergeordnete Stellung des Angeschuldigten darauf stützen will, dass der Angeschuldigte „grundsätzlich bis zu 30% des Unternehmensgewinns“ erhalten habe, während die anderen „Scheingesellschafter“ lediglich 4% zugewiesen bekommen hätten, gibt das die Aktenlage so nicht her. Diese Behauptung kann sich lediglich auf ein Protokoll einer Gesellschafterversammlung vom 1. Februar 2021 stützen (BWA I Band 3 Bl. 231), in welchem aufgeführt wird:
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Der Manager erhält einen Prozentsatz von 0-30% und einige Gesellschafter abhängig von ihrem Einsatz in der OHG einen Prozentsatz von 0-4%.
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Tatsächlich haben die Zeugen Bu, J, M und N diesbezüglich jedoch ausgesagt, dass der Angeschuldigte lediglich „etwas mehr bekomme“, wobei in diesem Zusammenhang von den Zeugen J und T konkret 5% genannt wurden. Dies deckt sich auch mit den weiteren vorliegenden Protokollen der Gesellschafterversammlungen, beispielsweise vom 16. Mai 2021 (Angeschuldigter 16%, übrige Gesellschafter 10,4%), vom 14. Juni 2021 (Angeschuldigter 19%, übrige Gesellschafter 13,2%) und vom 5. Juli 2021 (Angeschuldigter 18,60%, übrige Gesellschafter 11,60%). Bezüglich der etwas höher liegenden Gewinnbeteiligung des Angeschuldigten hat der Zeuge N angegeben, dass dies daraus resultierte, dass er für die Einholung von Aufträgen zuständig gewesen sei und sich um die Verwaltung der Gesellschaft sowie etwaige Behördengänge gekümmert habe. Dass der Angeschuldigte diese Aufgaben tatsächlich wahrgenommen hat, ergaben die durchgeführten Ermittlungen. Im Übrigen liegen die von den Protokollen bezeugten prozentualen Verhältnisse durchaus im Rahmen der möglichen Verteilung der Gesellschaftsanteile zu diesem jeweiligen Zeitpunkt.
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Auch unter Berücksichtigung der dem Angeschuldigten im Zeitraum von 29. Mai 2018 bis 29. Januar 2020 aus dem Gesellschaftsvermögen bezahlten Beiträge zur Rentenversicherung in Höhe von monatlich rund 290 € ergibt sich keine wesentliche Erhöhung der Gewinnbeteiligung des Angeschuldigten. In den oben beispielhaft genannten Fällen erfolgte allenfalls eine Erhöhung des Anteils des Angeschuldigten in Höhe von 1,86% bis 2,93%.
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Dass der Angeschuldigte tatsächlich nicht wesentlich mehr Gewinn als die übrigen Gesellschafter erhielt, bestätigten zudem die Steuerbescheide zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung der P OHG für die Jahre 2017 bis 2020. Zeitweise wurde der Angeschuldigte gar nicht in erhöhtem Maße am Gewinn beteiligt. So zeigen die Protokolle vom 3. März 2019 bis 13. Februar 2020, dass für die Zeiträume, die Gegenstand dieser Versammlungen waren, sowie für die erste Augusthälfte des Jahres 2021 (Protokoll vom 12. August 2021) dem Angeschuldigten und den übrigen Mitgesellschaftern der gleiche Gewinn ausbezahlt wurde.
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Anhaltspunkte dafür, dass neben der festgestellten Gewinnausschüttung auf Grundlage von § 10 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages der Angeschuldigte auch noch eine weitere Entlohnung gem. § 10 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages erhalten habe – was für ein neben der Gesellschaftsmitgliedschaft bestehendes Arbeits- oder Dienstverhältnis (vgl. dazu Zieglmeier in BeckOGK, SGB IV, 15.11.2023, § 7, Rn. 148 ff.) sprechen könnte –, sind nicht ersichtlich.
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(5) So bleibt im Ergebnis festzuhalten, dass der Angeschuldigte im Verhältnis zu den anderen Gesellschaftern gerade keine besonderes überragende Stellung hatte und diesen auch keine Weisungen erteilte, die die Annahme ihrer persönlichen Abhängigkeit rechtfertigen würden.
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bb) Gegen eine Arbeitgeberstellung des Angeschuldigten spricht ferner, dass Grundlage der Arbeitsleistungen und Tätigkeiten der Gesellschafter der Gesellschaftsvertrag war. § 8 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrags vom 14. April 2013 regelte, dass alle Gesellschafter sich verpflichten, „dem Unternehmen ihre volle Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen“, wodurch gleichzeitig festgelegt wurde, dass der Beitrag der Gesellschafter durch die Erbringung von Diensten zu erfolgen hatte, was gem. § 105 Abs. 3 HGB i.V.m. § 706 Abs. 3 BGB a.F. ohne weiteres möglich war.
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Erfolgt die Leistung der Beiträge – konkret die Tätigkeit eines jeden Gesellschafter auf einer Baustelle zum Erwirtschaften des später zu verteilenden Werklohns – auf dieser Grundlage, so begründet das kein Arbeitsverhältnis und unterliegt damit auch nicht der Sozialversicherungspflicht (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1980 – II ZR 255/78, juris Rn. 11 ff.; BSG, Urteil vom 26. Mai 1966 – 2 RU 178/64, juris Rn. 15 ff.; Zieglmeier in BeckOGK, SGB IV, 15.11.2023, § 7, Rn. 153). Vertragspartner eines jeden zur Erbringung der Beiträge verpflichteten Gesellschafters sind in diesem Fall die anderen Gesellschafter und gerade nicht nur der Angeschuldigte als Einzelperson.
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Dass es sich bei den Tätigkeiten der Gesellschafter auf Baustellen jeweils um eine Betätigung auf gesellschaftsrechtlicher Ebene handelte, wird auch dadurch belegt, dass eine Entlohnung der Tätigkeiten nach festen Stundensätzen oder sonstigen fixen Parametern unter Berücksichtigung des Wertes der erbrachten Leistungen, wie es beim Arbeitsverhältnis aber üblich ist, gerade nicht erfolgte. Vorliegend erlangten die Gesellschafter vielmehr durch das Leisten ihrer jeweiligen Beiträge einen Anspruch auf Teilhabe am Gewinn (s.o.), welcher gemäß der Regelung in § 10 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages verteilt wurde. Eine dieser gesellschaftsvertraglichen Regelung entsprechende Gewinnverteilung haben die vernommenen Zeugen Bu, Bi, J, M, N, T bestätigt. Wie oben ausgeführt, wurde eine Vergütung im Sinne des § 10 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages entsprechend dem Umfang der jeweiligen Tätigkeit nach dem Ergebnis der Ermittlungen hingegen tatsächlich nicht ausbezahlt.
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cc) Gegen das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses spricht auch, dass die Gesellschafter ein eigenes unternehmerisches Risiko trugen.
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(1) Zwar hat sich der Angeschuldigte um die Einholung neuer Auftragsangebote gekümmert. Allerdings lag es allein in den Händen der Gesellschafter, über die Annahme des vom Angeklagten eingeholten Angebots zu entscheiden und dann in dessen Ausführung den Werklohn für die Gesellschaft zu erwirtschaften, da dieser nur bei erfolgreicher Herstellung des geschuldeten Werkes von den Auftraggebern, den Baufirmen F, B und A an die OHG gezahlt wurde. Nur in diesem Fall ergab sich auch ein zu verteilender Gewinn an die Gesellschafter. Hätten die Gesellschafter also in einer Gesellschaftsversammlung die Ausführung eines möglichen Auftrags abgelehnt oder in dessen Ausführung mangelhaft geleistet oder gar keine Leistungen erbracht, wären auch keinerlei Zahlungen der Auftraggeber erfolgt und hätte die Gesellschaft keinen verteilbaren Gewinn erwirtschaftet. Die Gesellschafter trugen somit das volle Risiko für ihr Handeln auf der Baustelle – sowohl für ihr eigenes als auch dasjenige der Mitgesellschafter.
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(2) Gegen das Vorhandensein eines unternehmerischen Risikos sprechen auch nicht die Angaben des Ermittlungsbeamten Bo im Vermerk vom 22. April 2021, wonach die P OHG mit dem Vertragspartner ausgehandelt haben soll, dass dieser 2,5% der Auftragssumme einbehalte und deshalb die Gewährleistung ausgeschlossen sei. Diese Behauptung ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Aus den mit der A GmbH abgeschlossenen Werkverträgen ergibt sich eine solche Regelung nicht. Selbiges gilt für die Verträge mit der Fa. F und der Fa. B. Im Übrigen spräche eine Beschränkung des Gewährleistungsrisikos nicht durchgreifend gegen die Annahme, die Gesellschafter hätten hier ihr Unternehmerrisiko getragen – denn das Risiko einer Verlängerung oder Verteuerung der Leistungsphase (mit der Folge der Minderung des Gewinns) wäre damit gerade nicht ausgeschlossen.
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(3) Unschädlich ist, dass die anderen Gesellschafter die Auftragskalkulation nicht gekannt haben sollen, da es bei den durchführten Aufträgen im Wesentlichen nur um den Einsatz ihrer Arbeitskraft ging.
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Aus den Verträgen der P OHG mit der A GmbH ergibt sich nämlich, dass diese der P OHG sämtliche Materialien und Hilfsmaterialen zur Verfügung gestellt hat. Folglich bedurfte es für die mit der A GmbH abgeschlossenen Verträge schon keiner detaillierten Kalkulation von Einheitspreisen. Ausreichend war für die Gesellschafter, den Umfang des Auftrags und die hierfür veranschlagte Vergütung zu kennen, um ausgehend hiervon beurteilen zu können, welcher (Zeit) aufwand zur Durchführung erforderlich war. Beides ergab sich aus den von der A GmbH der P OHG zur Verfügung gestellten Unterlagen, die im Rahmen der Gesellschafterversammlungen gemeinschaftlich besprochen wurden.
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Weil es gegenüber dem Auftraggeber letztlich nur um den Einsatz ihrer Arbeitskraft ging, hatten es die Gesellschafter auch selbst in der Hand, zu beurteilen und selbst dafür zu sorgen, wie rentabel ein Auftrag letzten Endes war. Denn je effektiver und schneller sie die Leistungen vor Ort erbrachten und abschlossen, desto mehr Aufträge konnten sie annehmen und desto mehr Gewinn erwirtschaften. Hierauf konnten sie unmittelbar Einfluss nehmen. Umgekehrt hatten die Gesellschafter aber auch das Risiko, dass sie den Aufwand bei der Übernahme eines Auftrages falsch einschätzten und sie am Ende wesentlich mehr Arbeitszeit aufwenden mussten als gedacht, mit der Konsequenz, dass sich das Verhältnis von Aufwand und Ertrag verschlechterte.
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Aus den sichergestellten Unterlagen zur Auftraggeberin F lassen sich keine Feststellungen dahingehend treffen, wie die jeweiligen Auftragsverhältnisse rechtlich und tatsächlich ausgestaltet waren. Dort lagen nur zwei Leistungsverzeichnisse vor, die aber nicht von der P OHG erstellt wurden, sondern von der Fa. F. Welche Leistungen die P OHG, die diesbezüglich als Nachunternehmerin eingesetzt wurde, tatsächlich erbringen musste, ist daraus nicht ersichtlich. Jedenfalls lässt dieser Befund einen Rückschluss auf die Verteilung des Unternehmerrisikos nicht zu. Entsprechendes gilt auch für die Aufträge der Fa. B.
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(4) Soweit die Anklage im Zusammenhang mit dem Fehlen eines unternehmerischen Risikos vorbringt, dass durch die Gesellschafter keinerlei Einlagen geleistet wurden, scheint dies auf einem Missverständnis zu beruhen. Nach dem hier maßgeblichen § 706 BGB a.F. (i.V.m. § 105 Abs. 3 HGB) haben die Gesellschafter für die Gesellschaft Beiträge zu leisten (Abs. 1), wobei diese auch in der Leistung von Diensten bestehen können (Abs. 3). Beiträge heißen die zur Förderung des Gesellschaftszwecks zu erbringenden Leistungen, Einlagen heißen diese Leistungen, wenn sie bewirkt worden sind (BGH, Urteil vom 26. November 1979 – II ZR 87/79, juris Rn. 4). Bringt ein Bauhandwerker den produktiven Teil seines Werktages damit zu, auf einer Baustelle zu arbeiten und leistet er dabei zugleich seinen Beitrag zur Förderung des Gesellschaftszwecks, trägt er aus den oben genannten Gründen selbstverständlich ein unternehmerisches Risiko. Denn erwirtschaftet er auf der Grundlage dieses Zeit- und Arbeitseinsatzes kein auskömmliches Einkommen, geht das zu seinen Lasten – anders als bei einem Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf Lohnzahlung gegenüber seinem Arbeitgeber unabhängig davon besteht, ob der von letzterem akquirierte Auftrag sich als lukrativ erweist oder nicht. Dieses Unternehmerrisiko war im Fall der Gesellschafter der P OHG umso größer, als sie damit schlechter standen als Gesellschafter, die allein Geld- oder Sacheinlagen einbringen, denn die eingebrachten Arbeitsleistungen wurden ihnen beim Ausscheiden aus der OHG nicht ersetzt (vgl. § 733 Abs. 2 Satz 3 BGB a.F. einerseits und § 733 Abs. 2 Satz 1, 2 BGB a.F. andererseits [jetzt § 736d Abs. 5 BGB]).
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Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass die Gesellschafter neben ihrer Arbeitszeit und Arbeitskraft keine Sacheinlagen geleistet hätten. Im Gegenteil erbrachte die überwiegende Zahl der Gesellschafter auch eine finanzielle Einlage für die Gesellschaft. Soweit es nämlich erforderlich war, Anschaffungen zu tätigen, wurden die Kosten hierfür auf alle Gesellschafter zu gleichen Teilen verlagert. Erst im Anschluss hieran wurde aus dem verbleibenden Vermögen der Gewinn gleichmäßig verteilt. Die Gesellschafter wirkten somit auch an der Bildung eines Gesellschaftsvermögens mit, welches im Wesentlichen aus Werkzeugen sowie einem Firmenfahrzeug bestand. Selbst der Zeuge N gab an, sich finanziell zumindest an einem Ölwechsel für das Firmenfahrzeug beteiligt zu haben.
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Dass sodann bei Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gesellschaft keine weitere Auseinandersetzung und Abfindung mehr erfolgte, war der Tatsache geschuldet, dass der im Wesentlichen durch den Einsatz der Arbeitszeit und Arbeitskraft der Gesellschafter erwirtschaftete Gewinn jeweils alsbald und regelmäßig an die Gesellschafter verteilt wurde. Hierfür gab es, wie ausgeführt, keinen weiteren Ausgleich. Materielles Gesellschaftsvermögen neben den Werkzeugen und dem Fahrzeug, die aber für den Fortbestand und die weitere Leistungsfähigkeit der OHG weiterhin benötigt wurden, wurde ohnehin nicht aufgebaut, sodass auch im Falle der Auseinandersetzung mit einem ausscheidenden Gesellschafter nicht viel zu verteilen gewesen wäre und diese Verteilung auch mit Blick auf die verbleibende Gesellschaft nicht opportun war. Für die Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen eines unternehmerischen Risikos folgt daraus daher kein relevanter Punkt zugunsten der Anklage.
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(5) Der Annahme eines unternehmerischen Risikos steht auch nicht entgegen, dass den Gesellschaftern teilweise nicht in vollem Umfang klar gewesen sein mag, dass sie persönlich und unbeschränkt im Sinne des § 128 HGB a.F. haften. Bestimmt eine Person über das Geschick der Gesellschaft und lässt sich Gewinne der Gesellschaft auszahlen, dann muss sie auch als Kehrseite dieser beiden Rechte als Gesellschafter für Verbindlichkeiten bzw. Verluste haften. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob oder in welchem Umfang diese Haftung den Geselleschaftern bekannt war oder nicht. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die fehlende Kenntnis der Gesellschafter von ihrer persönlichen Haftung ein Indiz für die Annahme einer Scheingesellschaft darstellen könnte. Sie misst ihm aber in der hier anzustellenden Gesamtabwägung nur geringes Gewicht bei, denn es war für jeden Gesellschafter augenscheinlich, dass es in der von ihnen gewählten gesellschaftsrechtlichen Einbettung keine Sicherung durch einen zwischengeschalteten Arbeitgeber gab. Im Übrigen war den vernommenen Zeugen Bu, Bi und dem Zeugen J die persönliche Haftung durchaus bewusst.
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(6) Die Aussage des Zeugen T rechtfertigt keine andere Beurteilung des unternehmerischen Risikos. Zwar hat der Zeuge angegeben, dass er trotz seiner Krankschreibung weiterhin seinen „Anteil“ bekommen hat. Das steht der Annahme des durch die gesellschafsrechtliche Verbundenheit der Gesellschafter kollektivierten und mediatisierten unternehmerischen Risikos nicht entgegen. Die Zahlung stellte sich gerade nicht als (arbeitnehmermäßige) Lohnfortzahlung im Krankheitsfall dar, sondern als gem. § 10 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages geschuldete Ausschüttung des Anteils des Gesellschafters. So meinte auch der Zeuge, dass es sich bei der Auszahlung nicht um seinen „Lohn“, sondern um seinen „Teil“ am Gewinn handelte. Der Zeuge Bu sagte ebenfalls aus, dass er im Falle der Erkrankung weiterhin sein „Geld“ bekomme, zugleich aber, dass dann alle anderen die Kosten für ihn tragen würden. Dies zeigt wiederum, dass die anderen seine Arbeitskraft auffangen mussten und auch unter diesem Blickwinkel ein unternehmerisches Risiko für alle Gesellschafter – nicht nur für den Angeschuldigten – bei Ausfall eines anderen bestand.
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dd) Auch die weiteren von der Staatsanwaltschaft angeführten Indizien führen im Rahmen der hier vorgenommenen Gesamtbetrachtung und -bewertung nicht dazu, dass im Ergebnis von einer Arbeitgeberstellung des Angeschuldigten auszugehen wäre. Zwar handelt es sich dabei um Umstände, die grundsätzlich teilweise auch für eine Scheingesellschaft sprechen können. Unter Berücksichtigung der bereits genannten Punkte und deren Gewichtung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung wiegen sie jedoch weniger schwer und führen im Ergebnis nicht dazu, dass eine Scheingesellschaft anzunehmen wäre. Zum Teil handelt es sich bei den Indizien um kleinere formale Verstöße, die in rechtlicher Hinsicht keinerlei Auswirkung auf den Bestand und die Funktionsfähigkeit der OHG hatten. Die wesentlichen Erfordernisse und Funktionen einer Gesellschaft, nämlich die Umsetzung des Mitbestimmungsrechts der Gesellschafter und die damit verbundene gemeinsame Willensbildung, die Verfolgung des gemeinsamen Zwecks durch Abwicklung der Bauaufträge sowie die nach den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben durchzuführende Gewinnverteilung wurden hier umgesetzt.
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(1) Die Tatsache, dass der Angeschuldigte der durchgehend von Anfang bis zum Schluss einzig in der Gesellschaft verbliebene Gründungsgesellschafter war – und die anderen Gesellschafter zwischenzeitlich ausgetreten sind und neue Gesellschafter ihre Gesellschaftsanteile übernommen haben –, rechtfertigt nicht den Rückschluss auf eine Arbeitgeberstellung desselben im Sinne des § 266a StGB. Denn die über die Zeit festzustellende Fluktuation der Gesellschafter wirkte sich nicht auf den rechtlichen Bestand der Gesellschaft aus. Der Gesellschaftsvertrag enthielt in seinen § 11 und § 12 entsprechend § 737 BGB a.F. Fortsetzungsklauseln, welche für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters den Fortbestand der Gesellschaft vorsahen und in der Praxis auch gelebt wurden, denn die OHG bestand über rund zehn Jahre fort und nahm fortwährend mit dem je aktuellen Gesellschafterbestand werbend am Geschäftsverkehr teil.
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Fluktuation im Gesellschafterbestand stellt weder die Gesellschaft noch die Qualifikation ihrer Gesellschafter eben als Gesellschafter in Frage. So hat auch der Bundesgerichtshof für das Personengesellschaftsrecht die Zulässigkeit von Publikumsgesellschaften, die aus einer Vielzahl untereinander persönlich nicht verbundener bis anonymer Gesellschafter bestehen, anerkannt (St.Rspr., vgl. z.B. BGH, Urteil vom 4. Juli 2005 – II ZR 354/03, juris; MüKoBGB/Schäfer, 9. Aufl. (2024), BGB § 714 Rn. 58 m.w.N.). Eine Fluktuation, d.h. die Ein- und Austritte von Gesellschaftern, bilden danach ein allenfalls schwaches Indiz für eine Scheingesellschaft.
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(2) Soweit nach den Ermittlungen neu eingetretene Gesellschafter teilweise entgegen § 106 Abs. 2 HGB a.F. nicht in das Handelsregister eingetragen wurden, lässt dies ebenfalls keinen Rückschluss darauf zu, dass die P OHG ein Scheinkonstrukt war. Denn bei dem Eintragungserfordernis handelt es sich nicht um eine für die Gesellschafterstellung konstitutive, sondern nur um eine deklaratorische oder rechtsbekundende Tatsache (Müther in BeckOK HGB, 40. Ed. 01.07.2023, § 8 Rn. 15). Die (Nicht-)Eintragung spielte für den Bestand der Gesellschaft keine Rolle.
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(3) Gleiches gilt hinsichtlich der ebenfalls als Indiz für eine Scheingesellschaft angeführten fehlenden förmlichen Ladungen zur Gesellschafterversammlung. Hierzu enthielt der OHG-Gesellschaftsvertrag in § 6 folgende Regelungen:
„… (2) Eine Gesellschafterversammlung kann durch jeden Gesellschafter einberufen werden. Sie ist mindestens einmal im Jahr einzuberufen.“
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(3) Zu einer Gesellschafterversammlung ist unter Einhaltung einer Frist von 7 Tagen schriftlich einzuladen. Die Frist beginnt mit der Absendung der Einladung. Tagungsort Tagungszeit und Tagesordnung sind in der Ladung mitzuteilen. Stimmen alle Gesellschafter zu, können Beschlüsse auch außerhalb einer Gesellschafterversammlung mündlich oder schriftlich gefasst werden. Werden die Beschlüsse mündlich gefasst, hat der Gesellschafter, der diese Form der Beschlussfassung angeregt hat, unverzüglich ein Protokoll zu fertigen und den Beteiligten vorzulegen.
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Selbst wenn man annähme, dass die Ladungen nicht schriftlich erfolgten oder die Ladungsfristen laut Gesellschaftsvertrag nicht eingehalten wurden, wurden die Versammlungen ausweislich der jeweiligen Protokolle tatsächlich mit den Gesellschaftern durchgeführt, wobei sich den Protokollen auch keine Beschwerden oder Vorbehalte hinsichtlich nicht eingehaltener Formalien entnehmen ließen. Es ist im Gesellschaftsrecht anerkannt, dass auf die Einhaltung von Formalien und Fristen bei der Beschlussfassung von allen Gesellschaftern verzichtet werden kann; so ist das auch hier in § 6 Abs. 2 Satz 4 des Gesellschaftsvertrags ausdrücklich vermerkt. Nach der tatsächlichen Gestaltung des Zusammenwirkens der Gesellschafter durch tägliche Zusammenarbeit auf einer Baustelle würde die Verteilung schriftlicher Einladungen und die Einhaltung von Fristen eher bürokratisch und lebensfremd anmuten; es handelte sich um eine Gesellschaft von Bauhandwerkern und nicht von Rechtsanwälten. Im Übrigen führen Verfahrensmängel nur dann zur Unwirksamkeit eines Beschlusses, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Zustandekommen durch den Fehler beeinflusst ist (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2012 – II ZR 251/10, juris Rn. 47). Für eine solche Kausalität gibt die Akte nichts her.
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(4) Der Umstand, dass zahlreiche Gesellschafter dem Angeschuldigten notariell beglaubigte Handelsregistervollmachten erteilt und die Eintragungsanmeldung nicht selbst durchgeführt haben sollen, führt nicht dazu, dass die Gesellschafterstellung der einzelnen Gesellschafter in Frage stünde. Zunächst ist an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen zu verweisen, wonach der Angeschuldigte schwerpunktmäßig Verwaltungstätigkeiten wahrgenommen hat. Im Übrigen gibt es schon keinen Rechtssatz, wonach nur derjenige Gesellschafter einer Personengesellschaft werden kann, der die Eintragung ins Handelsregister selbst vornimmt. Das Gesetz (§ 12 Abs. 1 HGB) sieht vor, dass auch eine Handelsregistervollmacht erteilt werden kann.
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(5) Aus dem Umstand, dass die Gesellschafter teilweise Arbeitsaufzeichnungen an den Angeschuldigten übergeben haben, folgt nichts für ein Arbeitgeber-/Arbeitnehmerverhältnis. So belegen die durchgeführten Vernehmungen, dass diese Aufzeichnungen gerade nicht Grundlage der Gewinnausschüttung waren, sondern lediglich für die Steuer relevant waren.
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(6) Aus der Wohnsituation des Angeschuldigten und der Gesellschafter vermochte die Kammer keinen Rückschluss auf die Arbeitgeberstellung des Angeschuldigten und die Arbeitnehmerstellung der übrigen Gesellschafter zu ziehen.
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So haben die Ermittlungen ergeben, dass Mietverträge der übrigen Gesellschafter nicht von diesen selbst, sondern von der P OHG mit dem Vermieter abgeschlossen wurden. Die Zahlung der Miete erfolgte ebenfalls durch die OHG. Die OHG ihrerseits schloss mit den übrigen Gesellschaftern keine Mietverträge ab. Die Mietkosten, sowie der monatlichen Mietnebenkosten wurden in der Weise berücksichtigt, dass sie die Erträge der P OHG minderten. Dementsprechend bekam auch jeder Gesellschafter einen geringeren Gewinn ausgezahlt. Diese Berücksichtigung erfolgte pauschal, sodass es unerheblich war, welche Nebenkosten von welchem Gesellschafter verursacht werden. Auch wurde die Wohnungsgröße nicht individuell berücksichtigt. Nebenkosten wurden jeweils in dem Monat berücksichtigt, in dem sie entstanden. Die Umlage auf die Gesellschafter erfolgte gegenüber den Gesellschaftern, die zu diesem Zeitpunkt der Gesellschaft angehören. Eine Abrechnung nach Ausscheiden des einzelnen Gesellschafters erfolgte nicht. Die Wohnsituation der Beteiligten war so, dass der Angeschuldigte namens der P OHG zunächst mehrere Wohnungen im Mietshaus des Zeugen Mo angemietet hatte, in denen der Angeschuldigte samt Familie und die weiteren Gesellschafter verteilt auf die Wohnungen lebten. Ab 1. Dezember 2020 hatte die P OHG ein Bauernhaus mit mehreren Wohnungen angemietet. Dort bewohnten die übrigen Gesellschafter ausweislich der Durchsuchungsberichte und Lichtbilder einfach möblierte Zimmer und hatten daneben gemeinschaftlich genutzte Räume zur Verfügung. Der Angeschuldigte hingegen bewohnte mit seiner Familie zwei separat abschließbare Wohnungen, je mit Küche und Bad.
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Diese Wohnsituation lässt zunächst darauf schließen, dass den übrigen Gesellschaftern eine preisgünstige Bleibe zur Verfügung gestellt wurde. Das passt zu deren wirtschaftlichem Interesse, die Tätigkeit am Bau möglichst einträglich zu gestalten, wozu gehörte, etwaige Unkosten möglichst gering zu halten. Die übrigen Gesellschafter lebten, soweit ersichtlich, jeweils ohne Familie in ihren Wohnungen, was wiederum damit korrespondierte, dass die Dauer ihrer Tätigkeit in der Gesellschaft und die Mitgliedschaft in ihr zeitlich begrenzt waren. Anhaltspunkte dafür, dass die übrigen Gesellschafter gezwungen worden wären, in den ihnen von der P OHG bereitgestellten Unterkünften zu wohnen (oder umgekehrt, gehindert worden wären, eine andere Bleibe zu nehmen, wenn sie es denn gewollt hätten), finden sich in der Akte nicht.
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Aus diesem Randumstand der Wohnsituation – es geht insoweit weder um die Leistungserbringung noch um deren Entlohnung – folgt nach Wertung der Kammer nichts für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis.
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(7) Schließlich führt die Anklage als Indiz für die Arbeitgeberstellung des Angeschuldigten an, dass nur dieser Zugang zu den Geschäftsunterlagen und dem Firmenkonto hatte. Diesbezüglich haben die vernommenen Zeugen nicht angegeben, dass ihnen der Zugang verwehrt gewesen wäre, sondern nur, dass es eben der Angeschuldigte war, bei dem diese Unterlagen verwahrt wurden.
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ee) Alles in allem verkennt die Kammer nicht, dass es in der gegebenen Konstellation durchaus Elemente gibt, die für einen – gerade von Inländern betriebenen – gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluss eher untypisch sind oder die tendenziell darauf hinweisen, dass Beschäftigung in einer persönlichen Abhängigkeit vorliegen könnte. Die wesentlichen Elemente der dabei anzustellenden Gesamtbetrachtung, nämlich das Unternehmensrisiko und die gesellschaftsrechtlich fundierte Mitwirkung jedes einzelnen Gesellschafters – die der Annahme eines Weisungsverhältnisses widerstreitet – sprachen jedoch insgesamt gegen die Annahme einer abhängigen Beschäftigung zwischen ihnen und dem Angeschuldigten. Dabei hat die Kammer auch im Auge behalten, dass losgelöst von der Frage nach einer möglichen Arbeitgeberstellung des Angeschuldigten auch ein „normaler“, unverfänglicher Gesellschaftsvertrag als aliud gegenüber dem Arbeitsverhältnis zahlreiche Elemente beinhalten kann, die in einem Arbeitsverhältnis ähnlich oder gleicherweise zu finden sind. Eine Gesellschaft, gerade wenn sie aus zahlreichen und auch wechselnden Gesellschaftern besteht, muss sich intern strukturieren und organisieren. Auch wenn der Gesellschaftsvertrag nicht so weit ging – was rechtlich ohne weiteres möglich gewesen wäre –, nur einzelnen Gesellschaftern die Geschäftsführung zuzuweisen (vgl. § 5 des Gesellschaftsvertrags; § 115 HGB a.F. war dispositiv, vgl. Hopt/Roth, HGB, 42. Aufl. (2023), § 115 Rn. 7), spricht nichts gegen eine tatsächliche Ausdifferenzierung der Rollen der einzelnen Gesellschafter, namentlich hier des Angeschuldigten als faktischer Geschäftsführer der OHG. Wenn schon das Gesellschaftsrecht ermöglicht, in einer Gesellschaft einzelne Gesellschafter von der Geschäftsführung auszuschließen und andere oder auch nur einen damit zu betrauen (vgl. auch § 710 Satz 1 BGB a.F.), ohne dass die Gesellschaft aufhört Gesellschaft zu sein und die Gesellschafter Gesellschafter, kann aus der Einnahme einer prominenten und führenden Stellung eines Gesellschafters nicht gefolgert werden, genau dies sei der Fall.
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2. Der Angeschuldigte handelte auch nicht nachweisbar vorsätzlich im Sinne der Anklage.
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Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist vorsätzliches Handeln bei pflichtwidrig unterlassenem Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen nur dann anzunehmen, wenn der Täter auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts – zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre – nachvollzogen hat, er also seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen hat (BGH, Beschluss vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18, juris Rn. 18). Ist dies nicht der Fall, unterliegt der Täter einem Tatbestandsirrtum im Sinne des § 16 Abs. 1 StGB.
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Wie ausgeführt, gingen sowohl der Angeschuldigte als auch die übrigen Gesellschafter von ihrer Gesellschafterstellung aus; dementsprechend haben sie auch agiert. Damit gibt es keinen ausreichenden Anknüpfungspunkt dafür, dass der Angeschuldigte billigend in Kauf genommen haben könnte, dass er tatsächlich Arbeitgeber gewesen und deshalb verpflichtet gewesen wäre, Sozialversicherungsbeiträge abzuführen.
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Für ein (zumindest bedingt) vorsätzliches Handeln spricht auch nicht das Schreiben des Angeschuldigten vom 2. August 2015 an die „Cl..de“. Dort führt er aus:
Wir hatten uns entschieden eine OHG zu gründen, bei der jeder Gesellschafter vertretungsberechtigt ist. Der erste Schritt war, dass wir alle ein Gewerbe angemeldet haben und wir dann die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen haben.
Wir haben ein Büro … eingerichtet … Wir haben dann auch eine Steuernummer und eine Freistellungsbescheinigung erhalten. Bei der Handwerkskammer … ist die OHG für das Maurer- und Betonbauerhandwerk mit mir als Maurermeister eingetragen. Für unseren Betrieb haben wir dann auch eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Wir haben uns dann Visitenkarten und einen Briefkopf machen lassen und haben dann bei verschiedenen Firmen wegen Aufträgen nachgefragt Mit der Zeit und wegen unserer guten Leistungen haben wir es dann geschafft auf mündliche Empfehlungen immer wieder verschiedene Werkverträge zu bekommen … Wir sind EU-Bürger aus Rumänien und jeder Gesellschafter hat eine Krankenversicherung bei einer Krankenkasse in Deutschland oder in Rumänien und auch eine Unfallversicherung. Für die Erledigung unserer steuerlichen Angelegenheiten haben wir einen Steuerberater, der auch unsere Bilanz erstellt.
Wir haben eigene Werkzeuge und mittlerweile 3 Firmenfahrzeuge mit denen wir zu den Baustellen fahren … Die Arbeit bestimmen wir selbst und jeder Gesellschafter ist zur Vertretung berechtigt. Wir haben keine Angestellten und führen eher einen Familienbetrieb. Der Gewinn wird gleich verteilt … Die Einteilung der Arbeit und Organisation des Betriebes wird von den Gesellschaftern in Absprache mit dem Betriebsleiter geregelt. Jeder Eintritt oder Austritt eines Gesellschafters wird von den Gesellschaftern beschlossen und mit einem Protokoll dokumentiert. Wir zahlen bei der Gemeinde unsere Gewerbesteuer und möchten alles korrekt machen.
Nachdem wir aber in den Massenmedien immer wieder hören, dass viele Firmen aus Osteuropa in Deutschland illegal arbeiten, möchten wir, dass Sie unsere Unterlagen überprüfen und uns mitteilen, ob bei unserer Firma alles in Ordnung ist …
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Ein Antwortschreiben hierzu gibt es nicht. Das liegt möglicherweise schlicht daran, dass es sich bei „Cl..de“ nicht um die Anlaufstelle bei der DRV handelt, die Statusklärungsverfahren nach § 7a SGB IV durchführt, sondern um eine privatwirtschaftliche Internetseite. Das dahinter stehende Angebot diente nicht der Rechtsberatung oder -aufklärung, sondern, wie die Kammer ermittelt hat, der Kundenakquise. Dass der Angeschuldigte dies damals gewusst hätte, ist nach Aktenlage nicht erkennbar; die Kammer hält es auch für fernliegend. Die Kammer hat bei ihren diesbezüglichen Nachermittlungen keinen Beleg dafür gefunden, dass „Cl..de“ irgendwo irgendeinen belastbaren Rechtsrat erteilt hätte. Die Anfrage belegte danach allenfalls ein Problembewusstsein beim Angeschuldigten und zeigte zugleich, dass er gewillt war, sich einer Prüfung zu unterwerfen und nicht heimlich und rechtswidrig zu agieren. Er war offensichtlich darum bemüht, sich rechtskonform zu verhalten und – was an sich legitim ist –, für die OHG eine Option zu wählen, die in rechtlich zulässiger Weise nicht zu sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnissen führt. Die Zeugin K, die als Übersetzerin und Beraterin für die OHG tätig war, erklärte zur Motivation der übrigen Gesellschafter, deren primäres Ziel sei es gewesen, als eigener Chef zu arbeiten. Sie hätten ausdrücklich in keinem Arbeitsverhältnis stehen wollen, weil sie früher als Kontingentarbeitnehmer betrogen worden seien. Sie habe ihnen daher geholfen und sie beim Aufsetzen des Gesellschaftsvertrags beraten. Auf die Frage, ob der Beschuldigte über die sozialversicherungsrechtlichen und arbeitsgenehmigungsrechtlichen Vorschriften in Deutschland zum Zeitpunkt der Gründung der … GbR informiert gewesen sei, erklärte sie, dass der Beschuldigte die Vorschriften gekannt habe, jedoch jeder Gesellschafter sein eigener Chef habe sein wollen. Der Angeschuldigte wie auch die übrigen Gesellschafter wollten mithin von Anfang an keine Arbeitsverhältnisse begründen. Daraus dass dem Angeschuldigten bewusst war, dass ein Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet ist, Sozialversicherungsbeiträge abzuführen und er die S.-Bau und die BG Bau ebenfalls kannte, folgt nichts dafür, dass er sich nach Lage der Dinge auch als Arbeitgeber (zumindest bedingt vorsätzlich) selbst erkannte und daher zumindest damit rechnete, dass er zu dieser Abführung auch verpflichtet war.
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Ob möglicherweise die Auftraggeber der P OHG als Arbeitgeber aller Gesellschafter zu werten sein könnten (zu einer solchen Konstellation vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. Oktober 2021 – L 8 BA 3118/20, juris), hatte die Kammer nicht zu beurteilen.
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Die Kostenfolge beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.