Inhalt

LG Traunstein, Endurteil v. 21.08.2024 – 8 O 840/23
Titel:

Klageabweisung, Mietverhältnis, Kündigung, Vertragslaufzeit, Beweisaufnahme, Schriftformerfordernis, Räumungsanspruch

Schlagworte:
Klageabweisung, Mietverhältnis, Kündigung, Vertragslaufzeit, Beweisaufnahme, Schriftformerfordernis, Räumungsanspruch
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 08.07.2025 – 32 U 3124/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 51159

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 21.562,80 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Räumung und Rückgabe von Geschäftsräumen geltend.
2
Die Klägerin ist seit dem 23.02.2023 als Eigentümerin des Anwesens … im Grundbuch eingetragen. Die Auflassung erfolgte mit notariellem Vertrag vom 19.08.2022 (Anlage K12), der zwischen der Klägerin und dem Zeugen … geschlossen wurde. Letzterer war seit dem 06.04.2016 als Eigentümer des vorbezeichneten Grundbesitzes im Grundbuch eingetragen.
3
Im Erdgeschoss des Anwesens befinden sich Geschäftsräume, in denen die Beklagte einen Bioladen betreibt. Die Nutzung dieser Räume durch die Beklagte erfolgt auf der Grundlage eines Mietvertrags vom 09.03.2019 (Anlage B3), den der Geschäftsführer der Beklagten mit der … Hausverwaltungs-OHG abgeschlossen hatte. Letztere wurde hierbei durch die Zeugin … bei welcher es sich um die Mutter des Zeugen … handelt, vertreten.
4
Der notarielle Vertrag vom 19.08.2022 enthält auf S. 14 f. unter der Überschrift „XIII. Mietverhältnis“ die folgende Regelung:
„1. Der Vertragsgegenstand ist vermietet. Der Käufer übernimmt das jeweilige Mietverhältnis. Der Verkäufer hat dem Käufer eine Kopie der schriftlichen Mietvereinbarungen übergeben. (…)
2. Der jeweilige Mietzins für die Zeit ab Besitzübergang gebührt dem Käufer. Mit Wirkung ab Gutschrift des Kaufpreises wird hiermit der jeweilige Mietzinsanspruch an den Käufer abgetreten und der Käufer bevollmächtigt, alle Rechte im Zusammenhang mit dem Mietverhältnis auszuüben. Eine vom Mieter geleistete Kaution samt etwaigen Erträgen daraus wird der Verkäufer dann auf den Käufer übertragen.
3. (…)
4. (…)“
5
Bei dem Mietvertrag vom 09.03.2019, der im Hauptverhandlungstermin vom 19.06.2024 im Original vorgelegt und zu den Akten genommen wurde, handelt es sich um ein aus drei zusammenhängenden, vorder- und rückseitig bedruckten DIN A4-Seiten bestehendes Formular, das überwiegend vorgedruckte Textpassagen enthält, welche von den Vertragsparteien an mehreren Stellen handschriftlich ergänzt wurden. Dem Vertrag beigefügt ist ein auf einem separaten DIN A4-Blatt abgedruckter Grundriss des Erdgeschosses des Anwesens … (Seite 5 der Anlage B3), in dem ebenfalls handschriftliche Eintragungen (Bezeichnung der eingezeichneten Räume als „Büro“ und „Lager“ sowie Messergebnisse betreffend die Raumflächen) vorgenommen wurden. Der Grundriss trägt keine Unterschriften und ist mit dem Vertragsformular nicht körperlich verbunden.“
6
Seite 1 des Vertragsformulars enthält unter der Überschrift „§ 1. Mieträume“ die folgende Regelung, wobei es sich bei den fettgedruckten Passagen um handschriftliche Eintragungen handelt:
„Vermietet werden im Haus Nr. 1 an der … folgende Räume: siehe Skizze
zum Betriebe eines Lebensmitteleinzelhandels. (…)“
7
Ebenfalls auf Seite 1 des Vertragsformulars unter der Überschrift „§ 2. Mietzeit“ findet sich folgende Regelung:
„Das Mietverhältnis beginnt am 01.04.2019.
(1) Das Mietverhältnis läuft auf unbestimmte Zeit und kann von jeder Partei mit einer Frist von 6 Monaten zum Ablauf eines Kalendervierteljahres gekündigt werden.
(2) (Für Verträge von bestimmter Dauer)
Das Mietverhältnis wird auf die Dauer von … Jahren, also bis … geschlossen. Wird es nicht spätestens … Monate vor Ablauf der Mietzeit gekündigt, so verlängert es sich jedes Mal um ein Vierteljahr – ein halbes Jahr – … Jahr(e).
(3) (…)
(4) (…)“
8
Seite 3 des Vertragsformulars weist unter der Überschrift „§ 14. Sonstige Vereinbarungen“ schließlich die folgende handschriftliche Eintragung auf:
„Indexmiete wird vereinbart. Index 10 % Änderung. Mietdauer für 10 Jahre wird vereinbart.“
und endet mit Orts- und Datumsangabe („… den 9.3.2019“) sowie den Unterschriften der Zeugin … und des Geschäftsführers der Beklagten.“
9
Seite 4 des Vertragsformulars trägt die Überschrift „Übergabeprotokoll“. Darunter befindet sich der folgende Text:
„Die in § 1 des Mietvertrages aufgeführten Geschäftsräume sind abgeschlossen: ja – nein
Sie bestehen aus:
_ Büroraum/-räume
_ Bad/Bäder mit/ohne WC
_ Keller-/Speicheranteil(e)
120 m2 Ladenraum/-räume
1 WC(s)
2 Kunden-Außen-WC
_ Werkstattraum/-räume
_ Flur(e)/Diele(n)
40 m2 Lagerraum/-räume
_ Balkon(e)/Loggia(en)/Terasse(n)
_ Küche(n)/Kochnische(n)
_ Abstellraum/-räume
(…)
Vorstehendes Übergabeprotokoll ergänzt den Mietvertrag.“
10
Seite 4 des Formulars schließt sodann mit nicht ausgefüllten Platzhaltern für Orts- bzw. Datumsangabe und Unterschriften.
11
Die Klägerin wurde im Vorfeld des Erwerbs des Anwesens … von der Zeugin … über sämtliche zum damaligen Zeitpunkt diesbezüglich bestehenden Mietverträge in Kenntnis gesetzt. Insbesondere lag der Klägerin auch ein hinsichtlich der vorstehend zitierten Regelungen inhaltlich mit dem als Anlage B 3 vorgelegten Mietvertrag identischer Vertragsentwurf (Anlage K03) betreffend die von der Beklagten genutzten streitgegenständlichen Räumlichkeiten vor.
12
Mit an sämtliche Mieter des Anwesens … gerichteten Schreiben vom 20.10.2024 (Anlage B5) informierte die Klägerin diese über den Erwerb des vorgenannten Objekts und teilte ihnen zugleich eine neue Bankverbindung für die Mietzahlungen ab 01.11.2022 mit.
13
Mit weiterem Schreiben vom 27.01.2023 (Anlage K06) erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Kündigung des Mietvertrags vom 09.03.2019 zum 30.09.2019. Dieser Kündigungserklärung widersprach die Beklagte mit Schreiben vom 31.01.2023 (Anlage K07). Die Klägerin erklärte daraufhin mit weiterem Schreiben vom 28.03.2023 (Anlage K08) vorsorglich nochmals die Kündigung des Mietvertrags zum 30.09.2023, welcher die Beklagte, diesmal mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 03.04.2023 (Anlage K09), abermals widersprach.
14
Die Klägerin meint, der zwischen der Beklagten und der … geschlossene Mietvertrag sei mangels Identität zwischen Vermieter und Veräußerer bereits nicht gem. § 566 BGB auf die Klägerin übergegangen, jedenfalls sei ein vermeintliches Mietverhältnis mit der Beklagten aber wirksam zum 30.09.2023 gekündigt worden. Denn die Parteien hätten vertraglich eine sechsmonatige Kündigungsfrist vereinbart; außerdem verstoße der Mietvertrag gegen die Schriftform des § 550 S. 1 BGB, weshalb er für unbestimmte Zeit geschlossen worden und eine Kündigung gem. S. 2 der Vorschrift frühestens zum Ablauf eines Jahres nach Überlassung der Mieträume möglich gewesen sei. Dementsprechend habe die Beklagte die streitgegenständlichen Geschäftsräume zu räumen.
15
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, die von ihr genutzten Geschäftsräume im Anwesen … im EG gelegen, bestehend aus einem Eingangsbereich/Windfang, einer Ladenfläche mit ca. 80 m2, einem Lagerraum mit ca. 40 m2, einem WC, zwei Büroräumen und zwei Kunden-Außen-WCs zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben,
hilfsweise:
Die Beklagte wird verurteilt, die von ihr genutzten Geschäftsräume im Anwesen … im EG gelegen, bestehend aus einem Eingangsbereich/Windfang, einer Ladenfläche mit ca. 80 m2, einem Lagerraum mit ca. 40 m2, einem WC, zwei Büroräumen und zwei Kunden-Außen-WCs bis zum 02. Oktober 2023 zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben.
16
Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
17
Die Beklagte meint, zwischen der … und der Beklagten sei im Vertrag vom 09.03.2019 eine feste Mietdauer von 10 Jahren vereinbart worden, eine Kündigung des Mietverhältnisses vor Ablauf dieses Zeitraums sei daher nicht möglich. Soweit sich die Klagepartei auf die fehlende Schriftform des Mietvertrags berufe, sei dies treuwidrig, da im Falle der Formnichtigkeit die Existenz der Beklagten bedroht wäre.
18
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugin … im Hauptverhandlungstermin vom 27.03.2024.
19
Auf die Einvernahme des trotz jeweils ordnungsgemäßer Ladung zweifach unentschuldigt nicht erschienenen Zeugen … haben beide Parteien durch entsprechende Erklärung im Hauptverhandlungstermin vom 19.06.2024 verzichtet.
20
Für die Einzelheiten wird auf die Protokolle über die vorgenannten Hauptverhandlungstermine, die wechselseitigen Schriftsätze der Parteivertreter und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

21
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
I.
22
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Traunstein sachlich und örtlich zuständig, §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, § 29a Abs. 1 ZPO.
II.
23
Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Räumungsanspruch nicht zu, da sie in den zwischen der Beklagten und der … geschlossenen Mietvertrag eingetreten ist und das sich daraus ergebende Mietverhältnis weiterhin besteht.
24
1. Das mit Vertrag vom 09.03.2019 zwischen der … und der Beklagten begründete Mietverhältnis wurde gem. Ziff. XIII. 1. des als Anlage K12 vorgelegten notariellen Vertrags vom 19.08.2022 mit Abschluss desselben von der Klägerin übernommen. Vor diesem Hintergrund braucht die zwischen den Parteien streitige Frage, ob die Klägerin in analoger Anwendung des § 566 Abs. 1 BGB auch kraft Gesetzes in das vorgenannte Rechtsverhältnis eingetreten ist, nicht beantwortet zu werden.
25
2. Das Mietverhältnis wurde durch die von der Klägerin mit Schreiben vom 27.01.2023 bzw. 28.03.2023 erklärten Kündigungen nicht beendet.
26
2.1 Das Mietverhältnis wurde nach dem insoweit eindeutigen Vertragstext unter § 14 des Mietvertrags vom 09.03.2019 („Mietdauer für 10 Jahre wird vereinbart.“) mit einer Laufzeit von 10 Jahren abgeschlossen.
27
2.2 Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts zudem fest, dass nach dem Willen der ursprünglichen Vertragsparteien eine Möglichkeit, das Mietverhältnis vor Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit durch Kündigung zu beenden, nicht bestehen sollte und sich insbesondere auch aus der handschriftlichen Eintragung unter § 2 Abs. 1 des Mietvertrages vom 09.03.2019 nichts anderes ergibt.
28
2.2.1 Die Zeugin, … die den streitgegenständlichen Mietvertrag in ihrer Funktion als Geschäftsführerin der … j mit der Beklagten abschloss und an deren Glaubwürdigkeit das Gericht keine Zweifel hat, gab ihm Rahmen ihrer Einvernahme im Hauptverhandlungstermin vom 27.03.2024 (Bl. 71 d.A.) glaubhaft an, die vorgenannte Eintragung – Kündigungsmöglichkeit beider Vertragsparteien mit einer Frist von 6 Monaten zum Ablauf eines Kalendervierteljahres – zwar zunächst vorgenommen zu haben. Da der Geschäftsführer der Beklagten für die Umsetzung seines Bioladen-Projekts seinen Job aufgegeben habe und zudem noch viel in das Ladengeschäft zu investieren gewesen sei, habe dieser jedoch darauf gedrängt, eine Vertragslaufzeit von 10 Jahren festzulegen. Diese sei dann auch vereinbart worden, obwohl die Zeugin angesichts der maroden Bausubstanz des Gebäudes Zweifel daran gehabt habe, ob dieses überhaupt noch so lange genutzt werden könne. Schließlich habe sie sich jedoch gedacht, dass man in diesem Falle ohnehin eine neue Lösung finden müsse. Für sie sei daher klar gewesen, dass mit der Vereinbarung der festen Vertragsdauer die von ihr zunächst eingetragene 6-monatige Kündigungsfrist wieder hinfällig sei. Dementsprechend hätten die Vertragsparteien in der Folge über diese auch nicht mehr gesprochen.
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2.2.2 Dass eine Beendigung des Mietverhältnisses vor Ablauf der vereinbarten 10-jährigen Vertragsdauer gerade nicht möglich sein sollte, wird aber nicht nur durch die vorstehende Aussage der Zeugin; … belegt, sondern ergibt sich zudem auch aus den vertraglichen Regelungen selbst. So bezieht sich das in § 2 Abs. 1 des Mietvertrags vorgesehene Kündigungsrecht nach dem eindeutigen Wortlaut der Klausel ausschließlich auf Mietverhältnisse, die auf unbestimmte Zeit geschlossen wurden und kann nach dem Gesagten bereits deshalb keine Geltung beanspruchen. Eine anderweitige Möglichkeit zur vorzeitigen Vertragsbeendigung wurde von den Vertragsparteien nicht vereinbart; insbesondere haben diese bewusst davon abgesehen, von der in § 2 Abs. 2 des Mietvertrags vorgesehenen Kündigungsregelung für Verträge von bestimmter Dauer Gebrauch zu machen.
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2.3 Das Mietverhältnis konnte auch nicht gem. §§ 578 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 i.V.m. § 550 S. 2 BGB mit der Frist des § 580a Abs. 2 BGB ordentlich gekündigt werden, da der zugrunde liegende Mietvertrag dem Schriftformerfordernis des § 550 S. 1 BGB genügt.
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2.3.1 Dabei steht für das Gericht zunächst außer Frage, dass es sich bei der von der Beklagten vorgelegten Anlage B3 – und nicht etwa bei der klägerseits hereingereichten Anlage K03 – um denjenigen Vertrag handelt, der zwischen der … und der Beklagten am 09.03.2019 geschlossen wurde. Zum einen wurde dies von der Zeugin … welche im Rahmen ihrer Einvernahme im Hauptverhandlungstermin vom 27.03.2024 neben den weiteren Modalitäten des Vertragsabschlusses noch genau schildern konnte, weshalb das Vertragsformular damals mit zwei verschiedenen Stiften ausgefüllt wurde und welcher Stift von welcher Vertragspartei verwendet wurde (Bl. 70 d.A.), bestätigt. Zum anderen wurde die Anlage B3 vom Geschäftsführer der Beklagten im Hauptverhandlungstermin vom 19.06.2024 im Original vorgelegt, sodass sich das Gericht durch Inaugenscheinnahme der Vertragsurkunde von deren Echtheit überzeugen konnte.
32
2.3.2 Entgegen der Auffassung der Klagepartei erfüllt das vorgenannte Vertragsdokument das für die Wirksamkeit der vereinbarten Laufzeit von mehr als einem Jahr erforderliche Schriftformerfordernis des über §§ 578 Abs. 2 S. 1, Abs. 1 BGB auch auf Gewerberaummietverträge anwendbaren § 550 S. 1 BGB.
33
2.3.2.1 Die Vorschrift des § 550 S. 1 BGB soll in erster Linie sicherstellen, dass ein späterer Grundstückserwerber, der kraft Gesetzes auf Seiten des Vermieters in ein auf mehr als ein Jahr abgeschlossenes Mietverhältnis eintritt (§ 566 Abs. 1 BGB), dessen Bedingungen aus dem schriftlichen Vertrag ersehen kann. Dazu ist es erforderlich, dass sich die für den Abschluss des Vertrags notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen – insbesondere über den Mietgegenstand, den Mietzins sowie die Dauer und die Parteien des Mietverhältnisses – aus einer von beiden Vertragsparteien unterzeichneten Urkunde ergibt (BGH NZM 2010, 704, 704 f.).
34
Werden wesentliche vertragliche Vereinbarungen nicht im Mietvertrag selbst schriftlich niedergelegt, sondern in Anlagen ausgelagert, so dass sich der Gesamtinhalt der mietvertraglichen Vereinbarung erst aus dem Zusammenspiel dieser „verstreuten“ Bedingungen ergibt, müssen die Parteien zur Wahrung der Urkundeneinheit die Zusammengehörigkeit dieser Schriftstücke in geeigneter Weise kenntlich machen. Dazu bedarf es indes keiner körperlichen Verbindung dieser Schriftstücke. Vielmehr genügt es zur Einhaltung der Schriftform, dass zwischen der Anlage und dem Mietvertrag eine gedankliche Verbindung besteht, die erkennen lässt, dass die beiden Schriftstücke in ihrer Gesamtheit den Vertrag bilden. Ausreichend ist daher, dass die Anlage hinreichend deutlich auf den ursprünglichen Vertrag Bezug nimmt und ersichtlich ist, dass es im Übrigen bei den Bestimmungen des ursprünglichen Vertrags verbleiben soll (BGH NJW-RR 2021, 801, 802).
35
Da auch formbedürftige Vertragsklauseln grundsätzlich der Auslegung zugänglich sind, müssen zur Wahrung der Schriftform aber selbst wesentliche Tatbestandsmerkmale nicht bestimmt angegeben werden, sofern nur die Einigung über sie beurkundet und ihr Inhalt bestimmbar ist. Insoweit darf auch auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände zurückgegriffen werden. Von einer der Schriftform genügenden, hinreichend bestimmten Bezeichnung des Mietgegenstandes ist dabei bereits dann auszugehen, wenn es einem Erwerber im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses möglich ist, den Mietgegenstand unschwer an Ort und Stelle zu identifizieren und seinen Umfang festzustellen (BGH NZM 2021, 144).
36
2.3.2.2 Unter Anwendung der vorstehenden Grundsätze wird der streitgegenständliche Mietvertrag vom 09.03.2019 dem Schriftformerfordernis des § 550 S. 1 BGB gerecht:
37
Das von den ursprünglichen Vertragsparteien verwendete Vertragsformular wurde von diesen unterhalb der letzten Vertragsklausel gem. § 126 Abs. 1, Abs. 2 BGB eigenhändig unterzeichnet und enthält sowohl bestimmte Angaben zum Mietzins sowie zu Beginn, Dauer und Parteien des Mietverhältnisses.
38
Soweit sich die Beschreibung des Mietgegenstands im Vertragstext selbst in der Erklärung erschöpft, dass es sich bei diesem um Räume in der … handele, deren Vermietung zum Betriebe eines Lebensmitteleinzelhandels erfolge, so werden diese Angaben durch die handschriftlichen Eintragungen auf der mit „Übergabeprotokoll“ überschriebenen vierten Seite des zusammenhängenden Vertragsformulars in einer der Schriftform des § 550 S. 1 BGB genügenden Weise ergänzt. Denn das Übergabeprotokoll beinhaltet nicht nur eine genaue Auflistung der vermieteten Räume („120 m2 Ladenraum, 1 WC, 2 Kunden-Außen-WC, 40 m2 Lagerräume“), sondern nimmt auch ausdrücklich auf den streitgegenständlichen Mietvertrag Bezug („Anlage zum Mietvertrag vom …“, „Vorstehendes Übergabeprotokoll ergänzt den Mietvertrag.“). Hierdurch entsteht zwischen dem Übergabeprotokoll und dem Vertragstext eine gedankliche Verbindung, die erkennen lässt, dass beide Dokumente in ihrer Gesamtheit den Mietvertrag bilden. Anders als die Klagepartei meint, war es zur Wahrung des Schriftformerfordernisses daher auch nicht erforderlich, dass neben der eigentlichen Vertragsurkunde auch das Übergabeprotokoll die Unterschriften der Vertragsparteien trägt, zumal beide Schriftstücke sogar körperlich miteinander verbunden sind.
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Nachdem es einem potentiellen Erwerber bereits anhand der vorgenannten Beschreibung des Mietgegenstandes im Übergabeprotokoll ohne weiteres möglich ist, die vermieteten Räume an Ort und Stelle zu identifizieren und ihren Umfang festzustellen, braucht die Frage, inwieweit auch der dem Vertragsformular lose beigefügte Grundriss die Schriftform des § 550 S. 1 BGB erfüllt, nicht abschließend geklärt zu werden. Jedenfalls ist der Umstand, dass das vorgenannte Dokument dem Vertragsformular ebenfalls beigegeben wurde, der Wahrung des Schriftformerfordernisses nicht abträglich.
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2.3.2.3 Ausführungen zum von der Beklagten erhobenen Treuwidrigkeitseinwand sind nach dem Gesagten nicht mehr veranlasst.
41
2.4 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass das von der Klägerin gem. Ziff. XIII.1. des notariellen Vertrags vom 19.08.2022 übernommene Mietverhältnis mit der Beklagten durch die mit Schreiben vom 27.01.2023 und 28.03.2023 erklärten Kündigungen nicht beendet wurde, sodass die in Haupt- und Hilfsantrag geltend gemachten Räumungsansprüche der Klägerin nicht bestehen und die Klage dementsprechend insgesamt als unbegründet abzuweisen war.
III.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
IV.
43
Die Festsetzung des Streitwerts erfolgte gem. § 41 Abs. 2 S. 2 GKG.