Inhalt

FG München, Urteil v. 25.01.2024 – 14 K 1270/22
Titel:

Befreiung von Alkoholsteuer bei Desinfektionsmittel

Normenketten:
FGO § 74
AO § 163
AlkStG § 28 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1
AM § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 4 S. 1
RL92/83/EWG Art. 27 Abs. 1 Buchst. b
Leitsatz:
Ein Desinfektionsmittel aus Ethanol und Wasser kann zwar auch als Arzneimittel unter die Bestimmung des § 27 Abs. 1 Nr. 1 AlkStG fallen. Jedenfalls bei dem von der Klägerin zur Reinigung der Abfüllanlage hergestellten Desinfektionsmittel handelt es sich jedoch um ein Biozidprodukt (§ 2 Abs. 3 Nr. 5 des Arzneimittelgesetz in der im Streitjahr geltenden Fassung – AMG) und nicht um ein Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG (vgl. auch Süß, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht – UVR – 2020,212), denn es wurde nicht mit der Zweckbestimmung eines Arzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ggf. i.V.m. Abs. 3a AMG gegenüber Verbrauchern präsentiert und fällt aufgrund der Verwendung vergällten Alkohols auch nicht unter die allgemein zugelassenen Arzneimittel nach § 2 Abs. 4 Satz 1 AMG. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reichweite einer Verwendungserlaubnis und einer Sondervergällungsmittelzulassung, Verwendungserlaubnis, Erlaubnis, Arzneimittel, Desinfektionsmittel, Alkohol, Ethanol, Vergällungsmittel, Ware, Zulassung, Bioziprodukt
Fundstelle:
BeckRS 2024, 5382

Tenor

1. Der Steuerbescheid vom 22. Dezember 2021 und die Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2022 werden aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin ist ein Kosmetikhersteller. Pandemiebedingt sollten 2020 u.a. auch Desinfektionsmittel unter Verwendung von Ethanol hergestellt werden.
2
Entsprechend ihrem Antrag vom 31. März 2020, in dessen beigefügter Betriebserklärung als Verwendungszweck die Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, angegeben war, wurde der Klägerin am 1. April 2020 die Erlaubnis (Erlaubnisschein Nr. RVv 5/2020) zum Bezug von vergälltem Alkohol zur steuerfreien Verwendung zur Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, erteilt. Als Vergällungsmittel wurde 5,2 kg Triethylcitrat auf 100 Liter reinen Alkohol zugelassen. Die Erlaubnis enthielt die Maßgabe, dass der so vergällte Alkohol nur zur Herstellung eines Händedesinfektionsmittels verwendet werden dürfe.
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Nachdem die Klägerin mit Lavendelöl vergällten Alkohol verwenden wollte, um Nagellackentferner und Händedesinfektionsmittel herzustellen, erhielt sie am 4. September 2020 eine geänderte Erlaubnis, mit der 0,35 kg Lavendelöl KBA auf 100 Liter reinen Alkohol (nur zur Herstellung von kosmetischen Mitteln und eines Händedesinfektionsmittels) als zusätzliches Vergällungsmittel zugelassen wurde.
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Die Klägerin bezog unversteuertes Ethanol teilweise vergällt mit Lavendelöl KBA und teilweise vergällt mit Triethylcitrat.
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Das mit Triethylcitrat vergällte Ethanol verwendete sie in 2020 zum großen Teil zur Herstellung von Desinfektionsmitteln durch Zugabe von Wasser im Mischungsverhältnis 80 : 20.
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Allerdings mischte sie in 2020 auch 1.620 l mit Triethylcitrat vergälltes Ethanol (entspricht einer Alkoholmenge von 1.475,07 lA) – ohne ein exaktes Mischungsverhältnis zu beachten – mit destilliertem Wasser, um mit diesem Gemisch ihre Abfüllanlage zu desinfizieren. Auch hierbei handelte es sich um ein wirksames, zur Händedesinfektion sowie zur Flächendesinfektion geeignetes Biozidprodukt. Nach einer Spülung der Abfüllanlage mit Leitungswasser reinigte sie diese mit dem Gemisch aus ca. 70 – 80% Alkohol und 20 – 30% Wasser nach jedem Abfüllvorgang von Nagellackentferner oder sonstigen Produkten (nicht nach der Produktion von Desinfektionsmitteln). Wenn kein unvermischtes, mit Triethylcitrat vergälltes Ethanol verfügbar war, benutzte die Klägerin auch das ursprünglich zum Verkauf bestimmte, nach Rezeptur angemischte Desinfektionsmittel zur Desinfizierung der Abfüllanlage.
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Die Klägerin dokumentierte die verwendeten Alkoholmengen unter Rückrechnung der Produkte aus ihren Verkaufsprozessen.
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Erst am 8. Dezember 2021 erhielt die Klägerin die Erlaubnis zum Bezug von vergälltem Alkohol zur Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, und zu Heiz- und Reinigungszwecken. Als Vergällungsmittel war Trietylhlcitrat zur Herstellung eines Händedesinfektionsmittels und zu Reinigungszwecken zugelassen. Weitere Aufzeichnungspflichten oder Auflagen waren nicht vorgesehen.
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Aufgrund einer am 14. Dezember 2021 durchgeführten Steueraufsichtsmaßnahme bei der Klägerin stellte der Beklagte (das Hauptzollamt – HZA –) fest, dass die Klägerin Ethanol zur Reinigung verwendet habe, und setzte ausgehend von 1.475,07 lA mit Bescheid vom 22. Dezember 2021 für 2020 Alkoholsteuer i.H.v. 19.220,16 € fest, da nach seiner Auffassung die Erlaubnis diesen Verwendungszweck nicht umfasste.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2022 wurde der dagegen eingelegte Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Über den von der Klägerin außerdem gestellten Antrag auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme entschied das HZA in der Einspruchsentscheidung ausdrücklich nicht.
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Die Klägerin macht mit ihrer Klage zuletzt im Wesentlichen geltend, ihr sei erlaubt gewesen, den vergällten Alkohol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln zu benutzen. Was sie nach der Herstellung des Desinfektionsmittels hiermit mache, sei durch das HZA nicht mehr zu überwachen. Gerade in der Corona-Pandemie seien Händedesinfektionsmittel nicht nur zur Desinfektion der Hände, sondern auch für Flächen und anderweitige Desinfektionen eingesetzt worden.
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Da ein Genuss des Alkohols außerdem faktisch ausgeschlossen sei, erfordere der Zweck der Alkoholsteuer keine Besteuerung. Anders als bei einer erlaubniswidrigen Lagerung könne der zur Reinigung verbrauchte Alkohol nicht mehr in eine Ware fließen bzw. zu einer solchen verarbeitet werden, so dass es einer Erlaubnis zur Sicherstellung der Besteuerung nicht bedürfe.
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Im Übrigen hätte sie, wenn das HZA sie ausreichend beraten und hinsichtlich des Erlaubnisprozesses unterwiesen hätte, die nach Auffassung des HZA erforderliche Erlaubnis auch zu Reinigungszwecken von Anfang an beantragt.
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Die Klägerin beantragt,
den Steuerbescheid vom 22. Dezember 2021 und die Einspruchsentscheidung vom 20. Mai 2022 aufzuheben.
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Das HZA beantragt,
die Klage abzuweisen.
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Es macht im Wesentlichen geltend, die Steuer sei deswegen entstanden, da die Alkoholerzeugnisse entgegen der in der Erlaubnis vorgesehenen Zweckbestimmung, die Reinigungszwecke – mangels entsprechenden Antrags – nicht umfasse, verwendet wurden. Zwar habe sich die erteilte Erlaubnis nicht auf Desinfektionsmittel mit einem bestimmten Mischungsverhältnis bezogen. Sie habe aber nicht die Herstellung eines Desinfektionsmittels zur Maschinenreinigung umfasst, da die Vergällung mit dem Sondervergällungsmittel Triethylcitrat nach dem Wortlaut der Zulassung nur zur Herstellung eines Händedesinfektionsmittels zugelassen worden sei. Eine Zulassung von Triethylcitrat als Sondervergällungsmittel zur Herstellung eines Desinfektionsmittels, das zur Reinigung von Abfüllanlagen eingesetzt wird, sei nicht beantragt und damit – da dieser Verwendungszweck dem HZA nicht bekannt gewesen sei – auch nicht erteilt worden.
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Der Einsatz des hergestellten Gemisches aus dem vergällten Alkohol und Wasser sei auch nicht im Rahmen der Herstellung von Händedesinfektionsmitteln erfolgt, sondern nur bei der Herstellung sonstiger Produkte.
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Die Verwendung zu grundsätzlich begünstigten Zwecken reiche für die Gewährung der Steuerbefreiung nicht aus, da die Erlaubnis konstitutive Wirkung habe. Die Angabe des Verwendungszwecks in einer Erlaubnis sei erforderlich, um eine effektive Steueraufsicht und Erhebung der Alkoholsteuer zu gewährleisten. Zur Beurteilung des steuerlichen Risikos und damit zur Durchführung einer sachgerechten Steueraufsicht sei es erforderlich, dass der Steueraufsichtsdienst alle Verwendungszwecke und -orte kenne. Im konkreten Fall bestünden hinsichtlich der Steueraufsicht erhebliche Unterschiede zwischen der Verwendung von Alkohol zur Herstellung eines Desinfektionsmittels und der Verwendung zu Reinigungszwecken. Da der Alkohol zu einem bestimmten und vorher festgelegten Anteil in den von der Klägerin hergestellten Produkten enthalten sei, könne anhand von Rechnungen und Lieferscheinen und den noch vor Ort gelagerten Mengen an Händedesinfektionsmitteln auch noch nachträglich überprüft werden, ob die Verwendungsaufzeichnungen schlüssig sind. Damit bestünde ein niedrigerer Überwachungsbedarf im Rahmen der Steueraufsicht. Bei der Verwendung von Alkohol zu Reinigungszwecken fließe der verwendete Alkohol dagegen nicht in ein Produkt ein, so dass schlüssige Verwendungsaufzeichnungen von entscheidender Bedeutung für eine ordnungsgemäße Steueraufsicht seien. Bei einer Beantragung aller Verwendungszwecke im Rahmen des Antrags zur steuerfreien Verwendung hätte die Möglichkeit bestanden, Regelungen zu den Verwendungsaufzeichnungen zu treffen, um dadurch eine ordnungsgemäße Steueraufsicht sicherzustellen.
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Außerdem sei der Bescheid nicht wegen einer Verletzung der Beratungspflicht rechtswidrig, denn es habe sich nicht aufgedrängt, dass die Klägerin den Alkohol zu weiteren begünstigten Zwecken verwendete, welche in der Betriebserklärung nicht genannt waren.
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Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2024, die eingereichten Schriftsätze und auf die vorgelegten Unterlagen und Akten verwiesen.
II.
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Die Klage ist begründet, da die Klägerin den streitgegenständlichen Alkohol im Rahmen der erteilten Erlaubnis verwendete.
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1. Der Senat hält es nicht für sachgerecht, das vorliegende Klageverfahren in seinem derzeitigen Stadium auszusetzen, um die Entscheidung über den von der Klägerin parallel gestellten Billigkeitsantrag abzuwarten.
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a) Nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht das Klageverfahren aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Die Entscheidung darüber ist eine Ermessensentscheidung, bei der insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten abzuwägen sind (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 10. September 2015 – V R 17/14, BFH/NV 2016, 80, Rn. 55). Eine Aussetzung des Verfahrens ist insbesondere sinnvoll und regelmäßig auch geboten, solange noch unklar ist, ob und wie ein angefochtener Grundlagenbescheid geändert wird. Ein Verwaltungsakt, der eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 der Abgabenordnung (AO) zulässt, ist als Grundlagenbescheid i.S.d. § 171 Abs. 10 AO anzusehen (BFH-Urteil vom 21. Juli 2016 – X R 11/14, BStBl II 2017, 22, Rn. 16).
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b) Zwar wäre ein Verwaltungsakt, mit welchem das HZA dem Billigkeitsantrag der Klägerin auf Aufhebung des Alkoholsteuerbescheids stattgeben würde, für den hier angefochtenen Bescheid ein Grundlagenbescheid. Das HZA hat allerdings mit Schreiben vom 13. September 2023 gegenüber dem Finanzgericht (FG) angekündigt, die Bearbeitung des Billigkeitsantrags zurückzustellen, bis die im vorliegenden Verfahren streitige Rechtsfrage abschließend geklärt sei. Es ist vor diesem Hintergrund bei Abwägung der prozessökonomischen Gesichtspunkte und der Interessen der Beteiligten weder sinnvoll noch geboten, den Abschluss des zurückgestellten Billigkeitsverfahrens abzuwarten (vgl. zum fehlenden generellen Rangverhältnis FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Mai 2018 – 11 K 3401/16, EFG 2018, 1566, Rn. 36).
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2. Die Steuer ist nicht nach § 28 Abs. 3 Satz 1 des Alkoholsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (AlkStG) entstanden, da die Klägerin das Ethanol entsprechend ihrer Verwendungserlaubnis verwendet hat.
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a) Wer Alkoholerzeugnisse in den Fällen des § 27 Abs. 1 AlkStG steuerfrei verwenden will, bedarf nach § 28 Abs. 1 Satz 1 AlkStG einer Erlaubnis. Die Erlaubnis ist vor Beginn der Verwendung nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck beim Hauptzollamt zu beantragen (§ 58 Abs. 1 Satz 1 der Alkoholsteuerverordnung in der im Streitjahr anzuwendenden Fassung – AlkStV).
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Nach § 28 Abs. 3 Satz 1 AlkStG entsteht die Steuer, wenn die Alkoholerzeugnisse entgegen der in der Erlaubnis vorgesehenen Zweckbestimmung verwendet werden oder dieser nicht mehr zugeführt werden können, es sei denn, es liegt ein Fall des § 18 Abs. 3 AlkStG vor.
28
b) In den im Streitjahr erteilten Erlaubnissen vom 1. April 2020 und 4. September 2020 war der Klägerin die Verwendung des vergällt bezogenen Alkohols zu dem Verwendungszweck nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 AlkStG (Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind) erlaubt. Nur zu diesem Zweck hat sie diesen durch Herstellung von Desinfektionsmitteln (verschiedener Zusammensetzung) und Nagellackentferner auch verwendet.
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Alkoholerzeugnisse sind nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 AlkStG von der Steuer befreit, wenn sie vergällt zur Herstellung von Waren, die weder Arzneimittel noch Lebensmittel sind, gewerblich verwendet werden.
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aa) Sowohl bei Herstellung des Ethanol-Wasser-Gemischs nach Rezeptur als auch bei Herstellung des Gemischs mit einem Mischungsverhältnis von ca. 70 – 80% Alkohol und 20 – 30% destilliertem Wasser wurden wirksame Desinfektionsmittel geschaffen.
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bb) Die hergestellten Desinfektionsmittel sind weder Arzneimittel noch Lebensmittel im Sinne des § 27 Abs. 1 Nr. 3 AlkStG.
32
Ein Desinfektionsmittel aus Ethanol und Wasser kann zwar auch als Arzneimittel unter die Bestimmung des § 27 Abs. 1 Nr. 1 AlkStG fallen. Jedenfalls bei dem von der Klägerin zur Reinigung der Abfüllanlage hergestellten Desinfektionsmittel handelt es sich jedoch um ein Biozidprodukt (§ 2 Abs. 3 Nr. 5 des Arzneimittelgesetz in der im Streitjahr geltenden Fassung – AMG) und nicht um ein Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG (vgl. auch Süß, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht – UVR – 2020,212), denn es wurde nicht mit der Zweckbestimmung eines Arzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ggf. i.V.m. Abs. 3a AMG gegenüber Verbrauchern präsentiert und fällt aufgrund der Verwendung vergällten Alkohols auch nicht unter die allgemein zugelassenen Arzneimittel nach § 2 Abs. 4 Satz 1 AMG.
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cc) Das streitgegenständliche Desinfektionsmittel stellt auch eine „Ware“ i.S. der Vorschrift dar, obwohl es von der Klägerin nicht für Verkaufszwecke produziert wurde.
34
Der Wortlaut der Vorschrift ist insofern nicht eindeutig. „Ware“ kann sowohl etwas bezeichnen, was gehandelt, verkauft oder getauscht wird (auch: Handelsgut). Insbesondere in der Fachsprache kommt dem Wort jedoch auch die Bedeutung „Erzeugnis“, das von einer bestimmten Beschaffenheit/mit bestimmten Eigenschaften versehen ist, zu.
35
Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Steuerbefreiung nicht auf zum Verkauf bestimmte „Handelswaren“ zu beschränken, sondern davon sollen alle hergestellten Erzeugnisse erfasst werden.
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Dies ergibt sich zum einen aus dem der Regelung zu Grunde liegenden Unionsrecht. Nach Art. 27 Abs. 1 Buchst. b der RL 92/83/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke (RL 92/83/EWG) gilt die Befreiung für denaturierten Alkohol, der zur Herstellung eines nicht für den menschlichen Genuss bestimmten Erzeugnisses verwendet wird. Ob die Erzeugnisse verkauft werden oder im Herstellungsprozess anderer Produkte durch den Hersteller verwendet werden, ist unerheblich. Denn mit den in der RL 92/83/EWG vorgesehenen Steuerbefreiungen wird u. a. das Ziel verfolgt, die Auswirkungen der Verbrauchsteuern auf Alkohol als bei der Herstellung anderer Handels- oder Industrieerzeugnisse verwendetes Zwischenerzeugnis zu neutralisieren (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – Repertoire Culinaire vom 9. Dezember 2010 – C-163/09, ECLI:EU:C:2010:752, Rn. 48, m.w.N.).
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Im Übrigen handelt es sich bei § 27 Absatz 1 Nr. 3 AlkStG im Verhältnis zur Steuerbefreiung nach § 27 Absatz 1 Nr. 4 AlkStG um die speziellere Vorschrift (Süß, Die Alkoholsteuer, Rn. 126), so dass es bei Vorliegen eines hergestellten Erzeugnisses nicht auf die Verwendererlaubnis für Reinigungszwecke ankommt.
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3. Die Steuer ist auch nicht nach § 28 Abs. 3 Satz 3 AlkStG entstanden, da die Zulassung des Sondervergällungsmittels Triethylcitrat sich auch – entgegen der Auffassung des HZA – auf das von der Klägerin (zur späteren Reinigung ihrer Anlage) hergestellte Desinfektionsmittel bezog.
39
Nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AlkStG steht der zweckwidrigen Verwendung nach § 28 Abs. 3 Satz 1 AlkStG die Verwendung ohne die vorgeschriebene Vergällung gleich.
40
Die Klägerin hat das bezogene Ethanol nicht ohne die vorgeschriebene Vergällung verwendet.
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Das streitgegenständliche Ethanol war zwar mit keinem der in § 54 Abs. 1 AlkStV genannten, gesetzlich zugelassenen Vergällungsmitteln vergällt; das HZA hat aber auf Antrag der Klägerin Triethylcitrat als Vergällungsmittel zugelassen (§ 54 Abs. 2 AlkStV). Nach der der Klägerin erteilten Erlaubnis durfte der so vergällte Alkohol zwar nur zur Herstellung eines Händedesinfektionsmittels verwendet werden. Diesem Erfordernis ist die Klägerin aber nachgekommen. Zu welchem Zweck sie das hergestellte Händedesinfektionsmittel verwendet – ob zu Verkaufs- oder zu Reinigungszwecken, bleibt ihr überlassen.
42
a) Für Handdesinfektionsmittel gelten keine speziellen Vorgaben hinsichtlich des Mischungsverhältnisses von Ethanol und Wasser. Insofern geht auch das HZA nicht davon aus, dass die Zulassung des Sondervergällungsmittels sich nur auf Händedesinfektionsmittel mit bestimmter Rezeptur bezog.
43
b) Auch bei dem nicht nach Rezeptur hergestellten Desinfektionsmittel handelt es sich um ein Händedesinfektionsmittel, weil es nach seiner objektiven Beschaffenheit zur Händedesinfektion geeignet war.
44
c) Auf die tatsächliche Verwendung des hergestellten Mittels zur Desinfektion der Maschinen kommt es nach Auffassung des Senats weder bei dem für eigene Zwecke hergestellten Desinfektionsmittel noch bei den zum Verkauf hergestellten Desinfektionsmitteln an, da insbesondere bei letzterem nicht entscheidend sein kann, wie die Kunden das erworbene Mittel verwenden (vgl. insofern EuGH-Urteil Bene Factum vom 28. Februar 2019 – C-567/17, ECLI:EU:C:2019:158, Rn. 22, m.w.N.).
45
d) Etwas anderes ergibt sich auch nicht dadurch, dass nur bei einer bestimmten Rezeptur aufgrund der hergestellten Menge des Endprodukts auf die tatsächlich verwendete Menge an Ethanol geschlossen werden kann. Zwar kann dies – wie das HZA dargestellt hat – die Steueraufsicht erleichtern. Jedoch setzt der Rückschluss von der Menge des gelagerten bzw. verkauften Endprodukts auf die Menge des eingesetzten Ethanols außerdem voraus, dass eine Verwendung zu eigenen Zwecken durch den Hersteller nicht erfolgt.
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Eine Herstellung zu Verkaufszwecken war jedoch weder in der Erlaubnis durch die Bezeichnung Händedesinfektionsmittel vorgeschrieben, noch ergibt sich eine solche aufgrund des Begriffs „Ware“ in Art. 27 Abs. 1 Nr. 3 AlkStG. Vielmehr weist das HZA zu Recht darauf hin, dass zu Zwecken der Steueraufsicht die Möglichkeit nach § 59 Abs. 1 Satz 2 AlkStV besteht, z.B. besondere Aufzeichnungspflichten vorzuschreiben. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfolgt – auch nicht in der für das nachfolgende Jahr erteilten Erlaubnis zur Verwendung zu Reinigungszwecken.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.