Titel:
Dublin-Verfahren (Schweden)
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34, § 74 Abs. 1 Hs. 2
Dublin III-VO Art. 18 Abs. 1 lit. d, Art. 29 Abs. 1
Leitsatz:
Weder das Asylverfahren noch die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Schweden leiden unter systemischen Mängeln, die zur Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK führen könnten. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Irak, Dublin-Verfahren, unzulässige Klage, Verfristung der Klage, Abschiebungsanordnung nach Schweden, keine systemischen Schwachstellen im schwedischen Asylverfahren, Abschiebungsverbote (verneint), Verlängerung der Überstellungsfrist, Flüchtigsein, unzulässiger Asylantrag, Schweden, Abschiebungsanordnung, Klagefrist, Überstellungsfrist
Fundstelle:
BeckRS 2024, 5293
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten.
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Der am ... 2000 in ... (E. K.) geborene Kläger ist nach eigenen Angaben in ... geborener irakischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glauben.
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Seinen Angaben zufolge reiste der Kläger am 9. Juli 2023 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 4. September 2023 einen förmlichen Asylantrag stellte.
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Nach den Erkenntnissen des Bundesamts lagen nach dem Abgleich der Fingerabdrücke mit der EURODAC-Datenbank Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) vor.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) richtete am 30. August 2023 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Schweden. Die österreichischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 1. September 2023 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gem. Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO.
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Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 10. November 2023 (Gz. ...) wurde der in Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (Nr. 1. des Bescheids). Nr. 2. des Bescheids stellt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen. Nr. 3. des Bescheids ordnet die Abschiebung des Klägers nach Schweden an. In Nr. 4. des Bescheids wird das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 22 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
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Zur Begründung seiner Entscheidung führt das Bundesamt u.a. aus, dass der Asylantrag gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) unzulässig sei, da Schweden aufgrund seiner Übernahmeerklärung für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Daher würde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Schweden als zuständigem Mitgliedsstaat innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens durch die schwedischen Behörden durchzuführen. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) lägen nach den Erkenntnissen des Bundesamts nicht vor. Die Anordnung der Abschiebung nach Schweden beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gem. § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Der Kläger verfüge nach seinen eigenen Angaben im Bundesgebiet über keine wesentlichen persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen, die im Rahmen der Ermessensprüfung zu berücksichtigen gewesen seien.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 10. November 2023 wird ergänzend verwiesen. Dem Bescheid beigefügt ist eine Rechtsbehelfsbelehrung, die auf die Klagemöglichkeit beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg innerhalb einer Woche nach Zustellung verweist.
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Der vorbezeichnete Bescheid wurde dem Kläger am 15. November 2023 mittels Postzustellungsurkunde bekanntgegeben.
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Der Kläger hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 29. November 2023 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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1. Die Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheids vom 10. November 2023, zugestellt am 15. November 2023, den Kläger als Asylberechtigten nach Art. 16a Grundgesetz (GG) anzuerkennen;
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2. festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen;
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3. festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG bestehen.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Kläger am 16. Dezember 2000 in ... geboren und staatenloser Bidun sei. Der Kläger sei getrennt von seiner Familie aus ... ausgereist. Die Familie bestehe aus seinen Eltern und fünf Kindern. Der übrigen Familie sei der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden. Die übrigen Familienmitglieder seien im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland. Aufgrund dieses Sachverhalt sei der Kläger ausgereist, um im Wege der Familienzusammenführung zu seiner Familie zu kommen. Da sein Vater schwer herzkrank sei, habe der Kläger keine andere Alternative für sich gesehen, als seiner Familie beizustehen.
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Auf den weiteren Vortrag im Klageschriftsatz vom 29. November 2023 wird ergänzend verwiesen.
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Das Bundesamt ist für die Beklagte der Klage mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2023 entgegengetreten und beantragt,
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Zur Begründung wurde auf die mit der Klage angegriffene Entscheidung verwiesen.
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Ein vom Kläger gestellter Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (Az. Au 9 S 23.50439) wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg vom 4. Dezember 2023 abgelehnt. Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen.
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Mit weiterem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg vom 9. Januar 2024 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Mit Schriftsatz der Regierung von ... – Zentrale Ausländerbehörde ... – vom 1. Februar 2024, dem Kläger gegen Postzustellungsurkunde zugestellt am 6. Februar 2024, wurde dem Kläger mitgeteilt, dass seine Rücküberstellung nach Schweden für den 15. Februar 2024 (5:30 Uhr) vorgesehen sei. Die vorgesehene Überstellung des Klägers am 15. Februar 2024 ist gescheitert, da der Kläger in der Einrichtung nicht angetroffen wurde.
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Daraufhin verlängerte das Bundesamt mit Schriftsatz vom 20. Februar 2024 die Überstellungsfrist des Klägers gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO auf 18 Monate (Ende 1. März 2025).
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Am 22. Februar 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte Verfahrensakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, ohne, dass die Beteiligten an der mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2024 teilgenommen haben. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beteiligten sind zur mündlichen Verhandlung vom 22. Februar 2024 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die mit Schriftsatz vom 29. November 2023 erhobene Klage bleibt ohne Erfolg. Sie ist sowohl unzulässig, als auch unbegründet.
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1. Die Klage ist bereits unzulässig, da sie nicht fristgerecht beim zuständigen Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben wurde. Gemäß § 74 Abs. 1 Halbs. 2 AsylG ist die Klage in Fällen, in denen ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO innerhalb einer Woche zu stellen ist, auch die Klage innerhalb einer Woche zu erheben. Da der in der Bundesrepublik Deutschland vom Kläger gestellte Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig abgelehnt worden ist, gilt vorliegend § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG, wonach Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen sind. Über die vorliegend einschlägige Wochenfrist ist der Kläger im mit der Klage angegriffenen Bescheid auch ordnungsgemäß belehrt worden. Die Klagefrist für den Kläger endete damit bereits am 22. November 2023, sodass die mit Schriftsatz vom 29. November 2023 erhobene Klage verfristet und damit unzulässig ist. Wiedereinsetzungsgründe (§ 60 VwGO) sind weder ersichtlich noch geltend gemacht. Auch ist die Frist aus § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO abgelaufen.
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Über dies sind die im Klageschriftsatz gestellten Anträge auf Asylanerkennung des Klägers (Art. 16a GG), auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) rechtsfehlerhaft, da es sich vorliegend um ein Dublin-Verfahren handelt. Insoweit kann der Kläger lediglich geltend machen, die im angegriffenen Bescheid des Bundesamts vom 10. November 2023 getroffene Entscheidung, den in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag als unzulässig abzulehnen, aufzuheben und für den Kläger ein Asylverfahren in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführen. Die vom Kläger daher im Schriftsatz vom 29. November 2023 in den Nrn. 1 und 2 gestellten Anträge gehen daher offensichtlich ins Leere und sind ebenfalls unzulässig.
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2. Die Klage ist darüber hinaus auch nicht begründet.
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Der Asylantrag des Klägers ist unzulässig.
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Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Solche Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft im Sinne des § 27a AsylG finden sich aktuell in der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO).
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2.1 Für die Durchführung des Asylverfahrens ist vorliegend gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG nach Maßgabe der Dublin III-VO nicht die Beklagte, sondern Schweden zuständig.
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Die Zuständigkeit Schwedens für die Bearbeitung des Asylantrages ergibt sich vorliegend aus Art. 18 Abs. 1 Buchst. d) Dublin III-VO.
34
Der Kläger hat ausweislich des vorliegenden EURODAC-Treffers Nr. ... am 21. Oktober 2015 in Schweden einen Asylantrag gestellt. Die schwedischen Behörden haben mit Schreiben vom 1. September 2023 dem Übernahmeersuchen des Bundesamts zugestimmt und sich bereiterklärt, den Kläger erneut aufzunehmen und dessen Asylverfahren durchzuführen.
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Schweden ist daher verpflichtet, den Kläger zu übernehmen und das Asylverfahren fortzuführen. Dem im Rahmen der in Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO genannten Fristen gestellten Übernahmeersuchen des Bundesamts vom 30. August 2023 hat Schweden am 1. September 2023 ausdrücklich zugestimmt.
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Die sechsmonatige Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ist im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) noch nicht abgelaufen.
37
Die Abschiebung nach Schweden kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
38
Anhaltspunkte für eine vorrangige Zuständigkeit der Beklagten liegen nicht vor. Ein anderer zuständiger Mitgliedstaat als Schweden lässt sich nach den Kriterien der Dublin III-VO nicht bestimmen.
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Eine Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich schließlich nicht aus Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO. Danach wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig, wenn es sich aufgrund systemischer Schwachstellen des Asylsystems in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechte-Charta (GRC) mit sich bringen, als unmöglich erweist, den Kläger dorthin zu überstellen.
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Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens gilt zwischen den Mitgliedstaaten die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und der GRC entspricht (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-173/17 – juris Rn. 82). Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Kläger führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein. Hierbei ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen. Die Vermutung ist danach nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen des zuständigen Mitgliedstaates widerlegt. An die Feststellung systemischer Schwachstellen sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Systemische Schwachstellen erreichen erst dann die besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 92).
41
Entsprechend vorstehender Grundsätze sind zur Überzeugung des Gerichts im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt unter Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnisse (vgl. Asylum Information Database (AIDA), Country Report: Schweden, 2022 Update; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Schweden, 20.12.2021) keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Überstellung nach Schweden wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen im Asylverfahren bzw. in den Aufnahmebedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK respektive Art. 4 GRCh drohen würde. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe des angegriffenen Bescheids Bezug genommen, welche sich in vertiefter Weise mit dem Nichtvorliegen systemischer Mängel im schwedischen Asylverfahren bzw. dem Zugang zum Asylverfahren, u.a. zur Frage eines Folgeantrags bzw. den gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten in Schweden, auseinandersetzen. Aus dem Klage- und Antragsvorbringen ergeben sich keine Umstände, welche eine hiervon abweichende Bewertung rechtfertigen könnten. Auch die persönliche Situation des Klägers führt zu keiner anderen Beurteilung.
42
Dem Gericht liegen keine Erkenntnisse vor, etwa aus Medien, öffentlich zugänglichen Quellen, Berichten des Auswärtigen Amtes oder internationaler Organisationen wie dem UNHCR oder Amnesty International, die anderslautende Anhaltspunkte bieten könnten.
43
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO notwendig machen könnten, liegen ebenfalls nicht vor.
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Die Ausübung des Selbsteintrittsrechts steht grundsätzlich im Ermessen der Mitgliedstaaten (sog. Ermessensklausel, vgl. EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – juris Rn. 88). Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ein Mitgliedstaat seiner Verantwortlichkeit für eine Grundrechtsverletzung infolge der Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat nicht unter Verweis auf dessen Zuständigkeit entziehen, wenn er die Befugnis zum Selbsteintritt – hier nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung – besitzt, von dieser Möglichkeit aber trotz der ernsthaften Gefahr einer Grundrechtsverletzung keinen Gebrauch macht (EGMR, U.v. 21.1.2011 – 30696/09 – juris Rn. 340). Eine Pflicht zum Selbsteintritt kann aber nur dann angenommen werden, wenn sich das dem Mitgliedstaat eingeräumte Ermessen derart verdichtet hat, dass jede andere Entscheidung unvertretbar wäre (sog. Ermessensreduktion auf Null), weil außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern (VG Trier, U.v. 28.9.2022 – 7 K 1706/22.TR – juris Rn. 62; VG Würzburg, B.v. 16.4.2019 – W 10 S 19.50280 – juris Rn. 34).
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Solche außergewöhnlichen Umstände sind hier weder ersichtlich noch vorgetragen. Insbesondere reichen die vom Kläger vorgetragenen familiären Bindungen im Bundesgebiet für die Begründung eines derartigen Erfordernisses nicht aus. Schützenswerte familiäre Beziehungen im Sinne von Art. 2 Buchst. g) Dublin III-VO liegen nicht vor.
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2.2 Es bestehen auch keine rechtlichen Bedenken hinsichtlich der vom Bundesamt ausgesprochenen Verlängerung der Überstellungsfrist auf 18 Monate. Diese Verlängerung ist rechtskonform vorgenommen worden, da der Kläger zum Zeitpunkt der ihm angekündigten Überstellung nach Schweden flüchtig war. Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Erwägungen. Dem Kläger wurde mit Schreiben der Regierung von ... – Zentrale Ausländerbehörde ... – vom 1. Februar 2024 mitgeteilt, dass seine Rücküberstellung nach Schweden am 15. Februar 2024 ab 5:30 Uhr erfolgen solle. Diese Ankündigung wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde am 6. Februar 2024 bekanntgegeben. Die für den 15. Februar 2024 vorgesehene Rücküberstellung des Klägers ist gescheitert, da dieser am vorgesehenen Tag nicht in seiner ihm zugewiesenen Unterkunft angetroffen wurde. Das Bundesamt hat daraufhin die Rücküberstellung storniert und unter dem 20. Februar 2024 mitgeteilt, dass der Kläger flüchtig ist und infolge dessen nunmehr die 18-monatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO mit einem Fristende am 1. März 2025 gilt.
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Bei der geschilderten Sachlage ist die Beklagte in rechtmäßiger Weise davon ausgegangen, dass der Kläger flüchtig ist. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist ein Ausländer flüchtig i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-Verordnung, wenn er sich den für die Durchführung seiner Überstellung zuständigen nationalen Behörden gezielt entzieht, um die Überstellung zu vereiteln. Damit setzt der Begriff „flüchtig“ objektiv voraus, dass sich der jeweilige Kläger den zuständigen nationalen Behörden entzieht und die Überstellung hierdurch tatsächlich (zumindest zeitweise) unmöglich macht; das Verhalten des jeweiligen Klägers muss kausal dafür sein, dass er nicht an den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden kann. Subjektiv ist erforderlich, dass sich der Kläger gezielt und bewusst den nationalen Behörden entzieht und seine Überstellung vereiteln will. Ein Flüchtigsein kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs angenommen werden, wenn die Überstellung nicht durchgeführt werden kann, weil der jeweilige Kläger die ihm zugewiesene Wohnung verlassen hat, ohne die zuständigen nationalen Behörden über seine Abwesenheit zu informieren, sofern er über die ihm insoweit obliegenden Pflichten unterrichtet wurde, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat. Aufgrund der erheblichen Schwierigkeiten, den Beweis für die innere Tatsache der Entziehungsabsicht zu führen und um das effektive Funktionieren des Dublin-Systems zu gewährleisten, darf aus dem Umstand des Verlassens der zugewiesenen Wohnung, ohne die Behörden über die Abwesenheit zu informieren, zugleich auf die Absicht geschlossen werden, sich der Überstellung zu entziehen, sofern der Betroffene ordnungsgemäß über die ihm insoweit obliegenden Pflichten unterrichtet wurde (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17, Jawo).
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So liegt der Fall hier. Dem Kläger wurde vorliegend der festgesetzte Überstellungstermin nach Schweden gegen Postzustellungsurkunde, der Beweisfunktion gemäß § 418 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zukommt, konkret mitgeteilt. Der Kläger hat gleichwohl entgegen dieser Aufforderung nach derzeitigem Kenntnisstand die zugewiesene Unterkunft verlassen, ohne die zuständigen Behörden über seine Abwesenheit zu informieren, wobei sich eine Unterrichtung über die Pflicht zur Information der Behörden bei Abwesenheit bei einem angekündigten Überstellungstermin aus der Natur der Sache des Ankündigungsschreibens selbst ergibt. Der Kläger hat damit gegen seine Mitwirkungspflichten im Dublin-Verfahren verstoßen. Durch die Aufforderung, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der zugewiesenen Unterkunft zur Abholung bereitzuhalten, wird die im Dublin-Verfahren bestehende Residenzpflicht in zumutbarer Weise räumlich und zeitlich zur Durchführung der Überstellung konkretisiert (vgl. VG Würzburg, U.v. 6.6.2023 – W 1 K 22.50438 – juris Rn. 28; VG Würzburg, U.v. 12.10.2022 – W 1 K 22.50269 – juris). Mit diesem Verhalten hat sich der Kläger objektiv den für die Abschiebung zuständigen nationalen Behörden entzogen und die Überstellung hierdurch tatsächlich (zumindest zeitweise) unmöglich gemacht.
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Nach alledem wurde die Überstellungsfrist rechtmäßig auf den 1. März 2025 verlängert, sodass diese im entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) noch nicht abgelaufen ist.
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2.3 Die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG und dessen Befristung nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 22 Monate ab dem Tag der Abschiebung sind ebenfalls rechtmäßig. Die Befristung hält sich innerhalb des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eröffneten gesetzlichen Rahmens von bis zu 5 Jahren. Das nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eröffnete Ermessen wurde erkannt und ermessensfehlerfrei ausgeübt.
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3. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.