Titel:
Sachverständigengutachten, Netto-Reparaturkosten, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Schadensbeseitigung, Erstattungsanspruch, Elektronischer Rechtsverkehr, Wiederbeschaffungswert, Zug-um-Zug, Schadensregulierung, Werkstattrisiko, Streitwert, Wertminderung, Rückgriffsansprüche, Verfahren nach billigem Ermessen, Wert des Beschwerdegegenstandes, Ersatzfähige, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Vorsteuerabzugsberechtigung
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Haftpflichtversicherung, Reparaturkosten, Werkstattrisiko, Schadensersatz, Wertminderung, Beilackierung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 51068
Tenor
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(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
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1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 371,60 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.03.2024 zu zahlen Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Rückgriffsansprüche wegen angeblicher Überzahlung gegen die … aus der Rechnung …, anlässlich der Reparatur des klägerischen Fahrzeugs aufgrund des Unfallschadens vom 28.11.2022, Rechnungsnummer …, soweit sie nicht die originären Nacherfüllungsansprüche der Klägerin aus dem Werkvertrag betreffen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 371,60 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
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Am 18.11.2022 kam es zwischen der Klägerin und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Unfallgegner zu einem Verkehrsunfall. Die Haftung der Beklagten ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Reparaturkosten sind in Höhe von 6.368,21 € angefallen, auf die die Beklagte 5.996,61 € gezahlt hat. Die Beklagte hat die Kosten für die Lackierung der Seitenteile gekürzt.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz weiterer Reparaturkosten in Höhe von 371,60 €.
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Die Reparaturkosten sind in tenorierter Höhe erstattungsfähig. Hierbei handelte es sich um den erforderlichen Herstellungsaufwand. Nach § 249 Abs.2 S. 1 BGB sind Aufwendungen ersatzfähig, die ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung sind insofern regelmäßig Grenzen gesetzt, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt.
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Es würde dem Sinn und Zweck des § 249 Absatz 2 S. 1 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zum ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Das Werkstattrisiko geht insofern zulasten des Schädigers (AG Norderstedt, Urteil vom 14. 9. 2012 – 44 C 164/12; LG Köln, Urteil vom 07.05.2014 – 9 S 314/13). Dabei darf ein Geschädigter nach der oben angesprochenen subjektbezogenen Schadensbetrachtung grundsätzlich darauf vertrauen, dass die in dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten kalkulierten Arbeitsschritte und das hierfür benötigten Material zur Schadensbeseitigung erforderlich sind und darf demgemäß – wie hier – einer Werkstatt den Auftrag erteilen, gemäß Gutachten zu reparieren (BGH, NJW, 302, 304; AG Düsseldorf, 21.11.2014- 37 C 11789/11). Es macht dabei keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Es besteht kein Grund dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Ein Auswahlverschulden der Klägerin ist insoweit nicht zu erkennen. Die durch die Werkstatt in der Reparaturrechnung belegten Aufwendung sind im Allgemeinen ein aussagekräftiges Indiz für die Erforderlichkeit der Reparaturkosten. Auch ein Überwachungsverschulden der Klägerin liegt mehr als fern. Abgesehen davon, dass bereits das der Reparatur zugrunde liegende Sachverständigengutachten die Lackierung der Seitenteile als erforderlichen Reparaturschritt ausweist, muss sich einem Laien erst gar nicht „aufdrängen“, dass eine Beilackierung von angrenzenden Bauteilen zur Vermeidung von Farbtonunterschieden, nicht erforderlich sei.
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind hier die Kosten der Beilackierung ersatzfähig.
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Mangels besserer Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten hat die Klägerin die Reparaturkosten insoweit für erforderlich halten dürfen. Damit sind insbesondere auch die Kosten zu erstatten, die die Beklagte als solche bestreitet (OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94). Die Reparatur und die Abrechnung sind der Einflusssphäre des Geschädigten entzogen. Es besteht kein Grund, dem Schädiger das Risiko für ein solches Verhalten abzunehmen. Von daher war auch kein Beweis zu erheben, da das Werkstattrisiko eben auch Arbeiten umfassen würde, die nicht ausgeführt wurden (LG Köln, 07.05.2014, AZ: 9 S 314/13; AG Villingen-Schwenningen, 05.02.2015, AZ: 11 C 507/14; OLG Hamm, 31.01.1995, AZ: 9 U 168/94).
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Der BGH hat aktuell klargestellt (Urteil vom 16. Januar 2024, VI ZR 253/22), dass das Werkstattrisiko nicht nur für solche Rechnungspositionen greift, die ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Ansätze von Material oder Arbeitszeit überhöht sind. Ersatzfähig im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger sind vielmehr auch diejenigen Rechnungspositionen, die sich auf – für den Geschädigten nicht erkennbar – tatsächlich nicht durchgeführte einzelne Reparaturschritte und -maßnahmen beziehen. Denn auch insofern findet die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre statt. Soweit der Schädiger das Werkstattrisiko trägt, verbietet sich im Schadensersatzprozess zwischen Geschädigtem und Schädiger mangels Entscheidungserheblichkeit eine Beweisaufnahme über die objektive Erforderlichkeit der in Rechnung gestellten Reparaturkosten.
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Die Beklagte kann jedoch verlangen, dass ihr Zug um Zug etwaige Erstattungsansprüche des Klägers gegen die Reparaturwerkstatt aus dem Reparaturvertrag abgetreten werden als Ausgleich des Vorteils, den der Geschädigte durch die Beweiserleichterung des zugunsten des Geschädigten wirkenden Werkstatt -und Prognoserisikos erhält.
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Da die Klägerin den Rechnungsbetrag selbst vollständig an die Werkstatt beglichen hat, kann sie in Umsetzung der aktuellen Rechtsprechung des BGH, Urteil vom 16. Januar 2024, u. a., Aktenzeichen VI ZR 253/22, Zahlung an sich verlangen.
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Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht durch Aufrechnung mit einem bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruch der Beklagten untergegangen. Ausweislich der vorgelegten Stellungnahme des Privatgutachters, Anlage K8, hat dieser seinerzeit die Wertminderung bereits auf Grundlage der Netto-Reparaturkosten und des Netto-Wiederbeschaffungswerts ermittelt. Von der so ermittelten Wertminderung ist im Falle der vorsteuerabzugsberechtigten Klägerin auch nach der aktuellen BGH Rechtsprechung kein Abzug des Umsatzsteuerbetrages vorzunehmen. Der Beklagten steht mithin kein bereicherungsrechtlicher Rückzahlunsanspruch zu. Es kam damit auch nicht mehr darauf an, dass der Beklagten ein Anspruch gem. § 814 BGB verwehrt gewesen wäre, da sie nicht nur in Ansehung der bekannten Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin, den vollen Betrag von 800,00 € auskehrte, sondern auch von jeher, bereits vor Klarstellung durch den BGH gerichtsbekannt, stets die Auffassung vertrat, es sei bei vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten ein Abzug des Umsatzsteuerbetrages von der ermittelten Wertminderung vorzunehmen und deshalb ja die zur aktuellen Rechtsprechung des BGH vom 16.7.2024 (Az. VI ZR 243/23) führende Revision einlegte.
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Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91ZPO. Die Verurteilung der Beklagten gemäß ihrem Hilfsbegehren führt dabei nicht zu einer Veränderung der Kostenquote. Denn hierbei handelt es sich nur um einen wertmäßig nicht zu berücksichtigenden Nebenanspruch im Zusammenhang der Schadensregulierung (AG Kassel, Urteil vom 08.02.2018 – 435 C 4137/17).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.