Titel:
Pflichtverletzung, Lebensrisiko, Beweisaufnahme, Spielteilnahme, Eigengefährdung, Selbstwiderspruch, Schadensersatzanspruch, Schadensereignis
Schlagworte:
Pflichtverletzung, Lebensrisiko, Beweisaufnahme, Spielteilnahme, Eigengefährdung, Selbstwiderspruch, Schadensersatzanspruch, Schadensereignis
Fundstelle:
BeckRS 2024, 51064
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden wenn nicht der Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf 3.478,04 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche infolge einer Zahnverletzung des Klägers.
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Die Parteien sind befreundet und machten im August 2023 zusammen mit fünf weiteren Freunden Urlaub in Kroatien. In der Ferienanlage, in der die Parteien gemeinsam eine Ferienwohnung angemietet hatten, befindet sich ein Pool, der allen Gästen zur Verfügung steht.
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Am 01.08.2023 gegen Mittag gingen die Parteien gemeinsam mit … und … in den Poolbereich. Die Gruppe begann mit einem Ball zu spielen, indem dieser gegenseitig zugeworfen wurde, wobei im Verlaufe des Spiels ein Teil der Gruppe, darunter der Kläger im Pool waren und ein Teil von außerhalb, darunter der Beklagte, mitspielte. Irgendwann stand der Kläger mit einer Bierdose in der Hand im Pool am Beckenrand und unterhielt sich mit dem außen auf einer Liege liegenden … Die anderen setzten das Ballspiel fort. Im Verlauf des Spiels wurde der Kläger von dem Ball am Hinterkopf getroffen und stieß dadurch mit seinem Gesicht gegen den Beckenrand, wodurch der Schneidezahn 21 abbrach. Nach Rückkehr der Freundesgruppe aus dem Urlaub wurden der Zahn 21 und der angrenzende Zahn 11 zahnärztlich versorgt.
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Der Kläger trägt vor, er habe den Freunden mitgeteilt, dass er nicht mehr mitspiele, sondern sein Bier trinken wolle. Der Beklagte hätte somit erkennen können, dass er nicht mehr am Spiel teilnimmt und dadurch auch nicht bereit gewesen sei, einen Ball zu fangen. Gerade der Griff nach der Bierdose stelle eine eindeutige Zäsur dar, wonach sich die Vorgänge „Beteiligung am Spiel“ und „Abwesenheit am Spiel“ zweifelsfrei hätten unterscheiden lassen. Zudem habe der Beklagte gegenüber … angekündigt, dem Kläger einen Ball an den Kopf werfen zu wollen, was keinesfalls mehr ein regelgerechtes Verhalten des Beklagten darstelle.
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Aufgrund der Verletzung seien Zahnarztkosten in Höhe von 228,04 € entstanden, die nicht von der Krankenversicherung getragen worden seien. Die Kosten hierfür habe die Mutter des Klägers übernommen, die insoweit sämtliche Erstattungsansprüche vorsorglich an den Kläger abgetreten habe. Im weiteren sei der Beklagte auch zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verpflichtet. Aufgrund der erlittenen Verletzungen, der Schmerzen beim Essen und der Unsicherheit über den weiteren Erhalt des Schneidezahnes sei ein Schmerzensgeld von 2.250 € angemessen. Darüber hinaus seien Spätschäden nicht ausgeschlossen. Eine endgültige Versorgung des Zahnes sei noch nicht erfolgt. Insoweit bestünde auch ein Feststellungsinteresse hinsichtlich einer Haftung für zukünftige Schäden.
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Der Kläger beantragt daher
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 228,04 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.12.2023 zu zahlen.
II. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 2.250,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 19.12.2023 zu zahlen.
III. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 367,23 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 19.12.2023 zu zahlen.
IV. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materielle und immaterielle künftige Schäden zu ersetzen, die aus dem Wurf des Balls an den Hinterkopf des Klägers resultieren, soweit sie nicht bereits auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergangen sind oder übergehen werden.
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Der Beklagte beantragt,
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Es liege kein Verschulden des Beklagten vor, da der Beklagte sich an die Regeln des zwischen den Parteien einvernehmlich stattgefunden Ballspiels gehalten habe. Es seien hier die vom BGH entwickelten Grundsätze zur „Sportlerhaftung“ anzuwenden, mit der Folge, dass ein sorgfaltswidriges Handeln nur vorliege, wenn sich der Beklagte regelwidrig verhalten habe. Dass bei einem Spiel mit einem Ball und in einem Schwimmbecken Ballwürfe unter Umständen nicht das eigentlich gewollte Ziel treffen, nicht gefangen werden oder im Wasser landen, entspreche grundsätzlich allgemeiner Lebenserfahrung. Es sei für den Beklagten gerade nicht erkennbar gewesen, dass sich der Kläger sich nicht mehr an dem Ballspiel beteiligen wollte. Es sei zwar richtig, dass er sich parallel mit … unterhalten habe. Er habe aber immer, wenn der Ball in der Nähe war, diesen genommen und den Freunden entgegengeworfen. Bei einem der Würfe des Beklagten sei der Ball in der Nähe des Klägers auf dem Wasser aufgeprallt. Der Kläger habe sich daraufhin weggedreht. Erst dann habe der Ball den Kläger getroffen. Der Kläger habe eine Bierdose in der Hand gehabt, was wohl dazu geführt habe, dass er sich nicht abstützen konnte und so mit dem Mund auf den Beckenrand gefallen ist. In gleicher Weise habe dem Kläger bewusst sein müssen, dass eine Bierdose in der Hand, während man im Pools steht, per se gefährlich sei.
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Darüberhinaus sei auch die Höhe des geltend gemachten Schemerzensgeldes übersetzt.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen … und … Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2024 Bezug genommen.
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Hinsichtlich des weiteren tatsächlichen Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch aus §§ 823 I, 249, 253 II BGB bzw. § 823 II BGB i.V.m. § 229 StGB.
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Vorliegend fehlt es bereits an einer objektiven Pflichtverletzung und selbst wenn von einer solchen auszugehen wäre, würde eine Haftung ausscheiden, da der Kläger sich bewusst in einer Situation begeben hat, in der sich ein damit verbundenes typisches allgemeines Lebensrisiko verwirklicht hat, sodass eine Haftung gemäß § 254 BGB ausscheiden würde.
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Dies aus folgenden Gründen:
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Der genaue Spielablauf bleibt ungeklärt. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der Einlassungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung steht für das Gericht lediglich fest, dass der Kläger anfänglich beim Ballspiel mitgespielt hat und vor dem schadensauslösenden Wurf am Beckenrand mit einer Dose Bier gestanden hat und sich am Spiel nur insoweit beteiligt hat, als er einen Ball, der in seiner Nähe aufkam nach außen geworfen hat. Es steht auch nicht fest, dass der Kläger die Freunde daraufhin gewiesen hat, dass er nicht mehr mitspielen möchte und dass es eine Ankündigung des Beklagten gab, den Kläger am Hinterkopf treffen zu wollen. Keiner der Zeugen konnte sich daran erinnern.
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Der Kläger führte aus, dass anfänglich zu fünft gespielt worden sei, wobei alle im Pool gewesen seien. Die mitgebrachten Bierdosen hätten am Beckenrand gestanden. Der Beklagte führte aus, dass nur der Kläger und … im Wasser gewesen sei und die anderen von außen mitgespielt hätten. Der Zeuge … bekundete, dass drei der Freunde im Wasser und zwei außen gewesen seien. Er glaubte sich zu erinnern, dass er vornehmlich mit … gespielt habe. Der Kläger habe nicht mitgespielt. Schon hier gehen die Aussagen auseinander.
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Zum die Verletzung auslösenden Wurf gehen die Angaben ebenfalls auseinander. Der Kläger erklärt, völlig überraschend getroffen worden zu sein. Der Beklagte erklärt, er habe nicht wahrgenommen, dass der Kläger nicht mehr mitgespielt hat. Beim Ballwurf sei der Kopf des Klägers auch in seine Richtung gewandt gewesen. Keinesfalls sei der Kopf abgewandt gewesen. Er habe nicht den Hinterkopf treffen wollen. Der Ball habe auch nicht direkt den Kläger getroffen, sondern sei zuvor auf der Wasseroberfläche aufgekommen und wieder abgeprallt. Es müsse so gewesen sein, dass sich der Kläger während des Wurfs mit seinem Kopf weggedreht habe.
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Der Zeuge … bekundete, dass der Beklagte den Ball aufgehoben habe, nachdem dieser … verfehlt und aus dem Becken geflogen sei. Der Beklagte habe den Ball dann in Richtung des Klägers geworfen, während dieser sich mit … unterhalten habe. Der Zeuge konnte sich nicht erinnern, ob der Kläger überhaupt mitgespielt hat. Er war sich im übrigen sicher, dass er Ball nicht erst auf dem Wasser aufgeprallt war, bevor er den Kläger traf.
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Anders hat dies der Zeuge … in Erinnerung. Er bekundete, dass sie sich nur zu dritt den Ball zugeworfen hätten. Er und der Beklagte seien außerhalb gestanden und der Zeuge … wäre im Pool gewesen. Der Abstand zwischen … und dem Kläger habe vielleicht einen halben Meter betragen. Sie hätten sich die Bälle im Dreieck zugeworfen. Der Beklagte habe den Ball in Richtung Pool geworfen und dieser sei vielleicht einen Meter vor … auf dem Wasser aufgekommen und dann gegen dessen Hinterkopf geflogen.
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… schließlich führte aus, dass anfänglich überhaupt kein Ball gespielt wurde, sondern die Freunde abwechselnd im Pool und außerhalb gewesen seien. Irgendwann sei die Idee Ball zu spielen aufgekommen, wobei er mit … und … außen gestanden sei und … und der Kläger im Wasser gewesen seien. Der Kläger habe sich nur insoweit am Spiel beteiligt, als er den Ball, wenn er in seiner Nähe aufkam, wieder nach außen geworfen habe. Zum unfallverursachenden Ballwurf führte der Zeuge aus, dass es zuvor einen kurzen Blickkontakt zwischen Kläger und Beklagten gegeben habe. Der Beklagte habe dann einen Wurf angetäuscht, dadurch habe sich der Kläger erschrocken weggedreht und dann sei der Ball gegen dessen Hinterkopf geprallt. Der Zeuge glaubte sich zu erinnern, dass es ein direkter Wurf gewesen sei, ganz sicher sei er sich allerdings nicht.
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Zusammenfassend lässt sich daher nur sicher feststellen, dass die Freunde sich am Pool die Zeit vertrieben haben, mal im Wasser waren, mal nicht, dazwischen Bier getrunken wurde, sich unterhalten haben und sich in wechselnder Beteiligung zeitweise auch einen Ball zugeworfen haben. Es war kein Ballspiel mit Mannschaften oder klaren Regeln. Insbesondere hat der Kläger nicht nachweisen können, dass er keinesfalls an dem Spiel beteiligt sein möchte. Eine diesbezügliche Ansage hat keiner der Zeugen bekundet. Er hat, dies steht nach eigener Einlassung fest, anfänglich mitgespielt und dann zwar am Beckenrand gestanden aber weiterhin bei einem in der Nähe aufkommenden Ball diesen zurückgeworfen. Alles andere erscheint aufgrund der Schilderung der Zeugen über den Ablauf eines entspannten Urlaubstages und der guten Stimmung unter den Freunden völlig abwegig.
22
Dieses Beweisergebnis zugrunde gelegt, scheidet eine Haftung des Beklagten aus.
23
Das Gericht teilt grundsätzlich die Auffassung des Beklagten, dass die Grundzüge der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Haftung im Zusammenhang mit Verletzungen bei Fußballspielen und vergleichbaren Mannschaftssportarten mit Wettkampfcharakter zur Beurteilung des vorliegenden Falles miteinbezogen werden können.
24
Der BGH vertritt die Auffassung, dass der Teilnehmer an einem sportlichen Kampfspiel grundsätzlich Verletzungen in Kauf nimmt, die auch bei regelgerechtem Spiel nicht zu vermeiden sind, und dass daher ein Schadensersatzanspruch gegen einen Mitspieler den Nachweis voraussetzt, dass dieser sich nicht regelgerecht verhalten hat (BGHZ 63, 140 – Fußballspiel –). Verletzungen, die auch bei sportgerechtem Verhalten auftreten können, nehme jeder Spielteilnehmer in Kauf; deshalb verstoße es – ungeachtet der Frage, ob eine Haftung schon auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit oder der Rechtswidrigkeit zu verneinen sei – jedenfalls gegen das Verbot des treuwidrigen Selbstwiderspruchs (venire contra factum proprium), wenn der Geschädigte den beklagten Schädiger in Anspruch nimmt, obschon er ebenso gut in die Lage hätte kommen können, in der sich nun der Beklagte befindet, sich dann aber (und mit Recht) dagegen gewehrt haben würde, diesem trotz Einhaltens der Spielregeln Ersatz leisten zu müssen (BGH, Urteil vom 1. April 2003 – VI ZR 321/02 –, BGHZ 154, 316-326, Rn. 23)
25
Das Gericht verkennt nicht, dass es sich vorliegend um keine Wettkampfveranstaltung gehandelt hat, sondern um ein Ballspiel unter Freunden, für das keine ausdrücklichen vorab besprochenen Regeln galten. Es kann jedoch nicht zweifelhaft sein, dass die Regeln des Spiels, sich hier durch eine stillschweigende bzw. konkludente Übereinkunft der Teilnehmer ergaben, den Ball zwischen Pool und Außenbereich hin- und her zu werfen und dabei den Ball so zu werfen, dass das Fangen eine Herausforderung darstellt und dadurch auch Spaß macht. Alles andere wäre lebensfremd. Dass nicht jeder Ball gefangen wird, und dass man vom Ball getroffen werden kann, ist dem Spiel immanent. Der Nachweis, dass der Kläger seine Teilnahme am Spiel beendet hat, konnte er nicht führen. Der Kläger hat, auch nachdem er sich mit einer Bierdose am Pool an den Beckenrand gestellt hat, den Ball hin- und wieder genommen und weiter geworfen. Gerade diese Bereitschaft sich wieder ins Spiel, das aus nichts anderem Bestand, als dem Hin- und Herwerfen des Balles einzubringen, ist ausreichend, die mit dem Spiel verbundenen Risiken in Kauf nehmen zu müssen. Und nichts anderes ist vorliegend eingetreten. Der Beklagte hat den Ball in Richtung des Klägers geworfen. Dass er ihn bewusst und überraschend am Hinterkopf treffen wollte und getroffen hat, ist nicht nachgewiesen. Es steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch nicht fest, dass der Beklagte entsprechendes angekündigt hat. Es steht nicht einmal fest, ob der Ball zuvor die Wasseroberfläche getroffen hat und als „Abpraller“ gegen den Hinterkopf des Klägers geflogen ist oder direkt geworfen wurde.
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Die Verletzung des Klägers resultiert aus der Verwirklichung eines allgemeinen Lebensrisikos, das der Kläger mit Verbleib im Pool bei fortgesetztem Ballspiel seiner Freunde in und außerhalb des Pools eingegangen ist. Der Kläger hat sich bewusst in eine Situation begeben, in der eine Eigengefährdung nicht ausgeschlossen ist.
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Mit dem Schadensereignis bzw. mit dem auslösenden Treffer durch den Ball hat sich auch keine Gefahr verwirklicht, mit welcher der Kläger nicht zu rechnen hatte. Der Kläger stellt sich während des andauernden Ballspiels an den Poolrand und hält eine Bierdose in der Hand. Einer Selbstgefährdung hätte er nur entgehen können, wenn er den Pool verlassen hätte. Mit Ballwürfen musste der Kläger jederzeit rechnen.
28
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass dem Kläger bewusst sein musste, dass er im Wasser selbst einen unsicheren Stand hat und dies umso mehr als er in einer Hand eine Bierdose hielt. Eine angemessene Reaktion auf zugeworfene Bälle war in dieser Situation deutlich erschwert.
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Eine andere Beurteilung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Beklagte absichtlich einen Ballwurf auf den nicht am Spiel beteiligten Kläger provoziert hätte. Gerade dies steht indes nicht fest.
30
Die Klage war daher abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.