Inhalt

VG München, Urteil v. 31.01.2024 – M 7 K 23.1518
Titel:

Rücknahme des Kleinen Waffenscheins aufgrund der Mitgliedschaft und Tätigkeit im Vorstand der Jungen Alternmative (JA)

Normenkette:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 2 Nr. 3, § 10 Abs. 4 S. 4, § 45 Abs. 1
Leitsätze:
1. Personen können nur als unzuverlässig iSv § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. b und c WaffG angesehen werden, wenn – erstens – Tatsachen die Annahme rechtfertigen (oder – wie hier – der Nachweis erbracht ist bzw. es feststeht), dass sie in den letzten fünf Jahren Mitglied in einer Vereinigung gewesen sind bzw. eine solche unterstützt haben, die – zweitens – ihrerseits zu diesem Zeitpunkt nachweislich eine der in § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. a WaffG genannten Bestrebungen verfolgt haben. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verfolgen von Bestrebungen iSd § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. b und c WaffG  muss für die zuständige Behörde und gegebenenfalls für das zuständige Gericht feststehen. Es genügt nicht, dass lediglich Tatsachen die Annahme der Verfolgung rechtfertigen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rücknahme eines Kleinen, Waffenscheins, Waffenrechtliche (Un-)Zuverlässigkeit, Junge Alternative (JA) Bayern, Kleiner Waffenschein, Rücknahme, Unzuverlässigkeit, Mitgliedschaft, Tätigkeit, Junge Alternative (JA), Vorstand, Tatsachen, extremistische Bestrebungen, Vereinigung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Urteil vom 25.07.2025 – 24 BV 24.412
Fundstelle:
BeckRS 2024, 50024

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2023, Az.: ****************, wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme seines Kleinen Waffenscheins.
2
Die Beklagte erteilte dem Kläger auf seinen Antrag vom … Januar 2022 am 21. März 2022 einen Kleinen Waffenschein.
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Auf Hinweis der Regierung von Oberbayern nahm die Beklagte eine (erneute) Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers aufgrund von Erkenntnissen des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz vor. Dieses hatte mit Schreiben vom 28. Februar 2022 mitgeteilt, dass der Kläger bis mindestens Juli 2020 erster Vorsitzender des Bezirksverbands … der Jungen Alternative (JA) Bayern gewesen sei, welche seit Januar 2019 ein Beobachtungsobjekt des Landesamts sei.
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In der Folge nahm die Beklagte mit Bescheid vom 3. März 2023 die Erteilung des dem Kläger erteilten Kleinen Waffenscheins Nr. … zurück (Nr. 1) und verpflichtete ihn, diesen bis spätestens 23. März 2023 im Ordnungs- und Gewerbeamt abzugeben (Nr. 2). Falls er den Kleinen Waffenschein nicht bis zum 23. März 2023 abgeben werde, werde ein Zwangsgeld in Höhe von 200,- Euro zur Zahlung fällig (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Nr. 2 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 4). Dem Kläger wurden die Kosten des Verfahrens auferlegt und es wurde eine Gebühr in Höhe von 100,- Euro festgesetzt (Nr. 5). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die JA werde aufgrund von extremistischen Bestrebungen durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz als Beobachtungsobjekt geführt und dem Kläger hätte aufgrund seiner Mitgliedschaft und Tätigkeit im Vorstand der JA der Kleine Waffenschein gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b und c WaffG versagt werden müssen, da er die erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze.
5
Gegen diesen Bescheid ließ der Kläger am … März 2023 Klage erheben. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die JA sei vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft worden, was bedeute, dass sich der Verdacht in einer gewissen Weise erhärtet habe, ohne schon eine abschließende Kategorisierung einer Bestrebung als extremistisch treffen zu können. Ein Verhalten könne nur dann zum Widerruf von waffenrechtlichen Erlaubnissen führen, wenn die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a bis c WaffG vorlägen. Die Tatsache, dass es sich um einen Verdachtsfall handele, zeige bereits, dass die Prüfung nicht abgeschlossen sei. Das vom Kläger ausgeübte Amt stelle noch keine Unterstützung von gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen dar. Es seien keine belastbaren und im Einzelfall nachprüfbaren Tatsachen in der Person des Klägers gegeben, die ihn als gesichert verfassungsfeindlich erschienen ließen. Der Kläger fühle sich der freiheitlichen demokratischen Ordnung verpflichtet und achte das Grundgesetz und die Bayerische Verfassung.
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Der Kläger beantragt,
Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2023, Az.: …, eingegangen am 4. März 2023, wird aufgehoben.
7
Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 10. Mai 2023 auf die Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen und im Wesentlichen ergänzt, der Tatvorwurf des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG verlange nicht den Nachweis konkreter Bestrebungen. Eine hinreichende Distanzierung des Klägers von den Zielen der JA liege nicht vor.
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Der vom Kläger gleichzeitig gestellte Eilantrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 30. August 2023 abgelehnt (M 7 S 23.1519). Unter Aufhebung dieses Beschlusses ordnete der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 16. November 2023 (24 CS 23.1695) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nrn. 1 und 3 des Bescheids vom 3. März 2023 an und stellte sie gegen die Nr. 2 des Bescheids wieder her.
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Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 2023 bzw. 11. Dezember 2023 erklärten sich Kläger und Beklagte mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 30. August 2023 (M 7 S 23.1519), den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. November 2023 (24 CS 23.1695) sowie die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten in diesem Verfahren sowie im Verfahren M 7 S 23.1519 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte im Wege des schriftlichen Verfahrens entschieden werden, da die Beteiligten übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist begründet.
14
Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2023 erweist sich als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
15
Der in Nr. 1 des Bescheids verfügte Widerruf des Kleinen Waffenscheins gemäß § 45 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b und c WaffG stellt sich als rechtswidrig dar.
16
Gemäß § 45 Abs. 1 WaffG ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz – vorliegend der Kleine Waffenschein nach § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG – zurückzunehmen, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Erlaubnis hätte versagt werden müssen. Eine waffenrechtliche Erlaubnis ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG zu versagen, wenn der Antragsteller nicht die erforderliche Zuverlässigkeit i.S.v. § 5 WaffG besitzt. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG in der – hier anzuwendenden – Fassung des Gesetzes vom 17. Februar 2020 (BGBl. I S. 166) besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in den letzten fünf Jahren (a) Bestrebungen einzeln verfolgt haben, die (aa) gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder (bb) den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind oder (cc) durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, (b) Mitglied in einer Vereinigung waren, die solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat oder (c) eine solche Vereinigung unterstützt haben.
17
Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. vorliegend B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1695 – juris Rn. 18 ff.; siehe auch B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1709 – juris Rn. 15 ff., jeweils m.w.N.) können Personen nur als unzuverlässig im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b und c WaffG angesehen werden, wenn – erstens – Tatsachen die Annahme rechtfertigen (oder – wie hier – der Nachweis erbracht ist bzw. es feststeht), dass sie in den letzten fünf Jahren Mitglied in einer Vereinigung gewesen sind bzw. eine solche unterstützt haben, die – zweitens – ihrerseits zu diesem Zeitpunkt nachweislich eine der in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG genannten Bestrebungen verfolgt hat. Das Verfolgen von Bestrebungen im Sinne der Vorschrift muss für die zuständige Behörde und gegebenenfalls für das zuständige Gericht feststehen; es genügt nicht, dass lediglich Tatsachen die Annahme der Verfolgung rechtfertigen.
18
Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs erweist sich demzufolge die Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids als offensichtlich bzw. offenkundig rechtswidrig (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1695 – juris Rn. 30 f.). Wegen der weiteren Einzelheiten hierzu wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.
19
Aus der offensichtlichen Rechtswidrigkeit der Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ergibt auch die offenkundige Rechtswidrigkeit der weiteren (Folge-)Entscheidungen (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1695 – juris Rn. 30 f.).
20
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
21
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
22
Die Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die das Waffengesetz als Bundesrecht betreffende Rechtsfrage, ob sich der tatsachenbegründete Verdacht im Zusammenhang mit der Norm des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b und Buchst. c WaffG allein auf die Mitgliedschaft in einer Vereinigung bzw. Unterstützen einer solchen bezieht und nicht darauf, dass die Vereinigung Bestrebungen im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a WaffG verfolgt oder verfolgt hat, wird aktuell in obergerichtlichen Beschwerdeverfahren nicht einheitlich und ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof folgt in seiner jüngeren Rechtsprechung (vgl. B.v. 16.11.2023 – 24 CS 23.1695 und 24 CS 23.1709) insofern der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt (vgl. B.v. 24.4.2023 – 3 M 13/23 – juris Rn. 10 ff. zu § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b WaffG), während das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zu einem Fall des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c WaffG eine andere Auffassung vertritt (vgl. B.v. 23.10.2023 – OVG 6 S 44/23 – juris Rn. 4).