Titel:
Dublin-Verfahren (Rumänien)
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 7
Dublin III-VO Art. 9, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. b, Art. 20 Abs. 5
Leitsatz:
Der Annahme eines Wiederaufnahmegesuchs nach 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO kommt der Aussagewert zu, dass das Zuständigkeitsprüfungsverfahren dort mit der Anerkennung der eigenen Zuständigkeit abgeschlossen ist. Dieses Verfahren kann allenfalls vom zuständigkeitsprüfenden Staat wiederaufgenommen werden, nicht vom nach Art. 8 ff. als zuständig erachteten Staat (Rn. 17)
Schlagworte:
Antrag nach § 80 Abs.7 VwGO gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung im Dublin-Verfahren, wirksame und i.S.v. Art 6 EGBGB anzuerkennende Eheschließung in Syrien (Hinweis auf Mehrfachehe aufgrund der früheren Angabe des Ehemanns der Antragstellerin, dass er mit einer anderen Frau verheiratet sei) - offensichtliches Eingreifen von Art. 9 Dublin III-VO in Wiederaufnahmeverfahren in dieser Situation abgelehnt, Erklärungswert der Annahme nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO, Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-VO bei Zweifel an einer Ehe i.S.v. Art 6 Abs. 1 GG (abgelehnt), Abschiebungsanordnung, Rumänien, Wiederaufnahmegesuch, Zuständigkeitsübergang, Eheschließung in Syrien, Ordre public-Vorbehalt
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4967
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Die Antragstellerin wendet sich mit einem zweiten Eilantrag gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung nach Rumänien.
2
Die Antragstellerin, eine 2000 geborene syrische Staatsangehörige, ist Ende 2023 über Rumänien in den Dublin-Raum eingereist ist, hat dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt und ist anschließend in die Bundesrepublik Deutschland weitergereist. Sie ist von der Polizei wegen illegaler Einreise aufgegriffen und in Abschiebehaft genommen worden und hat aus der Haft heraus, in der sich nach wie vor befindet, einen neuen Asylantrag gestellt. Rumänien hat der Rückübernahme der Antragstellerin nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO zugestimmt.
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Gegen die Bescheide vom 18. Dezember 2023 und 8. Januar 2024, mit denen das Bundesamt die Abschiebung der Antragstellerin nach Rumänien angeordnet und ihren Asylantrag als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgelehnt hat, sind Klagen beim Verwaltungsgericht Ansbach anhängig (AN 17 K 24.50004 und AN 17 K 24.50028). Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 27. Dezember 2023 gegen die Abschiebungsanordnung (AN 17 K 24.50003) wurde vom Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 15. Januar 2024 abgelehnt.
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Die Antragstellerin hatte ihren Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO darauf gestützt, dass sie schwanger sei (errechneter Geburtstermin …2024) und ihr Ehemann … mit Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Zuerkennung subsidiären Schutzes in Deutschland lebe. Die Ehe sei mit Vertrag am …Mai 2018 – in Abwesenheit und Vertretung des Ehemanns – geschlossen und am …März 2022 vom Sch.-Gericht in … in Syrien bestätigt worden. Es wurden Übersetzungen vom 3. bzw. 8. Oktober 2022 zu folgenden Unterlagen vorgelegt:
- Sch.Ehevertrag vom …Mai 2018,
- Beschluss des Sch.-Gerichts vom … März 2022,
- Auszug aus dem Personenregister Syriens vom 2. Oktober 2022,
- Auszug aus dem Familienregister Syriens vom 2. Oktober 2022 und
- Eheschließungsurkunde, Auszug vom 2. Oktober 2022 und vorgetragen, dass ein Antrag auf Familiennachzug nicht geklappt habe.
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Die Antragsgegnerin hatte im Verfahren nach § 80 Abs. 5 vorgetragen und durch Aktenvorlage nachgewiesen, dass der angegebene Ehemann bei der Anhörung in seinem Asylverfahren am 14. Januar 2021 vorgetragen hatte, dass seine Ehefrau …, geb. … 1989 in …Irak sei, die er im Libanon kennengelernt und am … 2018 religiös geheiratet habe.
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Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 19. Februar 2024 beantragte die Antragstellerin – nach einem Scheitern der Abschiebung nach Rumänien aufgrund des Widerstands der Antragstellerin – nunmehr nach § 80 Abs. 7 VwGO, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Januar 2024 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid vom 18. Dezember 2023 anzuordnen.
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Zur Begründung wird angegeben, dass nunmehr folgende Urkunden im Original vorgelegt werden könnten:
- Geburtsurkunde für die Antragstellerin, ausgestellt am 24. Januar 2024,
- Auszug aus dem Personenstandsregister für die Antragstellerin, ausgestellt am 21. Januar 2024,
- Heiratsurkunde für die Antragstellerin und Herrn …, ausgestellt am 24. Januar 2024,
- Auszug aus dem Familienstandsregister für die Antragstellerin und Herrn …, ausgestellt am 24. Januar 2024 („Familienstand verheiratet“) und
- Beschluss des Sch.-Gerichts … vom … März 2022 mit dem Vermerk, dass der Beschluss am … Februar 2024 Rechtskraft erlange.
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Die Unterlagen wurden in digitaler Form mit Übersetzungen vom 27. Januar 2024 übersandt.
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Vorgelegt wurden außerdem schriftliche Erklärungen der Antragstellerin und von Herrn … vom 19. Februar 2024, dass sie zusammenleben und einen gemeinsamen Haushalt führen wollen.
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Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 22. Februar 2024, den Antrag abzulehnen.
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Es müsse keine Berücksichtigung der (neuen) Unterlagen erfolgen, weil das Zuständigkeitsverfahren bereits abgeschlossen sei. Es bestünden angesichts der Angaben des Herrn M. A. Kh. in seinem eigenen Asylverfahren Zweifel an der Wirksamkeit der Eheschließung. Ein Selbsteintritt erfolge nicht, weil die Familienzusammenführung im Visumswege nach dem AufenthG erfolgen könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakten AN 17 S 24.50003, AN 17 K 24.50004, AN 17 K 24.50028 und AN 17 S 34.50146 Bezug genommen.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO auf Abänderung des Beschlusses vom 15. Januar 2024 und Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung vom 18. Dezember 2023 ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzulehnen.
14
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 ist dann begründet, wenn veränderte Umstände im Vergleich zu denjenigen, die die Basis der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO gebildet haben, vorliegen oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht wurden und zu einer abweichenden Beurteilung der Sach- oder Rechtslage führen (Schoch/ Schneider/Schoch, 44. EL März 2023, VwGO § 80 Abs. 576). Dies ist hier nicht der Fall. Zwar kann eine Änderung der Sach- bzw. Rechtslage, von der auch eine Änderung der Prozesslage und eine Änderung der Beweislage umfasst sind (Schoch/Schneider, § 80 Rn. 585), durch die Vorlage der Abdrucke der syrischen Urkunden zur Eheschließung angenommen werden (bislang waren lediglich keinesfalls ausreichende Übersetzungen, aber nicht die Originaltexte (-abdrucke) vorgelegt worden), jedoch führen auch die Originalurkunden im Ergebnis nicht zu einer anderen Beurteilung des Gerichts. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 27. Dezember 2023 (AN 17 K 24.50004) ist weiter abzulehnen.
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Im Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Gericht ausgeführt, dass zum einen eine offensichtliche Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für das Asylverfahren der Antragstellerin – wie dies im Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b), 23 ff. Dublin III-VO Voraussetzung ist – nicht besteht, u.a. und insbesondere deshalb, weil der angegebene Ehemann bei seiner Anhörung eine andere Ehefrau angegeben hat (1) und zum anderen, dass das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren bereits abgeschlossen ist und Rumänien seine Zuständigkeit bereits unwiderruflich festgestellt hat (2). Beide Begründungen gelten fort. Die neu vorgelegten Unterlagen ändern hieran im Ergebnis nichts.
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(1) Eine offensichtliche Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 9 Dublin III-VO ergibt sich aus den neu vorgelegten Unterlagen weiterhin nicht. Zwar wurden nunmehr Erklärungen zum Nachzugswunsch vorgelegt sowie die Kopien bzw. Scans von syrischen Dokumenten (insbesondere Heiratsurkunde mit angegebenem Datum des Ehevertrags vom *Mai 2018, Bestätigung durch das Sch.-Gericht vom …3.2022, Auszug aus dem Personenstandsregister vom 21.1.2021, der die Antragstellerin als verheiratet ausweist und Auszug aus dem Familienstandsregister vom 24.1.2024, nachdem die Antragstellerin und Herrn … miteinander verheiratet sind), die Zweifel hinsichtlich einer nach europäischem und deutschem Recht wirksamen bzw. schützenswerten Ehe sind damit aber nicht vollständig ausgeräumt. Weitere Ehen des Herrn … nach syrischem Recht können mit diesen Urkunden nämlich nicht ausgeschlossen werden, hierzu machen die Unterlagen keine Aussagen. Die Zweifel hinsichtlich einer Ehe nur mit der Antragstellerin, die daraus herrühren, dass Herr … bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 14. Januar 2021 eine andere Ehefrau mit fast zeitgleichem Eheschließungsdatum angegeben hat, bestehen weiter und machen das Eingreifen des Ordre public-Vorbehalts nach Art. 6 EGBGB wegen bestehender Mehrfachehe nicht unwahrscheinlich. Zu den zweifelauslösenden Angaben des Herrn … vom 14. Januar 2021 hat die Antragstellerseite im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO auch keinerlei Stellung bezogen. Eine revidierende Aussage und plausible Erklärung des Herrn … zu seiner damaligen Aussage liegen nicht vor. In dieser Situation kann nicht von einem offensichtlichen Eingreifen von Art. 9 Dublin III-VO zugunsten der Antragstellerin ausgegangen werden, zumal der Beschluss des Sch.-Gerichts nach dem jetzt vorgelegten Dokument erst am 6. Februar 2024 Rechtskraft erlangt hat und die Eheschließung damit zuvor wohl keineswegs - wie aber vorgetragen – wirksam war. Dadurch, dass die Antragstellerin im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO diesen Umstand verschwiegen hat, kann ihren Angaben insgesamt nicht ohne Weiteres geglaubt werden bzw. kann nicht darauf vertraut werden, dass sie den maßgeblichen Sachverhalt (z. B. was das Vorliegens weiterer Ehefrauen betrifft) vollständig mitgeteilt hat. Die Prüfung der Wirksamkeit und Schutzbedürftigkeit der vorgetragenen Ehe stellt sich im vorliegenden Fall jedenfalls als schwierig und komplex dar, sodass von einem offensichtlichen Eingreifen von Art. 9 Dublin III-VO nicht die Rede sein kann.
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(2) Keine Änderung ergibt sich auch hinsichtlich der rechtlichen Erwägung im Beschluss vom 15. Januar 2024, dass durch die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch Rumänien nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO ein ausreichender Beleg dafür vorliegt, dass Rumänien das Zuständigkeitsverfahren mit der Anerkennung der eigenen Zuständigkeit bereits abgeschlossen hat und diese Zuständigkeit für die Antragsgegnerin bindend ist. Der von Rumänien genannte Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO setzt von der gesetzgeberischen Konstellation her voraus, dass das Zuständigkeitsprüfungsverfahren des ersuchten Staates bereits abgeschlossen ist (vgl. hierzu EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris). Wäre das Zuständigkeitsprüfungsverfahren in Rumänien noch nicht abgeschlossen, hätte Rumänien der Wiederaufnahme richterweise nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO zustimmen müssen. Dass Rumänien mit seiner Zustimmung nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO eine solche Aussage gar nicht habe treffen wollen, sondern das Zuständigkeitsverfahren noch offen ist, wäre reine Spekulation und kann deshalb nicht angenommen werden.
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Wenn Rumänien seine Zuständigkeit (mutmaßlich nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO) aber bereits anerkannt hat –, auch wenn dies fehlerhaft gewesen sein sollte, weil Art. 9 Dublin III-VO vorrangig und einschlägig gewesen wäre, Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO – wäre selbst eine (eigentlich) offensichtliche Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr maßgeblich und eine Rückführung der Antragstellerin nach Rumänien richtig. Die Offensichtlichkeits-Prüfung findet nämlich nur im Falle eines noch laufenden Zuständigkeitsverfahrens (Wiederaufnahme nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO) statt (EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris).
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Ein Wiedereröffnen des Zuständigkeitsprüfungsverfahrens durch die Antragsgegnerin ist ausgeschlossen. Dies könnte allenfalls Rumänien selbst; dies wäre dementsprechend gegebenenfalls gegenüber Rumänien als zuständigkeitsprüfendem Staat zu beantragen und durchzusetzen, nicht aber gegenüber der Antragsgegnerin. Warum die Antragstellerin im bisherigen Zuständigkeitsprüfungsverfahren vor der rumänischen Asylbehörde offenbar nicht auf ihren Ehemann in Deutschland hingewiesen hat, ist jedoch unverständlich und begründet weitere Zweifel an einer berücksichtigungsfähigen Ehe.
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(3) Unabhängig von den Zuständigkeitskriterien nach Art. 8 ff. Dublin III-VO und entgegen einer Zuständigkeitsfestlegung des zuständigkeitsprüfenden Staates kann ein (anderer) Staat lediglich im Wege des Selbsteinstrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO die Zuständigkeit an sich ziehen. Dies hat die Antragsgegnerin jedoch mit Hinweis auf das reguläre Nachzugsverfahren nach dem AufenthG abgelehnt. Diese Entscheidung ist ermessensgerecht und damit rechtmäßig. Erwachsenen Ehepartnern – wenn eine wirksame und anzuerkennende Eheschließung denn vorliegt – ist eine vorübergehende, auch eine längere Trennung zur Durchführung des regulären Visumsverfahrens zum Familienzusammenzug grundsätzlich zumutbar (vgl. in anderer Konstellation und zu Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO: VG Ansbach, B.v. 22.22021 – AN 17 E 22.50020 – juris; B.v. 10.3.2021 – AN 17 E 21.50060 – juris), zumal mit einer entsprechenden Verfahrensdauer auch zu rechnen war und die Antragstellerin mit Herrn … noch zu keinem Zeitpunkt eine Lebensgemeinschaft geführt hatte. Das Dublin-Verfahren ist nicht dazu da, dass Schwierigkeiten im ausländerrechtlichen Nachzugsverfahren „gelöst“ werden.
21
Am Nicht-Eingreifen von Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ändert auch die Schwangerschaft der Antragstellerin derzeit nichts. Gesundheitliche Probleme aufgrund der Schwangerschaft und damit ein Angewiesensein der Antragstellerin auf ihren Partner ist nicht zu erkennen und auch nicht vorgetragen. Der Entbindungstermin ist erst für Ende … 2024 errechnet; bis dahin ist mit einem Abschluss eines Nachzugverfahren nach dem AufenthG zu rechnen, wenn eine Ehe, die unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG steht, vorliegt und die übrigen Voraussetzungen vorliegen.
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Nachdem in der derzeitigen Situation, wie bereits im Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO vom 15. Januar 2021 ausgeführt wurde, auch kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das der Abschiebungsanordnung entgegenstünde, vorliegt, bleibt es bei der der Ablehnung der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.
24
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.