Titel:
Zwangsräumungskosten, Rechtsanwaltskosten, Unterkunftskosten, Obdachlosenunterkunft, Umzugskosten, Kausalität, Kostenentscheidung
Schlagworte:
Zwangsräumungskosten, Rechtsanwaltskosten, Unterkunftskosten, Obdachlosenunterkunft, Umzugskosten, Kausalität, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanz:
LSG München, Urteil vom 27.06.2025 – L 8 SO 244/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 51116
Tenor
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 9. Mai 2022 und den Teilabhilfebescheid vom 18. August 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Februar 2023 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten der Zwangsräumung aus ihrer Mietwohnung.
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Die am 1965 geborene alleinstehende Klägerin bezieht seit Jahren eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Deutschen Rentenversicherung. Die Klägerin bewohnte eine Mietwohnung in O-Stadt von 34 qm Wohnfläche. Im Februar 2015 erfolgte eine Eigenbedarfskündigung des Vermieters, die sowohl vom Amtsgericht als auch vom Landgericht bestätigt wurde. Die Klägerin bewirkte wiederholt einen Aufschub der Räumung. Im Juli 2020 wurde der Klägerin eine Sozialwohnung angeboten, die Klägerin lehnte diese jedoch ab.
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Anträge auf laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung wurden fortlaufend abgelehnt, weil die Rente und das parallel bezogene Wohngeld den zu berücksichtigenden Bedarf überstieg.
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Anfang Februar 2022 zeichnete sich die Zwangsräumung konkret ab. Die Klägerin beantragte die Übernahmen der Kosten für einen Kleintransporter für eine Woche vor der Zwangsräumung. Ende März 2022 teilt die Klägerin mit, dass die Zwangsräumung am 04.04.2022 geplant sei. Mit Bescheid vom 30.03.2022 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten für die Anmietung eines Miettransporters für eine Woche ab. Die Übernahme der Kosten für den Umzug des in der Obdachlosenunterkunft benötigten Hausrates durch die damit befasste Spedition wurde bewilligt. Ferner wurde die Übernahme der im Rahmen der Wohnungsräumung anfallenden Entsorgungskosten des aussortierten Hausrats bewilligt. Abgelehnt wurde ferner eine Übernahme der Kosten der Obdachlosenunterkunft für eine Woche vor dem Umzug. Einen Widerspruch gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin nicht. Hierzu erhob die Klägerin die Klage S 46 SO 233/22.
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Kurz vor dem Räumungstermin teilte die vom Gerichtsvollzieher beauftragte Spedition mit, dass die Räumung einen viel größeren Umfang habe als vorhergesehen. Die Wohnung sei übervoll. Es würden etwa 200 Umzugskartons benötigt werden sowie zwei Arbeitstage.
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Die Zwangsräumung erfolgte am 04. und 05.04.2022. Der Klägerin wurde eine Obdachlosenunterkunft im Hostel N. in O-Stadt zugewiesen. Mit Schreiben vom 24.04.2022 reichte die Klägerin eine Rechnung der vorgenannten Spedition über einen Betrag von insgesamt 6.633,71 Euro ein, darin enthalten Vernichtungsgebühren von 539,31 Euro (403,20 Euro plus 50,- Euro jeweils zzgl. 19% Mehrwertsteuer).
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Mit Bescheid vom 01.05.2022 wurden der Klägerin Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ab 01.04.2022 wegen der gestiegenen Unterkunftskosten bewilligt.
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Mit Bescheid vom 02.05.2022 wurde die Übernahme der Kosten der Obdachlosenunterkunft für die Woche vor der Zwangsräumung erneut abgelehnt. Außerdem wurde die Übernahme der Kosten für ein von der Klägerin in O-Stadt angemietetes Lager und die Übernahme der Kosten für den Transport des Hausrates in die Obdachlosenunterkunft abgelehnt. Die Kosten für die Einlagerung in der beauftragten Spedition wurde dagegen für die Zeit von 03.05.2022 bis 31.10.2022 bewilligt. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22.09.2022). Hierzu erhob die Klägerin die Klage S 46 SO 344/22 zum Sozialgericht München, die am 22.08.2024 abgewiesen wurde.
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Bereits mit Schreiben vom 06.05.2022 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Übernahme der gesamten Kosten der Zwangsräumung. Sie legte eine Protokollabschrift des Gerichtsvollziehers mit Gesamtkosten in Höhe von 7.287,65 Euro, darin enthalten verschieden Gebührenpositionen für die Tätigkeit des Gerichtsvollziehers, die vorgenannten 6.633,71 Euro der Spedition und weitere 334,69 Euro Speditionskosten für die Einlagerung des Hausrats der Klägerin für den ersten Monat vom 04.04.2022 bis 03.05.2022.
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Mit Bescheid vom 09.05.2022 lehnte der Beklagte die Übernahme der Kosten der Zwangsräumung ab. Es handle sich nicht um Kosten der Unterkunft, da nicht für Wohnzwecke angefallen. Eine Schuldenübernahme komme nicht in Frage, weil damit die Wohnung nicht erhalten werden könne. Der Widerspruch führte zum Teilabhilfebescheid vom 18.08.2022, in dem der Beklagte auch die Einlagerungskosten für die Zeit von 04.04.2022 bis 03.05.2022 übernahm. Der Beklagte zahlte die Einlagerungskosten von 334,69 Euro und die Vernichtungsgebühren von 539,31 Euro, zusammen 874,- Euro. Außerdem bezahlte er die Kosten für den Transport des Hausrats in die Obdachlosenunterkunft von 125,84 Euro (siehe Urteil S 46 SO 233/22). Ein Eilverfahren zu den Kosten der Zwangsräumung blieb erfolglos (Sozialgericht München S 46 SO 231/22 ER).
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Im November 2022 beantragte die Klägerin erneut die Übernahme der Kosten für den Transport von Hausrat aus dem Lager der Spedition in die Obdachlosenunterkunft. Sie wolle 20 als privat gekennzeichnete Umzugskartons, eine medizinische Liege, Handkarren und zwei Regale in die Obdachlosenunterkunft transportieren. Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21.11.2022 ab. Die Obdachlosenunterkunft sei möbliert und ein derartiger Transport sei nach den Vorgaben der Obdachlosenunterkunft wegen Brandschutz und Hygienevorschriften nicht möglich. Im November 2022 wurde der Hausrat der Klägerin zum Großteil entsorgt. Für die restlichen Gegenstände (insbesondere die 20 Kartons und die Liege) bot die Spedition eine unentgeltliche Lieferung an die Obdachlosenunterkunft an. Nachdem die Obdachlosenunterkunft dies ablehnte, erklärte die Spedition, diese Gegenstände unentgeltlich für fünf Jahre aufzubewahren. Eine Zusammenarbeit mit der Wohnungslosenhilfe der Diakonie lehnte die Klägerin im Wesentlichen ab; sie kommunizierte mit dieser nur per E-Mail und unter falschem Namen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 02.02.2023 wurde der Widerspruch ansonsten als unbegründet zurückgewiesen. Die Kosten der Zwangsräumung habe die Klägerin verursacht und sie hätte diese gänzlich verhindern können in den Jahren nach der Eigenbedarfskündigung. Die Kosten stünden nicht in Zusammenhang mit der aktuellen Unterkunft. Die Kosten des Transports des notwendigen Hausrats in die Obdachlosenunterkunft habe der Beklagte übernommen.
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Die Klägerin erhob am 22.02.2023 Klage zum Sozialgericht München. Sie habe jahrelang versucht, die Zwangsräumung zu verhindern. Der Beklagte sei schuld daran, dass die Klägerin keine neue Wohnung bekommen habe. Der Beklagte habe die restlichen 6.413,65 Euro (7.287,65 Euro minus 874,- Euro) zu bezahlen und weiter damit zusammenhängende Rechtsanwaltskosten von 163,03 Euro, zusammen 6.576,68 Euro zuzüglich Zinsen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 09.05.2022 und unter Abänderung des Teilabhilfebescheids vom 18.08.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.02.3023 zu verurteilen, der Klägerin 6.576,68 Euro sowie Zinsen zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Streitgegenstand dieser Klage ist die Übernahme der restlichen Kosten der Zwangsräumung vom 04./05.04.2022 in Höhe von 6.413,65 Euro (7.287,65 Euro Rechnungsbetrag Gerichtvollzieher minus 874,- Euro) und damit zusammenhängender Rechtsanwaltskosten von 163,03 Euro, zusammen 6.576,68 Euro zuzüglich Zinsen. Die Klage ist als frist- und formgerecht erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig.
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Die Klage ist unbegründet, weil die Klägerin keinen Anspruch auf Übernahme dieser Kosten hat.
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a) Ein Anspruch auf Übernahme von Mietschulden nach § 42 Nr. 4, §§ 42, 36 Abs. 1 SGB XII ist ausgeschlossen, weil die Übernahme dieser Kosten nicht zur Sicherung der bisherigen Unterkunft führen konnte und auch nicht zur Behebung einer vergleichbaren Notlage (Stromsperre, Heizungssperre, etc.).
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b) Die Kosten der Zwangsräumung sind auch keine laufenden Unterkunftskosten im Sinn von § 42 Nr. 4, §§ 42, 42a SGB XII.
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Die neue Obdachlosenunterkunft ist eine sogenannte sonstige Unterkunft nach § 42a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 7 SGB XII, für die gemäß § 42a Abs. 7 SGB XII nur die laufende Miete zu übernehmen ist. Mit dem Bewohnen der bisherigen Mietwohnung und laufenden Aufwendungen nach § 42 Nr. 4, § 3 42, 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII haben die Kosten der Zwangsräumung nichts zu tun, weil die Zwangsräumung dieses Wohnen beendete.
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Ein Ausnahmefall der kausalen Zuordnung derartiger Kosten, wenn der Grundsicherungsträger zuvor die angemessenen Unterkunftskosten nicht oder verspätet bezahlt hat und dadurch die Zwangsräumung verursacht hat (Bay LSG, Urteil vom 30.01.2014, L 7 AS 676/13), liegt hier offensichtlich nicht vor. Die Zwangsräumung wurde von der Klägerin verursacht, die dem Räumungsurteil über Jahre hinweg nicht nachkam.
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c) Kosten der Zwangsräumung sind auch keine Umzugskosten gemäß § 42 Nr. 4, §§ 42, 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII.
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Umzugskosten sind Kosten, die durch Ausräumen einer Wohnung und den Transport zu einem anderen Ort, einer neuen Wohnung oder einem Pflegeheim, anfallen (BSG, Urteil vom 15.11.2012, B 8 SO 25/11 R, dort Rn. 19). Die Klägerin ist von ihrer früheren Wohnung in die Obdachlosenunterkunft umgezogen. Die dafür anfallenden Kosten (Transport Hausrat in die Unterkunft, Entsorgung anlässlich Umzug) wurden übernommen.
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Die sonstigen Kosten der Zwangsräumung sind keine derartigen Kosten. Eine Zwangsräumung erfolgt nicht, um in eine neue Unterkunft zu gelangen, sondern um den zivilrechtlichen Anspruch des Vermieters auf Rückgabe der Mietwohnung durchzusetzen. Kosten der Zwangsräumung sind Kosten, die anlässlich eines Umzugs entstehen können, nicht unmittelbar dadurch bedingt sind (vgl. BSG, Urteil vom 10.08.2015, B 14 AS 58/15 R, dort Rn. 18). Es handelt sich auch nicht um notwendige und angemessene Kosten – Umzugskosten müssten als Unterfall der laufenden Unterkunftskosten ebenfalls angemessen sein (BSG, Urteil vom 06.08.2014, B 4 AS 37/13 R, dort Rn. 27; BSG, Urteil vom 15.11.2012, B 8 SO 25/11 R, dort Rn. 21). Die Zwangsräumung ist als solche nicht notwendig, weil durch rechtzeitigen Auszug vermeidbar. Die Klägerin kann auch nicht damit argumentieren, dass auch bei einem freiwilligen Auszug vergleichbare Kosten entstanden wären. In der Sozialhilfe gilt das Prinzip, dass tatsächliche Bedarfe zu berücksichtigen sind, nicht hypothetische Alternativbedarfe.
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Im Übrigen fehlt es auch an einer vorherigen Zusicherung derartiger Umzugskosten. Vorherig bedeutet vor der verbindlichen Festlegung dieser Kosten, z.B. durch Abschluss eines Speditionsvertrags. Dass die Klägerin diese Kosten nicht selbst festlegen konnte, liegt nur daran, dass sie den Auszug nicht selbst in die Hand genommen hat und bis zur Zwangsräumung gewartet hat. Die Zusicherung nach § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII ist eine echte Leistungsvoraussetzung.
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Ein Anspruch auf Verzinsung ist nicht erkennbar – es gab schon keine offene Forderung dazu..
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Klägerin hatte mit ihrer Klage keinen Erfolg.