Titel:
Anwaltsvergütung, Schadensersatz, Mahnbescheid, Verjährungshemmung, Pflichtverletzung, Berufung, Widerklage
Schlagworte:
Anwaltsvergütung, Schadensersatz, Mahnbescheid, Verjährungshemmung, Pflichtverletzung, Berufung, Widerklage
Vorinstanz:
LG München II, Endurteil vom 17.08.2023 – 13 O 3772/21 Rae
Rechtsmittelinstanz:
BGH, Urteil vom 24.07.2025 – IX ZR 92/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 49549
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten zu 1 wird das Urteil des Landgerichts München II vom 17.08.2023, Az. 13 O 3772/21 Rae, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Klägerin 4.319,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.10.2021 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin (Widerbeklagte) und der Drittwiderbeklagte werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Beklagte zu 1 (Widerklägerin) 15.657,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 6.326,00 € seit 22.12.2021 und aus 9.331,62 € seit 13.04.2024 zu zahlen. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Von den Gerichtskosten erster Instanz tragen 21,5 % die Beklagte zu 1, weitere 16,5 % die Klägerin und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner und weitere 62 % die Klägerin allein. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 und 3. Die Beklagte zu 1 trägt 49 % der außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten und 35 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 tragen 30 % die Klägerin und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner und weitere 31 % die Klägerin allein. Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten erster Instanz selbst.
IV. Von den Gerichtskosten des Berufungsverfahrens tragen 27 % die Beklagte zu 1, weitere 52 % die Klägerin und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner und weitere 21 % die Klägerin allein. Die Beklagte zu 1 trägt 28 % der außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten und 27 % der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 tragen 52 % die Klägerin und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner und weitere 21 % die Klägerin allein. Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens selbst.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten zu 1 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zu 1 vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
VI. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 38.972,45 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin macht Vergütungsansprüche für die anwaltliche Beratung und Vertretung der Beklagten zu 1 geltend. Diese verlangt widerklagend Schadensersatz aus Anwaltshaftung.
2
Die Beklagten zu 2 und 3 sind Gesellschafter der Beklagten zu 1. Die Mitgesellschafterin … (nachfolgend: Mitgesellschafterin) war bis 23.01.2017 alleinige Geschäftsführerin der Beklagten zu 1. Entsprechend einem Gesellschafterbeschluss vom 24.09.2019 sollten gegen sie Schadensersatzansprüche wegen diverser Untreue- und Schädigungshandlungen, teilweise im Zusammenwirken mit ihrer mit der Buchhaltung beauftragten Mutter … durch unberechtigte Privatentnahmen, Aufwendungen für eine Privatwohnung, Scheinverträge und Scheinquittungen mindestens im Zeitraum von 2006 bis zur Aufdeckung Ende 2016 geltend gemacht werden.
3
Im Nachgang zu einer gemeinsamen Besprechung am 22.12.2020 in den Kanzleiräumen mandatierte die Beklagte zu 1 die Klägerin mit der Geltendmachung. Die anwaltliche Sachbearbeitung übernahm der Drittwiderbeklagte, der Sozius der Klägerin ist. Der Mandatsrahmenvertrag (Anlage K1), der unter dem 22.12.2020 seitens der Beklagten zu 1 und unter dem 29.12.2020 seitens der Klägerin unterzeichnet wurde, enthält in Ziffer 3. folgende Bestimmung:
„Für die Bearbeitung außergerichtlicher Angelegenheiten vereinbaren die Parteien ein Zeithonorar in Höhe von € 360,00 (Partner), € 280,00 (Senior Professional) bzw. € 240,00 (Associate) pro Arbeitsstunde zzgl. USt. in der jeweils geltenden Höhe. Die Abrechnung erfolgt nach angefangenen zehn Minuten.
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Mit E-Mail vom 30.12.2020 (Anlage K13) übersandte die spätere Liquidatorin der Beklagten zu 1 dem Drittwiderbeklagten „die nun finale Tabelle für die Mahnbescheide“. Bei der Anlage zur E-Mail handelt es sich um eine Excel-Datei, die aus mehreren Tabellenblättern besteht (Anlagen B1 Nr. 33 bis Nr. 43). Die finale Tabelle (Anlage K13/Anlage B1 Nr. 33) endet mit Beträgen von 1.363.880,80 € für die Mitgesellschafterin („WC alleine“) und 1.122.601,33 € für sie und ihre Mutter („WC1 und WC2“). Auf dieser Grundlage beantragte die Klägerin namens der Beklagten zu 1 am 30.12.2020 Mahnbescheide über eine Hauptforderung von 1.363.880,80 € gegen die Mitgesellschafterin und von 1.122.601,33 € gegen sie und ihre Mutter als Gesamtschuldnerinnen jeweils mit der Bezeichnung „Anspruch: Schadenersatz aus Unfall/Vorfall (Katalog-Nr. 29) – Mitteilungsform: Delikt/Organhaftung – ab/vom: 01.01.2000“ (Anlagen K2, K4). Die Mahnbescheide wurden den Antragsgegnerinnen am 09.01.2021 zugestellt (Anlagen K3, K5). Zur Einreichung einer Anspruchsbegründung kam es nicht. Mit E-Mail vom 16.02.2021 (Anlage K6) kündigte die Beklagte zu 1 das Mandat.“
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Die Mahnantragstellung stellte die Klägerin in Höhe von 6.882,28 € und 6.012,28 € jeweils entsprechend einer 1,0 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3305 VV RVG in Rechnung neben einem Zeithonorar von 4.319,70 € für die Tätigkeit des Drittwiderbeklagten im Zeitraum vom 19.01.2021 bis 16.02.2021 (Anlage K7).
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Die Mitgesellschafterin ihrerseits geht gegen den Gesellschafterbeschluss vom 24.09.2019 im Wege der Anfechtungsklage gegen die Beklagte zu 1 vor dem Landgericht München II vor (Az. 2 HK O 4081/19). In diesem Verfahren macht die Beklagte zu 1, anwaltlich vertreten durch ihren hiesigen Prozessbevollmächtigten, widerklagend die beschlussgegenständlichen Schadensersatzansprüche geltend. Die Widerklage vom 22.02.2021 wurde im weiteren Verlauf objektiv wie subjektiv auf die Mutter der Mitgesellschafterin als Drittwiderbeklagte erweitert (Anlagen B1 Nr. 1 bis Nr. 3). Gemäß Schriftsatz vom 23.01.2024 waren Ansprüche gegen die Mitgesellschafterin in Höhe von 1.280.571,69 € für den Zeitraum bis einschließlich 2014 rechtshängig. Mit Schriftsatz vom 04.10.2021 (Anlage B1 Nr. 45) wandte die Mitgesellschafterin die Unzulässigkeit der Widerklage wegen doppelter Rechtshängigkeit im Hinblick auf den Mahnbescheid ein. Mit Schriftsätzen vom 13.04.2023 (Anlagen B1 Nr. 47, Nr. 57) nahm der hiesige Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 die Mahnanträge zurück. Mit Beschlüssen vom 12.07.2023 und 19.07.2023 (Anlagen B1 Nr. 48, Nr. 49, Nr. 58) wurden der Beklagten zu 1 die Kosten der Mahnverfahren auferlegt.
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Im vorliegenden Rechtsstreit erwirkte die Klägerin über die in Rechnung gestellte Anwaltsvergütung in Höhe von insgesamt 17.214,26 € einen am 25.06.2021 zugestellten Mahnbescheid gegen die Beklagte zu 1. Die Benachrichtigung der Klägerin über den Widerspruch der Beklagten zu 1 wurde am 13.07.2021 veranlasst. Mit Schriftsatz vom 23.09.2021, eingegangen am 24.09.2021, beantragte sie die Durchführung des streitigen Verfahrens. Die Zahlung des Gerichtskostenvorschusses hierfür ging am 29.09.2021 ein. Die Akte ging beim Landgericht München II am 11.10.2021 ein.
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Die Beklagte zu 1 hat erstinstanzlich u.a. eingewendet, dass die Klägerin gegen ihre anwaltlichen Pflichten verstoßen habe, indem sie dazu geraten habe, nutzlose und für das weitere gerichtliche Vorgehen schädliche Mahnbescheide zu beantragen. Sie habe in Verkennung der taggenauen Verjährungsfristen ohne hinreichende Individualisierung Ansprüche geltend zu machen versucht, die sich aus einer Vielzahl von Einzelsachverhalten zusammensetzen. Die Beklagte zu 1 habe daher einen Schadensersatzanspruch auf Befreiung von der Vergütungsverbindlichkeit. Mit der am 21.12.2021 zugestellten Widerklage hat die Beklagte zu 1 – zunächst hilfsweise – weitere Schäden gegenüber der Klägerin und dem Drittwiderbeklagten geltend gemacht. In erster Instanz waren dies die Gerichtskosten für die Mahnverfahren in Höhe von 3.388,00 € und 2.938,00 € (Anlagenkonvolut B1 Nr. 22) sowie ein entgangener deliktischer Schadensersatzanspruch in Höhe von 6.100,57 € gegen die Mitgesellschafterin wegen einer Rechnung des Handwerkers … vom 10.01.2011 (Anlage B1 Nr. 19), der mangels verjährungshemmender Geltendmachung am 10.01.2021 verjährt sei.
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Mit Endurteil vom 17.08.2023, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage gegen die Beklagte zu 1 mit geringfügiger Einschränkung beim Zinsausspruch stattgegeben und sie zur Zahlung von 17.214,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 26.06.2021 verurteilt. Die Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 ist vollumfänglich abgewiesen worden, ebenso die Widerklage. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt:
10
Die Klage gegen die Beklagte zu 1 sei ganz überwiegend begründet. Der Klägerin stünden sowohl die Gebühren nach RVG für die Mahnantragstellung als auch die Zeitvergütung zu. Der für die Klägerin tätige Drittwiderbeklagte habe im Rahmen seiner informatorischen Anhörung unter Hinzuziehung der Stundenaufstellung nachvollziehbar erläutert, wie sich seine Tätigkeit gestaltet habe. Da diese Tätigkeit zeitlich nach der Mahnantragstellung am 30.12.2020 erfolgt sei und der Vorbereitung einer Anspruchsbegründung durch Ordnung der Sachverhalte dienen sollte, sei sie nicht mehr von der Gebühr nach Nr. 3305 VV RVG gedeckt und mangels Durchführung des streitigen Verfahrens nicht über weitere RVG-Gebühren abrechenbar.
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Der Beklagten zu 1 stünden keine Schadensersatzansprüche in Höhe der RVG-Gebühren für die Mahnantragstellung zu, die sie dem Vergütungsanspruch entgegenhalten könnte, da die Klägerin bei Beantragung der Mahnbescheide keine anwaltlichen Pflichten verletzt habe. Umfang sowie Art und Weise pflichtgemäßer anwaltlicher Beratung seien auch abhängig von den vom Mandanten zur Verfügung gestellten Informationen. Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte seien mit einem Sachverhalt konfrontiert worden, der zwar Anlass gegeben habe, Ansprüche in großer Höhe geltend zu machen, aber zunächst fast ausschließlich auf mündlichen Schilderungen beruht habe. Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen … seien der Klägerin in der Besprechung vom 22.12.2020 keine prüffähigen Unterlagen übergeben oder angeboten worden. Eine genauere Prüfung verschiedener einzelner Ansprüche mit Blick auf deren Plausibilität sei der Klägerin auch unter Heranziehung der übersandten Excel-Datei vom 30.12.2020 nicht möglich gewesen. Der Drittwiderbeklagte habe unbestritten auf die Vor- und Nachteile einer unterschreitenden oder überschießenden Bezifferung im Mahnantrag hingewiesen. Es liege nahe, dass sich die Beklagtenseite bei der Berechnung der Beträge, die letztlich Grundlage der Mahnanträge wurden, dazu entschieden habe, eine mögliche überschießende Bezifferung in Kauf zu nehmen, um dem Risiko einer drohenden Verjährung einzelner Teilansprüche zu entgehen. Nach Auffassung des Gerichts seien die Mahnanträge geeignet gewesen, die Verjährung der behaupteten Ansprüche zu hemmen. Der Mitgesellschafterin habe nach dem Gesellschafterbeschluss vom 24.09.2019 klar sein müssen, welche behaupteten Verfehlungen mit der Bezeichnung Delikt/Organhaftung gemeint seien. Eine genauere Differenzierung der einzelnen den Verfehlungen zugrunde liegenden Lebenssachverhalte hätte im Rahmen der Anspruchsbegründung erfolgen können. Die Annahme eines drohenden Verlusts deliktischer Ansprüche zum 31.12.2020 sei auch mit Blick auf die Verjährungsregelungen in § 43 Abs. 4 GmbHG und § 852 Satz 2 BGB nicht fehlerhaft. Da die Beklagtenseite der Klägerin eine vollständige Kenntnis von den vorgetragenen deliktischen Handlungen der Antragsgegnerinnen im Jahr 2017 geschildert habe, habe der Drittwiderbeklagte pflichtgemäß davon ausgehen dürfen, dass zum Jahresende 2020 jedenfalls der überwiegende Teil der Ansprüche verjähren würde. Die Stellung der Mahnanträge begründe daher keine anwaltliche Pflichtverletzung. Vielmehr hätten sich die Klägerin und der Drittwiderbeklagte in die Gefahr einer Haftung gebracht, wenn sie nach dem Vortrag der Beklagten bestehende Forderungen nicht geltend gemacht hätten und somit die von diesen befürchtete Verjährung hätten eintreten lassen.
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Die Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 sei unbegründet mangels Vorliegens der Voraussetzungen einer Durchgriffshaftung.
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Die zulässige Widerklage sei unbegründet. Mangels anwaltlicher Pflichtverletzung bestehe kein Anspruch auf Erstattung der Gerichtskosten für die Mahnbescheide. Dies gelte auch für die unterbliebene Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen der Handwerkerrechnung vom 10.01.2011. Die Beklagte zu 1) habe schon nicht dargelegt, dass dieser Sachverhalt der Klägerin bzw. dem Drittwiderbeklagten im maßgeblichen Zeitraum geschildert worden sei.
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Die Abweisung der Klage gegen die Beklagten zu 2 und 3 ist rechtskräftig.
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Die Berufung der Beklagten zu 1 richtet sich sowohl gegen ihre Verurteilung zur Zahlung als auch gegen die Abweisung der Widerklage. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt:
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Den klägerischen Vergütungsansprüchen stünden Gegenansprüche wegen anwaltlicher Falschberatung entgegen. Der für die Klägerin handelnde Drittwiderbeklagte habe unstreitig nicht darauf hingewiesen, dass die Mahnanträge ohne Unterlagen bzw. ohne Bezeichnung der einzelnen Sachverhalte der jeweiligen Untreuehandlungen der Mitgesellschafterin und ihrer Mutter, auf denen die Vielzahl der Schadensersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB beruhen, nicht hinreichend individualisiert werden können, um die Verjährung mit dem Eingang des Mahnantrags zu hemmen. Ohne die Unterlagen bzw. Bezeichnung der Einzelsachverhalte sei die für die Verjährungshemmung notwendige Individualisierung der Ansprüche im Mahnantrag bzw. einem in Bezug genommenen Anspruchsschreiben nicht möglich. Die Beklagten hätten den Auftrag zur Einreichung der Mahnanträge nicht erteilt, wenn sie gewusst hätten, dass damit die Hemmung der Verjährung nicht habe bewirkt werden können. Die Bezeichnung „Delikt/Organhaftung“ sei zur hinreichenden Individualisierung nicht geeignet. Die relevanten Verjährungsfristen gemäß § 43 Abs. 4 GmbHG und § 852 Satz 2 BGB enden taggenau, sodass zum 31.12.2020 keine Verjährung gedroht habe und kein Zeitdruck im Hinblick auf den Gesamtbetrag bestanden habe. Der Drittwiderbeklagte wäre verpflichtet gewesen, darauf hinzuweisen, dass im Mahnantrag die Ansprüche individualisiert werden müssen und die übersandte Excel-Datei hierzu nicht ausreiche. Eine Zeitvergütung für eine Tätigkeit, die zwingend schon zeitlich vor Erstellung der Mahnanträge zur Individualisierung der mit den Mahnanträgen geltend gemachten Ansprüche hätte durchgeführt werden müssen, stehe der Klägerin nicht zu.
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Die Einreichung der Mahnanträge sei pflichtwidrig mangels Eignung zur Verjährungshemmung. Wegen dieses Beratungsfehlers stehe der Beklagten zu 1 ein Schadensersatzanspruch auf Erstattung der Gerichtskosten zu, da diese bei Gericht eingezahlt worden seien, ohne den damit angestrebten Zweck der Verjährungshemmung zu erreichen. Als Sozius hafte der Drittwiderbeklagte persönlich für die Verbindlichkeiten der Klägerin. Der Regressanspruch betreffend die Handwerkerrechnung vom 10.01.2011 bestehe im Hinblick auf die anwaltliche Pflicht, den Sachverhalt durch konkrete Fragen zu ermitteln.
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Mit Schriftsatz vom 12.04.2024 hat die Beklagte zu 1 die Widerklage in der Berufungsinstanz erweitert um die den Antragsgegnerinnen zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für die anwaltliche Vertretung in den Mahnverfahren in Höhe von 5.434,97 € gemäß Kostenfestsetzungsbeschluss vom 06.03.2024 (Anlage B1 Nr. 53 betreffend Christine Wagner) und in Höhe von 3.896,65 € gemäß Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27.03.2024 (Anlage B1 Nr. 63 betreffend Carolin Westermeier) mit der Begründung, die Klägerin und der Drittwiderbeklagte schuldeten der Beklagten zu 1 Erstattung des gesamten Kostenschadens aufgrund der nicht nur nutzlosen, sondern für die weitere Anspruchsverfolgung auch schädlichen Mahnanträge. Die Mahnanträge seien nicht weiterverfolgt worden, da einerseits aufgrund der taggenauen Verjährung laufend verjährungshemmende Maßnahmen geboten gewesen seien und andererseits das Fehlen der für die Anspruchsbegründung notwendigen Buchhaltungsbelege für den Zeitraum November 2012 bis April 2016 zu einer zunächst weitgehend unschlüssigen Klage geführt hätte. Soweit die Ansprüche nur aufgrund der seinerzeit vorhandenen Belege hätten begründet werden können, hätte die weitergehende Klage gemäß § 697 Abs. 2 Satz 2 ZPO als zurückgenommen gegolten. Die Antragsgegnerinnen hätten die Beklagte zu 1 gemäß § 697 Abs. 3 ZPO zu einer damals weitgehend unschlüssigen Anspruchsbegründung zwingen können.
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Die Beklagte zu 1 und Berufungsklägerin beantragt zuletzt,
das angefochtene Urteil des Landgerichts München II vom 17.08.2023, Az. 13 O 3772/21 Rae, abzuändern und
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die Klage abzuweisen;
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die Klägerin und den Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Beklagte zu 1) 21.758,19 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte beantragen,
die Berufung zurückzuweisen und die Widerklage abzuweisen.
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Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte verteidigen das angefochtene Urteil gegen die Berufungsangriffe. Wenn entsprechend dem Berufungsvorbringen kein Verjährungseintritt zum 31.12.2020 gedroht habe, sei die Mahnantragstellung pflichtgerecht gewesen, um nach etwaigem Widerspruch die Ansprüche zu begründen und das streitige Verfahren durchzuführen. Hiervon habe der hiesige Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1 pflichtwidrig abgesehen, was den Kausalzusammenhang unterbreche. Das Erstgericht sei in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung rechtsfehlerfrei zu dem Schluss gekommen, dass die Mahnbescheide geeignet seien, eine etwaige Verjährung der Ansprüche zu hemmen. Über das unzutreffende Gegenteil habe die Beklagte zu 1 nicht aufgeklärt werden müssen. Der Problematik der fehlenden Unterlagen sei ihr bewusst gewesen.
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Gegen die Erweiterung der Widerklage wenden die Klägerin und der Drittwiderbeklagte ein, diese sei bereits unzulässig mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 533 ZPO. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Mahnanträge erst im Jahr 2023 zurückgenommen worden seien und die Kostenfestsetzungsbeschlüsse nicht umgehend in das Verfahren eingeführt worden seien. Das Vorbringen sei verspätet und nicht zu berücksichtigen. Im Übrigen sei die erweiterte Widerklage unbegründet. Die Mahnanträge seien für die weitere Anspruchsbegründung nicht schädlich gewesen. Der Klägerin könne nicht angelastet werden, dass der hiesige Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1 sich trotz der ihm unstreitig bekannten Mahnbescheide pflichtwidrig für eine weitere bzw. andere (abseitige) prozessuale Geltendmachung der Ansprüche entschieden habe. Eine etwaige doppelte Rechtshängigkeit habe er selbst herbeigeführt. Auf das weitere prozessuale Vorgehen hätten die Klägerin und der Drittwiderbeklagte keinen Einfluss gehabt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.04.2024 sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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Soweit sich die zulässige Berufung der Beklagten zu 1 gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von 17.214,26 € nebst Zinsen richtet, ist das Rechtsmittel teilweise begründet. Die geltend gemachten Vergütungsansprüche sind der Klägerin nur im tenorierten Umfang zuzusprechen.
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1. Den Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Zeithonorars für die der Mahnantragstellung nachfolgende Tätigkeit in Höhe von 4.319,70 € aus §§ 611 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB hat das Landgericht zu Recht zuerkannt.
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a) Zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 wurde unstreitig ein Anwaltsvertrag geschlossen, der die Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gegen die Mitgesellschafterin und ihre Mutter im Mahnverfahren zum Gegenstand hatte. Soweit das Landgericht die in dem Mandatsrahmenvertrag (Anlage K1) enthaltene Vergütungsvereinbarung als wirksam angesehen hat (EU S. 9), fehlt es an einem konkreten Berufungsangriff.
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b) Das Landgericht hat unter Berücksichtigung der Stundenaufstellung in der Anlage zur Rechnung (Anlage K7) und der Angaben des informatorisch angehörten Drittwiderbeklagten fehlerfrei festgestellt, dass die nach Zeitaufwand abgerechneten Leistungen erbracht wurden. Die dahingehende Würdigung des Erstgerichts ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Dies gilt auch für die Einschätzung, dass es sich um gesondert zu vergütende Leistungen zur Vorbereitung der Anspruchsbegründung handelt, die nicht von den Gebühren für die Mahnantragstellung umfasst sind. Dabei soll nicht verkannt werden, dass die vorbereitende Tätigkeit nach den Feststellungen im Ersturteil mit einer Ordnung der Sachverhalte verbunden war. Dem Einwand der Berufung, die ordnende Tätigkeit hätte bereits zu einer pflichtgemäßen Vorbereitung der Mahnanträge gehört (BB S. 17), ist insoweit beizupflichten, als jedenfalls ohne Aufbereitung der Einzelsachverhalte die Mahnantragstellung nicht pflichtgemäßem anwaltlichen Vorgehen entsprach (s.u.). Dies ändert jedoch nichts daran, dass nach der Stundenaufstellung (Anlage K7) konkrete Einzeltätigkeiten in Form der Besprechung vom 19.01.2021, verschiedener Telefonate, der Durchsicht von E-Mails und der Entgegennahme bzw. Anfertigung von Schriftsätzen erbracht wurden, die rein tatsächlich erst nach dem 30.12.2020 angefallen sind und in zeitlicher Hinsicht in den wenigen Arbeitstagen zwischen Mandatierung (22.12.2020) und Mahnantragstellung (30.12.2020) unter Berücksichtigung der Weihnachtsfeiertage auch nicht hätten erbracht werden können. Insoweit lässt sich dem klägerischen Anspruch ein Schadensersatzanspruch auf Befreiung von der Honorarverbindlichkeit nicht entgegenhalten.
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2. Der Zinsanspruch ergibt sich im zugesprochenen Umfang aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
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Eine Rückwirkung des Zinsbeginns auf den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids (§ 696 Abs. 3 ZPO) scheidet mangels alsbaldiger Abgabe der Streitsache aus. Wird nach Erhebung des Widerspruchs gegen einen Mahnbescheid die Sache nicht alsbald an das zur Durchführung des streitigen Verfahrens zuständige Gericht abgegeben, so tritt die Rechtshängigkeit mit Eingang der Akten bei dem Prozessgericht ein (BGH, Urteil vom 05.02.2009 – III ZR 164/08, BGHZ 179, 329 = NJW 2009, 1213). „Alsbald“ ist wie „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO zu verstehen (BGH a.a.O.; Nordmeier in: Thomas/Putzo, ZPO, 45. Aufl., § 696 Rn. 12 m.w.N.). Die Sache ist alsbald abgegeben, wenn dem Antragsteller lediglich eine geringfügige Verzögerung der Abgabe bis zu 14 Tagen anzulasten ist. Der Antragsteller ist gehalten, nach Mitteilung des Widerspruchs ohne schuldhaftes Zögern die Abgabe an das Streitgericht zu veranlassen. In der Regel ist von ihm zu erwarten, dass er binnen eines Zeitraums von zwei Wochen nach Zugang der Mitteilung des Widerspruchs die restlichen Gerichtsgebühren einzahlt und den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens stellt (BGH a.a.O.). Die Klägerin verzögerte die Abgabe der Sache an das Prozessgericht erheblich. Erst mehr als zwei Monate nach der Benachrichtigung über den Widerspruch der Beklagten zu 1 stellte sie den Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens und zahlte die weiteren Gerichtskosten ein.
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3. Ein Anspruch auf Zahlung der gesetzlichen Gebühren für die anwaltliche Vertretung in den Mahnverfahren in Höhe von 6.882,28 € und 6.012,28 € aus §§ 611 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB steht der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 nicht zu.
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a) Zwar lässt die Nutzlosigkeit der Mahnbescheide den Vergütungsanspruch der Klägerin nicht entfallen. Grundsätzlich kann ein Rechtsanwalt trotz Schlechterfüllung eines Anwaltsdienstvertrages die ihm geschuldeten Gebühren verlangen. Insofern kann der Auftraggeber den aus dem Anwaltsdienstvertrag (§§ 611, 675 BGB) herrührenden anwaltlichen Vergütungsanspruch nicht kraft Gesetzes wegen mangelhafter Dienstleistung kürzen. Eine Minderung der vereinbarten Vergütung wie im Fall des § 638 BGB ist bei einem Dienstvertrag ausgeschlossen (BGH, Urteil vom 24.09.2015 – IX ZR 206/14, Rn. 25 bei juris m.w.N.). Allerdings kann die Verpflichtung des Auftraggebers zur Zahlung der Gebühren entfallen, wenn die Belastung mit der Honorarverbindlichkeit Bestandteil des aus einer anwaltlichen Pflichtverletzung resultierenden Schadens ist (vgl. BGH, Urteil vom 04.02.2010 – IX ZR 18/09, Rn. 56 bei juris m.w.N.). Dies ist etwa der Fall, wenn der Rechtsanwalt schuldhaft einen möglichen prozessualen Kostenerstattungsanspruch des Auftraggebers gegen die Gegenpartei des Ausgangsrechtsstreits vereitelt hat (BGH, Urteil vom 24.09.2015 a.a.O. Rn. 26) oder der Mandant den Auftrag bei pflichtgemäßer Beratung nicht erteilt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 15.07.2010 – IX ZR 227/09, Rn. 7 ff. bei juris). In dem Fall ist der Rechtsanwalt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) aufgrund des dolo agit-Einwands an der Durchsetzung seines Vergütungsanspruchs gehindert (BGH a.a.O. Rn. 13). So liegt der Fall hier.
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b) Das Vorgehen der Klägerin begründet einen Schadensersatzanspruch der Beklagten zu 1 aus § 280 Abs. 1 BGB.
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aa) Die anwaltliche Pflichtverletzung der Klägerin liegt in der unterbliebenen Aufklärung der Mandantin über die Aussichtslosigkeit der in Aussicht genommenen Rechtsverfolgung.
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(1) Die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung ergibt sich daraus, dass die Schadensersatzansprüche durch Mahnbescheid ohne konkrete Angaben oder Unterlagen, die die Individualisierung der einzelnen Schadensersatzansprüche ermöglichen, nicht mit verjährungshemmender Wirkung geltend gemacht werden konnten.
35
(a) Die behaupteten Tathandlungen erstrecken sich nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten zu 1 mindestens von 2006 bis Ende 2016 (Schriftsatz vom 17.12.2021, S. 7 = Bl. 46 d. LG-Akte). Ein Verjährungseintritt mit Ablauf des 31.12.2020, der die Ergreifung verjährungshemmender Maßnahmen geboten hätte, konnte nicht uneingeschränkt drohen, da die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährten Ansprüche nur teilweise der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist von drei Jahren ab dem Schluss des Jahres gemäß §§ 195, 199 BGB unterlagen. Auf die Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB traf dies zu. Soweit diese Ende 2020 bereits verjährt waren, weil die für den Verjährungsbeginn maßgebliche Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) bereits im Jahr 2016 vorhanden war, kam nur ein Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB in Betracht, der nach § 852 Satz 2 BGB in zehn Jahren ab der Entstehung des Anspruchs verjährt. Ersatzansprüche gegen den Geschäftsführer verjähren gemäß § 43 Abs. 4 GmbHG in fünf Jahren, wobei die Verjährung nach § 200 Satz 1 BGB ebenfalls mit der Entstehung des Anspruchs beginnt (Fleischer in: MüKoGmbHG, 4. Aufl., § 43 Rn. 401; Altmeppen, GmbHG, 11. Aufl., § 43 Rn. 145).
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(b) Die von der Klägerin beantragten Mahnbescheide gegen die Mitgesellschafterin sowie gegen die Mitgesellschafterin und ihre Mutter als Gesamtschuldnerinnen vermochten mangels hinreichender Individualisierung der geltend gemachten Ansprüche bei Unterstellung eines mit Ablauf des 31.12.2020 drohenden Verjährungseintritts keine Hemmung der Verjährung nach §§ 204 Abs. 1 Nr. 3, 209 BGB herbeizuführen.
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(aa) Mangelt es dem Mahnantrag und dem Mahnbescheid an der nach § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO notwendigen Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs, d.h. an der Bezeichnung des Anspruchs unter bestimmter Angabe der verlangten Leistung, tritt keine Hemmung der Verjährung durch den antragsgemäß erlassenen Mahnbescheid ein. Die Individualisierung kann dann auch nicht nach Ablauf der Verjährungsfrist mit Rückwirkung verjährungshemmend nachgeholt werden (BGH, Urteil vom 13.10.2015 – II ZR 281/14, Rn. 16 bei juris m.w.N.). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein im Mahnverfahren geltend gemachter Anspruch im Sinne von § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO im Mahnantrag hinreichend individualisiert, wenn er durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden kann, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungstitels sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will (BGH a.a.O. Rn. 17 m.w.N.). Wenn mehrere Einzelansprüche und nicht nur unselbständige Rechnungsposten eines einheitlichen Schadens geltend gemacht werden, gehört es zur notwendigen Individualisierung des Anspruchs, dass die Zusammensetzung der Forderung bereits aus dem Mahnbescheid erkennbar ist (BGH a.a.O. Rn. 25 m.w.N.). Soll ein einheitlicher Antrag auf unterschiedliche Lebenssachverhalte und damit verschiedene Streitgegenstände gestützt werden, muss dies im Mahnantrag hinreichend zum Ausdruck kommen, um dem Gegner die Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Widerspruchs zu ermöglichen (BGH a.a.O. Rn. 26 m.w.N.).
38
(bb) Gemessen hieran fehlt es vorliegend an der hinreichenden Individualisierung der Ansprüche in beiden Mahnanträgen und den entsprechend erlassenen Mahnbescheiden. Die Anspruchsbezeichnung lässt lediglich erkennen, dass Schadensersatz aus Delikt/Organhaftung verlangt werden soll. Es ist nicht ansatzweise erkennbar, aus welchen Vorgängen die Ansprüche hergeleitet werden sollen, ob es sich um unterschiedliche Anspruchsgrundlagen im materiellen oder im prozessualen Sinn handelt und welche Pflichtverletzung oder unerlaubte Handlung welcher Antragsgegnerin vorgeworfen wird. Eine Bezugnahme auf ein erläuterndes vorprozessuales Anspruchsschreiben oder den Gesellschafterbeschluss vom 24.09.2019 ist nicht erfolgt. Im Übrigen lässt sich weder dem Parteivorbringen noch den vorgelegten Unterlagen entnehmen, dass dieser die notwendige Individualisierung der geltend zu machenden Schadensersatzansprüche aufweist. Entsprechendes hat auch das Erstgericht nicht festgestellt. Die in den Mahnanträgen enthaltene Datumsangabe „ab/vom 01.01.2000“ lässt weder den Schluss auf einen bestimmten Zeitpunkt noch einen bestimmten Zeitraum zu. Auch aus den Beträgen kann nicht darauf geschlossen werden, welche Ansprüche geltend gemacht werden sollen, nachdem eine vorherige Bezifferung nicht erfolgt ist.
39
(c) Es entspricht dem eigenen Sachvortrag der Klägerin, dass es den Beklagten zu 2 und 3 und der späteren Liquidatorin der Beklagten zu 1 nicht möglich gewesen sei, vor dem 31.12.2020 die einzelnen Untreuehandlungen zu spezifizieren, insbesondere die jeweilige Tathandlung und den jeweiligen Zeitpunkt präzise zu benennen, geschweige denn irgendwelche Unterlagen hierzu auszuhändigen, und es daher für die Klägerin nicht möglich gewesen sei, anhand des vorgelegten Materials zu bewerten, wann Verjährung konkret für jedes einzelne Schadensereignis im Einzelfall eintreten würde und welche Schadensersatzansprüche über den Jahreswechsel hinaus fortbestehen könnten (Replik vom 18.02.2022, S. 20 = Bl. 91 d. LG-Akte). Dem ist das Landgericht nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme in nicht zu beanstandender Weise gefolgt.
40
(2) Die Ansicht der Klägerin, dass aus Gründen anwaltlicher Vorsicht verjährungshemmende Maßnahmen ergriffen werden mussten, vermag der Senat nicht zu teilen. Ein kostenauslösender Mahnantrag über die Maximalforderung ohne belastbare Grundlage ins Blaue hinein entsprach auch nach dem Gebot des sichersten Weges in der damaligen Situation nicht pflichtgemäßem anwaltlichen Vorgehen. Wenn eine Verjährungshemmung durch Mahnantragstellung mangels Individualisierung der Ansprüche nicht zu erreichen war, konnte ein solches Vorgehen nicht den sichersten Weg für den Mandanten darstellen und nicht aus anwaltlicher Vorsicht geboten sein. Vielmehr hätte die Klägerin die Vertreter der Beklagten zu 1 dahingehend beraten müssen, dass zwar die nicht bereits verjährten deliktischen Ansprüche zum 31.12.2020 verjähren können, hinsichtlich der einzelnen Ansprüche eine pflichtgerechte Beurteilung der Verjährungsfrage und die für eine Verjährungshemmung gebotene Individualisierung auf der Grundlage der bisherigen Angaben jedoch nicht möglich ist und daher von einer Mahnantragstellung bis zum 31.12.2020 zum Zwecke der Verjährungshemmung wegen Aussichtslosigkeit abgeraten werden muss. Regressansprüchen wäre die Klägerin in dem Fall nicht ausgesetzt. Die von der Richtigkeit ihres Vorgehens überzeugte Klägerin behauptet indessen schon nicht, dass sie die Mandantin in diesem Sinne anwaltlich beraten hätte.
41
bb) Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Belehrung durch den rechtlichen Berater verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Anspruchsteller nach dem Maßstab des § 287 ZPO zu beweisen hat. Zu Gunsten des Anspruchstellers ist jedoch zu vermuten, der Mandant wäre bei pflichtgemäßer Beratung den Hinweisen des Rechtsanwalts gefolgt, sofern im Falle sachgerechter Aufklärung aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte tatsächliche Reaktion nahegelegen hätte. Eine solche Vermutung kommt hingegen nicht in Betracht, wenn nicht nur eine einzige verständige Entschlussmöglichkeit bestanden hätte, sondern nach pflichtgemäßer Beratung verschiedene Handlungsweisen ernsthaft in Betracht gekommen wären, die unterschiedliche Vorteile und Risiken in sich geborgen hätten. Greift die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens ein, so liegt hierin keine Beweislastumkehr, sondern ein Anscheinsbeweis, der durch den Nachweis von Tatsachen entkräftet werden kann, die für ein atypisches Verhalten des Mandanten im Falle pflichtgemäßer Beratung sprechen. Bestanden im Falle pflichtgemäßer Aufklärung mehrere in vergleichbarer Weise erfolgversprechende Handlungsmöglichkeiten oder war das Ausmaß der zu erteilenden Risikohinweise gering, kommt die Annahme des Anscheinsbeweises in der Regel nicht in Betracht. Anders liegt der Fall, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung derart risikobehaftet war, dass der pflichtgemäß handelnde Rechtsanwalt von dieser abzuraten hatte (BGH, Urteil vom 16.09.2021 – IX ZR 165/19, Rn. 36 f. bei juris). Hiernach ist zugunsten der Beklagten zu 1 zu vermuten, dass sie sich beratungsgerecht verhalten und den Auftrag zur Einreichung der Mahnanträge nicht erteilt hätte, wenn die Klägerin hiervon wegen Aussichtslosigkeit abgeraten hätte. Eine andere Entscheidung wäre bei vernünftiger Betrachtung im Hinblick auf das mit der Rechtsverfolgung verbundene erhebliche Prozess- und Prozesskostenrisiko bei Geltendmachung einer Maximalforderung von insgesamt 2.486.482,13 € nicht ernsthaft in Betracht gekommen.
42
cc) Der Schaden der Beklagten zu 1 besteht u.a. in der Belastung mit den Honorarverbindlichkeiten gegenüber der Klägerin, deren Mahnantragstellung jeweils eine 1,0 Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3305 VV RVG in Höhe von 6.882,28 € und 6.012,28 € wie abgerechnet (Anlage K7) ausgelöst hat. Diese Anwaltsgebühren wären bei ordnungsgemäßer Beratung nicht entstanden, da der Auftrag zur Mahnantragstellung in dem Fall nicht erteilt worden wäre.
43
Die Berufung ist auch insoweit teilweise begründet, als sie sich gegen die vollumfängliche Abweisung der Widerklage richtet. Der widerklagend verlangte Schadensersatz steht der Beklagten zu 1 im zugesprochenen Umfang gegen die Klägerin und den Drittwiderbeklagten zu.
44
1. Die mit der (erweiterten) Widerklage geltend gemachten Schadensersatzansprüche sind in Höhe von insgesamt 15.657,62 € begründet.
45
a) Die Beklagte zu 1 hat wie ausgeführt einen Anspruch auf Schadensersatz aus § 280 Abs. 1 BGB gegen die Klägerin aufgrund der fehlerhaften anwaltlichen Beratung im Zusammenhang mit der Mahnantragstellung vom 30.12.2020, für den der Drittwiderbeklagte als Gesellschafter der Klägerin persönlich haftet. Nach dem unbestrittenen Berufungsvorbringen ist der Drittwiderbeklagte Sozius der Klägerin und als solcher auch auf dem Briefbogen der Klägerin genannt (BB S. 18).
46
b) Der zu ersetzende Kostenschaden umfasst die von der Beklagten zu 1 gezahlten Gerichtskosten für die Mahnverfahren in Höhe von 3.388,00 € und 2.938,00 € (Anlagenkonvolut B1 Nr. 22), insgesamt 6.326,00 €. Diese Gerichtskosten wären bei ordnungsgemäßer anwaltlicher Beratung nicht angefallen, da es in dem Fall nicht zur Mahnantragsstellung gekommen wäre.
47
c) Der zu ersetzende Kostenschaden umfasst weiter die den Antragsgegnerinnen zu erstattenden außergerichtlichen Kosten für die anwaltliche Vertretung in den Mahnverfahren in Höhe von 5.434,97 € und 3.896,65 € gemäß Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom 06.03.2024 und 27.03.2024 (Anlagen B1 Nr. 53, Nr. 63), insgesamt 9.331,62 €.
48
aa) Die Beklagte zu 1 hat die Widerklage in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 12.04.2024 in zulässiger Weise auf die außergerichtlichen Kosten erweitert. Eine Änderung der Widerklage unterfällt ihrerseits § 533 ZPO (Zöller/Heßler, ZPO, 35. Aufl., § 533 Rn. 8). Die dahingehenden Voraussetzungen liegen hier vor.
49
(1) Eine Widerklage ist gemäß § 533 Nr. 1 ZPO zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält. Wegen der Verweisung des § 525 ZPO auch auf § 267 ZPO kann die Einwilligung des Gegners stillschweigend erteilt werden, indem er sich rügelos auf die Widerklage einlässt (BGH, Urteil vom 06.12.2004 – II ZR 394/02, Rn. 10 bei juris m.w.N.). Ausweislich der Antragstellung in der Berufungsverhandlung vom 24.04.2024 haben sich die Klägerin und der Drittwiderbeklagte rügelos auf die geänderte Widerklage gemäß Schriftsatz vom 12.04.2024 eingelassen. Da sie ohne vorherige schriftsätzliche Beanstandung einen Antrag auf Abweisung der Widerklage gestellt haben, wird ihre Einwilligung unwiderleglich vermutet (vgl. BGH a.a.O.).
50
(2) Als zweite Voraussetzung darf eine Widerklage nur auf Tatsachen gestützt werden, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (§ 533 Nr. 2 ZPO). Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz entstanden sind, sind im Berufungsrechtszug nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO zu berücksichtigen. Die Bestimmung des § 531 ZPO gebietet die Zurückweisung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die bereits während des Rechtsstreits erster Instanz bestanden haben und entweder in diesem ausgeschlossen worden sind (Abs. 1) oder aber infolge eines Fehlers des Gerichts oder unter Verletzung der der Partei obliegenden Prozessförderungspflicht nicht berücksichtigt oder vorgebracht worden sind. Dementsprechend können nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz neu entstandenen Angriffs- und Verteidigungsmittel ohne die sich aus § 531 Abs. 2 ZPO ergebenden Beschränkungen jederzeit in das Berufungsverfahren eingeführt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22.04.2010 – I ZR 17/09, NJW-RR 2010, 1478, Rn. 7 bei juris m.w.N.). Dies trifft auf den Sachvortrag und die zur Begründung der Widerklageerweiterung vorgelegten Unterlagen gemäß Anlagen B1 Nr. 45 ff. zu. Insbesondere wurden die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen erst mit Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom 06.03.2024 und 27.03.2024 (Anlagen B1 Nr. 53, Nr. 63) und damit nach Schluss der mündlichen Verhandlung vom 01.08.2023 festgesetzt.
51
bb) Die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerinnen für die anwaltliche Vertretung in den Mahnverfahren wären bei ordnungsgemäßer anwaltlicher Beratung nicht entstanden und nicht zu erstatten, da es in dem Fall nicht zur Mahnantragstellung gekommen wäre. Die Rücknahme der Mahnanträge durch den hiesigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 führt nicht zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs.
52
(1) Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs durch das Eingreifen eines Dritten ist nur dann anzunehmen, wenn es als gänzlich ungewöhnliche Beeinflussung des Geschehensablaufs zu werten ist. Das Verhalten Dritter entlastet somit regelmäßig nicht den Erstschädiger, sondern begründet zum Schutz des Geschädigten allenfalls eine eigene, zusätzliche Haftung. Dementsprechend wird der von einer früheren Vertragsverletzung eines Beraters ausgehende Zurechnungszusammenhang grundsätzlich nicht dadurch unterbrochen, dass nach dem pflichtwidrig handelnden Rechtsanwalt oder Steuerberater eine andere rechtskundige Person mit der Angelegenheit befasst worden ist, die noch in der Lage gewesen wäre, den Schadenseintritt zu verhindern, die ihr obliegende Pflicht jedoch nicht beachtet hat (BGH, Urteil vom 08.09.2016 – IX ZR 255/13, Rn. 20 bei juris m.w.N.).
53
(2) In diesem Zusammenhang soll nicht verkannt werden, dass die auf § 269 Abs. 3 ZPO gestützten Kostengrundentscheidungen vom 12.07.2023 und 19.07.2023 zu Lasten der Beklagten zu 1, nach denen sie als Antragstellerin die Kosten der Mahnverfahren zu tragen hat (Anlagen B1 Nr. 48, Nr. 49, Nr. 58), ausschließlich auf der Rücknahme der Mahnanträge durch den hiesigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 beruhen. Einer solchen Prozesshandlung hätte es nicht bedurft, wenn die Schadensersatzansprüche gegen die Mitgesellschafterin und ihre Mutter nicht im Wege der Widerklage und deren sukzessive Erweiterung im anhängigen Parallelverfahren 2 HK O 4081/19, sondern durch Überleitung der Mahnverfahren in das streitige Verfahren und ggf. einen Verbindungsantrag gemäß § 147 ZPO weiterverfolgt worden wären. Auf diese Weise hätte die Möglichkeit zur „Heilung“ und Vermeidung der Kostenerstattung bestanden, da die im jeweiligen Mahnverfahren entstandene Gebühr gemäß Nr. 3305 VV RVG auf die Verfahrensgebühr des streitigen Verfahrens anzurechnen gewesen wäre. Der hiesige Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 1 hatte nach eigenen Angaben Kenntnis von den Mahnbescheiden (Protokoll vom 24.04.2024, S. 2 = Bl. 73 d. Berufungsakte) und war grundsätzlich zu einem kostenschonenden Vorgehen im Interesse der Mandantin gehalten.
54
(3) Allerdings waren im Interesse der Mandantin nach dem Gebot des sichersten Weges in gleicher Weise die Risiken zu bedenken, die mit einer Weiterverfolgung der Ansprüche im streitigen Verfahren gegenüber der gesonderten Geltendmachung im Wege der Widerklage verbunden waren. Sie ergaben sich im Hinblick auf das damalige Fehlen von Unterlagen zur Begründung der einzelnen Ansprüche sowohl aus der Klagerücknahmefiktion, die zum Tragen kommen konnte, soweit der Antrag in der Anspruchsbegründung hinter dem Mahnantrag zurückbleibt (§ 697 Abs. 2 Satz 2 ZPO n.F.), als auch aus dem Zwang zur Anspruchsbegründung zur Vermeidung nachteiliger Folgen für die Beklagte zu 1 bei einem Terminsantrag der Antragsgegnerinnen (§ 697 Abs. 3 ZPO). Bei dieser Sachlage war die Entscheidung für die gesonderte Geltendmachung im Wege der Widerklage anstelle der Weiterverfolgung im streitigen Verfahren durch sachgerechte prozesstaktische Erwägungen gerechtfertigt. Dementsprechend lässt sich das Vorgehen des hiesigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 nicht als schlechterdings unverständlich und unsachgemäß werten. Damit fehlt es an einer gänzlich ungewöhnlichen Beeinflussung des Geschehensablaufs, die geeignet wäre, den von der anwaltlichen Pflichtverletzung der Klägerin ausgehenden Zurechnungszusammenhang zu unterbrechen. Dies gilt umso mehr, als sich die vorgenannten Risiken gerade nicht als unbegründet erwiesen haben. Die zwischenzeitliche Aufarbeitung der Einzelsachverhalte bis einschließlich 2014 hat die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Höhe von 1.280.571,69 € gegen die Mitgesellschafterin ermöglicht (Schriftsatz vom 12.04.2024, S. 6 = Bl. 61 d. Berufungsakte), was nicht viel mehr als die Hälfte der mit den Mahnanträgen insgesamt geltend gemachten Hauptforderungen (2.486.482,13 €) ausmacht. Auch bei Zugrundelegung der vom Beklagtenvertreter in der Berufungsverhandlung geschätzten Schadenshöhe von rund 1,7 Mio. € für den gesamten Handlungszeitraum verbleibt ein nicht unerhebliches Zurückbleiben hinter den Mahnanträgen.
55
2. Der Zinsanspruch ergibt sich im zugesprochenen Umfang aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
56
Schadensersatzansprüche stellen keine Entgeltforderungen im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB dar (BGH, Urteil vom 24.01.2018 – XII ZR 120/16, NJW-RR 2018, 714, Rn. 26 m.w.N.; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 288 Rn. 8, § 286 Rn. 27).
57
3. Soweit die Beklagte zu 1 darüber hinaus Regress wegen eines verjährungsbedingt entgangenen deliktischen Schadensersatzanspruchs gegen die Mitgesellschafterin in Höhe von 6.100,57 € verlangt, hat das Landgericht die Widerklage zu Recht abgewiesen.
58
Eine anwaltliche Pflichtverletzung der Klägerin durch unterbliebene verjährungshemmende Geltendmachung dieses einzelnen materiell-rechtlichen Anspruchs, die dazu geführt hätte, dass er nicht mehr durchsetzbar ist (§ 214 Abs. 1 BGB), vermag der Senat nicht festzustellen. Von der Klägerin konnte nicht verlangt werden, den konkreten Einzelanspruch in der kurzen Zeit zwischen der Mandatierung vom 22.12.2020 und dem behaupteten Verjährungseintritt am 10.01.2021 aus dem umfangreichen Gesamtkomplex durch Befragung oder Aufarbeitung herauszugreifen und individualisiert geltend zu machen, ohne die der Klägerin gegenüber der Beklagten zu 1 aus dem Anwaltsvertrag obliegenden Pflichten zu überspannen. Dass die Individualisierung des Einzelanspruchs ohne weiteres kurzfristig möglich gewesen wäre, zeigt die Widerklage nicht auf und wäre im Übrigen nicht zu vereinbaren mit der ersichtlich langwierigen und mühevollen Aufbereitung der Vielzahl der einzelnen Sachverhalte durch den hiesigen Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 und der damit einhergehenden sukzessiven Geltendmachung der Schadensersatzansprüche im anhängigen Parallelverfahren vor dem Landgericht München II.
59
Die Ausführungen im Schriftsatz vom 15.05.2024 hat der Senat bei der vorliegenden Entscheidung berücksichtigt. Sie geben keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO. Der Umstand, dass der Senat die rechtliche Würdigung der Klägerin und des Drittwiderbeklagten nicht teilt, führt nicht zu einer Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör, welche die Wiedereröffnung gebieten würde (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
60
1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 100 Abs. 4 ZPO unter Anwendung der Baumbach'schen Kostenformel nach Maßgabe des jeweiligen Unterliegensanteils der beteiligten Streitparteien unter Berücksichtigung der Unterschiede, die sich aus der Beteiligung der Beklagten zu 2 und 3 nur in erster Instanz und der streitwerterhöhenden Widerklageerweiterung in zweiter Instanz ergeben. Das Teilunterliegen mit den Zinsforderungen ist wegen Geringfügigkeit nicht beachtlich (vgl. Hüßtege in: Thomas/Putzo a.a.O. § 92 Rn. 2 m.w.N.).
61
Bei Bestimmung der Unterliegensanteile anhand der in den einzelnen Prozessrechtsverhältnissen maßgeblichen (fiktiven) Streitwerte (vgl. Beispiel bei Zöller/Herget a.a.O. § 100 Rn. 6) ergibt sich die Kostenentscheidung wie folgt:
62
Von den Gerichtskosten erster Instanz tragen 21,5 % [= 16.520,84 von 76.495,92] die Beklagte zu 1, weitere 16,5 % [= 2 × 6.326 von 76.495,92] die Klägerin und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner und weitere 62 % [= 47.323,08 von 76.495,92] die Klägerin allein. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 und 3. Die Beklagte zu 1 trägt 49 % [= 6.100,57 von 12.426,57] der außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten und 35 % [= 10.420,27 von 29.640,83] der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 tragen 30 % [= 2 × 6.326 von 42.067,40] die Klägerin und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner und weitere 31 % [= 12.894,56 von 42.067,40] die Klägerin allein. Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten erster Instanz selbst.
63
Von den Gerichtskosten des Berufungsverfahrens tragen 27 % [= 16.520,84 von 60.730,64] die Beklagte zu 1, weitere 52 % [= 2 × 15.657,62 von 60.730,64] die Klägerin und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner und weitere 21 % [= 12.894,56 von 60.730,64] die Klägerin allein. Die Beklagte zu 1 trägt 28 % [6.100,57 von 21.758,19] der außergerichtlichen Kosten des Drittwiderbeklagten und 27 % [= 10.420,27 von 38.972,45] der außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 tragen 52 % [= 2 × 15.657,62 von 60.730,64] die Klägerin und der Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner und weitere 21 % [= 12.894,56 von 60.730,64] die Klägerin allein. Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens selbst.
64
2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
65
3. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf der Grundlage der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.
66
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens war gemäß §§ 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO festzusetzen. Er setzt sich zusammen aus dem Zahlungsbetrag gemäß Verurteilung (17.214,26 €) und der erweiterten Widerklageforderung (21.758,19 €).