Titel:
Erbschaft, Testament, Nachlassgericht, Erbschein, Erbfolge, Beweisaufnahme, Alleinerbin
Schlagworte:
Erbschaft, Testament, Nachlassgericht, Erbschein, Erbfolge, Beweisaufnahme, Alleinerbin
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 07.10.2025 – 33 Wx 25/25 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 50265
Tenor
Der Antrag des Beteiligten zu 1) vom 17.07.2023 auf Erlass eines Erbscheins, der B. J. als Alleinerben ausweist, wird zurückgewiesen.
Gründe
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1. a. Am … verstarb die ledige und kinderlose deutsche Erblasserin in M., wo sie auch ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die Eltern der Erblasserin sind vorverstorben. Herr B. J. … der am … nachverstorben ist, war der einzige Bruder der Erblasserin.
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Im Nachlassverfahren des B. J. … wurde der Beteiligte zu 1) mit Beschluss vom 28.07.2020 als Nachlasspfleger für die unbekannten Erben bestellt. Der Wirkungskreis umfasst die Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie die Ermittlung der Erben.
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b. Dem Nachlassgericht liegt eine Kopie einer handschriftlichen Verfügung von Todes wegen vom 12.11.2007 vor. Dieses lautet im Wesentlichen:
„… Sollte mir und meinem Bruder auf den Reisen etwas passieren, ist Frau D. M. meine Alleinerbin. …“
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Hinsichtlich des gesamten Wortlauts wird auf die vorliegende Testamentskopie Bezug genommen.
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c. Da das Testament vom 12.11.2007 dem Gericht zunächst nicht vorlag, wurde mit Verfügung vom 19.07.2019 B. J. … als einziger gesetzlicher Erbe als Alleinerbe angeschrieben. Mit Schreiben ohne Datum, das am 25.07.2019 bei Gericht einging, erklärte … B. J. … die Erbschaft anzunehmen und einen Erbschein nicht zu benötigen. Das Verfahren wurde abgeschlossen.
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Mit Schreiben vom 25.01.2022 teilte die Beteiligte zu 2) mit, dass sie am 25.09.2020 ein Original-Testament an das Nachlassgericht versandt habe, und erkundigte sich nach dem Sachstand. Da ein Original-Testament im Nachlassgericht nicht auffindbar war, wurde sodann eine von der Beteiligten zu 2) eingereichte Kopie des Testaments vom 12.11.2007 eröffnet.
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2. Am 17.07.2023 beantragte der Beteiligte zu 1) einen Erbschein, der … B. J. … auf grund gesetzlicher Erbfolge als Alleinerben ausweisen solle (Bl. 37/40 d.A.).
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Der Beteiligte zu 1) bestreitet, dass ein Original-Testament von der Beteiligten zu 1) bei Gericht eingereicht worden sei. Durch das Testament vom 17.07.2023 sei außerdem die Beteiligte zu 2) lediglich als Ersatzerbin eingesetzt worden für den Fall, dass der Erblasserin und ihrem Bruder etwa zustoßen sollte. Da der Bruder beim Versterben der Erblasserin noch gelebt habe, sei dieser Erbe geworden, die Ersatzerbenregelung greife nicht. Es gäbe keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Erblasserin ihren Bruder habe enterben wollen. Sie habe zu diesem ein enges und vertrauensvolles Verhältnis gehabt. Sie habe ihm auch für ihre Bankkonten eine Vollmacht zu Lebzeiten und im Todesfall erteilt.
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Die Beteiligte zu 2) ist der Auffassung, dass die Erblasserin sie nicht nur als Ersatzerbin habe einsetzen wollen. Die Erblasserin sei der Ansicht gewesen, ihr Bruder habe genug. Ihr Nachlass solle den Kindern der Beteiligten zu 2) zugute kommen. Da diese jedoch noch zu jung gewesen seien, habe die Erblasserin sie eingesetzt in der Annahme, dass sie den Nachlass gerecht verteilen würde.
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Auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen wird ergänzend Bezug genommen.
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3. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen 1, Zeugen 2, Zeugen 3 und des Zeugen 4 sowie die persönliche Anhörung der Beteiligten zu 2). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2024 (Bl. 79/84 d.A.) verwiesen.
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Der Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) war zurückzuweisen, da sich die Erbfolge nach dem Testament vom 12.11.2007 richtet, und somit die gesetzliche Erbfolge nicht eingetreten ist.
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1. Die Erbfolge richtet sich nach dem Testament, obwohl das Original nicht mehr auffindbar ist.
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a. Das Gericht ist davon überzeugt, dass das in Kopie vorliegende Testament ursprünglich formwirksam und mit dem der Kopie zu entnehmenden Inhalt von der Erblasserin handschriftlich geschrieben und unterschrieben wurde.
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Zwar ist grundsätzlich die Vorlage des Originals eines Testaments erforderlich. Ist dieses Original jedoch nicht mehr vorhanden oder nicht mehr auffindbar, so kann der Beweis der wirksamen Errichtung auch auf andere Weise geführt werden. Ein wichtiges, wenn auch nicht allein ausschlaggebendes, Indiz hierfür ist die Vorlage der Fotokopie. Das Gericht hat keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass das Dokument nicht von der Erblasserin handschriftlich verfasst und unterschrieben wurde. Anhaltspunkte für irgendwelche Zweifel wurden von keinem Beteiligten vorgebracht und sind auch für das Gericht nicht ersichtlich.
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b. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Testament nachträglich in wirksamer Weise widerrufen oder aufgehoben worden sein könnte. Allein die Tatsache, dass die Originalurkunde nicht vorgelegt werden kann, begründet keine Vermutung des Widerrufs oder der Vernichtung mit Widerrufswillen.
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Auch der reine Zeitablauf zwischen der Testamentserrichtung und dem Versterben der Erblasserin führt nicht zu einer Vermutung, dass es eine neuere Verfügung von Todes wegen geben muss. Eine solche wurde von keinem Beteiligten behauptet. Anhaltspunkte dafür bestehen nicht. Das Verhältnis zwischen der Erblasserin und der Beteiligten zu 2) und ihrer Familie war nach den glaubhaften Angaben der Beteiligten zu 2) und der Zeugen bis zum Tod der Erblasserin gut.
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Für die Vernichtung eines Testaments trägt derjenige die Feststellungslast, der sich auf die Vernichtung beruft.
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Es kann deshalb dahinstehen, ob die Beteiligte zu 2) im Besitz des Originals war und ob dieses im Nachlassgericht verloren gegangen ist.
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2. Das Testament ist dahingehend auszulegen, dass die Erblasserin die Beteiligte zu 2) als Alleinerbin eingesetzt hat, und nicht nur als Ersatzerbin.
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a. Das Testament ist inhaltlich auslegungsbedürftig. Dabei ist der wirkliche Wille der Erblasserin zu erforschen und nicht an dem Wortlaut des Testaments festzuhalten. Auch außerhalb der Testamentsurkunde liegende Tatsachen sind bei der Ermittlung des Erblasserwillens zu berücksichtigen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der ermittelte Wille aufgrund der strengen Formvorschriften für letztwilllige Verfügungen im Text des Testaments wenigstens angedeutet sein muss.
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b. Das Testament ist so formuliert, dass die Beteiligte zu 2) Alleinerbin werden sollte, wenn der Erblasserin und ihrem Bruder auf den Reisen etwas passieren sollte.
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Der Umstand, dass die Erblasserin ihren Bruder und die Reisen im Testament erwähnt hat, ist damit zu erklären, dass die gemeinsamen Reisen mit dem Bruder der Anlass war, warum die Erblasserin überhaupt eine letztwillige Verfügung errichtet hat. Trotzdem sollte ihre Verfügung nicht nur für ein gleichzeitiges Versterben ihres Bruders und ihr auf einer der Reisen gelten, sondern allgemein. Zu dieser Überzeugung ist das Gericht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme gelangt.
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c. Die Beteiligte zu 2) hat bei ihrer persönlichen Anhörung angegeben, dass die Erblasserin ihr gegenüber geäußert habe, dass es ihr wichtig sei, dass ihr Nachlass gesichert sei und den Kindern der Beteiligten zu 2) zugute kommt. Die Kinder direkt habe die Erblasserin nicht im Testament eingesetzt, da sie noch zu jung gewesen seien. Bei einer anderen Gelegenheit habe die Erblasserin ihr gegenüber angegeben, dass Ihr Bruder genug habe und nichts erben brauche.
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Der Zeuge 1 hat ausgesagt, dass die Erblasserin ihm gegenüber im Jahr 2015 geäußert habe, dass für sie alle gesorgt sei, wenn sie nicht mehr sei. Die Erblasserin sei wie eine Oma für ihn gewesen. Vor dem Tod des Lebensgefährten der Erblasserin – seines Großvaters – hätten sie sich jede Woche gesehen. Dann sei der Kontakt zwar weniger geworden, aber auch im Altersheim habe er die Erblasserin noch besucht.
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Die Aussage des Zeugen 1 wurde bestätigt durch die Zeugin 2, die Ehefrau des Zeugen 1. Diese hat ebenfalls angegeben, dass die Erblasserin gesagt habe, dass „für die Enkel und D. M. gesorgt sei und dass jeder seinen Teil bekommen werde“. Sie sei auch zusammen mit der Familie ihres Mannes bei der Beerdigung der Erblasserin gewesen.
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Den Angaben des … Zeugen 3 … nach habe die Erblasserin an dessen 18. Geburtstag über ihr Testament gesprochen. Sie habe ihm gegenüber geäußert, dass für sie ein Testament existiere. Die Erblasserin sei wie eine Oma für ihn gewesen.
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Zuletzt hat auch des Zeugen 4 von einer Äußerung der Erblasserin berichtet, dass sie ein Testament habe, nach dem die Beteiligte zu 2) ihre Alleinerbin sei. Diese werde es gerecht aufteilen.
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d. Das Gericht erachtet die Zeugen für glaubwürdig. Die Angaben der Zeugen waren in sich schlüssig und nachvollziehbar. Sie waren auch untereinander widerspruchsfrei und übereinstimmend.
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Allein aufgrund der Tatsache, dass es sich bei den Zeugen um Familienangehörige der Beteiligten zu 2) handelt und dass diese aufgrund dieses Näheverhältnisses ein Interesse am Ausgang des Nachlassverfahrens haben könnten, lässt ohne weitere Anhaltspunkte nicht den Schluss zu, dass die Zeugen wahrheitswidrige Angaben gemacht haben müssen. Die Beteiligte zu 2) und die Zeugen standen der Erblasserin auch ohne verwandtschaftliches Verhältnis im engerem Sinne nah und waren wie Familienangehörige für sie. Die Zeugen kannten die Erblasserin gut und konnten Begebenheiten aus deren Biographie berichten.
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Andere Beweismittel, insbesondere andere Zeugen, die Angaben zum Erblasserwillen machen könnten, waren nicht vorhanden.
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e. Der Wille der Erblasserin, die Beteiligte zu 2) als ihre Alleinerbin zu bestimmen, ist auch dem Testament zu entnehmen.
33
Eine Kostenentscheidung gemäß § 81 FamFG ist nicht veranlasst. Es verbleibt bei der gesetzlichen Kostenfolge.