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AG München, Endurteil v. 15.10.2024 – 432 C 20976/23
Titel:

Klagezulässigkeit, Kündigungsgrund, Zahlungsverzug, Beweiswürdigung, Räumungsanspruch, Räumungsfrist, Gerichtszuständigkeit

Schlagworte:
Klagezulässigkeit, Kündigungsgrund, Zahlungsverzug, Beweiswürdigung, Räumungsanspruch, Räumungsfrist, Gerichtszuständigkeit
Rechtsmittelinstanz:
LG München I, Endurteil vom 06.08.2025 – 14 S 13520/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 50800

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt, den Wohnraum in der … M., Erdgeschoss, bestehend aus drei Zimmern, einer Küche, einer Kammer, einem Bad/WC, und einem Keller zu räumen und an die Kläger als Mitgläubiger herauszugeben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung der Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000 € abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
4. Dem Beklagten wird keine Räumungsfrist gewährt.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.658,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Kläger begehren vom Beklagten die Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung aufgrund einer Zahlungsverzugskündigung.
2
Ursprünglich wurde zwischen dem Beklagten und den Eigentümern des Grundstücks … M., der Eigentümergemeinschaft L. , ein Wohnraummietverhältnis ab dem 01.04.2010 über die streitgegenständliche Wohnung begründet. Der Kläger zu 4) hat das Grundstück … im Jahr 2017 als Alleineigentümer von der Eigentümergemeinschaft erworben. Am 09.09.2022 haben die Kläger einen notariell beurkundeten Übertragungsvertrag geschlossen, wonach das Eigentum an dem Grundstück … zu jeweils 1/6 an … übergeht. Diese wurden dementsprechend am 27.10.2022 als Miteigentümer in das Grundbuch eingetragen. Die Kläger richteten ein Gemeinschaftskonto bei der VR-Bank … mit der IBAN … ein, damit die Mietzahlungen aller Mieter des streitgegenständlichen Hauses an alle Miteigentümer als Mitgläubiger zugleich erfolgen können. Der monatliche Mietzins für den Zeitraum April, Mai, Juni und Juli 2023 in Höhe von jeweils EUR 471,50 wurde seitens des Beklagten nicht auf das Gemeinschaftskonto bezahlt, sondern auf das Konto des ursprünglichen Alleineigentümers des Anwesens, dem Kläger zu 4). Der Beklagte wurde durch eine E-Mail vom 05.06.2023 durch die bevollmächtigte Angestellte des Klägers zu 4), Frau …l, auf die Änderung des Empfängerkontos hingewiesen und wurde zur Zahlung der Miete auf das neue Konto aufgefordert. Hinsichtlich der ausstehenden Mieten für den Zeitraum April bis Juli 2023 haben die Kläger das Mietverhältnis mit Schreiben vom 04.08.2023 außerordentlich sowie hilfsweise ordentlich gekündigt. Dieses Schreiben wurde dem Beklagten in zweifacher Fassung sowohl per Einschreiben am 05.08.2023 als auch durch Einwurf in den Briefkasten am 04.08.2023 zugestellt. Zudem haben die Kläger mit Schreiben vom 14.08.2023 nochmals den Beklagten zur Begleichung der Mietrückstände bis zum 25.08.2023 aufgefordert. Dieses Schreiben ist dem Beklagten unterschrieben in zweifacher Fassung sowohl per Einschreiben am 16.08.2023 als auch durch Einwurf in den Briefkasten am 15.08.2023 zugegangen. Die Kläger haben das Mietverhältnis mangels Zahlung der streitgegenständlichen Mietrückstände erneut mit Schreiben vom 29.08.2023 außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt. Dieses Schreiben ist dem Beklagten am 31.08.2024 zugegangen. Seit dem August 2023 bezahlt der Beklagte die Miete auf das obige Gemeinschaftskonto, wobei die Zahlung für den Monat August 2023 am 03.08.2023 dem Gemeinschaftskonto gutgeschrieben wurde.
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Die Kläger behaupten, dass mit gemeinsamem Schreiben vom 27.02.2023 alle Mieter des streitgegenständlichen Anwesens über das neu eingerichtete Gemeinschaftskonto der Kläger informiert worden seien und diese gleichzeitig darauf hingewiesen worden wären, dass die Entrichtung der Miete ab dem 01.04.2023 ausschließlich auf das dort genannte Gemeinschaftskonto zu erfolgen habe. Das Schreiben vom 27.02.2023 sei dem Beklagten durch den Zeugen … zugestellt worden. Zudem habe der Kläger zu 4) mit Schreiben vom 15.06.2023 an den Mieterverein M. ebenfalls auf die ausgebliebenen Mietzahlungen des Beklagten nach der Eigentümeränderung hingewiesen und zur Zahlung aufgefordert. Der Mieterverein M. vertrete den Beklagten in allen Mietangelegenheiten außergerichtlich und sei für diesbezügliche Schreiben empfangsbevollmächtigt. Das Schreiben sei dem Mieterverein am 19.06.2023 zugegangen.
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Die Kläger meinen, dass das Mietverhältnis durch eine der ausgesprochenen Kündigungen beendet worden sei.
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Die Parteien beantragten zuletzt:
Die Kläger:
1. Der Beklagte wird verurteilt, den Wohnraum in der … M., Erdgeschoss, bestehend aus drei Zimmern, einer Küche, einer Kammer, einem Bad/WC, und einem Keller zu räumen und an die Kläger als Mitgläubiger herauszugeben.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Beklagte:
Die Klage wird abgewiesen.
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Der Beklagte behauptet, dass er das Schreiben der Kläger vom 27.02.2023 nicht erhalten habe. Ein solches Schreiben habe er in seiner Wohnung nicht finden können. Die E-Mail vom 05.06.2023 habe er erst eine Woche vor der Überweisung der Augustmiete 2023 gelesen.
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Der Beklagte meint, dass der Kläger zu 4) die an ihn überwiesenen Mieten für den Zeitraum April bis Juli 2023 einfach auf das Gemeinschaftskonto hätte überweisen müssen. Zudem liege kein wichtiger Grund oder ein berechtigtes Interesse für eine Kündigung vor, da dem Vermieter durch Zahlung der Mieten auf das alte Konto des ehemaligen Vermieters kein Schaden entstanden sei. Ebenfalls sei eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen.
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Das Gericht hat am 07.05.2024 und am 20.09.2024 mündlich zur Güte und anschließend zur Sache verhandelt. Am 20.09.2024 hat das Gericht den Zeugen uneidlich vernommen. Zur Vervollständigung des Tatbestandes wird vollumfänglich auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 07.05.2024 und vom 20.09.2024 sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze einschließlich der Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif. Ein Anlass zur Wiedereröffnung der Verhandlung bestand nicht, § 156 ZPO.
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Die Klage ist zulässig und begründet.
A. Zulässigkeit der Klage
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht München sachlich und örtlich zuständig, weil die Streitigkeit einem Mietverhältnis über eine in M. gelegene Wohnung entspringt, §§ 29a Abs. 1 ZPO, 23 Nr. 2a GVG.
B. Begründetheit der Klage
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Die Klage ist begründet. Die Kläger haben gegen den Beklagten einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gem. § 546 Abs. 1, 985 BGB, da die Kündigung vom 04.08.2023 das Mietverhältnis fristlos beendet hat.
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I) Die Kündigung vom 04.08.2023 hat das Mietverhältnis fristlos beendet, weil sie formell und materiell wirksam ist.
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1) Zwischen den Parteien bestand ein wirksamer Wohnraummietvertrag.
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2) Die Kündigung vom 04.08.2023 wahrt die gemäß § 568 Abs. 1 BGB erforderliche Schriftform und lässt den Kündigungsgrund hinreichend erkennen.
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3) Die Kündigung vom 04.08.2023 ging dem Beklagten unstrittig zu.
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4) Den Klägern stand auch materiell ein erforderlicher Kündigungsgrund in Form des Zahlungsverzugs zur Seite, der die Kläger zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigt hat gem. § 543 Abs. 2 Nr. 3a und 3b BGB.
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a) Unstreitig wurden die Mieten für den Zeitraum April, Mai, Juni und Juli 2023 in Höhe von jeweils EUR 471,50 nicht auf das neu eingerichtete Gemeinschaftskonto der Kläger, sondern auf das Konto des ursprünglichen Alleineigentümers des Anwesens, dem Kläger zu 4) bezahlt.
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b) Soweit der Beklagte bestritten hat, dass ihm das Schreiben der Kläger vom 27.02.2023, in dem diese den Beklagten über das neu eingerichtete Gemeinschaftskonto informiert haben, zugegangen sei, so konnten die Kläger den Zugang dieses Schreibens zur Überzeugung des Gerichts durch den Zeugen … nachweisen.
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Hierbei hat das Gericht folgendes beachtet:
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Für die Überzeugungsbildung des Gerichts nach erfolgter Zeugeneinvernahme gelten gemäß § 286 ZPO die folgenden Grundsätze: Eine Tatsache ist erst dann zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, wenn das Gericht von der Wahrheit der jeweiligen bestrittenen Tatsache überzeugt ist. Ein bloßes Glauben, Wähnen, Fürwahrscheinlichhalten berechtigen den Richter hingegen nicht zur Bejahung eines streitigen Tatsachenvortrags, wobei objektive Wahrscheinlichkeitserwägungen allenfalls Grundlage und Hilfsmittel für die Überzeugungsbildung des Richters sein können. Zwingend hinzukommen muss die subjektive persönliche Entscheidung des Richters, ob er die strittige Tatsachenbehauptung als wahr erachtet hat (BGH NJW 2014, 71; Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 286 Rn. 18). Andererseits ist mehr als eine subjektive Überzeugung des Richters zum Beweis einer strittigen Tatsachenbehauptung auch nicht erforderlich. Absolute Gewissheit zu verlangen, hieße die Grenze menschlicher Erkenntnisfähigkeit zu ignorieren. Dass die Sachverhaltsfeststellung durch das Abstellen auf ein persönliches Überzeugtseins mit subjektiven Einflüssen belastet wird, ist im Bereich menschlichen Richtens zwangsläufig und unvermeidbar. Der Richter muss sich mit einer persönlichen Gewissheit begnügen, das ist eine Gewissheit, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 256 = NJW 1970, 946; BGH NJW 2014, 71; Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 286 Rn. 19).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Gericht aufgrund der Angaben des Zeugen … davon überzeugt, dass dieser das Schreiben vom 27.02.2023 dem Beklagten zugestellt hat durch Einwurf in den Briefkasten.
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Der Zeuge gab dies nachvollziehbar und glaubhaft im Rahmen der Vernehmung vom 20.09.2024 an. Insbesondere schilderte dieser nachvollziehbar, dass er des Öfteren mit Zustellungen von Schreiben der Kläger an die Adresse … in M. beauftragt wird, da er selbst im benachbarten Anwesen der … in M. wohnhaft ist.
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Das Gericht berücksichtigte bei seiner Beweiswürdigung ebenfalls, dass der Zeuge mit den Klägern familiär verbunden ist. Dennoch war das Gericht von den Angaben des Zeugen überzeugt.
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c) Die Einlassung des Beklagten in dem Verfahren war dagegen von Widersprüchen geprägt, so dass dessen Bestreiten des Zugangs des klägerischen Schreibens auch in diesem Lichte zu werten war.
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Zunächst wurde seitens des Beklagten im Termin vom 07.05.2024 vorgetragen, dass er von dem neuen Gemeinschaftskonto erst durch ein Schreiben der Kläger vom 04.08.2023 Kenntnis erlangt hätte. Dieser Vortrag passt jedoch nicht zu dem Umstand, dass die Miete für den Monat August 2023 bereits unstreitig am 03.08.2023 dem streitgegenständlichen Gemeinschaftskonto gutgeschrieben wurde. Soweit hinsichtlich des Termins vom 07.05.2024 seitens des Beklagten vorgetragen wurde, dass der Beklagte an diesem Tag in schlechter psychischer und physischer Verfassung gewesen sei, so deckt sich dies nicht mit dem Eindruck des Gerichts. Der Beklagte konnte der Verhandlung folgen und gab auf Nachfragen des Gerichts adäquate Antworten.
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Das darauf basierende angepasste Vorbringen des Beklagten, dass er von dem neuen Gemeinschaftskonto durch die streitgegenständliche E-Mail vom 05.06.2023 erfahren habe, die er ca. 1 Woche vor der Überweisung der Augustmiete 2023 gelesen habe, widerspricht wiederum den eigenen Angaben des Beklagten aus dem Schriftsatz vom 31.01.2024, wobei hierin vorgetragen wurde, dass der Beklagte diese E-Mail nicht gelesen hätte und es nicht nachvollziehbar sei, ob die E-Mail an die falsche Email-Adresse gesendet oder im Spam-Ordner gelandet worden sei.
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d) Aufgrund des Nachweises des Zugangs des Schreibens vom 27.02.2023 ausreichend vor dem April 2023 konnte ab diesem Zeitpunkt nur noch schuldbefreiend auf das das Gemeinschaftskonto seitens des Beklagten geleistet werden. Insbesondere ist auch nicht ersichtlich, dass die Kläger zu 1) – 3) Zugriff auf das Konto des Klägers zu 4) gehabt hätten.
29
e) Eine Verpflichtung des Klägers zu 4), die eingegangen Mieten dem Gemeinschaftskonto weiterzuleiten besteht nicht. Insoweit ist die Zahlung der Mieten auf das „alte Konto“ für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes irrelevant.
30
f) Aufgrund der fehlenden Zahlung der Mieten für den Zeitraum April 2023 bis Juli 2023 liegt ein Kündigungsgrund gem. § 543 Abs. Abs. 2 Nr. 3a und 3b BGB vor.
31
g) Eine Abmahnung ist diesbezüglich nicht erforderlich gem. § 543 Abs. 3 Nr. 3 BGB.
32
II) Aufgrund der Wirksamkeit der Kündigung vom 04.08.2023 musste das Gericht nicht mehr über die Wirksamkeit der Kündigung vom 29.08.2023 entscheiden.
C. Kosten, vorläufige Vollstreckbarkeit und Streitwert
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 7, 711 S.1, S.2 und 709 S.2 ZPO. Die Höhe der Sicherheitsleistung orientiert sich an dem geschätzten Räumungs- und Vollstreckungsschaden.
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Der Streitwert folgt aus § 41 Abs. 1, Abs. 2 GKG.
D. Räumungsfrist
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Dem Beklagten konnte vorliegend keine Räumungsfrist gewährt werden.
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Die Räumungsfrist bestimmt sich nach einer Ermessensentscheidung durch das Gericht.
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Grundsätzlich sind hierbei die Interessen des Mieters und Vermieters gegeneinander abzuwägen, wobei auch die persönlichen Verhältnisse der Betroffenen zu beachten sind. Dem Interesse des Beklagten, eine adäquate Ersatzwohnung zu finden, steht das Erlangungsinteresse der Kläger gegenüber.
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Bei Zahlungsverzug ist in der Regel keine Räumungsfrist möglich (Zöller-Seibel, 34. Auflage, § 721 Rn. 6). Eine Interessenabwägung ergibt im konkreten Fall, dass die Interessen der Kläger angesichts des Zahlungsverzuges in Höhe von 4 Monatsmieten die Interessen des Beklagten überwiegen. Zudem hat der Beklagte keine Gründe vorgetragen, welche eine Räumungsfrist rechtfertigen würden.