Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 15.02.2024 – 2 O 4326/22
Titel:

Anforderungen an den Nachweis eines "gestellten" Unfalls

Normenkette:
ZPO § 286, § 287
Leitsätze:
Hat ein Unfallgeschädigter „nichts dagegen“, dass sein Fahrzeug durch das Beklagten-Fahrzeug beschädigt wird, kann dies dann nicht mit der Wirkung einer Einwilligung des Klägers in die Beschädigung seines Eigentums gleichgesetzt werden, wenn der Kläger sich in der konkreten Situation sorgfaltsgerecht verhalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 – 4 StR 90/99 –, juris Rn. 7 f). (Rn. 65 – 70)
Einen nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer trifft die Pflicht, sich bei seinem Versicherungsnehmer und etwaigen unfallbeteiligten Mitversicherten zu erkundigen, ob der Vortrag des Geschädigten zum Unfallgeschehen zutrifft, bevor er sich zum klägerischen Vorbringen einlässt. Will er sich mit Nichtwissen erklären, muss er hinreichende Gründe dafür darlegen, warum er sich auf der Grundlage der erteilten Auskünfte nicht dazu einlassen kann, ob das Vorbringen des Geschädigten zutrifft (Anschluss BGH BeckRS 2019, 18915). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
gestellter Unfall, Wiederbeschaffungswert
Rechtsmittelinstanz:
OLG Nürnberg vom -- – 13 U 603/24
Weiterführende Hinweise:
Berufung anhängig OLG Nürnberg 13 U 603/24
Fundstellen:
FDVersR 2024, 005385
BeckRS 2024, 5385

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.725,89 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.09.2022 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 280,60 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 23.09.2022 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 78% und die Beklagte 22% zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadenersatz nach einem vom Kläger behaupteten Schadensereignis.
2
Die Beklagte war am 8.2.2022 Kfz-Haftpflichtversicherer eines Lkws Mercedes-Benz Atego mit dem amtlichen Kennzeichen …. In einem vom Kläger in Auftrag gegebenen Schadensgutachten J (Anlage K2) sind als reparierte Vorschäden angegeben: „Seitenwand hinten links nachlackiert; Heckklappe erneuert“. Der Kläger hat das Honorar für das Schadensgutachten noch nicht bezahlt, ebenso wenig die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten an den Klägervertreter. Trotz mehrfacher Zahlungsaufforderung des Klägervertreters leistete die Beklagte vorgerichtlich keine Zahlungen auf den streitgegenständlichen Vorfall.
3
Der Kläger behauptet, am 08.02.2022 Eigentümer des Fahrzeugs Mercedes-Benz E120 T (amtliches Kennzeichen …) gewesen zu sein. Er habe das Fahrzeug am 05.12.2021 für 4.700 € erworben (Kaufvertrag Anlage K7). Das Fahrzeug sei zu keinem Zeitpunkt finanziert gewesen. Vom 16.12.2021 bis 27.01.2022 sei das Fahrzeug verpfändet gewesen. Am 14.02.2022 habe der Kläger das verunfallte Fahrzeug für 2.000 € weiterverkauft, ohne dass Schadensersatzansprüche aus dem streitgegenständlichen Vorfall mitverkauft bzw. abgetreten worden seien (Kaufvertrag Anlage K8). Zudem streite für den Kläger die Eigentumsvermutung nach § 1006 BGB.
4
Am 08.02.2022 sei es zwischen dem Beklagten-Lkw und dem vom Kläger selbst gefahrenen Kläger-Fahrzeug in Fürth beim zweispurigen bzw. parallelen Linksabbiegen von der H-Straße in die P Straße Richtung Stadtmitte zu einer Kollision gekommen. Der Kläger habe die rechte Linksabbiegerspur befahren, der Beklagten-Lkw unmittelbar daneben die linke. Der Fahrer des Beklagten-Lkw sei dann ohne auf den Kläger zu achten von der linken auf die rechte Fahrspur gewechselt, sodass es völlig überraschend für den Kläger zur Kollision gekommen sei, die er nicht mehr habe verhindern können. Den Kläger treffe keine Mithaftung. Die Beklagte sei nicht berechtigt, das Unfallereignis mit Nichtwissen zu bestreiten.
5
Am Kläger-Fahrzeug sei bei einem Wiederbeschaffungswert von 6.152,34 € und einem Restwert von 2.000,00 € Totalschaden in Höhe von 4.152,34 € eingetreten. Der Kläger habe sowohl reparierte, als auch unreparierte Vorschäden gegenüber dem Schadensgutachter J angegeben, der diese bei seiner Kalkulation hinreichend berücksichtigt habe. Der Kläger bestreitet, dass sein Fahrzeug bereits 2016 und 2020 in (vergleichbare) Unfälle verwickelt gewesen sein soll. Er habe das Fahrzeug erst Ende 2021 erworben – nach Angaben des Vorbesitzers als unfallfrei. Etwaige Vorschäden hätten ohnehin keinen Einfluss auf den Wiederbeschaffungswert. Auf das Restwertangebot der Beklagten komme es nicht an, da er sein Fahrzeug bereits am 14.02.2022 verkauft habe.
6
Der Kläger habe auch Anspruch auf Ersatz der ihm in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten zumindest in Höhe von 1.050,89 €. Dieser Betrag entspreche der üblichen Vergütung anhand der BVSK-Erhebung.
7
Der Kläger habe zudem Anspruch auf Ersatz einer Nutzungsausfallentschädigung. Lediglich unter überobligatorischen finanziellen Anstrengungen sei es ihm möglich gewesen, am 15.06.2022 ein Ersatzfahrzeug zu kaufen. Dies indiziere seinen Nutzungswillen. Anzusetzen sei deshalb für 128 Tage ein Betrag von 43 € p.d., wovon der Kläger aus Kostengründen jedoch lediglich die Hälfte, also 2.752 € beanspruche. Über ein zweites Fahrzeug verfüge er nicht, da er „vom Amt“ lebe. Er habe sein Fahrzeug nach dem Unfall lediglich für die notwendigen Fahrten zu Werkstatt, Gutachter und zum Aufkäufer weiter benutzt.
8
Schließlich habe der Kläger auch Anspruch auf Ersatz eine Auslagenpauschale in Höhe von 25 € sowie vorgerichtlich erforderlich gewordene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 €.
9
Der Kläger beantragt:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.980,23 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 627,13 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
10
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
11
Die Beklagte bestreitet das Eigentum des Klägers an dem von ihm gefahrenen Fahrzeug am Unfalltag. Der vom Kläger vorgelegte Kaufvertrag vom 05.12.2021 sei unvollständig, enthalte keine Angaben über den Verkäufer. Zudem sei das Fahrzeug vom 16.12.2021 bis 16.06.2022 an ein Pfandhaus sicherungsübereignet gewesen. Die Beklagte bestreitet – ihrer Ansicht nach rechtlich zulässig – mit Nichtwissen, dass der vom Kläger dargestellte Unfallverlauf in der in der Klage geschilderten Form stattgefunden habe. Die klägerische Unfallschilderung sei nicht mit den dokumentierten Schäden an den Fahrzeugen in Übereinstimmung zu bringen. Insbesondere weise das Beklagten-Fahrzeug keine Beschädigungen auf. Diese Tatsache sowie die folgenden Umstände sprächen für einen gestellten Unfall: beim Kläger-Fahrzeug sei eine Reparatur überproportional teuer; der Fahrer des Beklagten-Lkw habe seine Schuld am Unfallort unumwunden zugegeben; am Kläger-Fahrzeug lägen überlagernde Vorschäden vor; das klägerische Fahrzeug sei bereits mehrfach infolge eines Fahrspurwechsels in Unfälle verwickelt gewesen, insbesondere dreimal bereits 2016; auch im Juli 2019 sei das Kläger-Fahrzeug in einen weiteren Unfall verwickelt gewesen (Vorschadensgutachten Anlage B5); des Weiteren habe es mit dem Fahrzeug einen Vorunfall 2013 und zwei im Jahr 2015 gegeben; der Kläger habe bereits 2014 zweimal wegen Unfällen beim Spurwechsel Ansprüche geltend gemacht, wobei die Fahrzeuge jeweils nur kurz vorher auf den Kläger zugelassen worden seien; im Jahr 2013 habe der Kläger (mit einem anderen Fahrzeug) einen Kaskoschaden geltend gemacht; der Kläger habe selbst eingeräumt, bereits mehrere Unfälle an der streitgegenständlichen Kreuzung gehabt zu haben; das Kläger-Fahrzeug sei bis kurz vor dem Unfall sicherungsübereignet und die Finanzierung erst im Januar zuvor abgelöst worden; der Fahrer des Beklagten-Fahrzeugs habe eine „abenteuerliche Unfallschilderung“ abgegeben; der Unfall sei nicht polizeilich aufgenommen worden; das Kläger-Fahrzeug sei nach dem behaupteten Unfall sofort veräußert worden; die Laufleistung am Kläger-Fahrzeug sei nach unten manipuliert; der Kläger habe seinen Vortrag zum Unfallgeschehen angepasst, indem er nun auf zwei Berührungen durch den Beklagten-Lkw abstelle.
12
Ungeachtet dessen könne keinesfalls eine Haftungsquote von 100% in Ansatz gebracht werden, da der Kläger den bereits erkennbar den Fahrstreifen nach rechts wechselnden Beklagten-Lkw entgegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO rechts überholt habe.
13
Die Beklagte bestreitet, dass die Vorschäden am Kläger-Fahrzeug, insbesondere aus dem Schaden von 2019 am Fahrzeug hinten links, im Unfallzeitpunkt sach- und fachgerecht behoben gewesen sein. Es lägen überdeckende Vorschäden vor. Eine Schadensweiterung sei nicht eingetreten. Angesichts der Vorschäden sei der Wiederbeschaffungswert im Parteigutachten überhöht. Im Hinblick auf die Tachomanipulation sei der Wiederbeschaffungswert überhaupt nicht bestimmbar. Ohnehin könne der Wiederbeschaffungswert allenfalls netto in Ansatz gebracht werden. Der Kläger müsse sich auch das ihm am 16.02.2022 unterbreitete verbindliche Restwertangebot über 3.550 € (Anlage B6) anrechnen lassen.
14
Da das Parteigutachten den vorhandenen Altschaden nicht vollständig berücksichtige, sei es unbrauchbar und der Kläger könne die Kosten hierfür nicht erstattet verlangen. Die Beklagte bestreitet die Angemessenheit und Ortsüblichkeit der Sachverständigenkosten.
15
Ein Anspruch auf Nutzungsausfall stehe dem Kläger mangels Nutzungswillen und Nutzungsmöglichkeit nicht zu. Die Wiederbeschaffungsdauer betrage laut Parteigutachten lediglich 14 Tage. Da das Fahrzeug bereits 15 Jahre alt sei, sei ein Tagessatz von 43 € nicht angemessen; dem Kläger stünden allenfalls Vorhaltekosten zu. Zudem sei der Kläger ausweislich des Verkaufsvertrages vom 14.02.2022 nach dem Unfall noch über 10.000 km gefahren und das Fahrzeug damit offensichtlich nach dem Unfall weiter genutzt werden.
16
Es wurde Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen K, schriftliche Vernehmung des Zeugen H und ein unfallanalytisches Gutachten des Sachverständigen Prof. B. Der Kläger wurde informatorisch angehört. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.2.2023, den Beweisbeschluss vom 26.04.2023 und 16.10.2023 sowie das schriftliche Gutachten des Prof. B vom 08.08.2023 und die schriftliche Zeugenaussage vom 26.10.2023 Bezug genommen. Im Übrigen wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
17
Die Klage ist der Beklagten am 22.09.2022 zugestellt worden.
18
Mit Beschluss vom 06.12.2023 wurde mit Zustimmung der Parteien die Entscheidung im schriftlichen Verfahren beschlossen, wobei die Frist zur Einreichung von Schriftsätzen auf den 19.01.2024 bestimmt war.

Entscheidungsgründe

19
Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet.
A.
20
Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Schadenersatz in der Hauptsache in Höhe von 1.725,89 €.
21
I. Der Kläger ist als Eigentümer seines Fahrzeugs im Zeitpunkt des Unfallereignisses (dazu sogleich II.) aktivlegitimiert.
22
Der Kläger hat seine Eigentümerstellung durch Vorlage des entsprechenden Kaufvertrages vom 05.12.2021 (Anlage K7) belegt. Liegt ein Kaufvertrag vor, kann mit hinreichender Sicherheit auf die Eigentümerstellung des Käufers geschlossen werden (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 21.01.2008, 25 U 220/04 – juris).
23
Der Einwand der Beklagten, dass in dem Kaufvertragsformular keine Angaben zum Verkäufer gemacht sind und das Bestreiten der Unterschrift des Verkäufers als diejenige eines „Dritten“ steht einer entsprechenden Überzeugungsbildung angesichts der weiteren Indizien für die Eigentümerstellung des Klägers nicht entgegen: So hat der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug nicht nur am 16.12.2021 an die P GmbH verkauft, übergeben und übereignet sowie am 27.01.2022 zurückgekauft und übereignet erhalten, sondern ausweislich des als Anlage K8 vorgelegten Kaufvertrages vom 14.02.2022 auch für 2.000 € an die Firma A B verkauft. Es ist dies die Firma, die im Schadensgutachten J das höchste Restwertangebot angegeben hatte (aaO Anlage K2 S. 12). Dass – ausnahmsweise – Schadensersatzansprüche aus dem streitgegenständlichen Vorfall mitverkauft bzw. abgetreten worden seien, lässt sich dem Kaufvertrag nicht entnehmen. Die Parteien haben sich ausdrücklich mit der Verwertung der schriftlichen Zeugenaussage Hoffmann (Leiter der Rechtsabteilung der P GmbH) einverstanden erklärt.
24
Die Vielzahl der vorgenannten Verfügungen über das Fahrzeug und deren entsprechende schriftliche Dokumentation lässt es in ihrer Gesamtschau schlechterdings als abwegig erscheinen, dass der Kläger die Unterschrift eines Dritten unter dem Kaufvertrag vom 05.12.2021 gefälscht hat. Hinzu kommt, dass der Zeuge K (Beifahrer im Fahrzeug des Klägers beim Unfall) ebenfalls bestätigt hat, dass es das Fahrzeug des Klägers war („Ich kenne sein Fahrzeug.“). Um das Gesamtbild abzurunden ist schließlich noch festzuhalten, dass das vom Kläger geführte Fahrzeug ein „personalisiertes“ Kennzeichen hatte, in dem die Initialen des Klägers „RG“ enthalten sind.
25
Jedenfalls hat der Kläger durch die vorgenannten Umstände ausreichend zu seinem Besitzerwerb vorgetragen, sodass er sich als Fahrer des Fahrzeugs im Unfallzeitpunkt berechtigt auf die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB berufen kann (vgl. z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 26. Mai 2021 – I-7 U 55/20 –, juris; OLG Köln, Beschluss vom 18. Juli 2017 – 16 U 28/17 –, juris; noch weitergehend: OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Juni 2018 – I-1 U 164/17 –, juris).
26
II. Das Fahrzeug des Klägers wurde am 08.02.2022 bei einer Kollision mit dem Beklagten-Fahrzeug beschädigt.
27
1. Die Unfallbeteiligung eines bei der Beklagten nach § 1 PflVG haftpflichtversicherten Kraftfahrzeuges ist notwendige Voraussetzung für den gegen die Beklagte geltend gemachten Direktanspruch. Nur in diesem Fall kann sich ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers nach §§ 7, 17, 18 StVG oder § 823 BGB gegen einen Versicherungsnehmer der Beklagten oder gegen einen Mitversicherten richten, wie es § 115 Abs. 1 VVG erfordert; für die behauptete Unfallbeteiligung des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeugs ist die Klagepartei beweisbelastet (BGH, Urteil vom 23. Juli 2019 – VI ZR 337/18 –, juris Rn. 7 f.).
28
2. In diesem Zusammenhang durfte sich die Beklagte zum Vortrag des Klägers nicht zulässigerweise auf ein Bestreiten mit Nichtwissen beschränken:
29
a) Einen nach einem Verkehrsunfall in Anspruch genommenen Haftpflichtversicherer trifft die Pflicht, sich bei seinem Versicherungsnehmer und etwaigen unfallbeteiligten Mitversicherten zu erkundigen, ob der Vortrag des Geschädigten zum Unfallgeschehen zutrifft, bevor er sich zum klägerischen Vorbringen einlässt. Will er sich mit Nichtwissen erklären, muss er hinreichende Gründe dafür darlegen, warum er sich auf der Grundlage der erteilten Auskünfte nicht dazu einlassen kann, ob das Vorbringen des Geschädigten zutrifft (BGH, Urteil vom 23. Juli 2019 – VI ZR 337/18 –, juris). Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen – also die Einlassung, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptungen des Gegners nicht zu kennen – nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind; bei einer juristischen Person kommt es insoweit auf ihre Organe an (BGH aaO).
30
Gemessen daran hätte sich – wie nicht – die Beklagte dazu erklären müssen, ob bzw. welche Angaben ihr Versicherungsnehmer bzw. der unfallbeteiligte Fahrer ihr gegenüber zum behaupteten Unfallgeschehen abgegeben hat.
31
Dem steht auch nicht der Hinweis auf vermeintlich abweichende Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 25.03.2014 – VI ZR 438/13 und vom 29.11.2011 – VI ZR 201/10) entgegen. Diese Entscheidungen betreffen Konstellationen, in denen der Haftpflichtversicherer neben seinem Versicherungsnehmer verklagt wird und als Streithelfer seine eigenen Interessen wahrnimmt; so liegt die Situation hier aber nicht.
32
b) Ungeachtet des Vorstehenden steht die Überzeugung vom streitgegenständlichen Vorfall allerdings auch fest aufgrund der Angaben des Klägers selbst im Rahmen seiner informatorischen Anhörung, die insoweit durch seinen Beifahrer, den Zeugen K bestätigt wurden. Zusätzlich liegt vor das als Anlage K1 vorgelegte „Anerkenntnis“ des Fahrers (M W) des Beklagten-Lkw. Dieser bestätigt darauf unterschriftlich, dass es am 08.02.2022 um 10:50 Uhr in Fürth, P Straße („bei S“) mit dem Fahrzeug mit dem Kennzeichen … mit dem Kläger („Unfallgegner“) zu einem Unfall kam: „Beim Abbiegen von Linker auf die Rechte Spur gewechselt dabei Mercedes-Benz … übersehen.“ Schließlich hat der Zeuge K in der Verhandlung Fotos auf seinem Mobiltelefon gezeigt, die das Fahrzeug des Klägers – und im Hintergrund den Lkw der Beklagten samt beteiligter Personen – zeigen (Sachverständigengutachten S. 5 f.).
33
An dem Schadensereignis an sich kann damit kein vernünftiger Zweifel bestehen.
34
III. Der Beklagten ist der ihr obliegende Beweis dafür, dass sich bei dem streitgegenständlichen Geschehen um einen „gestellten“ Unfall handelt, nicht gelungen.
35
1. Geht es um die Frage, ob ein Verkehrsunfall manipuliert wurde, er also einverständlich mit dem (vermeintlich) Geschädigten herbeigeführt wurde oder durch den die Kläger „nur“ provoziert, also billigend in Kauf genommen wurde, gilt Folgendes (z.B. BGH, Urteil vom 01. Oktober 2019 – VI ZR 164/18 –, juris):
36
Ist der Schadensfall, wie es die Beklagte geltend macht, „gestellt“, so scheidet ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen Einwilligung in die Rechtsgutverletzung aus (BGH DAR 1990, 224; OLG Hamm ZfSch 2004, 68). Der Geschädigte muss zunächst den äußeren Tatbestand der Rechtsgutverletzung beweisen, also den Sachschaden bzw. die Kollision an sich – davon ist auszugehen (vorstehend II). Behauptet der Haftpflichtversicherer des (vermeintlich) Geschädigten, dass dieser mit der Rechtsgutverletzung einverstanden gewesen sei – sei es, dass alle Beteiligten mit dem Ablauf einverstanden gewesen seien, sei es, dass zumindest der Geschädigte den Unfall provoziert habe –, ist dieser besondere Rechtfertigungsgrund vom Haftpflichtversicherer des (vermeintlich) Geschädigten zu beweisen (grundlegend BGH, Urteil vom 01. Oktober 2019 – VI ZR 164/18 –, juris; BGH VersR 1978, 862; OLG Hamm NJW 2019, 3085; OLG Brandenburg Urt. v. 18.10.2018 – 12 U 70/17, BeckRS 2018, 38341). Ein Anscheinsbeweis für die betrügerische Vortäuschung eines Unfallgeschehens wird nur in Ausnahmefällen denkbar sein (BGH, Urteil vom 01. Oktober 2019 – VI ZR 164/18 –, juris; BGH VersR 1978, 862), kann allerdings dann greifen, wenn zahlreiche entsprechende Indizien festgestellt sind, die für einen „gestellten Unfall“ sprechen (BGH VersR 1979, 514; BGH VersR 1979, 281).
37
Der Beweis der Einwilligung in die Fahrzeugbeschädigung kann dann als geführt angesehen werden, wenn sich eine Häufung von Umständen findet, die darauf hindeuten. Unerheblich ist dabei, ob diese Indizien bei isolierter Betrachtung jeweils auch als unverdächtig erklärt werden können. Ausschlaggebend ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise, bei der aus einer Indizienkette auf eine planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann (OLG Düsseldorf 28.8.2023 – I-1 U 143/22 –, juris; OLG Bremen 8.3.2021 – 1 U 48/20, BeckRS 2021, 11817 m.w.N.; OLG Celle Urt. v. 11.11.2020 – 14 U 119/19, BeckRS 2020, 32642; OLG Koblenz VersR 2006, 523 m.w.N.). Es reicht damit die Feststellung von Indizien aus, die bei lebensnaher Zusammenschau und praktisch vernünftiger Gewichtung den Schluss auf ein kollusives Zusammenwirken zulassen, das die Rechtswidrigkeit der angeblichen Rechtsverletzung ausschließt (OLG Köln Urt. v. 22.6.2017 – 8 U 19/16, BeckRS 2017, 119523; OLG Bremen 8.3.2021 – 1 U 48/20, BeckRS 2021, 11817 m.w.N.).
38
Die Beweisführung für ein kollusives Zusammenwirken der Unfallbeteiligten kann also unter Zuhilfenahme von Indizien (beispielhaft z.B. OLG Bremen 8.3.2021 – 1 U 48/20, BeckRS 2021, 11817 m.w.N.; OLG Celle Urt. v. 11.11.2020 – 14 U 119/19, BeckRS 2020, 32642; OLG Hamm NJW 2019, 3085; OLG Frankfurt, Urteil vom 08. April 2019 – 23 U 112/17, juris; OLG Brandenburg Urt. v. 18.10.2018 – 12 U 70/17, BeckRS 2018, 38341; OLG Köln Urt. v. 22.6.2017 – 8 U 19/16, BeckRS 2017, 119523; OLG Schleswig r+s 2017, 437; OLG Düsseldorf Schaden-Praxis 2013, 351; weiterer Überblick bei R in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung 19. Aufl. § 249 BGB Rn. 181; Laws/Lohmeyer/Vinke in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 1. Aufl. 2016, § 7 StVG Rn. 283) und mit der Bildung von Fallgruppen geführt werden (OLG Saarbrücken OLGR 2009, 394). Deren Beweiswert liegt aber nicht darin, dass bestimmte, nach ihrer Anzahl oder ihrer äußeren Erscheinungsform immer gleiche Beweisanzeichen festgestellt werden. Entscheidend ist vielmehr die Werthaltigkeit der einzelnen Beweisanzeichen in der konkreten Beweissituation des zu beurteilenden Falles für eine Überzeugung i.S. des § 286 ZPO (OLG Düsseldorf 28.8.2023 – I-1 U 143/22 –, juris; OLG Saarbrücken OLGR 2009, 394), wobei eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Unfallmanipulation nicht ausreicht (BGH, Urteil vom 01. Oktober 2019 – VI ZR 164/18 –, juris).
39
§ 286 ZPO verlangt vielmehr die volle Überzeugung des Gerichts, was keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erfordert, sondern nur – aber zumindest – einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr. z.B. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2023 – VI ZR 76/23 –, juris; BGH 23.06.2020 – VI ZR 435/19, NJW 2020, 3176 m.w.N.).
40
2. Gemessen am Vorstehenden verbleiben zwar nicht unerhebliche Zweifel, ob es sich nicht doch um einen gestellten Unfall handelt, mag sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit hierfür sprechen, was allerdings – wie vorstehend ausgeführt – nicht ausreicht, denn eine volle Überzeugung von einer Unfallmanipulation kann letztlich nicht gewonnen werden. Im Einzelnen:
41
a) Zunächst ist festzuhalten, dass der Sachverständige auf der Grundlage der noch nachträglich durch den Zeugen K zur Verfügung gestellten Fotos vom Beklagten-Lkw eine Korrespondenz der Schäden an beiden Fahrzeugen bestätigen konnte. Hierzu wird auf das schriftliche Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Bezug genommen. Demnach ist die Entstehung der Schäden durch den beabsichtigten bzw. abgebrochenen Spurwechsel des Beklagten-Fahrzeugs plausibel. Insbesondere die Schrammspuren und Radandrehspuren am Flankenschutz des Lkws korrelieren in Höhenlage und Ausprägung mit den Schäden am Kläger-Fahrzeug. Dies gilt sowohl für die Schäden im Mittelteil des Pkws als auch die in dessen hinterem Teil, wo sie sich mit den exponierten Bauteilen des Lkws (Trittstufe, Rücklicht, Rahmenteil und Bedienkasten der Heckladerampe) gut in Übereinstimmung bringen lassen. Zudem ließ sich an der Unterkante des Rahmenteils bei der Begutachtung des Beklagten-Lkws durch den Sachverständigen noch grauer Antrag erkennen, der farblich mit dem grauen Lack des Kläger-Fahrzeugs korreliert. Letztlich attestiert der Sachverständige eine sehr gute Übereinstimmung der Schäden in ihrer Höhenlage und Ausprägung.
42
Die Verteilung der Schäden über die gesamte linke Seite des Kläger-Fahrzeugs erklärt der Sachverständige plausibel mit einem Primäranstoß durch das Steuern des Lkws nach rechts, verbunden sodann mit einem Abbruch des Spurwechsels infolge der Kollision und einer entsprechenden Gegenlenkbewegung zurück nach links.
43
Damit ist der Einwand der Beklagten widerlegt, dass die klägerische Unfallschilderung nicht mit den dokumentierten Schäden an den Fahrzeugen in Übereinstimmung zu bringen sei, insbesondere das Beklagten-Fahrzeug keine Beschädigungen aufweise.
44
Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang einwendet, dass der Kläger seine Schilderung des Unfallhergangs an die Erkenntnisse des Sachverständigen angepasst habe, indem er zunächst immer nur eine Kollision geschildert habe und erst im weiteren Verlauf derer zwei, ist diese Würdigung lebensfremd: Der Sachverständige spaltet in seiner Unfallanalyse einen einheitlichen Lebensvorgang, den Unfall, der in seiner Kollisions- bzw. Kontaktphase nicht länger als zwei Sekunden gedauert haben mag, in Sekundenbruchteile auf. Demgegenüber steht die erfahrungsgemäß (unzulängliche) menschliche Wahrnehmung und Memorierung eines unvorhergesehenen Ereignisses samt deren (unzulänglicher) sprachlicher Wiedergabe. Hätte der Kläger die Kollision hingegen in Kauf genommen und gleichsam kommen sehen, hätte er doch bei aufmerksamer „Beobachtung“ viel eher die tatsächlich erfolgten zwei (oder mehr) Kollisionen bzw. Berührungen auch als solche schildern können.
45
Wäre zudem die Klage vom Kläger als „erfahrenem Unfallopfer“ erhoben worden, ist zudem nicht recht nachzuvollziehen, warum die von seinem Freund und Beifahrer, dem Zeugen K, vorgelegten Fotos nicht von Anfang an in den Prozess eingeführt wurden. Tatsächlich wurden diese dem Kläger ja augenscheinlich nur günstigen Fotos im Zuge der Vernehmung des Zeugen mehr oder weniger nur „zufällig entdeckt“.
46
b) Dass der Fahrer des Beklagten-Lkw seine Schuld am Unfallort ohne Umschweife zugegeben und schriftlich dokumentiert hat und die Polizei nicht hinzugezogen wurde, ist für sich betrachtet – wie aber auch in der Gesamtschau – ohne Aussagekraft.
47
Die Beklagte hat die ihr ohne weiteres offenstehende Möglichkeit, den Fahrer „ihres“ Lkw als Zeugen zu diesem Anerkenntnis – wie auch zum Unfallhergang insgesamt – zu benennen, nicht wahrgenommen. Dass der LKW-Fahrer kein Interesse an der Zuziehung der Polizei hatte, um einer Verwarnung zu entgehen, ist plausibel. Letztlich bringt die Beklagte auch überhaupt nichts dazu vor, dass der Lkw-Fahrer in irgendeiner Form mit dem Kläger bekannt und/oder mit diesem verabredungsgemäß ein unzutreffendes Schuldanerkenntnis abgegeben hätte – dann hätte es im Übrigen wohl aus Sicht eines „betrügerischen“ Klägers auch näher gelegen, den LKW-Fahrer als „bombensicheren“ Zeugen für den behaupteten (unzutreffenden) Unfallhergang zu benennen. Bei einem Übersehen eines anderen Fahrzeugs während eines Spurwechsels ist schließlich auch eine klare Haftungslage gegeben, die aus Sicht der Beteiligten der (möglicherweise langwierigen) Zuziehung der Polizei nicht bedarf.
48
In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass sich der Unfall kurz vor der Mittagszeit an bzw. nach einer bekanntermaßen vielbefahrenen (größeren) Kreuzung ereignete, sodass mit der Wahrnehmung durch Unbeteiligte, denen möglicherweise Ungereimtheiten aufgefallen wären, zwingend zu rechnen war. Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass nach übereinstimmenden Angaben des Klägers und auch des Zeugen K unmittelbar nach dem Unfall zwei Polizeibeamte in Zivil angehalten und sich erkundigt hatten. Angesichts des ansonsten – aus Sicht der Beklagten – eher stümperhaften Verhaltens zur Durchsetzung seiner unberechtigten Ansprüche („Vergessen“ von wichtigen Fotos) wäre ein solches, zumal ungewöhnliches Detail vom Kläger doch überraschend raffiniert erfunden.
49
c) Der Einwand der Beklagten, dass beim Kläger-Fahrzeug als (bei seiner Erstzulassung) Fahrzeug der Oberklasse eine Reparatur überproportional teuer sei, verkennt zum einen, dass der Kläger seinen Schaden von Anfang an auf Totalschadensbasis geltend machte bzw. machen „musste“. Zum anderen hat der Kläger – durch die Anlage K6 belegt – wenige Monate nach dem Unfall tatsächlich eine Ersatzbeschaffung vorgenommen, sodass kein (größerer) netto-Gewinn bei ihm „hängen blieb“.
50
In gleicher Weise geht der Hinweis darauf fehl, dass ganz offensichtlich die Laufleistung am Kläger-Fahrzeug nach unten manipuliert wurde – das Fahrzeug wies gemäß Vorschadensgutachten Anlage B5 bereits im Juli 2019 eine Laufleistung von über 322.000 km auf. Ausweislich des Kaufvertrages vom 05.12.2021 hat der Kläger das Fahrzeug selbst allerdings mit einer ihm gegenüber angegebenen Gesamtfahrleistung von 205.000 km erworben. Nach den Angaben des Sachverständigen (Gutachten S. 27) war der vom Kläger damals gezahlte Kaufpreis von 4.700 € dieser (manipulierten) Laufleistung auch angemessen gewesen. Unter Berücksichtigung einer allerdings deutlich höheren Laufleistung und einem damit einhergehenden deutlich geringeren Wiederbeschaffungswert (dazu noch nachfolgend) ist es doch tatsächlich der Kläger, der beim Erwerb des Fahrzeuges „über den Tisch gezogen“ worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in irgendeiner Weise mit der Manipulation der Laufleistung des Fahrzeuges zu tun hatte, sind nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht behauptet. Diese beschränkt sich insoweit auf ein Bestreiten mit Nichtwissen (Schriftsatz vom 20.11.2023, S. 3), was angesichts der Beweislastverteilung zu Indizien für einen gestellten Unfall irrelevant ist.
51
d) Schließlich hat sich auch der Einwand der Beklagten nicht bestätigt, dass am Fahrzeug des Klägers nicht reparierte überlagernde Vorschäden vorgelegen hätten.
52
Der Sachverständige stellt vielmehr ausdrücklich klar, dass ausgeprägte Vor- und Altschäden, die zum Unfallzeitpunkt nicht repariert waren, im unmittelbaren Schadensbereich nicht vorhanden waren (Gutachten S. 22).
53
Die aus dem Vorschaden von 2019 (Gutachten Anlage B5) bekannte Beschädigung am Heckstoßfänger hinten links war nach Angaben des Sachverständigen nicht mehr erkennbar und folglich vor dem Unfall instandgesetzt.
54
Die auf den Unfallbildern erkennbare ältere Schadensstelle am Seitenteil hinten links hat der Kläger zum einen gegenüber seinem Schadensgutachter benannt, der diesen Vorschaden auf S. 5 seines Gutachtens (Anlage K2) benennt (ebenso wie die Erneuerung der Heckklappe). Zum anderen bezeichnet der Sachverständige – nachvollziehbar – die Ausbesserung eines solchen Schadens – wie erfolgt – durch Spachteln und Lackieren als altersgerechte Reparatur.
55
e) Die von der Beklagten als solche bezeichnete (vorgerichtliche) „abenteuerliche Unfallschilderung“ durch den Fahrer des Lkws vermag der Vorsitzende nicht zu erkennen.
56
Dass vor dem Lkw an der Ampel ein Fahrzeug Probleme beim Anfahren hatte bzw. dann sehr bzw. relativ langsam fuhr, was den Lkw-Fahrer dazu veranlasste, dieses rechts zu überholen, ist nicht abenteuerlich, sondern so oder so ähnlich wohl jedem Verkehrsteilnehmer bereits einmal begegnet. Zudem deckt sich diese Angabe mit der detaillierten Schilderung des Geschehens im Vorfeld des Unfalls durch den Kläger im Rahmen seiner informatorischen Anhörung. Auch habe der Lkw-Fahrer dies ihm nach dem Unfall gegenüber so angegeben.
57
f) Zuzugeben ist der Beklagten allerdings, dass die Tatsache, dass das hier streitgegenständliche Fahrzeug bereits mehrfach in Unfälle verwickelt war (2013, zweimal 2015, dreimal 2016 und 2019), wiederholt auch infolge eines Fahrspurwechsels, auf den ersten Blick auffällig scheint.
58
Zum einen relativiert sich diese Unfallhistorie aber bereits im Hinblick darauf, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger bereits über 14 Jahre alt war, sieben Vorbesitzer hatte (vgl. Anlage K7) und eine Gesamtfahrleistung von weit über 320.000 km (s.o. und sogleich) gehabt haben muss.
59
Zum anderen – und das ist maßgeblich – bietet die Beklagte selbst schon keine Erklärung dafür an und behauptet auch gar nicht, dass der Kläger, der das Fahrzeug ja nachweislich erst im Dezember 2021 erworben hatte, Jahre vor seiner Besitzzeit an diesen Schäden des Fahrzeugs beteiligt war oder gar davon „profitiert“ hätte. Nicht einmal eine Kenntnis des Klägers von den Vorschäden am Fahrzeug ist belegt, da ihm ausweislich des Kaufvertrages vom 05.12.2021 vom Verkäufer erklärt worden war, dass das Fahrzeug – soweit diesem bekannt – keine Unfallschäden und keine sonstigen Beschädigungen erlitten hatte.
60
g) Der generelle Hinweis der Beklagten auf die Unglaubwürdigkeit von Angaben des Klägers, da er wiederholt falsche Angaben gemacht habe, lässt sich auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen so nicht halten:
61
Insbesondere hat der Kläger keine falschen Angaben zu seiner Aktivlegitimation gemacht. Der Kläger war am Unfalltag nachweislich Eigentümer seines Fahrzeugs. Unbeachtlich ist deshalb, dass er „erst“ auf Nachfrage bzw. Vorhalt „zugegeben“ hat, dass sein Fahrzeug vor (!) dem Unfall „verpfändet“ war. Dass er hierbei mit unzutreffenden juristischen Termini gearbeitet hat – er hat von einer Verpfändung statt einer (temporären) Übereignung an die P (!!!) GmbH gesprochen –, kann ihm schwerlich vorgehalten werden.
62
Umgekehrt wäre mit gleicher Berechtigung danach zu fragen, warum durch die Beklagte noch mit Schriftsatz vom 20.11.2023 (aaO S. 2) vorgetragen wird, dass das Beklagtenfahrzeug keinen Schaden erlitten habe, wo doch zu diesem Zeitpunkt bereits das Sachverständigengutachten vorlag, dass dies objektiv und eindeutig widerlegt. Ähnlich wäre auch die Behauptung der Beklagten einzuordnen, dass der Kläger mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug bereits im Juli 2020 einen Unfallschaden erlitten habe, der durch die Klägervertreter gerichtlich geltend gemacht worden sei. Dieser hat dies unter Angabe des Aktenzeichens des Landgerichts richtiggestellt, dass es sich dabei um ein anderes Fahrzeug, wenngleich mit demselben Kennzeichen wie dem streitgegenständlichen gehandelt habe. Dies bestätigt sich nach Einsicht in die vorgenannte Akte.
63
Seine eigenen Vorunfälle (mit anderen Fahrzeugen – dazu sogleich) hat der Kläger auf entsprechenden Vorhalt durch die Beklagte offen und ohne „Marginalisierung“ eingeräumt. Deshalb war auch die durch die Beklagte hierzu benannte Zeugin (Schriftsatz vom 16.02.2023) nicht zu vernehmen.
64
Richtig ist allerdings, dass der Kläger zur Weiternutzung seines Fahrzeugs nach dem Unfall nicht von Anfang an vorgetragen hat, dieses noch bis zum Verkauf ca. eine Woche nach dem Unfall weiter gefahren zu haben. Dies allein ist allerdings nicht geeignet, grundsätzlich die Glaubwürdigkeit des Klägers völlig in Frage zu stellen und deshalb seinen Vortrag zum streitgegenständlichen Schadensfall vollumfänglich zurückzuweisen.
65
h) Als gravierender Umstand und Indiz für einen durch den Kläger zumindest billigend in Kauf genommenen Schaden an seinem Fahrzeug ist allerdings natürlich zu sehen, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben seit ca. 2016 in „vielleicht 8“ Unfälle verwickelt war. An der von ihm regelmäßig befahrenen streitgegenständlichen Kreuzung seien es – wobei der Kläger sich insoweit nicht sicher war – drei Unfälle gewesen. Dabei habe jeweils der Unfallgegner in der Kurve die Spur gewechselt.
66
Damit ist zunächst festzustellen, dass der Kläger – rein statistisch betrachtet – überdurchschnittlich häufig in Verkehrsunfälle verwickelt war. Folgt man den Feststellungen des Kammergerichts Berlin in dessen Beschluss vom 16.12.2021 (22 U 69/21 –, juris Rn. 33), so ist im Durchschnitt jeder Fahrer alle 45 Monate in einen Unfall verwickelt. Da dem Wesen eines Durchschnittswertes zwingend immanent ist, dass manche Beteiligte deutlich unter diesem Wert liegen dürften (lebenslang unfallfreie Fahrer), müssen zwingend andere deutlich über diesem Wert von einem Unfall alle 3 ¾ Jahre liegen. Ungeachtet dieser aber zumindest auffälligen Überschreitung des Durchschnittswertes (vgl. auch KG Berlin, Urteil vom 13. Februar 2020 – 22 U 32/19 –, juris Rn. 20) fällt hier natürlich ins Auge, dass der Kläger gerade an der streitgegenständlichen Kreuzung mit nahezu identischem Ablauf wiederholt in Unfälle verwickelt war.
67
Dies legt zumindest die Vermutung nahe, dass es dem Kläger „nicht unrecht“ war, dass sein Fahrzeug erneut „Opfer“ eines unaufmerksam die Spur wechselnden Fahrers wurde. Käme man zu dem Schluss, dass der Kläger „nichts dagegen hatte“, dass sein Fahrzeug durch den Beklagten-Fahrer beschädigt wurde, kann dies unter den konkreten Umständen trotzdem nicht mit der Wirkung einer Einwilligung des Klägers in die Beschädigung seines Eigentums gleichgesetzt werden. Maßgeblich ist nämlich, dass beim Kläger – jedenfalls nicht nachweislich – keine gleichsam aktualisierte Einwilligung vorlag. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme (dazu sogleich nachfolgend) kann dem Kläger letztlich nichts anderes „vorgeworfen“ werden, als dass er ohne eigenen Verstoß gegen die Verkehrsvorschriften mit seinem Fahrzeug am Straßenverkehr teilnahm. Selbst demjenigen, der sich bei jeder Fahrt mit seinem Auto gleichsam wünscht, dass ihm jemand „reinfährt“, kann redlicherweise ein Anspruch auf Schadenersatz nicht versagt werden, wenn es tatsächlich zu einem solchen „gewünschten“ Schadensfall kommt, jedoch dem Geschädigten über die Teilnahme am Straßenverkehr hinaus kein Vorwurf gemacht werden kann.
68
Der Geschädigte, konkret der Kläger, kann sich insoweit auf den für ihn streitenden Vertrauensgrundsatz berufen. Demnach kann ein Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgemäß verhält, damit rechnen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten gefährdet. Das gilt jedenfalls solange, als die sichtbare Verkehrslage zu keiner anderen Beurteilung Anlass gibt. Zu den Ausnahmen vom Vertrauensgrundsatz zählen nicht nur solche Verkehrswidrigkeiten, die der Verkehrsteilnehmer rechtzeitig wahrnimmt oder hätte wahrnehmen können, sondern auch solche, die möglicherweise noch nicht erkennbar sind, mit denen ein gewissenhafter Fahrer aber pflichtgemäß rechnen muss (st. Rspr. zuletzt BGH, Urteil vom 12. Dezember 2023 – VI ZR 77/23 –, juris). Soweit das Vertrauen reicht, fehlt die Vorhersehbarkeit eines Unfalls, mithin die Fahrlässigkeit (BGH, Urteil vom 20.9.2011 – VI ZR 282/10, r+s 2011, 530). Gemessen daran handelte der Kläger nicht fahrlässig. Denn nach den Feststellungen zum Unfallhergang (dazu näher nachfolgend unter IV.2.) verhielt der Kläger sich selbst verkehrsgerecht, indem er unter Einhaltung seiner Fahrspur auf dem rechten Fahrstreifen parallel neben anderen links neben ihm befindlichen Fahrzeugen nach links abbog.
69
Würde man dies anders sehen, müsste der Kläger auf jegliches ihm nach der StVO ermöglichtes verkehrsgerechtes Verhalten, letztlich sogar auf etwaige ihm eingeräumte Vorfahrtsrechte verzichten. Dies wäre zum einen im Hinblick auf die anderen Verkehrsteilnehmer und die Flüssigkeit des Straßenverkehrs im Allgemeinen untragbar. Zum anderen würde dem Kläger durch das dann stets für ihn bestehende Risiko, auch bei gänzlich unverschuldetem oder für ihn unabwendbarem Schadenseintritt eigene Schäden nicht ersetzt zu bekommen, die Teilnahme am Straßenverkehr unerträglich erschwert, wenn nicht gar faktisch unmöglich gemacht.
70
Schließlich würde eine abweichende Beurteilung das sozialadäquate Verhalten (regelkonforme Teilnahme am Straßenverkehr) in ein gleichsam „umgekehrtes Gesinnungsstrafrecht“ verkehren: So wie einem Täter der reine Wunsch ohne Handlung nicht vorgehalten werden kann, kann einem Geschädigten ohne zu missbilligendes Verhalten ein „Frohsein“ über einen erlittenen Schaden nicht zum Nachteil gereichen. Die vom BGH im Zusammenhang mit der Strafwürdigkeit entsprechenden Verhaltens getroffenen Aussagen lassen sich sinngemäß auf die hiesige Konstellation, betreffend eine zivilrechtliche Einwilligung, übertragen:
„Wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315 b Abs. 1 StGB macht sich nicht strafbar, wer sich in jeder Hinsicht verkehrsgerecht verhält und dies mit der Hoffnung verbindet, daß ihm ein Unfall Gelegenheit zu einer vorteilhaften Schadensabrechnung mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung bietet. Das gilt auch dann, wenn der Verkehrsteilnehmer das Unfallereignis billigend in Kauf nimmt. Die bloße Hoffnung auf einen Verkehrsunfall wie auch die billigende Inkaufnahme eines drohenden Unfalls mögen verwerflich sein. Aus dem verkehrsordnungsgemäßen Fahrverhalten wird auf diese Weise aber kein unerlaubter Eingriff in die Sicherheit des Straßenverkehrs. Eine Bestrafung nach § 315 b StGB liefe darauf hinaus, daß schon die böse Gesinnung geahndet würde.“ (BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 – 4 StR 90/99 –, juris Rn. 7 f.).
71
Anhaltspunkte für eine absichtliche Herbeiführung der Kollision durch den Kläger, was zu einer abweichenden Bewertung veranlassen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 1999 – 4 StR 90/99 –, juris Rn. 8), sind nicht ersichtlich, jedenfalls nicht bewiesen.
72
i) Im Zuge der gebotenen Gesamtwürdigung der vorgenannten Indizien, soweit sie – wie ausgeführt – überhaupt ihre Berechtigung als solche haben können, kann nach alledem nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Unfall provoziert, geschweige denn absichtlich herbeigeführt hat. Der Kläger ist mit dem zum Unfallzeitpunkt in seinem Eigentum und seiner Verfügungsberechtigung unterliegenden Fahrzeug, an dem keine (relevanten, unreparierten oder verschwiegenen) Vorschäden vorhanden waren, „Opfer“ eines unaufmerksamen Spurwechsels geworden. Dass der Kläger über diese Schädigung möglicherweise „erfreut“ war, ist – wie vorstehend ausgeführt – aus Rechtsgründen unbeachtlich, da Anhaltspunkte für ein absichtliches Handeln des Klägers jedenfalls nicht bewiesen sind.
73
Dass der Kläger im Anschluss sein beschädigtes Fahrzeug binnen einer Woche an den Anbieter des höchsten Restwertes veräußert hat, ist im Lichte des Vorstehenden lediglich die konsequente Fortführung seines „Glücksfalls“, kann jedoch – ungeachtet seiner grundsätzlichen Bedeutung – kein gleichsam rückwirkendes Indiz für eine Manipulationsabsicht des Klägers erbringen.
74
IV. Die Beklagte ist als Kfz-Haftpflichtversicherer für die dem Kläger entstandenen Schäden dem Grunde nach zu 100% zum Schadenersatz verpflichtet.
75
1. Da das in Betrieb befindliche Fahrzeug des Klägers bei dem Zusammenstoß mit dem Beklagten-Lkw beschädigt wurde, hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch gegen die Beklagte aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Dass der Unfall durch höhere Gewalt (§ 7 Abs. 2 StVG) verursacht worden sei, wird von keiner Partei geltend gemacht. Ein Anspruch des Klägers ist deshalb nur ausgeschlossen, wenn der Unfallschaden von ihm durch ein für den Beklagten-Fahrer unabwendbares Ereignis (§ 17 Abs. 3 Satz 1 StVG) oder jedenfalls ganz überwiegend verursacht bzw. verschuldet wurde, so dass der Verursachungsbeitrag des Beklagten-Fahrers vernachlässigt werden kann (§ 17 Abs. 1, 2 StVG, § 254 Abs. 1 BGB). Dafür, dass die Betriebsgefahr des PKW des Klägers durch dessen – ggf. schuldhafte – Fahrweise gegenüber der des LKWs der Beklagten wesentlich erhöht war und dass den Kläger an dem Unfall ein Verschulden trifft, ist grundsätzlich die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig (st. Rspr. BGH VersR 2007, 681). Im Übrigen ist der Kläger dafür, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs durch einen – ggf. schuldhaften – Fahrfehler bzw. Sorgfaltsverstoß erhöht war und dass dessen Fahrer an dem Unfall ein Verschulden trifft, grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig (st. Rspr. BGH VersR 2007, 681).
76
Da der Schaden vorliegend durch mehrere Kraftfahrzeuge verursacht wurde (§ 17 Abs. 1, 2 StVG), hängt im Verhältnis der Fahrzeugführer zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden. Dabei dürfen nur feststehende Umstände berücksichtigt werden, die sich erwiesenermaßen auf den Unfall ausgewirkt haben (st. Rspr., z.B. BGH, BGH, Urteil vom 12. Dezember 2023 – VI ZR 77/23 –, juris Rn. 18; Urteil vom 17. Januar 2023 – VI ZR 203/22 –, juris Rn. 29).
77
2. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist davon auszugehen, dass der Fahrer des Beklagten-Lkw unmittelbar nach dem zweispurigen Linksabbiegen im Bereich nach der Fußgängerfurt die von ihm befahrene Spur nach rechts wechseln wollte, wo sich das Fahrzeug des Klägers befand. Der Lkw kollidierte auf Mitte seiner rechten Fahrzeugseite zunächst mit der vorderen linken Seite des Kläger-Fahrzeugs und geriet dann im Zuge des Gegenlenkens mit seinem ausschwenkenden Heck auch noch im hinteren Bereich gegen das Kläger-Fahrzeug.
78
Diese durch den Kläger und seinen Beifahrer, den Zeugen K, geschilderte Unfallhergang wird sowohl durch das vom Fahrer des Beklagten-Lkw vor Ort abgegebenen schriftliche „Anerkenntnisses“ bestätigt, als auch objektiv durch die Unfallanalyse des Sachverständigen. Dieser vermochte seine zunächst im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgenommene Einschätzung, wonach das Spurenbild am Kläger-Fahrzeug nicht nachzuvollziehen sei nach erstmaliger Vorlage von Fotos der Schäden am Beklagten-Lkw (was nebenbei bemerkt wohl doch eher Sache der Beklagten selbst gewesen wäre) nicht aufrecht zu erhalten. Tatsächlich lassen sich die nunmehr am Beklagten-Lkw nachvollziehbaren Schäden ohne weiteres mit dem Schadensbild am Kläger-Fahrzeug in Übereinstimmung bringen. Nach Angaben des Sachverständigen weist das Schadensbild zudem darauf hin, dass zwischen den Fahrzeugen während der Kontaktphase nur ein geringer Geschwindigkeitsunterschied bestand.
79
Damit gibt es keinen Anhaltspunkt für die von der Beklagten vorgenommene Interpretation des Geschehens, wonach der Kläger trotz der für ihn ersichtlichen Fahrspurwechselabsicht des Beklagtenfahrzeugs dieses rechts habe überholen wollen, sodass der Unfall für ihn unproblematisch vermeidbar gewesen wäre (Klageerwiderung S. 6 unten). Von einer weiteren Aufklärung des Unfallablaufs durch die Benennung „ihres“ Fahrers als Zeugen hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht.
80
3. In rechtlicher Hinsicht liegt damit auf Seiten der Beklagten ein Verstoß ihres Fahrers gegen die Sorgfaltsanforderungen beim Spurwechsel nach § 7 Abs. 5 StVO vor. Demnach darf ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Für ein Verschulden des Beklagten-Fahrers spricht insoweit bereits der Beweis des ersten Anscheins (st. Rspr. z.B. OLG München Endurteil v. 23.3.2022 – 10 U 7411/21 e, BeckRS 2022, 6219; OLG Köln, 22.04.2015 – 11 U 154/14, juris; KG NZV 2011, 185; OLG Sachsen-Anhalt NZV 2008, 618; OLG Bremen VersR 1997, 253; KG NZV 2004, 28). Tatsächlich ist aber aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere des schlüssigen „Anerkenntnisses“ des Beklagten-Fahrers davon auszugehen, dass ein schuldhafter Verstoß ohnehin positiv bewiesen ist.
81
Hinzu tritt, dass der Beklagten-Lkw, der ausweislich der Erhebungen des Sachverständigen ein Leergewicht von ca. 8,6 t hat (Sachverständigengutachten S. 14), den linken Fahrstreifen unter Verstoß gegen § 7 Abs. 3 S. 1 StVO befahren hat.
82
Dem Kläger wiederum kann ein unfallursächlicher Sorgfaltsverstoß nicht vorgeworfen werden. Insbesondere steht nicht fest, dass er sich mit seinem Fahrzeug neben den Beklagten-Lkw „setzte“, als dessen Ansetzen zum Spurwechsel bereits erkennbar war. Dass im Hinblick auf die vom Sachverständigen festgestellten geringfügige Geschwindigkeitsdifferenz – auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers hierzu – das Klägerfahrzeug rechts schneller als der Beklagten-Lkw fuhr, begründet keinen Sorgfaltsverstoß. Nach § 7 Abs. 3 S. 2 StVO durfte der Kläger im Bereich der Unfallstelle, wo mehrere markierte Fahrstreifen für eine Richtung vorhanden sind, rechts schneller fahren als links.
83
Auch wenn letztlich nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Kollision für den Kläger nachweislich unabwendbar im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG war (schließlich hatte der Kläger nach eigenen Angaben mindestens bereits zwei vergleichbare Unfälle an dieser Stelle gehabt, sodass er sich möglicherweise noch vorausschauender hätte verhalten können), ist im Zuge der Abwägung von einer 100-prozentigen Haftung der Beklagten auszugehen. Dem klaren Verstoß des Beklagten-Fahrers beim Spurwechsel (§ 7 Abs. 5 StVO) steht die nicht erhöhte Betriebsgefahr des Kläger-Fahrzeugs gegenüber. Dies führt nach einheitlicher und ständiger Rechtsprechung zu einer vollen und alleinigen Haftung des Spurwechslers (z.B. OLG München Endurteil v. 23.3.2022 – 10 U 7411/21, BeckRS 2022, 6219; OLG Saarbrücken 1.8.2019 – 4 U 18/19; OLG Hamm 27.10.2014 – 9 U 60/14; OLG München 13.7.2018 – 10 U 1856/17).
84
V. Dem Kläger ist ein Schaden in Höhe von insgesamt 1.725,89 € entstanden.
85
1. Am Fahrzeug des Klägers ist Totalschaden in Höhe von 650,00 € entstanden.
86
a) Auszugehen ist dabei von dem vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswert in Höhe von 2.650 €.
87
Der im Schadensgutachten des Klägers ermittelte Wiederbeschaffungswert von (differenzbesteuert, dazu sogleich) 6.300 € ist nicht maßgeblich, da dort von einer unzutreffenden Laufleistung ausgegangen wird. Der Sachverständige weist in seinem Gutachten (S. 26 f.) zutreffend darauf hin, dass eine Laufleistung von 209.820 km (Anlage K2 S. 4) nicht zutreffend sein kann, da das Fahrzeug ausweislich des Vorschadensgutachtens (Anlage B5 S. 3) bereits am 10.07.2019 eine Laufleistung von 322.795 km aufwies. Der Sachverständige liegt im Weiteren schlüssig dar, dass bei Berücksichtigung einer durchschnittlichen jährlichen Laufleistung von gut 27.000 km pro Jahr basierend Juli 2019 sich hochgerechnet eine zutreffende Laufleistung zum Unfallzeitpunkt von ca. 390.000 km ergibt. Unter Berücksichtigung dieser massiv höheren Laufleistung gelangt der Sachverständige unter Berücksichtigung der Anzahl an Vorbesitzern und Vorschäden auf einen Wiederbeschaffungswert von 2.650 €.
88
Hinsichtlich dieses Wiederbeschaffungswertes ist eine Bereinigung um die Differenzsteuer nach § 25a UStG allerdings nicht vorzunehmen, da das Fahrzeug nach Angaben des Sachverständigen mit der (korrigierten) Laufleistung überwiegend auf dem Privatmarkt angeboten wird (aaO S. 27 u.). Eine nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB relevante Umsatzsteuer ist deshalb nicht zu berücksichtigen.
89
Soweit die Beklagte schließlich unter Hinweis auf OLG Hamm, Beschluss vom 13. November 2015 – 26 U 154/15 –, juris einwendet, dass mangels feststellbarer Laufleistung ein Wiederbeschaffungswert überhaupt nicht ermittelt werden könne, überzeugt dies nicht. Dies verkennt, dass die Ermittlung der Schadenshöhe, deren Bestandteil die Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes ist, im Anwendungsbereich des § 287 ZPO erfolgt. Im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO soll das Gericht die Schadenshöhe gerade schätzen, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (BGH NJW 2013, 525, 527). Soweit – wie hier – Haftungsgrund und Schadenseintritt feststehen und eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu bejahen ist und es lediglich der Ausfüllung der Höhe des erstattungsfähigen Schadens bedarf, darf von der Zubilligung eines Ersatzanspruchs grundsätzlich nicht schon deshalb abgesehen werden, weil seine Höhe nicht sicher zu ermitteln ist, es insbesondere an ausreichenden Anhaltspunkten für eine Schätzung des gesamten Schadens nach § 287 ZPO fehlt (BGH, Urteil vom 24. September 2014 – VIII ZR 394/12 –, BGHZ 202, 258). Eine Schätzung nach § 287 ZPO darf nur dann abgelehnt werden, wenn keinerlei brauchbare Anhaltspunkte auch nur für eine Mindestschätzung dargetan sind (BGH, Urteil vom 24. September 2014 – VIII ZR 394/12 –, BGHZ 202, 258).
90
Dass das Kläger-Fahrzeug, dass immerhin noch fünf Monate „TÜV“ hatte (Schadensgutachten Anlage K2, S. 4) keinerlei fiktiven Wert mehr gehabt haben soll, behauptet die Beklagte nicht. Vielmehr belegt sie, dass bereits für das beschädigte Fahrzeug noch ein Restwert in Höhe von 3.550 € zu erzielen gewesen wäre (Anlage B6). Im Hinblick darauf, dass angesichts des Alters und der absoluten Laufleistung von knapp 400.000 km ein „mehr oder weniger“ von einigen 10.000 km zudem keinen maßgeblichen wertbildenden Unterschied macht, erscheint der vom Sachverständigen gewählte Weg der Extrapolierung und die daran anknüpfende Schadensschätzung hinreichend überzeugend.
91
b) Der Restwert des Fahrzeugs ist mit den vom Kläger beim Verkauf am 14.02.2022 erzielten 2.000 € zu berücksichtigen (Anlage K8).
92
Im Veräußerungsfall leistet der Geschädigte im Allgemeinen dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit genüge, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kfz zu demjenigen Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger in einem Gutachten, das eine korrekte Wertermittlung erkennen lässt, als Wert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, Urteil vom 25. Juni 2019 – VI ZR 358/18 –, juris). Der Geschädigte ist dabei nicht gehalten abzuwarten, um dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer vor der Veräußerung des beschädigten Fahrzeugs Gelegenheit zu geben, zum eingeholten Gutachten Stellung zu nehmen und gegebenenfalls bessere Restwertangebote zu übermitteln (BGH, Urteil vom 25. Juni 2019 – VI ZR 358/18 –, juris).
93
Vor diesem Hintergrund kommt es auf das dem Kläger am 16.02.2022 von der Beklagten unterbreitete verbindliche Restwertangebot über 3.550 € (Anlage B6) nicht an. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger das Fahrzeug bereits „nach Gutachten“ verkauft.
94
Der Fahrzeugschaden (Wiederbeschaffungsaufwand) ist demnach mit 650,00 € in Ansatz zu bringen.
95
2. Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz von Sachverständigenkosten in Höhe von 1.089, 56 €.
96
a) Der Einwand der Beklagten, dass das Parteigutachten unbrauchbar sei, da es vorhandene Altschäden nicht vollständig berücksichtige, verfängt nicht.
97
Sachverständigenkosten sind eine erstattungsfähige Schadensposition (st. Rspr. z.B. BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 – VI ZR 76/16 –, juris). Dabei hat der Schädiger dem Geschädigten die Kosten des Sachverständigengutachtens zur Schadensfeststellung regelmäßig auch dann zu ersetzen, wenn dieses objektiv ungeeignet ist. Etwas anderes kann allerdings dann gelten, wenn der Geschädigte die Unbrauchbarkeit des Sachverständigengutachtens zu vertreten hat (OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 U 64/17 –, juris; KG MDR 2005, 443). Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn er gegenüber seinem Privatsachverständigen erhebliche Vorschäden – zumindest fahrlässig (OLG Saarbrücken, 28.02.2019 – 4 U 56/18 –, juris Rn. 35; OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. Februar 2018 – 1 U 64/17 –, juris; OLG Köln VersR 2012, 1008) – verschweigt und der Sachverständige deshalb zu einem fehlerhaften Ergebnis gelangt (OLG Celle Urt. v. 11.11.2020 – 14 U 119/19, BeckRS 2020, 32642; OLG Saarbrücken NJW-RR 2013, 1498; OLG Düsseldorf NZV 2008, 295; KG BeckRS MDR 2005, 443). Es handelt sich insoweit um eine Frage des Mitverschuldens i.S.d. § 254 BGB (OLG Hamm Urt. v. 23.11.1995 – 6 U 77/95, BeckRS 1997, 3944; Kääb/Jandel NZV 1992, 16, 18), so dass die Beweislast beim Schädiger liegt.
98
Wie bereits ausgeführt (oben unter III.2.d), waren am Fahrzeug des Klägers allerdings keine wertbeeinflussenden Vor- oder Altschäden vorhanden bzw. waren diese dem Kläger seinem Gutachter gegenüber offengelegt werden, der dies dann auch entsprechend berücksichtigt hat.
99
Soweit der Sachverständige auf der Grundlage des von ihm angenommenen Kilometerstandes des Fahrzeuges zu einem unzutreffenden Wiederbeschaffungswert gelangt und das Gutachten damit insoweit unbrauchbar ist, begründet dies aber keinen ein Mitverschulden des Klägers rechtfertigenden Vorwurf. Wie ebenfalls bereits ausgeführt, hatte der Kläger das Fahrzeug bereits mit einer unzutreffenden Laufleistung erworben – und einen dadurch überhöhten Kaufpreis bezahlt. Es spricht deshalb nichts dafür, dass der Kläger diese unzutreffende Laufleistung kannte. Folglich kann ihm auch nicht vorgehalten werden, dass er insoweit dem Sachverständigen gegenüber unzutreffende Angaben gemacht habe. Dass dieser die Laufleistung dann „nach Tacho“ zugrunde gelegt hat, begründet keinen Fahrlässigkeitsvorwurf gegenüber dem Kläger. Das von der Beklagten in diesem Zusammenhang wiederholte Bestreiten mit Nichtwissen verkennt die Beweislast.
100
b) Das Bestreiten der Beklagten der Angemessenheit und Ortsüblichkeit der Sachverständigenkosten greift nicht durch.
101
Da seitens des Klägers nichts dafür vorgetragen ist, dass mit dem Sachverständigen eine Preisvereinbarung getroffen wurde, kann im Rahmen der Schätzung der Höhe dieses Schadensersatzanspruchs gemäß § 287 ZPO an die übliche Vergütung gem. § 632 Abs. 2 BGB angeknüpft werden. Denn der verständige Geschädigte wird unter diesen Umständen im Regelfall davon ausgehen, dass dem Sachverständigen die übliche Vergütung zusteht. Diese ist dann regelmäßig schadensrechtlich erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB (BGH, Urteil vom 28. Februar 2017 – VI ZR 76/16 –, juris; BGH, Urteil vom 05. Juni 2018 – VI ZR 171/16, VersR 2018, 1338; vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Dezember 2022 – VI ZR 324/21 –, juris). „Üblich“ im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB ist dabei eine Vergütung, die zur Zeit des Vertragsschlusses nach einer festen Übung am Ort der Werkleistung gewährt zu werden pflegt (BGH, Urteil vom 04. April 2006 – X ZR 122/05, BGHZ 167, 139). Diese wird nach ständiger Rechtsprechung der Kammer auf der Grundlage der BVSK-Tabelle ermittelt (vgl. LG Nürnberg-Fürth v. 29.2.2012 – 8 S 2791/11 zur Anwendbarkeit des arithmetischen Mittels des sog. „HB III Korridors“ der BVSK-Honorarbefragung 2008/2009 bzw. des entsprechenden „HB V Korridors“ der BVSK-Honorarbefragung 2010/2011). Die BVSK-Tabelle 2022, die die 2022 berechneten Grundhonorar für eine Schätzung nach § 287 ZPO ausreichend repräsentativ abbildet, weist im maßgeblichen HB V Korridor (Honorarkorridor, in dem je nach Schadenhöhe zwischen 50% und 60% der BVSK-Mitglieder ihr Honorar berechnen) ausgehend von dem vom Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswert von 6.300 € brutto ein Grundhonorar von 792 € bis 875 € aus. Auch die Nebenkosten (Fotos, Porto, Telefon und Schreibkosten), die sich erkennbar an den Erläuterungen der BVSK-Umfrage orientieren und im Wesentlichen – soweit vorhanden – an Sätzen des JVEG orientieren (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. April 2016 – VI ZR 50/15 –, juris Rn. 18), sind danach nicht zu beanstanden.
102
3. Einen Anspruch auf Nutzungsausfall hat der Kläger nicht.
103
a) Voraussetzung für die Anerkennung eines gewohnheitsrechtlich anerkannten Anspruchs auf Nutzungsausfallentschädigung (st. Rspr. z.B. BGHZ 217, 218) ist, dass der Geschädigte seinen Wagen während der Reparaturzeit bzw. Zeit der Wiederbeschaffungsdauer benutzen wollte und hierzu auch in der Lage war; es muss also eine fühlbare Nutzungsbeeinträchtigung bestehen, die bei vorhandenem Nutzungswillen und hypothetischer Nutzungsmöglichkeit zu bejahen ist (BGH 11.10.2022 – VI ZR 35/22; BGH NJW 1966, 1260).
104
Seinen Nutzungswillen hat der Kläger durch die Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges hinreichend dokumentiert. Zudem spricht für einen Nutzungswillen zumindest die allgemeine Lebenserfahrung (LG Saarbrücken NJW 2011, 2444; m.w.N.; OLG Düsseldorf BeckRS 2007, 4966; vgl. auch OLG Nürnberg Schaden-Praxis 2002, 358; OLG Düsseldorf BeckRS 2005, 14693: Vermutung mit Darlegungs- und Beweislast für den Ausnahmefall der Nicht-Nutzung beim Schädiger).
105
Soweit der Kläger für die Dauer seines Nutzungsausfalls den Zeitraum vom Unfall bis zur Ersatzbeschaffung am 15.06.2022, also 128 Tage zugrunde legt, kann dem schon im Ansatz nicht gefolgt werden: Rechnet der Kläger – wie im Streitfall – seinen Wiederbeschaffungsaufwand fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens ab, orientiert sich die Wiederbeschaffungsdauer an der üblichen, nicht der tatsächlichen Zeit bis zur Anschaffung eines Ersatzfahrzeuges (vgl. Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB Rn. 222; BGH, Urteil vom 15. Juli 2003 – VI ZR 361/02, VersR 2004, 1575 für Mietwagenkosten bei Reparatur).
106
Ungeachtet dessen scheitert ein Anspruch des Klägers aber bereits an einer fühlbaren Nutzungsbeeinträchtigung. Nach seinen eigenen Angaben hat der Kläger das Fahrzeug nach dem Unfall bis zum Verkauf zunächst selbst provisorisch („mit Panzertape“) „repariert“ und sei damit dann vielleicht noch 300 km gefahren.
107
Ohne dass es darauf ankäme, sei an dieser Stelle angemerkt, dass die zwischenzeitlich gefahrenen 10.180 Kilometer, wie sie sich nach den Angaben im Schadensgutachten vom 10.02.2022 bis zum Verkauf des Fahrzeugs am 14.02.2022 errechnen, offensichtlich nicht zutreffend sein können. Denn danach hätte der Kläger zwischen Unfall und Verkauf pro Tag mehr als 2.000 km zurücklegen müssen, was angesichts des vorhergehenden Fahrverhaltens bzw. Fahrleistung des Klägers als ausgeschlossen angesehen werden muss. Plausibel ist demgegenüber der Erklärungsversuch des Klägers, wonach es sich bei der „glatten“ Zahl in Verkaufsvertrag um einen aufgerundeten Wert handeln müsse.
108
Ungeachtet dessen stand dem Kläger jedenfalls nach dem Unfall grundsätzlich weiterhin ein zumutbar nutzbares Fahrzeug zur Verfügung. War ihm dessen Nutzung aber für eine Woche nach dem Unfall möglich, so ist nicht erkennbar und auch nichts dafür vorgetragen, dass ihm dies nicht noch eine weitere Woche, mithin für die gesamte in Ansatz zu bringen Dauer einer (hypothetischen) Wiederbeschaffung möglich und zumutbar gewesen wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ausweislich des Schadensgutachtens (Anlage K2, S. 13) der Verkauf an den höchst Bietenden zum Restwert von 2.000 € bis zu einer Gebotsfrist am 24.2.2022 möglich gewesen wäre.
109
Nach alledem ist eine tatsächliche und fühlbare Nutzungsbeeinträchtigung nicht festzustellen. Ein Nutzungsausfallschaden war nicht „erforderlich“ – jedenfalls wäre der Kläger im Rahmen seiner auch in diesem Kontext generell obliegenden Schadensminderungspflicht (vgl. dazu BGH VersR 1982, 548; vgl. auch OLG Karlsruhe NJW 2014, 2733) nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB gehalten gewesen, die Weiternutzung seines Fahrzeuges und dessen Verkauf so zu koordinieren, dass ein ohne weiteres vermeidbare Nutzungsausfall nicht eintritt.
110
4. Die Unkostenpauschale für die Abwicklung eines durchschnittlichen Verkehrsunfalls, wie es der streitgegenständliche ist, setzt die Kammer in st. Rspr. mit 25 € an (§ 287 ZPO; so z.B. auch OLG Celle Urt. v. 16.6.2021 – 14 U 152/20, BeckRS 2021, 15005).
111
5. Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen grundsätzlich auch die erforderlichen Rechtsverfolgungskosten (st. Rspr. BGH NJW 2005, 1112 m.w.N.). Diese errechnen sich nach dem berechtigten vorgerichtlichen Gegenstandswert (BGH, Urt. v. 2.11.2021 – VI ZR 731/20; BGH, Urt. v. 11.7.2017 – VI ZR 90/17, r+s 2017, 494) von hier 1.725,89 €, bei einer 1,3 Gebühr zzgl. Auslagenpauschale und Steuer auf insgesamt 280,60 €.
112
Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger nach eigenen Angaben die Rechtsanwaltskosten an den Klägervertreter noch nicht gezahlt hat: Zwar bestünde der Schaden insoweit zunächst in einer Belastung mit einer Verbindlichkeit gegenüber dem Rechtsanwalt, so dass nach allgemeinen Grundsätzen über § 249 BGB nur Freistellung beansprucht werden könnte. Der Freistellungsanspruch kann jedoch gemäß § 250 BGB in einen Zahlungsanspruch übergehen. Einer Fristsetzung nach § 250 BGB bedarf es dann nicht, wenn der Schädiger – wie hier durch sein Prozessverhalten – unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass er eine Naturalrestitution ernsthaft und endgültig verweigert (BGH, Urteil vom 16. November 2006 – I ZR 257/03, VersR 2007, 1539). Dann wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um, wenn der Geschädigte Geldersatz fordert (BGH, Urteil vom 13. Januar 2004 – XI ZR 355/02, VersR 2004, 740).
113
6. Der Kläger hat schließlich auch Anspruch auf Verzinsung seiner berechtigten Schadensersatzansprüche.
114
Der geltend gemachte Zinsanspruch (§ 308 Abs. 1 ZPO) beruht auf § 286 Abs. 1 S. 2 BGB. Er beginnt am Tag nach Zustellung der Klage (BGH 8.5.2013 – IV ZR 84/12, NJW 2013, 2739, 2742), also mit dem 23.9.2022.
115
Die Zinshöhe beruht auf § 288 Abs. 1 BGB.
B.
116
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 2 ZPO.