Titel:
Prozesskostenhilfe für Klage auf Ausstellung eines Ausweisersatzes
Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 121 Abs. 2 S. 1
AufenthG § 3 Abs. 1 S. 2, § 48 Abs. 2, Abs. 3, § 49 Abs. 2, § 78 Abs. 1 S. 4, § 78a Abs. 4, § 95 Abs. 1 Nr. 1
AufenthV § 55 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Nach der Allgemeinverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat über die Anerkennung ausländischer Pässe und Passersatzpapiere vom 13.10.2022 (BAnz. AT 25.10.2022 B4) sind alle somalischen Pässe und Passersatzdokumente, die nach dem 31.1.1991 ausgestellt oder verlängert wurden, nicht zugelassen und damit nicht iSv § 55 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthV anerkannt. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Pflicht zur Passbeschaffung bleibt von der Erteilung des Ausweisersatzes unberührt. Die Erteilung eines Ausweisersatzes kommt damit nicht erst dann in Betracht, wenn die Erlangung von Rückreisedokumenten für einen ausreisepflichtigen Ausländer keinen Erfolg hatte. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Ausweisersatz, anerkannter Pass, Somalia, Passbeschaffungspflicht
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 27.09.2023 – RN 9 K 22.1630
Fundstelle:
BeckRS 2024, 5404
Tenor
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 27. September 2023 wird dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren (RN 9 K 22.1630) bewilligt.
Gründe
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Die zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Kläger ist nach § 166 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Da der zunächst zur Vertretung bereiten Rechtsanwältin die Bevollmächtigung klägerseits wieder entzogen und bislang kein neuer zur Vertretung bereiter Rechtsbeistand benannt wurde, konnte eine Beiordnung nach § 121 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht erfolgen.
2
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen vor. Nach dieser Regelung erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Danach ist dem Kläger, der nach den vorgelegten Erklärungen über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Denn die Erfolgsaussichten der Klage sind zumindest offen.
3
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass das Tatbestandsmerkmal in § 48 Abs. 2 AufenthG „und nicht in zumutbarer Weise erlangen kann“ im Fall des Klägers nicht erfüllt ist. Diese Erwägung trägt die Annahme mangelnder Erfolgsaussichten der Verpflichtungsklage nicht.
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Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthV wird einem Ausländer, der einen anerkannten und gültigen Pass oder Passersatz nicht besitzt und nicht in zumutbarer Weise erlangen kann, auf Antrag ein Ausweisersatz (§ 48 Abs. 2 in Verbindung mit § 78 Absatz 1 Satz 4 oder § 78a Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes) ausgestellt, sofern er einen Aufenthaltstitel besitzt oder – wie hier – seine Abschiebung ausgesetzt ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
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Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass der Kläger einen anerkannten Pass/Passersatz nicht erlangen kann. Nach der Allgemeinverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat über die Anerkennung ausländischer Pässe und Passersatzpapiere vom 13. Oktober 2022 (BAnz AT 25.10.2022 B4) sind alle somalischen Pässe und Passersatzdokumente, die nach dem 31. Januar 1991 ausgestellt oder verlängert wurden, nicht zugelassen und damit nicht anerkannt. Auf die Frage der Zumutbarkeit kommt es daher nicht mehr entscheidend an.
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Der Ausweisersatz stellt eine Identitäts- und Statusbescheinigung dar, mit der der Betroffene seiner Ausweispflicht nachkommen kann (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), die ihm die Teilnahme am Rechtsverkehr ermöglicht und Anknüpfungspunkt für die Gewährung von Sozialleistungen und den Abschluss privater Rechtsgeschäfte ist (Hruschka in BeckOK Ausländerrecht, Stand: Juli 2020, § 48 AufenthG Rn. 13; Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 8. Aufl. 2023, § 2 Rn. 87; vgl. auch BT-Drs. 14/73865, 54). Des Weiteren schließt der Ausweisersatz die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG aus.
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Soweit die Landesanwaltschaft darauf verweist, ein gültiger somalischer (Reise-)Pass diene auch dem Zweck, die Rückführung des vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländers zu ermöglichen, ist das zutreffend. Das rechtfertigt aber nicht, dem Kläger die Teilhabe am Rechtsverkehr (s.o.) abzuschneiden, zumal die Pflicht zur Passbeschaffung nach § 48 Abs. 3 AufenthG von der Erteilung des Ausweisersatzes unberührt bleibt (Maor in Kluth/Hornung/Koch, Handbuch Zuwanderungsrecht, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 183; Beiderbeck in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand: Okt. 2023, § 3 AufenthG Rn. 12 jeweils unter Hinweis auf OVG Bremen, B. v. 19.12.2012 – 1 B 275/12 – juris Rn. 17) und nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (effektiv) durchgesetzt werden kann (vgl. dazu BayVGH, B. v. 30.8.2021 – 19 C 21.1861 – juris Rn. 7). Eine „Verschränkung“ zwischen § 48 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG in dem Sinne, dass die Erteilung des Ausweisersatzes gemäß § 48 Abs. 2 AufenthG erst in Betracht kommt, wenn die Erlangung von Rückreisedokumenten für einen ausreisepflichtigen Ausländer nach § 82 Abs. 4, § 48 Abs. 3 und § 49 Abs. 2 AufenthG („Pflichtenbündel“) keinen Erfolg hatte, gibt es nicht und würde auch dem Zweck des Ausweisersatzes, insbesondere dem Ausschluss der Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, zuwiderlaufen. Im Übrigen ergibt sich die „Verschränkung“ auch nicht aus der in Bezug genommenen Kommentarstelle (Kolber in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 48 AufenthG Rn. 6).
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Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Eine Gebühr nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) fällt nicht an, da die Beschwerde in vollem Umfang Erfolg hat. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).