Inhalt

OLG München, Endurteil v. 25.07.2024 – 14 U 4671/23 e
Titel:

Umsatzsteuer als Schaden der Bundesrepublik Deutschland bei der Beseitigung von Unfallschäden an einer Autobahn beim sog. A-Modell

Normenketten:
BGB § 249 Abs. 2 S. 2, § 254 Abs. 2, § 398
UStG § 15 Abs. 1
Leitsatz:
Im Fall der Forderungsabtretung ist für die Frage der umsatzsteuerrechtlichen Qualifizierung nach allgemeinen Grundsätzen der Schadensbemessung auf den Geschädigten und Zedenten abzustellen, da der Schadensersatzanspruch im Zeitpunkt der tatbestandlichen Verwirklichung des Haftungstatbestands entsteht und sich somit an der Person des Geschädigten orientiert. Damit kommt es nicht darauf an, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Zessionar im Zusammenhang mit dem Schaden zum Vorsteuerabzug berechtigt ist bzw. ein Vorsteuerabzug durchgeführt wurde und ggf. nachträglich korrigiert wurde oder noch werden muss. (Rn. 83) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadensersatz, Umsatzsteuer, Bundesrepublik Deutschland, Bundesautobahn, Vorsteuerabzugsberechtigung, Konzessionsvertrag
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 20.11.2023 – 123 O 4034/22
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 01.07.2025 – VI ZR 278/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49793

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 20.11.2023, Az.: 123 O 4034/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. 3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Augsburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision der Beklagten gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin ist aufgrund eines zwischen der Bundesrepublik Deutschland (Konzessionsgeberin) und der A## GmbH (Konzessionsnehmerin) geschlossenen Konzessionsvertrags (Auszug: Anlage K 2) und eines zwischen der Konzessionsnehmerin und ihr – der Klägerin – geschlossenen sog. O& M-Vertrags (Auszug: Anlage K 1) zur Instandhaltung und Wiederherstellung der zwischen A# … und M# … liegenden Teilstrecke der Bundesautobahn A X verpflichtet. Die Konzessionsgeberin hat etwaige Schadensersatzansprüche gegen Dritte aufgrund Beschädigungen der o.g. Teilstrecke an die Konzessionsnehmerin abgetreten (Anlagen K 3 und 4), die diese Ansprüche wiederum an die Klägerin abgetreten hat (Anlage K 5).
2
Im Zusammenhang mit einer am 26.07.2019 erfolgten Beschädigung der o.g. Teilstrecke durch eine Versicherungsnehmerin der Beklagten (Anlage K 6) erstattete die Beklagte der Klägerin den von dieser am 15.12.2021 geltend gemachten Schaden i.H.v. 37.194,56 € netto (Anlage K 7).
3
Das Bundesministerium der Finanzen regelte mit Schreiben vom 30.03.2022 (Anlage K 8 – im Folgenden: BMFS) die Geltendmachung und Vereinnahmung der Umsatzsteuer neu, wobei zwischen dem sog. F-Modell, bei dem ein Privater ein Verkehrsprojekt errichte und betreibe und dem sog. A-Modell, bei dem im Gegensatz zum F-Modell der Bund steuerrechtlicher Betreiber bleibe, differenziert würde.
4
Die Steuerbescheide der Klägerin und der Konzessionsnehmerin stehen noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Die Klägerin hat am 07.08.2023 ihre Umsatzsteuererklärung 2019 berichtigt (Anlage K 12).
5
Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung der auf den o.g. Betrag berechneten Umsatzsteuer i.H.v. 7.066,79 €.
6
Sie ist der Ansicht, sie sei verpflichtet, die Umsatzsteuer nachzufordern und an das Finanzamt abzuführen.
7
Die Schädigung habe das Eigentum der Bundesrepublik Deutschland verletzt, wirtschaftlich sei der Schaden jedoch bei der – gegenüber der Konzessionsnehmerin zur Wiederherstellung verpflichteten – Klägerin eingetreten. Damit liege eine zufällige Schadensverlagerung vor.
8
Die Ausführung der Reparaturarbeiten durch sie oder beauftragte Dritte führe im Außenverhältnis zur Erfüllung der Verpflichtung zwischen der Konzessionsnehmerin und der Bundesrepublik Deutschland. Mit der Wiederherstellung erbringe sie Leistungen i.S.d. UStG an die jeweiligen Vertragspartner. Die darauf erfolgten Zahlungen unterlägen der Umsatzsteuer.
9
Die Klägerin hat mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 20.12.2022, beim Landgericht eingegangen am selben Tag, der Beklagten zugestellt am 06.01.2023, Klage erhoben und beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.066,79 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
10
Die Beklagte trägt vor,  die Klägerin habe die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abgesetzt.Sie bestreitet, dass die Steuerverwaltung Umsatzsteuer nachgefordert und die Klägerin diese entrichtet hätte.
11
Die Beklagte meint, Umsatzsteuer sei bei vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten nicht zu erstatten. Diese seien nur um den Nettobetrag geschädigt. Dies sei 2019 hinsichtlich der Klägerin der Fall gewesen. Sie könne daher nur tatsächlich angefallene Kosten beanspruchen. Ein Schaden sei ihr hinsichtlich der Umsatzsteuer nicht entstanden.
12
Die Klägerin erbringe ihre Leistung gegenüber der vorsteuerabzugsberechtigten Konzessionsnehmerin. Der Ausgangsumsatz eines möglichen Drittunternehmers entspreche dem Eingangsumsatz der Klägerin. Wenn diese zum Vorsteuerabzug berechtigt sei, könne sie insoweit keinen Schadensersatz verlangen. Die Klägerin könne die Umsatzsteuer aus abgetretenem Recht verlangen, wenn sie ihre Leistung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland erbringe, nicht aber wenn sie dies gegenüber der Konzessionsnehmer tue. Insoweit handele es sich um eine Leistung, die netto zu erbringen sei.
13
Reiche die Klägerin eine auf sie ausgestellte Fremdrechnung ein, sei diese ohne Umsatzsteuer zu erstatten, da die Klägerin vorsteuerabzugsberechtigt sei. Maßgeblich seien nicht die Verhältnisse der nicht vorsteuerabzugsberechtigten Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin unterhalte den Autobahnabschnitt auf eigene Kosten und Rechnung. Sie habe nicht dargelegt, dass ihr ein Vorsteuerabzug nicht möglich wäre.
14
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
15
Das Landgericht hat mit Endurteil vom 20.11.2023 entschieden:
16
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.066,79 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 07.01.2023 zu bezahlen.
17
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt:
18
Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erstattung der Umsatzsteuer gemäß §§ 7, 17 StVG, § 115 VVG, §§ 249 Abs. 2, 398 BGB.
19
Die Beklagte hafte unstreitig grds. für den streitgegenständlichen Schaden. Streitig sei nur, ob dies die Umsatzsteuer umfasse.
20
Umsatzsteuer sei gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB zu ersetzen, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen, d.h., wenn ein umsatzsteuerpflichtiges Verkehrsgeschäft getätigt worden sei. Dies sei der Fall. Die Maßnahmen seien durchgeführt und nur infolge eines Rechtsirrtums nicht mit Umsatzsteuer gegenüber der Beklagten abgerechnet worden. Dass sie umsatzsteuerpflichtig seien, ergebe sich aus dem BMFS). Insoweit bestehe auch zwischen den Parteien Einigkeit.
21
Die Klägerin habe durch das BMFS nachgewiesen, dass das Finanzamt beabsichtige, dieses Schreiben ab dem Veranlagungszeitraum 2018 anzuwenden und dass diese Veranlagungszeiträume unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stünden. Die Umsatzsteuer entstehe mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 a) UStG). Ein Schaden liege vor; es genüge die Verpflichtung zur Zahlung.
22
Auf die Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin komme es nicht an. Die Klägerin habe die Leistungen aufgrund vertraglicher Verpflichtung für die Bundesrepublik Deutschland erbracht.
23
Diese habe einen Schadensersatzanspruch gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG gegen die Beklagte, der auch die Umsatzsteuer umfasse (BGH, Urteil vom 18.03.2014 – VI ZR 10/13). Die nicht vorsteuerabzugsberechtigte Bundesrepublik Deutschland habe ihre Ansprüche an die Konzessionsnehmerin, diese wiederum an die Klägerin abgetreten. Davon sei die Umsatzsteuerforderung umfasst.
24
Die Einrede der Verjährung verfange nicht. Die Klägerin habe erst 2022 durch das BMFS erfahren, dass sie Umsatzsteuer abzuführen habe und folglich auch einen Anspruch insoweit gegen die Beklagte habe.
25
Die Höhe der Forderung entspreche 19% der Nettoschadenssumme.
26
Der Zinsanspruch folge aus §§ 288, 291 BGB.
27
Die Beklagte hat gegen das dem Beklagtenvertreter am 21.11.2023 zugestellte Urteil mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 05.12.2023,eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 22.02.2024, eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, begründet.
28
Sie führt aus:
29
1. Das Landgericht lasse außer Betracht, dass die Klägerin vorsteuerabzugsberechtigt sei.
30
a) Werde ein Gegenstand, der zum Betriebsvermögen eines umsatzsteuerpflichtigen Unternehmers gehöre, zerstört und ersetzt, könne der Unternehmer die für den Ersatzkauf anfallende Umsatzsteuer als Vorsteuer absetzen (§ 15 Abs. 1 UStG). Sein Schaden belaufe sich nur auf den  Nettopreis. Dies gelte auch, wenn er den Gegenstand reparieren lasse. Die Klägerin könne die Umsatzsteuer als Vorsteuer absetzen.
31
b) Das Landgericht nehme fehlerhaft an, dass die Leistung brutto zu erstatten sei, da die Klägerin als Private die Autobahn nur stellvertretend für die nicht vorsteuerabzugsberechtigte Bundesrepublik Deutschland verwalte.
32
(1) Das Landgericht gehe fehlerhaft davon aus, dass es auf einen Schadensersatzanspruch der Bundesrepublik Deutschland gegen die Beklagte ankomme, der auch die Umsatzsteuer umfasse. Die private Autobahnbetreiberin verwalte und unterhalte den Autobahnabschnitt im eigenen Verantwortungsbereich auf eigene Rechnung. Damit komme es auf ihre Verhältnisse hinsichtlich der Vorsteuerabzugsberechtigung an. Die Klägerin unterhalte die Autobahn selbstständig, sei für die Beseitigung von Schäden verantwortlich und handele im eigenen Pflichtenkreis. Schadens ersatzleistungen unterlägen grundsätzlich nicht der Umsatzsteuerpflicht. Die Beklagte habe keine Umsatzsteuer erstattet.
33
(2) Reiche die Klägerin eine (Reparatur-) Rechnung ein, sei diese ohne Umsatzsteuer zu erstatten, da die Klägerin vorsteuerabzugsberechtigt sei. Das Argument, dass sie die Autobahn stellvertretend für die nicht vorsteuerabzugsberechtigte Bundesrepublik Deutschland verwalte, gehe fehl. Sie verwalte und unterhalte die Autobahn im eigenen Verantwortungsbereich auf eigene Rechnung. Damit sei hinsichtlich der Vorsteuerabzugsberechtigung auf ihre Verhältnisse abzustellen. Die Klägerin habe nicht konkret dargelegt, dass ihr ein Vorsteuerabzug nicht möglich wäre.
34
c) Das Landgericht übersehe, dass abzugsfähige Umsatzsteuer nicht ersatzfähig sei. Hier griffen die Grundsätze des Vorteilsausgleichs.
35
(1) Dem Geschädigten in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließende Vorteile seien anrechenbar, wenn der Zusammenhang Vor- und Nachteil zu einer Rechnungseinheit verbinde. Der Geschädigte solle nicht bessergestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Er müsse sich grds. ersparte Steuern anrechnen lassen. Dies gelte insbesondere in Fällen in denen ein Vorsteuerabzug (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG) möglich sei.
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(2) Das Landgericht gehe fehlerhaft davon aus, dass angefallene Umsatzsteuer zu ersetzen sei.
37
Die zufällige Entlastung des Schädigers im Falle der Schädigung eines umsatzsteuerpflichtigen Unternehmers stelle keinen Fall der Drittschadensliquidation dar.
38
d) Das Landgericht berücksichtige nicht, dass das BMFS nur eine Verwaltungsvorschrift beinhalte. Diese begründe eine Selbstbindung der Verwaltung, entfalte aber nur über die tatsächliche Verwaltungspraxis Außenwirkung. Daran fehle es hier.
39
2. Wenn die Klägerin als private Autobahnbetreiberin eine Leistung erbringe, sei eine Umsatzsteuer ebenfalls nicht entschädigungspflichtig.
40
a) Die Klägerin könne für ihre Leistungen keinen konkreten Umsatzsteuerschaden nachweisen.
41
(1) Der Unfall und die Reparaturarbeiten hätten sich 2020 ereignet. Die Klägerin habe die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer 2020 als Vorsteuer abgesetzt.
42
(2) Die Behauptung der Umsatzsteuer-Belastung betreffe das im März 2022 verfasste BMFS.
43
Zum Schadenszeitpunkt 2020 sei die Klägerin vorsteuerabzugsberechtigt gewesen. Damit sei ihr kein Schaden entstanden.
44
b) Die Beklagte habe erstinstanzlich bestritten, dass das Finanzamt Umsatzsteuer nachgefordert und die Klägerin sie entrichtet hätte. Wenn dies nicht der Fall gewesen sei, sei der Klägerin kein Schaden entstanden. Die Klägerin könne nur tatsächlich angefallene Umsatzsteuer ersetzt verlangen.
45
c) Ein Anspruch auf Zahlung von Umsatzsteuer bestehe nicht, da der Klägerin kein Schaden entstanden sei (vgl. AG Dachau, BeckRS 2023, 13378). Die Klägerin mache nicht einen Schaden der Bundesrepublik Deutschland, sondern einen eigenen Schaden geltend. Werde einen Auftrag nicht im Namen der Bundesrepublik Deutschland, sondern des Vorsteuerabzugsberechtigten erteilt, könne die Vorsteuer nicht geltend gemacht werden (BGH, Urteil vom 18.03.2014 – VI ZR 10/13).
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d) Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass sie Umsatzsteuer abgeführt oder das Finanzamt diese gefordert hätte. Dass die Steuerbescheide möglicherweise nicht rechtskräftig wären, werde mit Nichtwissen bestritten. Darauf komme es auch nicht an. Es stehe nicht fest, dass noch Umsatzsteuer abzuführen sein werde.
47
e) Selbst wenn der Konzessionsgeber einen eigenen (vertraglich auf die Konzessionsnehmerin verlagerten) Schaden erlitten hätte, wäre der Schaden der Bundesrepublik Deutschland nur fiktiv.
48
Im Übrigen könnte die Klägerin aufgrund ihrer Schadensminderungsobliegenheit (§ 254 BGB) nur den eigenen Schaden ersetzt verlangen, der aufgrund ihrer Vorsteuerabzugsberechtigung die Umsatzsteuer nicht umfasse.
49
f) Die Klägerin gehe fehl in der Annahme, es käme schadensrechtlich nur auf den Anfall der Umsatzsteuer an. Der Anfall einer Umsatzsteuer sei kein Schaden i.S.d. § 249 BGB.
50
g) Die Beklagte gehe davon aus, dass die Klägerin gegen die Besteuerung (zumal im Hinblick auf die Verjährung der Ansprüche) vorgehe.
51
h) Die Klägerin habe aufgrund des Konzessionsvertrags eigene Leistungen aus eigener Pflicht erbracht.
52
(1) Die Klägerin betreibe den Autobahnabschnitt im sogenannten Modell F als umsatzsteuerpflichtige Unternehmerin. Sie mache eigene Schäden geltend und sei vorsteuerabzugsberechtigt. Damit erfolge die Regulierung netto.
53
(2) Die Klägerin verkenne, dass ihre Leistungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland dem F-Modell entsprächen. Sie habe sämtliche Arbeiten für die Bundesrepublik Deutschland übernommen. Eine Umsatzsteuerpflicht nach dem A-Modell habe die Klägerin nicht dargelegt. Diese werde bestritten.
54
(3) Selbst wenn die Klägerin nach dem A-Modell agieren sollte, wäre bei Schadensersatzleistungen keine Umsatzsteuer erstattungspflichtig. Beim A-Modell bleibe der private Autobahnbetreiber zum Unterhalt der Straße verpflichtet. Es könne aber ein Leistungsaustausch gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfolgen, für den Umsatzsteuer anfalle. Wenn der Autobahnbetreiber Umsatzsteuer an einen Dritten zahle, könne er sie absetzen.
55
Sie bestreitet, dass die Klägerin die in der Rechnung eines Dritten enthaltene Umsatzsteuer nicht absetzen könnte.
56
Eine Schadensbeseitigung durch die Klägerin sei mangels Leistungsaustauschs i.S.d. § 1 Abs. 1  Nr. 1 UStG nicht umsatzsteuerpflichtig. Dies gelte auch im A-Modell.
57
i) Die Umsatzsteuer der Klägerin sei für die erbrachten Leistungen schadensersatzrechtlich nicht zu erstatten.
58
(1) Für den Kostenaufwand einer privaten Autobahnbetreiberin sei keine Umsatzsteuer zu erstatten.
59
(2) Das BMFS betreffe nicht den Fall einer Schadensersatzleistung. Es handele sich um echten Schadensersatz, der nicht umsatzsteuerpflichtig sei.
60
3. Das Landgericht könne den (nach Ansicht der Beklagten nicht wirksam abgetretenen) Anspruch nicht auf die Regeln der sukzessionsrechtlichen Identität stützen.
61
a) Die Identität betreffe nicht die entscheidungserheblichen Fragen.
62
Eine Forderung bewahre nach Abtretung ihrer Identität. Entscheidend sei, in welchem Umfang sie beim Zedenten entstanden sei. Das sei bislang (tatsächlich) nicht dargetan. Fraglich sei, ob die vereinbarte Abtretung Umsatzsteuererstattungsansprüche umfassen hätte sollen. Die Klägerin habe nie beabsichtigt, diese geltend zu machen. Die Bundesrepublik Deutschland als Zedentin habe nie den Willen einer dahingehenden Abtretung gehabt. Dafür habe keine Notwendigkeit bestanden. Wenn Zedent und Zessionar einen Sachverhalt nicht in Betracht zögen, fehle es an der Bestimmtheit der Abtretung.
63
b) Das Landgericht berücksichtige nicht, dass die Klägerin aufgrund des O & M-Vertrags zur Instandhaltung verpflichtet sei. Wenn die Klägerin eigene Leistungen erbracht haben sollte, gelte: die Klägerin sei Nachunternehmerin der Konzessionsunternehmerin. Der O & M-Vertrag bestehe nicht zwischen der Klägerin und der Bundesrepublik Deutschland, sondern zwischen der Klägerin und der Konzessionsnehmerin. Die Klägerin erbringe ihre Leistung gegenüber dieser. Die Frage sei, ob die Konzessionsnehmerin nicht selbst zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Der Schadensersatzanspruch erfasse diesen Betrag nicht, weil die Klägerin ihre Leistung gegenüber der Konzessionsnehmerin, nicht gegenüber der Bundesrepublik Deutschland erbringe. Der Ausgangsumsatz eines Drittunternehmers stelle den Eingangsumsatz der Klägerin dar. Sei die Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt, weil ein anderer Unternehmer für sie Leistungen ausführt (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG), könne sie keinen Schadensersatz verlangen. Erbringe sie ihre Leistungen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, könnte sie die Umsatzsteuer aus abgetretenem Recht ersetzt verlangen, weil die Bundesrepublik Deutschland nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Erbringe sie ihre Leistungen gegenüber der Konzessionsnehmerin, sei dies nicht der Fall.
64
4. Der Anspruch der Klägerin sei verjährt.
65
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 20.11.2023, Az.: 123 O 4034/22, abzuändern und die Klage abzuweisen,
hilfsweise:
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen,
hilfsweise:
die Zulassung der Revision.
66
Die Klägerin beantragt,
Zurückweisung der Berufung.
67
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
68
Sie – die Klägerin – werde nicht im Modell F, sondern im Modell A (Variante Mischmodell) tätig.
69
Nach dem Konzessionsvertrag seien der Konzessionsnehmer oder von ihm beauftragte Dritte zur Geltendmachung und Abrechnung von Unfallschäden verpflichtet.
70
Die von ihr erbrachten (Reparatur-) Leistungen seien Leistungen an die Bundesrepublik Deutschland. Diese könne tatsächlich angefallene Umsatzsteuer ersetzt verlangen. Nachdem sie nicht vorsteuerabzugsberechtigt sei, habe sie die Bruttoforderung abgetreten. Die Umsatzsteuer stelle einen Schaden der Bundesrepublik Deutschland dar.
71
Abgetreten sei ein Bruttoanspruch der nicht vorsteuerabzugsberechtigten Bundesrepublik  Deutschland. Sie – die Klägerin – müsse als letzte Zessionarin alle Vergütungen versteuern. Der Schaden entstehe und bleibe brutto.
72
Die Klägerin erhebe Umsatzsteuer, müsse sie aber auch abführen. Für die Frage ob sie zur Geltendmachung der Umsatzsteuer berechtigt sei, komme es nicht darauf an, ob sie selbst zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Auch die Bundesrepublik Deutschland hätte die tatsächlich angefallene Umsatzsteuer verlangen können. Ob die Klägerin Umsatzsteuer geltend machen könne, richte sich nicht nach § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, sondern nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 1,10 Abs. 1 Satz 1 UStG.
73
Sie habe für 2019 und 2020 korrigierte Umsatzsteuererklärungen abgegeben und die Umsatzsteuer abgeführt.
74
Die Einrede der Verjährung greife nicht (§ 167 ZPO).
II.
75
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet und hat damit im Ergebnis keinen Erfolg.
76
1. Die Berufung ist zulässig.
77
Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 517, 519 ZPO) und auch begründet (§ 520 ZPO) worden.
78
2. Die Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat der zulässigen Klage zutreffend stattgegeben.
79
a) Der Klägerin steht ein Anspruch aus §§ 7, 17 StVG, § 115 VVG, §§ 249 Abs. 2, 398 BGB zu.
80
(1) Der Anspruch steht der Klägerin dem Grunde nach zu. Die Beklagte haftet als Haftpflichtversicherer für den streitgegenständlichen Schaden, der mit einem bei ihr versicherten Kraftfahrzeug im streitgegenständlichen Autobahnabschnitt verursacht wurde. Dies stellt auch die Beklagte nicht in Frage.
81
(2) Der Anspruch umfasst auch die im Zusammenhang mit den Reparaturarbeiten angefallene  Umsatzsteuer.
82
aa) Ursprüngliche Geschädigte ist die Bundesrepublik Deutschland als Eigentümerin des beschädigten Autobahnabschnitts. Da sie nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist, könnte sie im Falle einer eigenen Erteilung eines Reparaturauftrags die anfallende Umsatzsteuer im Rahmen des ihr zustehenden Schadensersatzanspruchs geltend machen, soweit die Umsatzsteuer tatsächlich angefallen ist (§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB). Dies ist auch hier der Fall, da die Bundesrepublik den Schaden zwar nicht selbst behoben, aber vorab einen Auftrag erteilt hat, der insbesondere die Behebung von Schäden wie dem hier interessierenden einschloss. Diesen Auftrag hat innerhalb der „Leistungskette“ vorliegend die Klägerin abgearbeitet, indem sie die erforderlichen Reparaturmaßnahmen durchgeführt bzw. einem Fremdunternehmer in Auftrag gegeben hat. Sowohl die Durchführung von Reparaturarbeiten durch die Klägerin als auch deren Auftragserteilung gegenüber Dritten stellten jeweils umsatzsteuerpflichtige Geschäfte dar, so dass ein Anfall der Umsatzsteuer zu bejahen ist (vgl. BeckOGK/Brand, 01.03.2022, § 249 BGB, Rdnr. 202). Zudem folgten die Reparaturmaßnahmen der Klägerin sowie deren Auftragserteilungen aus ihren bestehenden Vertragspflichten gegenüber der Konzessionsnehmerin (und somit mittelbar gegenüber der Bundesrepublik Deutschland), die durch den eingetretenen Schaden lediglich konkretisiert wurden.
83
bb) Im Falle der hier gegebenen Forderungsabtretung ist für die Frage der umsatzsteuerrechtlichen Qualifizierung nach allgemeinen Grundsätzen der Schadensbemessung auf den Geschädigten und Zedenten abzustellen, da der Schadensersatzanspruch im Zeitpunkt der tatbestandlichen Verwirklichung des Haftungstatbestands entsteht und sich somit an der Person des Geschädigten orientiert (BeckOK BGB/Johannes W. Flume, 70. Edition 01.05.2024, § 249 BGB, Rdnr. 210, 361 f.). Damit kommt es nicht darauf an, ob und ggf. in welchem Umfang die Klägerin im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Schaden zum Vorsteuerabzug berechtigt ist bzw. ein Vorsteuerabzug durchgeführt wurde und ggf. nachträglich korrigiert wurde oder noch werden muss.
84
cc) Ein Verstoß gegen die Schadensminderungsobliegenheit (§ 254 Abs. 2 BGB) ist nicht ersichtlich. Ein solcher Verstoß kann nicht darauf gestützt werden, dass die Klägerin nicht nur den Nettoschaden ersetzt verlangt. Dies widerspräche gerade dem im Rahmen der Schadensberechnung gebotenen Abstellen auf die Person der Geschädigten (s.o. unter Punkt bb)). Die Frage von Verstößen gegen die Schadensminderungsobliegenheit ist vielmehr – wie die Schadensberechnung insgesamt – mit Blick auf die Person der Geschädigten zu prüfen (s. ebd.). Insoweit sind Verstöße gegen die Schadensminderungsobliegenheit nicht ersichtlich.
85
(3) Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch.
86
aa) Der Anspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährung nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB.
87
bb) Der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist hat frühestens mit dem Ende des Jahres 2019, in dem der streitgegenständliche Schaden verursacht wurde, begonnen, so dass ein Verjährungseintritt frühestens mit Ablauf des 31.12.2022 denkbar ist.
88
cc) Die Klägerin hat den Ablauf der Verjährung jedoch durch die Einreichung der Klage am 20.12.2022 gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB), da deren am 06.01.2023 und damit demnächst i.S.d. § 167 ZPO erfolgte Zustellung auf den Eingang der Klage bei Gericht zurückwirkte.
89
b) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291 i.V.m. 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
90
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
91
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 Sätze 1 und 2 i. V.m. § 709 Satz 2 ZPO.
92
5. Die Zulassung der Revision folgt aus § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 7 Abs. 1 EGZPO.
93
Der Fall betrifft eine Fragestellung, die Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren ist und aus Sicht des Senats der höchstrichterlichen Klärung bedarf.