Titel:
Aberkennung eines Freibetrags für weichende Erben
Normenketten:
EStG § 6 Abs. 3, § 14a Abs. 4
BGB § 2049, § 2312
AO § 118, § 157, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
EStDV § 7 Abs. 1
FGO § 100 Abs. 1
Leitsatz:
Wegen der nachträglichen Sachverhaltsänderungen wie die Betriebsaufgabe und spätere Übertragung der Hofstelle an den weichenden Erben als ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO entschied das Finanzgericht Nürnberg, dass die rückwirkende Aberkennung des Freibetrags für weichende Erben nach § 14a Abs. 4 EStG in den Einkommensteuerbescheiden 2002 und 2003 rechtmäßig war. (Rn. 36 – 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abfindung weichender Erben, Aberkennung, Betriebsaufgabeerklärung, Einkommensteuerbescheid, Gesetzesvorbehalt, Freibetrag, Grund und Boden, Grundstücksveräußerung, Hoferbfolge, Hofstelle, Grundstücksübertragung, Lebensunterhalt, Steuerberatungsgesellschaft
Rechtsmittelinstanz:
BFH München vom -- – VI R 11/25
Fundstelle:
BeckRS 2024, 50329
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Tatbestand
1
Streitig ist, ob das Finanzamt die Einkommensteuerfestsetzungen 2002 und 2003 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO – unter Aberkennung des Freibetrags für weichende Erben nach § 14 a Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) – ändern konnte.
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Die Kläger sind Ehegatten und wurden für die Streitjahre 2002 und 2003 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
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Mit notariellem Übergabevertrag vom 24.01.2002 war dem Kläger zu 1) von seiner Mutter deren gesamter land- und forstwirtschaftlicher Betrieb mit einer Fläche von 4,3279 ha übertragen worden. Der Besitz ist am 01.01.2002 auf den Kläger zu 1) übergegangen. Im Vertrag war vereinbart, dass der Übernehmer den landwirtschaftlichen Betrieb „zum Vorbehaltsgut der Gütergemeinschaft erhält“.
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Am 03.06.2003 überließ der Kläger zu 1) an seinen Sohn, S, eine Teilfläche von ca. 1.000 qm aus dem im Grundbuch des Amtsgerichts A für Ort 1, Blatt 1, eingetragenen Grundstück mit der Flurnummer 1 aus dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb und machte dafür den Freibetrag für weichende Erben gemäß § 14a Abs. 4 EStG geltend. Mit Auflassung vom 09.02.2004 und Eintragung vom 17.02.2004 wurde das (neue) Flurstück Ort 1 Flurnummer 1/2, Adresse 1, auf Herrn S übertragen. Bei diesem Grundstück handelte es sich nicht um die Hofstelle, sondern um eine ursprünglich einfache Landwirtschaftsfläche, die später bebaut wurde. In den Einkommensteuerbescheiden für 2002 und 2003 jeweils vom 07.11.2008 wurde den Klägern ein Freibetrag gemäß § 14a Abs. 4 EStG in Höhe von je 30.900 € bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft gewährt.
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Der gesamte Betrieb wurde ab dem 01.01.2006 verpachtet. Die Einkünfte aus Verpachtung betrugen in den Jahren 2007 bis 2010 450 € jährlich, in 2011 900 € und in 2012 600 €. Im Jahr 2013 wurden 300 € Pachteinnahmen als Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft sowie 600 € als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unbebauter Grundstücke erklärt. Seit 2014 werden jährlich 350 € als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erklärt.
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Mit Schreiben vom 01.12.2013 erklärte der Kläger zu 1) die Betriebsaufgabe des landwirtschaftlichen Betriebs für September 2013. In der Erklärung führte er aus, er habe die landwirtschaftlichen Nutzflächen seit einigen Jahren verpachtet und die Bewirtschaftung des Betriebs eingestellt.
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Im Rahmen einer beim Kläger zu 1) durchgeführten Außenprüfung zur Ermittlung des Betriebsaufgabegewinns kam der Prüfer zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für den im Wirtschaftsjahr 2002/2003 für die Entnahme des Teilgrundstücks Flurnummer 1 gemäß § 14a Abs. 4 EStG in Anspruch genommenen Freibetrags von jeweils 30.900 € in 2002 und 2003 rückwirkend entfallen seien, da infolge der Betriebsaufgabe im Jahr 2013 der landwirtschaftliche Betrieb nicht bestehen geblieben sei. Gemäß Einkommensteuerrichtlinie 2005 H 14a sei § 14a Abs. 4 EStG nicht anwendbar, wenn der land- und forstwirtschaftliche Betrieb nicht übergeben oder vererbt, sondern aufgegeben oder veräußert werde.
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Mit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheiden für 2002 und 2003 vom 11.12.2017 wurden die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft jeweils um 30.900 € erhöht.
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Hiergegen legten die Kläger Einsprüche ein und wandten sich gegen die Aberkennung des Freibetrags für weichende Erben. Zur Begründung wurde auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zum Freibetrag nach § 14 a Abs. 4 EStG verwiesen – unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 06.11.2008, Az. IV R 6/06 und Az. IV R 7/09 und vom 05.05.2011, Az. IV R 7/09, wonach bei Anwendung der Änderungsbefugnis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorrangig zu prüfen sei, ob der Freibetrag nach § 14 a Abs. 4 EStG damals zutreffend gewährt worden sei. Sei dies nicht der Fall, weil der verbleibende land- und forstwirtschaftliche Betrieb nach Abfindung der weichenden Erben in der Hand des Betriebsnachfolgers kein „Landgut“ mehr im Sinne des § 2312 BGB bilde, sei § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO keine taugliche Rechtsgrundlage für eine Korrektur des ursprünglich fehlerhaften Bescheides. Der Bundesfinanzhof mache in den vorgenannten Urteilen die Gewährung des Freibetrages davon abhängig, dass ein Hof vorliege und dieser nach Abfindung des weichenden Erben an den möglichen Hofnachfolger übertragen werden könne. Der Betrieb müsse für den Hoferben eine selbständige Nahrungsquelle im Sinne der Sicherung des allgemeinen Lebensunterhaltes darstellen können, bei Nebenbetrieben müsse der Betrieb jedenfalls einen wesentlichen Teil zum Lebensunterhalt des Hoferben beitragen. Ließen sich mit einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb auf Grund seiner tatsächlichen Betriebsstruktur indes keine oder nur geringe steuerliche Erträge erzielen, erfülle dieser Betrieb nicht (mehr) die Voraussetzungen eines Hofes im Sinne des § 14 a Abs. 4 EStG.
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Im Streitfall habe der landwirtschaftliche Betrieb bereits zum Zeitpunkt der Übertragung an den weichenden Erben nur eine Fläche von 4,33 ha landwirtschaftliche und 0,35 ha forstwirtschaftliche Nutzfläche gehabt. Der steuerliche Gewinn nach § 13 a EStG habe 1.548 € betragen. Die heutigen Pachteinkünfte aus den Flächen seien mit etwa 350 € pro Jahr noch weit unter diesem Betrag. Die Haupteinkünfte erziele der Kläger aus seinem Metallunternehmen. Die landwirtschaftlichen Einkünfte hätten keine nennenswerte Einkunftsquelle mehr dargestellt, die zur Existenzsicherung des Eigentümers bzw. eines möglichen Hoferben hätte beitragen können. Aufgrund der geringen laufenden Einkünfte aus der Landwirtschaft habe bereits damals kein „Landgut“ bestanden und somit auch kein „Hof“ im Sinne des § 14 a Abs. 4 EStG und bestehe auch heute keines mehr. Die Voraussetzungen für Gewährung des Freibetrags in den Jahren 2002 und 2003 hätten damals schon nicht vorgelegen, weshalb eine Korrektur der rechtswidrigen Bescheide vom 07.11.2008 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht möglich gewesen sei.
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Nach den Ermittlungen des Finanzamtes wurden ein erheblicher Teil der Landwirtschaftsflächen in eine Baulandumlegung einbezogen und dem Kläger zu 1) im Gegenzug Bauplätze zugeteilt. Weiterhin wurde festgestellt, dass zwischenzeitlich die Grundstücke, auf denen sich der Hof und die Wirtschaftsgebäude befunden haben sowie ein Teil der weiteren landwirtschaftlichen Grundstücke an den „abgefundenen Erben“, S, übertragen wurden.
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Die Einspruchsverfahren verliefen erfolglos und wurden mit Einspruchsentscheidung vom 08.12.2022 als unbegründet zurückgewiesen.
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Zur Begründung verwies das Finanzamt darauf, dass der Freibetrag in Höhe von 61.800 € gemäß § 14a Abs. 4 Satz 1 EStG gewährt werde, wenn der Steuerpflichtige nach dem 31. Dezember 1979 und vor dem 1. Januar 2006 Teile des zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Bodens veräußere oder entnehme und den Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten oder den entnommenen Grund und Boden innerhalb von 12 Monaten nach der Veräußerung oder Entnahme in sachlichem Zusammenhang mit der Hoferbfolge oder Hofübernahme zur Abfindung weichender Erben verwende und ferner die unter § 14a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 EStG näher bezeichneten Einkommensgrenzen nicht überschritten würden. Der Freibetrag nach Absatz 4 dieser Vorschrift werde nur für die Veräußerung oder Entnahme einzelner Grundstücke gewährt und setze demnach den Fortbestand des landwirtschaftlichen Betriebs voraus und sei daher nicht zu gewähren, wenn die Grundstücksveräußerung oder -entnahme im Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe oder Betriebsveräußerung erfolge. Die Gewährung des Freibetrags vor dem Eintritt der Hoferbfolge stehe allerdings unter dem Gesetzesvorbehalt, dass der Begünstigte (= weichende Erbe) nicht doch noch den Betrieb übernehme und dass der Betrieb später tatsächlich durch Hoferbfolge oder Hofübergabe übertragen werde. Der Freibetrag sei deshalb rückwirkend zu versagen, wenn der Betrieb vorher verkauft oder endgültig aufgegeben werde. Der Gesetzesvorbehalt werde verfahrensmäßig durch die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO realisiert (unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 04.03.1993 IV R 110/92, BStBl II 1993, 788).
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Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes habe sich zu der Frage, wann von einem Fortbestand eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs auszugehen sei, zwischen dem Erlass der Erstbescheide im Jahr 2008 und der Änderungsbescheide im Jahr 2017 geändert. Während die ältere Rechtsprechung für den Fortbestand eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs weniger auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betriebs abgestellt habe, sondern auf den Fortbestand der steuerlichen Verhaftung der einzelnen noch vorhandenen Wirtschaftsgüter im Betriebsvermögen (unter Verweis auf die BFH-Urteile vom 12.11.1992 IV R 41/91, BStBl II 1993, 430; und vom 24.11.1994 IV R 53/94, BFH/NV 1995, 592), stelle die neuere Rechtsprechung dagegen bei der Frage des Fortbestandes eines Hofes auf die im Zivilrecht einschlägigen Regelungen, insbesondere die §§ 2049 und 2312 BGB ab (unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 06.11.2008 IV R 6/06, BFH/NV 2009, 763).
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Auf Grundlage der älteren Rechtsprechung sei im Regelfall von einem bestehenden Betrieb im Sinne des § 14 a Abs. 4 EStG noch auszugehen gewesen, wenn der Hof im Zeitpunkt der Übergabe an seinen Nachfolger mindestens 10% der nach Abfindung des weichenden Erben verbleibenden Nutzfläche und die Nutzfläche noch mindestens 3.000 qm umfasst habe. Der Bundesfinanzhof habe eine Betriebsaufgabe ohne eindeutige Entnahmehandlung auch dann verneint, wenn die nach einer Verkleinerung des Betriebs noch vorhandenen Flächen für die ertragreiche Bewirtschaftung nicht mehr ausreichten und/oder sich der Betrieb zu einem Liebhabereibetrieb gewandelt habe.
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Die nach neuerer Rechtsprechung vorzunehmende zivilrechtliche Auslegung orientiere sich maßgeblich am Normzweck, der Zersplitterung leistungsfähiger Höfe im öffentlichen Interesse entgegenzuwirken. Die erhebliche Besserstellung des übernehmenden Erben gegenüber den weichenden Erben sei allerdings nur insoweit gerechtfertigt, als der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines leistungsfähigen landwirtschaftlichen Betriebs in der Hand einer der vom Gesetz begünstigten Personen erreicht werden könne. Insoweit setze demnach das Vorliegen eines Hofes im Sinne des § 14a Abs. 4 EStG voraus, dass dieser bis zum Eintritt der Hoferbfolge noch als leistungsfähiger und Ertrag bringender Betrieb fortexistiere.
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Nach neuerer Rechtsprechung sei das Vorliegen eines leistungsfähigen und Ertrag bringenden Betriebs im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Freibetrags für weichende Erben im vorliegenden Streitfall zweifelhaft. Mangels ausreichender Leistungsfähigkeit des Betriebs hätte nach den Grundsätzen der neueren BFH-Rechtsprechung u.U. ein Freibetrag für weichende Erben nicht gewährt werden dürfen. Nach dem auf das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 05.05.2011 (IV 7/09, BFH/NV 2011, 2007) gestütztem Vorbringen der Kläger sei die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO demnach nicht anwendbar, weil sich zwar nachträglich ein zu beurteilender Sachverhalt geändert habe (Aufgabe des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs in 2013), dies aber mangels Rechtserheblichkeit keine Änderung der schon bestandskräftig getroffenen Regelung auslöse.
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Diese Argumentation greife vorliegend jedoch nicht durch. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintrete, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit habe (rückwirkendes Ereignis). Das nachträglich – d.h. nach Erlass des aufzuhebenden oder zu ändernden Bescheides – eingetretene Ereignis müsse den Sachverhalt verändern und dabei derart in die Vergangenheit zurückwirken, dass ein Bedürfnis bestehe, eine schon endgültige (bestandskräftig getroffene) Regelung im Sinne der §§ 118, 157 AO an die Sachverhaltsänderung anzupassen. Die Änderung müsse sich steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen sei. Ob diese Voraussetzung vorliege, entscheide sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz.
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Bei der Prüfung der Rechtserheblichkeit komme es auf die maßgebliche steuerrechtliche Behandlung zum Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Bescheides, d.h. zum Zeitpunkt der Willensbildung des Finanzamtes über die Steuerfestsetzung, nämlich der Zeichnung der Verfügung oder der Eingabe des Bescheides, an. Spätere Bundesfinanzhof-Entscheidungen oder Verwaltungsanweisungen dürften nicht herangezogen werden, auch wenn dadurch die seinerzeit gefestigte Rechtsprechung aufgegeben werde.
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Die ursprünglichen Bescheide (Gewährung des Freibetrags für weichende Erben) seien am 07.11.2008 ergangen, Rechentermin sei der 30.10.2008 gewesen. Die Willensbildung des damaligen Bearbeiters sei spätestens mit dem Rechentermin abgeschlossen und nicht mehr änderbar gewesen. Die von den Klägern zitierten Urteile des Bundesfinanzhofes (IV R 6/06 und IV R 7/09) datierten vom 06.11.2008 und 05.05.2011 und seien daher für die Gewährung des Freibetrages nicht rechtserheblich. Die Finanzverwaltung habe zum damaligen Zeitpunkt an Größe, Umfang und Ertragskraft des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs keine größeren Anforderungen gestellt, so dass auch ertragsschwache Nebenerwerbsbetriebe und verpachtete Betriebe als begünstigt eingestuft worden seien. Als begünstigter lebensfähiger Betrieb sei nach Verwaltungsauffassung bereits ein Betrieb in der Größenordnung von mehr als 3.000 qm und einer nach Abfindung verbleibenden Nutzfläche von mindestens 10% angesehen worden. Dies sei im vorliegenden Fall unstreitig gegeben. Der Freibetrag sei daher im Jahr 2008 zu Recht gewährt worden. Die Urteile (IV R 6/06 und IV R 7/09), seien nie veröffentlicht worden. Sie hätten auch nichts an der Verwaltungsauffassung geändert. Sie seien weder bei Erlass des Erstbescheides noch heute verbindlich anwendbar. Die Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 seien rechtmäßig nach § 175 AO geändert worden.
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Bereits gewährte Freibeträge seien rückwirkend zu versagen, wenn die Voraussetzungen der Hoferbfolge oder der Hofübergabe nicht mehr eintreten könnten. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der weichende Erbe Hofnachfolger werde oder wenn der land- und forstwirtschaftliche Betrieb vor der Hoferbfolge oder Hofübergabe zerschlagen werde. Nach dem Gesamtbild der festgestellten Verhältnisse sei davon auszugehen, dass der ursprünglich vom Kläger zu 1) von seiner Mutter übernommene Hof zwischenzeitlich zerschlagen worden sei. Zudem seien die Grundstücke, auf denen sich die Hof- und Wirtschaftsgebäude befunden hätten, im Jahr 2022 auf den im Jahr 2003 „abgefundenen weichenden Erben“, Herrn S, übertragen worden. Auch dieser Umstand deute darauf hin, dass die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 14a Abs. 4 EStG für die Grundstücksübertragung im Jahr 2003 nachträglich entfallen seien.
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Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
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Im Zeitpunkt des Erlasses der Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 am 07.11.2008 habe es lediglich Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsanweisungen gegeben, wie die Begriffe „Hoferbfolge“ oder „Hofübergabe“ im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG auszulegen seien. Die Tatbestandsmerkmale seien steuerrechtlich ausgelegt und mit dem Begriff „Betrieb“ gleichgesetzt worden. Gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung habe es zu dieser Auslegung nicht gegeben. Soweit das Finanzamt zur Auslegung von § 14a Abs. 4 EStG auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 18.03.1999 (IV R 65/98) abstelle, könne diesem Ansatz nicht gefolgt werden, denn diese Entscheidung betreffe nur die Frage des einkommensteuerlichen Betriebsbegriffs gemäß § 14 EStG und sei nicht zu § 14a Abs. 4 EStG ergangen. Im Beschluss vom 30.12.2004 (IV B 57/04) habe der Bundesfinanzhof ernstliche Zweifel daran geäußert, ob bei einer Verkleinerung des Betriebs durch Entnahmen für Abfindungen an weichende Erben im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG die Buchwertfortführung im Sinne von § 7 Abs. 1 EStDV (nunmehr: § 6 Abs. 3 EStG) möglich sei. In beiden Entscheidungen sei es letztendlich um die Frage gegangen, ob eine Betriebszerschlagung im Sinne von § 14 EStG vorliege, wenn Grundstücke für die Anwendungen des § 14a EStG entnommen würden. Mit Urteil vom 06.11.2008 (IV R 6/06) habe der Bundesfinanzhof entschieden, dass eine Flächenverkleinerung unter Übertragung des Restbetriebs für Fälle bis 31.12.2005 auch unter die Buchwertfortführung falle, da § 14a Abs. 4 EStG die steuerfreie Entnahme von wesentlichen Flächen zulasse. Der Verweis des Finanzamts auf Rechtsprechung, welche Fragestellungen zu § 14 EStG zu klären versucht habe, um eine bestimmte Auslegung von § 14a EStG zu begründen, sei nicht möglich, sodass im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide im November 2008 keine gefestigte Rechtsprechung vorgelegen habe und die damalige Richtlinienfassung R 14a EStR 2005 unzutreffend gewesen sei. Die Auffassung der Finanzverwaltung sei zudem nicht mehr angepasst worden, da es sich um auslaufendes Recht gehandelt habe.
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Erst mit den Entscheidungen des Bundesfinanzhofes vom 06.11.2008 und 05.05.2011 sei normspezifisch zur Frage der Anwendung des § 14a EStG Stellung genommen und das Tatbestandsmerkmal „Hof“ abschließend definiert worden. Anzuknüpfen sei nach dieser Rechtsprechung an den zivilrechtlichen Begriff des „Landgutes“ im Sinne von § 2312 BGB, nachdem eine eigenständige Nahrungsquelle vorhanden sein müsse, die zur Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts diene. § 14 EStG und § 14a EStG würden unterschiedlichen Zielsetzungen dienen: Die Veräußerung oder Aufgabe von kleineren Betrieben, die auf Dauer keine ausreichende Existenzgrundlage für den Land- und Forstwirt böten, werde durch § 14a Abs. 1 bis 3 EStG erleichtert; daneben fördere § 14a Abs. 4 EStG den Übergang leistungsfähiger Betriebe auf die nächste Generation, in dem die Abfindung weichender Erben begünstigt werde.
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In Übereinstimmung mit dem Finanzamt sei davon auszugehen, dass der im Jahr 2002 übertragene Betrieb angesichts der geringen Erträge keine eigenständige Nahrungsquelle mehr dargestellt habe und deshalb den zivilrechtlichen Begriff des „Hofes“ im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG nicht erfüllt habe. Somit hätten aus heutiger Sicht fehlerhafte Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 am 07.11.2008 vorgelegen. Eine auf § 175 AO gestützte Änderungsmöglichkeit für diese Bescheide ergebe sich für das Finanzamt nicht, wenn sich lediglich die rechtliche Beurteilung im Nachhinein geändert habe, der Sachverhalt aber gleichgeblieben sei. Im vorliegenden Fall sei der Sachverhalt identisch geblieben, denn es sei zu einer Hofübergabe und zu einer späteren Betriebsaufgabe gekommen. Dass der Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG gewährt worden sei, stelle eine fehlerhafte rechtliche Würdigung dar, da im Zeitpunkt der Gewährung die Voraussetzungen hierfür nicht vorgelegen hätten. Eine Änderungsmöglichkeit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO habe der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 05.05.2011 abgelehnt, wenn feststehe, dass die Voraussetzungen für die Gewährung des Freibetrags zu keinem Zeitpunkt vorgelegen hätten. Eine Änderungsmöglichkeit nach § 175 AO setze voraus, dass der zunächst rechtmäßige Steuerbescheid nachträglich rechtswidrig geworden sei, so dass sich ein Korrekturbedarf ergebe.
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Der Bundesfinanzhof habe im Verfahren mit dem Az. IV R 07/09 zu einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, in dem der Freibetrag für weichende Erben nach § 14a EStG im Veranlagungszeitraum 1998/1999 geltend gemacht worden sei und das schädliche Ereignis der Betriebsaufgabe im Jahr 2002 stattgefunden habe. Der Bundesfinanzhof habe die Anwendbarkeit von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verneint, da die Voraussetzungen für die Gewährung des Freibetrags nach § 14a Abs. 4 EStG mangels Vorliegen eines „Hofes“ zu keinem Zeitpunkt vorgelegen hätten.
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Der Prozessbevollmächtigte beantragt, die Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 vom 11.12.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 08.12.2022 aufzuheben.
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Der Vertreter des Finanzamts beantragt, die Klage abzuweisen.
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Das Finanzamt hat im Klageverfahren ergänzend Folgendes ausgeführt:
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Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten habe es zur vorliegenden Thematik im Jahr 2008 höchstrichterliche Rechtsprechung gegeben, nach der für einen landwirtschaftlichen Betrieb weder eine Hofstelle noch eine Mindestgröße noch ein voller Besatz an landwirtschaftlichen Betriebsgebäuden und Betriebsmitteln erforderlich gewesen sei. Hierzu verweist das Finanzamt auf die Entscheidungen des Bundesfinanzhofes vom 18.03.1999 (IV R 65/98) und vom 30.12.2004 (IV B 57/04), wonach von einer Betriebszerschlagung selbst dann nicht auszugehen sei, wenn von einer ursprünglichen land- und forstwirtschaftlichen Betriebsfläche von rund 11 ha nur noch rund 1 ha bewirtschaftet würden. Demnach sei die Gewährung des Freibetrags gemäß § 14a Abs. 4 EStG auch dann noch in Betracht gekommen, wenn dem möglichen Hoferben nicht der überwiegende Teil der Nutzflächen verblieben sei. Aufgrund der damals vorliegenden Rechtsprechung stehe für das Finanzamt zweifelsfrei fest, dass der Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG nach damaliger Rechtslage zu Recht gewährt worden sei und somit keine rechtswidrigen Bescheide im Zeitpunkt des Erlasses im Jahr 2008 vorgelegen hätten. Entgegen der Auffassung der Klägerseite habe sich der Bundesfinanzhof in seinem Beschluss vom 30.12.2004 (IV B 57/04), als Kernfrage gerade mit der Anwendung des § 14a Abs. 4 EStG befasst und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass, egal ob durch Veräußerung von Nutzflächen oder durch Entnahmen für Abfindungen an weichende Erben im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG bedingt, eine starke Verringerung der verbleibenden Betriebsfläche nicht dazu führe, dass der Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG bereits deshalb nicht in Betracht komme.
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Soweit die Klägerseite auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofes im Verfahren IV R 07/09 abstelle und hieraus ableite, der Bundesfinanzhof habe über eine vergleichbare Konstellation bereits entschieden, werde übersehen, dass der Sachverhalt des Urteils zu dem hier vorliegenden Verfahren der Kläger in einem entscheidenden Punkt abweiche: Im Urteilsfall hätten die Kläger zwei Grundstücke, u.a. das Grundstück, auf dem sich die Hofstelle befand, auf ihren Sohn (der nicht Hoferbe sein sollte) übertragen. Hierfür sei der Freibetrag für weichende Erben nach § 14a EStG vom Finanzamt gewährt worden. Anders als einzelne Grundstücke war und sei jedoch die Hofstelle – sofern der Hof zunächst über eine solche verfügt habe – für das Vorliegen eines Hofes im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG unverzichtbares Merkmal. Aus diesem Grund habe der Bundesfinanzhof geurteilt, dass der Betrieb der Kläger spätestens mit der Übertragung der Hofstelle an den Sohn als weichenden Erben die Eigenschaft eines Hofes im Sinne von § 14 a Abs. 4 EStG verloren habe. Daher sei in diesem Fall bereits nach dem bei Grundstücksübertragung geltendem Recht der Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG zu Unrecht gewährt worden und somit im Ergebnis eine rückwirkende Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit der Versagung des damals gewährten Freibetrags nicht möglich.
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Der Fall der Kläger sei anders gelagert. Eine Übertragung der Hofstelle an den weichenden Erben, Herrn S, habe damals nicht stattgefunden. Beim landwirtschaftlichen Anwesen Ort 1, Adresse 2, Fl.Nr. 3, 0,0692 ha, habe sich die Hofstelle befunden. Dieses Grundstück sei zunächst beim Kläger verblieben und erst mit Änderung des Eigentümers in Herrn S aufgrund Auflassung vom 19.11.2021 und Eintragung vom 10.02.2022 übertragen worden. Aufgrund dieses wesentlichen Unterschieds im Sachverhalt könne das Urteil des Bundesfinanzhofes unter dem Az. IV R 7/09 nicht übertragen werden. Nach Aktenlage seien die Grundstücke, auf denen sich Hof und Wirtschaftsgebäude befanden, nicht an den möglichen Hoferben, sondern vielmehr im Jahr 2022 auf den im Jahr 2003 abgefundenen weichenden Erben, Herrn S, übertragen worden, so dass spätestens in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 14 a Abs. 4 EStG für die Grundstücksübertragung im Jahr 2003 nachträglich entfallen seien, selbst wenn zu einem früheren Zeitpunkt keine Zerschlagung des Betriebs stattgefunden haben sollte.
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Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, den Inhalt der Akten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 19.09.2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Die angefochtenen geänderten Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 vom 11.12.2017 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 vom 07.11.2008, in denen ein Freibetrag für weichende Erben in Höhe von jeweils 30.900 € berücksichtigt worden ist, konnte auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO gestützt werden.
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1. Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
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a) Für die Annahme eines rückwirkenden Ereignisses genügt nicht, dass das spätere Ereignis den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt anders gestaltet. Das nachträglich – d.h. nach Erlass des aufzuhebenden oder zu ändernden Bescheides – eingetretene Ereignis muss den Sachverhalt verändern und dabei derart in die Vergangenheit zurückwirken, dass ein Bedürfnis besteht, eine schon endgültige (bestandskräftig getroffene) Regelung im Sinne der §§ 118, 157 AO an die Sachverhaltsänderung anzupassen (vgl. BFH-Urteile vom 27.09.1988 VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225; vom 01.10.2003 X R 67/01, BFH/NV 2004, 154 und vom 05.05.2011 IV R 7/09, BFH/NV 2011, 2007). Die Änderung muss sich steuerrechtlich in der Weise auswirken, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist.
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Ob diese Voraussetzung vorliegt, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwenden den materiellen Steuergesetzen (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19.07.1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Es muss ein Bedürfnis bestehen, eine schon bestandskräftig getroffene Regelung an die nachträgliche Sachverhaltsänderung anzupassen (vgl. BFH-Urteil vom 20.8.2014 X R 33/12, BStBl II 2015, 138).
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b) Die nachträgliche Änderung eines Sachverhalts, der einem Steuerbescheid zu Grunde lag, stellt kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar, wenn der Steuerbescheid von vornherein rechtswidrig war und nicht erst durch die Sachverhaltsänderung in die Rechtswidrigkeit hineingewachsen ist (vgl. BFH-Urteil vom 05.05.2011 IV R 7/09, BFH/NV 2011, 2007). Der veränderte Sachverhalt muss nach den materiellen Steuergesetzen für die steuerrechtliche Beurteilung rechtserheblich sein.
40
c) Bei der Prüfung der Rechtserheblichkeit kommt es nach Ansicht des Senates auf die maßgebliche steuerrechtliche Behandlung zum Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Bescheides, d.h. zum Zeitpunkt der abschließenden Willensbildung des Finanzamtes über die Steuerfestsetzung, an, nämlich der Zeichnung der Verfügung oder der Eingabe des Bescheides. Spätere Bundesfinanzhof-Entscheidungen oder Verwaltungsanweisungen dürfen nicht herangezogen werden, auch wenn dadurch die seinerzeit gefestigte Rechtsprechung aufgegeben wird (vgl. BFH-Urteile vom 15.01.1991 IX R 238/87, BStBl II 1991, 741 und vom 17.02.1988 VII R 49/85, BFH/NV 1988, 482). Vielmehr ist für die steuerrechtliche Beurteilung des ursprünglichen Sachverhalts die Rechtslage entscheidend, wie sie sich im Einzelfall aufgrund des Gesetzes, wie es nach der damaligen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ausgelegt wurde und den die Finanzämter bindenden Verwaltungsanweisungen, die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das Finanzamt gegolten haben, ergeben hat. Diese zu § 173 AO ergangene Rechtsprechung ist auch bei Prüfung der Rechtserheblichkeit im Rahmen des § 175 AO anzuwenden (vgl. BFH-Urteil vom 26.07.2012 III R 72/10, BStBl II 2013, 670).
41
2. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist das Finanzamt im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass mit Betriebsaufgabeerklärung vom 01.12.2013 nach zuvor erfolgter Herausnahme von über einem Hektar landwirtschaftlicher Fläche im Rahmen von Baulandausweisung und Absinken der Ertragskraft des ehemaligen Betriebs von jährlich 1.548 € auf 350 € jährliche Pachteinnahmen, spätestens jedoch mit der Übertragung der Grundstücke, auf denen sich Hof- und Wirtschaftsgebäude befanden, im Jahr 2022 auf den weichenden Erben, Herrn S, ein rückwirkendes Ereignis vorliegt. Sowohl die Zerschlagung und Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebs zum September 2013 als auch der Erwerb der ehemaligen Hofstelle durch den weichenden Erben im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG stellt im Streitfall ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz1 Nr. 2 AO dar, das zum nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG führt, da der in den Einkommensteuerbescheiden vom 07.11.2008 gewährte Freibetrag zur Überzeugung des Senates nach der damaligen, zu § 14a Abs. 4 EStG ergangenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, vom Finanzamt zu Recht gewährt wurde. Die durch die Zerschlagung und Betriebsaufgabeerklärung als auch die durch den Erwerb der ehemaligen Hofstelle durch den weichenden Erben eingetretenen Änderungen des Sachverhaltes sind demnach rechtserheblich.
42
a) Veräußert oder entnimmt ein Steuerpflichtiger nach dem 31. Dezember 1979 und vor dem 1. Januar 2006 Teile des zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Bodens, so wird der bei einer Veräußerung oder Entnahme entstehende Gewinn auf Antrag nur insoweit zur Einkommensteuer herangezogen, als er den Betrag von 61.800 € übersteigt (§ 14a Abs. 4 Satz 1 EStG). Dies gilt nach § 14a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 EStG allerdings nur, wenn der Steuerpflichtige den Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten oder den entnommenen Grund und Boden innerhalb von 12 Monaten nach der Veräußerung oder Entnahme in sachlichem Zusammenhang mit der Hoferbfolge oder Hofübernahme zur Abfindung weichender Erben verwendet und ferner die unter § 14a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 EStG näher bezeichneten Einkommensgrenzen nicht überschritten werden.
43
Anders als die Freibetragsregelung in § 14a Abs. 1 bis 3 EStG, die die Veräußerung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs im Ganzen begünstigt, wird der Freibetrag gemäß § 14a Abs. 4 EStG nur für die Veräußerung oder Entnahme einzelner Grundstücke gewährt. Dementsprechend setzt der Freibetrag gemäß § 14a Abs. 4 EStG den Fortbestand des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs voraus. Der Freibetrag ist daher nicht zu gewähren, wenn die Grundstücksveräußerung oder -entnahme im Zusammenhang mit einer Betriebsaufgabe oder Betriebsveräußerung erfolgt (vgl. BFH-Urteil vom 06.11.2008 IV R 6/06, BFH/NV 2009, 763).
44
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes setzt diese Steuerbegünstigung lediglich voraus, dass die Veräußerung oder Entnahme in einem sachlichen Zusammenhang mit der Hoferbfolge oder Hofübergabe erfolgen muss; eine zeitliche Begrenzung ist nicht erforderlich (vgl. BFH-Urteile vom 04.03.1993 IV R 110/92, BFHE 171, 381, BStBl II 993, 788, und vom 28.07.1994 IV R 56/93, BFH/NV 1995, 110, m.w.N.). Das Gesetz macht die Begünstigung zudem davon abhängig, dass es sich um die Abfindung eines weichenden Erben handelt.
45
Ob ein sachlicher Zusammenhang mit der Hoferbfolge oder Hofübergabe besteht und ob die Veräußerung und Entnahme zur Abfindung eines weichenden Erben verwendet wird, kann, soweit die Erbfolge noch nicht eingetreten ist, nur aus Indizien gefolgert werden. Grundsätzlich ist es nicht erforderlich, dass der künftige Hoferbe oder Übernehmer feststeht. Es reicht aus, wenn alle Beteiligten davon ausgehen, dass der zu den gesetzlichen Erben gehörende Zuwendungsempfänger den Betrieb nicht übernehmen wird und sich die Zuwendung auf seine Abfindungsansprüche aus der Hoferbfolge oder Hofübertragung anrechnen lassen muss (vgl. BFH-Urteil vom 28.07.1994 IV R 56/93, BFH/NV 1995, 110).
46
b) Die Gewährung des Freibetrags vor dem Eintritt der Hoferbfolge steht allerdings unter dem Gesetzesvorbehalt, dass der Begünstigte (= weichende Erbe) nicht doch noch den Betrieb übernimmt und dass der Betrieb später tatsächlich durch Hoferbfolge oder Hofübergabe übertragen wird. Der Freibetrag ist deshalb rückwirkend zu versagen, wenn der Betrieb vorher verkauft oder endgültig aufgegeben wird. Der Gesetzesvorbehalt wird verfahrensmäßig durch die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO realisiert (vgl. BFH-Urteil vom 04.03.1993 IV R 110/93, BFHE 171, 381, BStBl II 1993, 788 und BFH-Urteil vom 06.11.2008 IV R 6/06, BFH/NV 2009, 763).
47
c) Unstreitig hat der Kläger mit der Entnahme einer Teilfläche von ca. 1.000 qm aus dem im Grundbuch des Amtsgerichts A für Ort 1, Blatt 1, eingetragenen Grundstücks mit der Flurnummer 1 aus dem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb durch notariellen Vertrag vom 03.06.2003 und Übertragung dieser Teilfläche auf seinen Sohn Teile des zu seinem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Grund und Bodens entnommen. Nach den Angaben im Überlassungsvertrag vom 03.06.2003 waren Lage, Form und Größe dieser Teilfläche den Vertragsteilen bekannt und in der der Urkunde beigefügten Planskizze hervorgehoben. Der Besitzübergang an dieser Teilfläche auf den Sohn S fand mit dem Tag der notariellen Beurkundung, also am 03.06.2003, statt. Nach Ansicht des Senates fand die Entnahme durch den Kläger somit bereits am 03.06.2003 statt und nicht erst am 09.02.2004 (Messungsanerkennung und Auflassung).
48
Der Sohn S ist nach § 14a Abs. 4 Satz 5 EStG als gesetzlicher Erbe des Klägers, der nicht zur Übernahme des Betriebs berufen ist, auch weichender Erbe im Sinne des § 14a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 Buchst. a EStG. Unter „V. Gegenleistung“ der notariellen Überlassung vom 03.06.2003 wird ausgeführt, dass sich der Kläger und sein Sohn S darüber einig waren, dass Rechtsgrund der Übertragung eine Schenkung zur Abfindung eines sogenannten „weichenden Erben“ hinsichtlich einer späteren Hofübergabe des Übergebers ist. Weiterhin musste sich der Erwerber den vollen Wert der Zuwendung auf den Pflichtteil gegenüber dem Kläger anrechnen lassen sowie im Fall der gesetzlichen Erbfolge diesen Wert zur Ausgleichung bringen.
49
Grundsätzlich ist es nicht erforderlich, dass der künftige Hoferbe oder Übernehmer feststeht. Es reicht aus, wenn alle Beteiligten davon ausgehen, dass der zu den gesetzlichen Erben gehörende Zuwendungsempfänger den Betrieb nicht übernehmen wird und sich die Zuwendung auf seine Abfindungsansprüche aus der Hoferbfolge oder Hofübertragung anrechnen lassen muss (BFH-Urteil vom 28.07.1994 IV R 56/93, BFH/NV 1995, 110).
50
Ausgehend hiervon sieht der Senat in der Vereinbarung unter „V. Gegenleistung“ der notariellen Vereinbarung vom 03.06.2003 ausreichend Indizien für die Annahme, dass der Sohn S nicht künftiger Hoferbe werden sollte als gegeben an, zumal die Übertragung mit entsprechenden Anrechnungen bzw. Ausgleichungen verbunden war.
51
Schließlich sind sich die Beteiligten darüber einig, dass die übrigen Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 Satz 3 EStG (Einkommensgrenzen) erfüllt sind und der ermittelte Entnahmegewinn von 82.413 € zutreffend ist.
52
d) Der Freibetrag gemäß § 14a Abs. 4 EStG ist weiterhin nur zu gewähren, wenn ein „Hof“ im Sinne der Regelung im sachlichen Zusammenhang mit der (späteren) Hoferbfolge fortbesteht.
53
aa) Nach der im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheiderlasses durch das Finanzamt (Rechentermin: 30.10.2008) maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu § 14a Abs. 4 EStG war selbst im Fall einer starken Verringerung der Betriebsfläche eine Betriebsfortführung und damit eine Hoferbfolge im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG nicht ausgeschlossen (vgl. BFH-Beschluss vom 30.12.2004 IV B 57/04, BFH/NV 2005, 1042, Rz. 26).
54
In dem dem Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 30.12.2004 zugrundeliegenden Sachverhalt wurde selbst bei einer nur noch ca. 1 ha großen bewirtschafteten land- und forstwirtschaftlichen Betriebsfläche von keiner Betriebszerschlagung ausgegangen, die einer Gewährung des Freibetrages für weichende Erben gemäß § 14a Abs. 4 EStG entgegenstehen würde. Der Bundesfinanzhof ging davon aus, dass der nach der Veräußerung oder Entnahme von landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Nutzflächen verbleibende Betriebsteil einen vollständigen Betrieb darstellt, der eine Betriebsfortführung ermöglicht und damit die Hoferbfolge im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG nicht ausschließt. Diese Auslegung von § 14a Abs. 4 EStG kann nach Ansicht des Senates u.a. den Ausführungen unter Randnummer 24 des BFH-Beschlusses vom 30.12.2004 entnommen werden, wonach der nach den einzelnen Veräußerungen der Nutzflächen jeweils verbleibende Betriebsteil ein vollständiger Betrieb ist. Bei einer Verkleinerung des Betriebs durch Entnahmen für Abfindungen an weichende Erben im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG kann nach Ansicht des Bundesfinanzhofes nichts anders gelten. Dieser Beschluss ist vor dem Hintergrund ergangen, dass die im Streitfall des Bundesfinanzhofes nach der Veräußerung verbleibende Restfläche im Wesentlichen nur noch aus einer rd. 0,7 ha großen Waldfläche sowie der Hofstelle bestand und diese Restfläche „vermutlich keine eigenständige Existenzgrundlage mehr bildet“, wie der Bundesfinanzhof selbst feststellt.
55
Der Fortbestand eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs im steuerrechtlichen Sinn knüpfte nach der bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 ergangenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs weniger an die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betriebs, sondern an den Fortbestand der steuerlichen Verhaftung der einzelnen noch vorhandenen Wirtschaftsgüter im Betriebsvermögen an. Ausgehend von dieser Prämisse hat der Bundesfinanzhof eine Betriebsaufgabe ohne eindeutige Entnahmehandlung auch dann verneint, wenn die nach einer Verkleinerung des Betriebs noch vorhandenen Flächen für die ertragreiche Bewirtschaftung nicht mehr ausreichen und/oder sich der Betrieb zu einem Liebhabereibetrieb gewandelt hat (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 12.11.1992 IV R 41/91, BFHE 170, 311, BStBl II 1993, 430; vom 24.11.1994 IV R 53/94, BFH/NV 1995, 592, und vom 05.12.1996 IV R 65/95, BFH/NV 1997, 225).
56
Wie Randnummer 26 des BFH-Beschlusses vom 30.12.2004 zu entnehmen ist, ging der Bundesfinanzhof in seiner Rechtsprechung davon aus, dass selbst bei einer starken Verringerung der verbleibenden Betriebsfläche von einem Fortbestand eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs im steuerrechtlichen Sinne auszugehen ist und eine Betriebsfortführung, und damit eine Hoferbfolge im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG, noch möglich war.
57
Dass das Vorliegen eines „Hofes“ im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG nach dem Urteil des Bundesfinanzhofes vom 06.11.2008, Az. IV R 6/06, nunmehr voraussetzt, dass dieser bis zum Eintritt der Hoferbfolge noch als leistungsfähiger und Ertrag bringender Betrieb fortexistiert, um dem agrarpolitischen Normzweck im Wesentlichen gerecht zu werden, war der bis zum Erlass der Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 am 30.10.2008 ergangenen Rechtsprechung nicht zu entnehmen. Vielmehr ging der Bundesfinanzhof im Beschluss vom 30.12.2004 selbst davon aus, dass für einen landwirtschaftlichen Betrieb eine Hoferbfolge selbst dann in Betracht komme, wenn dieser nicht mehr eine eigenständige Existenzgrundlage bildet.
58
bb) Im Streitfall hatte der landwirtschaftliche Betrieb des Klägers vor der Entnahme der Teilfläche von rund 1.000 qm eine Größe von 4,3279 ha. Nach der Entnahme blieb ein landewirtschaftlicher Betrieb mit einer Größe von mehr als 3 ha Fläche übrig. Die Finanzverwaltung hat in Anlehnung an die bis zum 30.10.2008 ergangene Rechtsprechung an Größe, Umfang und Ertragskraft des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs keine größeren Anforderungen gestellt, so dass auch ertragsschwache Nebenerwerbsbetriebe und verpachtete Betriebe als begünstigt eingestuft wurden. Als begünstigter lebensfähiger Betrieb wurde damals im Regelfall und nach Verwaltungsauffassung bereits ein Betrieb in der Größenordnung von mehr als 3.000 qm und einer nach Abfindung verbleibenden Nutzfläche von mindestens 10% angesehen. Dies war im vorliegenden Fall unstreitig gegeben. Der Freibetrag war daher in den Einkommensteuerbescheiden 2002 und 2003 vom 07.11.2008 nach der damals zu § 14a Abs. 4 EStG ergangenen Rechtsprechung und Verwaltungsauffassung zu Recht gewährt worden.
59
cc) Anders als in dem vom Bundesfinanzhof unter dem Az. IV R 7/09 entschiedenen Fall betraf die entnommene Grundstücksfläche nicht die Hofstelle. Beim landwirtschaftlichen Anwesen Ort 1, Adresse 2, Fl.Nr. 3, 0,0692 ha (vgl. notarielle landwirtschaftliche Übergabe, Notar B URNr. 1/2002) befand sich die Hofstelle. Dieses Grundstück verblieb zunächst beim Kläger, wurde dann zunächst umgeschrieben auf Bl. 2 und schließlich aufgrund Auflassung vom 19.11.2021 und Eintragung vom 10.02.2022 auf den weichenden Erben S übertragen. An den weichenden Erben im Sinne des § 14a EStG, Herrn S, wurde vom Kläger mit Auflassung vom 09.02.2004 und Eintragung vom 17.02.2004 das Flurstück Ort 1 Flurnummer 1/2, Adresse 1, 0,1221, ha übertragen. Bei diesem Grundstück handelte es sich nicht um die Hofstelle, sondern um eine ursprünglich einfache Landwirtschaftsfläche, die später bebaut wurde. Der vom Bundesfinanzhof im Verfahren mit dem Az. IV R 07/09 zu beurteilende Sachverhalt unterscheidet sich daher vom vorliegenden Sachverhalt rechtserheblich, weshalb die vom Bundesfinanzhof gezogenen Schlussfolgerungen nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Streitfall übertragen werden können. Im Urteilsfall haben die Kläger zwei Grundstücke, u.a. das Grundstück, auf dem sich die Hofstelle befand, auf ihren Sohn (der nicht Hoferbe sein sollte) übertragen. Hierfür war der Freibetrag für weichende Erben nach § 14a EStG vom Finanzamt gewährt worden. Anders als einzelne Grundstücke war und ist jedoch die Hofstelle – sofern der Hof zunächst über eine solche verfügt hat – für das Vorliegen eines Hofes im Sinne des § 14a Abs. 4 EStG unverzichtbares Merkmal. Da der Betrieb der Kläger im Urteilsfall spätestens mit der Übertragung der Hofstelle an den Sohn als weichenden Erben die Eigenschaft eines Hofes im Sinne des § 14 a Abs. 4 EStG verloren hatte, war in diesem Fall bereits nach dem bei Grundstücksübertragung geltendem Recht der Freibetrag nach § 14a Abs. 4 EStG zu Unrecht gewährt worden und somit im Ergebnis eine rückwirkende Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO mit der Versagung des damals gewährten Freibetrags nicht möglich (vgl. BFH-Urteil vom 05.05.2011 IV R 7/09, BFH/NV 2011, 2007).
60
dd) Die neuere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes stellt dagegen bei der Frage des Fortbestandes eines Hofes auf die im Zivilrecht einschlägigen Regelungen, insbesondere die §§ 2049 und 2312 BGB, ab (vgl. BFH-Urteil vom 06.11.2008 IV R 6/06, BFH/NV 2009, 763). Anknüpfungspunkt der zivilrechtlichen Privilegierung ist das Vorliegen eines Landguts. Die zivilrechtliche Auslegung orientiert sich dabei maßgeblich an dem Normzweck. Danach soll im öffentlichen Interesse der Zersplitterung leistungsfähiger Höfe in bäuerlichen Familien entgegengewirkt werden. Das Landgut soll in seinem Bestand erhalten und es soll mittels Anpassung der Pflichtteilsansprüche an den Ertragswert vermieden werden, dass seine Wirtschaftlichkeit durch die Belastung mit diesen Ansprüchen gefährdet wird. Die erhebliche Besserstellung des übernehmenden Erben gegenüber den weichenden Erben oder Pflichtteilsberechtigten ist unter Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes allerdings nur insoweit gerechtfertigt, als der Gesetzeszweck, nämlich die Erhaltung eines leistungsfähigen landwirtschaftlichen Betriebs in der Hand einer der vom Gesetz begünstigten Person, erreicht werden kann.
61
Nach den Ausführungen im Urteil des Bundesfinanzhofes mit dem Az. IV R 6/06 sollen diese Grundsätze gleichermaßen für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Hof“ im Sinne des § 14 a Abs. 4 EStG herangezogen werden. Insoweit setze demnach das Vorliegen eines Hofes im Sinne des § 14a Abs. 4 EStG voraus, dass dieser bis zum Eintritt der Hoferbfolge noch als leistungsfähiger und Ertrag bringender Betrieb fortexistiert. Der Betrieb müsse daher für den Hoferben eine selbständige Nahrungsquelle im Sinne der Sicherung des allgemeinen Lebensunterhaltes darstellen können. Im Falle von Kleinbetrieben sei es gerechtfertigt, die Hofeigenschaft auch dann noch zu bejahen, wenn der Betrieb jedenfalls einen wesentlichen Teil zum Lebensunterhalt des Hoferben beitrage.
62
Soweit die Beteiligten übereinstimmend Zweifel dahingehend geäußert haben, dass der Betrieb des Klägers im Zeitpunkt der Entnahme des Grundstücks im Jahr 2003 nicht mehr einen wesentlichen Teil zum Lebensunterhalt des Hoferben beitragen habe können und deshalb nach der zu § 14a Abs. 4 EStG ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes der Freibetrag für weichende Erben (wohl) nicht hätte gewährt werden dürfen, hat diese Beurteilung keine Auswirkungen auf die Prüfung, ob die Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 vom 07.11.2008 bei Abschluss der Willensbildung durch das Finanzamt (30.10.2008) hinsichtlich der Gewährung des Freibetrages nach § 14a Abs. 4 EStG rechtmäßig waren, da die Urteile des Bundesfinanzhofes unter den Aktenzeichen IV R 6/06 und IV R 7/09 vom 06.11.2008 und 05.05.2011 datieren und damit nach Abschluss der Willensbildung im Finanzamt ergangen sind. Sie waren daher für die Gewährung des Freibetrages zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide nicht rechtserheblich.
63
e) Die Zerschlagung und Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebs zum September 2013 durch den Kläger, spätestens der Erwerb der ehemaligen Hofstelle durch den weichenden Erben im Sinne von § 14a Abs. 4 EStG, stellen im Streitfall rückwirkende Ereignisse im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar, die zum nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG führen.
64
aa) Der Begriff „Ereignis“ entspricht im Wesentlichen dem Begriff „Tatsache“, wie er in § 173 AO verwendet wird. Er umfasst alles, was von einem Lebenssachverhalt subsumtionsfähiges Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. BFH-Urteil vom 08.12.1998 IX R 14/97, BFH/NV 1999, 743).
65
Dass es nachträglich eintreten muss, bedeutet, dass es nach der Entscheidung der Finanzbehörde über den Erlass des zu ändernden Steuerbescheids eingetreten ist (Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung, Gosch AO/FGO/von Wedelstädt § 175 AO Rz. 47).
66
bb) Zwar steht nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (vgl. Urteil vom 12.09.2002 IV R 28/01, BStBl II 2002, 813), allein die Erklärung der Betriebsaufgabe als solche durch den Abfindenden der Gewährung des Freibetrages nach § 14a Abs. 4 EStG nicht entgegen, da bei (fortgeführter) Betriebsverpachtung die jederzeit mögliche Erklärung der Betriebsaufgabe nicht die Zerschlagung des Betriebs als organisatorische Einheit bewirkt, sondern nur zur Versteuerung der stillen Reserven führt.
67
Im Streitfall hat der Kläger mit Schreiben vom 01.12.2013 die Betriebsaufgabe für September 2013 erklärt und die Bewirtschaftung seines Betriebs eingestellt. Zuvor war eine Größe von 1,2 ha landwirtschaftlicher Fläche als Bauland ausgewiesen worden. Diese Verringerung führte zu einer erheblichen Verminderung der Ertragskraft des ursprünglichen Betriebs (von 1.548 € jährlich auf 350 € jährlich). Zutreffend ist das Finanzamt daher davon ausgegangen, dass infolge der Einstellung des Betriebs und der zuvor erfolgten Herausnahme wesentlicher landwirtschaftlicher Flächen die Voraussetzungen der Hoferbfolge oder der Hofübergabe im Sinne des § 14a Abs. 4 EStG nicht mehr eintreten können, da der Betrieb als organisatorische Einheit zerschlagen worden war und durch die Verpachtung der verbliebenen Restflächen nur noch sehr geringe steuerliche Erträge erzielt werden konnten.
68
Diese Sachverhaltsänderung ist nach Erlass der Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 vom 07.11.2008 eingetreten. Sie ist nach den materiellen Steuergesetzen für steuerrechtliche Beurteilung der Gewährung des Freibetrages nach § 14a Abs. 4 EStG auch rechtserheblich, denn die Gewährung des Freibetrages in den Bescheiden vom 07.11.2008 stand unter dem Vorbehalt, dass der Betrieb tatsächlich durch Hoferbfolge oder Hofübergabe übertragen wird. Zu einer solchen Hoferbfolge oder Hofübergabe im Sinne des § 14a Abs. 4 EStG konnte es jedoch nach der zum September 2013 erklärten Betriebsaufgabe und Betriebszerschlagung, die auch die Ertragskraft des Betriebs nochmals stark verringert hat, nicht mehr kommen.
69
cc) Spätestens mit der Übertragung der Hofstelle in Adresse 2, Ort 1 Fl.Nr. 3, 0,0692 ha, auf den weichenden Erben S im Jahr 2022 war eine Hofübertragung oder Hoferbfolge auf einen anderen, als den weichenden Erben, jedenfalls nicht mehr möglich, da die Hofstelle unverzichtbares Merkmal für das Vorliegen eines Hofes im Sinne des § 14a Abs. 4 EStG darstellt. Spätestens im Jahr 2021 waren die Voraussetzungen für eine Anwendung des § 14 a Abs. 4 EStG für die Grundstücksübertragung im Jahr 2003 nachträglich entfallen, da der weichende Erbe selbst die ehemalige Hofstelle übertragen bekommen hat.
70
Diese Übertragung stellt ein Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar, da es nach dem materiellen Steuerrecht des § 14a Abs. 4 EStG dazu führt, dass die Voraussetzungen der Hoferbfolge oder der Hofübergabe im Sinne des § 14a Abs. 4 EStG (auf einen anderen Erben) nicht mehr eintreten können und damit die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14a Abs. 4 EStG entfallen sind.
71
Die Übertragung der Hofstelle im Jahr 2021 (Auflassung vom 19.11.2021) ist auch nach Erlass und Bestandskraft der Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 vom 07.11.2008 erfolgt, weshalb dieses Ereignis nachträglich eingetreten ist.
72
3. Die Einkommensteuerbescheide 2002 und 2003 wurden demnach rechtmäßig nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert. Auf die vom Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung aufgeworfene Frage, ob es sich vorliegend um einen Anwendungsfall von § 173 AO gehandelt habe, braucht folglich nicht weiter eingegangen zu werden.
73
Die Klage war daher als unbegründet abzuweisen.
74
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, nach der die unterlegenen Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen haben.
75
Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzung einer Revisionszulassung gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Insbesondere fehlt es an der grundsätzlichen Bedeutung, da es sich bei § 14a EStG um ausgelaufenes Recht handelt (BFH-Beschluss vom 28.04.2016 IX B 18/16, BFH/NV 2016, 1173; Ratschow in Gräber, FGO, § 115 Rn. 132 m. w. N.).