Titel:
Kaufpreis, Berufung, Gutachten, Auslegung, Anlage, Vertrag, Vergleich, Verkaufspreis, Verkehrswert, Wertermittlung, Schriftsatz, Anerkenntnis, Forderung, Drittschadensliquidation, angefochtene Entscheidung, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg
Schlagworte:
Kaufpreis, Berufung, Gutachten, Auslegung, Anlage, Vertrag, Vergleich, Verkaufspreis, Verkehrswert, Wertermittlung, Schriftsatz, Anerkenntnis, Forderung, Drittschadensliquidation, angefochtene Entscheidung, Aussicht auf Erfolg, keine Aussicht auf Erfolg
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Endurteil vom 01.12.2023 – 18 O 5308/22
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 29.11.2024 – 14 U 2527/23
BGH, Beschluss vom 25.09.2025 – V ZR 229/24
BGH, Beschluss vom 04.11.2025 – V ZR 229/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 51101
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 01.12.2023, Az. 18 O 5308/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten nunmehr noch um die Auflassung von mehreren Grundstücken Zug um Zug gegen Zahlung eines vom Gericht nach § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB zu bestimmenden Kaufpreises.
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Die Beklagten sind hälftige Miteigentümer mehrerer im Bereich des S. C. in E. gelegener Grundstücke.
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Am 17.02.1971 und am 29.01.2002 bestellten die Rechtsvorgänger der Beklagten zugunsten der Rechtsvorgängerinnen der Klägerin ein Erbbaurecht an diesen Grundstücken. Des Weiteren verpflichteten sich die Rechtsvorgänger der Beklagten, diese Grundstücke an den/die Erbbauberechtigte/n zu verkaufen (§ 2 Nr. 7 ErbbauRG).
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Hierzu heißt es im Vertrag vom 17.02.1971 (Anlage K 6) unter Ziff. III.7:
„Die Grundstückseigentümer verpflichten sich, das Erbbaugrundstück spätestens zum Zeitpunkt des vertragsmäßigen Ablaufes des Erbbaurechts lastenfrei an die Erbbauberechtigte zu verkaufen und zu übereignen. Die Kosten dieses Kaufvertrages gehen zulasten der Erbbauberechtigten. Einigen sich die Parteien über den Kaufpreis nicht, so hat die Erbbauberechtigte zu ihren Lasten eine Kostenschätzung durch den Gutachterausschuss der Stadt E. oder einem entsprechenden Rechtsnachfolger einzuholen. Wird auch dann keine Einigung erreicht, so sind die Grundstückseigentümer verpflichtet, das Gutachten eines gerichtlich zugelassenen Grundstücksschätzers einzuholen. Die Kosten für dieses Gutachten gehen zulasten der Grundstückseigentümer.
Falls die beiden Schätzgutachten nicht den gleichen Verkaufswert ausweisen, erkennen beide Parteien schon jetzt den Mittelwert als den endgültigen Verkaufspreis an.
Zur Sicherung des Anspruches auf Eigentumsübertragung im Zeitpunkt der Beendigung des Erbbaurechts bewilligen und beantragen die Grundstückseigentümer die Eintragung einer Auflassungsvormerkung in das Grundbuch.“
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Der Vertrag vom 29.01.2002 (Anlage K 7) enthält in Teil III, Ziff. I.7, folgende Regelung:
„Der Grundstückseigentümer verpflichtet sich, das Erbbaugrundstück spätestens zum Zeitpunkt des vertragsmäßigen Ablaufes des Erbbaurechts lastenfrei an den Erbbauberechtigten zu verkaufen und zu übereignen. Einigen sich die Vertragsparteien über den Kaufpreis nicht, so hat der Erbbauberechtigte zu seinen Lasten eine Kostenschätzung durch den Gutachterausschuss der Stadt E. oder einen entsprechenden Rechtsnachfolger einzuholen, wobei die Grundstücke bei der Wertermittlung als vollständig erschlossen zu betrachten sind. Falls vom Erbbauberechtigten auf dem Erbbaugrundstück irgend welche Straßen gebaut werden sollten, so sind diese nicht als wertmindernd für die Grundstücke zu betrachten. Bei der Wertermittlung haben Verkäufe, die durch die Stadt E. vorgenommen wurden, außer Betracht zu bleiben, sofern der Kaufpreis unter dem offiziellen Bodenrichtwert liegt.
Erkennt der Grundstückseigentümer diese Wertermittlung nicht an, so ist er verpflichtet, auf seine Kosten das Gutachten eines gerichtlich zugelassenen Grundstücksschätzers einzuholen.
Falls die beiden Schätzgutachten nicht den gleichen Verkaufswert ausweisen, erkennen die Vertragsteile schon jetzt den Mittelwert als den endgültigen Verkaufspreis an.“
6
Mit Schreiben vom 25.06.2020 (Anlage K 11) bot die Rechtsvorgängerin der Klägerin den Beklagten einen Ankauf dieser Grundstücke zu einem Kaufpreis von 2.768.000,00 € an, was die Beklagten ablehnten (Anlage K 12). Daraufhin holte die Klägerin ein Gutachten des Gutachterausschusses der Stadt E. ein, welches zu dem Ergebnis kam, dass die Grundstücke einen Verkehrswert in Höhe von 3.350.000,00 € hätten (Anlage K 15). Da die Beklagten zu diesem Preis nicht verkaufen wollten, beauftragten sie zunächst ein Sachverständigenbüro mit der Wertermittlung; ein Gutachten dieses Sachverständigenbüros wurde jedoch nicht vorgelegt. Vielmehr beauftragten die Beklagten ein weiteres Sachverständigenbüro – die Streithelferin – mit der Wertermittlung, welches zu dem Ergebnis kam, dass die Grundstücke einen Verkehrswert von 11.200.000,00 € hätten (Anlage K 20). Sodann boten die Beklagten der Klägerin mit Schreiben vom 10.02.2022 (Anlage B 1) an, die Grundstücke zu einem Kaufpreis von 7.275.000,00 € zu verkaufen.
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Mit der Behauptung, das von den Beklagten vorgelegte Gutachten sei angesichts zahlreicher Fehler unrichtig i.S.d. § 319 Abs. 1 Satz 1 BGB, hat die Klägerin zunächst beantragt, die Beklagten zur Auflassung der streitgegenständlichen Grundstücke an die Klägerin und Bewilligung ihrer Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch Zug um Zug gegen Zahlung eines Kaufpreises von 3.350.000,00 €, hilfsweise Zug um Zug gegen Zahlung eines vom Gericht nach § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB zu bestimmenden Kaufpreises zu verurteilen.
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Wegen des weiteren unstreitigen Sachverhalts, des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens sowie der dortigen Anträge wird auf den Tatbestand des Endurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 01.12.2023 Bezug genommen.
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Mit diesem Urteil hat das Landgericht Nürnberg-Fürth die Klage als unbegründet abgewiesen, da die Rechtsvorgänger der Parteien den aus beiden Gutachten folgenden Mittelwert als verbindlichen Kaufpreis vertraglich anerkannt hätten.
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Gegen dieses den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 01.12.2023 zugestellte Urteil haben diese mit Schriftsatz vom 20.12.2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Berufung eingelegt und diese nach gewährter Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 28.02.2024, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründet. Mit demselben Schriftsatz wurde der Streithelferin der Streit erneut verkündet.
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Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Rechtsvorgänger der Parteien nicht den aus beiden Gutachten folgenden Mittelwert als verbindlichen Kaufpreis vertraglich anerkannt hätten. Vielmehr hätten die Rechtsvorgänger der Parteien eine Leistungsbestimmung durch Dritte i.S.d. §§ 317 ff. BGB vereinbart, so dass eine Bestimmung gemäß § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB durch Urteil zu erfolgen habe, da das von den Beklagten eingeholte Gutachten unrichtig sei. Weder lägen die Voraussetzungen eines kausalen Anerkenntnisses vor noch enthielten die von den Rechtsvorgängen der Parteien getroffenen vertraglichen Regelungen einen Einwendungsausschluss. Insoweit sei die vom Landgericht vorgenommene Auslegung der vertraglichen Regelungen fehlerhaft. Auch sei § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht abbedungen worden. Angesichts der vertraglichen Regelungen sei es den Beklagten auch verwehrt gewesen, mehr als ein Gutachten zu erholen und lediglich das für sie günstigste vorzulegen. Im Übrigen sei dieses Verhalten rechtsmissbräuchlich.
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Die Klägerin beantragt,
Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 01.12.2023 (Aktenzeichen 18 O 5308/22) werden die Beklagten zu 1) und zu 2) verurteilt, die Grundstücke Flurstück …, Blatt … des Grundbuchs von B., Amtsgericht E. sowie die Flurstücke … und …, Band …, Blatt … des Grundbuchs von B., Amtsgericht E. Zug um Zug gegen Zahlung eines vom Gericht nach § 319 Abs. 1 S. 2 BGB zu bestimmenden Kaufpreises an die Klägerin aufzulassen und die Eintragung der Klägerin als Eigentümerin im Grundbuch zu bewilligen.
13
Die Beklagten beantragen,
Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 01.12.2023, Az.: 18 O 5308/22 wird zurückgewiesen.
14
Die Streithelferin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
15
Die Beklagten und die Streithelferin verteidigen das angegriffene Urteil, letztere jedoch nicht hinsichtlich der seitens des Landgerichts angestellten Überlegungen zum Vertrag mit Schutzwirkung Dritter bzw. zur Drittschadensliquidation.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
18
Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
19
Das Landgericht hat nicht nur den erstinstanzlichen Hauptantrag der Klägerin, sondern auch deren nunmehr ausschließlich weiterverfolgten Hilfsantrag, die Beklagten zur Auflassung der streitgegenständlichen Grundstücke und Bewilligung der Eintragung der Klägerin als Eigentümerin im Grundbuch Zug um Zug gegen Zahlung eines vom Gericht nach § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB zu bestimmenden Kaufpreises zu verurteilen, im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
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1. Entgegen der nicht belegten Auffassung der Klägerin schließen sich die in den §§ 317 ff. BGB geregelte Leistungsbestimmung durch Dritte und das gesetzlich nicht geregelte sog. kausale Anerkenntnis nicht gegenseitig aus.
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Dies folgt bereits aus der Systematik des BGB: Die Leistungsbestimmung durch Dritte gemäß §§ 317 ff. BGB ist im Buch 2, Abschnitt 3, Titel 1, Untertitel 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs geregelt und damit grundsätzlich auf alle Schuldverhältnisse, folglich auch auf ein kausales Anerkenntnis anwendbar (vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB., 83. Aufl., Einl v § 241 Rn. 6).
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Indes kommt es darauf nicht an. Entscheidend ist vielmehr, welche vertragliche(n) Regelung(en) die Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger geschlossen haben. Denn bei einem – wie hier – rechtsgeschäftlich begründeten Schuldverhältnis sind es in erster Linie die Parteien, die die inhaltlichen Parameter des Schuldverhältnisses festlegen; insoweit sind die Vorschriften des Schuldrechts typischerweise dispositiv (MüKo/Ernst, BGB, 9. Aufl., Einl. SchuldR Rn. 28). Die Dispositionsfreiheit der Parteien findet allerdings ihre Grenze in den §§ 134, 138 BGB, den Vorschriften des zwingenden Rechts und in öffentlich-rechtlichen Genehmigungsvorbehalten. Zu diesen tradierten Einschränkungen sind weitere Schutzvorschriften zugunsten des wirtschaftlich oder intellektuell Unterlegenen hinzugekommen (Grüneberg/Ellenberger, a.a.O., Einf v § 145 Rn. 13). Dass derartige Begrenzungen der Vertragsfreiheit im Streitfall zur Anwendung kommen, ist jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich.
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2. Nicht frei von Zweifeln ist allerdings die Ansicht des Landgerichts, bei den vertraglichen Regelungen vom 17.02.1971
„Falls die beiden Schätzgutachten nicht den gleichen Verkaufswert ausweisen, erkennen beide Parteien schon jetzt den Mittelwert als den endgültigen Verkaufspreis an.“
„Falls die beiden Schätzgutachten nicht den gleichen Verkaufswert ausweisen, erkennen die Vertragsteile schon jetzt den Mittelwert als den endgültigen Verkaufspreis an.“
handele es sich um kausale Schuldanerkenntnisse der Rechtsvorgängerinnen der Klägerin.
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Ein kausales Schuldanerkenntnis, durch das dem anerkennenden Schuldner Einwendungen gegen seine Schuld in einem jeweils näher zu ermittelnden Umfang abgeschnitten werden, ist als ein im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht geregelter Vertragstypus seit langem anerkannt. Mit einem solchen Vertrag verfolgen die Parteien den Zweck, das Schuldverhältnis insgesamt oder zumindest in bestimmten Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit zu entziehen und es (insoweit) endgültig festzulegen. In dieser Festlegung besteht der rechtsgeschäftliche Gehalt des Schuldbestätigungsvertrags; der Vertrag wirkt insoweit regelnd auf die Rechtsbeziehungen der Parteien ein, als er die Verwirklichung einer Forderung von möglicherweise bestehenden Einwendungen (oder Einreden) befreit oder sogar ein möglicherweise noch nicht bestehendes Schuldverhältnis begründet, indem nämlich ein nur „möglicherweise“ bestehendes Schuldverhältnis „bestätigt“ wird. In diesem Maße hat der Schuldbestätigungsvertrag eine (potentiell) konstitutive Wirkung (BGH, Urteil vom 24.03.1976, IV ZR 222/74, juris Rn. 17). Im Unterschied zum Vergleich werden Streit oder Ungewissheit allerdings nicht durch gegenseitiges, sondern durch einseitiges Nachgeben – nämlich des Schuldners – beseitigt. Es handelt sich folglich um einen kausalen einseitigen Feststellungsvertrag (BAG, Urteil vom 22.07.2010, 8 AZR 144/09, juris Rn. 19; Staudinger/Hau, BGB, Neub. 2020, Stand: 20.04.2024, § 781 Rn. 13; jeweils m.w.N.).
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Vorliegend liegt kein einseitiges Nachgeben vor. Vielmehr haben beide Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger den Mittelwert der aus beiden Gutachten folgenden Kaufpreise als endgültig anerkannt.
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3. Trotz dieser Zweifel erweist sich das angegriffene Urteil im Ergebnis als zutreffend. Denn die oben unter Ziff. II. 2. nochmals wiedergegebenen vertraglichen Regelungen schließen eine gerichtliche Bestimmung des Kaufpreises gemäß § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB aus.
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a. Vorbezeichnete vertragliche Regelungen sind Teil einer Schiedsgutachtenabrede. Schiedsgutachten, auf die die §§ 317 ff. BGB entsprechende Anwendung finden, dienen vor allem dazu, den von den Parteien zwar objektiv bestimmten, aber nur mit einer gewissen Sachkunde feststellbaren Vertragsinhalt zu ermitteln. Es handelt sich um privatrechtlich vereinbarte Sachverständigengutachten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens, die der Klärung oder Feststellung von Tatsachen dienen, so beispielsweise auch der Feststellung des Wertes von Grundstücken. Dabei erkennen die Parteien die durch das Gutachten zu treffende Bestimmung bis an die Grenze der offenbaren Unrichtigkeit als verbindlich an (vgl. BGH, Urteil vom 17.01.2013, III ZR 10/12, juris Rn. 13). Da die gutachterliche Bestimmung für den Fall ihrer offenbaren Unrichtigkeit bzw. Unbilligkeit nach § 319 Abs. 1 Satz 1 BGB unverbindlich ist, wird sie gemäß § 319 Abs. 1 Satz 2, 1. HS BGB durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt.
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b. Die Auslegung der vorbezeichneten vertraglichen Regelungen ergibt jedoch, dass eine gerichtliche Bestimmung des Kaufpreises gemäß § 319 Abs. 1 Satz 2 BGB im Streitfall ausgeschlossen ist.
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aa. § 319 Abs. 1 BGB ist dispositiv. Die Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger konnten daher auch vereinbaren, dass die Bestimmung des Kaufpreises selbst bei offenbarer Unrichtigkeit bzw. Unbilligkeit bindend ist (BGH, Urteil vom 28.02.1972, II ZR 151/69, juris Rn. 7; RG, Urteil vom 10.12.1935, VII 142/35, RGZ 150, 7, 9; BeckOKG/Netzer, BGB, Stand: 01.02.2024, § 319 Rn. 11 f.; Grüneberg/Grüneberg, a.a.O., § 319 Rn. 10).
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bb. Dies folgt aus der vorzunehmenden Auslegung der vertraglichen Regelungen.
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Nach §§ 133, 157 BGB ist bei der Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und demgemäß in erster Linie dieser und der ihm zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Bei seiner Willenserforschung hat der Tatrichter aber auch den mit der Absprache verfolgten Zweck, die Interessenlage der Parteien und die sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen können. Dabei sind empfangsbedürftige Willenserklärungen so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (BGH, Urteil vom 27.01.2010, VIII ZR 58/09, Rn. 33).
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Im Streitfall ist der Wortlaut der vertraglichen Regelungen eindeutig. Die Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger hatten „schon jetzt“, d.h. in den Jahren 1971 und 2002 den Mittelwert der aus beiden Gutachten folgenden Kaufpreise „als den endgültigen Verkaufspreis“ anerkannt. „Endgültig“ – vgl. insoweit dieselbe Formulierung in RGZ 150, 7 – bedeutet dabei „von letzter, abschließender Gültigkeit“, „unumstößlich“ bzw. „definitiv“ (www.duden.de/rechtschreibung/endgueltig), „anerkennen“ meint, wie die Klägerin selbst vorträgt, „akzeptieren“ (www.duden.de/rechtschreibung/anerkennen). Besonderes Gewicht kommt dem Wortlaut der vertraglichen Regelungen insoweit zu, dass diese nicht nur notariell beurkundet wurden, sondern auch dass dies innerhalb von rund dreißig Jahren zweimal geschah. Die Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger wollten daher ersichtlich eine endgültige Regelung.
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Der mit den Absprachen verfolgte Zweck, die Interessenlage der Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger und die sonstigen Begleitumstände gebieten, soweit vorgetragen oder ersichtlich, keine andere Auslegung. Die Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger beabsichtigten mit den vertraglichen Regelungen, einen „unumstößlichen“ Kaufpreis festzulegen, wenn selbst nach Einholung zweier Gutachten keine Einigung über diesen zu erzielen war. Eine weitere Auseinandersetzung über den Kaufpreis sollte nach Einholung zweier Gutachten mit den vertraglichen Regelungen also gerade vermieden werden. Den insoweit gegenläufigen Käufer- und Verkäuferinteressen – käuferseits ein möglichst niedriger und verkäuferseits ein möglichst hoher Kaufpreis – sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass die Gutachtenseinholung nicht ins Belieben der Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger gestellt wurde, sondern möglichst neutrale Gutachter zu beauftragen waren, nämlich einerseits der Gutachterausschuss der Stadt E. und andererseits ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Grundstückswertermittlungen. Weiter bestehende Differenzen sollten durch den dann zu bildenden Mittelwert der Kaufpreise, ähnlich der Regelung des § 317 Abs. 2, 2. HS BGB, ausgeglichen werden.
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Diese vertragliche Regelung erweist sich gerade im Streitfall als sach- und interessengerecht. Denn vorliegend bringt nicht nur die Klägerin Einwendungen gegen das seitens der Beklagten eingeholte Gutachten vor; auch die Beklagten halten das klägerseits eingeholte Gutachten für offenbar unrichtig. Umgekehrt verteidigen die Parteien das jeweils von ihnen eingeholte Gutachten. Die an die gesetzliche Regelung angelehnte vertragliche Vereinbarung greift – abstrakt gesehen – die beiderseitigen Einwendungen auf und ermöglicht trotz gegenläufiger Interessen der Parteien einen zeitnahen Ausgleich.
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Dass ein zeitnaher Ausgleich ohne Inanspruchnahme der Gerichte oder sonstiger Stellen von den Parteien bzw. deren Rechtsvorgängern beabsichtigt war, zeigt sich noch an anderer Stelle. Der Vertrag vom 29.01.2002 enthält unter Teil II, Ziff. V. eine bedingte Aufzahlungsverpflichtung. Dort heißt es am Ende:
„Falls die beiden Schätzgutachter nicht die gleichen Werte ausweisen, erkennen die Vertragsparteien schon jetzt den jeweiligen Mittelwert als verbindlich an.“
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Auch hierdurch zeigt sich, dass eine verbindliche = endgültige Regelung von den Parteien bzw. deren Rechtsvorgängern hinsichtlich aller vorzunehmenden Zahlungen durch die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerinnen gewünscht war.
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Ebenso steht der vorgenommenen Auslegung nicht entgegen, dass ein Ausschluss des § 319 Abs. 1 BGB gegen beide Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger wirkt und damit von vornherein unbekannt war, zu wessen Gunsten sich ein offenbar unrichtiges Gutachten später auswirkt. Gegenteilig wäre eine von vornherein absehbare Benachteiligung einer Partei ein starkes Indiz für ein sittenwidriges Handeln der anderen Partei (vgl. BeckOKG/Netzer, a.a.O., § 319 Rn. 12).
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cc. Zwar soll nach der Entscheidung des Reichsgerichts (Urteil vom 10.12.1935, VII 142/35, RGZ 150, 7, 9) ein solcher Parteiwille in aller Regel nur unter der Voraussetzung als vereinbart angesehen werden, dass die Vertragsschließenden wissen, dass nach gesetzlicher Regelung eine offenbar unbillige Bestimmung des Dritten nicht verbindlich ist, sie sich aber gleichwohl auch einer solchen unterwerfen wollen.
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Von einer solchen Kenntnis ist vorliegend auszugehen. Wie bereits ausgeführt, trafen die Parteien bzw. deren Rechtsvorgänger zweimal, und zudem notariell beraten, dieselbe vertragliche Regelung. Angesichts der Bedeutung und des Umfangs der vertraglichen Vereinbarungen im Ganzen ist zusätzlich anzunehmen, dass jedenfalls die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerinnen, in deren Konzern eine Vielzahl von Juristinnen und Juristen beschäftigt sind, weiteren juristischen Sachverstand in Anspruch nahmen, mithin juristisch gut beraten waren. Obwohl die Parteien sich – wie die Klägerin selbst ausführt – am gesetzlichen Leitbild der §§ 317 ff. BGB orientierten, entschieden sie sich für eine vertragliche Regelung, die den Kaufpreis endgültig fixiert. Dass der Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerinnen zwar das gesetzliche Leitbild der §§ 317 ff. BGB, nicht hingegen die Vorschrift des § 319 Abs. 1 BGB bekannt war, hält der Senat für fernliegend; dies wird seitens der Klägerin auch nicht (substantiiert) behauptet. Insoweit unterscheidet sich der streitgegenständliche Fall von dem der o.g. Entscheidung des Reichsgerichts zugrunde liegenden Sachverhalt; dort war eine, soweit ersichtlich, ohne notariellen oder anwaltlichen Beistand geschlossene Schiedsgutachtenabrede zwischen Siedlern und einem Landwirt streitgegenständlich.
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4. Entgegen der Auffassung der Klägerin war es den Beklagten nicht verwehrt, mehrere öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Grundstückswertermittlungen mit der Kaufpreisermittlung zu beauftragen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die entsprechenden vertraglichen Regelungen die Beklagten bzw. deren Rechtsvorgänger verpflichten würden, das Gutachten lediglich „eines einzigen“ öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen einzuholen.
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Im Übrigen haben die Beklagten substantiiert dargelegt, weshalb sie die Zusammenarbeit mit dem zunächst beauftragten Sachverständigen beendet haben (vgl. z.B. Klageerwiderung, S. 55 ff. = Bl. 108 ff. d.LG-A.). Daher stand es den Beklagten frei, einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen, da es ihnen anderenfalls unmöglich gewesen wäre, ihrer Verpflichtung aus den vertraglichen Regelungen nachzukommen. Folglich ist dieses Verhalten auch nicht rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB.
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Im Übrigen wird zur Ergänzung auf die Ausführungen im angegriffenen Endurteil, dort unter C.I.7., verwiesen.
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5. Die Klägerin ist, wie sie selbst erkennt, für den Fall, dass das von den Beklagten eingeholte Gutachten einen zu hohen Kaufpreis angesetzt hat, nicht rechtlos gestellt. Denn insoweit können Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die Streithelferin bestehen (BGH, Urteil vom 17.01.2013, III ZR 10/12, juris Rn. 18; BeckOGK/Netzer, a.a.O., § 319 Rn. 12; MüKo/Würdinger, a.a.O., § 319 Rn. 3).
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Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
45
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 3.350.000,00 € festzusetzen.
46
Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.