Inhalt

OLG Bamberg, Urteil v. 27.02.2024 – 10 U 22/23 e
Titel:

Anspruch auf Rückzahlung von Glückspieleinsätzen gegen Online-Anbieter aus anderem EU-Staat

Normenketten:
GlüStV 2012 § 4 Abs. 1 S. 2 Alt. 2, Abs. 4
BGB § 134, § 762, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 814, § 817 S. 2, § 818 Abs. 2, § 819 Abs. 2, § 823 Abs. 2
ZPO § 148 Abs. 1
StGB § 284 Abs. 1
AEUV Art. 56, Art. 267
Leitsätze:
1. Wer von Deutschland aus vor Inkrafttreten der Neufassung des Glückspielstaatesvertrages zum 1.7.2021 das Online-Glückspielangebot eines Unternehmens eines anderen EU-Staates im Vertrauen auf dessen Rechtmäßigkeit genutzt hat, kann sowohl gem. § 812 Abs. 1 S. 1 BGB iVm § 134 BGB als auch nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 284 Abs. 1 StGB als Schutzgesetz Rückzahlung seiner Spieleinsätze verlangen. (Rn. 18 – 41) (Rn. 42 – 62) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Anbieten von Glückspielangeboten ist nach § 284 Abs. 1 StGB strafbar, wenn eine Glücksspielerlaubnis nach deutschem Recht fehlt. Auf eine mögliche materiellrechtliche Genehmigungsfähigkeit kommt es nicht an. (Rn. 52 – 55) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Verfahren ist mangels Vorgreiflichkeit nicht in analoger Anwendung von § 148 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf ein bei dem EuGH anhängiges Verfahren auszusetzen, das eine mögliche Unionsrechtswidrigkeit von § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 zum Gegenstand hat, der Anspruch im Streitverfahren jedoch nicht von den Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 GlüStV abhängt, sondern auch nach § 823 Abs. 2 BGB besteht. (Rn. 44 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
Orientierungsätze:
Zur Frage einer Aussetzung eines Rechtsstreits bis zur Erledigung eines Vorabentscheidungsverfahrens des Europäischen Gerichtshofs.
Zu den Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rückzahlung von Glücksspieleinsätzen bei Online-Glücksspielen.
Schlagworte:
Rückzahlung von Glücksspieleinsätzen, Online-Glücksspiele, Schutzgesetz, private Anbieter, Vorabentscheidungsverfahren, Aussetzung des Verfahrens, Online-Glückspiele, Aussetzung, Glücksspielerlaubnis, Genehmigungsfähigkeit, gesetzliches Verbot, Schutzzweck, einseitiger Verstoß
Vorinstanz:
LG Würzburg, Endurteil vom 28.03.2023 – 22 O 2132/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 5226

Tenor

1. Der Antrag der Beklagten vom 30.01.2024 „den Rechtsstreit bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsverfahrens des Europäischen Gerichtshofs, Az. C-440/23 gemäß § 148 ZPO analog auszusetzen“ wird abgelehnt.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Würzburg vom 28.03.2023, Aktenzeichen 22 O 2132/21, abgeändert. Die Klage wird hinsichtlich des Klageantrags zu 2 abgewiesen (Tenor Ziffer 2).
3. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
4. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
5. Das Urteil und das Endurteil des Landgerichts Schweinfurt vom 28.03.2023 sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags die vorläufige Vollstreckung abwenden, soweit nicht der Kläger Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrags leistet.
6. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Der Kläger fordert von der Beklagten die Rückzahlung von Glücksspieleinsätzen.
2
Die in M. ansässige Beklagte bot im Internet unter www…..com/de/ Online-Glücksspiele an. Der Kläger nahm von seiner Wohnung aus das Glücksspielangebot der Beklagten „…“ wahr. Er verlor zwischen dem 01.07.2018 und dem 12.05.2021 insgesamt 46.338,60 € (vgl. Anlagen KGuK 3 und KGuK 4), wobei die letzte Einzahlung des Klägers vom 23.11.2020 datiert. Zu diesen Zeitpunkten verfügte die Beklagte über eine m. Glücksspiellizenz, nicht aber über eine deutsche Glücksspielerlaubnis. Sie hatte auch zu keinem Zeitpunkt die Erteilung einer deutschen Glücksspielerlaubnis beantragt. Der Kläger ließ die Beklagte über seine nunmehrigen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 01.09.2021 erfolglos zur Erstattung seiner Verluste auffordern (vgl. Anlagen KGuK 5 und KGuK 6). Über das Vermögen des Klägers wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 23.05.2022 ein Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt A. zum Insolvenzverwalter bestellt. Die nach fruchtlosem Fristablauf am 12.08.2022 erhobene Klage des Klägers wurde der Beklagten am 17.08.2022 zugestellt. Mit „modifizierter Freigabe“ vom 05.02.2024 (Anlage zum Schriftsatz vom 19.02.2024) ermächtigte der Insolvenzverwalter den Kläger zur Führung des Rechtstreits und genehmigte dessen bisherige Prozesshandlungen.
3
Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe mit ihrem Angebot gegen den Glücksspielstaatsvertrag verstoßen und die zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen Verträge seien daher nichtig. Zudem habe die Beklagte ohne Erlaubnis ein Glücksspiel veranstaltet, sodass auch ein deliktischer Schadensersatzanspruch bestehe. Er verlangt deshalb die Rückzahlung seiner Spieleinsätze, soweit sie von der Beklagten nicht bereits als Gewinn an ihn ausbezahlt wurden.
4
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 46.338,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der Rechtsanwälte B., in Höhe von 1.822,96 € freizustellen.
5
Die Beklagte hat in erster Instanz Klageabweisung beantragt und ist dem Klagevorbringen im Wesentlichen mit rechtlichen Erwägungen entgegengetreten. Insbesondere hat sie die Auffassung vertreten, das „Online-Casino-Verbot“ sei europarechtswidrig. Bereicherungsrechtliche oder deliktische Ansprüche beständen nicht.
6
Das Landgericht hat nach informatorischer Anhörung des Klägers gemäß § 141 Abs. 3 ZPO der Klage stattgeben und die Beklagte mit Endurteil vom 28.03.2023 verurteilt, an den Kläger 46.338,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.08.2022 zu zahlen und den Kläger von der Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.822,96 € freizustellen. Die Klageforderung sei sowohl auf bereicherungsrechtlicher als auch deliktischer Grundlage gerechtfertigt.
7
Wegen des Sach- und Streitstands in erster Instanz im Übrigen wird Bezug genommen auf die Feststellungen im angegriffenen Ersturteil (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
8
Gegen das vorgenannte Endurteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor, das in § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 enthaltene Totalverbot von Online-Glücksspiel sei unionsrechtswidrig. Jedenfalls aber führe ein Verstoß gegen dieses Verbot nicht nach § 134 BGB zur Nichtigkeit der mit dem Kläger geschlossenen Glücksspielverträge. Zudem habe der Kläger die umfangreiche Medienberichterstattung zur Illegalität des Online-Glücksspiels (vgl. Anlage B 4) zur Kenntnis genommen und sich deshalb leichtfertig im Sinne des § 817 Satz 2 BGB der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns verschlossen. Deliktische Ansprüche kämen ebenfalls nicht in Betracht, denn es fehle bereits an der Verletzung eines Schutzgesetzes. Den geltend gemachten Freistellungsanspruch habe der Kläger nicht schlüssig dargelegt (Seiten 71 ff. der Berufungsbegründung).
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Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren,
das am 28.03.2023 verkündete Urteil des Landgerichts Würzburg Az.: 22 O 2132/21 abzuändern und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, das Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Würzburg zurückzuverweisen.
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Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens und beantragt
Zurückweisung der Berufung.
11
Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 09.11.2023 (Bl. I-147) Beweis erhoben durch Einvernahme des Klägers als Partei. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf das Senatsprotokoll vom 27.02.2024 (Bl. I-188 ff.) und die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen.
II.
12
Die Berufung der Beklagten erzielt hinsichtlich des Klageantrags zu 2 (Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten) einen Teilerfolg und führt insoweit zur Abänderung des angegriffenen Ersturteils und Klageabweisung. Hinsichtlich des Klageantrag zu 1 (Rückzahlung der Spieleinsätze) ist die Berufung jedoch als unbegründet zurückzuweisen.
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1. Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist (nunmehr) prozessführungsbefugt. Der Insolvenzverwalter hat ihn vor dem Senatstermin ausdrücklich schriftlich zur Führung des Rechtsstreits ermächtigt.
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2. Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Freistellung des Klägers von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten richtet (Klageantrag zu 2). Insoweit hat das Landgericht zu Unrecht angenommen, dem Kläger stehe ein Freistellungsanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlückStV 2012 zu (LGU, Seite 15, dort Ziffer IV.). Tatsächlich hat der Kläger den geltend gemachten Freistellungsanspruch, wie die Beklagte zutreffend rügt (Seite 71 ff. der Berufungsbegründung), nicht schlüssig dargelegt.
15
a) Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang ein dem Geschädigten zustehender Schadensersatzanspruch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist daher grundsätzlich zunächst, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist. Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist, ist zudem eine Frage der Art und des Umfangs des im Einzelfall erteilten Mandats. Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vorbemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr. Anders liegt es, wenn sich der Auftrag nur auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus Nr. 2300 VV RVG nicht entgegen (BGH, Urteil vom 22.06.2021, VI ZR 353/20, NJW-RR 2021, 1070 Rn. 7; Urteil vom 24.02.2022, VII ZR 320/21, NJW-RR 2022, 707 Rn. 24; Beschluss vom 23.06.2022, VII ZR 294/21, juris Rn. 19; Beschluss vom 23.06.2022, VII ZR 394/21, juris Rn. 21; Urteil vom 22.09.2022, VII ZR 786/21, juris Rn. 25; Urteil vom 15.12.2022, VII ZR 177/21, juris Rn. 33). Eine Vermutung zugunsten des Geschädigten, dass dieser einen bedingten Klageauftrag erteilt hat, besteht dabei nicht (BGH, Beschluss vom 23.06.2022, VII ZR 394/21, juris Rn. 22). Der Geschädigte hat daher darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass er seinem Anwalt einen Auftrag zur vorgerichtlichen Vertretung erteilt hat (BGH, Urteil vom 22.06.2021, VI ZR 353/20, NJW-RR 2021, 1070 Rn. 8; Urteil vom 24.02.2022, VII ZR 320/21, NJW-RR 2022, 707 Rn. 24, 26; Urteil vom 24.03.2022, VII ZR 266/20, juris Rn. 32; Beschluss vom 23.06.2022, VII ZR 394/21, juris Rn. 22; vgl. auch BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 25; Urteil vom 15.12.2022, VII ZR 177/21, juris Rn. 36).
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b) Nach diesen Grundsätzen ist der mit dem Klageantrag zu 2 geltend gemachte Anspruch vom Kläger nicht schlüssig dargelegt worden. In der Klageschrift wird zu Art und Umfang des Mandats nichts vorgetragen (vgl. Seiten 4, 6 der Klageschrift). Der Inhalt des außergerichtlichen Anforderungsschreibens (Anlage KGuK 5) mit einer sehr knappen Fristsetzung von einer Woche verbunden mit der gleichzeitigen Androhung einer Klage spricht für einen unbedingten Klageauftrag. Auf die ausdrückliche Rüge der Unschlüssigkeit durch die Beklagte im Berufungsverfahren hat der Kläger im Berufungsverfahren seinen Sachvortrag nicht ergänzt. Der Freistellungsanspruch ist daher nicht schlüssig dargelegt.
17
c) Da insoweit nur eine Nebenforderung betroffen ist, bedarf es vor der Abänderung des Ersturteils und Abweisung der Klage insoweit keines richterlichen Hinweises mehr (vgl. § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO, BGH, Urteil vom 15.08.2019, III ZR 205/17, NJW-RR 2019, 1332 Rn. 44).
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3. Im Übrigen, also soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Rückzahlung vom Kläger geleiteter Spieleinsätze (Klageantrag zu 1) richtet, ist die Berufung allerdings unbegründet. Die Auffassung des Landgerichts, dem Kläger stehe gegen die Beklagte nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB i.V.m. § 134 BGB, § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ein Zahlungsanspruch in Höhe von 46.338,60 € zu, entspricht der Rechtsprechung des Senats (Senatsbeschluss vom 20.06.2023, 10 U 10/23, nicht veröffentlicht; Senatsbeschlüsse vom 07.06.2023 und vom 20.07.2023, 10 U 12/23 e, nicht veröffentlicht) und erweist sich als frei von Rechtsfehlern. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann daher insoweit zunächst auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Ersturteils Bezug genommen werden.
19
a) Die Beklagte hat durch Leistungen des Klägers Bankgutschriften in Höhe der Klageforderung erlangt. Dies ist durch die Anlagen KGuK 3 und KGuK 4 belegt, wird aber auch von der Beklagten nicht bestritten.
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b) Der Kläger hat die Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht, denn die im Zeitraum vom 01.07.2018 bis 12.05.2021 zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Glücksspielverträge über die Teilnahme des Klägers an dem Glücksspielangebot der Beklagten „…“ sind wegen des Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 gemäß § 134 BGB nichtig.
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aa) § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ist ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB, das für den Zeitraum vom 01.07.2012 bis zum 30.06.2021 ein umfassendes Verbot von Online-Glückspielangeboten durch private Anbieter vorsah. Das Angebot der Beklagten verstieß gegen dieses Totalverbot, denn die Beklagte ermöglichte es dem Kläger, von seinem Wohnort aus im mit der Klage geltend gemachten Umfang im Internet an ihren Glücksspielangeboten teilzunehmen.
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Die der Beklagten von der m. Glücksspielbehörde erteilte Lizenz rechtfertigt keine andere Beurteilung. Eine Pflicht zur Anerkennung der m. Lizenz bestand nicht (vgl. EuGH, Urteil vom 08.09.2010, C 316/07 u.a., NVwZ 2010, 1409 Rn. 112; BGH, Beschluss vom 26.01.2023, I ZR 79/22, ZfWG 2023, 262 Rn. 26).
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Ebenso wenig ist von Belang, dass nach Darstellung der Beklagten die deutschen Behörden dem Verbot aus dem GlüStV 2012 über Jahre hinweg keinerlei Nachdruck verliehen haben, denn die unterbliebene Verfolgung rechtswidrigen Verhaltens durch die zuständigen Behörden berührt die Frage der Nichtigkeit nach § 134 BGB nicht (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2023, 19 U 7/23, juris Rn. 59 m.w.N.). Der zivilrechtliche Schutz für private Personen einerseits und die verwaltungsbehördliche Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Verhaltenspflichten andererseits stehen grundsätzlich unabhängig nebeneinander. Die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche hängt nicht davon ab, ob Verwaltungsbehörden öffentlich-rechtliche Verhaltenspflichten durchsetzen. Die Beklagte kann sich daher gegenüber dem Kläger nicht darauf berufen, die zuständige Verwaltungsbehörde sei gegen den von ihr begangenen Gesetzesverstoß nicht vorgegangen, sondern habe ihn geduldet (vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2021, I ZR 194/20, ZfWG 2021, 471 Rn. 53).
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Schließlich hat auch der von den Bundesländern gefasste Umlaufbeschluss vom 08.09.2020 keine Auswirkungen auf das in § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 angeordnete Totalverbot und dessen Gültigkeit. Zum einen betrifft der Umlaufbeschluss nur Sportwetten. Zum anderen stellt der vorbezeichnete Beschluss auch für den Bereich der Sportwetten keine die Konzession ersetzende Legalisierung in Form eines Verwaltungsakts dar (BGH, Urteil vom 22.07.2021, I ZR 194/20, ZfWG 2021, 471 Rn. 54).
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bb) Soweit die Berufungsbegründung meint, das Totalverbot sei mit höherrangigem Recht unvereinbar, kann dem nicht gefolgt werden.
26
(1) § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ist entgegen der Auffassung der Beklagte mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar. Anders, als die Beklagte meint, war die mit dem Verbot gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 verbundene Einschränkung der durch Art. 56 AEUV gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit von Glücksspielanbietern gerechtfertigt, weil sie auch im unionsrechtlichen Sinne verhältnismäßig und insbesondere geeignet war, zur Erreichung der mit ihr verfolgten Gemeinwohlzwecke in systematischer und kohärenter Weise beizutragen (BVerwG, Urteil vom 26.10.2017, 8 C 18/16, NVwZ 2018, 895 Rn. 28 ff.). Zwar ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich der Glücksspiele nicht nur auf die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres Erlasses ankommt, sondern auch auf die nach ihrem Erlass zu bewertenden Auswirkungen (vgl. EuGH, Urteil vom 30.06.2016, C-464/15, NVwZ-RR 2016, 624 Rn. 34). Das ändert aber nichts daran, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) jedem einzelnen Mitgliedstaat – dem insoweit ein Wertungsspielraum zuzuerkennen ist – vorbehalten bleibt, allein darüber zu bestimmen, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten will und wie dieses Niveau erreicht werden soll (vgl. EuGH, Urteil vom 04.05.2017, C-339/15, GRUR 2017, 627 Rn. 71 m. w. N). In Ansehung dessen lässt sich aus der Neufassung des GlüStV, der am 01.07.2021 in Kraft getreten ist, lediglich ableiten, dass der nationale Gesetzgeber seinen Wertungsspielraum in Einklang mit dem europarechtlichen Kohärenzgebot neu ausgeübt hat. Daraus kann aber gerade nicht der von der Berufung gewünschte Umkehrschluss gezogen werden, die Vorgängerregelung wäre rechtswidrig gewesen.
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(2) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschrift bestehen ebenfalls nicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.09.2013, 1 BvR 3196/11, ZfWG 2014, 24 Rn. 23 ff.).
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cc) Bereits der einseitige Verstoß der Beklagten gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 führt zur Nichtigkeit der zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Glücksspielverträge nach § 134 BGB.
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(1) Die Frage, ob der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, ist, wenn – wie bei § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 – eine ausdrückliche Rechtsfolgenregelung fehlt, nach dem Zweck des Verbotsgesetzes zu beantworten. Dabei hat der Verstoß gegen ein Verbotsgesetz in der Regel die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nur dann zur Folge, wenn sich das Verbot gegen beide Seiten richtet. In besonderen Fällen kann sich die Nichtigkeit allerdings auch aus einem einseitigen Verstoß ergeben, falls nämlich der Zweck des Verbotsgesetzes anders nicht zu erreichen ist und die rechtsgeschäftlich getroffene Regelung nicht hingenommen werden darf. Eine solche Ausnahme liegt etwa vor, wenn der angestrebte Schutz des Vertragspartners die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts erfordert (BGH, Beschluss vom 13.09.2022, XI ZR 515/21, BKR 2022, 811 Rn. 11 m.w.N.). Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung unbestritten, dass der Schutzzweck des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 die Nichtigkeit des Glückspielvertrags erfordert.
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Auf die Neuregelung des Glücksspielrechts durch den Glücksspielstaatsvertrag 2021 kommt es hierbei nicht an, da sich die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts nach den Regelungen zum Zeitpunkt seiner Vornahme richtet (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2012, I ZR 136/10, MDR 2012, 1240 Rn. 22). Ein nichtiges Geschäft bleibt auch bei Außerkrafttreten des Verbots grundsätzlich nichtig (BGH, Urteil vom 27.06.2007, VIII ZR 150/06, WuM 2007, 440 Rn. 10).
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(2) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13.09.2022. Diese Entscheidung ist nicht auf den Streitfall übertragbar. Vorliegend handelt es sich nicht um eine Klage gegen einen Zahlungsdienstleister, sondern um eine gegen den Anbieter eines Online-Glücksspiels. Entscheidend ist daher nicht die Frage, ob ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. GlüStV 2012 zu einer Nichtigkeit des zivilrechtlichen Schuldverhältnisses zwischen Zahlungsdienstleister und Zahlungsdienstnutzer führt, sondern ob ein Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 zur Nichtigkeit des Glücksspielvertrages zwischen Anbieter und Spieler gemäß § 134 BGB führt. Insoweit hatte der Bundesgerichtshof bereits einen anderen Sachverhalt zu beurteilen (OLG Braunschweig, Urteil vom 23.02.2023, 9 U 3/22, juris Rn. 96).
32
Aber auch inhaltlich ist die Entscheidung nicht übertragbar (im Ergebnis ebenso Koch/Göbel, EWiR 2023, 33, 34). Anders als die Beklagte meint, betont der Bundesgerichtshof bei seinen Erwägungen zum Schutzzweck des Glücksspielstaatsvertrags, dass die Interessen des Spielers es „in diesem Zusammenhang“ nicht gebieten, ihn durch die Nichtigkeit der von ihm bewirkten Autorisierung vor den wirtschaftlichen Folgen des Glücksspiels zu schützen (Rn. 16). Zur Begründung nimmt der Bundesgerichtshof „die geschilderten Zusammenhänge“ in Bezug, womit er die spezifische Rolle eines Zahlungsdienstleisters bei der Abwicklung von Online-Glücksspielen und die Eingriffsbefugnisse der Glücksspielbehörde gegenüber diesen meint (vgl. Rn. 13 ff.). Dies lässt nur den Schluss zu, dass der Bundesgerichtshof insoweit keine allgemeingültige Aussage treffen wollte, sondern allein das Verhältnis zwischen Spieler und Zahlungsdienstleister in den Blick genommen hat. Auch die „historisch-systematische Auslegung“ ist nicht ohne Weiteres auf den Streitfall übertragbar, weil der Bundesgerichtshof seiner Abwägung zugrunde legt, dass die Eingriffsbefugnisse der Aufsichtsbehörden gegenüber den Zahlungsdienstleistern „erweitert“ wurden, was auf die Anbieter von Online-Glücksspielen nicht zutrifft.
33
Ferner erwähnt der Bundesgerichtshof ausdrücklich die Nichtigkeit des Spielervertrags nach § 134 BGB i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 GlüStV 2012 (Rn. 20), führt in diesem Zusammenhang jedoch aus, dass die Annahme in dem zu entscheidenden Fall nicht gerechtfertigt sei, die dortige Klägerin müsse sich diese Einwendung aus dem Valutaverhältnis im Deckungsverhältnis entgegen halten lassen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2023, 19 U 7/23, juris Rn. 70).
34
(3) Zudem zieht auch ein nur einseitiger Verstoß der Beklagten aufgrund des Schutzzwecks des Glücksspielrechts nach der ständigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, der sich der Senat anschließt, die Nichtigkeit nach sich (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 23.02.2013, 9 U 3/22, juris Rn. 64 ff. und 86 ff.; OLG Dresden, Urteil vom 31.05.2023, 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231, Rn. 24, 36; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2023, 19 U 7/23, juris Rn. 69; vgl. auch BGH, Urteil vom 12.07.1962, VII ZR 28/61, WM 1962, 960 Rn. 12 ff.).
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Die im Zeitraum vom 01.07.2018 bis 12.05.2021 zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Verträge sind nach alledem nach § 134 BGB nichtig.
36
c) Der Anspruch ist nicht gemäß § 814 BGB oder § 817 Satz 2 BGB ausgeschlossen. Die insoweit beweisbelastete Beklagte hat weder nachgewiesen, dass der Kläger bei der Leistung gewusst hat, zu dieser nicht verpflichtet zu sein (§ 814 BGB), noch dass dem Kläger ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Last fällt (§ 817 Satz 2 BGB) oder er sich jedenfalls dieser Erkenntnis leichtfertig verschlossen hat.
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Der Kläger hat sowohl in seiner Anhörung vor dem Landgericht als auch in der Parteivernehmung vor dem Senat nachvollziehbar dargelegt, dass er im relevanten Zeitraum keine Kenntnis von einer möglichen Illegalität des Angebots der Beklagten gehabt habe. Er sei davon ausgegangen, dass das Angebot legal sei, da ihm die Seite ohne Probleme im Internet angeboten worden sei. Er habe sich problemlos anmelden können. Alles sei „ganz normal“ und „frei zugänglich“ gewesen (Bl. 181). Dass es illegal gewesen sei, habe er erst nach seiner Inhaftierung Anfang des Jahres 2021 erfahren, als er in der Justizvollzugsanstalt einen Fernsehbericht über die Neufassung des Glücksspielstaatsvertrags gesehen habe. Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus der Medienberichterstattung, welche die Beklagte als Anlage B 4 vorgelegt hat. Auf Vorhalt dieser Anlage im Rahmen seiner Parteieinvernahme hat der Kläger glaubhaft angegeben, keinen der dort genannten Medienberichte zur Kenntnis genommen zu haben. Vielmehr habe er sich zur damaligen Zeit überhaupt nicht für das Tagesgeschehen interessiert, sondern sich nur mit dem Spielen beschäftigt (Bl. I-190). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger im Rahmen seiner Parteivernehmung unwahre Angaben gemacht hat, bestehen nicht.
38
d) § 762 BGB steht dem Rückforderungsanspruch des Klägers nicht entgegen, da dieser auf unwirksame Spielverträge keine Anwendung findet (BGH, Urteil vom 10.11.2005, III ZR 72/05, NJW 2006, 45 Rn. 13; OLG Bamberg, Urteil vom 07.03.2001, 3 U 105/00, NJW-RR 2002, 1393, 1394).
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e) Die Rückforderung der vom Kläger geleisteten Beträge ist schließlich nicht treuwidrig. § 242 BGB setzt der Rechtsausübung dort eine Schranke, wo sie zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen führt. Dies ist im Streitfall fernliegend. Die Beklagte ist aufgrund des von ihr begangenen Gesetzesverstoßes schon nicht schutzwürdig.
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f) Die Beklagte kann sich gegenüber dem Kläger auch nicht auf Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) berufen, da sie der verschärften Haftung unterliegt. Die Voraussetzungen des § 819 Abs. 2 BGB sind im Streitfall gegeben, da die Beklagte durch die Annahme der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen hat. Sie hatte ihrem eigenen Vorbringen zufolge Kenntnis von dem Gesetzesverstoß, der mit dem Anbieten von Online-Glücksspiel im Internet einherging. Damit ist die vorgenannte Bestimmung einschlägig (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 27.10.2022, MDR 2023, 92 Rn. 77; OLG Koblenz, Urteil vom 15.12.2022, 1 U 1281/22, BeckRS 2022, 40470 Rn. 24; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2023, 19 U 7/23, juris Rn. 92).
41
Der Vortrag der Beklagten sie müsse eine Mindestausschüttungsquote von 85% der Einsätze gegenüber allen Spielern gewährleisten oder die Einsätze auf ein Treuhandkonto einbezahlen, ist vor diesem Hintergrund nicht erheblich.
42
g) Selbst wenn kein klägerischer Anspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB i.V.m. § 134 BGB, § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 gegeben wäre, wäre die Berufung insoweit unbegründet, da dem Kläger jedenfalls ein Anspruch in gleicher Höhe aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 284 Abs. 1 StGB zusteht (siehe sogleich III.)
43
h) Der Kläger kann von der Beklagten Prozesszinsen ab dem Tag nach der Zustellung der Klage verlangen (§ 291 ZPO).
III.
44
Der Antrag der Beklagten vom 30.01.2024 „den Rechtsstreit bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsverfahrens des Europäischen Gerichtshofs, Az. C-440/23 gemäß § 148 ZPO analog auszusetzen“ ist abzulehnen.
45
1. Der Bundesgerichtshof hat bereits wiederholt entschieden, dass das vorgenannte Vorabentscheidungsverfahren keinen Anlass bietet, Verfahren, in denen die angebliche Unionsrechtswidrigkeit von § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 inmitten steht, auszusetzen (BGH, Beschluss vom 08.11.2023, I ZR 148/22, ZfWG 2024, 66 Rn. 19; Beschluss vom 08.11.2023, I ZR 79/22, juris Rn. 20). Der von der Beklagten zur Akte gereichte Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.01.2024 (Aktenzeichen I ZR 53/23, Anlage BK 5) gebietet keine abweichende Beurteilung, da er nicht mit Gründen versehen ist, sodass der Senat etwaige von der vorgenannten Rechtsprechung abweichende Argumente nicht nachvollziehen kann.
46
2. Die Aussetzung der Verhandlung nach § 148 Abs. 1 ZPO (analog) setzt darüber hinaus Vorgreiflichkeit der in dem anderen Rechtstreit zu treffenden Entscheidung im Sinne einer (zumindest teilweise) präjudiziellen Bedeutung voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 13.09.2012, III ZB 3/12, WM 2012, 2024 Rn. 10; Beschluss vom 27.06.2019, IX ZB 5/19, NJW-RR 2019, 1212 Rn. 7; Beschluss vom 24.07.2023, VIa ZB 10/21, NJW-RR 2024, 117 Rn. 11; Beschluss vom 08.08.2023, VIa ZB 11/21, NJW 2023, 3430 Rn. 11). Daran fehlt es im Streitfall, da dem Kläger – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat (LGU, Seite 14 ff.) – ein dem Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB inhaltsgleicher Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 284 Abs. 1 StGB gegen die Beklagte zusteht, der nicht von den Voraussetzungen des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 abhängt.
47
a) Auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ist auch deutsches Deliktsrecht anwendbar. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. Der Schaden ist vorliegend bei dem in Deutschland wohnhaften und aufhältigen Kläger eingetreten. Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, da auch aufgrund des zugrunde liegenden Vertrages eine enge Verbindung zu Deutschland besteht.
48
b) Die Beklagte hat mit ihrem – unter anderem an den Kläger gerichteten – Angebot gegen § 284 Abs. 1 StGB verstoßen.
49
aa) Die Beklagte hat den objektiven Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB verwirklicht, denn sie hat ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet (vgl. BGH, Urteil vom 27.02.2020, 3 StR 327/19, NJW 2020, 2282 Rn. 8).
50
(1) § 284 Abs. 1 StGB ist verwaltungsakzessorisch ausgestaltet, indem die Tatbestandserfüllung an das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis knüpft. Dabei handelt es sich um eine auf einen konkreten Verwaltungsakt, nicht um eine auf das Verwaltungsrecht als solches bezogene Akzessorietät. Dies bedeutet, dass das negative Tatbestandsmerkmal der fehlenden Erlaubnis in § 284 Abs. 1 StGB nur entfällt, wenn die Genehmigung mit einem formal wirksamen Verwaltungsakt erteilt wurde. Nur auf diese formale Wirksamkeit, nicht auf die materielle Richtigkeit dieses tatbestandsausschließenden Verwaltungsaktes kommt es an (BGH, Urteil vom 27.02.2020, 3 StR 327/19, NJW 2020, 2282 Rn. 14; vgl. auch BGH, Beschluss vom 08.11.2023, I ZR 148/22, ZfWG 2024, 66 Rn. 6 und 15).
51
(2) Selbst wenn zugunsten der Beklagten angenommen wird, § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 sei unionsrechtswidrig, wäre die Beklagten nicht davon befreit gewesen, sich um die dann nach § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 erforderliche Erlaubnis für die von ihnen angebotenen Glücksspiele zu bemühen. Auch ein inkohärentes und damit unionsrechtswidriges Totalverbot führt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dazu, dass Online-Glücksspiele gänzlich ohne Erlaubnis angeboten werden dürften. Der umfassende, für alle Formen des Glücksspiels geltende Erlaubnisvorbehalt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 bleibt bei einer (unterstellten) Unionsrechtswidrigkeit des Totalverbots bestehen. Das Unionsrecht fordert selbst bei (unterstellter) Unionsrechtswidrigkeit des Totalverbots weder eine Duldung noch eine voraussetzungslose Genehmigung der Veranstaltung und Vermittlung solcher Glücksspiele, sondern lediglich die Prüfung sowie Bescheidung hierauf gerichteter Erlaubnisanträge unter Beachtung der Grundsätze der Rechtssicherheit und Transparenz anhand objektiver, nichtdiskriminierender und im Voraus bekannter Maßstäbe (BGH, Beschluss vom 26.01.2023, I ZR 79/22, ZfWG 2023, 262 Rn. 22 ff.; Beschluss vom 26.01.2023, I ZR 148/22, juris Rn. 9 ff.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 08.11.2023, I ZR 148/22, ZfWG 2024, 66 Rn. 4).
52
Die Beklagte hat jedoch unstreitig zu keinem Zeitpunkt eine Glücksspielerlaubnis nach deutschem Recht innegehabt oder auch nur beantragt.
53
(3) Die Beklagte war auch nicht deshalb davon befreit, ein Erlaubnisverfahren anzustrengen, weil das von ihr angebotene Glücksspiel gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 nicht erlaubnisfähig war. Die zuständige Behörde wäre im Rahmen eines solchen Erlaubnisverfahrens zur Einhaltung des Unionsrechts verpflichtet, was bei einer unterstellten Unionsrechtswidrigkeit des Totalverbots bedeutete, dass eine Erlaubnis nicht aus diesem Grund abgelehnt werden dürfte. Gegen eine (unionsrechtswidrige) Versagung der Erlaubnis durch die Behörde stünde den Beklagten der Verwaltungsrechtsweg offen (BGH, Beschluss vom 26.01.2023, I ZR 79/22, ZfWG 2023, 262 Rn. 25; Beschluss vom 26.01.2023, I ZR 148/22, juris Rn. 12).
54
Das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis erfüllt den Tatbestand des § 284 Abs. 1 StGB ungeachtet einer möglichen materiellrechtlichen Genehmigungsfähigkeit. Das Vorliegen eines Sachverhalts, bei dem die Erlaubnis erteilt werden könnte oder gar müsste, begründet keinen Tatbestandsausschluss, da sonst Sinn und Zweck des Erlaubnisvorbehalts leerliefen (BGH, Urteil vom 27.02.2020, 3 StR 327/19, NJW 2020, 2282 Rn. 15). Die Strafbarkeit knüpft nicht an die materielle Richtigkeit der Versagung einer Genehmigung, sondern an das Fehlen der in einem behördlichen Verfahren zu erteilenden Erlaubnis als solcher an. Ungeachtet der materiellen Verwaltungsrechtslage ist das Tatbestandsmerkmal „ohne Erlaubnis“ immer erfüllt, wenn der Handelnde über eine solche nicht verfügt, sei es, weil er diese – wie hier – nicht beantragt hat, sei es, dass sie ihm, möglicherweise rechtswidrig, nicht erteilt worden ist. Die Genehmigungsfähigkeit des Verhaltens spielt keine Rolle (BGH, a.a.O. Rn. 17).
55
(4) Der Umstand, dass die Beklagte nach ihrem Vortrag im Besitz einer m. Glücksspiellizenz war, führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann es angesichts des weiten Wertungsspielraums der Mitgliedstaaten hinsichtlich der von ihnen angestrebten Ziele und des von ihnen gewünschten Verbraucherschutzniveaus sowie in Ermangelung jeglicher Harmonisierung auf dem Gebiet der Glücksspiele beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts keine Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der von den verschiedenen Mitgliedstaaten erteilten Erlaubnisse geben. Demzufolge bleibt jeder Mitgliedstaat berechtigt, die Möglichkeit, den Verbrauchern in seinem Hoheitsgebiet Glücksspiele anzubieten, für alle daran interessierten Veranstalter vom Besitz einer von seinen zuständigen Behörden erteilten Erlaubnis abhängig zu machen, ohne dass der Umstand, dass ein bestimmter Veranstalter bereits über eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Erlaubnis verfügt, dem entgegenstehen kann. Da eine allgemeine gegenseitige Pflicht der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zur Anerkennung von Erlaubnissen, die in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten erteilt wurden, nicht besteht, bleibt den einzelnen Mitgliedstaaten in jedem Fall die Möglichkeit einer Einzelfallprüfung überlassen (BGH, Beschluss vom 26.01.2023, I ZR 79/22, ZfWG 2023, 262 Rn. 26; Beschluss vom 26.01.2023, I ZR 148/22, juris Rn. 13).
56
bb) Die Tat ist auch im Sinne des § 3 StGB im Inland begangen. Deutsches Recht kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Veranstalter des Glücksspiels im Ausland handelt, aber die Beteiligung im Inland über das Internet erfolgen kann. Nach überwiegender Auffassung ist als Taterfolg die Eröffnung der Beteiligungsmöglichkeit anzusehen, sodass nach § 9 Abs. 1 StGB auch ausländische Spieleveranstalter nach § 284 StGB strafbar sind, wenn die Beteiligung im Inland möglich ist (OLG Köln, Urteil vom 31.10.2022, MDR 2023, 423 Rn. 77, OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2023, 19 U 7/23, juris Rn. 100).
57
cc) Die Beklagte hat durch ihre Organe (§ 31 BGB) auch zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt. Sie wusste, dass sie öffentlich Glücksspiel veranstaltete, ohne über eine Erlaubnis der deutschen Behörden zu verfügen.
58
Sollte die Beklagte der unzutreffenden Annahme gewesen sein, ihre m. Lizenz sei insoweit ausreichend, handelt es sich um einen vermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 StGB, der den Vorsatz des Täters nicht entfallen lässt, weil der EuGH bereits 2010 entschieden hatte, dass keine Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung der von den verschiedenen Mitgliedsstaaten erteilten Erlaubnisse besteht (OLG Köln, Urteil vom 31.10.2022, I-19 U 51/22, MDR 2023, 423 Rn. 77, OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2023, 19 U 7/23, juris Rn. 101). Die gleiche Beurteilung gilt dann, wenn sich die Beklagte von der verfehlten Einschätzung hätte leiten lassen, die Bestimmung des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 wäre mit Unionsrecht unvereinbar. Bereits im Jahr 2009 hatte der EuGH entscheiden, dass Internetverbote für Glücksspiele ausländischer Anbieter grundsätzlich europarechtskonform sind (EuGH, Urteil vom 08.09.2009, C-42/07, NJW 2009, 3221), weshalb sich eine etwaige diesbezügliche Fehlvorstellung der Beklagten ebenfalls hätte vermeiden lassen. In beiden Fällen knüpft eine zu erwägende Fehlvorstellung allein daran an, eine Erlaubnis der deutschen Behörden sei nicht erforderlich, während ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum gemäß § 16 StGB nur dann vorläge, wenn die Beklagte der irrigen Annahme gewesen wäre, ihr sei von den deutschen Behörden eine Erlaubnis erteilt worden.
59
c) § 284 Abs. 1 StGB ist ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Sinn und Zweck des § 284 StGB ist, die wirtschaftliche Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft des Publikums unter staatliche Kontrolle zu nehmen, wobei dahin gestellt bleiben kann, ob dies das einzige Ziel der Vorschrift ist. Die Spielleidenschaft wird dadurch wirtschaftlich ausgebeutet, dass der Spieler bewusst einen Vermögenswert für die Beteiligung an der Gewinnaussicht opfert. Der Schutzzweck des § 284 StGB ist daher primär in der Absicherung eines ordnungsgemäßen Spielbetriebs und damit im Schutz des Einzelnen vor der Gefahr von Manipulationen beim Glücksspiel zum Schaden seines Vermögens zu sehen (OLG Köln, Urteil vom 31.10.2022, I-19 U 51/22, MDR 2023, 423 Rn. 77, OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.12.2023, 19 U 7/23, juris Rn. 97).
60
Auf die Frage, ob – wie das Landgericht meint, auch § 4 GlüStV 2012 ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist, kommt es daher im Ergebnis nicht an.
61
d) Ursächlich bedingt durch das strafbare Verhalten der Beklagten ist dem Kläger ein Schaden in Höhe der Klageforderung entstanden. Insofern kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, der Kläger habe durch die Hingabe des Geldes eine Gewinnchance erworben, denn der Verstoß gegen § 284 Abs. 1 StGB führt zur Nichtigkeit des Glücksspielvertrags (Staudinger/Fischinger/Hengstberger, 2021, § 134 BGB Rn 455; Erman/Arnold, BGB, 17. Aufl. 2023, § 134 Rn. 68) und aufgrund der Nichtigkeit des Spielvertrags hätte der Kläger im Fall eines Gewinns keinen einklagbaren Anspruch erworben (vgl. OLG Köln, Urteil vom 31.10.2022, I-19 U 51/22, MDR 2023, 423 Rn. 77).
62
e) Der Kläger muss sich auch kein Mitverschulden nach § 254 BGB zurechnen lassen. Insbesondere kann nicht angenommen werden, dass sich der Kläger seinerseits nach § 285 StGB wegen Beteiligung an unerlaubtem Glücksspiel strafbar gemacht haben könnte. Denn gerade aufgrund des vermeintlich seriösen Auftretens der Beklagten im Internet, des Registrierungsvorgangs und der problemlosen Abwicklung der Zahlungen über die Bank erscheint es ohne Einschränkung glaubhaft, dass der Kläger gemäß seinen Angaben davon ausgegangen ist, das Angebot der Beklagten sei legal. Dass er billigend in Kauf genommen hat, dass es sich um ein unerlaubtes Glücksspiel handelte, hat sich nicht zur Überzeugung des Senats feststellen lassen.
63
3. Dieser Auffassung des Senats steht der Aussetzungsbeschluss des Bundesgerichtshofs vom 10.01.2024 (Aktenzeichen I ZR 53/23) nicht entgegen. Der vorgenannte Beschluss ist in einem Revisionsverfahren ergangen, das ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm zum Gegenstand hat (OLG Hamm, Urteil vom 21.03.2023, I-21 U 116/21, ZfWG 2023, 437). Das Oberlandesgericht Hamm hat sein Urteil allerdings ausschließlich auf einen Anspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB gestützt und weder Fragen im Zusammenhang mit einem deliktischen Anspruch erörtert noch diesbezügliche Feststellungen getroffen. Ein möglicher Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 284 Abs. 1 StGB ist damit offenkundig nicht Gegenstand dieses Revisionsverfahrens. Damit ist dem Bundesgerichtshof zugleich verwehrt, die Frage der Vorgreiflichkeit im gleichen Sinne zu beurteilen wie der Senat im Streitfall.
IV.
64
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
65
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
66
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 22.07.2021, I ZR 199/20, juris). Bei § 4 GlüStV 2012 handelt es sich infolge der Neuregulierung durch den zum 01.07.2021 in Kraft getretenen Staatsvertrag um auslaufendes Recht, sodass es an der Klärungsbedürftigkeit fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 24.05.2022, XI ZR 390/21, ZfWG 2022, 352 Rn. 8). Die Anwendung des § 134 BGB auf einen (einseitigen) Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 entspricht zudem der einhelligen Rechtsprechung aller Oberlandesgerichte. Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt in seinem Hinweisbeschluss vom 19.01.2023 (Aktenzeichen 8 U 102/22, juris) eine abweichende Auffassung vertreten hat, begründet das schon deshalb keine Divergenz, weil es an einer Endentscheidung fehlt. Die Entscheidung beschränkt sich auf einen Hinweis. Die Berufung ist im dortigen Verfahren zurückgenommen worden. Die Revision ist auch nicht deswegen zuzulassen, weil eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union geboten ist. Eine Vorlage an den EuGH ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht veranlasst, da die Folgen einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit von Regelungen im Bereich des Glücksspiels und die Anforderungen an ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung für das Angebot von Glücksspielen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union hinreichend geklärt sind (BGH, Beschluss vom 22.07.2021, I ZR 199/20, juris; Beschluss vom 08.11.2023, I ZR 148/22, ZfWG 2024, 66 Rn. 18; Beschluss vom 08.11.2023, I ZR 79/22, juris Rn. 19).