Titel:
Erfolgloser Eilantrag gegen Abschiebungsandrohung nach Griechenland
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2, § 36 Abs. 1, § 38 Abs. 1, § 75 Abs. 1
Asylverfahrens-RL Art. 33 Abs. 2a
GRCh Art. 4
EMRK Art. 3
Leitsätze:
1. Es kann nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stößt, weswegen der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens nicht absolut im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung gilt und deshalb eine asylverfahrensrechtliche Unzulässigkeitsentscheidung in richtlinienkonformer Auslegung zu berücksichtigen hat, ob dem im anderen Mitgliedsstaat als Flüchtling Anerkannten nach seiner Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. (Rn. 17 – 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Prognoseentscheidung, ob dem Betroffenen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) erforderlich, die für eine solche Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht als die dagegensprechenden Tatsachen haben. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
erfolgloser Eilantrag, Abschiebungsandrohung nach Griechenland, Fall des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG - in Griechenland als Flüchtling anerkannter Antragsteller, Lebensverhältnisse in Griechenland stellen sich nicht schon allgemein für jedweden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend i.S.v. Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh dar, keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verelendung des gesunden, arbeitsfähigen, alleinstehenden 39-jährigen Antragstellers bei einer Rückkehr nach Griechenland, Eilrechtsschutz, Asylrecht, Abschiebungsandrohung, Griechenland, anerkannter Flüchtling, Überstellung, normative Vergewisserung, Sozialleistungen, Obdachlosenunterkünfte, Wohnungen, Verpflegung, Beschäftigungsmöglichkeiten, medizinische Versorgung, Situation in Griechenland
Fundstelle:
BeckRS 2024, 4963
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) nach Griechenland.
2
Der 1985 geborene Antragsteller, syrischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 14. November 2021 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17. Januar 2022 einen Asylantrag. Die EURODAC-Abfrage der Antragsgegnerin ergab hinsichtlich des Antragstellers einen Treffer der Kategorie 1 bezüglich Griechenlands vom 30. September 2016 sowie die Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland am 6. September 2018. Die griechischen Behörden teilten auf Anfrage der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 10. Februar 2022 zudem mit, dass der Antragsteller am 13. September 2016 einen Asylantrag gestellt und ihm am 6. September 2018 der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei. Der Status sei nicht widerrufen worden. Die Aufenthaltserlaubnis sei vom 7. September 2018 bis 6. September 2021 gültig.
3
Im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 17. Januar 2022 gab der Antragsteller an, sein Herkunftsland 2013 verlassen, im Irak ca. sechs Jahre verblieben und in Griechenland 2019 eingereist zu sein. Dort sei er zwei Jahre geblieben. Er habe in … und … gelebt. Er sei über Albanien, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich am 14. November 2021 nach Deutschland eingereist. Er habe weder in einem anderen Staat einen Schutzstatus erhalten noch seien ihm Fingerabdrücke genommen worden. Bei seinen späteren Anhörungen am 30. März 2022 gab der Antragsteller auf Vorhalt an, dass er in Griechenland gezwungen worden sei, Fingerabdrücke abzugeben. Er habe auch einen Ausweis erhalten. Einen Schutz habe er nicht erhalten. Er habe in Griechenland auch keine Anhörung zu seinen Asylgründen gehabt. Zu seinem Asylverfahren habe er kein Ergebnis erhalten. Er habe nur ein Ausweisdokument bekommen, das sechs Monate gültig gewesen sei. Dieses sei nicht verlängert worden. Er sei in Griechenland erst auf … gewesen für ca. neun Monate. Danach sei er ungefähr drei Jahre in … gewesen. Nur auf der Insel habe er Unterstützung erhalten, dann nicht mehr. Auf Frage, wovon der Antragsteller dann gelebt habe, gab er an, dass ihm sein Bruder Geld geschickt habe. Außerdem habe er ab und zu auch gearbeitet als Maler o.ä. An NGOs habe er sich nicht gewandt. Auf Frage, ob er sich bei den staatlichen Behörden oder NGOs erkundigt habe, welche Sozialleistungen oder Hilfen er erhalten könne, führte er aus, dass einem nichts zustehe, wenn man keine Papiere habe. Er habe Griechenland verlassen, weil es dort schwierig sei. Es gebe keine Arbeit. Schwierigkeiten mit den Behörden oder anderen Personen habe er nicht gehabt. Das Leben sei schwierig. Junge Männer würden so gut wie nie Papiere erhalten. Die Anhörungen würden über Skype ablaufen. Termine würden verschoben oder man bekomme keinen neuen Termin. Deswegen sei es dort auch so schwierig. Der Antragsteller führte aus, dass er Griechisch etwas gelernt habe. Außerdem habe er in Griechenland keine Verwandte, aber zwei Brüder und einen Neffen in Deutschland. Auch in Schweden und Dänemark habe er Verwandte. Der Antragsteller gab weiter an, einen Virus zu haben. Der Virus heiße vielleicht Virus B. Es sei etwas mit der Leber. Er werde nicht behandelt, müsse nur alle sechs Monate Bluttests machen. Der Antragsteller führte weiter aus, dass er in Deutschland bei seinem älteren Bruder bleiben möchte, der behindert sei. Die Ausreise habe von Griechenland bis nach Deutschland ca. 15.000 EUR gekostet. Er habe einiges gespart, auch ein Haus in … verkauft. Syrien habe er am 22. März 2012 verlassen. Im Heimatland lebe noch seine Mutter, drei Brüder und vier Schwestern sowie zwei Tanten. Die Schule habe er bis zur siebten Klasse besucht. Er habe als Maler gearbeitet.
4
Mit Bescheid vom 24. Januar 2023, lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen (Ziffer 2), forderte den Antragsteller auf die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und drohte andernfalls primär die Abschiebung nach Griechenland an, wobei der Antragsteller nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe, und unter der Maßgabe, dass die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrages durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt werde (Ziffer 3), und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
5
In der Behördenakte findet sich zur Sendungsnummer … eine Sendungsverfolgung von DHL, wonach die Auslieferung am 31. Januar 2023 erfolgt sei.
6
Der Antragsteller erhob mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 3. Februar 2023 Klage gegen den Bescheid vom 24. Januar 2023 und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass mehrere bundesdeutsche Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte mit überzeugenden Fakten festgestellt hätten, dass Asylanträge von in Griechenland international anerkannten Schutzberechtigten nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen. Beispielhaft werde auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Sachsen, OVG Sachsen, U.v. 27.4.2022 – 5 A 492/21.A, und das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg, VGH BW, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21, verwiesen. Der Antragsteller habe keine staatliche Unterstützung erhalten. Arbeitsmöglichkeiten habe es so gut wie nicht gegeben.
die aufschiebende Wirkung der Klage herzustellen.
8
Die Beklagte beantragt,
9
Zur Begründung wird auf den streitgegenständlichen Bescheid verwiesen und überdies auf gerichtliche Anfrage ausgeführt, dass eine Abhilfeentscheidung nicht in Betracht komme. Im Falle des Antragstellers lägen besondere Umstände vor. So habe dieser nach der Anerkennung am 6. September 2018 noch ca. 3 ¼ Jahre in Griechenland gelebt. Er habe auch bewusst geleugnet, den Schutzstatus erhalten zu haben. So habe er ausgeführt, dass einem ohne Papiere nichts zustünde, während ihm in Wahrheit der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei. Auch habe der Antragsteller einerseits zwar angegeben, dass es keine Arbeit gegeben habe, andererseits, dass er als Maler oder ähnliches gearbeitet habe. Auch habe er angegeben, dass er ein bisschen die Sprache gelernt habe. Zudem sei er von Verwandten – insbesondere aus Deutschland – unterstützt worden. Den anwaltlichen Aussagen, der Antragsteller habe keine staatliche Unterstützung erhalten und es habe so gut wie keine Arbeitsmöglichkeiten gegeben, könne nicht gefolgt werden.
10
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte zum Klageverfahren (AN 17 K 23.50065) und die beigezogenen Behördenakte des Antragstellers Bezug genommen.
11
Der zulässige Antrag, der nach sachgerechter Auslegung des Gemeinten auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides gerichtet ist, §§ 122, 88 VwGO, ist unbegründet und daher erfolglos.
12
1. Der fristgerecht gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG ist auch im Übrigen zulässig. Der Klage gegen eine asylrechtliche Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG kommt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 75 Abs. 1, 38 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zu, so dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO der statthafte und zur Verhinderung der Abschiebung notwendige Rechtsbehelf ist.
13
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
14
Grundlage der Entscheidung darüber, ob die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die insoweit gemäß § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entscheidung der Antragsgegnerin anzuordnen ist, ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG kommt eine Aussetzung der Abschiebung dann in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). Dies ist nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hier nicht der Fall. Nach Auffassung des Gerichts bestehen im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung. Diese erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtmäßig.
15
a) Die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides begegnet keinen Bedenken. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ergeben sich hieraus nicht.
16
aa) Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedsstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dem Antragsteller wurde durch Griechenland internationaler Schutz zuerkannt. Die Norm setzt Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL 2013/32/EU in nationales Recht um und ist daher richtlinien- und europarechtskonform auszulegen. Nach Art. 33 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL dürfen die Mitgliedsstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig ablehnen, wenn ein anderer Mitgliedsstaat internationalen Schutz gewährt hat. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof der Vorschrift im Wege der Auslegung noch ein weiteres, negatives Tatbestandsmerkmal entnommen. Nach der Entscheidung vom 13. November 2019 ist es den Mitgliedsstaaten nämlich nicht möglich von der Befugnis des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL Gebrauch zu machen und einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, wenn dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedsstaat die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist, aber die Lebensverhältnisse, die ihn dort als anerkannter Flüchtling erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – juris; s.a. schon EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris). Nach Art. 52 Abs. 3 GRCh ist dabei auch die zu Art. 3 EMRK ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu berücksichtigen.
17
Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat also in richtlinienkonformer Auslegung zu berücksichtigen, ob dem im anderen Mitgliedsstaat Anerkannten nach einer Rücküberstellung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dem steht auch nicht der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Unionsrecht entgegen, welcher besagt, dass die Mitgliedsstaaten regelmäßig grundlegende Werte der Union, wie sie etwa in Art. 4 GRCh zum Ausdruck kommen, anerkennen, das sie umsetzende Unionsrecht beachten und auf Ebene des nationalen Rechts einen wirksamen Schutz der in der GRCh anerkannten Grundrechte gewährleisten sowie dies gegenseitig nicht in Frage stellen. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und gerade bei der Anwendung von Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Verfahrens-RL, in dem er zum Ausdruck kommt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 80 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 83 ff.; s.a. Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, Art. 4 GRCh Rn. 3). Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens gilt jedoch nicht absolut im Sinne einer unwiderlegbaren Vermutung, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gemeinsame Europäische Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedsstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen, die internationalen Schutz beantragen (und bekommen), bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat grundrechtswidrig behandelt werden. Dies zu prüfen obliegt den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 83 ff.; EuGH, U.v. 19.3.2019 -Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 86 ff.).
18
Derartige Funktionsstörungen müssen eine besonders hohe Schwelle an Erheblichkeit erreichen und den Antragsteller tatsächlich einer ernsthaften Gefahr aussetzen, im Zielland eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erfahren, was von sämtlichen Umständen des Falles abhängt (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – juris Rn. 36; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C -297/17 u.a. – juris Rn. 89). Nicht ausreichend für das Erreichen dieser Schwelle ist der bloße Umstand, dass die Lebensverhältnisse im Rückführungsstaat nicht den Bestimmungen des Kapitels VII der Anerkennungs-RL 2011/95/EU entsprechen (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – juris Rn. 36). Die Schwelle ist jedoch dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaates zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – juris Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 90). Plakativ formuliert kommt es darauf an, ob der Anerkannte bei zumutbarer Eigeninitiative in der Lage wäre, an „Bett, Brot und Seife“ zu gelangen (VGH BW, B.v. 27.5.2019 – A 4 S 1329/19 – juris Rn. 5). Angesichts dieser strengen Anforderungen überschreitet selbst eine durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der betreffenden Person gekennzeichnete Situation nicht die genannte Schwelle, sofern diese nicht mit extremer materieller Not verbunden ist aufgrund derer sich die betreffende Person in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, B.v. 13.11.2019 – Hamed, Omar, C-540/17, C-541/17 – juris Rn. 39; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 91; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris, BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 24 B 22.30953 – juris). Daher kann auch der Umstand, dass international Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der sie anerkannt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten nur in deutlich reduziertem Umfang existenzsichernde Leistungen erhalten, ohne dabei anders als die Angehörigen dieses Mitgliedsstaats behandelt zu werden, nur dann zur Feststellung der Gefahr einer Verletzung des Standards des Art. 4 GRCh führen, wenn der Antragsteller sich aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not im oben genannten Sinne befände. Dafür genügt nicht, dass in dem Mitgliedstaat, in dem einer neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, höhere Sozialleistungen gewährt werden oder die Lebensverhältnisse besser sind als in dem Mitgliedsstaat, der bereits internationalen Schutz gewährt hat (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Ibrahim, C-297/17 u.a. – juris Rn. 93 f.; EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 97; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 13). Ebenso wenig ist das Fehlen familiärer Solidarität in einem Staat in Vergleich zu einem anderen eine ausreichende Grundlage für die Feststellung extremer materieller Not. Gleiches gilt für Mängel bei der Durchführung von Integrationsprogrammen (EuGH, U.v. 19.3.2019 – Jawo, C-163/17 – juris Rn. 94, 96).
19
Die Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und erwerbsfähige erwachsene Personen, hinsichtlich derer die Feststellung, sie seien vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängig und befänden sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not, im Lichte des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens grundsätzlich gesteigerten Anforderungen an die Entkräftung der Vermutung der Vereinbarkeit der Behandlung solcher Personen in dem betreffenden Mitgliedstaat mit den Erfordernissen der Charta, der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention, insbesondere aus Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK, unterliegt (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17, C-318/17, C-319/17 und C-438/17 – Rn. 93; BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 13, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 20 und 23). Bei der für Art. 4 GRC maßgeblichen Bewertung der Lebensverhältnisse, die den Betroffenen im Falle seiner Rückkehr erwarten, sind zunächst seine Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit auf einem Mindestniveau zu sichern, zu berücksichtigen. Insoweit ist es dem Betroffenen gegebenenfalls auch zumutbar, eine wenig attraktive und seiner Vorbildung nicht entsprechende Arbeit auszuüben, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entspricht und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison, ausgeübt werden kann (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93/21 – juris Rn. 25), selbst wenn es sich um Tätigkeiten in der sog. Schatten- oder Nischenwirtschaft handelt (BVerwG, U.v. 23.9.2020 – 1 C 27/19 – juris Rn 32; EuGH, U.v. 2.10.2019 – C-93/18 – juris Rn. 48; BayVGH, B.v. 27.9.2023 – 24 B 22.30953 -juris Rn. 38 mit Verweis auf BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 29). Bei der Bewertung sind ferner die staatlichen Unterstützungsleistungen und auch die – alleinigen oder ergänzenden – dauerhaften Unterstützungsoder Hilfeleistungen von vor Ort tätigen nichtstaatlichen Institutionen und Organisationen zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 23 ff.). Deshalb kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten „informellen Siedlung“ zur Verfügung steht, genügen, sofern die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93/21 – juris Rn. 14 mit Verweis auf VGH BW, B.v. 8.11.2021 – A 4 S 2850/21 – juris Rn. 10; vgl. ferner BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 22).
20
Für die demnach zu treffende Prognoseentscheidung, ob dem Antragsteller eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh droht, ist eine tatsächliche Gefahr („real risk“) des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, d.h. es muss eine ausreichend reale, nicht nur auf bloße Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 4 GRCh zuwiderlaufenden Behandlung muss insoweit aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und darf nicht hypothetisch sein (OVG RhPf, B.v. 17.3.2020 – 7 A 10903/18.OVG – BeckRS 2020, 5694 Rn. 28 unter Verweis auf VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 184 ff. m.w.N. zur Rspr. des EGMR). Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Die für eine solche Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht als die dagegensprechenden Tatsachen haben (OVG RhPf, a.a.O.; vgl. VGH BW, a.a.O., juris Rn. 187). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 27. Januar 2022 insoweit klargestellt, dass ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK nicht bereits dann besteht, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und der Drittstaatsangehörige dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93/21 – juris Rn. 12).
21
bb) Das Gericht legt seiner Entscheidung hinsichtlich der in Griechenland herrschenden Lebensverhältnisse für zurückkehrende, anerkannt Schutzberechtigte folgende Lage zugrunde:
22
Bei der Ankunft am At. I. Ai. – dem Zielflughafen sämtlicher Rückführungen nach Griechenland – werden den Rückkehrern meist keine Informationen zur Verfügung gestellt (Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Griechenland als „sicherer Drittstaat“, 11.8.2023, S. 6). Die Erteilung eines Aufenthaltstitels geht mit bürokratischen Hindernissen und zeitlichen Verzögerungen einher. So genügt ein bestandskräftiger Anerkennungsbescheid der griechischen Behörden, mit dem internationaler Schutz zuerkannt wird, für sich genommen nicht, um eine Aufenthaltserlaubnis beantragen zu können. Zusätzlich erforderlich ist ein sogenannter „ADET-Bescheid“, der häufig, aber nicht immer zusammen mit dem Anerkennungsbescheid zugestellt wird. Bei dem ADET-Bescheid handelt es sich um einen Bescheid des zuständigen Regionalbüros der Asylbehörde, durch den die Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis angewiesen wird. Verfügt der Anerkannte über keinen ADET-Bescheid, muss er einen Termin beim zuständigen Regionalbüro der Asylbehörde vereinbaren, um sich den ADET-Bescheid ausstellen zu lassen. Per Email kann ein Termin zur Abnahme eines Fingerabdrucks beantragt werden. Die Antwort hierauf dauert zwischen zwei Wochen und zwei Monaten. Nach Abnahme der Fingerabdrücke kann es bis zum tatsächlichen Erhalt der Aufenthaltserlaubnis (Residence Permit CardRPC) nochmals drei bis acht Monate dauern. Die Ausstellung der RPC erfolgt durch die griechische Polizei. Die RPC wird dabei auf das – in der Vergangenheit liegende – Datum des ADET-Bescheides datiert, ist bei anerkannten Flüchtlingen drei Jahre, bei subsidiär Schutzberechtigten ein Jahr (nach Verlängerung zwei Jahre) gültig und geht durch Ausreise und spätere Wiedereinreise nach Griechenland nicht verloren. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis muss 30 Tage vor Ablauf beantragt werden, ansonsten droht eine Strafe von 100 EUR. (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 6, 31.1.2024, S. 20). Eine unbegründete Verspätung des Antrags auf Verlängerung kann dazu führen, dass diese abgelehnt wird (SFH, a.a.O., S. 7).
23
Was Hilfsangebote angeht, existiert mit dem Programm „Hellenic Integration Support for Beneficiaries of International Protection“ (HELIOS) ein offizielles Integrationsprogramm für international Schutzberechtigte mit festem Wohnsitz. Die Laufzeit endete – vorbehaltlich einer erneuten Verlängerung – am 30. September 2023 (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation: Griechenland Schutzberechtigte, 19.6.2023), wobei das Programm bislang mehrmals verlängert wurde. HELIOS unterstützt u.a. bei der Suche nach einer eigenständigen Unterkunft und Arbeitsstelle. Ebenso werden Mietzuschüsse gewährt. Auch werden Integrationskurse angeboten und diverse Arbeitsmarktmaßnahmen. HELIOS richtet sich aber nur an international Schutzberechtigte, die nach dem 1. Januar 2018 anerkannt wurden und zum Zeitpunkt der Zustellung ihres Anerkennungsbescheides in einem Empfangs- und Identifikationszentrum (RIC) oder in Unterkünftigen von Schutzprogrammen von Behörden oder NGOs für vulnerable Personen (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Griechenland, Version 6, 31.1.2024, S. 24 f.; Schweizerische Eidgenossenschaft (SEM), Notiz Griechenland, Unterbringungsmöglichkeiten für Personen mit internationalem Schutzstatus, 24. Oktober 2022, S. 8) untergebracht waren. Die Einschreibung in HELIOS und der dokumentierte Antrag auf Unterstützung müssen zudem innerhalb von 12 Monaten ab offizieller Benachrichtigung über den positiven Asylbescheid erfolgen (SEM, a.a.O., S. 9). Für etwaige Rückkehrer aus dem Ausland ist die Teilnahme offiziell zwar nicht möglich, praktisch werden Aus- bzw. Wiedereinreise nicht überprüft (BFA, a.a.O, S. 24 f.).
24
Daneben gibt es einen „Helpdesk für soziale Integration“ des Ministeriums für Migration und Asyl, der Personen mit internationalem Schutz bei der Beantwortung von Fragen zur sozialen Integration wie beispielsweise zu Griechisch-Sprachkursen, zu Arbeitsberatung, Wohnungssuche und Erteilung einer Steueridentifikationsnummer unterstützten soll (BFA, a.a.O., S. 28). In mehreren Städten bestehen sog. Migrantenintegrationszentren (KEMs), die als Zweigstellen der Gemeinschaftszentren dienen und Information und Beratung, Kurse der griechischen Sprache und Kultur sowie Hilfe beim Zugang zum Arbeitsmarkt durch Kooperation mit den lokalen Behörden anbieten. Das Programm richtet sich an Asylbewerber, legal aufhältige Drittstaatsangehörige und Personen mit internationalem Schutzstatus, die Inhaber des ADET-Aufenthaltstitels sind (BFA, a.a.O., S. 25).
25
Seit Ende 2021 steht mit dem in Kooperation von U., CRS, C. H. und der UN R. A. geführten Projekt „A...“ ein weiteres Programm zur Verfügung, dass bei der Arbeitssuche und bei Behördenwegen, zum Erhalt der Sozialversicherung, Bankkonten, Steuernummer, Wohnungen etc. unterstützen soll (vgl. BFA, a.a.O., S. 13). Weiter wird berichtet, dass zivilgesellschaftliche Organisationen, Berufsbildungszentren und Universitäten Sprachkurse und im Speziellen die Athener Stadtverwaltung anbieten würden (ACCORD, a.a.O., S. 27). Auch stellen weitere Anbieter wie G.-Py., N. A., das griechische R. Kr. Sprach- und Integrationskurse bereit (BFA, a.a.O., S. 28).
26
Hinsichtlich des Zugangs zu einer Unterkunft gilt für anerkannte Schutzberechtigte der Grundsatz der Inländergleichbehandlung mit griechischen Staatsangehörigen (vgl. BFA, a.a.O., S. 22). Da es in Griechenland kein staatliches Programm für Wohnungszuweisungen an Inländer gibt (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1), entfällt dies auch für anerkannt Schutzberechtigte. Spezifische Wohnangebote für Personen mit internationalem Schutzstatus gibt es von staatlicher Seite nicht (BFA, a.a.O., S. 23). Das von der EU finanzierte Unterkunftsprogramm ESTIA (Emergency Support to Integration and Accommodation) wurde am 31. Dezember 2022 eingestellt (BFA, a.a.O., S. 23), jedoch nehmen die offenen Unterkünfte, die eigentlich für Asylbewerber vorgesehen sind, manchmal auch Personen auf, die bereits internationalen Schutzstatus genießen und in den offenen Unterkünften ankommen und eine Unterkunft suchen und dies auch offiziell (BFA, a.a.O., S. 14).
27
Das Programm HELIOS unterstützt zwölf Monate lang bei den Wohnkosten, sofern die Zugangskriterien (wie schon beschrieben) erfüllt werden. Allerdings können sich nunmehr auch Personen, die die Zulassungskriterien nicht erfüllen, bewerben. Ihre Anträge werden in direkten Austausch mit HELIOS-Mitarbeitern ad hoc geprüft (BFA, a.a.O., S. 25).
28
Das Anmieten von Wohnungen auf dem freien Markt ist durch das traditionell bevorzugte Vermieten an Familienmitglieder, Bekannte oder Studenten sowie gelegentlich durch Vorurteile gegenüber Flüchtlingen erschwert (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schwerin vom 26.9.2018, S. 5). Weiter finden in der Praxis nur Personen mit festem Job eine Wohnung, erschwert wird die Wohnungssuche daneben auch durch Sprachbarrieren und dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum. So sind etwa die Mieten in At. in den vergangenen beiden Jahren um bis zu 30% gestiegen (BFA, a.a.O, S. 23). Für das Anmieten einer Wohnung benötigen Personen mit internationalem Schutzstatus zudem eine Identitätskarte oder Aufenthaltserlaubnis, die persönliche Steuernummer (AFM) und den persönlichen Code für die Steuerplattform T... (BFA, a.a.O., S. 23). Die Steuernummer eröffnet den Zugang zu T... (Botschaft At., Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, Februar 2023, S. 3) und ist Voraussetzung für die Eröffnung eines Bankkontos, welches benötigt wird, um ein Mietverhältnis einzugehen (BFA, a.a.O., S. 23; Botschaft At., a.a.O., S. 2). Zum Erhalt der Steuernummer muss der Wohnsitz durch eine vom Aufnahmezentrum ausgestellte Bestätigung, eine Stromrechnung oder eine Kopie eines auf den Namen des Schutzberechtigten abgeschlossenen Mietvertrages nachgewiesen werden (vgl. BFA, a.a.O., S. 22). Um geforderte Wohnsitznachweise erbringen zu können, werden Mietverträge für Flüchtlinge gegen Bezahlung (300 bis 600 EUR auch temporär verliehen, d.h. der Mieter wird angemeldet, ein Mietvertrag ausgestellt und nach kurzer Zeit wieder aufgelöst (BFA, a.a.O, S. 23). Obdachlose erhalten vom städtischen Sozialdienst eine Bescheinigung der Obdachlosigkeit. Diese Bescheinigung ersetzt den Adressnachweis und ist für den Zugang zu städtischen Notdiensten erforderlich (Botschaft At., a.a.O, S. 10).
29
Eine Unterbringung in Obdachlosenunterkünften für anerkannt Schutzberechtigte ist möglich. Ein Rechtsanspruch auf Obdachlosenunterbringung besteht nicht (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Schleswig vom 15.10.2020). Für Obdachlose existieren nachts geöffnete Unterkünfte, Übergangswohnheime und unterstütze Wohnungen. Im Winter werden je nach Witterungsverhältnissen gesetzlich vorgeschriebene zusätzliche Kälteschutzräume bereitgestellt, während etwa im Hitzesommer 2022 in At. tagsüber gekühlte Räume in Betrieb waren, um Schutz vor der Hitze zu verschaffen. Es gibt Tageszentren und staatliche Migrant Integration Centers (MIC). Auch Migrantenorganisationen spielen eine wichtige Rolle als Anlaufstellen ihrer Landsleute, stellen Informationen bereit und bieten Dienstleistungen und Hilfe an. Weiter sind Straßensozialarbeiter im Einsatz und unterstützen z. B. mit praktischer Soforthilfe wie Kleidung und Lebensmittel und der Suche nach geeigneten Unterkünften (SEM, a.a.O., S. 14 ff.; BFA, a.a.O., S. 26 ff.). Es gibt sowohl durch offizielle Stellen betriebene Obdachlosen- bzw. Notunterkünfte als auch solche, die durch nichtstaatliche Stellen, z. B. durch Médecins du Monde, betrieben werden. Teilweise gibt es Aufnahmebedingungen, z. B. die Vorlage einer Bescheinigung der Steuer- und der Sozialversicherungsnummer. Darüber hinaus können international Schutzberechtigte am Programm Wohnen und Arbeiten für Obdachlose teilnehmen. Hier ist u.a. eine Aufenthaltsgenehmigung und Steuererklärung vorzulegen (SEM, a.a.O., S. 19 ff.; BFA, a.a.O., S. 26 ff.). Allerdings wird berichtet, dass die Zahl der Unterkünfte nicht ausreichend ist und diese stets überfüllt sind und so erfahrungsgemäß Schutzberechtigte, die über keine finanziellen Mittel verfügen, um eine Wohnung zu mieten, obdachlos bleiben, in verlassenen Häusern oder überfüllten Wohnungen zur Untermiete wohnen oder in die Lager zurückkehren und dort als unregistrierte Bewohner leben (BFA, a.a.O., S. 23 f.). Dennoch ist Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen nach wie vor kein augenscheinliches Massenphänomen (Botschaft At., a.a.O., S. 9), was wohl auf landsmannschaftliche Strukturen und Vernetzung untereinander zurückzuführen ist, über die auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann (BFA, a.a.O., S. 23 f.).
30
Zugang zu weiteren Sozialleistungen besteht für anerkannt Schutzberechtigte unter den gleichen Voraussetzungen wie für Inländer. Das Garantierte Mindesteinkommen (EEE) ist seit März 2020 die neue Bezeichnung des 2017 in Griechenland eingeführten Sozialen Solidaritätseinkommens. Es basiert auf den drei Pfeilern Finanzielle Einkommensunterstützung, Soziale Dienstleistungen und Berufliche Integration (SEM, a.a.O., S. 4 ff.). Das EEE ist die einzige beitragsunabhängige staatliche Sozialleistung (abgesehen von der Unterstützungsleistung für Menschen mit Behinderung), die keine Bedingungen bezüglich der Länge des vorgängigen legalen und dauerhaften Voraufenthaltes in Griechenland stellt (BFA, a.a.O., S. 30; SEM, a.a.O., S. 6). Die erste Säule sieht ein Sozialgeld in Höhe von 200,00 EUR pro Einzelperson vor. Alle Haushaltsmitglieder werden zusammen betrachtet, die maximale Leistung beträgt 900,00 EUR pro Haushalt. Die zweite Säule besteht aus sozialen Dienstleistungen (je nach Bedarf kostenlose medizinische Versorgung für Nichtversicherte, Überweisung und Integration in Strukturen und Dienste der sozialen Betreuung, Einbeziehungen in Programme und soziale Strukturen zur Armutsbekämpfung sowie die Abgabe von Lebensmitteln und materiellen Gütern, Sozialtarif für Elektrizitäts- und Wasserversorgung, Sozialtarif der Gemeinden und kommunalen Unternehmen. Die dritte Säule besteht in der beruflichen Integration (SEM, a.a.O., S. 4; BFA, a.a.O., S. 30 f.). Voraussetzungen ist die Vorlage einer gültigen Aufenthaltserlaubnis, eine persönliche Steuernummer, die Sozialversicherungsnummer, eine Bankkontonummer eines Kontos in Griechenland, persönliche Kontaktdaten, eine Steuerklärung, ein Mietvertrag/Besitzurkunde eines Hauses/Wohnung der letzten sechs Monate, eine Stromabrechnung/Nebenkostenabrechnung aus den letzten sechs Monaten, eine Arbeitslosenkarte/Beleg über die monatlichen Einkünfte, ggf. Bestätigung hinsichtlich des Schulbesuchs der Kinder (SEM, a.a.O., S. 6 ff.). Speziell was die Beantragung der Steuernummer (AFM) und der Sozialversicherungsnummer (AMKA) anbelangt, ist von erheblichen bürokratischen Hürden auszugehen: Die Ausstellung einer Steueridentifikationsnummer setzt, wie bereits ausgeführt, einen Wohnsitznachweis voraus. Dennoch steht die Leistung des EEE auch Obdachlosen offen, sofern sie als solche beim Sozialdienst der Gemeinde registriert sind. Personen, die im Programm „Wohnen und Arbeiten für Obdachlose“ integriert sind und keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben, werden auf Antrag automatisch für das garantierte Mindesteinkommen zugelassen (SEM, a.a.O., S. 6, S. 10). Die Ausstellung der Sozialversicherungsnummer – Social Security Number (AMKA) erfordert u.a. eine gültige Aufenthaltserlaubnis und geht mit den damit verbundenen zeitlichen Verzögerungen einher (s.o.), die Steueridentifikationsnummer sowie eine Korrespondenzadresse (BFA, a.a.O., S. 20 f.).
31
Die weiteren beitragsunabhängigen staatlichen Sozialleistungen wie etwa die staatliche Wohnbeihilfe verlangen einen legalen und dauerhaften Aufenthalt von mehreren Jahren (BFA, a.a.O., S. 31). Hinsichtlich des Wohngeldes beträgt dieser fünf Jahre. Im Falle international Schutzberechtigter wird die Aufenthaltsdauer ab Asylantragstellung angerechnet (Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Bayreuth vom 21.8.2020, S. 1). Bei Ausreise aus Griechenland beginnt die Frist des dauerhaften und legalen Aufenthaltes von neuem (SEM, a.a.O., S. 12).
32
Einige NGOs stellen kostenlos Essen zur Verfügung. Einige Gemeinden bieten anerkannt Schutzberechtigten monatliche Unterstützung für Essenszuteilungen an. Voraussetzung hierfür ist allerdings eine RPS, AMKA-Nummer, Steuernummer, Bankkonto, Mietvertrag und Telefonvertrag für eine SIM-Karte (BFA, a.a.O., S. 28). In den offenen Unterkünften, in denen – wie bereits ausgeführt – teilweise auch international Schutzberechtigte Aufnahme finden,- werden u.a. auch Mahlzeiten und Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt (BFA, a.a.O., S. 14).
33
Der Zugang zum griechischen Arbeitsmarkt ist für international Schutzberechtigte grundsätzlich gleichermaßen wie für Inländer gegeben, gestaltet sich jedoch als schwierig. Nachdem sich die allgemeinen Arbeitsmarktbedingungen einige Zeit durch die andauernde Wirtschafts- und Finanzkrise verschlechtert hatten, hat sich die griechische Wirtschaft in den letzten Jahren wieder erholt und verzeichnet weiterhin eine bessere Entwicklung als im EU-Durchschnitt (Botschaft At., a.a.O., S. 1). 2021 legte die griechische Wirtschaft um 8,4% zu, 2022 waren es 5,6% und 2023 noch immer 2,3% (taz, Wirtschaftsranking von Ländern, Die Pleite-Griechen auf Platz eins, 6.1.2024). Für 2023 wird ein Wachstum von 2,3% prognostiziert. Im Jahr 2025 soll sich das Wirtschaftswachstum fortsetzen, wobei die Tourismusbranche weiterhin ausschlaggebend zum Wachstum beitragen wird (Germany Trade & Invest (GTAI), Griechische Wirtschaft wächst moderat, 18.12.2023). Der Wirtschaftsaufschwung in Griechenland macht sich auch positiv auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Demnach ging die Arbeitslosigkeit im September 2023 auf 10% zurück. Dies ist der niedrigste Stand seit September 2009. Im Vergleich erreichte die Arbeitslosigkeit im Juni 2013 einen Rekordwert von 28,1%, in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen waren damals sogar 57,5% ohne Beschäftigung. Seitdem gehen die Arbeitslosenzahlen, abgesehen von einem starken Anstieg im Coronajahr 2020, kontinuierlich zurück (Höhler, Arbeitslosigkeit in Griechenland fällt unter Vorkrisenniveau, 7.11.2023). Jedoch ist die Arbeitslosenquote von letztlich 9,2% für 2023 die zweithöchste in der Europäischen Union (Statistisches Bundesamt, Europa in Zahlen, EUweitere Erwerbslosigkeit liegt Dezember 2023 bei 5,9%). Schwarzarbeit ist in Griechenland weit verbreitet. Der Umfang der Schattenwirtschaft wird mit 21,7% des offiziell ermittelten Bruttoinlandsprodukts angegeben (Höhler, Griechische Regierung will härter gegen Steuersünder vorgehen, 15.7.2023).
34
Rechtmäßig ansässige Drittstaatsangehörige sind meist im niedrigqualifizierten Bereich und in hochprekären Beschäftigungsverhältnissen oder in der Schattenwirtschaft tätig (Konrad-Adenauer-Stiftung, Integrationspolitik in Griechenland, Stand Juli 2018, S. 9). Erschwerend hinzu tritt regelmäßig die Sprachbarriere. Zudem stehen die Schutzberechtigten im Wettbewerb mit den griechischsprachigen Arbeitnehmern. Inzwischen suchen allerdings Arbeitgeber in einigen Branchen, in denen ein Arbeitskräftemangel herrscht (Landwirtschaft, Bau und Tourismus), auch unter Schutzberechtigten aktiv nach Arbeitskräften. So herrscht im Tourismussektor ein Arbeitskräftemangel von ca. 50.000 Personen, der bislang nur zum Teil mit Flüchtlingen aus der Ukraine geschlossen werden konnte (Botschaft At., a.a.O., S. 7). Auch in der Landwirtschaft herrscht oft Arbeitskräftemangel, so dass Flüchtlinge gute Chancen haben, in diesen Bereichen eine Beschäftigung zu finden (BFA, a.a.O., S. 32). Das Potential der vornehmlich jungen Migranten wurde in Griechenland erkannt und verschiedene Projekte und Initiativen ins Leben gerufen, um diese in Arbeit zu bringen wie etwa das bereits erwähnte Programm ADAMA. Bis Ende Februar 2023 hatten bereits rund 4.500 Migranten von dem ADAMA-Coaching profitiert. Es wurde eine Job-Matching Plattform aufgebaut – das ADAMA-Job Center. Diese Plattform verlinkt private Arbeitgeber mit potenziellen Arbeitnehmern. Zudem gibt es weitere Initiativen. Auf Kos und Rhodos konnten bereits 56 anerkannt Schutzberechtigte einen Saison-Job in der Touristikbranche erhalten mit monatlichen Nettoeinkommen zwischen 800 und 1.400 EURO, was dem durchschnittlichen Gehalt auf der Insel entspricht. Hinzu kommen Trinkgeld, bezahlte Überstunden, kostenlose Übernachtungsmöglichkeit und Verpflegung. Auf Lesbos wurde Schutzberechtigten erfolgreich eine ganzjährige Stelle in der Landwirtschaft, auf Samos insbesondere Jobs in der Gastronomie, dem Hotelgewerbe und Handwerk vermittelt. Auf Chios werden Arbeitskräfte in der Agrarwirtschaft gesucht. Auch auf dem Festland gibt es Initiativen wie die „Welcome 2023“ Career Days in At. und die „Refugee Week Greece“ im Juni 2023 (BAMF, Entscheiderbrief 05/2023, S. 10 ff.). Beim Zugang zum legalen Arbeitsmarkt sind jedoch weiterhin etliche bürokratische Hürden zu überwinden wie der Nachweis einer gültigen Aufenthaltserlaubnis, einer Steueridentifikationsnummer und der Sozialversicherungsnummer mit den bereits beschriebenen erforderlichen Nachweisen und zeitlichen Verzögerungen. Eine weitere Voraussetzung ist ein gemeldeter Wohnsitz (BFA, a.a.O., S. 31). Drittstaatsangehörige sind in den einschlägigen statistischen Daten zur Arbeitslosigkeit nach wie vor überrepräsentiert. Eine Mehrheit der Personen, die internationalen Schutz erhalten, ist zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse auf die Verteilung von Nahrungsmitteln, anderen Gütern und finanzielle Unterstützung angewiesen (BFA, a.a.O., S. 32).
35
Der Zugang zu medizinischer Versorgung und zum Gesundheitssystem ist für anerkannt Schutzberechtigte grundsätzlich zu den gleichen Bedingungen wie für griechische Staatsangehörige gegeben. Jeder Schutzberechtigte und Asylwerber in Griechenland hat das Recht auf freien Zugang zur primären, sekundären und tertiären Gesundheitsversorgung. Die Versorgung unterliegt denselben Beschränkungen durch Sparmaßnahmen wie für griechische Staatsbürger. Jedoch sind hinsichtlich des Zugangs zum Gesundheitssystem bürokratische Hindernisse zu überwinden. Insbesondere muss vor Inanspruchnahme des Gesundheitssystems die Sozialversicherungsnummer (AMKA) ausgestellt sein (BFA, a.a.O., S. 17 ff.). Wer über keine solche verfügt, hat keinen Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung, sondern muss diese privat bezahlen. Seit März 2022 können selbständig tätige Ärzte Personen ohne AMKA keine Medikamente oder Behandlungen mehr verschreiben. Dies ist nur noch Ärzten aus öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und in Aufnahmezentren möglich. Die Wartefrist in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen variiert zwischen mehreren Wochen und mehreren Monaten (BFA, a.a.O., S. 29). Eine Notfallversorgung wird jedoch stets und unabhängig vom Rechtsstatus gewährleistet (BFA, a.a.O., S. 17 ff., 29; ACCORD, a.a.O., S. 21). Weiter gibt es ein paralleles Gesundheitsprogramm für Flüchtlinge und Migranten, die in den Aufnahmezentren leben. Auch bieten mehrere NGOs wie etwa MSF – Ärzte ohne Grenzen –, Ärzte der Welt oder das Hellenische Rote Kreuz medizinische Grundversorgung an (BFA, a.a.O., S. 19, 29). Während einerseits berichtet wird, dass psychologische und psychiatrische Angebote für Asylsuchende und Schutzstatusinhabende gänzlich fehlen (BFA, a.a.O., S. 29, SFH, a.a.O., S. 9), wird andererseits beschrieben, dass Asylbewerber, die eine temporäre Sozialversicherungsnummer besitzen, Zugang auch zu notwendiger psychiatrischer Versorgung haben (BFA, a.a.O., S. 18). Dasselbe gilt für Schutzberechtigte, die eine AMKA besitzen, denn diese haben den gleichen Zugang zur medizinischen Versorgung wie griechische Staatsangehörige (BFA, a.a.O., S.17, 28).
36
cc) Unter Beachtung des vorstehenden rechtlichen Maßstabes und der tatsächlichen Situation für rückkehrende anerkannt Schutzberechtigte ergibt sich in Zusammenschau mit dem Vortrag des Antragstellers im hier zu betrachtenden Einzelfall nach Überzeugung des Gerichts im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG keine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eintretende Verelendung des Antragstellers bei einer Rückkehr nach Griechenland.
37
Die Lebensverhältnisse von rückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten in Griechenland stellen sich nach Auffassung des Gerichts dabei nicht schon allgemein für jedweden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK und Art. 4 GRCh dar. Das Gericht hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest und teilt, insbesondere unter Berücksichtigung der aktuellen, ins hiesige Verfahren eingeführten Erkenntnismittel, insofern nicht die Auffassung zahlreicher Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe anderer Bundesländer (vgl. etwa OVG Saarl., U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22 – juris; OVG Sachsen, U.v. 27.4.2022 – 5 A 492.21 A – juris; VGH BW, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21 – juris; OVG Berlin-Bbg, U.v. 23.11.2021 – OVG 3 B 53.19 – juris; OVG Bremen, U.v. 16.11.2021 – 1 LB 371/21 – juris; OVG NW, U.v. 21.1.2021 – 11 A 1564/20.A – juris; B.v. 5.4.2022 – 11 A 314/22.A – juris; NdsOVG, U.v. 19.4.2021 – 10 LB 244/20 – juris), die zur Einschätzung kommen, dass in Griechenland unmenschliche Lebensverhältnisse für rückkehrende anerkannt Schutzberechtigte, auch nicht vulnerable Personen, vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles bestehen. Es darf hierbei nicht verkannt werden, dass die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung auf im Vergleich älteren Erkenntnismitteln beruht und insofern nicht mehr die aktuell in Griechenland herrschende Lage – wie oben beschrieben – berücksichtigt. Der Verweis des Bevollmächtigten auf diese Rechtsprechung ist daher nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet, zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, § 77 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG, mehr oder weniger pauschal die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu begründen (vgl. hierzu auch: VG Bayreuth, U.v. 6.11.2023 – B 7 K 23.30771 – juris Rn. 31, U.v. 5.9.2023 – B 7 K 23.30517 – juris Rn. 51).
38
Zwar haben rückkehrende Schutzberechtigte nach der Ankunft in Griechenland möglicherweise über einen längeren Zeitraum keinen effektiv gesicherten Zugang insbesondere zu Obdach und sanitären Einrichtungen. Zudem ist es für sie anfangs für einen nicht unerheblichen Zeitraum teilweise praktisch unmöglich, die Voraussetzungen für den Erhalt des garantierten Mindesteinkommens (EEE) zu erfüllen. Bei dieser Sachlage ist nach Überzeugung des Gerichts die Abdeckung der Grundbedürfnisse „Bett, Brot und Seife“ für eine Übergangszeit nach der Rückkehr nach Griechenland durch das eigenverantwortliche Handeln des Einzelnen und auch die Hilfestellung von NGOs geprägt, die im Bereich der sozialen Unterstützung, Nahrungsmittelhilfe, Bildung, medizinischen Versorgung und teils auch der Unterbringung aktiv sind. Vor diesem Hintergrund muss der jeweilige Schutzberechtigte, damit ihm keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bei einer Rückkehr droht, nach Überzeugung des Gerichts grundsätzlich in der Lage sein, sich den schwierigen Bedingungen zu stellen und durch eine hohe Eigeninitiative und unter Inanspruchnahme von Hilfsangeboten selbst für seine Unterbringung und seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Ist davon auszugehen, dass er diese Schwierigkeiten bewältigen kann, fehlt es an der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in Griechenland.
39
Zwar wird dem Antragsteller als Rückkehrer eine Unterkunft nicht zur Verfügung gestellt. Auch besteht für ihn aufgrund des geforderten ununterbrochenen legalen Voraufenthaltes von fünf Jahren im Hinblick auf wohnungsbezogene Sozialleistungen für lange Zeit kein Anspruch auf diese Leistungen. Auch was das Garantierte Mindesteinkommen angeht, ist zwar keine Wartezeit zu erfüllen, angesichts der Vielzahl der beizubringenden Nachweise ist jedoch nicht mit einer unmittelbaren Gewährung zu rechnen. Dennoch ist bei dem Antragsteller nach Überzeugung des Gerichts nicht damit zu rechnen, dass er bei einer Rückkehr nach Griechenland sein Bedürfnis nach „Brot, Bett und Seife“ nicht wird befriedigen können.
40
Der Antragsteller ist als lediger, gesunder und arbeitsfähiger Mann von 39 Jahren nicht durch familiäre Zwänge oder Verpflichtungen eingeschränkt, niemandem zum Unterhalt oder Personensorge verpflichtet und kann sich vollständig der Alltagsbewältigung und Erwirtschaftung seines Lebensunterhalts widmen. Vorübergehend sind ihm, der keine Merkmale besonderer Schutzbedürftigkeit aufweist, auch schwierige Verhältnisse zumutbar. Zwar hat der Antragsteller angegeben, an einem Virus zu leiden. Die vorgetragene Erkrankung ist indes nicht durch ärztliches Attest und schon gar nicht durch ein qualifiziertes ärztliches Attest, §§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, 60a Abs. 2 c Satz 1 AufenthG, nachgewiesen worden. Abgesehen davon ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Antragsteller durch den Virus in seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten eingeschränkt ist. Vielmehr gab er an, dass er deswegen nicht behandelt wird, sondern lediglich regelmäßig zur Kontrolle gehen müsse. Zudem kann der Antragsteller auch in Griechenland diese Kontrollen durchführen lassen. Anfängliche Zugangshürden bei der medizinischen Versorgung kann der Antragsteller überwinden. Anfangs kann er z.B. die von den NGOs zu Verfügung gestellten medizinischen Angebote in Anspruch nehmen. Notfallversorgung ist ohnehin gegeben.
41
Bei dem 39-jährigen Antragsteller, der zudem angab, etwas Griechisch zu sprechen, ist zu erwarten, dass er in Griechenland jedenfalls Aushilfstätigkeiten wie etwa in der Bau- oder Landwirtschaft, der Gastronomie oder im Tourismusbereich finden wird. Der Antragsteller ist durch seine Erwerbstätigkeit bereits im Heimatland und Griechenland gewohnt und fähig, für seinen Unterhalt zu sorgen. Nach seinen Angaben hat er in seinem Heimatland sieben Jahre die Schule besucht und als Maler gearbeitet. Angesichts von Vorbildung und Arbeitserfahrung in einem handwerklichen Beruf scheint insbesondere eine Anstellung des Antragstellers im Baugewerbe realistisch. Dies ist ihm bereits vor der Ausreise nach Deutschland nach eigenen Angaben auch gelungen. So gab der Antragsteller an, als Maler o.ä. gearbeitet zu haben. Doch auch in der Landwirtschaft, Gastronomie und im Tourismusbereich bieten sich international Schutzberechtigten angesichts des Fachkräftemangels gute Chancen. Zudem kann sich der Antragsteller bei der Integration und Arbeitssuche an Hilfsorganisationen und auch an diverse staatliche Stellen wenden. Dass anerkannt Schutzberechtigte und Migranten diverse Kompetenzen, Wissen und Erfahrungen mitbringen, die der griechische Arbeitsmarkt dringend braucht, wird – wie bereits ausgeführt – zunehmend auch in Griechenland realisiert, was sich in verschiedenen Projekten und Initiativen niedergeschlagen hat, die zur Integration in den Arbeitsmarkt beitragen sollen. Es ist bei dem 39-jährigen und in seinen geistigen Fähigkeiten nicht eingeschränkten Antragsteller zudem zu erwarten, dass er seine Kenntnisse in der griechischen Sprache weiter vertieft und so mittelfristig seine Arbeitsmarktchancen zusätzlich verbessert. Hinsichtlich der Probleme bei der Beantragung und Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis, der Steuer- und Sozialversicherungsnummern und dem Wohnsitznachweis als Zugangsvoraussetzung zum legalen Arbeitsmarkt ist anzumerken, dass dem Antragsteller zunächst auch eine Beschäftigung im informellen Sektor zumutbar ist, zumal Schwarzarbeit in Griechenland – wie bereits ausgeführt – weit verbreitet ist. Jedenfalls nach einer Übergangszeit ist bei dem Antragsteller aber eine Beschäftigung im legalen Bereich zu erwarten. Zudem wird der Antragsteller mittelfristig in das griechische Sozialsystem hineinwachsen.
42
Der Antragsteller ist nach Überzeugung des Gerichts fähig, für sich, insbesondere auch in der schwierigen Anfangszeit, zu sorgen, sein Bedürfnis nach „Brot, Bett und Seife“ zu befriedigen und sich im Bedarfsfall an die vorhandenen NGOs für eine erste Hilfe vor Ort zu wenden. Der Antragsteller verfügt zudem über im Bundesgebiet, in Schweden und Dänemark lebende Familienangehörige, die den Antragsteller, vor allem in der anfänglich schwierigen Zeit, finanziell unterstützen können. Nach Angaben des Antragstellers hat sein Bruder dies in der Vergangenheit auch bereits getan. Der Antragsteller ist auch findig genug, eine Unterkunft zu finden. So gibt es auch für anerkannt Schutzberechtigte die Möglichkeit in den offenen Unterkünften unterzukommen und dies auch offiziell mit der damit einhergehenden Versorgung auch mit Essen. Weiter können sich bei HELIOS auch Schutzberechtigte bewerben, die, wie der Antragsteller, die Zugangsvoraussetzungen eigentlich nicht erfüllen. Überdies kann der Antragsteller im Bedarfsfall in einer Obdachlosenunterkunft unterkommen oder jedenfalls unter Zuhilfenahme landsmannschaftlicher Strukturen und Vernetzung untereinander, über die auf informelle Möglichkeiten zurückgegriffen werden kann, eine Unterkunft finden. Dem Antragsteller kommt zudem zugute, dass er über finanzielle Unterstützung seiner Verwandten in Deutschland verfügt und zur Anmietung einer Immobilie daher nicht notwendigerweise bereits über einen festen Job verfügen muss. Überdies ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller, sofern nötig, eine Bleibe in einer Obdachlosenunterkunft findet gegenüber einer Personenmehrheit an Schutzberechtigten (Familien) deutlich höher, zumal der Antragsteller etwas Griechisch spricht und nicht alle Obdachlosenunterkünfte die jedenfalls anfangs kaum zu erfüllenden Voraussetzungen wie etwa die Vorlage der Sozialversicherungsnummer verlangen. Auch unterstützen staatliche und nichtstaatliche Stellen bei der Wohnungssuche.
43
Der Antragsteller ist nach Einschätzung des Gerichts nach alledem in der Lage, auch schwierigen Verhältnissen zu trotzen und die notwendige robuste Eigeninitiative und Fähigkeiten für den Eintritt in den schwierigen griechischen Arbeitsmarkt, die Inanspruchnahme von Hilfsangeboten und dem Finden einer Unterkunft zu entfalten. Die Prognose seiner Verelendung kann im Fall des Antragstellers nicht gestellt werden. Es ist nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) von einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Antragstellers bei einer Rückkehr nach Griechenland auszugehen.
44
Ergänzend wird ausgeführt, dass, selbst wenn man der o.g. außerbayerischen obergerichtlichen Rechtsprechung folgen würde, wonach in Griechenland unmenschliche Lebensverhältnisse für rückkehrende anerkannt Schutzberechtigte, auch nicht vulnerable Personen, vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles bestehen, sich nach Auffassung des Gerichts im hier zu entscheidenden Einzelfall kein anderes Ergebnis ergeben würde. Im Falle des Antragstellers bestehen nämlich solche besonderen Umstände des Einzelfalles. Er hat gefragte berufliche Qualifikationen, er hat in der Vergangenheit bereit für längere Zeit, nämlich ca. fünf Jahre in Griechenland gelebt, ihm ist, auch nach seiner Schutzzuerkennung am 6. September 2018, in Griechenland über mehrere Jahre gelungen, sich seinen Lebensunterhalt zu sichern und dies obwohl er, nach eigenen Angaben, weder Hilfe staatlicherseits noch durch Hilfsorganisationen erhalten hat, sich noch nicht einmal darum bemüht hat. Zudem verfügt der Antragsteller über ein familiäres Netzwerk in Deutschland, die ihn in Griechenland finanziell unterstützen können und dies bereits in der Vergangenheit getan haben. Die o.g. außerbayerische Rechtsprechung soll keine Beweislastumkehr dahingehend darstellen, dass bei jedem Asylantragsteller die Unzulässigkeitsentscheidung rechtswidrig wäre, wenn nicht das Bundesamt darlegt und nötigenfalls beweist, dass im Einzelfall (ausnahmsweise) Obdach und Existenzminimum gesichert ist (VG Bremen, U.v. 23.2.2023 – 5 K 1434/22 – juris, VG Bayreuth, B.v. 27.9.2023 – B 7 S 23.30770 – juris Rn. 25, VG Würzburg, U.v. 19.7.2023 – W 1 K 23.30227 – juris). Es bleibt Sache des Schutzsuchenden, die Gründe für seine Furcht vor Verelendung schlüssig darzulegen, was insbesondere für in seine eigene Sphäre fallende Ereignisse und Umstände zutrifft (VGH BW, U.v. 22.2.2023 – A 11 S 1329/20 – juris Rn. 200).
45
b) Im Fall des Antragstellers kommt auch kein Abschiebungsverbot in Betracht, womit sich auch in dieser Hinsicht keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsandrohung i.S.v. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG ergeben. Der Antragsteller kann sich nicht auf ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG berufen. Hinsichtlich eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK stellen sich keine anderen oder zusätzlichen rechtlichen Fragen im Vergleich zu den oben erfolgten Ausführungen zu systemischen Mängeln. Auch ein Abschiebeverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen ergibt sich nach oben Gesagtem nicht. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG – eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr für Leib, Leben oder Freiheit – sind im Hinblick auf die allgemeine humanitäre Lage in Griechenland erst recht nicht erfüllt (vgl. rechtlich hierzu BVerwG, B.v. 23.8.2018 – 1 B 42.18 – juris Rn. 13; VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris).
46
c) Auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vom 15. Februar 2023 zu Art. 5 Buchst. a und b RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), wonach bei Rückkehrentscheidungen die familiären Bindungen und das Kindeswohl zu berücksichtigen sind (EuGH, U.v. 15.2.2023 – C-484/22 – juris; BayVGH, B.v. 5.6.2023 – 11 ZB 23.30200 – juris Rn. 6 f.) und mit Blick auf Art. 5 Buchst. c der Rückführungsrichtlinie vertreten wird, dass dies wohl auch im Hinblick auf den Gesundheitszustand gilt (siehe hierzu: BayVGH, B.v. 5.6.2023 – 11 ZB 23.30200 – juris Rn. 8), ergeben sich keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung. Es kann diesbezüglich offenbleiben, ob auch eine Abschiebungsandrohung nach § 35 AsylG, die u.a. in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG im Hinblick auf einen Mitgliedstaat der Europäischen Union und nicht in Bezug auf einen Drittstaat ergeht und im streitgegenständlichen Bescheid getroffen wurde, eine Rückkehrentscheidung im Sinne von Art. 3 Abs. 4 der Rückführungsrichtlinie darstellt (OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 11.9.2023 – 2 L 38/20 – juris Rn. 56 m.w.N.), da sich vorliegend schon kein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis für den Antragsteller ergibt. Auch im Übrigen erweist sich die Abschiebungsandrohung als rechtmäßig.
47
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
48
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.