Titel:
Zur Haftung eines Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz beim Einbau eines Thermofensters (hier: Audi Q7)
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 287
Leitsätze:
1. Einen Differenzschaden bejahend: OLG Celle BeckRS 2023, 32827; OLG Dresden BeckRS 2023, 22299; OLG Hamburg BeckRS 2023, 26911; OLG Hamm BeckRS 2023, 25175; OLG Oldenburg BeckRS 2024, 643; OLG Schleswig BeckRS 2023, 35465; OLG Stuttgart BeckRS 2023, 35483; BeckRS 2024, 394; für Wohnmobil: OLG Naumburg BeckRS 2023, 27644. (redaktioneller Leitsatz)
2. Abweichungen zwischen Messungen der DUH im Realbetrieb und den Prüfstandswerten eines Fahrzeugs begründen keine Hinweise auf eine im Fahrzeug verbaute Umschaltlogik. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen (hier: kein konkreter Verbotsirrtum dargelegt und unter Beweis gestellt). (Rn. 50 und 54) (redaktioneller Leitsatz)
4. Liegt ein nicht unbeträchtlicher Verstoß gegen die europarechtlichen Anforderungen vor und erscheint andererseits im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses das Risiko behördlicher Nutzungsbeschränkungen angesichts der Genehmigungspraxis des KBA eher gering, kann sich die Schätzung des Differenzschadens in der Mitte des vorgegebenen Rahmens halten (10 %). (Rn. 60) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, TDI V6 mit 3.0 l Hubraum, Monoturbo, Schadensersatz, unzulässige Abschalteinrichtungen, Thermofenster, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum, hypothetische Genehmigung
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 29.07.2021 – 61 O 4715/20 Die
Fundstelle:
BeckRS 2024, 5142
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 29.07.2021, Az. 61 O 4715/20 Die, teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.275,63 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 14.01.2021 zu zahlen. Die darüber hinausgehende Berufung wird zurückgewiesen, die darüber hinausgehende Klage bleibt abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 90%, die Beklagte hat 10% zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug.
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Der vorsteuerabzugsberechtigte Kläger erwarb am 18.11.2015 bei der A. D. in S. den streitgegenständlichen, von der Beklagten hergestellten Audi Q7, FIN: …45 zu einem Preis von 51.000,00 € brutto (netto 42.756,30 €) als Gebrauchtfahrzeug. Der Kläger finanzierte einen Teil des Kaufpreises über ein Darlehen der A. Bank. Hierfür fielen Finanzierungskosten in Höhe von 2.790,25 € an. Die Bedingungen des Kreditvertrags sehen ein verbrieftes Rückgaberecht vor. Das Fahrzeug wurde am 10.06.2013 erstzugelassen. Es wies im Zeitpunkt des Kaufs durch den Kläger eine Laufleistung von 34.212 km und am 18.01.2024 eine Laufleistung in Höhe von 131.589 km auf.
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In dem streitgegenständlichen Pkw ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor TDI V6 mit 3.0 l Hubraum, Monoturbo und 180 kw Leistung verbaut. Das Fahrzeug soll der Schadstoffklasse EU 5 entsprechen. Die Abgasreinigung findet für das Fahrzeug durch eine teilweise Rückführung der Abgase in den Verbrennungsraum und durch einen Dieselpartikelfilter statt. Dabei wird der Stickoxidausstoß durch die Abgasrückführung verringert. In dem Fahrzeug ist ein Thermofenster verbaut, welches den Umfang der Abgasrückführung und damit den Stickoxidausstoß beeinflußt.
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Die Beklagte ist Inhaberin der Typengenehmigung für Fahrzeuge der entsprechenden Baureihe und erteilte für das streitgegenständliche Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung. Der Kläger hat bislang kein Schreiben zu einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) erhalten. Die Beklagte bietet ein freiwilliges Softwareupdate für das Fahrzeug an.
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Der Kläger führt in der ursprünglichen Klage aus, in dem Fahrzeug sei ein Motor des Typs EA 897 verbaut. Das Fahrzeug enthalte eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Motorsteuerung erkenne, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand für den NEFZ befinde. Die Emissionsbehandlung sei unterschiedlich, je nachdem, ob sich das Fahrzeug in einer Prüfstandsanordnung oder im Normalbetrieb befinde. Im Prüfstandsbetrieb werde die Abgasrückführung substanziell erhöht. Im Normalbetrieb würden Teile der Abgaskontrollanlage abgeschaltet, dadurch gelangten weniger Abgase erneut in den Verbrennungsraum und in der Folge würden mehr Stickoxide ausgestoßen. Das Fahrzeug habe eine Lenkwinkelerkennung. Bei einem Betrieb des Fahrzeugs ohne Lenkeinschlag werde die Schaltstrategie angepasst, um niedrigere Stickoxidwerte zu emittieren. Das Fahrzeug verfüge zusätzlich über eine Aufheizstrategie die dazu führe, dass der Oxidationskatalysator möglichst schnell nach dem Motorstart sein Arbeitstemperaturfenster erreiche. Die Aufheizstrategie sei im NEFZ sicher aktiv, im Realbetrieb hingegen überwiegend nicht. Aufgrund dieser Aufheizstrategie habe das KBA am 14.10.2019 einen amtlichen Rückruf für 3.0 l Liter EU 5 Fahrzeuge der Beklagten mit dem streitgegenständlichen Motor erlassen (Klägerschriftsatz vom 22.06.2021, dort S. 27). Außerdem erkenne die Motorsteuerung die Vorkonditionierung für den Prüfstand und schalte dann in einen Modus, in dem mehr Abgase erneut der Verbrennung zugeführt werden. In einem Verfahren vor dem Landgericht Bielefeld habe ein Sachverständiger bei Messungen an einem Audi Q5 eine Abweichung um 511% festgestellt, wenn der NEFZ-Prüfzyklus auf dem Prüfstand bei einer gegenüber den NEFZ-Prüfstandsbedingungen um 15° C herabgesetzten Temperatur durchgeführt werde. Ohne Vorkonditionierung betrage die Abweichung 611%. Auch bei Messungen der D. U. (DUH) an einem Audi A6, 3.0 TDI Euro 5 im Realbetrieb hätten sich deutlich höhere Stickoxidemissionen ergeben, als auf dem Prüfstand. Die Beklagte habe das Onboard-Diagnosesystem (OBD) manipuliert, damit dort die Abweichungen in der Abgasbehandlung nicht zu Fehlermeldungen führten. Mehrere von dem Kläger einzeln bezeichnete (ehemalige) Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten von der Abschalteinrichtungen gewusst und Schädigung der späteren Erwerber billigend in Kauf genommen.
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Zudem führt der Kläger aus, das in der Motorsteuerung des Fahrzeugs hinterlegte Thermofenster reduziere die Abgasrückführung kontinuierlich bereits bei Temperaturen unter 20° C und über 30° C. Bei 5° C Außentemperatur erfolge eine signifikante Reduktion der Abgasrückführung (Schriftsatz des Klägers vom 22.06.2021, Bl. 43 d.A., dort S. 66 f.).
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Der Kläger beantragte in erster Instanz:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 51.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.12.2020, abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 13.041,28 €, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q7 (2967 ccm / 180 kw / 245 Ps) mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 03.12.2020 mit der Rücknahme des in Klageantrag zu 1) genannten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.785,82 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.12.2020 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragte,
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Die Beklagte erwiderte, in dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei keine der „Umschaltlogik“ der Motorbaureihe EA 189 vergleichbare Abschalteinrichtung enthalten. Das Fahrzeug sei nicht wegen seines Emissionsverhaltens Gegenstand eines verbindlichen Rückrufs des KBA; im Rahmen des Nationalen Forums Diesel habe die Beklagte für das Fahrzeug ein freiwilliges Softwareupdate bereitgestellt, durch welches der Temperaturbereich des Thermofensters aufgeweitet werde. Das Thermofenster sei zum Motorschutz erforderlich. In dem Fahrzeug sei nicht der Motor EA 897, sondern ein Motor des Typs EA 896 Gen.2 verbaut. Die Lenkwinkelerkennung sei nicht unzulässig, das OBD entspreche den gesetzlichen Anforderungen. Das Fahrzeug enthalte keine zusätzlichen Steuergeräte. Auch ein SCR-Katalysator sei nicht verbaut. Der Kläger habe nach Bekanntwerden der „Diesel-Thematik“ ein großvolumiges Dieselfahrzeug erworben.
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Mit Endurteil vom 29.07.2021 wies das Landgericht Ingolstadt die Klage ab. Zur Begründung führt das Landgericht aus, bei dem unstreitig vorhandenen Thermofenster sei unklar, ob es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle, der Einbau eines Thermofensters sei aber jedenfalls nicht sittenwidrig. Der weitere Vortrag des Klägers sei zu unsubstanziiert, um eine Beweiserhebung zu rechtfertigen. Der Vortrag lasse jeden Bezug zum konkreten Fall vermissen. Mit möglichen Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV setzt sich das landgerichtliche Urteil nicht auseinander. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angegriffenen Entscheidung wird im Übrigen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
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Mit seiner am 18.08.2021 eingelegten und mit Schriftsatz vom 30.09.2021 begründeten Berufung verfolgt der Kläger zunächst sein erstinstanzliches Klageziel unverändert weiter. Der Kläger habe einen Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB und könne die begehrte Rückabwicklung als großen Schadensersatz verlangen. Das Landgericht übersteigere die Substanziierungsanforderungen. Da für die EU 5, 3 l V-TDI Motoren der Beklagten mit Biturbo ein amtlicher Rückruf bestehe, sei auch für Monoturbo-Motoren eine der „Umschaltlogik“ des Motors EA 189 vergleichbare Abschalteinrichtung „wahrscheinlich“ (Bl. 116 d.A.). Das vom LG Bielefeld eingeholte Gutachten zur Überschreitung der Grenzwerte könne auf das streitgegenständliche Fahrzeug übertragen werden. Darüber hinaus führe bereits das unstreitig vorhandene Thermofenster zur Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten, denn die konkrete Bedatung des Thermofensters sei mit einer Reduktion der Abgasrückführung bereits bei Temperaturen unter 20° C und über 30° C auf den Prüfstand zugeschnitten (Bl. 141 d.A.).
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Mit Schriftsatz vom 18.01.2024 ändert der Kläger sein bisheriges Klagebegehren und verlangt an Stelle eines auf Rückabwicklung gerichteten großen Schadensersatzes nurmehr einen Differenzschaden in Höhe von mindestens 5% und höchstens 15% des Brutto-Kaufpreises. Hierzu führt der Kläger aus, das in dem Fahrzeug hinterlegte Thermofenster sei eine unzulässige Abschalteinrichtung. Das Thermofenster sei während der gewöhnlichen Betriebsbedingungen aktiv und daher nicht nur zum Schutz vor einer (plötzlichen) Beschädigung des Motors erforderlich. Um den Motorschutz auf diese Weise zu erreichen, müsse das Thermofenster den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren. Die ausnahmsweise Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG sei aber auf Ausnahmesituationen und nicht auf einen Dauerbetrieb der infrage stehenden Abschalteinrichtung ausgerichtet.
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Der Kläger beantragt zuletzt,
die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu verurteilen, an die Klagepartei Schadensersatz in Höhe eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Betrages von mindestens 2.550.- € und höchstens 7.650.- € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
die Berufung zurückzuweisen.
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Das Landgericht habe die Klage zutreffend abgewiesen. Für das streitgegenständliche Fahrzeug bestehe kein Rückrufbescheid des KBA. Das in dem Fahrzeug vorhandenen Thermofenster gebe dem Verhalten der Beklagten kein sittenwidriges Gepräge.
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Dass der Kläger das Fahrzeug für 51.000 € erworben habe, werde mit Nichtwissen bestritten. Der Kläger lege lediglich eine verbindliche Bestellung vor (Bl. 192 d.A.).
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Dem Kläger stehe auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Das Thermofenster sei sowohl im Zeitpunkt des Ausstellens der Übereinstimmungsbescheinigung, als auch im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses regulatorisch zulässig gewesen. Die umgebungslufttemperaturabhängige Anpassung der Abgasrückführung sei erforderlich, um plötzliche und außergewöhnliche Schäden des Motors zu vermeiden und sicheren Fahrzeugbetrieb zu gewährleisten. Ursprünglich habe das Thermofenster eine Abrampung bereits bei Temperaturen oberhalb von 12° C vorgesehen. Durch das im Zuge des Nationalen Forums Diesel zur Verfügung gestellte Softwareupdate liege der Temperaturbereich der aktiven Abgasrückführung „in einem repräsentativen Betriebspunkt zwischen -4° C und ca. 44° C“. Innerhalb dieses Temperaturfensters finde „zwischen ca. 3° C und ca. 37° C in Abhängigkeit von der Umgebungslufttemperatur keine aktive Veränderung der AGR-Rate durch das Thermofenster statt“ (Berufungserwiderung vom 21.02.2024, dort S. 97 = Bl. 285 d.A.). Daher beseitige das Softwareupdate die Gefahr von Betriebsbeschränkungen vollständig. Soweit der Kläger das Update nicht habe Installieren lassen, verletze er seine Schadensminderungspflicht. Dem Kläger könne im Rahmen der Vorteilsanrechnung schadensmindernd entgegengehalten werde, von dem verfügbaren Update keinen Gebrauch gemacht zu haben (Bl. 284 d.A.).
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Der Senat hat am 13.03.2024 mündliche verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2024, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung hat bezogen auf ihren zuletzt noch anhängigen Umfang (der nur einen Bruchteil des ursprünglichen Klageziels darstellt) überwiegend Erfolg.
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I. Mit Schriftsatz vom 18.01.2024 hat der Kläger angekündigt, nunmehr mit der Berufung unter Abänderung der angegriffenen Entscheidung nur noch eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Differenzschadens nebst Rechtshängigkeitszinsen zu verfolgen. Der Kläger führt hierzu zutreffend aus, der Übergang von dem ursprünglich begehrten großen Schadensersatz zum Differenzschaden stelle keine Klageänderung dar. Weitere (ausdrückliche) Prozesserklärungen enthält der Schriftsatz vom 18.01.2024 nicht. Insbesondere hat der Kläger keine Erledigung geltend gemacht. Ein erledigendes Ereignis ist auch weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich. In der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2024 hat der Kläger den schriftsätzlich angekündigten Antrag gestellt.
21
Die Berufung des Klägers richtet sich gegen ein die Klage insgesamt abweisendes Urteil. Soweit der Kläger nunmehr das ursprünglich auf Rückabwicklung des Vertrages (großen Schadensersatz Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs) gerichteten Klageziel auf Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadens zwischen 5% und 15% des Bruttokaufpreises begrenzt, weder Finanzierungskosten noch vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten weiterverfolgt und Zinsen aus dem Verurteilungsbetrag erst ab Rechtshängigkeit begehrt, stellt dies eine – jederzeit mögliche – teilweise Zurücknahme der Berufung dar, s. zur Zurücknahme der Berufung durch Beschränkung bereits angebrachter Berufungsanträge Seiler in Thomas/Putzo § 516 Rn. 5. (44. Auflage, 2023).
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II. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch nach § 826 BGB. Ob der Kläger mit Blick auf die oben dargelegte Teilrücknahme der Berufung an seinem tatsächlichen Vortrag zu einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung überhaupt festhält, kann dahinstehen. Denn jedenfalls reicht, wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, dieser Vortrag nicht aus, um die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 826 BGB substanziiert darzulegen.
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1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr., vgl. BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15 mwN). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH NJW 2020, 1962 Rz. 15, BGH Urteil vom 19.1.2021, VI ZR 433/19, juris Rz. 14). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es maßgeblich darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH Urteil vom 25.10.2022 – VI ZR 68/20, juris Rz. 17).
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Danach liegt ein sittenwidriges Verhalten eines Fahrzeug- bzw. Motorherstellers vor, wenn dieser auf der Grundlage einer für sein Unternehmen getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung den von ihm hergestellten Motor seiner Fahrzeuge im eigenen Kosten- und Gewinninteresse mit einer unmittelbar auf die arglistige Täuschung des Typengenehmigungsbehörde abzielenden und eigens zu diesem Zweck entwickelten Steuerungssoftware ausstattet und die entsprechenden Fahrzeuge in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass diese sodann an arglose Käufer veräußert werden (BGH Urteil vom 25.10.2022, VI ZR 68/20, juris Rz. 20). Eine unmittelbar auf die arglistige Täuschung des KBA als Typengenehmigungsbehörde abzielende Steuerungssoftware ist gegeben, wenn die zu diesem Zweck entwickelte Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und die Software dadurch dem KBA wahrheitswidrig vorspiegelt, die Fahrzeuge würden die festgelegten Grenzwerte einhalten (s. BGH, Beschluss vom 19.1.2021 – VI ZR 433/19, juris Rz. 17).
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2. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Vortrag des Klägers keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Existenz einer in die streitgegenständlichen Motorsteuerung implementierten Manipulationssoftware in Form einer Umschaltlogik aufzeigt.
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a. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.
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Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrunde liegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen hat. Gemäß § 403 ZPO hat die Partei, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen will, die zu begutachtenden Punkte zu bezeichnen. Dagegen verlangt das Gesetz nicht, dass der Beweisführer sich auch dazu äußert, welche Anhaltspunkte er für die Richtigkeit der in die Sachkenntnis des Sachverständigen gestellten Behauptung habe.
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Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber auf Geratewohl gemacht, gleichsam „ins Blaue“ aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten; in der Regel wird nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte sie rechtfertigen können (BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnrn 26 – 28).
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b. Nach diesen Grundsätzen verfehlt der Vortrag der Klagepartei die Substantiierungsanforderungen zum Vorliegen einer Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug. Die von der Klagepartei angeführten Umstände für die angebliche Existenz einer solchen Software erweisen sich nicht als valide Anhaltspunkte.
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Einen das streitgegenständliche Fahrzeug betreffenden Rückruf des KBA hat der Kläger nicht substanziiert vorgetragen. Die vom Kläger angegebenen Rückrufe betreffen jeweils andere Fahrzeuge und andere Motorvarianten. Die Auffassung des Klägers, der Rückruf für V-TDI Biturbomotoren lege nahe, dass auch in V-TDI Monoturbomotoren eine Abschalteinrichtung verbaut sei, ist fernliegend. Beachtlich ist zudem die Aussage des Klägers, der in erster Instanz bei seiner informatorischen Anhörung durch das Landgericht in der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2021 angab, er habe bislang kein Schreiben von der Beklagten oder dem KBA mit einer Aufforderung, zu einem Rückruf zu kommen, erhalten. Diese Angabe deckt sich mit dem beklagtenseits vorgelegten Schreiben des KBA vom 11.09.2020, in dem das KBA für die V6-TDI EU 5 Generation 2 Motoren allgemein darlegt, dass für diese kein amtlicher Rückruf angeordnet wurde (Anlage B7).
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Die klägerseits vorgetragenen Abweichungen zwischen Messungen der DUH im Realbetrieb und den Prüfstandswerten des streitgegenständlichen Fahrzeugs ergeben ebenfalls keine Hinweise auf eine Umschaltlogik. Die Messungen der DUH betreffen andere Fahrzeuge und eine Diskrepanz zwischen NEFZ und Realbetrieb besteht schon deshalb, weil nur der Prüfzyklus vordefinierte Parameter und damit reproduzierbare Ergebnisse aufweist. Aus dem gleichen Grund sind auch die Feststellungen, die ein Sachverständiger in einem anderen Verfahren zu einem anderen Fahrzeugtyp (Q5 statt Q7) getroffen hat, von Haus aus ungeeignet, um einen Anhaltspunkt für eine Umschaltlogik in dem streitgegenständlichen Fahrzeug darzulegen. Gänzlich unbehilflich sind auch die Angaben des Klägers zu einer Aufheizstrategie, denn das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt unstreitig über keinen Oxidationskatalysator.
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Nach alledem gibt es nach dem Vortrag der Klagepartei keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte für die Implementierung einer Umschaltlogik im streitgegenständlichen Fahrzeug und war deshalb eine Beweiserhebung diesbezüglich nicht veranlasst
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3. Der Vorwurf der Klagepartei, die Beklagte habe ferner mittels eines manipulierten On-Board-Diagnosesystems getäuscht, rechtfertigt gleichfalls nicht die Annahme eines Anspruchs aus § 826 BGB. Nach dem Klägervortrag müsste ein ordnungsgemäß funktionierendes On-Board-Diagnosesystem einen nicht ordnungsgemäßen Betrieb der Abgassysteme melden. Dies entspricht Absatz 3.3.2 des Anhangs 11 der UN/ECE-Regelung Nr. 83, wonach das OBD-System die Fehlfunktion eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems anzeigen muss, wenn diese Fehlfunktion dazu führt, dass die Abgasemissionen bestimmte Schwellenwerte übersteigen. Danach ist es plausibel und deutet nicht auf eine Manipulation hin, wenn eine Fehlermeldung nicht erscheint, wenn und weil die Fahrzeugkomponenten programmgemäß – und also aus der Perspektive der Fahrzeugtechnik ordnungsgemäß und nicht fehlerhaft – arbeiten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 26.01.2022, 6 U 128/20, Tz. 65). Hinzu kommt, dass nicht ersichtlich ist, inwieweit ein manipuliertes Diagnosesystem eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen sollte, da es nicht auf das Abgasreinigungssystem einwirkt, sondern lediglich Fehlfunktionen anzeigen soll.
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4. Das im streitgegenständlichen Fahrzeug unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend ebenfalls nicht.
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Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 26 f.; BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 16). Anders als eine Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 18). Dies gilt auch dann, wenn der Temperaturbereich des Thermofensters – wie in erster Instanz vom Kläger vorgetragen und durch die Beklagte nicht substanziiert bestritten – dem Temperaturbereich des NEFZ entspricht. Denn auch dann gilt, dass das Thermofenster die Wirksamkeit des Abgasreinigungssystems innerhalb dieser Parameter sowohl im Prüfzyklus, als auch außerhalb des Prüfzyklus in gleicher Weise beeinflusst.
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Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rdnr. 19; Beschluss vom 09.03.2021 – VI ZR 889/20, Rdnr. 28). Davon ist hier nicht auszugehen. Die Rechtsfrage, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, war bei der Produktion des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Jahr 2013 umstritten. Der Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen ging noch im April 2016 von der grundsätzlichen Zulässigkeit des Thermofensters aus. Daher liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen, mithin sittenwidrig gehandelt hätte (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 30).
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Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20, Rdnr. 32, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, Rdnr. 23).
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Nach alledem scheitert ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei aus § 826 BGB.
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III. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte auch keine Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB zu. Vorliegend besteht zwischen dem von der Beklagten erstrebten Vermögensvorteil und einem Schaden des Klägers keine Stoffgleichheit. Fehlt es – wie regelmäßig beim Kauf von Gebrauchtfahrzeugen – an der Stoffgleichheit zwischen dem mit den Manipulationen erstrebten Vermögensvorteil der Fahrzeug- oder Motorenhersteller einerseits und dem Schaden des Käufers andererseits, so kommen Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB nicht in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2020 – VI ZR 5/20, Rz. 19 ff.). Hinzu kommt, dass der Kläger, wie oben dargelegt, auch einen Schädigungsvorsatz der Beklagten nicht substanziiert vorgetragen hat.
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IV. Der Kläger hat jedoch gegen die Beklagte nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV einen Anspruch auf Zahlung eines Differenzschadens in Höhe von 10 Prozent des Netto-Kaufpreises, entsprechend von 4.275,63 €.
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1. Wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des landgerichtlichen Urteils entschieden hat (Urteile des BGH vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22), steht dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Schadensersatz zu. Ausgehend hiervon haftet die Beklagte dem Kläger dem Grunde nach auf Schadensersatz.
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a. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt über eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form eines unzulässigen Thermofensters.
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aa. Nach Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007/EG ist Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur … ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind“, reduziert wird. Bei der Bestimmung, welche Bedingungen bei im Sinne dieser Vorschrift normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist auf die Verwendung des Fahrzeugs unter Fahrbedingungen abzustellen, wie sie im gesamten Unionsgebiet üblich sind (EuGH, Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, juris Rz. 40; BGH Urteil vom 26.06.2023 – Via ZR 335/21, juris Rn. 50).
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bb. Der Kläger hat in erster Instanz mit Schriftsatz vom 22.06.2021, dort Seite 66 f., vorgetragen, die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei so durch die Beklagte bedated worden, dass die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug bereits bei Temperaturen unter 20° C und über 30° C zurückgefahren werde, wobei eine signifikante Reduktion jedenfalls bei einer Temperatur von 5° C erfolge. Die Beklagte hat dies in erster Instanz nicht substanziiert bestritten. Sie führt in ihrem Schriftsatz vom 02.07.2021 diesbezüglich lediglich aus, dass ein Thermofenster nach Maßgabe des Beschlusses des BGH vom 19.01.2021 keine sittenwidrige Schädigung darstelle. Desweiteren hat die Beklagte dort angegeben, sie habe im Rahmen der im Nationalen Forum Diesel verabredeten Softwareupdates dem KBA die Bedatung und den Temperaturbereich des Thermofensters vorgestellt, das KBA habe diese geprüft und darin keine unzulässige Abschalteinrichtung gesehen (Schriftsatz vom 02.07.2021, dort S. 12 ff.). Dieser Vortrag ist nicht geeignet, den klägerseits konkret vorgetragenen Temperaturbereich des Thermofensters substanziiert zu bestreiten. Ob sich die Mitteilung der Daten gegenüber dem KBA auf die ursprüngliche Bedatung, oder auf die Bedatung nach Durchführung des Updates bezieht, bleibt hierbei ebenso offen, wie der vor und nach Update maßgebliche Temperaturbereich, in dem die Abgasreinigung (voll) wirksam ist. Auch in der Berufungsinstanz hat die Beklagte zu dem Temperaturbereich des ursprünglichen Thermofensters lediglich angegeben, das ursprüngliche Fenster habe eine Abrampung bereits bei Temperaturen oberhalb von 12° C vorgesehen. Für das ursprüngliche Thermofenster ist daher mit dem Klägervortrag von einer vollen Wirksamkeit nur in dem Temperaturbereich zwischen 20° C und 30° C auszugehen.
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cc. Bei dem streitgegenständlichen Thermofenster handelt es sich somit um eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007/EG. Denn angesichts einer vollen Wirksamkeit nur in einem Temperaturbereich zwischen 20° C und 30° C kann das Thermofenster dazu führen, dass die Abgasrückführung in Abhängigkeit (auch) von der gemessenen Umgebungstemperatur im gewöhnlichen Fahrbetrieb reduziert und dadurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert wird.
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dd. Es handelt sich bei dem hier streitgegenständlichen Thermofenster auch um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der genannten Verordnung. Die Funktion kann zu einer Verringerung der Wirkung der Abgasrückführung führen und ist damit grundsätzlich unzulässig.
47
Eine Ausnahme nach lit. a) – c) der Vorschrift greift vorliegend nicht. Ernsthaft in Betracht käme nur, dass die Funktion erforderlich wäre, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO 715/2007/EG). Diese beiden Voraussetzungen müssten kumulativ vorliegen (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, Rz. 62). Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Zulässigkeit der Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG hat die hierzu darlegungs- und beweisbelastete Beklagte indes schon nicht hinreichend vorgetragen. Insoweit ist beachtlich, dass die von der Beklagten als möglich dargelegten Motorschäden durch eine allmähliche Verrußung oder sonstige Ablagerungen auf entsprechenden Motorbauteilen nicht ausreichen, um die Zulässigkeit des Thermofensters darzulegen. Nach dem Beklagtenvortrag bleibt offen, inwieweit diese Ablagerungen ein plötzliches Ereignis darstellen und weswegen den nachteiligen Folgen entsprechender Ablagerungen nur durch ein Thermofenster und nicht etwa auch durch Wartungs- und Reinigungsintervalle begegnet werden kann.
48
Rechtlich kommt hinzu, dass der Gerichtshof der Europäischen Union mit Blick auf das Ziel der Verordnung 715/2007/EG für Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG den ungeschriebenen Ausschlussgrund einer motorschützenden Aktivierung der Abschalteinrichtung während des überwiegenden Teils eines Jahres konstatiert. Hiernach kann eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil eines Jahres aktiv sein müsste, damit der Motor vor Beschädigungen oder Unfall geschützt ist, nicht unter die Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 lit a) VO 715/2007/EG fallen (EuGH Urteil vom 14.07.2022 – C-128/20, juris Rz. 63 ff, 70 und EuGH Urteil vom 21.03.2023 – C-100/21, juris Rn. 65 f.). Eine Rechtfertigung der Abschalteinrichtung mit Gründen des Motorschutzes ist danach ausgeschlossen, wenn die Abschalteinrichtung unter Bedingungen aktiviert ist, die innerhalb eines Jahres üblicherweise während in ihrer Summe längerer Zeitintervalle herrschen, als dies nicht der Fall ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2023 – 6 U 198/20, juris Rz. 137 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.02.2024 – 6 U 45/21, juris Rz. 96). Die Voraussetzungen des Ausschlusskriteriums sind vorliegend erfüllt. Nach dem insoweit zugrundezulegenden Klagevortrag erfolgt durch das ursprüngliche Thermofenster eine Verringerung der Abgasrückführung und damit eine Verminderung der Wirkung des Emissionskontrollsystems bereits bei Temperaturen, die niedriger als 20° C sind und bei Temperaturen, die höher als 30° C sind. Betrachtet man das von der Verordnung 715/2007/EG erfasste Unionsgebiet insgesamt, dann enthält dieses Gebiet viele besiedelte Gegenden (nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland), in denen die Durchschnittstemperaturen während mehr als der Hälfte eines Jahres unter 20° C liegen. In diesen Gebieten wird nach den Parametern des Thermofensters bei gewöhnlichem Betrieb des Fahrzeugs während mehr als der Hälfte eines Jahres die Abgasrückführung und damit die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert. Damit ist das streitgegenständliche Thermofenster auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht als notwendig im Rechtssinne einzustufen, wenn es aus technischer Sicht zum Motorschutz erforderlich wäre.
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b. Die Beklagte handelte insoweit auch schuldhaft. Voraussetzung für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist ein schuldhaftes Handeln des Anspruchsgegners, wobei ein fahrlässiger Verstoß genügt (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 36, 38). Es besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung, die von der Beklagten ausgeräumt werden muss (BGH, a.a.O., Rz. 59). Insbesondere ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet sowohl für einen Verbotsirrtum als auch für dessen Unvermeidbarkeit (BGH, a.a.O. Rz. 63). Weil auch das gesetzliche Schuldverhältnis gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV erst mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehene Fahrzeug entsteht, muss der Vorwurf einer zumindest fahrlässigen Inverkehrgabe einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung für diesen Zeitpunkt widerlegt werden (vgl. BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn 59 ff.). Vorliegend ist der Beklagten eine Widerlegung der Verschuldensvermutung nicht gelungen.
50
Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum der Beklagten liegt nicht vor. Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum entlasten will, muss sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums konkret darlegen und beweisen. Nur ein auch bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unvermeidbarer Verbotsirrtum kann entlastend wirken. Ein entlastend wirkender Verbotsirrtum kann vorliegen, wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte.
51
Den Beweis kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, wenn diese die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren Einzelheiten umfasst. Zum anderen kann der Fahrzeughersteller zu seiner Entlastung darlegen und erforderlichenfalls nachweisen, seine Rechtsauffassung von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 wäre bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung zuständigen Behörde bestätigt worden (hypothetische Genehmigung). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat.
52
Eine Entlastung auf dieser Grundlage setzt allerdings voraus, dass der Fahrzeughersteller nicht nur allgemein darlegt, dass die Behörde Abschalteinrichtungen der verwendeten Art genehmigt hätte, sondern dass ihm dies auch unter Berücksichtigung der konkret verwendeten Abschalteinrichtung in allen für die Beurteilung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 maßgebenden Einzelheiten gelingt (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 Rdnrn 64 ff.).
53
Vorliegend meint die Beklagte, es sei davon auszugehen, dass das KBA eine entsprechende Anfrage der Beklagten im Zeitpunkt der Typgenehmigung dahin beantwortet hätte, dass es die Verwendung des im streitgegenständlichen Fahrzeug zum Auslieferungszeitpunkt applizierten Thermofensters aus Gründen des Motorschutzes und sicheren Betriebs des Fahrzeugs als zulässig erachtet. Für das streitgegenständliche Fahrzeug hätte demnach eine Erkundigung beim KBA eine etwaige Fehlvorstellung der Beklagten bestätigt.
54
Dies genügt den oben genannten Anforderungen, die der Bundesgerichtshof für eine Entlastung des Fahrzeugherstellers aufgestellt hat, nicht. Die Beklagte hat schon keinen konkreten Verbotsirrtum dargelegt und unter Beweis gestellt. Abgesehen davon, dass die Beklagte insoweit als Beweismittel zu dem Vorstellungsbild „der Beklagten“ nur ein „Zeugnis N.N.“ bezeichnet (Berufungserwiderung vom 21.02.2024, dort S. 67 f. = Bl. 255 f. d.A.), fehlt es bereits an einem konkreten Vortrag, welche Organwalter des Geschäftsführungsorgans der Beklagten (Vorstandsmitglieder) oder sonst im Sinne von § 31 BGB verantwortliche Personen der Beklagten welches Vorstellungsbild zu dem Thermofenster und dessen Zulässigkeit hatten. Eine etwaige Fehlvorstellung „der Beklagten“, „der (technischen) Entwicklungsabteilung“ oder sonst nicht näher benannter Verantwortlicher der Beklagten reicht insoweit nicht aus.
55
c. Dem Kläger ist durch die schuldhafte Ausstellung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung auch ein Schaden entstanden. Infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung bestand jedenfalls abstrakt ein Stilllegungsrisiko. Die nach den Vorgaben der Verordnung 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung führt bei wertender Betrachtung und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu dem Schutzzweck des Typengenehmigungsrechts dazu, dass der „wahre Wert“ des Fahrzeugs im Kaufzeitpunkt zwischen 5% und 15% hinter dem Kaufpreis zurück blieb. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass ein Käufer bei Kenntnis dieser Sachlage den streitgegenständlichen Kauf nicht zu dem gleichen Preis getätigt hätte. Für die hier maßgebliche Kausalität zwischen „wahrem Wert“ und Kauf ist es nicht erforderlich, dass gerade das Abgasverhalten des Fahrzeugs die Kaufentscheidung des Käufers beeinflusst, der Käufer das Fahrzeug also auch aus Umweltgesichtspunkten gekauft hat. Der hierzu – also zu der abstrakten Kaufmotivation des Klägers – beklagtenseits angebotenen Parteivernehmung der Gegenseite (Bl. 219 d.A.) war daher nicht nachzugehen.
56
Dem Kläger steht somit dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu.
57
2. Vorliegend besteht der Anspruch in Höhe von 4.275,63 €.
58
a. Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB ist auf den Ersatz des sogenannten Differenzschadens gerichtet (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 5/21, juris Rz. 39 ff.). Es handelt sich um das rechnerische Minus, welches sich daraus ergibt, dass der objektive Wert des erworbenen Fahrzeugs infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung und der deshalb unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung hinter dem Kaufpreis zurückbleibt (BGH a.a.O. Rz. 40). Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH a.a.O. Rz. 41).
59
Die Höhe dieses Schadens ist nach § 287 ZPO zu schätzen, und zwar im Bereich zwischen 5% und 15% des Kaufpreises (BGH, Urteil vom 26.6.2023 – VIa ZR 5/21, juris Rz. 42, 43). Dabei ist insbesondere auf das Risiko behördlicher Anordnungen in Bezug auf die Nutzbarkeit des Fahrzeugs, vor allem auf Umfang und Eintrittswahrscheinlichkeit möglicher Betriebsbeschränkungen im Zeitpunkt des Vertrages abzustellen (a.a.O. Rz. 76). Ferner ist, um dem europarechtlichen Gebot hinreichender Sanktionierung Rechnung zu tragen, auf das Gewicht des Rechtsverstoßes und den Grad des Verschuldens abzustellen (a.a.O. Rz. 77). Der Erholung eines Sachverständigengutachtens bedarf es nicht (a.a.O. Rz. 78).
60
Der Senat schätzt nach diesen Grundsätzen den Differenzschaden vorliegend auf 10% des Kaufpreises. Auszugehen ist insoweit von einem nicht unbeträchtlichen Verstoß gegen die europarechtlichen Anforderungen. Andererseits erschien im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses das Risiko behördlicher Nutzungsbeschränkungen angesichts der Genehmigungspraxis des KBA eher gering. Dem Senat erscheint es daher angemessen, sich in der Mitte des vorgegebenen Rahmens zu halten.
61
b. Bezugsgröße des Differenzschadens ist vorliegend der Nettokaufpreis. Der Kläger hat bei seiner informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht angegeben, zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein und das Fahrzeug als Firmenfahrzeug angeschafft zu haben. Die auf den Kaufpreis entrichtete Umsatzsteuer konnte vom Kläger bei der nachfolgenden Umsatzsteuervoranmeldung abgezogen werden und war für ihn daher ein Durchlaufposten.
62
c. Im Wege des Vorteilsausgleichs muss sich der Geschädigte auf seinen Schadenersatzanspruch diejenigen Vorteile anrechnen lassen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Er darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (st. Rspr; vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, Rdnr. 65). Diese Grundsätze können dazu führen, dass der Klagepartei zum Schluss der mündlichen Verhandlung – dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung der anzurechnenden Vorteile (etwa: BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 23 mwN) – ein Schaden nicht verbleibt.
63
Beim Differenzschadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeuges nur insoweit und erst dann schadensmindernd anzurechnen, wenn sie den Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrages (gezahlter Kaufpreis abzüglich Differenzschaden) übersteigen (vgl. zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rdnrn. 44 und 80; zu § 826 BGB BGH, Urteil vom 24.01.2022 – VIa ZR 100/21, Rdnr. 22). Die Bewertung der gezogenen Nutzungen schätzt der Senat auf Basis der vom Bundesgerichtshof für zulässig erachteten Methode der linearen Wertminderung (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 30.07.2020 – VI ZR 354/19, Rdnrn 12 f. und Beschluss vom 12.10.2021 – VIII ZR 255/20, Rdnrn 22 f.) gemäß § 287 ZPO unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km, woraus sich eine Restlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Kaufs von 265.788 km (= 300.000 km – 34.212 km Stand bei Kauf) ergibt. Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug am 18.01.2024 unstreitig 131.589 km, der Kläger ist mithin in dem Zeitraum vom Kauf am 18.11.2015 bis zum 18.01.2024 (= 2984 Tage) 97.377 km gefahren. Hiervon ausgehend schätzt der Senat die Fahrleistung für den 13.03.2024 (= 3039 Tage nach dem Kaufzeitpunkt) auf 99.172 km. Dies ergibt ausgehend von dem Nettokaufpreis einen zu ersetzenden Nutzungswert in Höhe von 15.953 € und einen auf Basis der Datenbank von DAT/Schwacke geschätzten Restwert in Höhe von 18.014 €. Die Summe aus Nutzungswert und Restwert beträgt 33.967 € und bleibt damit hinter dem „wahren Wert“ (Nettokaufpreis – 10% = 38.480,67 €) zurück.
64
d. Der Differenzschaden der Klagepartei ist entgegen dem Beklagtenvortrag auch nicht durch das von der Beklagten im Rahmen des Nationalen Forums Diesel zur Verfügung gestellte Softwareupdate entfallen.
65
aa. Zum einen geht der Senat davon aus, dass die kostenlose Verfügbarkeit des Softwareupdates bereits in dem vom Senat im März 2024 über eine SilverDAT-Abfrage ermittelten Händlereinkaufspreis miteinbezogen ist, sodass sich das Software-Update unmittelbar im Restwert des Fahrzeugs niederschlägt, der wiederum ein Rechnungsposten bei der Bestimmung des der Klagepartei entstandenen Schadens ist. Das Update kann daher nicht noch einmal herangezogen werden, um einen völligen Wegfall des Differenzschadens zu begründen.
66
bb. Zum anderen ist die europarechtliche Zulässigkeit des Thermofensters nach dem Softwareupdate auch dann nicht dargelegt, wenn man insoweit den von der Beklagten erstmals in der Berufungsinstanz gehaltenen Vortrag zu dem Temperaturbereich des Thermofensters zu Grunde legt. Die Beklagte trägt die Darlegungs- und Beweislast für den Entfall des Schadens. Sie kann dem Kläger eine fehlende Teilnahme an dem freiwilligen Update nur entgegenhalten, wenn der Kläger ein ihm zumutbares Update, welches dazu führt, dass das Thermofenster den europarechtlichen Vorgaben genügt, nicht aufspielen lässt. Bereits die europarechtliche Zulässigkeit des Thermofensters nach dem Update konnte die Beklagte aber nicht darlegen. Die Beklagte hat hierzu angegeben, nach dem Update liege der Temperaturbereich der aktiven Abgasrückführung „in einem repräsentativen Betriebspunkt zwischen -4° C und ca. 44° C“. Innerhalb dieses Temperaturfensters finde „zwischen ca. 3° C und ca. 37° C in Abhängigkeit von der Umgebungslufttemperatur keine aktive Veränderung der AGR-Rate durch das Thermofenster statt“ (Berufungserwiderung vom 21.02.2024, dort S. 97 = Bl. 285 d.A.).
67
Dieser Vortrag ist nicht geeignet, die Zulässigkeit des Thermofensters nach Update darzulegen. Wie oben ausgeführt (Punkt IV. 1 a. dd.) entnimmt der Gerichtshof der Europäischen Union der Verordnung 715/2007/EG mit Blick auf deren Ziel für Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG den ungeschriebenen Ausschlussgrund einer motorschützenden Aktivierung der Abschalteinrichtung während des überwiegenden Teils eines Jahres. Um diesen Ausschlussgrund zu widerlegen und die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung darzulegen, müsste die Beklagte substanziiert vortragen, dass das Thermofenster unter normalen Betriebsbedingungen nicht den überwiegenden Teil eines Jahres aktiv sein müsste, damit der Motor vor Beschädigungen oder Unfall geschützt ist. Denn eine Rechtfertigung der Abschalteinrichtung mit Gründen des Motorschutzes ist ausgeschlossen, wenn die Abschalteinrichtung unter Bedingungen aktiviert ist, die innerhalb eines Jahres üblicherweise während in ihrer Summe längerer Zeitintervalle herrschen, als dies nicht der Fall ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2023 – 6 U 198/20, juris Rz. 137 und OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.02.2024 – 6 U 45/21, juris Rz. 96).
68
Aus Sicht des Senats reicht hierfür bereits der von der Beklagten für einen repräsentativen Betriebspunkt vorgetragene Temperaturbereich nicht aus, denn bezogen auf das gesamte Unionsgebiet und damit unter Einbeziehung etwa der nördlichen Teile von Schweden und Finnland sind in Herbst, Winter und Frühling und damit im überwiegenden Teil eines Jahres Temperaturen unter 3° C üblich. Ein Thermofenster mit – bei einem Betriebspunkt – voller Wirksamkeit der Abgasrückführung zwischen 3° C und 37° C reicht daher schon hinsichtlich des Temperaturbereichs nicht aus, um im gesamten Unionsgebiet im überwiegenden Teil des Jahres eine temperaturabhängige Verminderung der Abgasrückführung auszuschließen. Zudem müsste die Beklagte einen solcher Ausschluss der temperaturabhängigen Verminderung der Abgasrückführung für alle normalen Betriebsbedingungen des Fahrzeugs und seines Motors darlegen und nicht lediglich, wie von der Beklagten vorgetragen, für einen – wenn auch behauptetermaßen repräsentativen – Betriebspunkt, denn bei dem Betrieb eines PKW-Dieselmotors wechseln die Betriebspunkte schnell und ständig (vgl. Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 23.05.2023 – 3 A 3/20, Rdnr. 38). Da die Beklagte sich auf den Wegfall des bei der Klagepartei eingetretenen Schadens durch das Software-Update beruft, geht diese Mangel des Vortrags zu ihren Lasten (zur Unklarheit eines solchen einschränkenden Vortrags vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteile vom 28.11.2023 – 8 U 291/21, Rdnr. 28 und vom 11.11.2023 – 8 U 66/21, Rdnr. 67). Die Berufung ist daher in der Hauptsache im Umfang von 4.275,63 € begründet.
69
V. Der Zinsanspruch beruht auf § 291 BGB.
70
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO. Dabei war die teilweise Zurücknahme der Berufung zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen, § 516 Abs. 3 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt § § 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
71
Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen.