Inhalt

OLG München, Endurteil v. 28.02.2024 – 7 U 2267/20
Titel:

Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers auf (Differenz-)Schadenersatz beim Einbau eines Thermofensters (hier: VW T6 Multivan 2.0 TDI)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287, § 403
Leitsätze:
1. Einen Differenzschaden bejahend: OLG Celle BeckRS 2023, 32827; OLG Dresden BeckRS 2023, 22299; OLG Hamburg BeckRS 2023, 26911; OLG Hamm BeckRS 2023, 25175; OLG München BeckRS 2024, 5142; BeckRS 2024, 5496; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; OLG Schleswig BeckRS 2023, 35465; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; für Wohnmobil: OLG Naumburg BeckRS 2023, 27644. (redaktioneller Leitsatz)
2. Betrifft ein Rückruf keine unzulässige Abschalteinrichtung, sondern eine Konformitätsabweichung, lässt dies keinen Schluss darauf zu, die Herstellerin bewusst unzulässige Abschalteinrichtungen zur Erlangung der Typengenehmigung eingesetzt hat. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Einbau eines Thermofensters, welches unter 12° C eine aktive Veränderung der AGR-Rate vornimmt, begründet nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV einen Anspruch auf Zahlung eines Differenzschadens. (Rn. 47 und 51) (redaktioneller Leitsatz)
5. Eine Entlastung der Herstellerin auf Grundlage eines unvermeidbaren Verbotsirrtums setzt voraus, dass diese konkret vorträgt, welche ihrer Organwalter des Geschäftsführungsorgans (Vorstandsmitglieder) oder sonst im Sinne von § 31 BGB verantwortliche Personen welches Vorstellungsbild zu dem Thermofenster und dessen Zulässigkeit hatten. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
6. Der Restwert des Fahrzeugs kann als (netto) Händlereinkaufspreis gemäß Gebrauchtwagenbewertung nach DAT/Schwacke (SilverDAT) geschätzt werden. (Rn. 72) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Motorhaubenerkennung, Manipulation des SCR-Katalysators, Aufwärmfunktion, Akustikfunktion, Fahrverhaltenserkennung, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum, hypothetische Genehmigung, Restwert
Vorinstanz:
LG München I, Urteil vom 06.03.2020 – 41 O 5958/19
Fundstelle:
BeckRS 2024, 5589

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 06.03.2020, Az. 41 O 5958/19, gemäß den nachfolgenden Ziffern teilweise abgeändert:
2. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerin 958,73 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.05.2019 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.
4. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann eine Vollstreckung der Beklagten durch Leistung von Sicherheit in Höhe von 110% abwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
6. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
7. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird für die Zeit bis 14.12.2023 auf 51.817,24 € und für die anschließende Zeit auf 47.691,84 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

A.
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
2
Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin erwarb am 27.04./10.05. 2017 von der Beklagten zu 1), einem Autohaus in U., den streitgegenständlichen, von der Beklagten zu 2) hergestellten Volkswagen T6 Multivan 2.0 TDI, FIN: …861 als Neufahrzeug zu einem Kaufpreis in Höhe von 61.605,00 € brutto (netto 51.768,91 €, s. Anlage K1 und K2). Das Fahrzeug wurde am 14.07.2017 erstzugelassen. Es wies im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht einen Kilometerstand von 51.474 km und am 28.02.2024 einen Kilometerstand von 125.277 km auf.
3
In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten zu 2) hergestellter Dieselmotor der Baureihe EA 288 mit der Schadstoffklasse EU 6 und 150 kw Leistung verbaut. Die Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs findet durch eine Kombination aus einerseits einer innermotorischen Abgasrückführung (AGR-Rate) und andererseits einer nachgelagerten Abgasreinigung durch SCR-Katalysator mit AdBlue-Einspritzung statt.
4
Die Beklagte zu 2) ist Inhaberin der Typengenehmigung für Fahrzeuge der entsprechenden Baureihe und erteilte für das streitgegenständliche Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung.
5
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete am 28.08.2018 aufgrund einer Konformitätsabweichung einen verbindlichen Rückruf von Fahrzeugen des Typs T6 2.0 TDI EU 6, zu denen auch das streitgegenständliche Fahrzeug gehört, an. Diese Konformitätsabweichung kann durch ein Softwareupdate behoben werden, wobei sich infolge des Updates der Verbrauch an AdBlue erhöhen kann. Die Halter betroffener Fahrzeuge erhalten deshalb von der Beklagten zu 2) eine Stempelkarte, mit der bei Vertragswerkstätten der Beklagten zu 2) pro Fahrzeug insgesamt 120 l (8 Tankfüllungen) AdBlue kostenlos bezogen werden können. Das KBA hat das entsprechende Softwareupdate mit einem an die Beklagte zu 2) gerichteten Schreiben vom 19.11.2018 freigegeben (Anlage B2). In diesem Schreiben führt das KBA aus, es seien keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt worden. Die Grenzwerte für Schadstoffemissionen würden eingehalten und durch das Update würden auch die ursprünglich vom Hersteller angegebenen Kraftstoffverbrauchswerte und Co2-Emissionen nicht verändert. Dies habe ein technischer Dienst bestätigt.
6
Mit einem an die Beklagte zu 1) gerichteten Schreiben vom 26.03.2019 (Anlage K11) erklärte der anwaltliche Vertreter der Klägerin in deren Namen den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte zu 1) auf, bis zum 09.04.2019 Zug um Zug gegen Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs 70.644,84 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.403,21 € zu zahlen. Zur Begründung führt das Schreiben aus, es sei davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer illegalen Abschalteinrichtung ausgestattet sei und die Abgaswerte des Fahrzeugs im Normalbetrieb weder den gesetzlichen Anforderungen noch den vertraglichen Vereinbarungen entsprächen.
7
Mit einem weiteren, an die Beklagte zu 2) gerichteten Schreiben gleichen Datums (Anlage K13) fordern die anwaltlichen Vertreter der Klägerin die Beklagte zu 2) unter Fristsetzung zum 09.04.2019 auf, an die Klägerin Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs 70.644,84 € sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.403,21 € zu bezahlen. In dem Schreiben führen die anwaltlichen Vertreter der Klägerin aus, die Programmierung der Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei gesetzeswidrig und der Klägerin stehe ein Anspruch nach § 826 BGB sowie nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB und aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu.
8
Die Klägerin behauptete, die Beklagte zu 2) habe auch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug, wie bereits zuvor bei den von ihr hergestellten Motoren der Baureihe EA 189, in sittenwidriger Weise getäuscht. Das Fahrzeug sei so programmiert, dass es den Prüfzyklus erkenne. Der Motor halte nur auf dem Prüfstand, nicht aber im Realbetrieb die Grenzwerte für Schadstoffemissionen ein. Bei dem SCR-Katalysator werde im Prüfzyklus eine größere Menge AdBlue eingespritzt, während im Normalbetrieb die eingespritzte Menge auch nach dem Update zu gering sei. Das KBA habe einen Produktionsstopp angeordnet. Das von der Beklagten zu 2) angebotene Softwareupdate sei ungeeignet, weil die von dem Fahrzeug verursachten Abgasemissionen nach dem Update die Grenzwerte für NoX und Co2 überstiegen, sodass eine höhere Besteuerung drohe. Das Update führe zu einem Mehrverbrauch von Kraftstoff, einem Mehrverbrauch von AdBlue und zu einem höheren Verschleiß der Motorperipherie. Das Fahrzeug enthalte eine Fahrkurvenerkennung und ein Thermofenster. Zudem habe die Beklagte das Onboard-Diagnosesystem (OBD) manipuliert, damit dieses die tatsächlich vorhandenen Fehlfunktionen des Abgasreinigungssystems nicht anzeige.
9
Des Weiteren führt die Klägerin aus, eine Fristsetzung vor Rücktritt sei unzumutbar. Die Beklagte zu 1) könne keine eigene Nachbesserung anbieten und die Beklagte zu 2) habe sich als unzuverlässig erwiesen. Der Mangel sei auch nicht unwesentlich.
10
Die Klägerin beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klagepartei € 61.105,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 10.04.2019 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Multivan Comfortline, FIN …861.
2. Die Beklagte zu 2) wird weiter verurteilt, an die Klagepartei Zinsen in Höhe von 4% p.a. aus einem Betrag von 61.105,000 € seit 10.05.2017 bis 09.04.2019 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 genannten PKW im Annahmeverzug befinden.
4. Die Beklagten werden verurteilt, die Klagepartei von der durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.251,48 nebst Zinsen in Höhe von 9%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 10.04.2019 freizustellen.
11
Die Beklagten beantragten,
die Klage abzuweisen.
12
Die Beklagte zu 1) trägt in erster Instanz vor, sie habe ihre aus dem Kaufvertrag erwachsenden Pflichten erfüllt. Die Klägerin habe keinen Sachmangel dargelegt. In dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei, anders als in Fahrzeugen mit Motoren der Baureihe EA 189, keine prüfstandsbezogene „Umschaltlogik“ verbaut. Der das streitgegenständliche Fahrzeug betreffende Rückruf des KBA sei nicht aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt, sondern wegen einer Konformitätsabweichung. Infolge der Anpassung eines Ki-Faktors sei es erforderlich geworden, die Motorsteuerung und insbesondere die AdBlue-Einspritzung zu ändern, um auch unter Berücksichtigung des richtigen Ki-Faktors die EU 6 Grenzwerte einzuhalten. Die Durchführung des Updates dauere eine Stunde und verursache Kosten von weniger als 100 €. Der gegebenenfalls leicht erhöhte AdBlue-Verbrauch werde durch die von der Beklagten zu 2) angebotene Möglichkeit, den AdBlue – Tank nach dem Update bis zu 8 mal kostenlos aufzufüllen ausgeglichen. Der Kläger könne von dem Kaufvertrag schon deshalb nicht zurücktreten, weil er der Beklagten zu 1) keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt habe. Die Fristsetzung sei hier auch nicht entbehrlich.
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Die Beklagte zu 2) trägt im Wesentlichen vor, sie habe die Klägerin nicht sittenwidrig geschädigt. Es bestehe – anders als in den Fällen der Motorbaureihe EA 189 – keine Täuschung und auch keine sonstige verwerfliche Handlung der Beklagten zu 2).
14
Mit Endurteil vom 06.03.2020 wies das Landgericht München I die Klage ab. Zur Begründung führt das Landgericht aus, es sehe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor von dem VW-Abgasskandal betroffen ist und das Fahrzeug von der Beklagten zu 2) manipuliert wurde. Geschätzt 95% des klägerischen Vortrags betreffe Ausführungen zu dem im streitgegenständlichen Fahrzeug unstreitig nicht verbauten Motor EA 189 und sei für die Entscheidung des konkreten Rechtsstreits daher gegenstandslos. Aus der Freigabemitteilung des KBA ergebe sich, dass der Beanstandung des KBA gerade keine unzulässige Abschalteinrichtung zugrunde liege und dass das Softwareupdate in Zusammenhang mit der Verbesserung des Stickoxid-Emissionsverhaltens während der Regeneration des Diesel-Partikelfilters und mit der Sicherstellung eines für die Ki-(Fahrzeug-)Familien repräsentativen Ki-Wertes stehe. Es bestünden daher weder deliktische Ansprüche gegen die Beklagte zu 2), noch könne die Klägerin deswegen von dem mit der Beklagten zu 1) geschlossenen Kaufvertrag zurücktreten. Von diesem Kaufvertrag könne die Klägerin auch nicht deshalb zurücktreten, weil auf das Fahrzeug ein Softwareupdate aufzuspielen ist, in dessen Folge sich der Verbrauch von AdBlue leicht erhöhe. Zum einen stelle der leicht erhöhte Verbrauch keinen erheblichen Mangel im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB dar und zum anderen habe die Klägerin der Beklagten zu 1) keine Frist zur Nacherfüllung gesetzt. Mit möglichen Ansprüchen der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV setzt sich das landgerichtliche Urteil nicht auseinander. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angegriffenen Entscheidung wird im Übrigen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
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Mit ihrer am 14.04.2020 eingelegten und durch Schriftsatz vom 10.06.2020 begründeten Berufung verfolgt die Klägerin zunächst ihr erstinstanzliches Klageziel einschließlich der bereits in erster Instanz beantragten Deliktszinsen (4% Zinsen per anno aus 61.105,00 € seit 10.05.2017 bis 09.04.2019) mit der Maßgabe weiter, dass von dem Bruttokaufpreis in Höhe von 61.605,00 € ein anzurechnender Nutzungsvorteil in Höhe von 10.570,18 € in Abzug gebracht und somit Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs die Zahlung von 51.034,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.04.2019 begehrt wird. Den anzurechnenden Nutzungsvorteil berechnet die Klägerin ausgehend von dem Brutto-Kaufpreis auf Basis einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km und einem Kilometerstand (=gefahrene Kilometer) von 51.474 km. Die Klägerin führt hierzu aus, es sei als unstreitig anzusehen, dass in dem Fahrzeug ein Thermofenster verbaut sei. Darüber hinaus habe das Landgericht das klägerseits beantragte Sachverständigengutachten dazu erholen müssen, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand weniger Stickoxid ausstößt als im Normalbetrieb und dass dieser Umstand auf den Einsatz einer illegalen Abschalteinrichtung zurückzuführen ist. Sodann habe das Landgericht auch ein Sachverständigengutachten dazu einholen müssen, dass nach dem Update der AdBlue-Verbrauch nicht lediglich „leicht“ erhöht sei.
16
Mit Schriftsatz vom 14.12.2023 trägt die Klägerin vor, das Vorliegen mindestens einer Abschalteinrichtung sei unstreitig. Außerdem bestünden eine Fahrkurvenerkennung, ein Thermofenster, eine Motorhaubenerkennung, eine Aufwärmfunktion, eine Fahrverhaltenserkennung, eine Akustikfunktion, eine Lenkwinkelerkennung, eine Manipulation des SCR-Katalysators und eine zeitbasierte Abschalteinrichtung. „Die Beklagte“ (gemeint wohl: Die Beklagte zu 2)) habe auch das Onboard-Diagnosesystem (OBD) manipuliert, was zeige, dass sie sittenwidrig handle. Der Restwert des Fahrzeugs sei nicht zu berücksichtigen, jedenfalls sei eine Beweisaufnahme hierzu erforderlich.
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Unter Erklärung des Rechtsstreits für im Übrigen erledigt beantragt die Klägerin zuletzt:
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1. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 41 O 5958/19, werden die Beklagtenparteien verurteilt, an die Klagepartei EUR 31.190,25 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.04.2019 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw VW Multivan Comfortline, FIBN: …861.
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2. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 41 O 5958/19, wird festgestellt, dass sich die Beklagtenparteien mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. Genannten PKW im Annahmeverzug befinden.
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3. Hilfsweise: Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 41 O 5958/19, wird die Beklagtenpartei zu 2) verurteilt, an die Klagepartei EUR 7.765,34 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.04.2019 zu bezahlen.
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4. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I, Aktenzeichen: 41 O 5958/19, werden die Beklagten verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.251,48 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten seit dem 10.04.2019 freizustellen.
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Die Beklagten beantragen die Berufung zurückzuweisen.
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Beide Beklagten stimmen der Erledigterklärung der Klägerin ausdrücklich nicht zu. Die Beklagte zu 2) führt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags aus, dass die Beklagte zu 2) die Klägerin nicht vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe. Das streitgegenständliche Fahrzeug enthalte keine unzulässigen Abschalteinrichtungen. Zu der Temperaturspanne des Thermofensters trägt die Beklagte zu 2) durch Schriftsatz vom 27.01.2020 (dort S. 6, Bl. 180 d.A.) und nochmals in der Berufungserwiderung vom 31.01.2022 (dort S. 11, Bl. 336 d.A.) vor, die Abgasrückführung sei in einer Temperaturspanne zwischen – 15° C und 42° C aktiv, bei niedrigeren und höheren Temperaturen erfolge zum Schutz des Motors keine Abgasrückführung. Zu einer Verringerung der Abgasrückführung finden sich in diesen Schriftsätzen keine Ausführungen. Erstmals mit Schriftsatz vom 30.01.2024 (dort S. 11, Bl. 406 d.A.) gibt die Beklagte zu 2) sodann an, durch das in dem streitgegenständlichen Fahrzeug hinterlegte Thermofenster bleibe die Abgasrückführungsrate in einem Temperaturbereich zwischen ca. + 12° C und über +75° C zu 100% aktiv. Erst bei Temperaturen unter 12° C bis ca. 7° C erfolge eine Reduktion der Abgasrückführung, die sodann zwischen 7° C und ca. -12° C auf dem niedrigeren Niveau unverändert bleibe, ehe zwischen -12° C und -15° C eine weitere Reduktion erfolge. Der Widerspruch zu den vorherigen Angaben (keine Abgasrückführung bei Temperaturen über 42° C) wird von der Beklagten zu 2) in dem späteren Schriftsatz nicht erklärt.
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Die Beklagte zu 1) schließt sich dem Vortrag der Beklagten zu 2) an und führt ergänzend aus, bei der Berechnung der anzurechnenden Nutzungsvorteile sei eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km zu Grunde zu legen.
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Der Senat hat am 28.02.2024 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.02.2024, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den Übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
B.
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Die zulässige Berufung hat nur in dem Prozessrechtsverhältnis der Klägerin zu der Beklagten zu 2) und auch dort nur zu einem geringen Teil Erfolg. Da in dem streitgegenständlichen Fahrzeug nach Überzeugung des Senats ein Thermofenster mit einem zu geringen Temperaturbereich und damit eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist, hat die Beklagte zu 2) fahrlässig als Inhaberin der Typengenehmigung für das Fahrzeug eine unrichtige Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt. Infolgedessen steht der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens zu. Aufgrund vorzunehmender Vorteilsanrechnungen besteht der Anspruch aber nur in Höhe von 958,73 €. Die darüber hinausgehende Berufung war zurückzuweisen. Im Einzelnen:
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I. Ansprüche der Klägerin im Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten zu 2)
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1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 2) keinen Anspruch nach § 826 BGB. Das Landgericht München I hat zutreffend und mit zutreffender Begründung entschieden, dass der Vortrag der Klägerin nicht ausreicht, um Ansprüche aus einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung darzulegen.
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a. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15 mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15, BGH Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 14). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es maßgeblich darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH Urteil vom 25.10.2022 – VI ZR 68/20, juris Rz. 17).
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Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Fahrzeug- bzw. Motorherstellers vor, wenn dieser auf der Grundlage einer für sein Unternehmen getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung den von ihm hergestellten Motor seiner Fahrzeuge im eigenen Kosten- und Gewinninteresse mit einer unmittelbar auf die arglistige Täuschung des Typengenehmigungsbehörde abzielenden und eigens zu diesem Zweck entwickelten Steuerungssoftware ausstattet und die entsprechenden Fahrzeuge in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass diese sodann an arglose Käufer veräußert werden (BGH Urteil vom 25.10.2022, VI ZR 68/20, juris Rz. 20). Eine unmittelbar auf die arglistige Täuschung des KBA als Typengenehmigungsbehörde abzielende Steuerungssoftware ist gegeben, wenn die zu diesem Zweck entwickelte Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und die Software dadurch dem KBA wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die festgelegten Grenzwerte einhalten (s. BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, juris Rz. 17)
31
b. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Existenz einer in die streitgegenständlichen Motorsteuerung implementierten Manipulationssoftware in Form einer Umschaltlogik aufzeigt.
32
aa. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.
33
Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Gemäß § 403 ZPO hat die Partei, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen will, die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch dazu äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in die Sachkenntnis des Sachverständigen gestellten Behauptung habe.
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Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber auf Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte sie rechtfertigen können (BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnrn 26 – 28).
35
bb. Nach diesen Grundsätzen verfehlt der erstinstanzliche Vortrag der Klägerin die Substantiierungsanforderungen zum Vorliegen einer Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug. Die von der Klägerin angeführten Umstände für die angebliche Existenz einer solchen Software erweisen sich nicht als valide Anhaltspunkte.
36
Einen Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung hat die Klägerin nicht substanziiert vorgetragen. Der unstreitige Rückruf vom 28.08.2018 betrifft keine unzulässige Abschalteinrichtung, sondern eine Konformitätsabweichung. Der Rückruf lässt daher keinen Schluss darauf zu, die Beklagte zu 2) bewusst unzulässige Abschalteinrichtungen zur Erlangung der Typengenehmigung eingesetzt hat (so auch OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 11.09.2023 – 9 U 9/23, juris Rz. 26; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.04.2022 – 8 U 232/21, juris Rn. 39). Erst Recht lässt der Rückruf damit keinen Rückschluss auf ein vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu.
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Die klägerseits vorgetragenen Abweichungen zwischen Messungen der DUH im Realbetrieb und den Prüfstandswerten des streitgegenständlichen Fahrzeugs ergeben ebenfalls keine Hinweise auf eine Umschaltlogik. Die Messungen der DUH betreffen andere Fahrzeuge und eine Diskrepanz zwischen NEFZ und Realbetrieb besteht schon deshalb, weil nur der Prüfzyklus vordefinierte Parameter und damit reproduzierbare Ergebnisse aufweist. Aus dem gleichen Grund wäre es auch unbeachtlich, falls der Motor – wie von der Klägerin vorgetragen – im Realbetrieb die Abgasgrenzwerte nicht einhielte.
38
Nach alledem gibt es nach dem erstinstanzlichen Vortrag der Klagepartei keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für die Implementierung einer Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug und war deshalb eine Beweiserhebung diesbezüglich nicht veranlasst.
39
cc. Nichts anderes gilt für die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 13.12.2023 erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragene Motorhaubenerkennung, Aufwärmfunktion, Fahrverhaltenserkennung, Akustikfunktion, Manipulation des SCR-Katalysators und zeitbasierte Abschalteinrichtung. Abgesehen davon, dass es sich insoweit um neuen Vortrag in der Berufungsinstanz handelt, fehlt auch hier jeder Bezug zu dem konkreten, streitgegenständlichen Fahrzeug. Dass ein von B. für verschiedenste Fahrzeuge unterschiedlicher Hersteller geliefertes Bauteil zur Motorsteuerung entsprechende Parameter abstrakt ermöglicht, bedeutet nicht, dass auch im streitgegenständlichen Fahrzeug durch die Motorsteuerung entsprechende Eingriffe vorgenommen werden. Eine Fahrkurvenerkennung und eine Lenkwinkelerkennung sind als solche – ihr Vorliegen unterstellt – auch nicht unzulässig, sodass auch hierauf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu 2) nicht gestützt werden kann.
40
c. Der Vorwurf der Klägerin, die Beklagte zu 2) habe ferner mittels eines manipulierten On-Board-Diagnosesystems getäuscht, rechtfertigt gleichfalls nicht die Annahme eines Anspruchs aus § 826 BGB. Nach dem Klägervortrag müsste ein ordnungsgemäß funktionierendes On-Board-Diagnosesystem einen nicht ordnungsgemäßen Betrieb der Abgassysteme melden. Dies entspricht Absatz 3.3.2 des Anhangs 11 der UN/ECE-Regelung Nr. 83, wonach das OBD-System die Fehlfunktion eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems anzeigen muss, wenn diese Fehlfunktion dazu führt, dass die Abgasemissionen bestimmte Schwellenwerte übersteigen. Danach ist es plausibel und deutet nicht auf eine Manipulation hin, wenn eine Fehlermeldung nicht erscheint, wenn und weil die Fahrzeugkomponenten programmgemäß – und also aus der Perspektive der Fahrzeugtechnik ordnungsgemäß und nicht fehlerhaft – arbeiten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.01.2022, 6 U 128/20, Tz. 65). Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, inwieweit ein manipuliertes Diagnosesystem eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen sollte, da es nicht auf das Abgasreinigungssystem einwirkt, sondern lediglich Fehlfunktionen anzeigen soll.
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d. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend ebenfalls nicht.
42
Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 26 f.; BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 16). Anders als eine Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 18).
43
Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten zu 2) nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 19; Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rdnr. 28). Davon ist hier nicht auszugehen. Die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, war umstritten. Der Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen ging noch im April 2016 von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen, mithin sittenwidrig gehandelt hätte (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 30).
44
Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 32, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnr. 23).
45
Nach alledem ist ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei aus § 826 BGB schon nicht substanziiert vorgetragen.
46
2. Da, wie gerade ausgeführt, die Klägerin einen Schädigungsvorsatz der Beklagten zu 2) nicht darlegen konnte, besteht auch kein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB.
47
3. Die Klägerin hat jedoch gegen die Beklagte zu 2) nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV einen Anspruch auf Zahlung eines Differenzschadens.
48
a. Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des landgerichtlichen Urteils entschieden hat (Urteile des BGH vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22), steht dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ausgehend hiervon haftet die Beklagte dem Kläger dem Grunde nach auf Schadensersatz.
49
aa. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form eines unzulässigen Thermofensters.
50
(1) Nach Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007/EG ist Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur … ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, reduziert wird. Bei der Bestimmung, welche Bedingungen bei im Sinne dieser Vorschrift normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, juris Rz. 40; BGH Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 50).
51
(2) Die Klägerin hat in erster Instanz mit Schriftsatz vom 30.08.2019 (dort S. 6 = Bl. 75 d.A.) vorgetragen, das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge über Abgasrückführungssystem, welches die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückfährt. Zwar gibt die Klägerin keine konkreten Temperaturen für das streitgegenständliche Fahrzeug an und ist der dort stattdessen erfolgte Vortrag, die Beklagte zu 2) sei so stark mit der A. AG „konzernintern verwoben“, dass ein Vortrag zu dem Temperaturbereich den die A. AG vor dem Landgericht Stuttgart getätigt habe auch für das streitgegenständliche Fahrzeug gelte, fernliegend, denn die Bedatung der Thermofenster ist, wie der Senat aus zahlreichen anderen Verfahren weiß, für unterschiedliche Motoren und unterschiedliche Fahrzeuge selbst des gleichen Herstellers höchst verschieden und die Klägerin gibt nicht einmal an, für welches Fahrzeug und welchen Motor die A. AG die entsprechende Angabe getätigt hat. Aus dem Kontext ist aber jedenfalls erkennbar, dass die Klägerin vorträgt, die Verminderung der Abgasrückführung finde bereits bei Temperaturen statt, die im europäischen Raum „absolut normal“ seien. Der Vortrag reicht daher gerade noch aus, um eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form eines Thermofensters darzulegen. Die Beklagte zu 2) hat in erster Instanz angegeben, die Abgasrückführung sei in einem Temperaturbereich zwischen – 15° C und + 42° C (oft auch darüber hinaus) aktiv (Schriftsatz vom 27.01.2020, Bl. 180 d.A.), dieser Vortrag lässt aber offen, ob die Abgasrückführung in dem genannten Temperaturbereich vollständig (also zu 100%) aktiv ist und steht daher dem Klagevortrag, demzufolge bei in Europa üblichen Temperaturen eine Reduktion der Abgasrückführung erfolge, nicht entgegen. Entsprechend hat die Beklagte zu 2) in ihrer Berufungserwiderung auch ausgeführt, bei Temperaturen kälter als -12° C und wärmer als 42° C erfolge aus Motorschutzgründen keine Abgasrückführung (Bl. 336 d.A.). Nichts anderes (also: kein Widerspruch zum Vortrag der Klägerin) gilt letztlich auch dann, wenn man den weiteren und in Teilen abweichenden Vortrag der Beklagten zu 2) aus dem Schriftsatz vom 30.01.2024 (Bl. 406 d.A.) zu Grunde legt. Nunmehr führt die Beklagte zu 2) aus, die Spanne, innerhalb derer keine aktive Veränderung der AGR-Rate in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur erfolge, liege bei 12° C bis 75° C, zwischen 12° C und 7° C erfolge eine geringfügige Reduktion. Ein Grund für die Abweichung von dem bisherigen Vortrag wird von der Beklagten zu 2) weder dargelegt, noch begründet. Auch der neue Temperaturbereich steht indes dem Vortrag der Klägerin nicht entgegen, denn 12° C ist auch nach Auffassung des Senats eine in Europa normale Temperatur.
52
(3) Bei dem streitgegenständlichen Thermofenster handelt es sich somit um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007/EG. Denn angesichts einer vollen Wirksamkeit nur bei Temperaturen ab 12° C kann das Thermofenster dazu führen, dass die Abgasrückführung in Abhängigkeit (auch) von der gemessenen Umgebungstemperatur im gewöhnlichen Fahrbetrieb reduziert und dadurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert wird.
53
(4) Es handelt sich bei dem hier streitgegenständlichen Thermofenster sodann auch um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der genannten Verordnung. Die Funktion kann zu einer Verringerung der Wirkung der Abgasrückführung führen und ist damit grundsätzlich unzulässig.
54
Eine Ausnahme nach lit. a) – c) der Vorschrift greift vorliegend nicht. Ernsthaft in Betracht käme nur, dass die Funktion erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO 715/2007/EG). Diese beiden Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rz. 62). Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG hat die hierzu darlegungs- und beweisbelastete Beklagte zu 2) indes schon nicht hinreichend vorgetragen. Insoweit ist beachtlich, dass die von der Beklagten als möglich dargelegten Motorschäden nicht ausreichen, um die Zulässigkeit des Thermofensters darzulegen. Nach dem Vortrag der Beklagten zu 2) bleibt offen, inwieweit diese Schäden ein plötzliches Ereignis darstellen und weswegen den nachteiligen Folgen einer unverändert hohen Abgasrückführung auch bei niedrigen Temperaturen nur durch ein Thermofenster und nicht etwa auch durch Wartungs- und Reinigungsintervalle begegnet werden kann.
55
Rechtlich kommt hinzu, dass der Gerichtshof der Europäischen Union mit Blick auf das Ziel der Verordnung 715/2007/EG für Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG den ungeschriebenen Ausschlussgrund einer motorschützenden Aktivierung der Abschalteinrichtung während des überwiegenden Teils eines Jahres konstatiert. Hiernach kann eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil eines Jahres aktiv sein müsste, damit der Motor vor Beschädigungen oder Unfall geschützt ist, nicht unter die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 lit a) VO 715/2007/EG fallen (EuGH Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, juris Rz. 63 ff, 70 und EuGH Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, juris Rn. 65 f.). Eine Rechtfertigung der Abschalteinrichtung mit Gründen des Motorschutzes ist danach ausgeschlossen, wenn die Abschalteinrichtung unter Bedingungen aktiviert ist, die innerhalb eines Jahres üblicherweise in ihrer Summe länger herrschen, als dies nicht der Fall ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2023 – 6 U 198/20, juris Rz. 137 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.02.2024 – 6 U 45/21, juris Rz. 96). Die Voraussetzungen des Ausschlusskriteriums sind vorliegend selbst dann erfüllt, wenn man mit dem letzten Vortrag der Beklagten zu 2) von einer Abrampung ab 12° C ausgeht. Betrachtet man das von der Verordnung 715/2007/EG erfasste Unionsgebiet insgesamt, dann enthält dieses Gebiet viele besiedelte Gegenden, etwa die nördlichen Teile von Finnland und Schweden, in denen in Herbst, Winter und Frühling und damit im überwiegenden Teil eines Jahres Temperaturen unter 12° C herrschen. In diesen Gebieten wird nach den Parametern des Thermofensters bei gewöhnlichem Betrieb des Fahrzeugs während mehr als der Hälfte eines Jahres die Abgasrückführung und damit die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert. Dass diese Verringerung nach dem Vortrag der Beklagten zu 2) geringfügig ist, steht einer Unzulässigkeit nicht entgegen. Damit ist das streitgegenständliche Thermofenster auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht als notwendig im Rechtssinne einzustufen, wenn es aus technischer Sicht zum Motorschutz erforderlich wäre.
56
bb. Die Beklagte zu 2) handelte insoweit auch fahrlässig und damit schuldhaft. Voraussetzung für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist ein schuldhaftes Handeln des Anspruchsgegners, wobei ein fahrlässiger Verstoß genügt (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 36, 38). Es besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung, die von der Beklagten ausgeräumt werden muss (BGH, a.a.O., Rz. 59). Insbesondere ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet sowohl für einen Verbotsirrtum als auch für dessen Unvermeidbarkeit (BGH, a.a.O. Rz. 63). Weil auch das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn 59 ff.). Vorliegend ist der Beklagten zu 2) eine Widerlegung der Verschuldensvermutung nicht gelungen.
57
Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum der Beklagten zu 2) liegt nicht vor. Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken. Ein entlastend wirkender Verbotsirrtum kann vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte.
58
Den Beweis kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, wenn diese die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren Einzelheiten umfasst. Zum anderen kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat.
59
Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 Rn. 64 ff.).
60
Vorliegend führt die Beklagte zu 2) an, das KBA habe in Kenntnis des Thermofensters und dessen Bedatung im Rahmen der Freigabe des Softwareupdates zur Korrektur des Ki-Faktors ausdrücklich erklärt, in dem Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen gefunden zu haben. Für das streitgegenständliche Fahrzeug hätte demnach eine Erkundigung beim KBA eine etwaige Fehlvorstellung der Beklagten bestätigt.
61
Dies genügt den oben genannten Anforderungen, die der Bundesgerichtshof für eine Entlastung des Fahrzeugherstellers aufgestellt hat, nicht. Die Beklagte hat schon keinen konkreten Verbotsirrtum dargelegt und unter Beweis gestellt. Hierzu fehlt bereits ein konkreter Vortrag der Beklagten zu 2), welche Organwalter des Geschäftsführungsorgans der Beklagten zu 2) (Vorstandsmitglieder) oder sonst im Sinne von § 31 BGB verantwortliche Personen der Beklagten zu 2) welches Vorstellungsbild zu dem Thermofenster und dessen Zulässigkeit hatten. Eine etwaige Fehlvorstellung „der Beklagten“ oder sonst nicht näher benannter Verantwortlicher der Beklagten reicht insoweit nicht aus.
62
cc. Der Klägerin ist durch das schuldhafte Ausstellen einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung auch ein Schaden entstanden. Infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung bestand jedenfalls abstrakt ein Stilllegungsrisiko. Die nach den Vorgaben der Verordnung 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung führt bei wertender Betrachtung und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu dem Schutzzweck des Typengenehmigungsrechts dazu, dass der „wahre Wert“ des Fahrzeugs hinter dem Kaufpreis zurück blieb. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass ein Käufer bei Kenntnis dieser Sachlage den streitgegenständlichen Kauf nicht zu dem gleichen Preis getätigt hätte.
63
Der Klägerin steht somit gegen die Beklagte zu 2) dem Grunde nach ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu.
64
b. Vorliegend besteht der Anspruch in Höhe von 958,73 €.
65
aa. Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ist auf den Ersatz des sogenannten Differenzschadens gerichtet (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 5/21, juris Rz. 39 ff.). Es handelt sich um das rechnerische Minus, welches sich daraus ergibt, dass der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung und der deshalb unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung hinter dem Kaufpreis zurückbleibt (BGH a.a.O. Rz. 40). Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH a.a.O. Rz. 41).
66
Die Höhe dieses Schadens ist nach § 287 ZPO zu schätzen, und zwar im Bereich einer nach oben aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und nach unten aus Gründen effektiver Durchsetzung des Typengenehmigungsrechts begrenzten Spanne zwischen 5% und 15% des Kaufpreises (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 5/21, juris Rz. 42, 43). Dabei ist insbesondere auf das Risiko behördlicher Anordnungen in Bezug auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs, vor allem auf Umfang und Eintrittswahrscheinlichkeit möglicher Betriebsbeschränkungen im Zeitpunkt des Vertrages abzustellen (a.a.O. Rz. 76). Ferner ist, um dem europarechtlichen Gebot hinreichender Sanktionierung Rechnung zu tragen, auf das Gewicht des Rechtsverstoßes und den Grad des Verschuldens abzustellen (a.a.O. Rz. 77). Der Erholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es nicht (a.a.O. Rz. 78).
67
Der Senat schätzt nach diesen Grundsätzen den Differenzschaden vorliegend auf 10% des Kaufpreises. Auszugehen ist insoweit von einem nicht unbeträchtlichen Verstoß gegen die europarechtlichen Anforderungen. Andererseits erschien im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses das Risiko behördlicher Nutzungsbeschränkungen angesichts der Genehmigungspraxis des KBA eher gering. Dem Senat erscheint es daher angemessen, sich in der Mitte des vorgegebenen Rahmens zu halten.
68
bb. Bezugsgröße des Differenzschadens ist vorliegend der Nettokaufpreis, hier mithin 51.768,91 €. Die Klägerin ist zum Abzug der Vorsteuer berechtigt, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG. Bei dem Fahrzeug handelt es sich ausweislich der Zulassung auf „H. H.“ (Anlage K3) und der auf diese ausgestellte, die Mehrwertsteuer ausweisenden Rechnung (Anlage K2) um ein Firmenfahrzeug. Die Klägerin hat das Fahrzeug daher als Unternehmerin erworben, § 2 Abs. 1 UStG. Die auf den Kaufpreis entrichtete Umsatzsteuer konnte von der Klägerin bei der nachfolgenden Umsatzsteuervoranmeldung somit abgezogen werden und war für sie daher ein Durchlaufposten.
69
cc. Im Wege des Vorteilsausgleichs muss sich der Geschädigte auf seinen Schadenersatzanspruch diejenigen Vorteile anrechnen lassen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Er darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar sind und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (st. Rspr; vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 65). Diese Grundsätze können dazu führen, dass der Klagepartei zum Schluss der mündlichen Verhandlung – dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung der anzurechnenden Vorteile (etwa: BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 23 mwN) – ein Schaden nicht verbleibt.
70
Beim Differenzschadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeuges nur insoweit und erst dann schadensmindernd anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (vgl. zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn. 44 und 80; zu § 826 BGB BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 22). Die Bewertung der gezogenen Nutzungen schätzt der Senat auf Basis der vom Bundesgerichtshof für zulässig erachteten Methode der linearen Wertminderung (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, Rdnrn 12 f. und Beschluss vom 12.10.2021 – VIII ZR 255/20, Rdnrn 22 f.) gemäß § 287 ZPO unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km, die bei dem hier vorliegenden Kauf eines Neufahrzeugs zugleich die Restlaufleistung darstellt.
71
Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug am 28.02.2024 unstreitig 125.277 km. Dies ergibt ausgehend von dem Nettokaufpreis einen Nutzungsvorteil in Höhe von 21.618,18 € (51.768,91 € / 300.000 km x 125.277 km). Entgegen dem Vorbringen der Beklagten ist auch für die Schätzung der anzurechnenden Nutzungsvorteile der Nettokaufpreis zu Grunde zu legen. Durch die Anrechnung der Nutzungsvorteile soll bei deliktischen Ansprüchen eine Überkompensation vermieden werden. Abzustellen ist daher auf den wirtschaftlichen Wert der Nutzungen für die Klägerin. Diese bemessen sich nach deren tatsächlichen Aufwendungen für den Erwerb des Fahrzeugs und dies ist in Fällen der Vorsteuerabzugsberechtigung der Nettokaufpreis (so bereits Senat, Urteil vom 23.02.2022 – 7 U 5748/21, juris Rn. 39 f; ebenso OLG München, Urteil vom 09.10.2023 – 36 U 7055/22, juris Rn. 73 m.w.N.; zu dem diesbezüglichen tatrichterlichen Ermessen vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2023 – VIa ZR 752/22, juris Rn. 20).
72
Hinsichtlich des Restwerts des Fahrzeugs geht der Senat von dem (netto) Händlereinkaufspreis gemäß Gebrauchtwagenbewertung nach DAT/Schwacke (SilverDAT) aus, § 287 ZPO. Dabei handelt es sich nach Auffassung des Senats um denjenigen Betrag, den der Verkäufer eines Gebrauchtwagens bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge zu erzielen vermag, zumal sich in Zeiten weitestgehender Verbreitung des Internets nicht nur gewerbliche, sondern auch private Gebrauchtwagenkäufer bei lebensnaher Würdigung an den im Internet verfügbaren Kfz-Bewertungsmöglichkeiten orientieren werden. Für das streitgegenständliche Fahrzeug ergab eine SilverDAT-Abfrage einen aktuellen Restwert von 29.192 €.
73
Die Summe aus Nutzungsvorteil und Restwert beträgt somit 50.810,18 € und übersteigt den „wahren Wert“ im Kaufzeitpunkt (= Kaufpreis netto – Differenzschaden) von 46.592,02 € um 4.218,16 €. Rechnet man 4.218,16 € auf den Differenzschaden in Höhe von 5.176,81 € an, verbleibt ein zu ersetzender Differenzschaden in Höhe von 958,73 €.
74
4. Soweit die Beklagte zu 2) zu Zahlung zu verurteilen war, schuldet sie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit nach §§ 291, 288 BGB. Einen vorherigen Verzug hat die Klägerin nicht dargelegt. Insoweit ist beachtlich, dass die Beklagte zu 2) durch das Anwaltsschreiben vom 26.03.2019 schon deshalb nicht in Verzug kommen konnte, weil die Klägerin in dem Schreiben zum einen unberechtigt Zahlung Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs verlangt und weil zum anderen der in dem Schreiben geltend gemachte Betrag von 70.644,84 € um 9.039,84 € höher ist, als der von der Klägerin gezahlte Kaufpreis. Selbst wenn der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) ein Anspruch nach § 826 BGB zugestanden hätte, würde sie durch das Anwaltsschreiben vom 26.03.2019 versuchen, 9.039,84 € mehr zu erhalten, als sie ursprünglich gezahlt hat, obschon sich der der Klägerin gewährte Rabatt von 7.596,50 € zzgl. USt aus der Rechnung (Anlage K2) schon bei flüchtiger Betrachtung klar ergibt. Der Zinssatz beträgt 5% über dem Basiszinssatz. Zwar ist an dem Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 2) kein Verbraucher beteiligt. Auch dann kann der von der Klägerin begehrte Zinssatz von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aber nur verlangt werden, wenn es sich um eine Entgeltforderung handelt (§ 288 Abs. 2 BGB), wozu Schadensersatzforderungen nicht gehören (BGH Urteil vom 24.01.2018 – XII ZR 120/16, juris Rn. 26).
75
Auch die verlangte Freistellung von Anwaltskosten schuldet die Beklagte zu 2) nicht. Anwaltskosten sind kein Teil des nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ersatzfähigen Schadens (BGH Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 14/22 Rn. 13). Ein Anspruch aus Verzug besteht schon deshalb nicht, weil die Beklagte zu 2) im Zeitpunkt der Beauftragung der Klägervertreter durch die Klägerin nicht in Verzug war. Darauf, dass die vorgerichtliche Tätigkeit der Klägervertreter aufgrund der fehlenden Berücksichtigung des aus der Rechnung klar ersichtlichen, der Klägerin gewährten Rabatts in dem anwaltlichen Aufforderungsschreiben weder erforderlich, noch zielgerichtet war, kommt es daher nicht an.
76
5. Ein Annahmeverzug der Beklagten zu 2) war nicht festzustellen, da sich die Beklagte zu 2) nicht in Annahmeverzug befindet.
77
Ebenso wenig war festzustellen, dass die Klage hinsichtlich der durch die Klägerin einseitig für erledigt erklärten Klageteile ursprünglich zulässig und begründet war und sich durch ein nachfolgendes Ereignis erledigt hat. Auch insoweit gilt, dass bereits ursprünglich die Klage gegenüber der Beklagten zu 2) nur hinsichtlich des Differenzschadens begründet war, nicht aber hinsichtlich eines Zugum-Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs zu erfüllenden großen Schadensersatzes.
78
Diesbezüglich kommt hinzu, dass auch nur ein geringer Teil der von der Klägerin im Schriftsatz vom 14.12.2023 (Bl. 369 d.A.) vorgenommenen Änderungen des Klageziels auf ein erledigendes Ereignis zurückgeführt werden könnte. Zwar tragen die anwaltlichen Vertreter der Klägerin in dem Schriftsatz (dort S. 3, Bl. 371 d.A.) im Ausgangspunkt zutreffend vor, dass es sich um ein erledigendes Ereignis handelt, wenn nach Klageeinreichung weiter gefahrene Kilometer abgezogen werden. Tatsächlich beruhen die im Schriftsatz vom 14.12.2023 gegenüber den ursprünglichen Anträgen vorgenommenen Änderungen aber nur zum Teil auf dem anzurechnenden Nutzungsersatz. Denn die Klägerin hält im Schriftsatz vom 14.12.2023 auch an den sowohl erstinstanzlich beantragten, als auch in der Berufungsbegründung vom 10.06.2020 angekündigten, indes bereits bei Klageeinreichung unbegründeten Deliktszinsen in Höhe von 4 Prozent aus 61.105 € seit 10.05.2017 bis 09.04.2019 nicht mehr fest und sie berücksichtigt im Schriftsatz vom 14.12.2023 erstmals ihre bereits bei Klageeinreichung bestehende Vorsteuerabzugsberechtigung. Dass die – anwaltlich vertretene – Klägerin diese Abweichungen in ihrem Schriftsatz vom 14.12.2023 gegenüber dem Gericht und den weiteren Verfahrensbeteiligten nicht offen legt, sondern dort erkennbar unzutreffend ausführt, sie habe bereits ursprünglich (nur) 51.034,81 € beantragt, steht dem nicht entgegen, da sich die jeweiligen Abweichungen aus den Schriftsätzen der Klägerin und den von ihr in erster Instanz gestellten Anträgen zweifelsfrei ergeben. Eine Erledigung ist insgesamt nicht eingetreten, die Beklagten haben der Erledigterklärung richtigerweise widersprochen und der auf Feststellung der Erledigung gerichtete Klageteil war abzuweisen.
79
II. Gegenüber der Beklagten zu 1) stehen der Klägerin keine Ansprüche zu. Die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Berufung war daher insgesamt zurückzuweisen.
80
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu1) keine deliktischen Ansprüche. Die Beklagte zu 1) ist Verkäuferin, aber nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Sie ist weder Inhaberin der Typengenehmigung, noch hat die Beklagte zu 1) eine eigene Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt. Es besteht daher keine Haftung der Beklagten zu 1) nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Auch eine Teilnahme der Beklagten zu 1) an dem Delikt der Beklagten zu 2) ist nicht ersichtlich.
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2. Die Klägerin kann von der Beklagten zu 1) auch keine Rückabwicklung des Kaufvertrages nach §§ 433, 434, 437 Nr. 2, 440, 346 ff. BGB verlangen. Zwar können sowohl die ursprünglich aufgrund des falschen Ki-Faktors fehlerhafte Einstellung des Abgaskontrollsystems als auch das zu eng bedatete Thermofenster dazu führen, dass sich aufgrund einer zumindest latent bestehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung das Fahrzeug nicht vollumfänglich für die gewöhnliche Verwendung eignet und somit ein Kaufmangel im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB besteht (s., allerdings zu Motoren der Baureihe EA 189, BGH, Urteil vom 21.07.2021 – VIII ZR 254/20, juris Rn. 35 ff.). Auch ist zumindest bei dem Thermofenster als unzulässiger Abschalteinrichtung davon auszugehen, dass es sich insoweit nicht um einen geringfügigen Mangel handelt. Auch in diesem Fall konnte die Klägerin aber jedenfalls von dem Kaufvertrag erst nach dem erfolglosen setzen einer Nacherfüllungsfrist zurücktreten. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, denn die Klägerin hat die Beklagte zu1) zu keinem Zeitpunkt vor dem Rücktritt zu einer Nacherfüllung aufgefordert. Das Nacherfüllungsverlangen war vorliegend auch nicht verzichtbar. Eine fehlende Behebbarkeit des Mangels ist von der Klägerin nicht vorgetragen und wäre aus Sicht des Senats auch nicht sonst ersichtlich, denn dem Senat ist aus anderen Verfahren bekannt, dass durch Anpassungen der Software der Motorsteuerung dort hinterlegte Thermofenster auch ausgeweitet werden können, wie dies etwa bei den Motoren der Baureihe EA 189 geschehen ist. Dass die Beklagte zu 1) dies nicht eigenständig durchführen kann, sondern hierzu der Mithilfe etwa der Beklagten zu 2) bedarf, lässt das Erfordernis nicht entfallen, denn der Verkäufer kann grundsätzlich frei entscheiden, wie er die von dem Käufer gewählte Art der Nacherfüllung iSv § 439 BGB bewirkt. Dies gilt hinsichtlich der geänderten Motorsteuerung zur Berücksichtigung des zutreffenden Ki-Faktors auch hinsichtlich eines erhöhten AdBlue-Verbrauchs. Vorliegend ist mit dem Vortrag der Beklagten von einem geringfügig höheren Verbrauch auszugehen. Diesen konnte die Klägerin nicht einfach mit Nichtwissen bestreiten, denn nachdem es sich um ein verpflichtendes Update handelte, ist davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug dieses auch erhalten hat. Nachdem die Klägerin mit dem Fahrzeug insgesamt 125.000 km gefahren ist, konnte und musste sie den Vortrag der Beklagten zu einem geringfügig höheren Verbrauch dadurch bestreiten, dass sie die bei ihr angefallenen höheren AdBlue-Verbrauche konkret vorträgt. Das hat die Klägerin aber nicht getan. Das klägerseits beantragte Sachverständigengutachten war daher nicht zu erheben. Ein geringfügig erhöhter Verbrauch, der vorliegend durch die Möglichkeit, den Tank bis zu 8 mal kostenlos nachzufüllen kompensiert wird, macht die Nacherfüllung nicht unzumutbar.
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Entgegen dem Vortrag der Klägerin war das vorherige Verlangen einer Nacherfüllung vorliegend auch nicht deshalb verzichtbar, weil die Beklagte zu 2) die Klägerin sittenwidrig geschädigt hätte. Zum einen konnte die Klägerin, wie oben unter I.1. ausgeführt, eine sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte zu 2) nicht hinreichend darlegen und zum anderen würde auch eine hier nicht gegebene vorsätzliche deliktische Schädigung der Klägerin durch die Beklagte zu 2) nicht dazu führen, dass die Klägerin ohne vorheriges Nacherfüllungsverlangen gegenüber der Beklagten zu 1) von dem mit dieser geschlossenen Kaufvertrag zurücktreten kann.
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Ob die Mängel der Kaufsache im Verhältnis der Klägerin zur Beklagten zu 1) eine Minderung rechtfertigen, kann dahinstehen, da die anwaltlich vertretene Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1) eine Minderung nicht, auch nicht hilfsweise, verlangt hat. Insoweit kann auch das hilfsweise Verlangen eines Differenzschadens nicht in ein Minderungsverlangen umgedeutet werden, denn die Klägerin macht den Differenzschaden ausdrücklich nur gegenüber der Beklagten zu 2) hilfsweise geltend.
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Da somit bereits in der Hauptsache keine Ansprüche der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1) bestehen, bestehen auch keine Nebenforderungen. Zudem war, wie oben dargelegt, auch gegenüber der Beklagten zu 1) weder eine Erledigung, noch ein Annahmeverzug festzustellen.
C.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 ZPO. Die Klägerin unterliegt in dem Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten zu 1) vollständig und gegenüber der Beklagten zu 2) größtenteils. Insoweit ist davon auszugehen, dass auch erster Instanz die Klägerin letztlich keinen Schadensersatz hätte gewinnen können, der über die jetzt ausgeurteilte Höhe hinausgeht. Auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz bestand nur ein Anspruch auf Differenzschaden und auf diesen waren die Nutzungsvorteile und der Restwert anzurechnen. Soweit zu dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz die Laufleistung 73.803 km geringer und der Nutzungsvorteil dementsprechend 12.735,67 € geringer war, steht dem ein höherer Restwert entgegen, denn das Fahrzeug wies im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine entsprechend geringere Laufleistung und ein um 4 Jahre geringeres Alter auf. Der Senat schätzt den Restwert des Fahrzeugs im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz (04.02.2020) auf mindestens 41.900 €. Auch für die erste Instanz ist daher ein hypothetischer Erfolg der Klage gegenüber der Beklagten zu 2) nur in Höhe von 986,40 € anzunehmen. Dem steht das Unterliegen hinsichtlich des darüber hinaus gehenden Antrags zu 1 (61.105 € – 986.40 € = 60.118,60 €) und das Unterliegen hinsichtlich der Deliktszinsen (= 4.747,77 € bei 4% Zins aus 61.105 € für ein Jahr und 344 Tage) entgegen. Selbst ohne Berücksichtigung des Unterliegens hinsichtlich eines Teils des Zinslaufs und der Zinshöhe hätte die Klage in erster Instanz gegenüber der Beklagten zu 2) nur zu 1,5% und damit bei Berücksichtigung des vollständigen Unterliegens gegenüber der Beklagten zu 1) nach der Formel von Baumbach insgesamt nur zu 0,75% Erfolg gehabt. Für den Anteil des Erfolgs in der Berufungsinstanz war zu berücksichtigen, dass die Berufung hinsichtlich der Beklagten zu 1) insgesamt keinen Erfolg und hinsichtlich der Beklagten zu 2) ebenfalls nur einen ganz geringen Erfolg hatte, denn auch dort waren für den erfolglosen Feststellungsantrag hinsichtlich der einseitig für erledigt erklärten Teile 80% des ursprünglichen Begehrens und damit neben den zuletzt als Zahlung verlangten 31.190,25 € weitere 19.864,11 € zu berücksichtigen. Auch hier betrug der Erfolg gegenüber der Beklagten zu 2) daher lediglich 1,8%, und bei Berücksichtigung der Kostenformel von Baumbach der Erfolg der Berufung insgesamt unter 1%. Der Klägerin waren daher nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen (s. dazu, dass § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auch zu Gunsten des Beklagten anwendbar ist, wenn dieser nur zu einem geringfügigen Betrag verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen wird Hüßtege in Thomas/Putzo § 92 Rn. 8).
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Bei der Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren hat der Senat bis zur einseitigen Erledigterklärung der Klägerin den Betrag des Zahlungsantrags nach Ziffer 1 der Berufungsbegründung in voller Höhe, danach den verringerten Zahlungsbetrag nach Ziffer 1 vollständig und den Wert der nicht mehr weiterverfolgten Ansprüche (Zahlung und Deliktszinsen) zu 80% angesetzt.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 II ZPO) nicht vorliegen.