Titel:
Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz beim Einbau eines Thermofensters (hier: Audi Q7 3.0 TDI quattro)
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Einen Differenzschaden bejahend: OLG Celle BeckRS 2023, 32827; OLG Dresden BeckRS 2023, 22299; OLG Hamburg BeckRS 2023, 26911; OLG Hamm BeckRS 2023, 25175; OLG München BeckRS 2024, 5142; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; OLG Schleswig BeckRS 2023, 35465; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; für Wohnmobil: OLG Naumburg BeckRS 2023, 27644. (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen (hier: kein konkreter Verbotsirrtum dargelegt und unter Beweis gestellt). (Rn. 33 und 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Liegt ein nicht unbeträchtlicher Verstoß gegen die europarechtlichen Anforderungen vor und erscheint andererseits im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses das Risiko behördlicher Nutzungsbeschränkungen angesichts der Genehmigungspraxis des KBA eher gering, kann sich die Schätzung des Differenzschadens in der Mitte des vorgegebenen Rahmens halten (10 %). (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Restwert des Fahrzeugs kann in Höhe des (netto) Händlereinkaufspreises gemäß Gebrauchtwagenbewertung nach DAT/Schwacke (SilverDAT) geschätzt werden, § 287 ZPO. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, EA 897, V6-TDI Dieselmotor, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum, hypothetische Genehmigung
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 26.11.2020 – 20 O 6294/20
Fundstelle:
BeckRS 2024, 5496
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 26.11.2020, Az. 20 O 6294/20, abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.287,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.11.2018 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte 10% zu tragen, die Klägerin trägt 90%.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz, zuletzt nurmehr in der Form des Differenzschadens, wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
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Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin erwarb am 25.06.2015 bei der M. A. GmbH den streitgegenständlichen, von der Beklagten hergestellten Audi Q7 3.0 TDI quattro, FIN: …03 als Neufahrzeug zum Preis von brutto 86.725 € (netto 72.878,15 €). Das Fahrzeug wies im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht einen Kilometerstand von 91.179 km und am 05.03.2024 eine Laufleistung von 125.568 km auf.
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In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellte V6-TDI Dieselmotor der Baureihe EA 897 mit 200 kw Leistung verbaut. Das Fahrzeug soll der Schadstoffklasse EU 6 entsprechen. Die Abgasreinigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs findet durch eine Kombination aus einer innermotorischen Abgasrückführung und einer nachgelagerten Abgasreinigung durch SCR-Katalysator mit Einspritzung von ADBlue statt. Die Beklagte ist Inhaberin der Typengenehmigung für Fahrzeuge der entsprechenden Baureihe und erteilte für das streitgegenständliche Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung.
4
Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete unter der Kennziffer 23X6 für das Fahrzeug einen verbindlichen Rückruf an, wobei zwischen den Parteien zuletzt unstreitig ist (Schriftsatz der Klägerin vom 09.01.2024, dort S. 4 = Bl. 153 d.A.), dass dieser Rückruf erfolgte, weil ein Sensor bei dem AdBlue System nicht oder nicht mit hinreichender Genauigkeit erkannte, wenn sich in dem AdBlue Tank nicht die zur Stickoxidreduktion erforderliche Harnstofflösung, sondern eine andere Reagens (etwa Wasser) befindet. Die zur Behebung dieser Beanstandung erforderliche Neukalibrierung des Sensors durch ein Softwareupdate wurde bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorgenommen.
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Vorgerichtlich wurde die Beklagte durch Anwaltsschreiben der jetzigen Prozessvertreter der Klägerin vom 02.11.2018 aufgefordert, die Schadensersatzpflicht dem Grunde nach anzuerkennen.
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Die Klägerin behauptete, der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei von dem Abgasskandal vergleichbar betroffen, wie die Motoren der Baureihe EA 189. Das Fahrzeug erkenne, ob es sich auf dem Prüfstand befinde. Die EU 6 – Werte würden nur auf dem Prüfstand eingehalten und im Normalbetrieb um ein Vielfaches überschritten. Das Fahrzeug wechsle zwischen einem auf Abgasreduktion ausgerichteten Modus im Prüfstand zu einem nicht auf Abgasreduktion ausgerichteten Modus im Normalbetrieb. Das vom KBA geforderte Softwareupdate habe nur zu „unvollkommenen Ergebnissen“ geführt (Klageschrift vom 20.05.2020, dort S. 6). Mit Schriftsatz vom 29.10.2020 führt die Klägerin aus, in dem Fahrzeug sei ein unzulässiges Thermofenster verbaut. Dieses führe dazu, dass die Abgasreinigung jedenfalls bei Temperaturen ab und unter 5° C signifikant reduziert sei, wenn nicht sogar die Abgasreinigung bei Temperaturen außerhalb von 17° C bis 30° C abgeschaltet werde (Bl. 75 d.A.).
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Die Klägerin beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Audi mit der Fahrgestellnummer …203 an die Klagepartei € 73.592,36 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 77.532,15 Euro seit dem 17.11.2018 zu bezahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs gemäß vorstehender Ziffer 1 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 2.085,95 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2018 zu erstatten.
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Die Beklagte beantragte
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Die Beklagte führte aus, es bestehe kein Rückrufbescheid des KBA wegen einer Abschalteinrichtung. In dem Fahrzeug sei keine Umschaltlogik verbaut. Der Vortrag der Klägerin zu einem Vorsatz der A. AG sei unschlüssig. Das KBA habe mit dem Schreiben vom 01.03.2019 (Anlage B3) bestätigt, dass das Fahrzeug nicht von einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen sei. Zu dem Thermofenster führt die Beklagte in erster Instanz (Schriftsatz vom 03.11.2020, Bl. 85 d.A.) aus, das System der Abgasrückführung könne bei kalten Temperaturen Schäden durch Versottung erleiden. Die Abgasrückführung werde daher bei kühleren Temperaturen zurückgefahren. Hätte man bei 5 Grad eine identische Rückführung wie bei 20 Grad vorgesehen, also eine Abgasrückführungsrate von 100%, so wären insbesondere die Abgasrückführungs- (AGR) Kühler versottet (so der Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 03.11.2020, dort S. 5 unten = Bl. 89 d.A.).
10
Mit Endurteil vom 26.11.2020 hat das Landgericht München I die Klage abgewiesen. Das Landgericht führt aus, die Klägerin habe eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte nicht substanziiert vorgetragen. Der Einsatz eines Thermofenster sei auch dann, wenn es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle, nicht sittenwidrig, da die Zulässigkeit entsprechender Thermofenster zumindest umstritten sei. Die Annahme eines für § 826 BGB erforderlichen Täuschungsvorsatzes könne erst gerechtfertigt werden, wenn die Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung kaum vertretbar erschiene und davon auszugehen sei, der Hersteller habe die Unerlaubtheit seines Vorgehens erkannt.
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Zu Ansprüchen aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6A bs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV äußert sich das Urteil nicht. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angegriffenen Entscheidung wird im Übrigen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
12
Mit der am 04.01.2021 eingelegten und mit Schriftsatz vom 02.03.2021 begründeten Berufung verfolgt die Klägerin zunächst ihr erstinstanzliches Klageziel und Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags weiter. Die Klägerin führt aus, vorliegend sei das Thermofenster exakt auf die Bedingungen des NEFZ (20° C bis 30° C) ausgerichtet.
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Mit Schriftsatz vom 09.01.2024 führt die Klägerin aus, es werde nicht mehr der auf Rückabwicklung des Vertrags gerichtete große Schadensersatz, sondern nur noch der auf Wertminderung gerichtete kleine Schadensersatz wegen der zum Zeitpunkt des Erwerbs vorhandenen Abschalteinrichtungen geltend gemacht. Die fehlende Erkennung einer falschen Betankung des AdBlue-Tanks sei eine Abschalteinrichtung. Darüber hinaus sei auch das unstreitig vorhandene Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Beklagte habe insoweit schuldhaft gehandelt, der Kläger hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn er gewusst hätte, dass das Fahrzeug aufgrund einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Kaufzeitpunkt weniger Wert gewesen sei, als der von ihm verlangte und bezahlte Kaufpreis. Anzusetzen sei ein Differenzschaden in Höhe von 15% des Nettokaufpreises.
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Unter Zurücknahme der darüber hinausgehenden Berufung beantragt die Klägerin zuletzt:
1. Unter Aufhebung des am 26.11.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az. 20 O 6294/20, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 10.931,72 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.11.2018 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.11.2018 zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
16
Mit Schriftsatz vom 02.02.2024 (Bl. 169 d.a.) trägt die Beklagte zu dem Thermofenster nunmehr vor, der Temperaturbereich der aktiven Abgasrückführung, d.h. der Bereich, in dem die Abgasrückführung tatsächlich aktiv sei, liege in einem repräsentativen Betriebspunkt zwischen ca. -12° C und 42° C. Innerhalb dieses Temperaturfensters finde zwischen ca 0° C und ca. 42° C in Abhängigkeit von der Umgebungslufttemperatur keine aktive Veränderung der AGR Rate durch das Thermofenster statt. Außerdem habe das KBA am 07. August 2019 für das Fahrzeug ein Software-Update freigegeben. Nach dem Aufspielen des Updates weise das Thermofenster folgende Bedatung auf: Der Temperaturbereich der aktiven Abgasrückführung liege in einem repräsentativen Betriebspunkt zwischen mindestens -12° C und 50° C. Innerhalb des Temperaturfensters finde zwischen ca. -5° C und mindestens ca. 50° C in Abhängigkeit von der Umgebungslufttemperatur keine aktive Veränderung der AGR-Rate durch das Thermofenster statt (Berufungserwiderung vom 02.20.2024, dort S. 13 = Bl. 181 d.A.). Warum die Beklagte dem erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin, das Thermofenster führe bei Temperaturen ab 17° C und weniger zu einer Reduktion der Abgasrückführung, dort nicht entgegen getreten ist, wird in der Berufungserwiderung nicht dargelegt. Ebenso wenig wird dargelegt, wie sich der jetzige Vortrag der Beklagten zu deren Vortrag im Schriftsatz vom 03.11.2090 verhält, in dem die Beklagte auf S. 5 unten (=Bl. 89 d.A.) vorträgt, die Abgasrückführungskühler wären versottet, wenn man bei 5° C eine identische Abgasrückführungsrate wie bei 20° C vorgesehen hätte.
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Der Senat hat am 06.03.2024 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2024, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den Übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
18
Der Klägerin steht gegen die Beklagte wegen des Einbaus eines unzulässigen Thermofensters ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Die zulässige Berufung der Klägerin ist daher hinsichtlich des zuletzt noch verlangten Differenzschadens überwiegend, aber nicht vollständig begründet. Hinsichtlich der zuletzt darüber hinaus – wenn auch in geringerem Umfang als ursprünglich – verlangten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat die Berufung keinen Erfolg.
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I. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung eines Differenzschadens in Höhe von 7.287,81 € nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
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Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des landgerichtlichen Urteils entschieden hat (Urteile des BGH vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22), steht dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ausgehend hiervon haftet die Beklagte der Klägerin auf Schadensersatz.
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1. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine Abschalteinrichtung in der Form eines Thermofensters.
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a. Nach Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007/EG ist Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur … ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, reduziert wird. Bei der Bestimmung, welche Bedingungen bei im Sinne dieser Vorschrift normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, juris Rz. 40; BGH Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, juris Rn. 50).
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b. Entgegen dem Vortrag der Klägerin ist daher der ursprünglich fehlerhafte Sensor zur Kontrolle der Befüllung des AdBlue Tanks bereits nach der Legaldefinition der Abschalteinrichtung durch Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007/EG keine Abschalteinrichtung. Denn nicht dieser Sensor, sondern die ggf. falsche Befüllung des AdBlue Tanks wirkt vermindernd auf das Abgasreduktionssystem ein.
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c. Zu dem Temperaturbereich des Thermofensters hat die Klägerin in erster Instanz vorgetragen, dass durch das Thermofenster eine Reduktion der Abgasrückführung bereits ab Temperaturen von 17° C und darunter erfolge. Die Beklagte hat dem in erster Instanz nicht widersprochen. Auf der Grundlage dieses Vortrags erfolgt eine Reduktion daher bereits bei Temperaturen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind.
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d. Daran ist auch im Lichte der Ausführungen der Beklagten in deren Schriftsatz vom 02.02.2024 festzuhalten. Zwar gibt die Beklagte hier einen Temperaturbereich voller Wirksamkeit von 0° C bis 42° C und nach dem Update (von dem die Beklagte in erster Instanz allerdings noch vorgetragen hatte, es erfolge allein zur Neukalibrierung des Sensors des ADBlue-Tanks) einen Temperaturbereich voller Wirksamkeit von -5° C bis 50° C an. Auch würde dieser Temperaturbereich dazu führen, dass bei gewöhnlichem Betrieb des Fahrzeugs das Thermofenster die Abgasreduktion nicht vermindert. Allerdings trägt die Beklagte den Temperaturbereich jeweils nur für einen – wenn auch behauptetermaßen repräsentativen – Betriebspunkt vor. Der Vortrag ist daher nicht geeignet, darzulegen, dass das Thermofenster keine Abschalteinrichtung ist. Denn bei dem Betrieb von Dieselmotoren wechseln die Betriebspunkte schnell und ständig. Infolgedessen kann der Vortrag für einen Betriebspunkt nicht darlegen, dass bei allen – im normalen Betrieb zu erwartenden – Betriebspunkten ein hinreichend großes Thermofenster besteht.
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2. Das in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Thermofenster ist auch unzulässig im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG. Die Funktion kann zu einer Verringerung der Wirkung der Abgasrückführung führen und ist damit grundsätzlich unzulässig.
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Eine Ausnahme nach lit. a) – c) der Vorschrift greift vorliegend nicht. Ernsthaft in Betracht käme nur, dass die Funktion erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO 715/2007/EG). Diese beiden Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnr. 62). Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG hat die hierzu darlegungs- und beweisbelastete Beklagte indes schon nicht hinreichend vorgetragen. Insoweit ist beachtlich, dass die von der Beklagten als möglich dargelegten Motorschäden durch eine allmähliche Verrußung oder sonstige Ablagerungen (Versottung) auf entsprechenden Motorbauteilen nicht ausreichen, um die Zulässigkeit des Thermofensters darzulegen. Nach dem Beklagtenvortrag bleibt offen, inwieweit diese Ablagerungen ein plötzliches Ereignis darstellen und weswegen den nachteiligen Folgen entsprechender Ablagerungen nur durch ein Thermofenster und nicht etwa auch durch Wartungs- und Reinigungsintervalle begegnet werden kann.
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Rechtlich kommt hinzu, dass der Gerichtshof der Europäischen Union mit Blick auf das Ziel der Verordnung 715/2007/EG für Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG den ungeschriebenen Ausschlussgrund einer motorschützenden Aktivierung der Abschalteinrichtung während des überwiegenden Teils eines Jahres konstatiert. Hiernach kann eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil eines Jahres aktiv sein müsste, damit der Motor vor Beschädigungen oder Unfall geschützt ist, nicht unter die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 lit a) VO 715/2007/EG fallen (EuGH Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, Rdnrn 63 ff., 70 und EuGH Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rdnrn 65 f.). Eine Rechtfertigung der Abschalteinrichtung mit Gründen des Motorschutzes ist danach ausgeschlossen, wenn die Abschalteinrichtung unter Bedingungen aktiviert ist, die innerhalb eines Jahres üblicherweise in ihrer Summe länger herrschen, als dies nicht der Fall ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2023 – 6 U 198/20, Rdnr. 137 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.02.2024 – 6 U 45/21, Rdnr. 96). Die Voraussetzungen des Ausschlusskriteriums sind vorliegend erfüllt. Nach dem insoweit zugrundezulegenden Klagevortrag erfolgt durch das ursprüngliche Thermofenster eine Verringerung der Abgasrückführung und damit eine Verminderung der Wirkung des Emissionskontrollsystems bereits bei Temperaturen, die niedriger als 17 °C sind. Betrachtet man das von der Verordnung 715/2007/EG erfasste Unionsgebiet insgesamt, dann enthält dieses Gebiet viele besiedelte Gegenden (nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland), in denen die Durchschnittstemperaturen während mehr als der Hälfte eines Jahres unter 17° C liegen. In diesen Gebieten wird nach den Parametern des Thermofensters bei gewöhnlichem Betrieb des Fahrzeugs während mehr als der Hälfte eines Jahres die Abgasrückführung und damit die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert. Damit ist das streitgegenständliche Thermofenster auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht als notwendig im Rechtssinne einzustufen, wenn es aus technischer Sicht zum Motorschutz erforderlich wäre.
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Auch insoweit rechtfertigt der zuletzt von der Beklagten vorgebrachte Vortrag zu der Temperaturspanne des Thermofensters vor und nach dem Update keine abweichende Bewertung. Auch hier gilt, dass die Beklagte diesen Temperaturbereich nur für einen – wenn auch behauptetermaßen repräsentativen – Betriebspunkt darlegt. Die Angabe für einen Betriebspunkt reicht aber nicht aus, um darzulegen, dass das Thermofenster nicht bei gewöhnlichem Betrieb des Fahrzeugs unter Bedingungen, die innerhalb eines Jahres üblicherweise in ihrer Summe länger herrschen, als dies nicht der Fall ist, aktiv, also die Abgasrückführung verringernd, ist. Von dem Letzteren ist auch deshalb nicht auszugehen, weil die Beklagte selbst in erster Instanz vorgetragen hat, bei 5° C könne nicht die gleiche Menge Abgas zurückgeführt werden, wie bei 20° C (Schriftsatz der Beklagten vom 03.11.2020, dort S. 5 unten = Bl. 89 d.A.).
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3. Die Beklagte hat hinsichtlich des Einsatzes dieser unzulässigen Abschalteinrichtung auch schuldhaft gehandelt. Gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV genügt ein fahrlässiger Verstoß für die Haftung.
31
Grundsätzlich ist die Klagepartei diesbezüglich darlegungs- und beweisbelastet. Jedoch muss derjenige, der objektiv ein Schutzgesetz verletzt hat, Umstände darlegen und erforderlichenfalls beweisen, die geeignet sind, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens in Form einer Fahrlässigkeit auszuräumen. Insofern besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung. Weil auch das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn 59 ff.). Dies ist der Beklagten nicht gelungen.
32
Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum der Beklagten liegt nicht vor.
33
Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken. Ein entlastend wirkender Verbotsirrtum kann vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte.
34
Den Beweis kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, wenn diese die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren Einzelheiten umfasst. Zum anderen kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat. Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 Rdnrn 64 ff.).
35
Vorliegend meint die Beklagte, es sei davon auszugehen, dass das KBA eine entsprechende Anfrage der Beklagten im Zeitpunkt der Typgenehmigung dahin beantwortet hätte, dass es die Verwendung des im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Auslieferungszeitpunkt applizierten Thermofensters aus Gründen des Motorschutzes und sicheren Betriebs des Fahrzeugs als zulässig erachtet. Für das streitgegenständliche Fahrzeug hätte demnach eine Erkundigung beim KBA eine etwaige Fehlvorstellung der Beklagten bestätigt.
36
Dies genügt den oben genannten Anforderungen, die der Bundesgerichtshof für eine Entlastung des Fahrzeugherstellers aufgestellt hat, nicht.
37
Die Beklagte hat schon keinen Verbotsirrtum dargelegt und unter Beweis gestellt. Eine etwaige Fehlvorstellung „der Beklagten“ und damit nicht näher benannter Verantwortlicher der Beklagten reicht nicht aus. Erforderlich wäre ein konkreter Vortrag, welche Organwalter des Geschäftsführungsorgans der Beklagten (Vorstandsmitglieder) oder sonst im Sinne von § 31 BGB verantwortliche Personen der Beklagten welches Vorstellungsbild zu dem Thermofenster, seiner Funktion und seiner Zulässigkeit hatten.
38
4. Die Beklagte hat den Vortrag des Klägers, er hätte das Fahrzeug nicht zu dem gezahlten Preis erworben, wenn er gewusst hätte, dass in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut sind die dazu führen, dass das Fahrzeug weniger wert ist, als der von ihm bezahlte Kaufpreis, nicht bestritten.
39
5. Der anzusetzende Schaden besteht der Höhe nach vorliegend in Höhe von 10% des Nettokaufpreises, mithin in Höhe von 7.287,81 €.
40
a. Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ist auf den Ersatz des sogenannten Differenzschadens gerichtet (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 5/21, juris Rz. 39 ff.). Es handelt sich um das rechnerische Minus, welches sich daraus ergibt, dass der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung und der deshalb unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung hinter dem Kaufpreis zurückbleibt (BGH a.a.O. Rz. 40). Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH a.a.O. Rz. 41).
41
Die Höhe dieses Schadens ist nach § 287 ZPO zu schätzen, und zwar im Bereich einer nach oben aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und nach unten aus Gründen effektiver Durchsetzung des Typengenehmigungsrechts begrenzten Spanne zwischen 5% und 15% des Kaufpreises (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 5/21, juris Rz. 42, 43). Dabei ist insbesondere auf das Risiko behördlicher Anordnungen in Bezug auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs, vor allem auf Umfang und Eintrittswahrscheinlichkeit möglicher Betriebsbeschränkungen im Zeitpunkt des Vertrages abzustellen (a.a.O. Rz. 76). Ferner ist, um dem europarechtlichen Gebot hinreichender Sanktionierung Rechnung zu tragen, auf das Gewicht des Rechtsverstoßes und den Grad des Verschuldens abzustellen (a.a.O. Rz. 77). Der Erholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es nicht (a.a.O. Rz. 78).
42
Der Senat schätzt nach diesen Grundsätzen den Differenzschaden vorliegend auf 10% des Kaufpreises. Auszugehen ist insoweit von einem nicht unbeträchtlichen Verstoß gegen die europarechtlichen Anforderungen. Andererseits erschien im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses das Risiko behördlicher Nutzungsbeschränkungen angesichts der Genehmigungspraxis des KBA eher gering. Dem Senat erscheint es daher angemessen, sich in der Mitte des vorgegebenen Rahmens zu halten.
43
b. Bezugsgröße des Differenzschadens ist vorliegend der Nettokaufpreis, hier mithin 72.878,15 €. Die Klägerin ist zum Abzug der Vorsteuer berechtigt, § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG. Bei dem Fahrzeug handelt es sich ausweislich der auf die „Firma I.“ ausgestellten, die Mehrwertsteuer ausweisenden Rechnung (Anlage K1) um ein Firmenfahrzeug. Die Klägerin hat das Fahrzeug daher als Unternehmerin erworben, § 2 Abs. 1 UStG. Die auf den Kaufpreis entrichtete Umsatzsteuer konnte von der Klägerin bei der nachfolgenden Umsatzsteuervoranmeldung somit abgezogen werden und war für sie daher ein Durchlaufposten.
44
c. Vorteile sind vorliegend nicht anzurechnen. Im Wege des Vorteilsausgleichs muss sich der Geschädigte auf seinen Schadenersatzanspruch diejenigen Vorteile anrechnen lassen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Er darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar sind und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (st. Rspr; vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 65). Diese Grundsätze können dazu führen, dass der Klagepartei zum Schluss der mündlichen Verhandlung – dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung der anzurechnenden Vorteile (etwa: BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 23 mwN) – ein Schaden nicht verbleibt.
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Beim Differenzschadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeuges nur insoweit und erst dann schadensmindernd anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (vgl. zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn. 44 und 80; zu § 826 BGB BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 22). Die Bewertung der gezogenen Nutzungen schätzt der Senat auf Basis der vom Bundesgerichtshof für zulässig erachteten Methode der linearen Wertminderung (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, Rdnrn 12 f. und Beschluss vom 12.10.2021 – VIII ZR 255/20, Rdnrn 22 f.) gemäß § 287 ZPO unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km, die bei dem hier vorliegenden Kauf eines Neufahrzeugs zugleich die Restlaufleistung darstellt.
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Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug am 05.03.2024 unstreitig 125.568 km. Dies ergibt ausgehend von dem Nettokaufpreis einen Nutzungsvorteil in Höhe von 30.503,88 € (72.878,15 € / 300.000 km x 125.568 km). Auch für die Schätzung der anzurechnenden Nutzungsvorteile ist der Nettokaufpreis zu Grunde zu legen. Durch die Anrechnung der Nutzungsvorteile soll bei deliktischen Ansprüchen eine Überkompensation vermieden werden. Abzustellen ist daher auf den wirtschaftlichen Wert der Nutzungen für die Klägerin. Diese bemessen sich nach deren tatsächlichen Aufwendungen für den Erwerb des Fahrzeugs und dies ist in Fällen der Vorsteuerabzugsberechtigung der Nettokaufpreis (so bereits Senat, Urteil vom 23.02.2022 – 7 U 5748/21, juris Rn. 39 f; ebenso OLG München, Urteil vom 09.10.2023 – 36 U 7055/22, juris Rn. 73 m.w.N.; zu dem diesbezüglichen tatrichterlichen Ermessen vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2023 – VIa ZR 752/22, juris Rn. 20).
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Hinsichtlich des Restwerts des Fahrzeugs geht der Senat von dem (netto) Händlereinkaufspreis gemäß Gebrauchtwagenbewertung nach DAT/Schwacke (SilverDAT) aus, § 287 ZPO. Dabei handelt es sich nach Auffassung des Senats um denjenigen Betrag, den der Verkäufer eines Gebrauchtwagens bei gewöhnlichem Verlauf der Dinge zu erzielen vermag, zumal sich in Zeiten weitestgehender Verbreitung des Internets nicht nur gewerbliche, sondern auch private Gebrauchtwagenkäufer bei lebensnaher Würdigung an den im Internet verfügbaren Kfz-Bewertungsmöglichkeiten orientieren werden. Für das streitgegenständliche Fahrzeug ergab eine SilverDAT-Abfrage einen aktuellen Restwert von 29.644 €.
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Die Summe aus Nutzungsvorteil und Restwert beträgt somit 60.147,88 € und übersteigt den „wahren Wert“ im Kaufzeitpunkt (= Kaufpreis netto – Differenzschaden) von 65.590,33 € nicht. Eine Anrechnung von Nutzungsvorteilen hat daher zu unterbleiben.
49
II. Soweit der Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens besteht, schuldet die Beklagte Zinsen nach §§ 288, 286 BGB. Die Klägerin hat bereits in dem Aufforderungsschreiben Ansprüche auf § 823 Abs. 2 BGB gestützt und Schadensersatz begehrt. Die Beklagte hat dem Vortrag der Klägerin zum Eintritt des Verzugs auch nicht widersprochen (sondern in der Klageerwiderung, dort S. 30 lediglich – zutreffend – dargelegt, dass die Klägerin die damals von der Klägerin noch begehrten Deliktszinsen und die vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht verlangen kann und kein Annahmeverzug eingetreten ist).
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III. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten schuldet die Beklagte nicht, auch nicht in der von der Klägerin zuletzt nur noch begehrten, geringeren Höhe.
51
1. Anwaltskosten sind kein Teil des nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ersatzfähigen Schadens (BGH Urteil vom 16.10.2023 – VIa ZR 14/22 Rn. 13).
52
2. Da die Klägerin einen Verzug der Beklagte im Zeitpunkt der Beauftragung der Klägervertreter nicht dargelegt hat, sind die Anwaltskosten auch kein durch den Verzug der Beklagten kausal verursachter Schaden.
53
3. Schließlich schuldet die Beklagte Anwaltskosten auch nicht nach § 826 BGB. Das Landgericht hat zutreffend und mit zutreffender Begründung entschieden, dass die Klägerin eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte und damit einen Anspruch nach § 826 BGB nicht substanziiert dargelegt hat. Zu Recht ist das Landgericht insbesondere davon ausgegangen, dass der Vortrag der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Existenz einer in die streitgegenständlichen Motorsteuerung implementierten Manipulationssoftware in Form einer Umschaltlogik aufzeigt.
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a. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.
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Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Gemäß § 403 ZPO hat die Partei, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen will, die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch dazu äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in die Sachkenntnis des Sachverständigen gestellten Behauptung habe.
56
Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber auf Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte sie rechtfertigen können (BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnrn 26 – 28).
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b. Nach diesen Grundsätzen verfehlt der erstinstanzliche Vortrag der Klägerin die Substantiierungsanforderungen zum Vorliegen einer Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug. Die von der Klägerin angeführten Umstände für die angebliche Existenz einer solchen Software erweisen sich nicht als valide Anhaltspunkte.
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Einen Rückruf des KBA wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung hat die Klägerin nicht substanziiert vorgetragen. Zwischen den Parteien war zuletzt vielmehr unstreitig, dass der Rückruf den Sensor zur Erkennung einer Fehlbetankung des AdBlue-Tanks betrifft. Bei diesem handelt es sich, wie oben dargelegt, nicht um eine Abschalteinrichtung. Der Rückruf lässt daher keinen Schluss darauf zu, dass die Beklagte bewusst unzulässige Abschalteinrichtungen zur Erlangung der Typengenehmigung eingesetzt hat (so auch OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 11.09.2023 – 9 U 9/23, juris Rz. 26; OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.04.2022 – 8 U 232/21, juris Rn. 39) . Erst Recht lässt der Rückruf damit keinen Rückschluss auf ein vorsätzliches und sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu.
59
Die klägerseits vorgetragenen Abweichungen zwischen Messungen im Realbetrieb und den Prüfstandswerten des streitgegenständlichen Fahrzeugs ergeben ebenfalls keine Hinweise auf eine Umschaltlogik. Eine Diskrepanz zwischen NEFZ und Realbetrieb besteht schon deshalb, weil nur der Prüfzyklus vordefinierte Parameter und damit reproduzierbare Ergebnisse aufweist. Aus dem gleichen Grund wäre es auch unbeachtlich, falls der Motor – wie von der Klägerin vorgetragen – im Realbetrieb die Abgasgrenzwerte nicht einhielte.
60
Nach alledem gibt es nach dem erstinstanzlichen Vortrag der Klagepartei keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für die Implementierung einer Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug und war deshalb eine Beweiserhebung diesbezüglich nicht veranlasst.
61
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO und berücksichtigt das jeweilige Obsiegen und Unterliegen der Parteien sowie die teilweise Berufungsrücknahme durch die Klagepartei (§ 516 Abs. 3 ZPO).
62
Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 BGB.
63
Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht vorliegt.