Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 13.06.2024 – 8 O 5421/23
Titel:

Gesamtschuldnerische, Fahrstreifenwechsel, Rechtsanwaltsgebühren, Netto-Reparaturkosten, Gerichtlich bestellter Sachverständiger, Klageabweisung, Merkantiler Minderwert, Rechtshängigkeit, Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung, Kostenentscheidung, Basiszinssatz, Außergerichtliche Geschäftsgebühr, Prozeßbevollmächtigter, Unfallhaftung, Gegenstandswert, Wertminderung, Außergerichtliche Gebühren, Fahrbahnbegrenzung, Kfz-Sachverständiger, Sachverständigenbüro

Schlagworte:
Unfallhaftung, Fahrstreifenwechsel, Überholvorgang, Fahrzeugbreite, Schadensersatzquote, Verkehrssicherungspflicht, Reparaturkosten
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49964

Tenor

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Hö- he von 2.583,41 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.10.2023 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin die hälftige außerge- richtliche Gebühr nach Nr. 2300 VV-RVG in Höhe von 195,52 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.10.2023 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 56 % und die Beklagten gesamt- schuldnerisch 44 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des je- weils zu vollstreckenden Betrages.
Beschluss:
Der Streitwert wird festgesetzt auf 5.836,47 Euro.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, welcher sich am 10.02.2022 auf der A6 im Gemeindegebiet von ...ereignete.
2
Am Unfalltag gegen 06:40 Uhr befuhr der Zeuge D. Z. – es handelt sich um den Sohn der Klägerin – mit dem Pkw Tesla Modell 3 (amtliches Kennzeichen: ...) die A6 von Nürnberg in Richtung Amberg. Im Bereich der Riedener Talbrücke befand sich zu diesem Zeitpunkt eine Baustelle und eine hierdurch bedingte Verengung der Fahrbahnen. Nichtsdestotrotz versuchte der Zeuge Z., den vom Beklagten zu 1) geführten Lkw – bestehend aus Sattelzugmaschine und -auflieger – zu überholen. Halterin des Lkws war die Beklagte zu 2.). Die Beklagte zu 3) ist der Haftpflichtversicherer des Lkws. Während des Überholvorgangs kam es zu einer seitlichen Kollision der beiden Fahrzeuge. Das Unfallgeschehen wurde aus mehreren Perspektiven von Kameras des Pkw Tesla dokumentiert. Zwischen den Parteien ist jedoch streitig, in welchem Umfang die Parteien für den Unfall haften (siehe hierzu sogleich). Die Klagepartei beauftragte das Kfz.-Sachverständigen-Büro H. K. mit der Schadensbegutachtung. Zunächst wurde ein schriftliches Gutachten unter dem 22.02.2022 (Anlage K1) erstellt. Darin wurden die Nettoreparaturkosten mit 3.129,36 Euro und die Wertminderung mit 800,00 Euro beziffert. Unter dem 12.05.2022 wurde die Kalkulation korrigiert und die Nettoreparaturkosten nunmehr mit 4.251,54 Euro beziffert (Anlage K2). Für die Erstattung des Gutachtens wurde der Klägerin ein Betrag in Höhe von 764,93 Euro brutto in Rechnung gestellt (Anlage K3). Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20.03.2022 wurde klägerseits ein Schaden in Höhe von 4.724,29 Euro geltend gemacht und die Beklagte zu 3) zum Ausgleich bis 16.03.2022 aufgefordert (Anlage K5). Außergerichtlich erfolgten jedoch keine Zahlungen.
3
Die Klägerin behauptet, Eigentümerin des Tesla zu sein. Sie ist der Ansicht, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch umfänglich für die Folgen des Verkehrsunfalls haften. Die Reparaturkosten seien durch das SV-Büro K. am 12.05.2022 zutreffend berechnet.
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Unter Berücksichtigung einer Unfallkostenpauschale von 20,00 Euro beantragt die Klägerin daher:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 5.836,47 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 4.724,29 Euro seit dem 17.03.2022 sowie aus einem Betrag von 5.836,47 Euro seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin die hälftige außergerichtliche Geschäftsgebühr nach 2300 VV RVG in Höhe von 345,27 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.03.2022 zu bezahlen.
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Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
6
Die Beklagten sind der Ansicht, der Zeuge Z. habe gegen diverse Verkehrsvorschriften beim Überholvorgang verstoßen. Unter anderem sei auf der linken Fahrspur eine Durchfahrtsbreite nach § 41 Abs. 2 StVO i.V.m. Anlage 2 Zeichen 264 StVO auf maximal 2,00 m beschränkt gewesen. Der Zeuge Z. habe ferner gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO verstoßen, nachdem die Begrenzung der Seitenbreite auf 2 m indirekt ein Überholverbot begründet habe. Zur Behebung des Schadens am klägerischen Fahrzeug seien Reparaturkosten von lediglich 2.713,56 Euro netto erforderlich gewesen.
7
Wegen des weiteren Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen und auf die zur Akte gelangten Kameraaufzeichnungen des klägerischen Pkws umfassend Bezug genommen.
8
Das Gericht hat im Termin am 25.04.2024 den Zeugen D. Z. uneidlich vernommen. Ferner erstattet der gerichtlich bestellte Sachverständige Dipl.-Ing. (FH) ... ein mündliches Gutachten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminprotokoll vom 25.04.2024 sowie auf die vom Sachverständigen im Termin überreichten Fotos und Anlagen umfassend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nur teilweise begründet. Die Klägerin kann von Beklagten gesamtschuldnerisch einen Betrag in Höhe von 2.583,41 € verlangen §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG).
10
1. Zur Überzeugung des Gerichts hat sich der Unfall wie folgt zugetragen:
11
Der Zeuge Z. versuchte am Unfalltag, den Beklagten-Lkw in der Baustelle der A 6 im Bereich Riedener Talbrücke – es galt dort eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h – mit dem Tesla der Klägerin zu überholen. In Fahrtrichtung der Parteien standen zwei Fahrstreifen zur Verfügung. Die Fahrzeugbreite war auf dem linken Fahrstreifen auf 2,0 m beschränkt, wobei laut Verkehrsführungsplan für den linken Fahrstreifen eine Breite von 2,5 m und für den rechten Fahrstreifen eine Breite von 3,25 m vorgesehen war. Der klägerische Pkw ist ohne Spiegel 1,85 m, mit eingeklappten Spiegeln 1,933 m und mit normal ausgeklappten Außenspiegeln 2,089 m breit. In den Fahrzeugpapieren des Teslas ist die Fahrzeugbreite mit 1,85 m angegeben. Die äußeren Flanken der hinteren Reifen des Sattelaufliegers des Beklagten-Lkws liegen ca. 2,5 m auseinander. Der Zeuge Z. näherte sich dem Beklagten-Lkw von hinten. Zunächst befuhren beide Fahrzeuge den rechten der beiden Fahrstreifen. Bereits bei der Annäherung war für den Zeugen erkennbar, dass einerseits der Beklagten-Lkw aufgrund der Fahrzeugbreite den rechten Fahrstreifen weitgehend einnahm. Außerdem war erkennbar, dass der Lkw immer wieder mit den linken hinteren Reifen auf oder sogar über die gelb gestrichelte Fahrbahnbegrenzungslinie geriet. Etwa 12 Sekunden vor der Kollision begann der Zeuge Z. mit dem Fahrstreifenwechsel nach links. Der Lkw fuhr während der Annäherung des Pkw mit dem linken Reifen auf oder links der Mittellinie. Ca. 10 bis 5 Sekunden vor der Kollision fuhr der Sattelzug langsam nach rechts. Links berührten die äußeren Kanten der linken Reifen zu jedem Zeitpunkt noch die Mittelleitlinie. Anschließend erfolgte für etwa 3,5 Sekunden ein leichtes Pendeln des Sattelzuges im Bereich der Mittelleitlinie, bevor dieser etwa 1,5 Sekunden vor der Kollision wieder deutlich wahrnehmbar nach links zog. Ab etwa 4 Sekunden vor der Kollision war die Geschwindigkeit zwischen beiden Fahrzeugen annäherungsweise gleich. Durch das weitere nach links kommen kam es dann jedoch zur Kollision der beiden Fahrzeuge, in deren Folge das Kläger-Fahrzeug nach links auswich und mit der linken hinteren Fahrzeugseite die linke Fahrbahnbegrenzung touchierte. Aufgrund des Unfalls ist am klägerischen Tesla ein Schaden in Höhe von 3.581,88 Euro netto entstanden. Ferner trat ein merkantiler Minderwert von 800,00 Euro ein.
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2. Die Eigentümerstellung der Klägerin ergibt sich aus den Angaben des Zeugen Z. . Die Feststellungen zu den Fahrzeug- und Straßenbreiten beruhen auf den Angaben des gerichtlich bestellten Sachverständigen Dipl.-Ing. (FH) ... . Dieser ist dem Gericht seit langem als zuverlässiger und kompetenter Unfallanalytiker und Kfz-Begutachter bekannt. Das Unfallgeschehen wurde durch vier Videos, welche das Geschehen aus verschiedenen Perspektiven zeigen, dokumentiert. Die Videos wurden durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen K. ausgewertet. Die Feststellungen zur Schadenshöhe beruhen ebenfalls auf der Auswertung des Sachverständigen. Dieser führte insofern aus, dass einige Ersatzteilpreise im Nachtrags-Gutachten des Sachverständigenbüros K. nicht nachvollzogen werden könnten. Die vom Sachverständigen K. ermittelten Reparaturkosten ergeben sich, aus den aktuellen Preisen im Kalkulationssystem Audatex.
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3. Für den Schaden haften beide Parteien zu jeweils 50%.
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Der Beklagte zu 2) verstieß gegen § 7 Abs. 5 StVO, indem er einen nicht angekündigten teilweisen Fahrstreifenwechsel vorgenommen hat.
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Auf der anderen Seite ist zu sehen, dass das klägerische Überholen des Beklagten-Lkw im Baustellenbereich äußerst gefährlich war und gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO verstieß: Der einzuhaltende Abstand richtet sich nach der Rechtsprechung nach den Gesamtumständen des Einzelfalls, insbesondere der Fahrzeugart beider beteiligter Fahrzeuge, der Geschwindigkeit sowie der Fahrbahn- und Witterungsverhältnisse (vgl. nur Schäfer in: BeckOK StVR, 23. Edition, Stand 15.04.2024, § 5 StVO, Rdnr. 60 ff m.w.N.). Unabhängig davon, ob der Kläger davon ausgehen durfte, dass sein Fahrzeug 1,85 m (so die Fahrzeugbreite ohne Spiegel, wie sie in den Fahrzeugpapieren angegeben ist) oder 2,09 m (tatsächliche Breite mit ausgeklappten Spiegeln) breit war, war für ihn erkennbar, dass auch im Falle, dass der Beklagten-Lkw vollständig auf der rechten Spur verbleiben würde nur ein sehr geringer Abstand zwischen beiden Fahrzeugen aufgebaut werden könnte. Von der rechten Fahrbahn, die mit 3,25 m ausgebaut war, nahm der Lkw 2,50 m ein. Von der linken Fahrbahn, die mit 2,50 m ausgebaut war, nahm das klägerische Fahrzeug ca. 2,00 m ein. Damit verbleibt im Falle, dass sich beide (!) Fahrzeuge jeweils am äußersten Fahrbahnrand befinden ein theoretischer Abstand von gerade einmal 1,25 m. Hierbei ist aber zu berücksichtigten, dass die linke Fahrbahnbegrenzung der linken Fahrspur mit durchgängigen Betonteilen und die rechte Fahrbahnbegrenzung der rechten Fahrbahnspur durchgängig mit einer doppelten Leitplanke ausgebaut ist. Damit konnte keine der Parteien am äußersten Rand der jeweiligen Fahrbahn unterwegs sein, sondern mussten vielmehr einen Sicherheitsabstand zu den baulichen Begrenzungen aufbauen. Darüber hinaus war zu sehen, dass sich der Überholvorgang – wie der Zeuge Z. (der sich auf dem Weg zur Arbeitsstelle befand) wusste – im Bereich einer Brücke abspielte und der großflächige Beklagten-Lkw Windböen besonders stark ausgesetzt war. Dass es dem Beklagten zu 1) offenbar schwerfiel, die rechte Fahrspur zu halten, war für den Kläger bereits im Annähern zu erkennen, da der Beklagten-Lkw immer wieder auf oder sogar über die gelbe gestrichelte Begrenzungslinie geriet. Nichtsdestotrotz setzte der Kläger zum Überholen an und verstieß somit gegen die zitierte Vorschrift.
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Einen Verstoß gegen § 41 Abs. 1 StVO i.V.m. Zeichen 264 der Anlage 2 zur StVO legt das Gericht hingegen nicht zugrunde. In den Fahrzeugpapieren war nur eine Breite von 1,85 m angegeben. Dort ist nicht zu entnehmen, dass es sich um die Breite ohne Spiegel handelt. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Gebrauchsanweisung des Fahrzeuges oder gar ein eigenständiges Ausmessen der Fahrzeugbreite kann dem Zeugen hingegen nicht abverlangt werden. Der Tesla Modell 3 ist vielmehr in der Wahrnehmung der Verkehrsteilnehmer ein „normaler“ Pkw, so dass allgemein angenommen wird, dass damit eine von der Breite eingeschränkte Fahrbahn auf einer deutschen Autobahn befahren werden kann.
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Vor diesem Hintergrund sieht das Gericht das Verschulden beider Parteien als gleichgewichtig an.
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4. Der Kläger kann daher die Hälfte der erforderlichen Reparaturkosten und der ihm sonstige entstandenen Kosten im Zusammenhang mit dem Unfall ersetzt verlangen. Hieraus ergibt sich der tenorierte Betrag wie folgt:
„Lfd. Position Betrag
1 Reparaturkosten (lt. SV K. ) 3.581,88 €
2 Wertminderung 800,00 €
3 SV-Kosten 764,93 €
4 Unfallkostenpauschale 20,00 €
5 Summe 5.166,81 €
6 Quote 50% 2.583,41 €
Außergerichtlich Rechtsanwaltsgebühren in Form der geltend gemachten 0,65-fachen Geschäftsgebühr zzgl. Postpauschale i.H.v. 20,00 € sowie Umsatzsteuer kann der Kläger aus einem Gegenstandswert von 2.583,41 € ersetzt verlangen. Dies ergibt einen Betrag in Höhe von 195,52 €.“
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Nachdem der Kläger außergerichtlich eine deutliche Mehrforderung geltend gemacht hat, befanden sich die Beklagten erst seit Rechtshängigkeit im Verzug (§§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 BGB).
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5. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.