Inhalt

SG München, Gerichtsbescheid v. 23.08.2024 – S 11 R 1446/23
Titel:

Kein Anspruch auf Witwenrente nach dem vorvorletzten Ehegatten (nach Auflösung de dritten Ehe)

Normenketten:
SGB VI § 46
GG Art. 6
Leitsatz:
Mit Art. 6 GG ist es vereinbar, dass das Gesetz nur eine Witwenrente nach dem vorletzten Ehepartner vorsieht und ein Rückgriff auf weiter zurückliegende Ehen nicht möglich ist.
Schlagworte:
Witwenrente, Wiederheirat, Eheauflösung, Hinterbliebenenrente, Verfassungsrecht, Differenzierungsgrund, Lebenspartnerschaft
Rechtsmittelinstanzen:
LSG München, Urteil vom 16.04.2025 – L 6 R 501/24
BSG Kassel, Beschluss vom 13.08.2025 – B 5 R 77/25 B
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49672

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 11.07.2023 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2023 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt Witwenrente nach dem am ... 1975 verstorbenen J. ab 01.11.2022.
2
Die 1948 geborene Klägerin war vom ... 1969 bis zum Tod des 1929 geborenen J. am ... 1975 mit diesem verheiratet. Vom Oktober 1979 bis Oktober 1991 war die Klägerin mit K. verheiratet. Diese Ehe wurde am 1991 durch Scheidung aufgelöst. Anschließend war die Klägerin mit S. verheiratet, der am 2022 verstorben ist. Die Klägerin stellte am 16.12.2022 einen Antrag auf Witwenrente nach dem ersten Ehegatten, J., verstorben 1975. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11.07.2023 ab und führte aus, nach § 46 Abs. 3 SGB VI bestehe unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 und 2a Anspruch auf Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten, wenn der überlebende Ehegatte wieder geheiratet hatte und die erneute Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt ist. Ein Anspruch könne ausschließlich nach dem vorletzten Ehegatten entstehen, nicht nach dem vorvorletzten.
3
Die Klägerin ließ hiergegen Widerspruch einlegen und zur Begründung u.a. ausführen, die Wertung des § 46 Abs. 3 SGB VI widerspreche Artikel 6 und 3 Grundgesetz (GG). Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2023 zurück. Die Beklagte führte aus, das Gesetz sehe keinen Anspruch auf Witwenrente nach dem vorvorletzten Ehegatten vor, sondern gewähre nur eine Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten.
4
Die Klägerin hat hiergegen am 08.12.2023 Klage zum Sozialgericht München erheben lassen. Die Klägerin lässt vortragen, § 46 Abs. 3 SGB VI sei insofern verfassungswidrig, als die Witwenrente auf den vorletzten Ehegatten beschränkt werde. Darin läge ein Verstoß gegen Artikel 6 und 3 GG vor. Es sei richtig, dass die Klägerin bereits in 3. Ehe verheiratet war. Dies bedeutet jedoch nicht, dass deshalb der Schutz von Ehe und Familie nach Artikel 6 Abs. 1 GG nicht mehr greife. § 46 Abs. 3 SGB VI sei gerade dafür geschaffen, zu vermeiden, dass sich ein verwitweter Ehegatte allein aus versorgungsrechtlichen Bedenken nicht mehr traue, erneut zu heiraten. Dabei sei auch zu bedenken, dass Artikel 6 Abs. 1GG den Schutz der Ehe, den jeder Mensch einfordern könne, gerade nicht auf eine bestimmte Anzahl an Ehen beschränke. Die Klägerin habe weiterhin eine liebevolle Verbundenheit zum ersten Ehegatten J.. Auch Artikel 3 GG sei verletzt. Es gäbe keinen sachlichen Grund, warum ein Unterschied zwischen der 2. und 3. oder auch einer weiteren Ehe gemacht werde. Wenn sich der Gesetzgeber entschieden habe, das Wiederaufleben der Witwenrente generell zu ermöglichen, dann sei dies aus Gleichbehandlungsgründen auch für weitere Ehen geboten. Des Weiteren sei im Zuge der Gleichstellung von Ehe und Lebenspartnerschaft die Vorschrift des § 46 Abs. 4 SGB VI geschaffen worden. Im Gegensatz zu Abs. 3 sei in Abs. 4 keine Beschränkung auf den „vorletzten Lebenspartner“ enthalten.
5
Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 05.08.2024 unter Fristsetzung von der Absicht in Kenntnis gesetzt, den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG zu entscheiden.
6
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.07.2023 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2023 zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente nach J. ab 01.11.2022 zu zahlen.
7
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
8
Beigezogen war die Verwaltungsakte der Beklagten.
9
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte und der Klageakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10
Das Sozialgericht München ist sachlich und örtlich zuständig. Die form- (§ 90 SGG) und fristgerecht (§ 87 SGG) erhobene Klage ist zulässig.
11
Der Antrag der Klägerin vom 07.12.2023 war hinsichtlich des Beginns der erstrebten Witwenrente zum 01.11.2022 auszulegen. Das Gericht geht davon aus, dass es sich beim Antrag „ab dem 01.11.2023“ um einen Tippfehler handelt, zumal in der Begründung auf den Zeitraum ab 01.11.2022 Bezug genommen wird.
12
Der vorliegende Rechtsstreit kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt hinreichend geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
13
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung von Witwenrente nach dem vorvorletzten Ehegatten.
14
Gemäß § 46 Abs. 3 SGB VI haben überlebende Ehegatten, die wieder geheiratet haben, unter den sonstigen Voraussetzungen der Absätze 1 bis 2b Anspruch auf kleine oder große Witwenrente, wenn die erneute Ehe erneut aufgelöst oder für nichtig erklärt ist.
15
Die Klägerin war in erster Ehe mit J. verheiratet. Die Ehe wurde durch den Tod des Ehegatten am ...1975 aufgelöst. Danach war die Klägerin ein 2. Mal verheiratet, die Ehe mit K. wurde 1990 geschieden. Die letzte Ehe, eingegangen am 13.10.1993, endete mit dem Tod des Ehegatten S. 2022. Nach § 46 Abs. 3 SGB VI kann unter den dort genannten Voraussetzungen Witwenrente nach dem vorletzten Ehegatten beansprucht werden. J. ist der vorvorletzte Ehegatte, sodass gemäß § 46 Abs. 3 SGB VI nach diesem keine Witwenrente beansprucht werden kann.
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Gegen die Regelung des § 46 Abs. 3 SGB VI ergeben sich auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Artikel 6 GG schützt Ehe und Familie. Eine Verletzung dieses Grundrechts wäre dann anzunehmen, wenn rechtliche Nachteile an die Ehe geknüpft werden. Das Rechtsinstitut der Hinterbliebenenrente ist Ausfluss dieses Grundrechts. Der Gesetzgeber ist aber nicht daran gehindert, Regelungen zur Beendigung der Hinterbliebenenrente zu erlassen, wenn mehrere Renten zeitlich nacheinander zusammentreffen.
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Eine Verletzung von Artikel 3 GG scheidet schon deshalb aus, weil ein sachlicher Differenzierungsgrund vorliegt. Es ist jedenfalls nicht willkürlich, wenn der Gesetzgeber ein Wiederaufleben der Witwenrente bei früheren Ehen nicht vorsieht, da die spätere Ehe jedenfalls näher am Versorgungsfall liegt.
18
§ 46 Abs. 4 SGB VI regelt den Gleichklang von Lebenspartnerschaft und Ehe. Aus dem Gesetzestext ist nicht ersichtlich, dass für eine Lebensgemeinschaft § 46 Abs. 3 SGB VI nicht gelten soll. Vielmehr wird in § 46 Abs. 4 SGB VI normiert, dass als Heirat auch die Begründung einer Lebenspartnerschaft gilt.
19
Zum Anspruch auf Witwenrente nach Auflösung der dritten Ehe vergleiche zudem ausführlich BSG vom 03.12.1980 – B 4 RJ 91/79 mit weiteren Nachweisen.
20
Nach alledem ist der Bescheid der Beklagten vom 11.07.2023 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.11.2023 nicht zu beanstanden.
21
Die Klage war daher abzuweisen.
22
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.