Titel:
keine Erteilung einer (Chancen-) Aufenthaltserlaubnis
Normenketten:
AufenthG § 104c
AsylG § 34a Abs. 2, § 67 Abs. 1 S. 1 Nr. 5
Leitsatz:
Mit der Vollziehbarkeit der im Dublin-Bescheid enthaltenen Abschiebungsanordnung erlischt die Aufenthaltsgestattung; scheitert eine Abschiebung, weil die Ausländerbehörde daran objektiv oder subjektiv aus vom Ausländer nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft oder auf nicht absehbare Zeit gehindert ist, hat der Ausländer ab Eintritt dieses Abschiebungshindernisses Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG mit der Folge, dass sein Aufenthalt im Zwischenzeitraum zwar nicht gestattet, aber geduldet bzw zu dulden, mithin nicht unterbrochen im Sinne von § 104c Abs. 1 S. 1 AufenthG ist. (Rn. 38 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vollziehbar ausreisepflichtiger gambischer Staatsangehöriger, fünfjähriger ununterbrochener Aufenthalt als Voraussetzung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem Chancenaufenthaltsrecht, Gambia, Chancen-Aufenthaltsrecht, Ausreisepflicht vollziehbar, Nichterfüllung der Passpflicht, Duldung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 5225
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG.
2
Der am ... 1998 geborene Kläger ist nach seinen eigenen Angaben gambischer Staatsangehöriger, vom Volk der Fulla und islamischer Religionszugehörigkeit. Seinen Angaben zufolge reiste er am 2. Oktober 2017 auf dem Landweg (Zug) in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier einen ersten Asylantrag.
3
Mit Bescheid vom 29. Dezember 2017 wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt, da der Kläger zuvor in Italien Asyl beantragt hatte und Italien dem Übernahmeersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) nicht widersprach (Behördenakte Bl. 47), so dass Italien für den Asylantrag zuständig blieb. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurden nicht festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet.
4
Gegen den Bescheid des Bundesamtes erhob der Kläger am 12. Januar 2018 vor dem Verwaltungsgericht Augsburg Klage (Au 8 K 18.50069) und beantragte gleichzeitig die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO (Au 8 S 18.50070; Behördenakte Bl. 75 f.). Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 26. Januar 2018 abgelehnt (Behördenakte Bl. 78 ff.). Die Abschiebungsanordnung wurde zum 26. Januar 2018 vollziehbar (Behördenakte Bl. 86 f.). Mit Schreiben des Bundesamtes vom 12. Februar 2018 wurden die Überstellungsmodalitäten an den Beklagten übermittelt (Behördenakte Bl. 89 f.). Die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 29. Dezember 2017 wurde mit Gerichtsbescheid vom 23. Februar 2018 abgewiesen (Behördenakte Bl. 94 ff.); der Bescheid wurde am 20. März 2018 bestandskräftig (Behördenakte Bl. 118 f.). Die von Gesetzes wegen mit Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung zum 26. Januar 2018 erloschene Aufenthaltsgestattung wurde am 5. März 2018 mit dem Vermerk „ungültig“ versehen (Behördenakte Bl. 107 f.).
5
Eine für den 20. Juli 2018 geplante Luftabschiebung (Behördenakte Bl. 130 ff.) scheiterte, da der Kläger zum Aufgriffszeitpunkt nicht angetroffen werden konnte (Behördenakte Bl. 144 ff.).
6
Nach Übergang ins nationale Verfahren wegen Ablaufs der Überstellungsfrist am 26. Juli 2018 (in der Behördenakte teilweise falsch mit „26. August 2018“ angegeben) lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 20. November 2018 den Asylantrag vollumfänglich ab (Ziffern 1 bis 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Die Abschiebung nach Gambia wurde angedroht (Ziffer 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).
7
Am 16. Januar 2019 teilte das Bundeskriminalamt der vormals zuständigen Ausländerbehörde mit, dass der Kläger illegal in die Schweiz eingereist sei (vgl. E-Mail vom 16. Januar 2019 mit Mitteilung Einreiseverbot vom 4. Oktober 2017 bis 3. Oktober 2019; Behördenakte Bl. 208). Details zur Einreise in die Schweiz (insbesondere wann und von woher kommend) waren der Behördenakte nicht zu entnehmen. Der Auskunft des Klägers bei seiner Anhörung (Behördenakte Bl. 64 ff.) war aber zu entnehmen, dass er durch die Schweiz gereist und dort einen Asylantrag gestellt hatte, der abgelehnt worden sei.
8
Der im ... gegen den Bescheid vom 20. November 2018 angestrengten Klageverfahren (Au 1 K 18.31929) am 12. Dezember 2019 erlassene Gerichtsbescheid, mit dem die Klage abgewiesen wurde, wurde am 1. Januar 2020 rechtskräftig. Seit dem 31. Januar 2020 ist der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig.
9
Dem Kläger wurde wegen fehlender Reisedokumente erstmals am 5. Mai 2020 eine Duldung ausgestellt (Behördenakte Bl. 238 ff.). Er wurde mehrmals zur Passbeschaffung aufgefordert und über die gesetzlichen Pass- und Mitwirkungspflichten belehrt.
10
Der Kläger stellte drei Asylfolgeanträge: Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheide Bezug genommen.
11
Der erste Asylfolgeantrag des Klägers vom 4. Juni 2020 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 9. Juni 2020 als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1 des Bescheids), ebenso der Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 20. November 2018 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) (Ziffer 2). Gegen diesen Bescheid wurden keine Rechtsbehelfe erhoben.
12
Der zweite Asylfolgeantrag des Klägers vom 20. Juli 2020 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 24. Juli 2020 als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), ebenso der Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 20. November 2018 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Ziffer 2). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf sechs Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Ziffer 3). Die gegen den Bescheid vom 24. Juli 2020 erhobene Klage (Au 5 K 20.31178) wurde mit Urteil vom 11. November 2020 abgewiesen. Rechtsmittel gegen dieses Urteil hat der Kläger nicht erhoben.
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Der dritte Asylfolgeantrag des Klägers vom 21. April 2021 wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 12. Oktober 2021 als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1), ebenso der Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 20. November 2018 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG (Ziffer 2). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG wurde auf 24 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Ziffer 3). Die gegen den Bescheid vom 12. Oktober 2021 erhobene Klage wurde abgewiesen (VG Augsburg, U.v. 31.7.22 – Au 2 K 21.31039).
14
Mit Schreiben vom 18. Januar 2023 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG. Am 17. Februar 2023 fand eine Vorsprache zur Klärung des Aufenthaltsstatus sowie zur Fest- und Sicherstellung der Identität und Herkunft statt (Behördenakte Bl. 453 ff.). Dabei wurde der Kläger insbesondere auf die Nichterfüllung der Passpflicht hingewiesen.
15
Der Kläger wurde mit Schreiben des Beklagten vom 23. Februar 2023 zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG angehört. Die im Bescheid des Bundesamts vom 29. Dezember 2017 erlassene Abschiebungsanordnung nach Italien sei zum 26. Januar 2018 vollziehbar geworden und seine Aufenthaltsgestattung infolgedessen erloschen. Er habe sich bis zum Ablauf der Überstellungsfrist am 26. Juli 2018 weder gestattet noch geduldet oder erlaubt im Bundesgebiet aufgehalten. Damit würde eine Unterbrechung der notwendigen fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthaltsdauer vorliegen. Die Bevollmächtigte des Klägers äußerte sich hierzu mit Schreiben vom 9. März 2023 (Behördenakte Bl. 482 f.) und wandte ein, dass bei einer Grenzübertrittsbescheinigung für einen Zeitraum von über sechs Monaten und unterbliebener Abschiebung aus Kapazitätsgründen in der Rückschau eigentlich eine Duldung zu erteilen gewesen wäre. Dies sei insbesondere zu vermuten, wenn eine Rückführung nicht erfolgt sei, ohne dass dies auf aktivem oder passivem Widerstand des Betroffenen beruhe. Gleiches würde für die erloschene Aufenthaltsgestattung gelten.
16
Mit Bescheid vom 31. März 2023 wurde dem Kläger eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität nach §§ 60a Abs. 2 Satz 1, 60b Abs. 1 AufenthG mit der weiteren Nebenbestimmung des Erlöschens mit Bekanntgabe des Abschiebungs- oder Ausreisetermins erteilt (Behördenakte Bl. 491).
17
Mit Bescheid vom 26. April 2023 wurde eine Vorsprache am 9. Mai 2023 zur Identitätsklärung und zur Ausstellung eines Dokuments, welches den Kläger zur Rückkehr in sein Heimatland berechtigt, angeordnet.
18
Mit Bescheid vom 28. April 2023 wurde der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104c AufenthG abgelehnt. Zur Begründung vertieft der Beklagte die Argumentation aus dem Anhörungsschreiben. Der Kläger sei im Zeitraum 26. Januar 2018 bis 27. Juli 2018 aufgrund der vollziehbaren Abschiebungsanordnung aus dem Bescheid des Bundesamtes nicht im Besitz einer Aufenthaltsgestattung oder Duldung gewesen. Ein Duldungsgrund habe nicht vorgelegen, die Aufenthaltsbeendigung sei betrieben worden. Damit liege eine relevante Unterbrechung des Fünf-Jahres-Voraufenthaltszeitraums vor.
19
Mit Schreiben vom 26. Mai 2023 ließ der Kläger durch die Bevollmächtigte Klage erheben und beantragen,
20
Der Bescheid des Beklagten vom 28. April 2023, AZ.: ..., wird aufgehoben.
21
Die ... wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
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Zur Begründung wurde vorgebracht, dass der Kläger mehr als ein halbes Jahr eine erloschene Aufenthaltsgestattung besessen habe. Die Klägerbevollmächtigte verwies auf ein Schreiben des Bayerischen Innenministeriums (im Folgenden: IMS) vom 22. Dezember 2022 bezüglich des Inkrafttretens des Gesetzes zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts und die Hinweise für die Ausländerbehörden (dort Seite 10, Punkt 1.2.3.). Danach müsse bei Nichtdurchführung einer Abschiebung aus Kapazitätsgründen über einen längeren Zeitraum berücksichtigt werden, dass in der Rückschau eine Duldung zu erteilen gewesen wäre. Dies sei regelmäßig anzunehmen bei einer Grenzübertrittsbescheinigung für einen über sechs Monate hinausgehenden Zeitraum. Der Kläger habe zwar keine Grenzübertrittsbescheinigung besessen, es sei aber kein Grund ersichtlich, weshalb für die erloschene Aufenthaltsgestattung etwas Anderes gelten sollte.
23
Der Beklagte beantragt mit Schreiben vom 31. Mai 2023:
24
Die Klage wird abgewiesen.
25
Zur Begründung vertieft er die Bescheidsbegründung. Der Kläger sei nach Erlöschen seiner Aufenthaltsgestattung nicht in Besitz einer Duldung gewesen und habe auch nicht über einen materiellen Duldungsanspruch verfügt. Ein Reisedokument in Form eines Laissez-Passer habe vorgelegen und die Kapazität für die Rückführung hätte bestanden. Während der laufenden Überstellungsfrist sei durch den Beklagten die Aufenthaltsbeendigung betrieben und seien entsprechende aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet worden. Die Luftabschiebung des Klägers sei für den 20. Juli 2018 terminiert und lediglich aus vom Kläger zu vertretenden Gründen nicht möglich gewesen, da dieser – entgegen seiner Verpflichtung nach § 47 Abs. 3 AsylG, sich in seiner Unterkunft aufzuhalten – dort nicht aufgegriffen werden habe können. Erst nach Ablauf der Überstellungsfrist und mit der materiellen Prüfung des Asylantrages des Klägers durch das Bundesamt sei der Aufenthalt des Klägers wieder gestattet gewesen. Durch die vormals zuständige Ausländerbehörde des Landratsamtes ... sei dem Kläger am 11. Dezember 2018 eine weitere Aufenthaltsgestattung ausgestellt worden. Die Fallgestaltung, wie im IMS vom 22. Dezember 2022 unter Ziffer 1.2.3 dargelegt, sei vorliegend gerade nicht einschlägig. Mit Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung sei die Aufenthaltsgestattung des Klägers von Gesetzes wegen erloschen. Es handele sich nicht um einen Fall des Wegfalls des einer Duldung zugrundeliegenden Abschiebungshindernisses und der anschließenden Ausstellung einer Grenzübertrittsbescheinigung. Vielmehr sei in Dublin-Fällen zum Tatbestandsmerkmal der relevanten Unterbrechung des Fünf-Jahres-Voraufenthaltszeitraumes maßgeblich, woran die Rücküberstellung des Betroffenen letztlich scheiterte. Liege der Umstand für die ausgebliebene Rücküberstellung nicht in der Verschuldenssphäre des Betroffenen, sei zu prüfen, ob nicht eigentlich eine Duldung zu erteilen und keine relevante Unterbrechung anzunehmen gewesen wäre. Andernfalls bliebe es bei der schädlichen Unterbrechung des erforderlichen qualifizierten Voraufenthaltes.
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Zudem sei der Kläger nicht durchgehend im Bundesgebiet aufhältig gewesen, wie sich aus einer Mitteilung der schweizerischen Behörden vom 16. Januar 2019 über eine illegale Einreise in die Schweiz ergebe.
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Die Bevollmächtigte des Klägers erwiderte hierauf mit Schreiben vom 14. Juli 2023, dass sich der Kläger am 20. Juli 2018 zufällig gerade nicht in der Unterkunft aufgehalten habe, ein Aufenthalt über ein halbes Jahr ohne Unterbrechung könne nicht erwartet werden. Der Kläger habe sich seiner Abschiebung nicht widersetzt. Es sei rechtswidrig, dass der Kläger für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten nur über eine erloschene Aufenthaltsgestattung verfügt habe (vgl. BVerfG, B.v. 6.3.2003 – 2 BvR 397/02). Eine Ausreise im Duldungsstatus werde von den einzelnen Bundesländern unterschiedlich beurteilt. Das Niedersächsische Ministerium hätte beispielsweise in einer Weisung vorgegeben, dass kurzzeitige Unterbrechungen des physischen Aufenthalts im Bundesgebiet von bis zu drei Monaten unschädlich seien, dies würde auch für Ausreisen im Duldungsstatus gelten. Außerdem sei es unzutreffend, dass der Kläger im Jahr 2019 in die Schweiz gereist sei. Da in der Behördenakte ein Einreiseverbot vom 4. Oktober 2017 bis zum 3. Oktober 2019 ausgesprochen werde, müsse sich der Kläger noch vor dem 4. Oktober 2017 in der Schweiz aufgehalten haben.
28
Mit Schreiben vom 31. Juli 2023 nahm der Beklagte erneut Stellung. Dem Kläger sei keine Duldung zu erteilen gewesen, da eine Unmöglichkeit der Abschiebung nicht schon bei jeder geringen zeitlichen Verzögerung infolge der notwendigen verwaltungsmäßigen Vorbereitungen anzunehmen sei; der für die Durchführung der Abschiebung notwendige Zeitraum mache diese nicht zeitweise unmöglich. Vorliegend hätten die beteiligten Behörden einen Flug zur Durchführung der Luftabschiebung organisiert, sodass es rechtmäßig gewesen sei, dem Kläger nach Erlöschen seiner Aufenthaltsgestattung keine Duldung zu erteilen.
29
Die niedersächsischen Anwendungshinweise zu einem Aufenthalt im Ausland seien nicht maßgeblich. Dies könne aber dahinstehen, da es sich nicht weiter belegen lasse, dass sich der Kläger nach der erstmaligen Einreise im September 2017 in der Schweiz aufgehalten haben soll.
30
Mit Beschluss vom 11. Oktober 2023 des Verwaltungsgerichts Augsburg wurde der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abgelehnt.
31
Mit Schreiben vom 22. Dezember 2023 verzichtete die Klägerbevollmächtigte auf mündliche Verhandlung, der Beklagte stimmte dem mit Schreiben vom 15. Januar 2024 zu.
32
Im Übrigen wird auf die Behördenakte sowie die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
33
Die Klage – über welche wegen des Verzichts der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte – erweist sich als zulässig, aber unbegründet.
34
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft als Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage, § 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO.
35
Die Klage ist aber unbegründet, da der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 28. April 2023 formell und materiell rechtmäßig und der Kläger dadurch nicht in seinen Rechten verletzt ist. Die Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG sind nicht gegeben, § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO.
36
Ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG scheidet aus, weil sich der Kläger zum 31. Oktober 2022 nicht seit fünf Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat.
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Da der Voraufenthalt nach § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG „seit fünf Jahren ununterbrochen“ sein muss, sind nicht nur tatsächliche Unterbrechungen durch zwischenzeitliche Ausreisen oder Abschiebungen, sondern auch rechtliche Unterbrechungen dieses Aufenthalts zu berücksichtigen. Eine besondere Rechtslage ergibt sich durch das Dublin-Verfahren nach Art. 20 ff. VO 604/2013/EU (im Folgenden: Dublin-VO), wenn das Bundesamt den Asylantrag des Ausländers nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG als unzulässig ablehnt und feststellt, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen und die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat nach § 34a Abs. 1 AsylG anordnet. Sobald diese Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 2 AsylG vollziehbar wird, erlischt die zunächst nach § 13 i.V.m. § 55 AsylG erteilte Aufenthaltsgestattung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG. Der Asylbewerber hält sich ab dem Zeitpunkt des Erlöschens nicht mehr gestattet im Bundesgebiet auf.
38
1. Die seit der Asylantragstellung bzw. Ausstellung eines Ankunftsnachweises (§ 63a AsylG) bestehende Aufenthaltsgestattung des Klägers (§ 55 Abs. 1 AsylG) ist mit Vollziehbarkeit der im Dublin-Bescheid des Bundesamts vom 29. Dezember 2017 enthaltenen Abschiebungsanordnung nach Italien (§ 34a Abs. 1 Satz 1 Var. 2, § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) erloschen (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 AsylG). Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung nach Italien trat aufgrund des ablehnenden Eilbeschlusses (VG Augsburg, B.v. 26.1.2018 – Au 8 S 18.50070) am 26. Januar 2018 ein (vgl. § 34a Abs. 1, Abs. 2 AsylG).
39
a) Der zunächst gestattete Aufenthalt bleibt unterbrochen, wenn der Dublin-Bescheid des Bundesamts zwar mit einer Klage angefochten, aber der Antrag nach § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO vom Verwaltungsgericht abgelehnt worden und die Rücküberstellung des Asylbewerbers gescheitert ist.
40
Für die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung ist unerheblich, aus welchen Gründen die Abschiebung gescheitert ist, ob aus objektiven (z.B. Flugverbindung storniert) oder aus subjektiven Gründen (z.B. Untertauchen, Widerstandsleistung). Erst nach Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-VO entsteht der Anspruch auf Erteilung einer Duldung bzw. einer Aufenthaltsgestattung nach § 13 i.V.m. § 55 AsylG ab Übergang in das nationale Asylverfahren.
41
Die Gründe für das Scheitern der Abschiebung spielen aber mit Blick auf § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG für den Zwischenzeitraum eine Rolle: Wurde die Abschiebung nicht durchgeführt, weil die Ausländerbehörde daran objektiv oder subjektiv aus vom Ausländer nicht zu vertretenden Gründen dauerhaft oder auf nicht absehbare Zeit (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2023 – 19 CS 22.2611 – juris Rn. 24) – d.h. im Dublin-Verfahren jedenfalls nicht vor Ablauf der von nach Art. 29 Abs. 2 Dublin-VO vorgesehenen Überstellungsfrist – gehindert war, hatte der Ausländer ab Eintritt dieses Abschiebungshindernisses aber einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG. War z.B. der Ausländer nachweislich im Sinne von § 60a Abs. 2d AufenthG im gesamten Zwischenzeitraum reiseunfähig, stand seiner Abschiebung ein von der Ausländerbehörde nicht ausräumbares Abschiebungshindernis entgegen. Der Ausländer hatte solange einen materiellen Duldungsanspruch, der auch ohne Erteilung einer formellen Duldungsbescheinigung nach § 60a Abs. 4 AufenthG einer Duldung gleichzustellen ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 19 CE 23.183 – juris Rn. 34). Dann war der Aufenthalt im Zwischenzeitraum zwar nicht gestattet, aber geduldet bzw. zu dulden, mithin nicht unterbrochen im Sinne von § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG.
42
Eine Unterbrechung mangels Duldungsanspruchs hingegen bestand, wenn die Abschiebung aus subjektiven und vom Ausländer zu vertretenden Gründen gescheitert ist (z.B. Untertauchen, Widerstandsleistung). Dann war die Ausländerbehörde zwar vorübergehend an der Durchführung der Abschiebung gehindert, aber nicht aus gegenüber dem Ausländer schützenswerten Gründen, so dass er keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung hatte. Somit bleibt die Unterbrechung des gestatteten Aufenthalts für § 104c Abs. 1 Satz 1 AufenthG beachtlich, da auch keine Duldung zu erteilen gewesen wäre.
43
b) Seit dem Erlöschen der Aufenthaltsgestattung zum 26. Januar 2018 bis zum Ablauf der Überstellungsfrist am 26. Juli 2018 war der Kläger für sechs Monate nicht im Besitz einer Aufenthaltsgestattung. Auch lag eine für den § 104c Abs. 1 AufenthG rechtserhebliche Unterbrechung vor, Anhaltspunkte für einen materiellen Duldungsanspruch sind nicht ersichtlich. Die beabsichtigte Abschiebung scheiterte daran, dass der Kläger zum Aufgriffszeitpunkt nicht in der Aufnahmeeinrichtung, in der er zur Wohnsitznahme verpflichtet war, angetroffen werden konnte (Behördenakte Bl. 130 ff. und 144 ff.), sodass es sich um einen subjektiven, vom Kläger zu vertretenden Grund handelt. Die Abschiebung selbst war objektiv möglich.
44
c) Ferner befand er sich innerhalb dieses Zeitraums auch nicht im Besitz einer formellen Duldung. Einen materiellen Duldungsanspruch in dieser Zeit auf Grund rechtlicher oder tatsächlicher Abschiebungshindernisse hat der Kläger, für den seit dem 15. Juni 2018 zudem ein Laissez-Passer für eine Überstellung von Deutschland nach Italien vorlag (Behördenakte Bl. 129), weder hinreichend substantiiert dargelegt, noch ist dieser anderweitig ersichtlich.
45
2. Auch kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass der Übergang ins nationale Verfahren rückwirkend die Aufenthaltsgestattung fiktiv wiederaufleben ließe. Der Kläger war ab der Ablehnung seines Eilantrags vollziehbar ausreisepflichtig. Der nachträgliche Erlass einer Entscheidung im nationalen Verfahren – ohne ausdrückliche Aufhebung des früheren Bescheids – ließ dessen Bestandskraft unberührt. Seine Vollziehbarkeit ab dem 26. Januar 2018 war die Grundlage für die vorbereitete Rückführung nach Italien und für den Entfall der Aufenthaltsgestattung.
46
Die Voraussetzungen für den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c AufenthG sind damit – wie dargestellt – nicht gegeben. Eine ausnahmsweise rückwirkende fiktive Aufenthaltsgestattung – ohne Aufhebung des ihren Wegfall auslösenden Bescheids – wäre gesetzeswidrig und würde in diesem Fall einen Zirkelschluss darstellen, der dem Zweck und der Systematik des Aufenthaltsgesetzes entgegenstehen würde. Dem Kläger würde durch die unterlassene Ausreise und die gescheiterte Abschiebung ein Vorteil entstehen, der auch eine ungewollte Vorbildwirkung zur Folge haben könnte.
47
3. Ob – wie vom Beklagten ursprünglich vorgebracht – zudem eine Unterbrechung aufgrund einer Einreise in die Schweiz vorlag, kann dahinstehen, zumal der Behördenakte keine Anhaltspunkte für einen Aufenthalt in der Schweiz nach der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am 2. Oktober 2017 entnommen werden konnten.