Inhalt

OLG Bamberg, Endurteil v. 11.01.2024 – 12 U 105/22
Titel:

Sittenwidrige Schädigung, Ungerechtfertigte Bereicherung, Aussetzung des Verfahrens, Schadensersatzpflicht, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Gewährleistungsansprüche, Kostenentscheidung, Unzulässige Feststellungsanträge, Nutzungsentschädigung, Betriebsuntersagung, Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten, Fristsetzung zur Nacherfüllung, Darlegungs- und Beweislast, Prozeßbevollmächtigter, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, Widersprüchlicher Vortrag, Angemessene Frist zur Nacherfüllung, Nachfristsetzung, Vorteilsausgleichung, Streithelfer

Schlagworte:
Abschalteinrichtung, Thermofenster, Timerfunktion, Nachbesserung, Differenzschaden, Restwertschätzung, Vorteilsausgleich
Vorinstanz:
LG Bayreuth, Urteil vom 28.11.2022 – 43 O 546/21
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Berichtigungsbeschluss vom 11.03.2024 – 12 U 105/22
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 02.09.2025 – VIa ZR 87/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49714

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 28.11.2022, Az. 43 O 546/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithelferinnen C. und B. D. zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Bayreuth ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagten bzw. deren Streithelferinnen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweilige Beklagte bzw. die jeweilige Streithelferin, vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

A)
1
I. Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in einem Wohnmobil mit Dieselmotor geltend.
2
Der Kläger schloss mit der Beklagten zu 1) einen Kaufvertrag über ein Wohnmobil T.01 mit einem Motor Fiat Ducato 2,3 Mutlijet, 110 kW / 150 PS, (Baumusterbezeichnung 0001), Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … als Neufahrzeug zum Kaufpreis von 67.789,00 €. Die verbindliche Bestellung des Fahrzeuges erfolgte zunächst zu einem Kaufpreis von 67.500 € am 02.09.2018 (Anlage AS2), durch eine Änderung der Ausstattung, die unter dem 06.02.2019 bestätigt wurde (Anlage As2), ergab sich der Gesamtpreis von 67.789,00 €. Die Rechnung über das Fahrzeug wurde am 22.03.2019 ausgestellt (Anlage K25). Das Fahrzeug wurde erstmals am 17.04.2019 zugelassen.
3
Die Streithelferin zu 1), die C., ist die Herstellerin des Gesamtfahrzeuges. Sie hat das Fahrzeugchassis, auf dem das streitgegenständliche Fahrzeug aufgebaut ist, von der B. D. erworben. Die Beklagte zu 2) ist als Herstellerin des Basisfahrzeuges in der EU-Übereinstimmungsbescheinigung angegeben.
4
Für das Basisfahrzeug wurde eine EG-Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse 6b erteilt. Das Fahrzeug ist bislang nicht von einem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) oder das italienische Ministerio delle infrastrutture e die trasporti (MIT) betroffen. Die Europäische Union eröffnete am 17.05.2017 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien, weil das Land seine Verpflichtungen im Rahmen der EU-Typgenehmigungsvorschriften im Fall von Fiat Chrysler Automobile nicht eingehalten habe (Anlage K24).
5
Am 15.04.2021 reichte der Kläger einen Güteantrag bei einer staatlich anerkannten Gütestelle ein. Mit Schreiben vom gleichen Tag hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte zu 1) außergerichtlich angeschrieben und unter Fristsetzung dazu aufgefordert, den Anspruch des Klägers auf Lieferung eines Ersatzfahrzeuges anzuerkennen und innerhalb einer weiteren Frist ein mangelfreies Ersatzfahrzeug zu liefern. Hinsichtlich des Inhaltes des Schreibens vom 15.04.2021 wird ergänzend auf die Anlage SN 20 Bezug genommen. Mit Antwortschreiben vom 21.04.2021 (Anlage SN23) wies die Beklagte zu 1) die geltend gemachten Ansprüche unter Berufung auf § 174 BGB zurück und bestritt die Mangelhaftigkeit des Fahrzeuges. Die Beklagte zu 1) erklärte zudem, dass sie sich an einem Güteverfahren nicht beteiligen werde.
6
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, in dem von ihm erworbenen Wohnmobil sei minderwertige Hardware verbaut und es kämen mit Wissen und Wollen des Vorstandes der Beklagte zu 2) mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz. Zudem sei das On-Board-Diagnosesystem (OBD) manipuliert. Im streitgegenständlichen Fahrzeug werde das R.-Steuergerät EDC17 verwendet.
7
Zu den behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen hat der Kläger vorgebracht, dass im Fahrzeug ein Thermofenster eingebaut sei und eine Timerfunktion programmiert sei.
8
Das Thermofenster sei so ausgelegt, dass es auf dem temperierten Prüfstand zu einer vollständigen Abgasreinigung komme, da Sensoren innerhalb von 5 Sekunden nach dem Motorstart die Temperatur der Ansaugluft, des Kühlwassers und der Abgase messen würden und, wenn diese gleich hoch seien, ein Signal entsenden würden, dass die Software eine Prüfsituation annehme. Dann werde eine NEFZ-Software eingeschaltet und die Abgasreinigung funktioniere. Im Realbetrieb falle die Abgasreinigung hingegen vollständig aus. Die temperaturbedingte Abgasreinigung funktioniere auf diese Weise lediglich in einem Temperaturbereich zwischen 15°C und 34°C (Schriftsatz vom 22.12.2021, S. 5 ff., Bl. 233 ff. d. A.). An anderer Stelle beschreibt der Kläger die Funktion des Thermofensters so, dass die Umgebungstemperaturen überprüft würden und die Abgasreinigung bei identischen Umgebungstemperaturen aufgrund eines eingebauten Korrekturfaktors in der von der Software angenommenen Prüfsituation zu 100% funktioniere und für eine optimale Abgasreinigung sorge, während im Realbetrieb die AGR-Reinigung komplett ausfalle (S. 40 f. der Klage, Bl. 41 f. d. A. und S. 5 des Schriftsatzes vom 14.10.2022, Bl. 553 f. d.A.).
9
Die Timerfunktion sei beim streitgegenständlichen Fahrzeug so programmiert, dass ein Timer ab dem Motorstart laufe und bei erreichen eines kalibrierten Wertes das Emissionskontrollsystem beeinflusse. Ende der mit 22 Minuten vorbestimmte Zeitraum bzw. werde eine bestimmte Anzahl von Zyklen des NEFZ erreicht, werde die Abgasrückführungsrate auf null reduziert (S. 23, 28 der Klage, Bl. 24, 29 d.A.). An anderer Stelle trägt der Kläger vor, der Timer bewirke, dass die Abgasreinigung sich nach 21,8 Minuten (1.308,8 Sekunden) bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug abschalte. Zudem bestehe ein weiterer Timer, der den NEFZ-Modus ausschalte, wenn eine Störgröße, die das Drehmoment, die Geschwindigkeit oder die Anzahl der Bremsvorgänge betreffe, über mindestens 4 Minuten andauere. Dann schalte der weitere Timer den NEFZ-Modus aus (Bl. 5 ff. des Schriftsatzes vom 22.12.2021, Bl. 233 ff. d.A.). An anderer Stelle (S. 5 des Schriftsatzes vom 14.10.2022, Bl. 553 d.A.) bringt der Kläger vor, der Timer sei auf 22 Minuten bedatet, er beginne jedoch nicht bei jedem Motorstart zu laufen, sondern nur, wenn die Software von einer Prüfsituation ausgehe.
10
Im Fahrzeug sei zudem minderwertige Hardware eingebaut, die nicht geeignet sei, die Dauerhaftigkeit im Sinne des Art. 4 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 zu gewährleisten.
11
Der Kläger hat erstinstanzlich zudem vorgetragen, er hätte das streitgegenständliche Fahrzeug nicht gekauft, wenn er von den Manipulationen Kenntnis gehabt hätte.
12
Der Kläger äußerte die Auffassung, die Beklagte zu 2) habe ihn gemäß §§ 826, 831, 832 Abs. 2 i.V.m. § 263 StGB, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2, 443 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 i.V.m. RL 2007/46/EG EG-FGV im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Gegen die Beklagte zu 1) stehe dem Kläger ein Anspruch auf Nachlieferung eines Nachfolgemodells der aktuellen Serienproduktion aus §§ 434, 437 Nr. 1, 439 BGB zu. Hilfsweise sei der Vertrag aufgrund des hilfsweise erklärten Rücktritts rückabzuwickeln.
13
Der Kläger hat in erster Instanz zuletzt beantragt,
1. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, dem Kläger ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit gleichartiger und gleichwertiger technischer Ausstattung wie das Fahrzeug des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeugs des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … nachzuliefern.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Verzug befindet.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger notwendige Verwendungen im Sinne des § 347 Abs. 2 S. 1 BGB zu ersetzen.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger andere Verwendungen im Sinne des § 347 Abs. 2 S. 2 BGB zu ersetzen, soweit sie dadurch bereichert wird oder die Kosten für den Ausbau aus dem streitgegenständlichen Fahrzeug und den Einbau in das nach Ziff. 1 zu liefernde Fahrzeug zu ersetzen.
5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger Aufwendungen im Sinne von §§ 284, 304 BGB zu ersetzen, die er für das im Klageantrag Ziff. 1 genannte Fahrzeug gemacht hat oder noch machen wird.  
Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klageantrag Ziff. 1 unbegründet ist, beantragt die Klagepartei:
1a. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerpartei € 68.356,76 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … Zug um Zug gegen Rückübereignung des vorgenannten Fahrzeuges.
1b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerpartei darüber hinaus Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die der Klagepartei dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass in das in Klageantrag Ziff. 1 genannte Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut ist.
1c. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) sich mit der Annahme des in Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Verzug befindet.
Hinsichtlich der Beklagten zu 2) hat die Klagepartei zuletzt beantragt,
6. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … durch die Beklagte zu 2) resultieren.
Hilfsweise, für den Fall, dass der Feststellungsantrag Ziff. 6. unzulässig ist, hat der Kläger anstelle des Antrages Ziffer 6 erstinstanzlich beantragt,
6a. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerpartei € 68.356,76 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des vorgenannten Fahrzeugs.
6b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerpartei darüber hinaus Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die der Klagepartei dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass in das in Klageantrag Ziff. 1 genannte Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut wurde.
6c. Es wird feststellt, dass die Beklagte zu 2) sich mit der Annahme des in Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs im Verzug befindet.
Bezüglich beider Beklagter hat der Kläger zudem erstinstanzlich beantragt,
7. Die Beklagten werden verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 3.398,64 jeweils getrennt und gesondert und in voller Höhe freizustellen.
14
Die Beklagten sind dem Vortrag des Klägers in erster Instanz entgegengetreten und haben
Klageabweisung beantragt.
15
Die Beklagte zu 1) hat erstinstanzlich vorgetragen, die Klage sei teilweise bereits unzulässig, da der auf Nachlieferung gerichtete Antrag zu unbestimmt sei und den Feststellungsanträgen auf Verwendungsersatz das Feststellungsinteresse fehle. Die Nachlieferung eines fabrikneuen Ersatzfahrzeuges sei darüber hinaus nicht möglich, da das Fahrzeug ausverkauft sei. Mit dem Nachlieferungsbegehren könne der Kläger auch deswegen nicht durchdringen, da die erstmalige Aufforderung zur Nachlieferung weit mehr als 2 Jahre nach dem Vertragsschluss erfolgt sei.
16
Der klägerische Vortrag zu etwaigen Abschalteinrichtungen sei unschlüssig und erfolge ins Blaue hinein. Es gäbe bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug keine Prüfstandsmanipulation. Es drohe zudem keine konkrete Gefahr der Stilllegung oder des Widerrufs der Typgenehmigung.
17
Vorsorglich hat die Beklagte zu 1) erstinstanzlich die Einrede der Verjährung erhoben.
18
Die Beklagte zu 2) hat auf die Klage insbesondere Folgendes erwidert: Das streitgegenständliche Fahrzeug weise keine unzulässigen Abschalteinrichtungen auf. Die Abgassteuerung in den Fahrzeugen der B.-Gruppe arbeite im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens und dem dortigen Prüfstand nicht anders als außerhalb dieses Verfahrens. Die Beklagte zu 2) sei bei der Herstellung des Fahrzeuges im Hinblick auf dessen Stickoxid-Emissionen jedenfalls einer vertretbaren Rechtsauffassung gefolgt, so dass für Vorsatz und Sittenwidrigkeit von vorneherein kein Raum sei.
19
Die bestehende Typgenehmigung sei bestandskräftig. Es drohe weder ein Rückruf noch eine Betriebsuntersagung. Die Vorwürfe hinsichtlich der behaupteten Abschalteinrichtungen seien seit Jahren bekannt und seien durch die italienische Zulassungsbehörde nochmals überprüft worden, ohne dass unzulässige Abschalteinrichtungen festgestellt worden seien. Das KBA habe zwar andere Fahrzeuge der Beklagten zu 2) hinsichtlich von Abschalteinrichtungen kritisch bewertet, nicht jedoch das streitgegenständliche Fahrzeugmodell.
20
Die Beklagte zu 1) hat mit Schriftsatz vom 12.10.2021 (Bl. 130 ff. d.A.) der C. den Streit verkündet. Diese ist mit Schriftsatz vom 09.12.2021 (Bl. 219 ff. d.A.) dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten zu 1) beigetreten und hat ihrerseits der B. D. den Streit verkündet (Bl. 221 d.A.). Die B. D., die in eine GmbH umgewandelt wurde und inzwischen als B. D. firmiert, ist mit Schriftsatz vom 03.03.2022 (Bl. 332 d.A.) dem Rechtstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten. Mit Schriftsatz vom 15.11.2022 hat die Streithelferin C. zudem der Beklagten zu 2) den Streit verkündet (Bl. 676 d.A).
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II. Das Landgericht hat die Klage mit Endurteil vom 28.11.2022 abgewiesen. Die Feststellungsanträge zu den Ziffern 3., 4., 5. und 6. (Hauptanträge), sowie 1b) und 6b) (Hilfsanträge) seien mangels Feststellungsinteresse bereits unzulässig. Im Übrigen sei die Klage unbegründet.
22
Der Kläger habe keinen Nachlieferungsanspruch gegen die Beklagte zu 1) aus §§ 433, 434, 437 Nr. 1, 439, 347 Abs. 2, 284 BGB. Hierbei könne dahinstehen, ob ein Mangel vorliege, da der Umfang der bei Vertragsschluss übernommenen Beschaffungspflicht nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien vorliegend eine Nachlieferung bei einem später als 2 Jahre nach Vertragsschluss geäußerten Nachlieferungsverlangen nicht umfasse. Der vorliegende Einzelfall, in dem der Kaufvertrag am 06.02.2019 erfolgte und das Nacherfüllungsverlangen erstmals nicht vor dem 15.04.2021 erfolgte, sei nicht anders zu bewerten als die Fallkonstellation, in der der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 21.07.2021, VIII ZR 254/20) eine Beschaffungspflicht und damit einen Nacherfüllungsanspruch abgelehnt habe.
23
Dem Kläger stehe auch kein Anspruch aus einem Rücktritt vom Vertrag gemäß §§ 433, 434, 437 Nr. 2 i.V.m. §§ 440, 323, 346 BGB oder auf Schadensersatz gemäß §§ 433, 434, 437 Nr. 3 i.V.m. § 280 ff. BGB zu, da es jedenfalls an der erforderlichen Fristsetzung zur Nacherfüllung fehle. Der Kläger habe weder zur Nachbesserung aufgefordert, noch habe er das Fahrzeug zur Überprüfung in der erforderlichen Weise angeboten. Eine Nachfristsetzung sei vorliegend weder gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich gewesen, noch sei davon auszugehen, dass eine Nacherfüllung von vorneherein unmöglich gewesen wäre.
24
Auch gegen die Beklagte zu 2) bestünden keine Ansprüche. Für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu 2) im Sinne des § 826 BGB fehle es an belastbaren Anhaltspunkten. Der Kläger habe hinsichtlich der behaupteten Abschalteinrichtungen ein täuschendes oder sittenwidriges Verhalten nicht substantiiert dargelegt. Mangels nachweisbaren Vorsatzes seien auch die Voraussetzungen der Schadensersatzansprüche gem. § 823 Abs. 2 StGB i. V. m. § 263 StGB nicht erfüllt. Selbst wenn man unterstelle, dass das Unionsrecht auch die Interessen eines Erwerbers eines Kraftfahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, schütze, sei ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FV bzw. Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG nicht gegeben, da der Beklagten insoweit kein fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen sei und es an einem Vermögensschaden beim Kläger fehle, da keine Betriebsbeschränkungen bzw. – Untersagungen durch die zuständigen Genehmigungs- oder Prüfbehörden zu erwarten seien.
25
Hinsichtlich der Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird ergänzend auf das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 28.11.2022 (Bl. 684 ff. d.A.) Bezug genommen.
26
III. Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen das vorgenannte Endurteil. Er verfolgt seine erstinstanzlichen Klageziele weiter und begehrt in der Berufungsinstanz zusätzlich hilfweise den Ersatz eines von ihm behaupteten Differenzschadens in Höhe von 15% des Kaufpreises.
27
Der Kläger begründet seine Berufung im Wesentlichen wie folgt:
„Im streitgegenständlichen Fahrzeug sei ein manipulierter Motor verbaut. Aufgrund der eingesetzten Abschalteinrichtungen halte das streitgegenständliche Fahrzeug die Grenzwerte der Abgasnorm Euro 6 ausschließlich auf dem Rollenprüfstand ein. Das Fahrzeug genüge den gesetzlichen Anforderungen, wie sie etwa in der Verordnung (EG) 715/2007 enthalten seien, nicht. Das Landgericht habe sich nicht hinreichend mit den tatsächlichen und rechtlichen Begebenheiten der Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeuges befasst. Der Kläger habe hinreichend substanziiert vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Wohnmobil unzulässige prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen verbaut seien (Abschaltung der Abgasreinigung durch einen Timer, Einbau eines Thermofensters, Manipulation von Warnmeldungen der On-Board-Diagnose). Dies werde insbesondere durch interne Dokumente der Firma R. belegt (Anlage KB 30). Da sie identische technische Vorrichtungen wie die R.-Software aufweise, gelte dies auch für die mit M.-Software ausgestatteten Modelle. Welche der beiden Softwaretypen beim streitgegenständlichen Wohnmobil verbaut sei, sei daher unerheblich. Zudem habe die Beklagte zu 2) das Vorhandensein der Abschalteinrichtungen entweder überhaupt nicht oder nicht hinreichend bestritten. Auch dies habe das Landgericht in entscheidungserheblicher Weise verkannt.“
28
Das Thermofenster stelle eine Abgasreinigung lediglich in dem Temperaturbereich zwischen 15°C und 39 °C sicher und unterscheide zudem aufgrund eines verbauten Korrekturfaktors klar zwischen der Prüfsituation und der Realfahrt, sodass die Abgasreinigung gerade nicht bei sonst identischen Umgebungsbedingungen gleich funktioniere. Der eingesetzte Timer schalte sich nicht bei jedem Motorstart, sondern erst bei der Annahme einer Prüfsituation ein und stelle spätestens nach 22 Minuten die Abgasreinigung ein. Ein weiterer Timer werde genutzt, um im Falle des Auftretens von Störgrößen den NEFZ-Modus zu verlassen und die AGR-Rate nach 240 Sekunden (4 Minuten) auf Null zu setzen. Die verwendeten Abschalteinrichtungen seien im Typgenehmigungsverfahren nicht offengelegt worden.
29
Die Beklagte zu 2) habe die Verwendung eines Timers im Motor 0001 in einem Verfahren vor dem Landgericht Hechingen (Az.: 3 O 110/22) 11.08.2023 sogar unstreitig gestellt, indem sie dort vorgetragen habe, dass eine zeitabhängige Modulation der AGR-Rate im streitgegenständlichen Basisfahrzeug erfolge, deren Zeitpunkt keineswegs willkürlich oder unlogisch sei.
30
Das Landgericht habe die umfangreichen, detaillierten und mit Beweisangeboten versehenen Ausführungen des Klägers zu den verbauten Abschalteinrichtungen nicht in Erwägung gezogen, sondern – in der Sache zu Unrecht – als unsubstantiiert bezeichnet und damit den Anspruch der Klagepartei auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Ausführungen sei nicht erfolgt. Selbst unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung hätte das Landgericht die sachlich gebotenen Hinweise erteilen müssen. Daher habe das Landgericht seine in § 139 ZPO normierte Pflicht zur materiellen Prozessleitung verletzt.
31
Das Landgericht habe hinsichtlich der im Raum stehenden Verletzung drittschützender europarechtlicher Vorschriften einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 Unterabsatz 2 und Art. 5 Abs. 1 VO 715/2007/EG zu Unrecht verneint. Ein Schaden sei nicht erst dann anzunehmen, wenn die zuständige Behörde Maßnahmen ergreife. Vielmehr sei maßgeblich, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Der Käufer müsse jederzeit damit rechnen, dass es zu einem Rückruf komme. Da eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Betriebsuntersagung bestehe, liege ein Schaden vor.
32
Soweit das Landgericht die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage abgewiesen hat, rügt die Klagepartei, die fehlerhafte Typengenehmigung und die unzulässigen Abschalteinrichtungen begründeten nach der Rechtsprechung per se bereits einen Sachmangel im Sinne des § 434 BGB. Dem Fahrzeug drohe in Zukunft behördlich angeordnete Nutzungseinschränkungen.
33
Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei eine Nachfristsetzung bezogen auf den Hilfsantrag unter Ziffer 1a entbehrlich gewesen. Das OLG Celle habe in einem Beschluss vom 24.10.2022 im Verfahren 24 U 110/22 klargestellt, dass es im dort entschiedenen Fall gem. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB keiner Fristsetzung bedurft habe, da Maßnahmen des Herstellers zur Beseitigung etwaiger unzulässiger Abschalteinrichtungen nicht verfügbar seien und nicht davon auszugehen sei, dass sie bis zum Ablauf einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung verfügbar sein würden. Es komme hierbei nicht darauf an, ob eine Nachbesserung dauerhaft unmöglich sei und die Nachfristsetzung nach § 326 Abs. 5 BGB entbehrlich wäre. Die Rücktrittserklärung des Klägers gegenüber der Beklagten zu 1) sei daher ohne Fristsetzung wirksam. Die Beklagte zu 1) sei weder in der Lage eine Hardwarelösung noch eine Softwarelösung zur Verfügung stellen, da solche Lösungen nicht bestanden hätten. In diesem Zusammenhang sei das Landgericht auch seiner Hinweispflicht nur unzureichend nachgekommen.
34
Das Landgericht habe auch verkannt, dass die subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB, insbesondere ein Schädigungsvorsatz der Beklagten, vorliegen würde. Bei umfassender Würdigung der Umstände des Falles hätte das Landgericht einen Schädigungsvorsatz der Beklagten nicht verneinen dürfen.
35
Selbst wenn man die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB nicht als gegeben ansehen würde, bestünde – mit der Rechtsprechung des BGH aus der grundlegenden Entscheidung vom 26.06.2023 (VIa ZR 335/21) – ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz des sog. Differenzschadens gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m Art. 6, 27 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Dieser werde äußerst hilfsweise geltend gemacht und sei in Höhe von 15% des Kaufpreises festzusetzen. Die Verwendung einer Abschalteinrichtung sei nach dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 grundsätzlich unzulässig und nur ausnahmsweise zulässig. Bei der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei zudem das Verschulden im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB indiziert. Die Beklagte habe hinsichtlich der von ihr verwendeten Abschalteinrichtungen zumindest fahrlässig gehandelt und könne sich auch nicht auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen.
36
Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung Bezug genommen.
37
Der Kläger hat im Berufungsverfahren weiter vorgetragen, dass für die Berechnung einer anzurechnenden Nutzungsentschädigung auf eine Gesamtlaufleistung von 400.000 km oder eine Gesamtlebenszeit des Wohnmobils von mindestens 25 bis 30 Jahren abzustellen sei.
38
Die Klagepartei beantragt im Berufungsverfahren:
1. Das Urteil des Landgerichts Bayreuth – Az. 43 O 546/21 – vom 28.11.2022 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht Bayreuth zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Bezogen auf die Beklagte zu 1) beantragt der Kläger sodann
2. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, dem Kläger ein mangelfreies fabrikneues typengleiches Ersatzfahrzeug aus der aktuellen Serienproduktion des Herstellers mit gleichartiger und gleichwertiger technischer Ausstattung wie das Fahrzeug des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften Fahrzeugs des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … nachzuliefern.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte zu 1) mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 2 genannten Fahrzeugs in Verzug befindet.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger notwendige Verwendungen im Sinne des § 347 Abs. 2 S. 1 BGB zu ersetzen.
5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger andere Verwendungen im Sinne des § 347 Abs. 2 S. 2 BGB zu ersetzen, soweit sie dadurch bereichert wird oder die Kosten für den Ausbau aus dem streitgegenständlichen Fahrzeug und den Einbau in das nach Ziff. 1 zu liefernde Fahrzeug zu ersetzen
6. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger Aufwendungen im Sinne von §§ 284, 304 BGB zu ersetzen, die er für das im Klageantrag Ziff. 1 genannte Fahrzeug gemacht hat oder noch machen wird.
Hilfsweise für den Fall des Nichtbestehens des vorrangig geltend gemachten Nachlieferungsverlangens beantragt die Klagepartei anstelle der Klageanträge 2 bis 6:
2a. Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerpartei € 68.356,76 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … Zug um Zug gegen Rückübereignung des vorgenannten Fahrzeuges.
2b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, der Klägerpartei darüber hinaus Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die der Klagepartei dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass in das in Klageantrag Ziff. 1 genannte Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut ist.
2c. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 1) sich mit der Annahme des in Klageantrag Ziffer 1 genannten Fahrzeugs in Verzug befindet.
Hinsichtlich der Beklagten zu 2) hat die Klagepartei zuletzt beantragt,
7. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … durch die Beklagte zu 2) resultieren.
Hilfsweise, für den Fall, dass der Feststellungsantrag Ziff. 7. unzulässig ist, hat der Kläger anstelle des Antrages Ziffer 7 beantragt,
7a. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an die Klägerpartei € 68.356,76 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs des Modells T.01 des Herstellers C. mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des vorgenannten Fahrzeugs.
7b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zu 2) verpflichtet ist, der Klägerpartei darüber hinaus Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die der Klagepartei dadurch entstanden sind oder entstehen werden, dass in das in Klageantrag Ziff. 1 genannte Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut wurde.
7c. Es wird feststellt, dass die Beklagte zu 2) sich mit der Annahme des in Klageantrag Ziffer 2 genannten Fahrzeugs im Verzug befindet.
Äußerst hilfsweise, für den Fall, dass der große Schadensersatz unter Rückgabe des Fahrzeuges (Anträge Ziff. 7a bis 7c) im Verhältnis zu der Beklagten zu 2) nicht verlangt werden kann, hat der Kläger zudem beantragt,
2a. Die Beklagtenpartei zu 2) wird verurteilt, der Klagepartei einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs aus Klageantrag Ziff. 7a, über 15% des Kaufpreises, mithin 10.168,35 €, abzüglich etwaiger Vorteile – soweit diese von der Beklagten dargetan werden – zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
Bezüglich beider Beklagter hat die Klagepartei zudem beantragt,
8. Die Beklagten werden verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 3.398,64 jeweils getrennt und gesondert und in voller Höhe freizustellen.
39
Der Kläger beantragt darüber hinaus im Schriftsatz vom 29.11.2023 – auf diesen Schriftsatz wird hinsichtlich der Begründung des Antrags ergänzend Bezug genommen (Bl. 1281 ff. d.A.) – das Verfahren auszusetzen und dem EuGH die folgende Entscheidung zur Vorabentscheidung vorzulegen:
40
1. Steht eine Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften, der zufolge ein Schadensersatzanspruch gegen den Hersteller eines Fahrzeuges mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung entfällt, wenn die Nutzungsvorteile zusammen mit dem Restwert den gezahlten Kaufpreis abzüglich des Differenzschadens von Maximal 15% des Kaufpreises übersteigen (so BGH im Urteil vom 26.06.2023, Via ZR 335/21), im Widerspruch zu dem Grundsatz des effet utile, dass nationale Rechtsvorschriften es dem Käufer eines Kraftfahrzeug nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten, er ihm durch den Verstoß des Herstellers dieses Fahrzeugs gegen das in Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 enthaltene Verbot entstanden ist (EuGH, Urteil v. 21.03.2023, M. Group, C-100/21, ECLI:ECLI:EU:C:2023:229 Rn. 93).
41
2. Ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO EG 715/07 ein unzulässiges Wettbewerbsverhalten darstellt (EuGH, Urteil vom 09.07.2020, V., ECLI:ECLI:EU:C:2020:534 Rn. 39), dass der Hersteller eines Fahrzeuges, in dem eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, aufgrund des Rechtsrates eines Anwaltes oder Aufgrund einer Behördenauskunft kein geschütztes Vertrauen in die Zulässigkeit Abschalteinrichtung begründen kann, weil die Behörde das Fehlen eines Verstoßes gegen Art. 101 AEUV nicht feststellen darf und der Rechtsrat eines Anwalts auf keinen Fall ein berechtigtes Vertrauen begründen kann (EuGH, Urteil vom 18.06.2013, S., ECLI:ECLI:EU:C:2013:404 Rn. 41 f.) und ist der Umstand, dass der Hersteller sich auf kein geschütztes Vertrauen berufen kann, gleichbedeutend mit der Tatsache, dass der Hersteller sich gegenüber Dritten aufgrund eines Schadens – der in dem Wettbewerbsverstoß begründet ist – nicht auf ein von der Schadensersatzpflicht befreienden Irrtum oder ein fehlendes Verschulden berufen darf?
Im Falle der Verneinung von Frage 2.:
42
3. Ist es – im Falle einer tatsächlich fehlenden behördlichen Auskunft – mit dem Europarecht vereinbar, einen Irrtum des Herstellers aufgrund der Rechtsfigur einer hypothetischen Genehmigung zu unterstellen, der zufolge der Hersteller berechtigterweise hätte davon ausgehen dürfen, dass eine Genehmigung trotz der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung von der Genehmigungsbehörde erteilt worden wäre, wenn diese im Genehmigungsverfahren offengelegt worden wären?
43
4. Ist es aufgrund der europäischen Rechtsgrundlagen ausgeschlossen, einen von der Schadensersatzpflicht befreienden Irrtum des Herstellers eines Kraftfahrzeuges anzunehmen, wenn der Hersteller ein Fahrzeug in dem Bewusstsein in den Verkehr bringt, dass der genehmigte Fahrzeugtyp im Rahmen der Prüfungen des Typgenehmigungsverfahrens zwar ein (nach Ansicht der Typgenehmigungsbehörde im Rahmen der Prüfbedingungen des Genehmigungsverfahrens) zulässiges Emissionsverhalten hatte, das nach dem genehmigten Typen produzierte Fahrzeug außerhalb der geprüften Bedingungen unter normalen Betriebsbedingungen im gesamten Unionsgebiet aufgrund tatsächlich unzulässiger Abschalteinrichtungen jedoch ein Emissionsverhalten aufweist, das erheblich von den Angaben in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung zum Emissionsverhalten abweicht und wenn der Hersteller den Käufer des Fahrzeuges nicht von dieser Abweichung zwischen tatsächlichem Emissionsverhalten und Angabe in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung in Kenntnis setzt?
Im Falle der Verneinung von Frage 3 oder Frage 4:
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4a. Ist ein Irrtum ausgeschlossen, wenn eine nationale Marktüberwachungsbehörde eines Mitgliedstaates und/ oder die EU-Kommission die von dem Hersteller verwendeten Abschalteinrichtungen als unzulässig beanstandet haben, oder wenn bereits ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen den Mitgliedstaat der zuständigen nationalen Typgenehmigungsbehörde aufgrund der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen eingeleitet hat?
45
5. Ist ein Irrtum für einen Hersteller eines Kraftfahrzeuges bereits dann ausgeschlossen, wenn das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen regelmäßig die Emissionsgrenzwerte erheblich überschreitet, obwohl in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung Werte angegeben sind, die innerhalb der Grenzwerte liegen, weil damit bereits für den Hersteller erkennbar ist, dass die Ziele der VO 715/07 und der Rahmenrichtlinie 2007/46/EG nicht eingehalten werden können, der Käufer eines Kraftfahrzeuges allerdings aufgrund der Angaben in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung darauf vertraut, dass die Grenzwerte unter normalen Betriebsbedingungen üblicherweise eingehalten werden.
46
Die Beklagten und die Streithelfer verteidigen das angegriffene Urteil und beantragen die Zurückweisung der Berufung.
47
Die Beklagte zu 2) hält dem Berufungsvorbringen insbesondere entgegen:
48
Die Berufung habe die Feststellungen des Landgerichts Bayreuth hinsichtlich der Bindungswirkung der italienischen Typengenehmigung, die fehlende Androhung einer Stilllegung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch deutsche Behörden und den fehlenden Nachweis für eine Täuschung der Zulassungsbehörden bereits nicht angegriffen.
49
Darüber hinaus sei der Vortrag des Klägers zu etwaigen unzulässigen Abschalteinrichtungen weiterhin unsubstantiiert. Das Vorhandensein eines Thermofensters in der seitens der Klagepartei behaupteten Form werde weiterhin bestritten. Richtig sei nur, dass während der gesamten Aktivität des Motors eine Modulation der Abgasrückführungsrate (AGR-Rate) erfolge, um einer übermäßigen Verrußung des Motors vorzubeugen. Eine vollständige Rückführung der Abgase in die Brennkammer sei technisch nicht möglich, weil es dann an dem nötigen Sauerstoffanteil für das Verbrennen des Kraftstoffes fehlen würde.
50
In dem Fahrzeug der Klagepartei sei kein Motorsteuerungsgerät der Firma R. verbaut, sondern ein solches der Firma M. mit einer eigenen Software. Die Motorsteuerung des klägerischen Fahrzeugs verfüge nicht über eine zeitgesteuerte Funktionalität der Abgasrückführung oder Abgasnachbehandlung. Den Vortrag der Klagepartei, das Fahrzeug sei mit einem Timer ausgestattet, bestreite die Beklagte zu 2) weiterhin. Die Motorsteuerung verfüge auch nicht über Funktionen, die feststellen oder erkennen könnten, dass sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand und in einem NEFZ-Prüfungsprotokoll befinde und die Abgasbehandlung entsprechend steuere. Der Motor funktioniere auf dem Prüfstand in genau derselben Weise wie auf der Straße.
51
Eine Betriebsuntersagung drohe dem streitgegenständlichen Fahrzeug nicht. Eine solche zöge das KBA nur in Betracht, wenn die EG-Typgenehmigung widerrufen werde. Dies wiederum setze eine arglistige Täuschung der italienischen Zulassungsbehörden voraus, die es vorliegend nicht gegeben habe.
52
Die Beklagte zu 1) führt im Wesentlichen aus, das streitgegenständliche Fahrzeug sei nicht mangelhaft im Sinne des § 434 BGB. Die Behauptungen der Klagepartei in diesem Zusammenhang seien unsubstantiiert. Solange eine Typgenehmigung vorliege, könne von einem Mangel nicht ausgegangen werden. Zudem fehle es – wie das Landgericht zu Recht festgestellt habe – an einer erfolglosen Nachfristsetzung, die vorliegend auch nicht ausnahmsweise entbehrlich gewesen sei.
53
Darüber hinaus hält die Beklagte zu 1) vorsorglich die Einrede der Verjährung aufrecht und verweist hinsichtlich des Vortrags zum Eintritt der Verjährung auf den erstinstanzlichen Vortrag im Schriftsatz der Streithelferin „C. vom 02.03.2022 (S. 22 ff. des Schriftsatzes = Bl. 327 ff. d.A.).
54
Hinsichtlich des Hilfsantrages bringt die Beklagte zu 2) darüber hinaus vor, dass dem Kläger jedenfalls kein Schaden entstanden sei, da ein etwaiger Differenzschaden durch anzurechnenden Vorteilsausgleich vollständig aufgezehrt sei. Vergleichsangebote auf der Online-Verkaufsplattform „mobile.de“ würden belegen, dass der aktuelle Restwert des streitgegenständlichen Wohnmobils im Wesentlichen dem damaligen Anschaffungspreis entspreche. Typgleiche Wohnmobile mit gleicher Erstzulassung und sogar etwas schwächerer Motorisierung wiesen einen Kaufpreis von durchschnittlich 71.957,60 € auf. Die Nutzungsentschädigung sei unter Berücksichtigung einer zu erwartenden Gesamtnutzungsdauer von 10 Jahren mit 27.115,60 € zu bemessen. Selbst wenn man eine Gesamtnutzungsdauer von 15 Jahren zugrundelege, seien mindestens 16.947,25 € als Nutzungsentschädigung zu berücksichtigen. Dies führe dazu, dass ein Differenzschaden – unabhängig davon, ob er in Höhe von 5%, 10% oder 15% festgesetzt würde, in jedem Fall unter Berücksichtigung des Restwertes des Fahrzeuges und der Nutzungsentschädigung vollständig aufgezehrt wäre.
55
Der Kläger ist dem Vorbringen der Beklagten zu 2) zum Restwert entgegengetreten und ist der Ansicht, die Beklagte zu 2) habe lediglich „ins Blaue hinein“ und nicht hinreichend substantiiert zum Restwert vorgetragen. Der Kläger bestreitet mit Nichtwissen, dass das von der Beklagten zu 2) genannte Fahrzeug überhaupt verkaufsfähig sei. Da die Manipulationen durch Abschalteinrichtungen in der Öffentlichkeit nunmehr bekannt seien, würde ein Verkauf an Privatpersonen in der Regel ausscheiden und ein Verkauf an Händler sei – wenn überhaupt – nur mit erheblichen Abzügen möglich. Für eine Schätzung des Restwertes fehle es an einer greifbaren objektiven Grundlage. Vielmehr sei von einem Wertverlust des streitgegenständlichen Fahrzeuges von 29% des Kaufpreises in den ersten 4 Jahren auszugehen. Dies entspreche – unter Berücksichtigung des Wertverlustes durch die unzulässigen Abschalteinrichtungen – einem Restwert von 37.961,84 € (67.789,00 € (Kaufpreis) – 19.658,81 € (Wertverlust in den ersten 4 Jahren) – 10.168,35 € (Wertverlust durch Abschalteinrichtungen).
56
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
B)
57
I. Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger steht im Ergebnis kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Eine Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage der vom Kläger aufgeworfenen Fragen an den Europäischen Gerichtshof hat nicht zu erfolgen, da die Fragen entweder bereits durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs geklärt sind – Frage 1. – oder die Beantwortung der Fragen nicht vorgreiflich ist, da es zur Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit nicht auf deren Beantwortung ankommt – Nr. 2 bis 5.
58
1. Die in der Berufung gestellten Anträge sind teilweise bereits unzulässig.
59
Soweit der Kläger von der Beklagten zu 1) mit dem Antrag Ziffer 2 in der Sache Nacherfüllung des Kaufvertrages verlangt, ist der Antrag nicht bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil der Gegenstand, der von der Beklagten zu 1) geliefert werden soll, nicht in einer Art bezeichnet ist, die die Zwangsvollstreckung erlaubt. Aus einem zusprechenden Urteil könnte der Gerichtsvollzieher nicht entnehmen, welches Fahrzeug der Schuldner an den Kläger übereignen müsste. Es ist offen gelassen, welche technische Ausstattung das verkaufte und behauptet mangelhafte Fahrzeug des Klägers hat. Die Beurteilung der technischen Gleichartig- und Gleichwertigkeit des zu liefernden Fahrzeugs kann nicht dem Vollstreckungsverfahren überlassen werden. Auch nach dem Hinweis des Senats hat der Kläger seinen Antrag nicht weiter bestimmt.
60
2. Unabhängig davon stehen dem Kläger gegen die Beklagte zu 1) keine Ansprüche zu.
61
Das berufungsgegenständliche Urteil des Landgerichts Bayreuth erweist sich als richtig, soweit es die gegen die Beklagte zu 1) gerichteten Klageanträge abgewiesen hat. Dabei kann die Frage dahinstehen, ob die Klagepartei ausreichend zur behaupteten Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs vorgetragen hat.
62
a. Selbst wenn die Ausstattung des Fahrzeugs mit nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtungen unterstellt und als Sachmangel im Sinne des iSv § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB begriffen wird (vgl. BGH, Urteil vom 20.07.2022 – VIII ZR 183/21 –, ZIP 2022, 1709, 1710 Rn. 19; Urteil vom 21.07.2021 – VIII ZR 254/20 –, NJW 2021, 2958, 2960 Rn. 24 ff.; Hinweisbeschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17 –, NJW 2019, 1133, 1135 Rn. 17), steht dem geltend gemachten Anspruch auf Nachlieferung eines Neufahrzeugs gem. §§ 434, 437 Nr. 1, 439 BGB und Ersatz der Verwendungen und Aufwendungen gem. §§ 439 Abs. 5 a. F., 347 Abs. 2 BGB sowie der hilfsweise begehrten Rückabwicklung des Vertrages nach dem hilfsweise erklärten Rücktritt gem. §§ 434, 437 Nr. 2, 440 BGB die fehlende Fristsetzung zur Nacherfüllung entgegen.
63
aa) Das Landgericht hat insoweit zu Recht festgestellt, dass in dem Schreiben vom 15.04.2021 (in den Urteilsgründen ist irrtümlicherweise das Datum 15.04.2022 genannt) keine wirksame Nachfristsetzung zu sehen ist, da dieses Schreiben von der Beklagten zu 1) mit Schreiben vom 21.04.2021 gem. § 174 BGB zurückgewiesen wurde und somit keine Wirkung entfaltet. Das Nacherfüllungsverlangen nach § 439 BGB ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (Grüneberg, BGB, 83. Auflage 2024, § 439 Rn. 6), also ein einseitiges Rechtsgeschäft, das gegenüber einem anderen vorzunehmen ist. § 174 BGB ist darauf direkt anwendbar (Grüneberg, BGB, 83. Auflage 2024, § 174 Rn. 2).
64
bb) Entgegen der Ansicht des Klägers war eine Fristsetzung zur Nacherfüllung hier nicht entbehrlich, weil keiner der in Betracht kommenden Ausnahmetatbestände erfüllt war. So kann sich die Klagepartei nicht mit Erfolg darauf berufen, die Beklagte zu 1) habe die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert. An das Vorliegen einer entsprechenden Verweigerung sind strenge Anforderungen zu stellen. Eine Weigerung mit der Begründung, die erbrachte Leistung sei ordnungsgemäß, sowie ein bloßes Bestreiten des Mangels reichen nicht aus (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Auflage 2023, § 323 Rdnr. 18). In dem Bestreiten von Mängeln kann eine endgültige Nacherfüllungsverweigerung nur dann liegen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die die Annahme rechtfertigen, der Schuldner werde über das Bestreiten der Mängel hinaus bewusst und endgültig die Erfüllung seiner Vertragspflichten ablehnen, und es erscheine damit ausgeschlossen, dass er sich von einer Fristsetzung umstimmen lässt (BGH, Urteil vom 19.12.2012 – VIII ZR 96/12 –, NJW 2013, 1074, 1076 Rn. 22). Das spätere Ausschöpfen sämtlicher prozessualer Verteidigungsmöglichkeiten lässt keine rückwirkenden Schlüsse darauf zu, dass die Beklagte zu 1) bereits zu jenem Zeitpunkt, in welchem eine Nacherfüllungsaufforderung hätte erfolgen müssen, eine solche verweigert hätte (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 30.08.2021 – 12 U 1835/19 –, NZV 2021, 623, 630 Rn. 65).
65
cc) Die Nacherfüllung war vorliegend auch nicht im Sinne der §§ 326 Abs. 5, 275 Abse. 1 – 3 BGB unmöglich. Grundsätzlich kommen zur Beseitigung unzulässiger Abschalteinrichtungen ein vom Hersteller entwickeltes Softwareupdate oder eine „Hardware-Lösung“ in Betracht. Dies wurde von der insoweit auch darlegungs- und beweisbelasteten Klagepartei (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021 – VIII ZR 111/20 –, BGHZ 231, 149 ff., Rn. 23) nicht substantiiert in Abrede gestellt, weshalb der Beklagten zu 1) zumindest die Möglichkeit zur Nachbesserung hätte gegeben werden müssen. Wie sich am Vorgehen anderer Hersteller zeigt, ist etwa die Entwicklung eines Softwareupdates zur Beseitigung unzulässiger Abschalteinrichtungen grundsätzlich möglich.
66
dd) Soweit der Kläger darüber hinaus vorbringt, eine Nachfristsetzung sei vorliegend i.S.v. § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB unzumutbar, da Maßnahmen zur Beseitigung etwaiger unzulässiger Abschalteinrichtungen nicht verfügbar seien und nicht davon auszugehen sei, dass sie bis zum Ablauf einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung verfügbar sein werden, so teilt der Senat diese Auffassung für den vorliegenden Fall nicht.
67
Der Berufungskläger zitiert aus dem – soweit ersichtlich bislang nicht veröffentlichten – Urteil des OLG Celle vom 24.10.2022 (Az.: 24 U 110/22), in dem das OLG Celle eine Nachfristsetzung für nicht erforderlich erachtet hat, da Maßnahmen des Herstellers zur Beseitigung etwaiger unzulässiger Abschalteinrichtungen nicht verfügbar seien und nicht davon auszugehen gewesen sei, dass sie bis zum Ablauf einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung verfügbar sein würden. Soweit nach den auszugsweise wiedergegebenen Entscheidungsgründen das OLG Celle auf die Literaturstelle Losschelders in BeckOGK BGB, § 323 Rn. 204 [Stand: 1. August 2022] verweist, ist festzustellen, dass der aktuelle Stand der dortigen Kommentierung [Stand: 01.05.2023] nunmehr lautet: „[…] Die Entbehrlichkeit der Fristsetzung nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 bzw. § 440 S. 1 Alt. 3 kann hier somit allenfalls darauf gestützt werden, dass dem Käufer eines mit einer manipulierten Software ausgerüsteten Kraftfahrzeugs eine Nachbesserung mit einer noch nicht entwickelten Software in einem unsicheren zeitlichen Rahmen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann. Im Regelfall wird allerdings nicht nur eine Nachbesserung, sondern auch eine Ersatzlieferung in Betracht kommen. Dies gilt selbst dann, wenn die Produktion der konkreten Baureihe inzwischen eingestellt worden ist.“
68
Unabhängig davon, können die Erwägungen aus dem Urteil des OLG Celle nach Überzeugung des Senats nicht auf den vorliegenden Einzelfall übertragen werden: Feststellungen dazu, in welchem Zeitrahmen eine Änderung der Motorsteuerung durch ein Software-Update möglich wäre und ob hierzu bereits Vorbereitungen getroffen wurden, sind hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeuges nicht getroffen worden. Zudem begehrte der Kläger vorliegend – wie sich bereits aus dem vorgerichtlichen Schreiben vom 15.04.2021 ergibt – die Ersatzlieferung eines mangelfreien fabrikneuen typengleichen Ersatzfahrzeuges aus der aktuellen Serienproduktion. Insoweit ist aber nicht ersichtlich, aus welchem Grund dem Kläger im vorliegenden Fall eine Nachfristsetzung zur Nacherfüllung nicht zumutbar gewesen sein soll, zumal im vorgerichtlichen Schreiben vom 15.04.2021 – wenn auch in einer unwirksamen Form – eine Nachfrist gerade gesetzt wurde. Mit der lediglich pauschalen Behauptung, eine in technischer Hinsicht genügende dauerhafte und endgültige Behebung des Mangels durch ein Software-Update oder eine Hardwarenachrüstung sei – zumindest innerhalb angemessener Frist – nicht möglich, genügt der Kläger zudem nicht seiner Darlegungslast (OLG Dresden, Urteil vom 23.05.2023 – 4 U 1465/22).
69
ee) Darüber hinaus begründet die bloße Möglichkeit oder Befürchtung, dass nach der (ersten) Nachbesserung Mängel verbleiben oder neue Mängel entstehen, keine Entbehrlichkeit einer Fristsetzung zur Mangelbeseitigung. Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber vielmehr in § 440 S. 2 BGB ausdrücklich berücksichtigt. Danach gilt eine Nachbesserung jedenfalls grundsätzlich erst nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen. Der Käufer hat das beschriebene Risiko also zunächst hinzunehmen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 30.08.2021 -12 U 1835/19 = NZV 2021, 623, Rn. 68).
70
ff) Dem Kläger war eine Nachbesserung auch nicht aus anderen Gründen unzumutbar. Der Beklagten zu 1) war das etwaige Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor oder bei Vertragsschluss nicht bekannt. Sie hatte daher keine Möglichkeit, diesen Mangel frühzeitig zu beseitigen. Gerade diesem Umstand kommt aber entscheidendes Gewicht für ein Zurücktreten der Belange eines täuschenden Verkäufers zu (BGH, Urteil vom 29.09.2021 – VIII ZR 111/20 –, NJW 2022, 463, 466 Rn. 37). Der Beklagten zu 1) ist eine Berufung auf eine „zweite Andienung“ auch nicht per se deswegen zu versagen, weil ihr eine mögliche Arglist des Herstellers zuzurechnen wäre. Denn eine Zurechnung eines solchen Herstellerverhaltens analog § 278 BGB bzw. analog § 166 BGB scheidet aus (BGH a. a. O.).
71
b. Auf die Frage, ob die Beklagte zu 1) gegen etwaige Gewährleistungsansprüche gem. §§ 434, 435, 437 BGB erfolgreich die Einrede der Verjährung gem. § 214 Abs. 1 BGB erhoben hat, kommt es mithin nicht mehr an.
72
Mangels Hauptanspruchs kommt auch ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nicht in Betracht.
73
3. Dem Kläger steht auch gegen die Beklagte zu 2) kein Anspruch auf Schadensersatz zu.
74
a) Das Landgericht Bayreuth hat einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte zu 2) wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB zu Recht verneint. Die Berufung zeigt keinen Rechtsfehler des Urteils des Landgerichts Bayreuth auf. Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung an und nimmt darauf Bezug.
75
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist insoweit Folgendes auszuführen:
76
Auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens fehlt es weiterhin an der hinreichend substantiierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten zu 2).
77
Das Inverkehrbringen eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeuges durch einen Fahrzeughersteller ist nicht schon wegen des darin liegenden Gesetzesverstoßes als sittenwidriges Verhalten gegenüber dem Käufer des Fahrzeuges anzusehen. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes müssen vielmehr weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten des Fahrzeugherstellers als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 20.07.2023 – III ZR 303/20, zitiert nach juris Rn. 11 m.w.N.). Solche Umstände liegen beispielsweise vor, wenn der zuständigen Typgenehmigungsbehörde vorgespiegelt wird, das Fahrzeug werde auf dem Prüfstand unter den Motorbedingungen betrieben, die auch im normalen Fahrbetrieb zum Einsatz kommen, oder im Typgenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht werden (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19, Rn. 18, 22). Auf eine Täuschung der Typgenehmigungsbehörde kann es hinweisen, wenn die Abschalteinrichtung danach unterscheidet, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird oder sich im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Urteil vom 20.07.2023 – III ZR 303/20, zitiert nach juris Rn. 12). Sofern die verwendete Abschalteinrichtung hingegen auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise funktioniert, ist darauf abzustellen, ob die konkrete Ausgestaltung der Abschalteinrichtung angesichts der sonstigen Umstände die Annahme eines heimlichen und manipulativen Vorgehens oder einer Überlistung der Typgenehmigungsbehörde rechtfertigen kann (OLG Celle, Urteil vom 16.10.2023 – 7 U 346/22 = BeckRS 2023, 30810). Die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung trägt nach allgemeinen Grundsätzen die Klägerin als Anspruchstellerin (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, Rn. 19).
78
Dafür, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug von der Beklagten Abschalteinrichtungen verbaut wären, die auf eine Täuschung der Typgenehmigungsbehörde ausgelegt wären, benennt die Klägerin auch in der Berufung keine greifbaren Anhaltspunkte.
79
aa) Entgegen der Behauptung des Klägers hat die Beklagte zu 2) keine Prüfstandsbezogenheit des behaupteten „Timers“ zugestanden. Soweit der Kläger sich insoweit auf Vortrag der Beklagten zu 2) in einem Verfahren vor dem Landgericht Hechingen (Az.: 3 O 110/22) bezieht, steht dem bereits entgegen, dass ein gerichtliches Geständnis gemäß § 288 ZPO ausschließlich im gegenständlichen Rechtsstreit abgegeben werden kann und ein außergerichtliches Geständnis keine Bindungswirkung im vorliegenden Rechtsstreit entfaltet (OLG Celle, Beschluss vom 16.10.2023 – 7 U 346/22, BeckRS 2023, 30810). Unabhängig davon beschreibt der Vortrag der Beklagten zu 2) in dem Parallelverfahren vor dem Landgericht Hechingen keine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung und unterscheidet sich erheblich von der Funktionsweise, die von dem Kläger vorgetragen wird.
80
bb) Einer hinreichend substantiierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten zu 2) im Zusammenhang mit den behaupteten Abschalteinrichtungen steht vorliegend entgegen, dass der Kläger sich in Widerspruch mit seinem eigenen Vortrag begeben hat und auch die vorgelegten Unterlagen nicht in Einklang mit der Beschreibung der Funktionsweise der Abschalteinrichtungen stehen, die der Kläger in der Berufung vorbringt. In einem solchen Fall ist der Vortrag als prozessual unbeachtlich anzusehen (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – VII ZR 190/20 = NJW 2021, 3721; OLG Celle, Beschluss vom 16.10.2023 – 7 U 346/22, BeckRS 2023, 30810). So liegt der Fall hier:
81
Der Kläger hat hinsichtlich der Timer-Funktion zunächst behauptet, dass ein Timer ab dem Motorstart laufe und nach einer vorgegebenen Zeit die Abgasrückführungsrate im Rahmen der Abgasreinigung auf null reduziere. Dies sei nach einer Zeit von 22 Minuten bzw. 21,8 Minuten (1.308,8 Sekunden) der Fall (Bl. 24 ff. d.A. und Bl. 234 d.A.). An anderer Stelle (Schriftsatz vom 14.10.2022, Bl. 553 d.A.) sowie im Berufungsverfahren bringt der Kläger hingegen vor, der Timer von 22 Minuten beginne nicht bei jedem Motorstart, sondern nur dann, wenn die Software anhand bestimmter Parameter von einer Prüfsituation ausgehe. Diese Behauptung einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung steht jedoch in Widerspruch zu dem vom Kläger selbst vorgelegten Unterlagen, beispielsweise die Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 08.05.2020 (Anlage K1) und das Ergebnisprotokoll der Besprechung beim Kraftfahrt-Bundesamt vom 14.06.2016 (Anlage K3).
82
In gleicher Weise hat der Kläger auch zum Thermofenster widersprüchlich vorgetragen, indem er zunächst vorgetragen hat, Sensoren würden innerhalb von 5 Sekunden ab Motorstart überprüfen, ob die Temperatur der Ansaugluft, des Kühlwassers und der Abgase gleich hoch sei und dann eine NEFZ-Software zur Abgasreinigung einschalten, an anderer Stelle die Funktion des Thermofensters aber so beschreibt, dass die Umgebungstemperatur gemessen würde und bei identischen Umgebungstemperaturen aufgrund eines Korrekturfaktors die Abgasreinigung aktiviert werde.
83
Aus dem widersprüchlichen Vortrag des Klägers ergeben sich keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass in dem in ihrem Fahrzeug verbauten Motor eine konkrete Abschalteinrichtung verbaut wäre, die bewusst und gewollt von der Beklagten so programmiert worden wäre, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden (Umschaltlogik), und die damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt hätte, wie sie etwa dem BGH-Urteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, zum Motor EA 189) zugrunde lag. Die Klägerin hat auch im Berufungsverfahren nicht hinreichend dargelegt, durch welche Angaben bzw. unterbliebenen Angaben die Typgenehmigungsbehörde getäuscht worden sein soll.
84
b) Der Kläger hat im Ergebnis auch keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV bzw. Art. 5 VO (EG) 715/2007.
85
Allerdings sind die Regeln, die der Bundesgerichtshof zum Differenzschaden aufgestellt hat, grundsätzlich auch auf Wohnmobile anwendbar (BGH, Urteil vom 27.11.2023 – VIa ZR 1425/22).
86
Der Kläger ist aber jedenfalls kein Schaden entstanden, weil die nach dem Differenzschadensersatz zu berechnende Wertminderung durch Vorteile, die die Klägerin erlangt hat und die im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen sind, aufgezehrt ist.
87
aa) Der Senat schätzt die Höhe des Differenzschadens, der dem Kläger bei Verwendung der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen – deren Vorliegen unterstellt – zustünde, gemäß § 287 ZPO auf 10% des Kaufpreises, mithin auf 6.678,90 €. Dieser Schaden ist durch im Wege der Vorteilsanrechnung anzurechnende Vorteile vollständig aufgezehrt. Selbst wenn man die vom Bundesgerichtshof aus Gründen der Verhältnismäßigkeit festgesetzte Höchstgrenze des Differenzschadens von 15% des gezahlten Kaufpreises heranziehen würde (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rn. 75), vorliegend also 10.168,35 €, verbliebe kein Schaden.
88
bb) Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeuges sind erst dann und nur insoweit anspruchsmindernd im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeuges bei Abschluss des Kaufvertrages übersteigen (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21, Rz. 80).
89
Der tatsächliche Wert des Fahrzeuges errechnet sich aus dem vereinbarten Kaufpreis abzüglich des Differenzschadens. Vorliegend ergibt sich hieraus ein tatsächlicher Wert des Fahrzeuges von 60.011,10 € (66.789,00 € – 6.678,90 €).
90
cc) Der Senat schätzt auf der Grundlage von Vergleichsangeboten, die zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in die Verkaufsplattformen „mobile.de“ und „truckscout24.de“ eingestellt waren, den Restwert des streitgegenständlichen Fahrzeuges der Klägerin gemäß § 287 ZPO auf mindestens 60.000 €.
91
Gebrauchtwagenangebote auf Verkaufsplattformen wie mobile.de oder autoscout24.de stellen eine geeignete Schätzgrundlage für die Ermittlung des Restwertes dar. Der Senat folgt insoweit der Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Celle (OLG Celle, Beschluss vom 16.10.2023 – 7 U 346/22 = BeckRS 2023, 30810), wonach die genannten Verkaufsplattformen zur Schätzung des Restwertes von Fahrzeugen herangezogen werden können. Soweit der Kläger gegen die Schätzung des Fahrzeugrestwertes auf der Grundlage von Gebrauchtwagenangeboten auf den Verkaufsplattformen vorbringt, die Angebote zu den Vergleichsfahrzeugen könnten nicht zu Vergleichszwecken herangezogen werden, da die Fahrzeuge im Hinblick auf das Bekanntwerden der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen nicht oder nur mit erheblichen Preisabschlägen erfolgen könnten, hat der Klägerin hierzu bereits nicht substantiiert vorgetragen. Der Senat hat zu mehreren Zeitpunkten Suchanfragen auf mobile.de durchgeführt und konnte feststellen, dass zu dem streitgegenständlichen Fahrzeugmodell eine Vielzahl von Fahrzeugen angeboten werden. Hinweise auf erhebliche Preisabschläge und starke Schwankungen in den Angebotspreisen bei vergleichbaren Suchkriterien waren nicht feststellbar.
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Die Vergleichspreise auf der Verkaufsplattform mobile.de liegen zwischen 59.990 € – für ein Wohnmobil T.01, EZ 08/2019, mit geringerer Motorisierung und deutlich höherer Laufleistung (51.790 km) – und 62.900 € – durch einen Privatanbieter für ein Wohnmobil T.01, EZ 01/2019, mit gleichem Motor und einer Laufleistung von 33.000 km. In einem weiteren Vergleichsangebot bietet ein Privatverkäufer ein Wohnmobil T.01, EZ 04/2018 mit gleicher Motorisierung und einer Laufleistung von 29.000 km zu einem Verkaufspreis von 60.290 € an. Der Senat hat die genannten Vergleichsangebote überprüft und sie mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug verglichen. Auf der Grundlage dieser Bewertung anhand der vorliegenden Vergleichsangebote schätzt der Senat den Restwert des Fahrzeugs der Klägerin auf mindestens 60.000 €.
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dd) Den Wert der von der Klägerin aus der Nutzung des streitgegenständlichen Wohnmobils gezogenen Vorteils schätzt der Senat gemäß § 287 ZPO auf 20.407,75 €.
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Anders als bei einem Pkw sieht der Senat – in Übereinstimmung mit anderen Obergerichten (OLG Celle, Beschluss vom 16.10.2023 – 7 U 346/22, Rn. 91; OLG Stuttgart, Urteil vom 12.05.2016 – 1 U 133/13, zitiert nach juris Rn. 123) – bei Wohnmobilen für die Bemessung der anzurechnenden Nutzungsentschädigung das Verhältnis der Nutzungsdauer seit dem Erwerb des Wohnmobils zur voraussichtlichen Gesamtdauer, in der ein Wohnmobil wie das streitgegenständliche zu Wohnzwecken genutzt werden kann, als maßgeblich an. Für die Gesamtnutzungsdauer erachtet der Senat – ebenso in Übereinstimmung mit den vorgenannten Obergerichten – 15 Jahre für sachgerecht (OLG Celle, a.a.O., Rn. 92; OLG Stuttgart, a.a.O. Rn. 123 ff.). Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass bei Wohnmobilen die Gebrauchsvorteile, die im Wesentlichen aus der Möglichkeit zur Wohnnutzung bestehen, im Vordergrund stehen, und die Gesamtnutzungsdauer dadurch bestimmt wird, dass es aufgrund der im Bereich des Aufbaus verwendeten Materialien nach gewisser Zeit – häufig schon nach 10 Jahren – zu Einschränkungen der Nutzbarkeit durch Undichtigkeiten und Schimmelbildung kommt (OLG Celle, a.a.O.).
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Setzt man dementsprechend die Nutzungsdauer von mindestens 55 Monaten (04/2019 – 11/2023 = 4 Jahre und 7 Monate), in der der Kläger von dem Wohnmobil Gebrauch machen konnte und auch tatsächlich Gebrauch gemacht hat, ins Verhältnis zu der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer von 15 Jahren, so ergibt sich hieraus ein Nutzungsvorteil im Wert von 20.407,75 € (55/180 x 66.789,00 €).
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ee) Der Restwert des Fahrzeuges von 60.000 € zuzüglich des Wertes der Nutzungsvorteile in Höhe von 20.407,75 € € (insgesamt 80.407,75 €) übersteigen den Wert des Fahrzeuges bei Abschluss des Kaufvertrages (60.011,10 €) um 20.396,65 €, so dass der Differenzschaden – selbst bei Annahme eines Differenzschadens von 15% des gezahlten Kaufpreises – vollständig aufgezehrt ist.
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4. Das Verfahren war auch nicht auf den Antrag des Klägers vom 29.11.2023 auszusetzen. Die Vorlage der vom Kläger aufgeworfenen Fragen an den Europäischen Gerichtshof hat nicht zu erfolgen, da die unter Ziffer 1. aufgeworfene Frage bereits durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs geklärt ist und die weiter aufgeworfenen Fragen vorliegend nicht entscheidungsrelevant sind.
98
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21.03.2023 (C 100/21 = NJW 2023, 1111) ausdrücklich klargestellt, dass sie nationalen Gerichte befugt sind, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führt (EuGH, Urteil vom 21.03.2023 – C 100/21, Rn. 94, EuGH, Urteil vom 25.03.2021 – C – 501/18). In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften ist es Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaates, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen.
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Soweit der Kläger unter den Ziffern 2. – 5. Fragen aufwirft, die das Verschulden des Herstellers und einen möglicherweise von der Schadensersatzpflicht befreienden Irrtum betreffen, war das Verfahren bereits deswegen nicht auszusetzen, da die aufgeworfenen Fragen – wie oben dargestellt – vorliegend nicht entscheidungsrelevant sind.
100
Die Berufung war daher insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.
101
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 101 ZPO.
102
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
103
III. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die Streitsache ist gekennzeichnet durch die Besonderheiten des Einzelfalls im Tatsachenbereich. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Soweit Rechtsfragen zu entscheiden waren, liegt eine Abweichung von höchstrichterlicher oder sonstiger obergerichtlicher Rechtsprechung nicht vor.