Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 22.10.2024 – Ausl OAusl 43/24
Titel:

Vereinfachte Auslieferung, Auslieferungsverkehr, Europäisches Auslieferungsübereinkommen, Außervollzugsetzung, Auslieferungshaftbefehl, Auslieferungshindernis, Pflichtverteidiger, Vorläufige Auslieferungshaft, Auslieferungsunterlagen, Entziehungsbeschluss, Auslieferungsverfahren, Strafrechtliche Hauptverhandlung, Schwere Körperverletzung, Anordnung der Fortdauer, Videokonferenztechnik, Auslieferungsersuchen, Verfahrensrecht, Schwerwiegende Straftat, Gerichtsverfahren, Generalstaatsanwaltschaft

Schlagworte:
Auslieferungshaft, Spezialitätsgrundsatz, schwere Körperverletzung, Videokonferenztechnik, Haftbedingungen, Kriegsrecht, Menschenrechtskonvention
Fundstellen:
StV 2025, 693
BeckRS 2024, 50225

Tenor

1. Die Auslieferung des Verfolgten aus der Bundesrepublik Deutschland in die Ukraine zur Strafverfolgung wegen der in dem Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Kiewer Bezirksgerichts von Poltawa vom 22.09.2020 (Az. 552/2962/18) bezeichneten Tat ist zulässig.
2. Die Fortdauer der Auslieferungshaft wird angeordnet.

Gründe

I.
1
Die ukrainischen Behörden begehren die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung.
2
Am 26.03.2024 wurde der Verfolgte aufgrund einer Fahndungsausschreibung der ukrainischen Behörden vorläufig festgenommen. Der Ausschreibung liegt eine Interpol-Fahndung, Red Notice A-2912/4-2021, zugrunde. Gegen den Verfolgten besteht ein Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Kiewer Bezirksgerichts von Poltawa vom 22.09.2020 (Az. 552/2962/18).
3
Dem Verfolgten liegt folgender Sachverhalt zur Last:
4
Am 09.11.2015 stach der Verfolgte in Poltawa auf Höhe der Anschrift … in der Nähe der Bushaltestelle Nummer XX mit einem von ihm mitgeführten scharfen, schneidenden Gegenstand aufgrund feindseliger Beziehungen bewusst und gewollt in die Bauchhöhle von K. M. M. wodurch auch der Dünndarm und sein Mesenterium geschädigt wurden, was als schwere Körperverletzung einzustufen ist.
5
Dies ist nach ukrainischem Recht strafbar als vorsätzliche schwere Körperverletzung, die zum Zeitpunkt ihres Eintritts lebensbedrohlich war (Art. 121 Abs. 1 des ukrainischen Strafgesetzbuchs).
6
Der Verfolgte verzichtete bei seiner Anhörung durch das Amtsgericht Ansbach am 27.03.2024 nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes und erklärte sich mit einer vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden. Das Amtsgericht Ansbach erließ am selben Tag eine Festhalteanordnung.
7
Mit Beschluss vom 08.04.2024 ordnete der Senat die vorläufige Auslieferungshaft an und wies insbesondere darauf hin, dass im Hinblick auf den Tatort in Poltawa (in der Zentralukraine, in etwa 350 km von Kiew entfernt) noch zu klären sei, an welchem Ort die Hauptverhandlung stattfinde und ob und auf welche Weise unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12.2023 (2 BvR 1368/23) das Recht des Verfolgten zur persönlichen Teilnahme an einer Hauptverhandlung, gegebenenfalls auch unter Einsatz von Videokonferenztechnik sichergestellt wäre, sowie dass im Fall der Unterbringung in einer anderen Haftanstalt als den im Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine vom 20.02.2024 genannten noch eine Zusicherung zu den Haftbedingungen einzuholen wäre.
8
Die ukrainischen Behörden haben mit Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine vom 10.04.2024 unter Vorlage der Auslieferungsunterlagen (Auslieferungsersuchen der Staatsanwaltschaft der Ukraine, Büro des Generalstaatsanwalts, mit Anlagen) um die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht.
9
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragte mit Schreiben vom 12.04.2024 die Anordnung der Auslieferungshaft gemäß Art. 22 EuAlÜbk i.V.m. §§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 3 IRG.
10
Mit Verfügung des Vorsitzenden des Strafsenats vom 18.04.2024 wurde dem Verfolgten auf seinen Antrag Rechtsanwalt H. an Stelle von Rechtsanwalt B. als Pflichtbeistand bestellt.
11
Am 24.04.2024 wurde der Verfolgte in Anwesenheit des neuen Beistands durch den Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Nürnberg im Hinblick auf die eingegangenen Auslieferungsunterlagen angehört. Der Beistand legte einen Artikel vom 09.04.2024 zu aktuell stattfindenden Luftangriffen in Poltawa vor. Der Verfolgte verwies bei der Anhörung darauf, dass er russisch-stämmig sei, was er als Gefahr für sich sehe. Man könne ferner sehen, dass er nicht die Person auf dem in der Fahndung enthaltenen Bild sei. Außerdem bekräftigte er, dass er nach wie vor nicht mit einer vereinfachten Auslieferung einverstanden sei und auch nicht auf die Einhaltung des Spezialitätsgrundsatzes verzichte.
12
Mit Schriftsatz vom 26.04.2024 wies der Beistand Rechtsanwalt H. nochmals darauf hin, dass Auslieferungshindernisse vorlägen. Poltawa als Ort der Hauptverhandlung sei nach aktuellen Medienberichten mehreren Bombenangriffen ausgesetzt. Es bestünden auch starke Zweifel, ob Verhältnisse vorlägen, die eine bedenkenlose Auslieferung rechtfertigten, insbesondere ob im Fall eines erneuten Bombenangriffs eine Evakuation der Gefangenen aus den Hafträumen überhaupt möglich sei.
13
Der Senat ordnete mit Beschluss vom 03.05.2024 die Auslieferungshaft an.
14
Mit Schreiben des Büros des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine vom 18.06.2024 wurde mitgeteilt, dass der Verfolgte im Fall der Auslieferung in der Strafvollzugsanstalt Zakarpattia im Westen der Ukraine untergebracht werde. In der Anstalt gebe es eine Schutzanlage, um sich vor möglichem Beschuss zu schützen. Im Schreiben sind die Haftbedingungen unter ergänzender Vorlage von Lichtbildern dargestellt. Ferner werden Ausführungen zum Gerichtsverfahren gemacht. Die gerichtliche Behandlung der Sache solle im Kyivskyi Bezirksgericht der Stadt Poltawa im Wege der Videokonferenz durchgeführt werden.
15
Mit Schreiben vom 20.06.2024 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft, die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen und die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung wegen der in dem Haftbefehl des Kiewer Bezirksgerichts von Poltawa vom 22.09.2020 (Az. 552/2962/18) bezeichneten Tat für zulässig zu erklären.
16
Der Beistand Rechtsanwalt L. beantragte mit Schriftsatz vom 01.07.2024 erneut Akteneinsicht und rügte, dass aus den Unterlagen bislang nicht hervorgehe, dass dem Verfolgten in der Ukraine für das Auslieferungsverfahren ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden sei, mit dessen Hilfe eine Überprüfung der Zusicherungen erst möglich sei. Es sei auch nicht geprüft worden, inwieweit – angesichts des langjährigen Wohnsitzes des Verfolgten und seines minderjährigen Sohnes in Spanien eine Übernahme der Strafverfolgung geprüft worden sei. Jedenfalls fehle es an einer Zusicherung zur Überstellung nach Spanien nach einer eventuellen Verurteilung zur Übernahme der Strafvollstreckung. Außerdem verwies er auf mögliche Repressalien gegen den Verfolgten als russischsprachigen Angehörigen der Ukraine bei Inhaftierung in den westlichen Landesteilen.
17
Mit Beschluss vom 02.07.2024 ordnete der Senat die Fortdauer der Auslieferungshaft an.
18
Mit Verfügung vom 19.07.2024 bat der Senat die Generalstaatsanwaltschaft im Hinblick auf die Mitteilung der ukrainischen Behörden, wonach die gerichtliche Behandlung der Sache vom Kyivskyi Bezirksgericht der Stadt Poltawa des Gebiets Poltawa im Wege der Videokonferenz durchgeführt werde, noch folgende Fragen beantworten zu lassen:
19
a) Hat der Verfolgte nach der ukrainischen Strafprozessordnung das Recht zu verlangen, dass er an der gegen ihn gerichteten erstinstanzlichen (Haupt-)Verhandlung persönlich teilnehmen kann? Sollte dem Verfolgten das Recht zustehen, an der Verhandlung persönlich teilzunehmen, wird gebeten, mitzuteilen, wie in diesem Fall die Einhaltung der Europäischen Mindeststandards für die Unterbringung von Gefangenen, dabei vor allem wie die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit des Verfolgten im Hinblick auf den nach wie vor andauernden Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine sichergestellt werden wird.
20
Der Senat geht dabei aufgrund der Mitteilung des Büros des Generalstaatsanwalts der Ukraine vom 18.06.2024 davon aus, dass das Verfahren und insbesondere auch die Hauptverhandlung vor dem Kyivskyi Bezirksgericht der Stadt Poltawa stattfinden wird und eine Gerichtsverhandlung im Westen der Ukraine in der Nähe der Justizvollzugsanstalt Zakarpattia nicht in Betracht kommt. Poltawa befindet sich in der Zentralukraine etwa 350 km südöstlich von Kiew und liegt im Vergleich zur Westukraine erheblich näher an den aktuellen kämpferischen Auseinandersetzungen zwischen den russischen und ukrainischen Truppen.
21
b) Im Hinblick auf die Äußerung der ukrainischen Behörden, dass während seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Zakarpattia die unmittelbare Teilnahme des Verfolgten an den Gerichtssitzungen mithilfe von technischen Mitteln im Wege der Videokonferenz gesichert werde, besteht noch Aufklärungsbedarf. Hintergrund ist die notwendige Prüfung, ob die im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12.2023 (2 BvR 1368/23) aufgestellten Anforderungen erfüllt werden und der Verfolgte auch beim Einsatz von Videokonferenztechnik in einer Weise an der strafrechtlichen Hauptverhandlung beteiligt sein wird, die dem Grundsatz des fairen Verfahrens genügt.
22
Im Einzelnen werden folgende Informationen benötigt:
23
aa) Es wird gebeten, die einschlägigen ukrainischen Verfahrensvorschriften mitzuteilen sowie, unter welchen Voraussetzungen nach ukrainischem Recht grundsätzlich die unmittelbare Teilnahme an den Gerichtssitzungen unter dem Einsatz audiovisueller Übertragungstechnik zulässig ist. Diesbezüglich wird des Weiteren um Mitteilung gebeten, welche wichtigen Gründe („legitimes Ziel“ im Sinne der Rechtsprechung des EGMR, vgl. EGMR, Marcello Viola v. Italy, Urteil vom 05. Januar 2007, Nr. 45106/04) im konkreten Fall den Einsatz von Videokonferenztechnik (anstelle der persönlichen Anwesenheit des Angeklagten vor Gericht) rechtfertigen.
24
bb) Um nähere Darlegung der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens unter Einsatz audiovisueller Übertragungstechnik wird gebeten.
25
Den Zusicherungen der ukrainischen Behörden ist insoweit bislang zu entnehmen, dass die Justizvollzugsanstalt Zakarpattia über einen einzelnen Raum zur Durchführung von Videokonferenzen und IP-Telefonie verfügt und dass gemäß den Anforderungen der ukrainischen Strafprozessordnung in allen Stadien des Strafverfahrens die Teilnahme eines Verteidigers gesichert sei.
26
Es wird insoweit ergänzend insbesondere eine nähere Darlegung erbeten, ob und wie sichergestellt wird, dass die Verteidigungsrechte des Verfolgten bei Einsatz audiovisueller Übertragungstechnik hinreichend gewahrt werden. So wäre sicherzustellen, dass der Verfolgte die anwesenden Personen umfassend sehen und hören kann, selber von den anderen Verfahrensbeteiligten, den Richtern und Zeugen gesehen und gehört werden kann, der Verfolgte in der Lage sein wird, sich selber während der Verhandlung mittels Übertragungstechnik zu äußern, der Verteidiger das Recht hat, während der Verhandlung vor Ort beim Verfolgten anwesend zu sein und die Vertraulichkeit des Wortes zwischen dem Verfolgten und seinem Verteidiger auch während der Verhandlung gewährleistet ist.
27
Mit Schriftsatz vom 26.08.2024 übermittelte der Beistand Rechtsanwalt L. einen Bericht der Zeitung Kyiv Independent zu einem Angriff auf den Oblast Zakarpattia mittels einer Cruise Missile und äußerte Zweifel an der Sicherheit des Verfolgten im Ort Zakarpattia.
28
Der Senat hat mit Beschluss vom 02.09.2024 die weitere Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet.
29
Mit Schreiben vom 23.09.2024 übersandte das Büro des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine Angaben zu den mit der Verfügung des Senats vom 19.07.2024 aufgeworfenen Fragen.
30
Mit Schreiben vom 24.09.2024 hat die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg die Akten mit den Anträgen vorgelegt, die Auslieferung zum Zwecke der Strafverfolgung in die Ukraine für zulässig zu erklären und die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.
31
Der Beistand Rechtsanwalt L. hat mit Schriftsatz vom 04.10.2024 Stellung genommen. Er ist der Auffassung, dass sich aus den übersandten Unterlagen nicht ergebe, dass die nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und der Menschenrechtskonvention geforderten Grundsätze des ordnungsgemäßen und rechtsstaatskonformen Verfahrens gesichert seien. Unter Geltung des Kriegsrechts bestehe keine Wahlmöglichkeit zwischen Anwesenheit in der Hauptverhandlung oder Durchführung einer Videokonferenz. Es fehle an einer Zusicherung, dass der Mandant mit seinem Verteidiger jederzeit unbeobachtet und unüberwacht Gespräche führen könne oder der Verteidiger mit dem Gericht unüberwacht Gespräche zu Verfahrensvorschriften oder Verfahrensgängen führen könne. Es sei bis heute nicht mitgeteilt worden, ob dem Verfolgten unter Beteiligung im Auslieferungsverfahren bereits ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden sei. Der Beistand weist erneut auf die bereits beanstandete mangelnde Sicherheit des geplanten Haftorts. Es fehle eine Zusicherung, dass dem Verfolgten ein Dolmetscher zur Seite gestellt werde. Er beantragt die Befragung eines Konsularbeamten eines in der Ukraine tätigen Konsulats oder der deutschen Botschaft in der Ukraine zur Durchführung vergleichbarer Verfahren und deren Beobachtung und verweist auf seine Anregung zur Überprüfung der Zusicherungen zum Haftort und der Möglichkeit einer sicheren Durchführung von Gerichtsverfahren bei anhaltenden Luftangriffen. Es fehle außerdem eine Zusicherung, dass die zugesicherte Haftanstalt über die entsprechenden audiovisuellen Übertragungsmöglichkeiten verfüge. Im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beantragt er die Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls.
II.
32
Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung an die Ukraine für zulässig zu erklären und die Fortdauer der Auslieferungshaft anzuordnen.
33
1. Das Oberlandesgericht Nürnberg ist örtlich und sachlich zuständig (§§ 13, 14 Abs. 1 IRG).
34
2. Die Auslieferung richtet sich nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen (EuAlÜbk) vom 13. Dezember 1957 (BGBl. 1964 II S. 1369, 1371; 1976 II S. 1778; 1998 II S. 2749, 2750) in Verbindung mit dem Zweiten Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 (BGBl. 1990 II, S. 118, 119, 1991 II S. 874) sowie in Verbindung mit dem Dritten Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 zu dem vorbezeichneten Übereinkommen (BGBl. 2014 II S. 1062, 1063; BGBl. 2019 II S. 2) in Verbindung mit dem Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG).
35
3. Die Voraussetzungen für die Auslieferung des Verfolgten zur Strafverfolgung an die Ukraine liegen vor.
36
a) Das auf dem vorgesehenen Geschäftsweg zwischen dem Bundesamt für Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine übermittelte Auslieferungsersuchen enthält alle nach Art. 12 EuAlÜbk erforderlichen Unterlagen, insbesondere die Haftanordnung des Kiewer Bezirksgerichts von Poltawa vom 22.09.2020 (Az. 552/2962/18), in der die Straftat, deretwegen um Auslieferung ersucht wird, unter Angabe der anzuwendenden Vorschriften dargestellt ist, sowie Unterlagen zur Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Verfolgten. Der Verweis des Verfolgten auf das Fahndungsfoto, das angesichts der Tatsache, dass sich der Verfolgte schon kurz nach der Tat vom Dezember 2015 dem Zugriff der ukrainischen Behörden entzogen hat, notwendigerweise älteren Datums ist, begründet keine nachvollziehbaren Zweifel an der Identität des Verfolgten mit der von den ukrainischen Behörden gesuchten Person.
37
b) Die dem Verfolgten vorgeworfene Tat ist auslieferungsfähig.
38
aa) Die beiderseitige Strafbarkeit ist gegeben (§ 3 Abs. 2 IRG), da auch nach deutschem Recht für die dem Verfolgten zur Last liegende, nach ukrainischem Recht als schwere Körperverletzung zu ahndende Tat eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gegeben wäre.
39
bb) Die Auslieferung wird hinsichtlich einer Tat begehrt, die sowohl nach deutschem Recht als auch nach ukrainischem Recht im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist (Art. 2 Abs. 1 S. 1 EuAlÜbk). Die Höchststrafe nach deutschem Recht sind zehn Jahre, nach ukrainischem Recht acht Jahre Freiheitsstrafe.
40
4. Auslieferungshindernisse bestehen nicht.
41
a) Der Verfolgte besitzt nicht die deutsche Staatsangehörigkeit (Art. 6 EuAlÜbk).
42
b) Dass der Verfolgte zuletzt in Spanien wohnhaft war, begründet keine besonderen Prüfungs- und Informationspflichten und Einschränkungen im Auslieferungsverfahren.
43
Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 06.09.2016 (C-182/15, Verfahren betreffend die Auslieferung von Aleksei Petruhhin, juris) ergeben sich besondere Pflichten bei der Auslieferung an einen Drittstaat nur bei Auslieferung eines Unionsbürgers. Die Entscheidung hat keine Auswirkung auf das vorliegende Auslieferungsverfahren. Der Verfolgte ist ukrainischer Staatsangehöriger. Er ist kein Staatsangehöriger eines EU-Mitgliedstaats. Insbesondere hat er auch nicht die spanische Staatsangehörigkeit.
44
c) Auslieferungshindernisse im Sinne von Art. 3, 4 oder 5 EuAlÜbk sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
45
Die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegende Tat ist keine politische oder militärische Straftat. Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung bestehen nicht. Mit dem Auslieferungsersuchen vom 09.04.2024 hat das Büro des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine unter Ziffer 7 garantiert, dass das Ersuchen im Zusammenhang mit dem Strafverfahren gegen R. O. nicht auf eine Verfolgung aus politischen Gründen oder im Zusammenhang mit Rasse, Religion, Nationalität abziele (Bl. 285 d.A.).
46
Auch die Tatsache, dass die Muttersprache des Verfolgten Russisch ist, führt nicht zu Bedenken im Hinblick auf die begehrte Auslieferung. Ein nicht geringer Anteil von Ukrainern hat Russisch als Muttersprache, Russisch wird vom Großteil der ukrainischen Bevölkerung beherrscht und wurde, nachdem nach der Unabhängigkeit des Landes zunächst Ukrainisch als alleinige Amtssprache festgelegt war, im Jahr 2012 in neun Regionen des Landes wieder eine regionale Amtssprache (vgl. Artikel „Russische Sprache in der Ukraine“ bei de.wikipedia.org). Dafür, dass der Gebrauch der russischen Sprache von Strafverfolgungs- und Justizvollzugsbehörden mit der Befürwortung des russischen Angriffskriegs gleichgesetzt und in irgendeiner Form sanktioniert wird, wie der Verfolgte befürchtet, gibt es keine konkreten Hinweise. Der Verfolgte wurde auch, wie sich aus der vorgelegten Verdachtsanzeige ergibt, darüber informiert, dass er nach Artikel 42 der Strafprozessordnung der Ukraine unter anderem das Recht hat, seine Muttersprache zu verwenden, Kopien von Verfahrensdokumenten in seiner Muttersprache zu erhalten und gegebenenfalls die Dienste eines Dolmetschers auf Kosten des Staates in Anspruch zu nehmen (vgl. S. 2 der Verdachtsanzeige vom 30.11.2015 unter Ziffer 18, Bl. 324 f d.A.). Dementsprechend wird ebenso im Schreiben des Büros des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine vom 18.06.2024 (S. 5, Bl. 350 d.A.) darauf hingewiesen, dass der Verfolgte über die Art und Gründe der Anklage gegen ihn, in der Sprache, die er gut versteht, ausführlich informiert und ihm das Recht auf die kostenlose Hilfe eines Dolmetschers gewährt wird, falls die Sprache, die im Gericht verwendet wird, für ihn unverständlich ist.
47
d) Gegen d. Verfolgten ist wegen der gegenständlichen Tat kein Ermittlungsverfahren geführt worden und kein Urteil ergangen, das der Auslieferung entgegenstehen könnte (Art. 8, 9 EuAlÜbk).
48
Insbesondere ist ein Strafverfahren oder eine Verurteilung in Spanien nicht festgestellt.
49
Bei dem vom Verfolgten in seiner Anhörung vom 27.03.2024 angesprochenen Gerichtsverfahren in Spanien handelte es sich nach seinen Angaben in der weiteren Anhörung vom 24.04.2024 nicht um ein Strafverfahren, sondern um ein Auslieferungsverfahren. Nach dem Ergebnis der Überprüfung durch die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg enthält dementsprechend die Auskunft aus dem spanischen Strafregister vom 01.04.2024 betreffend den Verfolgten keine Eintragung.
50
e) Verfolgungsverjährung ist weder nach deutschem noch nach ukrainischem Recht eingetreten (Art. 10 EuAlÜbk).
51
Eine Bescheinigung zur Verjährungsfrist nach ukrainischem Recht liegt dem Auslieferungsersuchen ebenso wie eine Abschrift der Vorschrift des Art. 49 der ukrainischen Strafprozessordnung zur Verjährung bei (Bl. 320 f, 327 d.A.).
52
f) Nach den vorliegenden Erkenntnissen widerspricht die Auslieferung auch nicht den wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung, § 73 IRG i.V.m. Art. 3 EMRK. Sie verletzt nicht die gemäß Art. 79 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 1 und Art. 20 GG unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz.
53
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.04.2004, 2 BvR 253/04; BVerfG, Beschluss vom 18.12.2023, 2 BvR 1368/23 Rn. 32; jeweils beck-online m.w.Nw.) sind die deutschen Gerichte bei der Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung von Verfassungs wegen gehalten zu prüfen, ob die Auslieferung und die ihr zu Grunde liegenden Akte mit dem nach Art. 25 GG in der Bundesrepublik Deutschland verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandard und mit den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen ihrer öffentlichen Ordnung vereinbar sind. § 73 IRG nimmt dieses verfassungsrechtliche Gebot auf der Ebene des einfachen Rechts auf, indem er ausdrücklich bestimmt, dass die Leistung von Rechtshilfe unzulässig ist, wenn sie wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen würde.
54
bb) Die vom Verfolgten zu erwartenden Haftbedingungen entsprechen nach den vorhandenen Informationen und Zusicherungen den Anforderungen an eine mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) im Einklang stehende Unterbringung.
55
(1) Gegen den ordre public verstößt eine Rechtshilfehandlung, mit der der ersuchte Staat dazu beitragen würde, dass der Ausgelieferte der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt würde. Die Ächtung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gehört inzwischen zum festen Bestand des völkerrechtlichen Menschenrechtsschutzes (BVerfG, Beschluss vom 08.04.2004, 2 BvR 253/04).
56
(2) Die von der Ukraine gegebenen Zusicherungen zu den vom Verfolgten zu erwartenden Haftbedingungen entsprechen den Anforderungen an eine menschenrechtskonforme Unterbringung.
57
Schon im Auslieferungsersuchen vom 09.04.2024 garantiert die Ukraine im Fall der Verhängung einer Freiheitsstrafe gegen den Verfolgten die Einhaltung der Bestimmungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 in Bezug auf ihn (S. 3, Bl. 285 d.A.). Insbesondere werde er keinem Umgang unterzogen werden, der seine physische oder psychische Integrität gefährden könnte, und seine Haftbedingungen würden nicht unmenschlich beziehungsweise erniedrigend sein.
58
Das Schreiben des Büros des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine vom 18.06.2024 stellt unter Beifügung von Lichtbildern Größe und Ausstattung der Zellen dar, wobei eine „Wohnfläche“ von nicht weniger als vier Quadratmetern für den Verfolgten gewährleistet wird. Das Schreiben enthält Angaben zur Verpflegung und zum Bade- und Wäschereibetrieb (Bl. 348 – 350, 352 – 356 d.A.).
59
(3) Die Zusicherungen sind auch als belastbar anzusehen.
60
(a) Die vom ersuchenden Staat im Auslieferungsverkehr gegebenen völkerrechtlich verbindlichen Zusicherungen sind grundsätzlich geeignet, etwaige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen, sofern nicht im Einzelfall zu erwarten ist, dass die Zusicherung nicht eingehalten wird (BVerfG, Beschluss vom 03.08.2023, 2 BvR 1838/22, juris Rn. 49).
61
(b) Es liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass im Fall einer Auslieferung die unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätze beziehungsweise das unabdingbare Maß an Grundrechtsschutz oder der verbindliche völkerrechtliche Mindeststandard gemäß Art. 25 GG nicht eingehalten werden.
62
Nach Mitteilung des Bundesamts für Justiz vom 27.05.2024 ist dem Bericht der Botschaft Kiew über die am 25. und 26. April 2024 erfolgten Besichtigungen der Haftanstalten Transkarpatien (Nr. 9) und Tschortkiw (Nr. 26) zu entnehmen, dass die Haftanstalten im Hinblick auf ihre allgemeinen Ausstattungsmerkmale den Anforderungen an eine EMRK-konforme Unterbringung entsprechen dürften. Soweit im Einzelfall von ukrainischer Seite eine EMRKkonforme Unterbringung in den Haftanstalten Transkarpatien und Tschortkiw zugesichert werde, sei diese Zusicherung nach den vorliegenden Erkenntnissen als belastbar anzusehen. Angesichts der erteilten Auskünfte und Zusicherungen zur Unterbringung des Verfolgten und der Erkenntnisse des Bundesamts für Justiz, ist davon auszugehen, dass den Verfolgten in Zakarpattia (Transkarpatien) menschenwürdige Haftbedingungen erwarten.
63
Nicht erforderlich ist in diesem Zusammenhang die vom Beistand Rechtsanwalt L. geforderte Prüfung, ob dem Verfolgten in der Ukraine bereits für das Auslieferungsverfahren ein Pflichtverteidiger bestellt worden sei, damit dieser die Zusagen der ukrainischen Behörden vor Ort überprüfen könne.
64
cc) Für eine sichere Unterbringung des Verfolgten und den Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit in der Haftanstalt ist – auch im Hinblick auf die besonderen Bedingungen in der Ukraine infolge des russischen Angriffskrieges – Sorge getragen, so dass auch insoweit keine Bedenken gegen die Auslieferung begründet sind.
65
(1) Drohende Lebensgefahr im Strafvollzug oder sonstige bei Auslieferung drohende Lebensgefahr im ersuchenden Staat kann ein grundrechtliches Auslieferungsgegenrecht begründen und eine Auslieferung nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unzulässig machen, wenn der ersuchende Staat keine konkret ausreichenden Zusicherungen für Schutzvorkehrungen in seinen Haftanstalten treffen kann (vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Wahl/Zimmermann, 6. Aufl. 2020, IRG § 73 Rn. 100, 103; s.a VGH Mannheim, Urteil vom 05.06.1996, A 13 S 828/96, beck-online, wonach die Abschiebung eines Betroffenen in ein akut umkämpftes Bürgerkriegsgebiet, in dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Tod oder schwerste Körperverletzungen drohen, gegen Art. 3 EMRK verstößt).
66
(2) Mit Schreiben des Büros des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine vom 18.06.2024 wird mitgeteilt, dass der Verurteilte im Fall seiner Auslieferung in der Strafvollzugsanstalt Zakarpattia (Nr. 9) untergebracht werde, die sich im Westen der Ukraine befinde (Stadt Uzhhorod, Gebiet Zakarpattia). Eine Verlegung in eine andere Haftanstalt wird demnach im Verfahrensverlauf nicht notwendig, da die gerichtliche Behandlung der Sache vom Kyivskyi Bezirksgericht der Stadt Poltawa im Wege der Videokonferenz durchgeführt wird (Bl. 348, 350 d.A.). Es wird dargelegt, dass die Anstalt sich möglichst entfernt vom Ort der Feindseligkeiten aufgrund des Überfalls der Russischen Föderation befinde und es in der Anstalt eine Schutzanlage gebe, um sich vor möglichem Beschuss zu schützen. Bereits dem Auslieferungsersuchen vom April 2024 ist ein Anhang beigefügt (Bl. 96 – 298 d.A.), der Ausführungen enthält zur Erfüllung der Verpflichtungen der Ukraine nach internationalen Verträgen sowie zur Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Bewertung von Maßnahmen, die von der Regierung der Ukraine getroffen wurden, um die sicheren Bedingungen für die Verurteilten und Inhaftierten während des Kriegsrechts zu gewährleisten. Darin ist festgehalten, dass die Einhaltung der grundlegenden Rechte und Freiheiten und Gewährung der Sicherheit von Inhaftierten eine der Prioritäten darstellt (Bl. 298 d.A.).
67
(3) Das Bundesamt für Justiz hat mit Schreiben vom 06.03.2024 dargelegt, dass von Seiten der ukrainischen Behörden zwischenzeitlich Maßnahmen getroffen worden seien, die unter anderem die Sicherheit der Insassen und die Energieversorgung in den Haftanstalten sicherstellen würden. Mit Schreiben 13.11.2023 habe das Justizministerium der Ukraine die ergriffenen Maßnahmen konkret bezeichnet und zudem unter anderem zugesichert, dass Verfolgte „…so weit wie möglich von den Gebieten entfernt untergebracht werden, in denen aktive Kampfhandlungen stattfinden…“. Hieran anknüpfend habe die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine mit Schreiben vom 20.02.2024 in einem Einzelfall folgende Erklärungen zu den Haftanstalten übermittelt: „(…) wurde das Gesetz der Ukraine Nr. 3480-XI vom 21.11.2023 verabschiedet, das die Änderungen der Vorschriften für die Unterbringung (Anm.: hier erfolgte eine angepasste Übersetzung) der in der Ukraine ausgelieferten Personen vorsieht. So wurden dem Ministerium der Justiz der Ukraine die Befugnisse erteilte, die Liste der Untersuchungshaftanstalten, Justizvollzugsanstalten oder Erziehungskolonien zu bestätigen, wo die im Rahmen der Auslieferung zwecks der Strafverfolgung, Strafvollstreckung und Verbüßung einer Strafe in die Ukraine übergebenen Personen inhaftiert oder die Strafe in Form von Freiheitsstrafe verbüßen werden. Laut der vom Ministerium der Justiz der Ukraine bestätigten Liste, gehören zu diesen Anstalten folgende Einrichtungen: – staatliche Einrichtung „Justizvollzugsanstalt Bila Tserkva (Nr. 35)“; staatliche Einrichtung „Justizvollzugsanstalt Zhytomyr (Nr. 4)“; staatliche Einrichtung „Justizvollzugsanstalt Zbarazh (Nr. 63)“; staatliche Einrichtung „Justizvollzugsanstalt Drohobych (Nr. 40)“; staatliche Einrichtung „Justizvollzugsanstalt Kolomyia (Nr. 41)“; staatliche Einrichtung „Justizvollzugsanstalt Zakarpattia (Nr. 9)“; staatliche Einrichtung „Justizvollzugsanstalt Chortkiv (Nr. 26)“. In den genannten Anstalten werden die Maßnahmen getroffen, die auf die Verbesserung der Haftbedingungen gerichtet sind, (…), die den internationalen Verpflichtungen der Ukraine im Bereich der Menschenrechte entsprechen.“ Ergänzende Angaben oder Zusicherungen im Einzelfall würden durch diese allgemeinen Informationen nicht ausgeschlossen. Das Auswärtige Amt habe mitgeteilt, dass die von ukrainischer Seite mitgeteilten Informationen und Zusicherungen als belastbar angesehen werden und hiermit nunmehr die Bewilligungsfähigkeit von Auslieferungen in die Ukraine grundsätzlich bejaht werden könne. Das Bundesamt für Justiz schließe sich dieser Bewertung an.
68
(4) Ferner teilte das Bundesamt für Justiz mit Schreiben vom 27.05.2024 mit, dass sich das am 5. März 2024 an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in englischer Sprache verteilte „Non-Paper on Ukraine’s efforts to enhance its work in the direction of mutual legal assistance and extradition“ unter anderem mit den aktuellen Herausforderungen bei der Unterbringung von Gefangenen und deren beabsichtigten Umgang hiermit auseinandersetze. Hierin werde mitgeteilt, dass die sieben bereits benannten Haftanstalten derzeit umfangreich renoviert würden. Es sei geplant, dass die Maßnahmen abhängig von der jeweiligen Haftanstalt in den nächsten zwei Jahren abgeschlossen sind. In zwei der Haftanstalten (No. 9 Zakarpattia Penal Institution und No. 26 Chortkiv Penal Institution) sollen die Renovierungsmaßnahmen bereits fortgeschritten sein, so dass die Unterbringung von ausgelieferten Personen möglich sei. Die beiden Haftanstalten sollen über Schutzräume verfügen und auch im Übrigen den internationalen Standards entsprechen. Das Bundesamt für Justiz informierte außerdem darüber, dass dem Bericht der Botschaft Kiew über die am 25. und 26. April 2024 erfolgten Besichtigungen der Haftanstalten Transkarpatien (Nr. 9) und Tschortkiw (Nr. 26) zu entnehmen ist, dass die Haftanstalten sowohl im Hinblick auf ihre allgemeinen Ausstattungsmerkmale den Anforderungen an eine EMRKkonforme Unterbringung entsprechen dürften und zudem auch gegen etwaige Angriffe im Zusammenhang mit den aktuellen Kriegshandlungen Schutzmöglichkeiten sowie eine ersatzweise Energieversorgung und entsprechende Vorräte bereithalten. Soweit im Einzelfall von ukrainischer Seite eine EMRK-konforme Unterbringung in den Haftanstalten Transkarpatien und Tschortkiw zugesichert werde, sei diese Zusicherung nach den vorliegenden Erkenntnissen als belastbar anzusehen.
69
(5) Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse des Auswärtigen Amts und des Bundesamts für Justiz, die neben den erteilten Zusicherungen seitens der Ukraine auf die Feststellungen der Deutschen Botschaft in Kiew gestützt sind, ist davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall eine Unterbringung des Verfolgten in der Haftanstalt Zakarpattia (Transkarpatien) mit den notwendigen Schutz- und Sicherheitsvorkehrungen im Hinblick auf die bestehende Kriegssituation belastbar gewährleistet ist.
70
Durch die Unterbringung des Verurteilten in der im Westen der Ukraine befindlichen Haftanstalt Zakarpattia, die auch bereits von Seiten der Deutschen Botschaft in Kiew besucht wurde, ist der Verfolgte vor den Kriegsgefahren für seine körperliche Unversehrtheit bestmöglich geschützt, da die Haftanstalt deutlich von den Kampfhandlungen an der Front zu den russischen Streitkräften entfernt ist. Zwar sind auch dort vereinzelte Raketenangriffe nicht gänzlich auszuschließen. So führt das Auswärtige Amt auf seiner Homepage zur Innenpolitischen Lage der Ukraine unter der Überschrift „Sicherheit – Reisewarnung“ aus „… Kampfhandlungen konzentrieren sich derzeit auf den Osten und den Süden der Ukraine. Im ganzen Land finden Raketen- und Luftangriffe (neuerdings auch mit sog. Kamikaze-Drohnen) statt, bei denen auch ein Beschuss ziviler Infrastrukturen und Wohnbebauung nicht ausgeschlossen werden kann. …“. Kampfhandlungen mit russischen Truppen finden im Westen der Ukraine nicht statt. Vielmehr ist den allgemein zugänglichen Medien (vgl. etwa Audiodatei des Deutschlandfunks, Westukraine – weit hinter der Front und doch im Krieg, Dornblüth, Gesine, 24. April 2024) zu entnehmen, dass die Westukraine im Gegensatz zu den Gebieten nahe der Front relativ sicher ist und sich Unternehmen aus dem Osten deshalb dort ansiedeln und Binnenflüchtlinge dort Zuflucht finden. Ferner werden die Angaben zum Vorhandensein entsprechender Schutzmöglichkeiten für Angriffe in der Anstalt Zakarpattia nebst Vorhandensein alternativer Energieversorgung und Vorräte vom Bundesamt für Justiz unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus durchgeführten Besichtigungen seitens der Deutschen Botschaft als belastbar eingestuft. Bei dieser Sachlage kann daher derzeit nicht angenommen werden, dass dem Verfolgten im Fall einer Auslieferung in das Gebiet Transkarpatien mit hoher Wahrscheinlichkeit der Tod oder schwerste Körperverletzungen drohen und deswegen eine Auslieferung unzulässig wäre.
71
Zur Frage der Bestellung eines Pflichtverteidigers in der Ukraine bereits im Auslieferungsverfahren zur Prüfung der Zusicherungen gilt das vorstehend unter bb) (3) (b) Gesagte.
72
dd) Auch die Tatsache, dass die gerichtliche Behandlung der Sache gegen den Verfolgten sowohl bei der gerichtlichen Behandlung eines Antrages über die Anordnung der vorbeugenden Maßnahme in Form von Haft gegen ihn durch einen Ermittlungsrichter als auch bei der Sachverhandlung der Anklageakte im Strafverfahren im Wege der Videokonferenz durchgeführt werden soll (Bl. 350 d.A.), steht der Auslieferung nicht entgegen.
73
(1) Für ein faires Strafverfahren ist es grundsätzlich von zentraler Bedeutung, dass der Angeklagte persönlich am Verfahren teilnimmt. Dies dient nicht nur allgemein seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, sondern gibt dem Gericht auch die Möglichkeit, die Stichhaltigkeit seiner Aussagen zu prüfen und sie mit denen des Opfers und der Zeugen zu vergleichen (BVerfG, Beschluss vom 18.12.2023, 2 BvR 1368/23, beck-online Rn. 38, u.a. unter Verweis auf EGMR, Poitrimol v. France, Urteil vom 23. November 1993, Nr. 14032/88, § 35).
74
Auch wenn das Recht auf persönliche Anwesenheit im Verfahren nicht ausdrücklich in Art. 6 Abs. 1 EMRK benannt wird, so folgt doch aus Sinn und Zweck dieser Gewährleistung, dass eine Person, die einer Straftat angeklagt ist, das Recht hat, an der Verhandlung teilzunehmen (BVerfG a.a.O. unter Verweis auf EGMR, Colozza v. Italy, Urteil vom 12. Februar 1985, Nr. 9024/80, § 27), wobei der persönlichen Anwesenheit des Angeklagten in einer Rechtsmittelverhandlung nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie im erstinstanzlichen Verfahren (BVerfG a.a.O. Rn. 39).
75
Im Hinblick auf den Einsatz von Videokonferenztechnik im Rechtsmittelverfahren weist das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 18.12.2023 (2 BvR 1368/23 Rn. 40) auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 05.01.2007 (EGMR, Marcello Viola v. Italy, Urteil vom 5. Januar 2007, Nr. 45106/04, §§ 67 f.) hin, wonach die Europäische Menschenrechtskonvention einer Teilnahme des abwesenden Angeklagten an der Verhandlung mittels Videokonferenztechnik nicht prinzipiell entgegenstehe, wenn diese Möglichkeit im nationalen Recht vorgesehen sei und der Einsatz dieser Technik im Einzelfall ein legitimes Ziel verfolge. Im konkreten Fall, der eine Anklage wegen Mordes und Mitgliedschaft in einer mafiösen kriminellen Vereinigung zum Gegenstand hatte, sah der Europäische Gerichtshof den Einsatz der Videokonferenztechnik angesichts der dafür streitenden öffentlichen Interessen, namentlich der Belange des Zeugenschutzes und des Erfordernisses einer angemessenen Verfahrensdauer, und unter Einbeziehung des Umstands, dass der Angeklagte das Recht hatte, sich während der Verhandlung vertraulich mit seinem Verteidiger zu beraten, als gerechtfertigt an (vgl. EGMR, Marcello Viola v. Italy, Urteil vom 5. Januar 2007, Nr. 45106/04, §§ 67, 75).
76
(2) Im vorliegenden Fall ist die Durchführung des Gerichtsverfahrens im Wege der Videokonferenz aufgrund Kriegsrechts der Ukraine, die sich einem völkerrechtswidrigen Angriff von Russland ausgesetzt sieht, unter Berücksichtigung des vorrangigen Schutzes für Leben und körperliche Unversehrtheit des Verfolgten gerechtfertigt. Dadurch dass die notwendigen technischen Voraussetzungen gewährleistet und Regeln für die Durchführung der Übertragung der Verhandlung in Bild und Ton auch für den Fall technischer Schwierigkeiten vorhanden sind, die Wahrung der Verteidigungsrechte im gesamten Strafverfahren zugesichert ist und der Verfolgte auch beim Ferngerichtsverfahren alle ihm zustehenden Verfahrensrechte ausüben kann, ist die Durchführung eines fairen Verfahrens für den Verfolgten sichergestellt.
77
(a) Das zuständige Gericht befindet sich in Poltawa.
78
Art. 615 Ziffer 9 der ukrainischen Strafprozessordnung sieht vor, dass während des Kriegsrechts Anklagen von den Gerichten gerichtet und geprüft werden, in deren Zuständigkeitsbereich die Straftat begangen wurde, und im Fall der Unmöglichkeit der Rechtspflege durch das zuständige Gericht aus objektiven Gründen durch das Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich, sich eine Behörde der vorgerichtlichen Untersuchung befindet, welche die vorgerichtliche Untersuchung abgeschlossen hat, oder durch ein anderes Gericht, das nach dem gesetzlich festgelegten Verfahren bestimmt wird. (Bl. 301f d.A.).
79
Demnach ist, wie bereits im Auslieferungsersuchen vom 09.04.2024 (S. 4, Bl. 285 d.A.) ausgeführt, das für das Gebiet Poltawa zuständige Gericht zur Entscheidung berufen, konkret das Kyivskyi Bezirksgericht der Stadt Poltawa (Gericht des Bezirks Kiew der Stadt Poltawa, s. Schreiben des Büros des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine vom 18.06.2024, Bl. 350 d.A.).
80
Dass trotz bestehender Angriffe auch in Poltawa (dazu nachfolgend unter (b)) die Rechtspflege und Durchführung der Verhandlung in Poltawa nicht für unmöglich gehalten und auf ein anderes Gericht übertragen wird, ist eine eigenständige, von hier nicht zu bewertende Entscheidung der ukrainischen Behörden.
81
(b) Nach der ukrainischen Verfahrensordnung (Art. 21 Abs. 3 der ukrainischen Strafprozessordnung) hat der Verfolgte ein Recht auf persönliche Teilnahme am Strafverfahren. Er hat grundsätzlich auch das Recht, zwischen persönlicher (physischer) Anwesenheit und Anwesenheit unter Einsatz technischer Mittel der Videoaufzeichnung zu wählen, außer in Fällen, in denen seine persönliche Teilnahme aus Gründen der Gewährleistung der Sicherheit oder anderen Umständen nicht möglich ist.
82
(c) Das grundsätzliche Wahlrecht hinsichtlich der Teilnahme an der Gerichtsverhandlung in Präsenz oder im Wege der Fernverhandlung ist vorliegend wegen des geltenden Kriegsrechts ausgeschlossen.
83
Die Regelungen zur Durchführung von Verfahrenshandlungen im Videokonferenzmodus während des Gerichtsverfahrens sind in Art. 336 der Strafprozessordnung der Ukraine enthalten (Anlage zum Schreiben des Büros des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine vom 23.09.2024, Bl. 457 d.A., Bl. 459 – 461 d.A.). Unter Ziffer 1. Absätze 1) bis 5) sind die Fälle geregelt, in denen ein Ferngerichtsverfahren durchgeführt werden kann, darunter nach Ziffer 4) bei Einführung des Kriegsrechts.
84
Das Gericht entscheidet, ob ein Ferngerichtsverfahren unter Einsatz von Videokonferenz stattfindet. Werden Einwände erhoben, muss der Beschluss zur Durchführung eines Ferngerichtsverfahrens begründet werden. Gegen den Einspruch des Angeklagten kann die Durchführung eines Ferngerichtsverfahrens nur im Rahmen des Kriegsrechts angeordnet werden (Art. 336 Ziffer 2 der ukrainischen Strafprozessordnung).
85
Die Durchführung der Hauptverhandlung als Fernverhandlung mit Videoübertragung ist im vorliegenden Fall nach der bestehenden Regelung im Rahmen des Kriegsrechts möglich. Poltawa liegt in der Zentralukraine und ist russischen Angriffen ausgesetzt (vgl. Bericht vom 30.09.2024 auf www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-angriff-poltawa-100.html zu einem russischen Rakentenangriff auf Poltawa, bei dem offenbar ein militärisches Ausbildungszentrum und ein Krankenhaus getroffen und mindestens 47 Menschen getötet und mehr als 200 Menschen verletzt wurden).
86
(d) Die Durchführung der Verhandlung als Fernverhandlung kommt vor allem dem Schutz der körperlichen Unversehrtheit des Verfolgten zugute.
87
(e) Der Verfolgte hat im Übrigen auch nicht geltend gemacht, an der Hauptverhandlung in Poltawa vor Ort persönlich teilnehmen zu wollen.
88
(f) Die unmittelbare Teilnahme an den Gerichtssitzungen wird mithilfe von technischen Mitteln im Wege der Videokonferenz gesichert, die Justizvollzugsanstalt Zakarpattia hat dafür einen einzelnen Raum zur Durchführung von Videokonferenzen und IP-Telefonie (Schreiben des Büros des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine vom 18.06.2024, Bl. 350 d.A.), so dass der Verfolgte entsprechend der Regelung in Art. 336 Ziffer 9. Absätze 2 und 3 der ukrainischen Strafprozessordnung in den Räumlichkeiten der Anstalt mit deren technischen Mitteln und unter Verwendung einer eigenen qualifizierten elektronischen Signatur beziehungsweise über das elektronische Büro der Anstalt oder das Büro ihres Beamten an der Gerichtssitzung teilnehmen kann. Nach Art. 336 Ziffer 9. Absatz 4 der ukrainischen Strafprozessordnung gewährleistet die Strafvollzugsanstalt die technische Möglichkeit der Teilnahme an einer Videokonferenz, ordnungsgemäße Bild- und Tonqualität, Informationssicherheit etc.
89
(g) Die Regelungen in der ukrainischen Strafprozessordnung gewährleisten die Wahrnehmung der Verfahrensrechte des Verfolgten.
90
Art. 336 Ziffer 3 der ukrainischen Strafprozessordnung sieht vor, dass die bei Ferngerichtsverfahren eingesetzten technischen Mittel und Technologien eine ordnungsgemäße Bild- und Tonqualität, die Einhaltung des Grundsatzes der Öffentlichkeit und Offenheit des Gerichtsverfahrens sowie die Informationssicherheit gewährleisten müssen. Den Strafverfahrensbeteiligten muss die Möglichkeit gewährt werden, den Ablauf des Gerichtsverfahrens zu hören und zu sehen, Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten, sonstige ihnen zustehende Verfahrensrechte auszuüben und die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Verfahrenspflichten zu erfüllen.
91
Wie bereits im Auslieferungsersuchen vom 09.04.2024 zugesichert, wird das Recht auf Hilfe eines Rechtsanwalts für den Verfolgten sichergestellt (S. 3 des Auslieferungsersuchens, Bl. 285 d.A.). Für den Verfolgten wird in allen Stadien des Strafverfahrens die Teilnahme eines Verteidigers gesichert (Schreiben des Büros des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine vom 18.06.2024, Bl. 350 d.A.). Der Verteidiger kann sich während der Gerichtssitzung mit dem Angeklagten in einer dafür vorgesehenen Einrichtung oder in den Gerichtsräumen aufhalten oder sich von einem anderen Ort aus mit seinen eigenen technischen Mitteln zuschalten (S. 2 Ziffer 5. Absatz 2 des Schreibens des Büros des Generalstaatsanwalts der Staatsanwaltschaft der Ukraine vom 23.09.2024, Bl. 457 d.A.). Da der Verfolgte, wie in Art. 336 Ziffer 3 der ukrainischen Strafprozessordnung geregelt, auch bei der Fernverhandlung das Recht hat, die ihm zustehenden Verfahrensrechte auszuüben, steht ihm im Rahmen der Fernverhandlung insbesondere auch das Recht auf ungestörte Kommunikation mit seinem Verteidiger zu. Nach Art. 42 3) der Strafprozessordnung der Ukraine hat der Verfolgte als Verdächtiger das Recht, auf erstes Ersuchen einen Verteidiger u beauftragen und sich mit ihm vor der ersten Vernehmung unter Einhaltung der Bedingungen zur Gewährleistung der Vertraulichkeit der Kommunikation zu treffen, und auch nach der ersten Vernehmung solche Treffen abzuhalten, ohne deren Anzahl und Dauer zu beschränken (vgl. Verdachtsanzeige vom 30. November 2015, Bl. 159, 160 d.A.).
92
Daneben gelten auch die weiteren Rechte aus Artikel 42 der ukrainischen Strafprozessordnung, über die der Verfolgte laut der Verdachtsanzeige belehrt wurde, einschließlich des oben unter II. 4. c) genannten Rechts auf einen Dolmetscher.
93
(h) Für den Fall technischer Schwierigkeiten ist sichergestellt, dass die Verhandlung nicht weitergeführt wird, solange die Schwierigkeiten bestehen.
94
Bei Kommunikationsunterbrechung mit einem Strafverfahrensbeteiligten, dessen Teilnahme obligatorisch ist, verschiebt das Gericht die Verhandlung ebenso wie im Fall der technischen Unmöglichkeit, mit eigenen technischen Mitteln an der Verhandlung teilzunehmen (Art. 336 Ziffer 6. Abs. 2 der ukrainischen Strafprozessordnung).
95
(i) In der Gesamtbetrachtung ist daher das Recht des Verfolgten auf ein faires Verfahren gesichert. Die angekündigte Durchführung der Gerichtsverhandlung im Wege der Videokonferenz begründet kein Auslieferungshindernis.
96
Bei der Durchführung der Fernverhandlung aufgrund Einführung des Kriegsrechts fällt vor allem der dadurch bewirkte Schutz für Leib und Leben des Verfolgten gegenüber seinem (vorliegend vom Verfolgten nicht eingeforderten) Recht auf persönliche Teilnahme an der Verhandlung ganz erheblich ins Gewicht.
97
Die Fernverhandlung führt demgegenüber nicht zu einem entscheidenden Nachteil für den Verfolgten, da durch die bestehenden Verfahrensregeln und technische Ausstattung in der Justizvollzugsanstalt eine Teilnahme des Verfolgten an der Hauptverhandlung unter Wahrung seiner Verfahrensrechte, insbesondere seiner Verteidigungsrechte, gesichert ist.
98
Schließlich ist auch anzuerkennen, dass die Ukraine, die mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg mit weitgehenden Auswirkungen auf das gesamte Staatswesen überzogen wurde, ersichtlich ganz erhebliche Anstrengungen unternimmt, um trotz der bestehenden Kriegssituation eine sichere Unterbringung ausgelieferter Personen und eine rechtsstaatlich einwandfreie Verfahrensführung gewährleisten zu können, damit sie auf diese Weise ihren staatlichen Aufgaben weiterhin nachkommen und den Staat auch in diesem Bereich funktionsfähig erhalten kann. Diese Anstrengungen nicht angemessen zu berücksichtigen und stattdessen die Auslieferung an für die Wahrung der Rechte des Verfolgten nicht zwingend gebotenen Anforderungen scheitern zu lassen, die unter friedlichen Bedingungen womöglich zu bewerkstelligen wären, sich aber in der bestehenden kriegsbedingten Sondersituation als überzogen darstellen, würde letztlich nicht allein den ukrainischen Interessen zuwiderlaufen, sondern ungerechtfertigerweise vor allem den Interessen des Aggressors an einer Destabilisierung des ukrainischen Staates entgegenkommen.
99
5. Die Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft ist erforderlich, weil weiterhin die Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte, der in Deutschland keine sozialen Bindungen hat und lediglich auf der Durchreise war, dem Auslieferungsverfahren entziehen würde, falls er auf freien Fuß gesetzt würde (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG, Art. 22 EuAlÜbk).
100
Eine Änderung der maßgeblichen Umstände ist im Vergleich zu den Beschlüssen vom 03.05.2024, 02.07.2024 und 02.09.2024 nicht eingetreten. Im Hinblick auf die dem Verfolgten zur Last liegende schwerwiegende Straftat und die dafür im Raum stehende Strafdrohung ist die Fortdauer der Auslieferungshaft auch nach wie vor verhältnismäßig.
101
Eine Außervollzugsetzung des Haftbefehles nach Art. 22 EuAlÜbk, § 25 Abs. 2 IRG, § 116 StPO kommt weiterhin nicht in Betracht.